Epidemiologisches Bulletin 33 2021 - RKI
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AKTUELLE DATEN UND INFORMATIONEN ZU INFEKTIONSKRANKHEITEN UND PUBLIC HEALTH 33 Epidemiologisches 2021 Bulletin 19. August 2021 STIKO: 9. Aktualisierung der COVID-19- Impfempfehlung | Genombasierte Surveillance von Campylobacter
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 2 Inhalt Beschluss der STIKO zur 9. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung 3 Die STIKO empfiehlt auch für alle 12 – 17-jährigen Kinder und Jugendliche die Impfung gegen COVID-19 mit einem der beiden zugelassenen mRNA-Impfstoffe (Comirnaty von BioNTech/Pfizer und Spikevax von Moderna). Verabreicht werden sollen jeweils zwei Dosen Comirnaty oder Spikevax im Abstand von 3 – 6 bzw. 4 – 6 Wochen. Die Aktualisierung der Empfehlung zur COVID-19-Impfung von 12 – 17-Jährigen basiert auf der Bewertung neuer quantitativer Daten zur Sicherheit der Impfung und zur Krankheitslast sowie einer Model- lierung von direkten Effekten der Impfung auf diese Altersgruppe wie auch indirekten Effekten auf andere Altersgruppen. Die STIKO spricht sich jedoch explizit dagegen aus, dass der Zugang von Kindern und Jugendlichen zur Teilhabe an Bildung, Kultur und anderen Aktivitäten des sozialen Lebens vom Vorliegen einer Impfung abhängig gemacht wird. Intensivierte genombasierte Surveillance von Campylobacter-Isolaten humaner Erkrankungsfälle in Deutschland 47 Campylobacter ist ein wichtiger Infektionserreger des Menschen und die Campylobacteriose stellt die häu- figste meldepflichtige bakterielle Zoonose in Europa dar. In Deutschland werden jährlich ca. 60.000 Erkran- kungsfälle gemeldet. Als Infektionsquellen werden hauptsächlich kontaminierte tierische Lebensmittel er- mittelt oder vermutet. Die Infektion ist typischerweise selbstlimitierend und auf den Gastrointestinaltrakt beschränkt. Seit 2019 gibt es am Nationalen Referenzzentrum für Salmonellen und andere bakterielle Ente- ritiserreger am RKI eine intensivierte molekulare Surveillance von Campylobacter aus menschlichen Infek tionen in Deutschland, deren vorrangiges Ziel die erweiterte Akquise von Isolaten mit epidemiologischen Basisdaten ist. So sollen die Repräsentativität der Einsendungen bewertet und die Erreger möglichst bis hin zur Genomebene untersucht werden. Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten: 32. Woche 2021 54 Impressum Herausgeber Allgemeine Hinweise/Nachdruck Robert Koch-Institut Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung: Nordufer 20, 13353 Berlin www.rki.de/epidbull Telefon 030 18754 – 0 Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise Redaktion die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. Dr. med. Jamela Seedat Dr. med. Maren Winkler (Vertretung) Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Telefon: 030 18754 – 23 24 Namensnennung 4.0 International Lizenz. E-Mail: SeedatJ@rki.de Nadja Harendt (Redaktionsassistenz) Telefon: 030 18754 – 24 55 Claudia Paape, Judith Petschelt (Vertretung) ISSN 2569-5266 E-Mail: EpiBull@rki.de Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 3 Mitteilung der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut Beschluss der STIKO zur 9. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung Aktualisierung vom 18. August 2021 Die vorliegende Aktualisierung der Empfehlung zur Impfziele Impfung von 12 – 17-jährigen Kindern und Jugendli- Ziel der COVID-19-Impfempfehlung der STIKO ist chen gegen Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) es, schwere Verläufe, Tod und Langzeitfolgen durch basiert auf der Bewertung neