Entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht Mit Robotik zu den negativen Zahlen

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Entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht Mit Robotik zu den negativen Zahlen
Mathematik im Unterricht                                                                                  Band 11, 2020

                           Entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht

                                  Mit Robotik zu den negativen Zahlen

                                   Claudia MacDonald, Anna-Lena Hinterseer

Zusammenfassung. Robotik ist aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken und der Begriff Roboter begegnet uns immer
häufiger. Es gibt Rasenmäher-Roboter, Staubsaugerroboter und Spielzeugroboter. In der Medizin werden Roboter für
Untersuchungen und Operationen eingesetzt. Wissenschaftler arbeiten bereits an winzigen Nanorobotern, die sich in
unserem Blutkreislauf bewegen können. Auch in der Computerwelt findet sich die Kurzform 'Bot'. Sogenannte Chatbots
antworten automatisiert auf Anfragen und Google-Bots durchforsten selbständig die Webseiten des World Wide Web. Das
autonome Fahren macht Autos zu selbstfahrenden Robotern. Und dann gibt es natürlich noch die Industrieroboter. In der
Schule können Roboter zur Förderung von Technologie-Wissen, Informatik und Mathematik eingesetzt werden. Mit ihnen
können die SchülerInnen spielend und entdeckend an das Thema Computational Thinking und die fundamentale Idee des
Algorithmus herangeführt werden. Dieser Artikel beschreibt eine Unterrichtssequenz für das Fach Mathematik, in der ein
programmierbarer Roboter als unterrichtsunterstützende Technologie zum Einsatz kommt. Konkret sollen die
SchülerInnen die negativen Zahlen mit Hilfe des TI-Innovator Rovers selbst entdecken. Im folgenden Artikel wird zuerst
entdeckender Unterricht als eigene Unterrichtsmethode vorgestellt. Anschließend werden die verschiedenen Modelle und
ihre Kontexte für die Einführung der negativen Zahlen präsentiert. Im letzten Teil wird schließlich eine Unterrichtsplanung
für die Einführung der negativen Zahlen mit Hilfe des TI-Rovers vorgeschlagen. Das Hauptziel dieser Unterrichtsplanung
ist das Fördern von entdeckendem Lernen unterstützt durch moderne Technologie.
  “Tell me and I will forget, show me and I may remember; involve me and will understand.” (Confucius)

Einleitung

Das Gewinnen von Einsicht ist ein Prozess, den Lernende nur für sich persönlich vollziehen können. Die
Lehrperson kann durch geeignete didaktische Maßnahmen günstige Voraussetzungen für das Lernen
schaffen, aber weder Einsicht noch Verstehen von außen herbeiführen. Nach Heinrich Winter ist daher das
Lernen von Mathematik umso wirkungsvoller, je mehr dieser Weg auf aktiver Erfahrung und selbständigen
entdeckerischen Unternehmungen beruht (vgl. Winter, 2018, S.1). Unterricht ist nicht das Vermitteln von
fertiger Mathematik, sondern ein individueller und sozialer Prozess, in dem es mathematische Muster und
Strukturen zu entdecken gibt (ebd.). Wie auch in der historischen Entwicklung der Mathematik verlaufen solche
Prozesse naturgemäß nicht ohne Schwierigkeiten. Die SchülerInnen erleben Hindernisse und Sackgassen,
gehen Umwege und wählen verschiedene Straßen auf ihrem Weg zur Erkenntnis. Der konstruktivistische Weg
beginnt dabei mit Beispielen, die einen Bezug zur Lebenswelt der SchülerInnen und ihrem individuellen
Vorwissen herstellen. Die Orientierung an fundamentalen Konzepten und das Spiralprinzip als Methode helfen
den Lernenden dabei, erkannte Muster zu vernetzen, zu verinnerlichen und darauf zurückzugreifen (vgl.
Matter, 2017, S.41). „Verinnerlichte Strukturen und die mentale Verfügbarkeit von Mustern wiederum erhöhen
die Kompetenzen der SchülerInnen im Problemlösen, Argumentieren und Darstellen“ (vgl. Matter, 2017, S.39).
Gerade die historische Entwicklung der negativen Zahlen zeigt, wie schwierig der Weg der Erkenntnis sein
kann. Rechneten bereits die Babylonier und die Griechen mit Brüchen und irrationalen Zahlen, lehnten bis ins
17. Jahrhundert viele Mathematiker negative Zahlen ab, da sie ein Chaos von Widersprüchen des
bestehenden Systems befürchteten. Lassen sich positive Bruchzahlen und auch irrationale Zahlen als
geometrische Interpretationen von Längen noch gut anschaulich darstellen (Abb. 1), ist dies bei den negativen
Zahlen (weniger als „Nichts“) schwieriger. Erst 1867 beendete Hermann Hankel die Diskussion, indem er auf
einer rein innermathematischen Ebene               mit  dem    Permanenzprinzip        argumentierte. Eine
Zahlbereichserweiterung sollte demnach so durchgeführt werden, dass die Ordnung und die bekannten
Rechenregeln im neuen Zahlbereich erhalten bleiben (vgl. Hofe & Hattermann, 2014, S.2).

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                            Abb. 1: Rationale und irrationale Zahlen – geometrische Darstellung

Angesichts der historischen Genese ist es ziemlich naiv zu glauben, dass SchülerInnen
Zahlbereichserweiterungen schnell und problemlos vollziehen können (vgl. Malle, 2007, S.4). Die Einführung
der negativen Zahlen sollte daher behutsam und schrittweise geschehen. Verschiedene außer- und
innermathematische Kontexte und Modelle helfen dabei, Muster zu erkennen und tragfähige Vorstellungen im
Umgang mit negativen Zahlen zu entwickeln. Dabei ist in der Didaktik ein Kompromiss zwischen Exaktheit und
Anschaulichkeit notwendig (vgl. Reiss & Schmieder, 2014, S.145).

Entdeckendes Lernen

Die Freude am Entdecken der Wirklichkeit bewegt Menschen zum Denken und Nachforschen (vgl. Hameyer
& Rößer, 2016, S.129). Durch selbstständige Auseinandersetzung mit Phänomenen entwickeln und
überprüfen SchülerInnen im Entdeckenden Unterricht ihr Verständnis von verschiedenen Sachverhalten. Nach
konstruktivistischer Auffassung von Lernprozessen fördern das selbstständige Lernen und Entdecken die
Motivation als auch die Lernleistung (vgl. Nerdel, 2017, S.151). Eine unter Führung durch die Lehrperson
wiederentdeckte Gegebenheit wird nicht zuletzt aufgrund der „emotionalen Besetzung von (aktiven)
Findungsbemühungen“ dauerhaft behalten und erinnert (vgl. Winter, 2016, S.2).
Durch einen Forschungs- bzw. Entdeckungsprozess soll daher auf Grundlage des vorgestellten Beispiels eine
schrittweise Erweiterung der Zahlenbereichsvorstellung mithilfe von Robotern gelingen. Über angestellte
Spekulationen und geplante Überprüfungen zur Verallgemeinerung, soll es gelingen, neue, widerspruchslose
Erkenntnisse aus der Lebenswelt in die bisherigen Theorien der SchülerInnen zu integrieren. Es geht darum,
Gewohntes neu zu sehen und erkenntniskritisch zu überarbeiten, um Wissen hinzuzugewinnen. Die Lehrkraft
fungiert im Entdeckenden Unterricht als AnregerIn des Entdeckungsprozesses sowie LernbegleiterIn und
muss den Ideen und Potenzialen der Lernenden stets mit Wertschätzung gegenüberstehen, um ein positives
Selbstkonzept zu fördern (vgl. Hameyer & Rößer, 2016, S.130).

Fachdidaktische Analyse und Lehrplanbezug
 Die Einführung der negativen Zahlen im Mathematikunterricht ist eine Thematik, über die wenig Einigkeit herrscht: In
 der internationalen mathematikdidaktischen Diskussion wird und wurde darüber debattiert, welche Kontexte, welche
 Modelle und welche Spiele sich zur Einführung negativer Zahlen eignen, und darüber hinaus auch darüber, ob eine
 kontextuell orientierte Einführung erfolgen sollte. (Schindler, 2014, S. 95)

Auch über den Zeitpunkt der Einführung herrscht keine Einigkeit. In den Lehrplänen der Gymnasien für Bayern
und Baden-Württemberg ist das Rechnen mit ganzen Zahlen bereits in der 5. Schulstufe vorgesehen (vgl. ISB,
2020; vgl. ZSL, 2020). Der Weg durch die Zahlbereiche führt hier von ℕ über ℤ nach ℚ. Büchter (2014, S.10)
plädiert dagegen für die Einführung der positiven Bruchzahlen vor den negativen Zahlen. Historisch betrachtet
sind Brüche sehr viel „älter“, da sie vor allem durch ihre geometrische Interpretation als Verhältnisse von
Längen anschaulich zu erklären sind. Büchter schlägt daher vor, der historischen Entwicklung zu folgen und
die gedanklich anspruchsvolleren negativen Zahlen erst in der 7. oder 8. Schulstufe einzuführen, wenn das
Abstraktionsvermögen der SchülerInnen weiter ausgebildet ist.
Im österreichischen Lehrplan der AHS werden die ganzen Zahlen nicht explizit erwähnt. Sie werden jedoch -
wie von Büchter angedacht - in der 7. Schulstufe (3. Klasse Sek I) unter den rationalen Zahlen subsumiert und
im Lehrplan ganz allgemein als Punkte auf der Zahlengeraden bzw. als Zustände gegenüber einem Nullpunkt
erwähnt:

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 Arbeiten mit Zahlen und Maßen:

        −     rationale Zahlen in verschiedenen Formen deuten können

        −     als Zustände gegenüber einem Nullpunkt

        −     Punkte auf einer Zahlengeraden

        −     Erkennen und Beschreiben von Kleiner-Größer-Beziehungen

        −     rationale Zahlen für Darstellungen in Koordinatensystemen verwenden können

        −     die Regeln für das Rechnen mit rationalen Zahlen wissen und bei Rechenbeispielen (mit einfachen Zahlen)
              mit Sicherheit anwenden können
              [...]

(BMWBF, 2020)

Gedankliche Hürden bei der Einführung der negativen Zahlen

Je nach den vorhandenen Grundvorstellungen und Vorerfahrungen können sich die Schwierigkeiten, die
SchülerInnen im Zusammenhang mit den negativen Zahlen haben, stark unterscheiden:
    −       Für SchülerInnen sind negative Zahlen schwer vorstellbar, da sie – im Gegensatz zu den natürlichen
            oder den positiv rationalen Zahlen – nicht abzählbar oder messbar sind.
    −       Bei negativen Zahlen geht es nicht mehr um die kardinale Grundvorstellung (wie viele?) sondern um
            Zustände und Zustandsänderungen innerhalb eines Kontexts (Kontostand, Temperatur, Höhe, ...).
    −       Vertraute Zeichen werden mit einer neuen Bedeutung belegt. Waren „+“ und „–“ vorher ausschließlich
            Rechenoperationen, sind es nun auch Vorzeichen, die die Eigenschaft einer Zahl bestimmen.
    −       Die SchülerInnen müssen sich von gewohnten Ordnungsrelationen lösen und erkennen, dass (−4) <
            (−3) ist.
    −       Die SchülerInnen müssen sich weiterhin von der Grundvorstellung lösen, dass eine Subtraktion immer
            verkleinert. Insbesondere ist es für SchülerInnen oft nur schwer vorstellbar, wie eine Aufgabe mit lauter
            Minuszeichen, z.B. (−3) − (−7) = (+4), zu einem positiven Ergebnis führen kann.
    −       Für die Multiplikation zweier negativer Zahlen (−3) ∙ (−7) gibt es keine einfache sinnvolle
            außermathematische Deutung.
Dies bedeutet in der Konsequenz, dass die SchülerInnen erst einmal eine gewisse Zeit brauchen, um sich an
die negativen Zahlen und ihre internen Gesetze zu gewöhnen (vgl. Hefendehl-Hebeker & Prediger, 2006, S.5).

Einführung mit oder ohne Kontext?

Kontexte sollen Bezüge zur Lebenswelt der Lernenden herstellen. Dafür muss im Unterricht vergleichsweise
viel Zeit investiert werden. Doch sind Kontexte tatsächlich eine Hilfe oder verschleiern sie den Blick auf das
Wesentliche (vgl. Pallack, 2014, S.26)? Weiterhin besteht die Gefahr, dass SchülerInnen Strategien mit
bestimmten Kontexten verknüpfen und negative Zahlen nicht als eigenständige, allgemeingültige Objekte
wahrnehmen, sondern als eine für eine bestimmte Situation angepasste Interpretation positiver Zahlen (z.B.
Schulden) (vgl. Ellrot, Hechenleitner, Kelly & Worg, 2003, S.5). Spätestens bei der Multiplikation zweier
negativer Zahlen wird klar, dass eine einfache und anschauliche außermathematische Interpretation nicht
existiert.
Ein rein innermathematischer Weg zu den negativen Zahlen führt über das Permanenzprinzip (Rechenregeln
sollen im neuen Zahlenbereich weiterhin gültig sein) (Abb. 2):

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Addition und Subtraktion:                              Multiplikation:
 3+2       =5                3-2       =1                  3×2       =6              2 × (-3) = -6
 3+1       =4                3-1       =2                  3×1       =3              1 × (-3) = -3
 3+0       =3                3-0       =3                  3×0       =0              0 × (-3) = 0
 3 + (-1) = ?                3 - (-1) = ?                  3 × (-1) = ?            (-1) × (-3) = ?
 3 + (-2) = ?                3 - (-2) = ?                  3 × (-2) = ?            (-2) × (-3) = ?
 ...                         ...                           ...                     ...

                                            Abb. 2: Permanenzprinzip

Dieses Prinzip kann bei allen Rechenarten der ganzen Zahlen angewendet werden. Es kommt weiterhin im
Verlauf der Sek I und Sek II immer wieder vor, z.B. bei der Erweiterung der Potenzen auf ganzzahlige
Exponenten. Man könnte sich also auf ein durchgängiges Modell nach dem Motto „Weniger ist Mehr“
beschränken (vgl. Pallack, 2014, S.27).
Gegen diese formale Einführung spricht, dass die oben angesprochenen gedanklichen Hürden nicht
ausreichend bearbeitet werden und kein Bezug zur Alltagswelt hergestellt wird. Für weniger motivierte
SchülerInnen, die sich eher in konkret realen Kontexten wohl fühlen, scheint die ausschließliche Betrachtung
von Rechenpäckchen nicht sehr ansprechend. Zudem kommt nach Piagets Theorie der kognitiven
Entwicklung hinzu, dass die SchülerInnen im Alter von 12-13 Jahren gerade erst mit der 4. Stufe des formalen
Denkens begonnen haben.
Auch wenn das Permanenzprinzip aus Effizienzgründen zunächst überlegen scheint, haben somit andere
Modelle und Kontexte durchaus ihre Berechtigung. Es macht Spaß, die negativen Zahlen z.B. aktiv auf einer
Treppe, am Computer oder mit Hilfe eines programmierbaren Roboters zu entdecken. Mathematische Themen
werden mit der Umwelt verknüpft und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Dies wiederum fördert das
vernetzte Denken und Sachverhalte bleiben länger im Gedächtnis, als wenn lediglich die Rechenregeln wie
Vokabeln auswendig gelernt werden (vgl. Pallack, 2014, S.27).

Verschiedene Modelle für die Einführung der negativen Zahlen

Alle Kontexte lassen sich den folgenden beiden übergeordneten Modellen zuordnen (vgl. Schindler, 2014, S.
106):
    1. Modell mit Zahlengerade
    2. Ausgleichsmodell

1. Modell mit Zahlengerade
Die Addition und Subtraktion ganzer Zahlen wird durch die Bewegung oder Veranschaulichung an der
Zahlengeraden erfahren, z.B. beim Schrittmodell oder beim Pfeilmodell.
Beim Schrittmodell (vgl. Wengler, 2014, S.36-38 - geometrisches Modell) können die SchülerInnen die
Rechenaufgaben auf einem Zahlenstrahl auf dem Boden oder auf einer Treppe selber ablaufen und so zu
dem richtigen Ergebnis kommen. Die Rechenoperation – also die Tätigkeit – wird durch Gehen realisiert,
indem die SchülerInnen beim Addieren „vorwärts“ und beim Subtrahieren „rückwärts“ gehen. Die Orientierung
– also das Vorzeichen – wird durch die Blickrichtung realisiert, indem die SchülerInnen bei „+“ in Richtung der
positiven Zahlen und bei „–“ in die Gegenrichtung blicken.
Die SchülerInnen können nun Aufgaben wie (+5) − (+8) selbst entdecken und ganzheitlich erfahren. Zudem
wird klar zwischen Rechenoperation und Vorzeichen unterschieden. Der positive Zahlenstrahl wird durch
Spiegelung am Nullpunkt zur Zahlengeraden erweitert. Ordnungsrelevante Gesichtspunkte, wie z.B. −4 <
−3, können real dargestellt werden.
Kontexte, in denen eine Skala von Bedeutung ist, wie z.B. Höhe über/unter dem Meeresspiegel, Temperaturen
in °C oder Aufzüge, legen das Modell der Zahlengerade nahe. Das Schrittmodell stößt jedoch bei der
Multiplikation von negativen Zahlen an seine Grenzen. Kann man (+3) ∙ (−2) noch als (−2) + (−2) + (−2) =

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−6 deuten, so gibt es für (−3) ∙ (−2) keine anschauliche Interpretation mehr. Hier könnte mit dem
Permanenzprinzip oder dem Pfeilmodell weitergearbeitet werden.
Das Pfeilmodell kann als eine Weiterentwicklung des Schrittmodells betrachtet werden. Das Vorzeichen wird
hier durch die Richtung des Pfeils realisiert: eine positive ganze Zahl wird durch einen rechtsgerichteten Pfeil,
eine negative ganze Zahl durch einen linksgerichteten Pfeil dargestellt (Abb. 3). Die Länge des Pfeils entspricht
dem Betrag der Zahl. Zwei Zahlen, deren Zahlenpfeile sich nur in der Richtung unterscheiden nennt man Zahl
und Gegenzahl (vgl. Hofe & Hattermann, 2014, S.5).

                                             Abb. 3: Zahl und Gegenzahl

Die Rechenoperationen „+“ und „–“ werden durch die Verknüpfung von Pfeilen dargestellt. Die Addition
entspricht der Spitze-Schaft-Verknüpfung und die Subtraktion der Spitze-Spitze-Verknüpfung. Im Pfeilmodell
lässt sich anschaulich darstellen, dass die Subtraktion einer Zahl durch die Addition der Gegenzahl ersetzt
werden kann (Abb. 4).

   (+3) + (-5) = -2

   (+3) - (-5) = +8

                                    Abb. 4: Addition und Subtraktion ganzer Zahlen

Die Multiplikation ganzer Zahlen kann als Streckung dargestellt werden, wobei der erste Faktor als Operator
interpretiert wird und der zweite Faktor als Pfeil (+3) ∙ (−2) (vgl. Fast & Hofe, 2014, S.21). Was aber bedeutet
(−2) ∙ (+3)? Man kann zunächst die Auswirkung der Multiplikation mit (−1) auf den Pfeil (+3) untersuchen
und stellt fest, dass dies einer Spiegelung des Pfeils am Nullpunkt entspricht. Der Betrag bleibt erhalten, die
Richtung wird umgedreht.

                                         Abb. 5: Multiplikation ganzer Zahlen

Entsprechend kann nun die Multiplikation mit beliebigen negativen ganzen Zahlen als eine Kombination von
Spiegeln und Strecken interpretiert werden (Abb. 5). Das Pfeilmodell bietet somit eine anschauliche Erklärung
für Aufgaben wie (−3) ∙ (−2) und kann in der 9. Schulstufe bei der Vektorrechnung im Sinne des Spiralprinzips

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wieder aufgegriffen werden. Dynamische Geometrie Systeme wie GeoGebra 10 ermöglichen wie beim
Schrittmodell einen selbst entdeckenden Zugang zur Multiplikation ganzer Zahlen (vgl. Fast & Hofe, 2014,
S.22).

2. Ausgleichsmodell
Im Ausgleichsmodell oder Neutralisierungsmodell werden negative Zahlen als Mengen thematisiert, die
positive Mengen ausgleichen. Kontexte wie Guthaben-Schulden oder elektromagnetische Ladungen legen
dieses Modell nahe, welchem die Annahme über geordnete Paare zugrunde liegt. Dieses Modell greift vor
allem den kardinalen Zahlaspekt auf (vgl. Schindler, 2014, S.106).
Der Grundgedanke des Teilchen- und Antiteilchenmodells (vgl. Wengler, 2014, S.35) ist, dass sich bei der
Addition oder Subtraktion negative und positive Teilchen neutralisieren. Rechnet man die Aufgabe (+3) +
(−2), werden zwei positive Teilchen mit zwei negativen Teilchen zu Null ausgeglichen. Übrig bleibt ein
positives Teilchen. Die Aufgabe (+3) − (−2) erfordert eine zusätzliche Überlegung, da keine negativen
Teilchen existieren, die weggenommen werden könnten. Daher müssen zunächst zwei positive und zwei
negative Teilchen hinzugefügt werden. Dies ist möglich, da sie sich ihre Ladungen gegenseitig ausgleichen.
In einem weiteren Schritt können dann die zwei negativen Teilchen entfernt werden. Übrig bleiben fünf positive
Teilchen. Das Teilchen- und Antiteilchenmodell baut anschaulich auf dem mengentheoretischen Aspekt der
natürlichen Zahlen auf, der den SchülerInnen aus der Volksschule sehr vertraut ist. Eine Weiterentwicklung
des Modells für die Multiplikation ist jedoch umständlich und der Ordnungsgedanke bzw. die Erweiterung des
Zahlenstrahls zur Zahlengeraden werden bei dem Modell nicht angesprochen.
Beim Buchhaltungs- oder Kontomodell (vgl. Hußmann & Schindler, 2014, S.2) stellen Schulden und Guthaben
einen Kontext bereit, in dem man authentisch negative Zahlen verstehen und mit ihnen rechnen kann.
SchülerInnen können sich vorstellen, was Guthaben, Schulden, Einnahmen und Ausgaben bedeuten und
diese mit negativen und positiven Zahlen beschreiben. Die Herausforderung, Rechen- und Vorzeichen in
Rechnungen wie z.B. (+3) − (−5) zu verstehen, wird nach Hußmann & Schindler in diesem Kontext gelöst,
indem das Rechenzeichen als zeitliche Operation und das Vorzeichen als Bestand bzw. Änderung verstanden
werden. Insofern bedeutet (+3) − (−5) ich habe 3 € Guthaben und monatliche Ausgaben von 5 €, vor einem
Monat hatte ich somit 8 €. Im Buchhaltungsmodell lassen sich sowohl die Addition und Subtraktion als auch
die Multiplikation anschaulich darstellen. Das Operationszeichen „ ∙ “ wird als wiederholte zeitliche
Veränderung in die Zukunft bzw. in die Vergangenheit gedeutet. Eine wesentliche Schwachstelle des
Buchhaltungsmodells ist der fehlende Bezug zur Zahlengeraden. SchülerInnen scheinen Guthaben und
Schulden als zwei Arten von Quantitäten aufzufassen, was eine einheitliche Ordnungsrelation verhindert (vgl.
Schindler, 2014, S.104).
Abschließend ist festzuhalten, dass in der mathematikdidaktischen Disziplin lange darüber diskutiert wurde,
welche der beiden Arten von Modellen zur Einführung negativer Zahlen vorzuziehen ist. Es konnte jedoch kein
Konsens gefunden werden. Das Ausgleichsmodell und das Modell der Zahlengeraden stellen unterschiedliche
Gesichtspunkte ganzer Zahlen heraus und haben dementsprechend verschiedene Vorzüge und Nachteile
(vgl. Schindler, 2014, S.107).

Einführung der Addition und Subtraktion ganzer Zahlen mit dem TI-Rover

Die folgende Unterrichtssequenz (siehe Arbeitsblatt im Anhang) stellt einen, im Sinne der konstruktivistischen
Lerntheorie, handlungsorientierten und entdeckenden Zugang zu den negativen Zahlen, inklusive der
Rechenoperationen „+“ und „–“ basierend auf dem Schrittmodell, dar. Die Ausrichtung und die Bewegung des
TI-Rovers sollen dabei helfen, entsprechend dem Modell mit Zahlengeraden, enaktive Vorstellungen für das
Addieren und Subtrahieren ganzer Zahlen aufzubauen.
Als Einstieg verdeutlicht ein kurzer historischer Abriss, dass Zahlbereichserweiterungen nie von heute auf
morgen passiert sind und dass unser heutiges Zahlenverständnis das Endprodukt eines langwierigen

10   https://www.geogebra.org

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Prozesses darstellt insbesondere, dass die negativen Zahlen lange umstritten waren und erst im 19.
Jahrhundert als mathematisch korrekt definiert wurden (vgl. Hofe & Hattermann, 2014, S.2).
Im nächsten Schritt soll an die Vorkenntnisse der SchülerInnen angeknüpft werden, indem sie angehalten
werden, Kontexte – wie z.B. Temperatur, Höhe, Guthaben und Schulden – für negative Zahlen zu nennen. Da
die Programmierung des TI-Rovers die SchülerInnen nicht von dem Kernproblem der Zahlbereichserweiterung
ablenken soll, werden die Zahlen und Rechenoperationen zunächst an einem auf dem Boden aufgeklebten
Zahlenstrahl mithilfe von Bewegungen entsprechend dem Schrittmodell dargestellt. Dabei entspricht die
Blickrichtung dem Vorzeichen und die Bewegung der Rechenoperation.

                 Abb. 6: Aufgabe Arbeitsblatt: Darstellung von Bewegungen basierend auf dem Schrittmodell

Erst wenn die SchülerInnen den Unterschied von Vor- und Rechenzeichen verinnerlicht und die Idee der
negativen Zahlen „entdeckt“ haben, übertragen sie ihre Erkenntnisse auf den TI-Rover. Der Rover
veranschaulicht die Rechenoperationen in Form eines enaktiven Modells mit ikonischen und symbolischen
Zwischenschritten (vgl. Schwill, 1995). Symbolischer Zwischenschritt heißt, dass die SchülerInnen lernen,
einen Sachverhalt zu formalisieren, und zwar so exakt und in einer einheitlichen Sprache, dass ihn sogar ein
Roboter ausführen kann. Damit einhergehend machen die Lernenden auch erste Programmiererfahrungen
(vgl. Abb. 8).

                             Abb. 7: Aufgabe Arbeitsblatt: Programmierschritt mit dem TI-Rover

                                     Abb. 8: Beispiel Programmcode auf dem TI-Rover

Die SchülerInnen erfinden nun eigene Rechenaufgaben, die zu weiteren negativen Zahlen führen und befüllen
so die neu entdeckte Zahlengerade mit Zahlen. Sie sollen begreifen, dass die Zahlengerade aus dem
Zahlenstrahl durch Spiegelung am Nullpunkt hervorgeht. Die SchülerInnen erkennen, dass jede Zahl eine
Gegenzahl besitzt.

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                               Abb. 9: Aufgabe Arbeitsblatt: Ergänzung der Zahlengeraden

Als Abschluss schreiben die SchülerInnen ein Programm für die allgemeine Addition a + b und die allgemeine
Subtraktion a − b. Mit Hilfe einer if-Abfrage (Kontrollstruktur einer bedingten Verzweigung) müssen sie
bestimmen, ob es sich bei der Zahl b um eine positive oder um eine negative Zahl handelt und die Richtung
des TI-Rovers entsprechend festlegen. Durch das stets gleiche Programm erkennen die SchülerInnen, dass
es sich beim Rechnen mit ganzen Zahlen um allgemeingültige Vorschriften handelt, die stets zum richtigen
Ergebnis führen. Sie machen dazu erste Erfahrungen mit der fundamentalen Idee des Algorithmus (vgl.
Ziegenbalg, 2015, S.303).

                           Abb. 10: Programmcodes zu Aufgabe 4 (siehe Arbeitsblatt im Anhang)

Wie bei der Übersicht zu den Modellen zur Einführung der negativen Zahlen bereits erwähnt, stößt das
Schrittmodell bei der Multiplikation und der Division an seine Grenzen. Da die SchülerInnen bereits
„zahlreiche“ Erfahrungen mit dem TI-Rover auf der Zahlengeraden sammeln konnten, bietet sich das
Pfeilmodell als Weiterentwicklung des Schrittmodells für die Einführung der Multiplikation und Division mit
ganzen Zahlen an. Auch das Permanenzprinzip sollte – als konsistentes und immer wiederkehrendes Prinzip
– im weiteren Unterrichtsverlauf thematisiert werden, damit die SchülerInnen die ganzen Zahlen als abstrakte
Objekte, die an keinen Kontext gebunden sind, wahrnehmen können.

Fazit

Ziel dieser Unterrichtsplanung ist es, die SchülerInnen durch altersgerechtes, entdeckendes Lernen zu
aktivieren und zu motivieren. Dinge, die im wahrsten Sinne des Wortes begriffen werden, bleiben länger im
Gedächtnis und können besser und flexibler abgerufen werden.
Das Thema Robotik kann in Förderkursen, freiwilligen Wahlfächern oder auch im fächerübergreifenden
Unterricht (z.B. Wirtschaftskunde) aufgegriffen und weiter vertieft werden. Die SchülerInnen könnten dabei
beispielsweise den vielfältigen Einsatz von Robotern in der Medizin, Industrie und Forschung recherchieren
oder die Bedeutung des Begriffs Industrie 4.0 hinterfragen.

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Mithilfe des Programmierens – integriert im Unterrichtsfach Mathematik – wird ein wichtiger Beitrag zur
verpflichtenden digitalen Grundbildung (digi.komp 11) in der Sekundarstufe 1 geleistet. Durch das
selbstständige Organisieren der Arbeitsschritte, das Automatisieren von Lösungen durch Algorithmen, sowie
die Verallgemeinerung von Problemlöseprozessen wird das Computational Thinking (= informatisches
Denken) gestärkt. Somit werden Kompetenzen und Denkweisen gefördert, die heutzutage immer mehr an
Bedeutung gewinnen (vgl. Futschek, 2016, S.4).
Die Erprobung und Evaluation der technikbasierten Einführung der negativen Zahlen steht noch aus. Die
Autorinnen erhoffen sich mit der Querverbindung zur Robotik das Interesse der SchülerInnen an der
Mathematik zu stärken und die Bedeutung sowie Alltagsnotwendigkeit des Faches durch diese besondere
Form der Kontextualisierung zu unterstreichen. Denn was von SchülerInnen als bedeutungsvoll eingeschätzt
wird, erhöht die Akzeptanz für das Fach und kann besser abgerufen werden als träges, auswendig gelerntes
Wissen. Die Unterrichtssequenz „Negative Zahlen - Bewegtes Rechnen mit ganzen Zahlen“ soll einer
handlungs- und erlebnisorientierten Didaktik nachstreben, ganz nach dem Motto:
     „Das brauch ich nicht zu lernen, das habe ich erlebt!“ (Kramer, 2014, S.98)

11   https://digikomp.at

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Arbeitsblatt

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Adressen der Autorinnen:

Dipl. rer.nat. Claudia MacDonald
Universität Salzburg
Fachbereich Mathematik und School of Education
Hellbrunnerstraße 34
5020 Salzburg
claudia.macdonald@stud.sbg.ac.at

Anna-Lena Hinterseer, BEd
Universität Salzburg
Fachbereich Mathematik und School of Education
Hellbrunnerstraße 34
5020 Salzburg
anna-lena.hinterseer@stud.sbg.ac.at

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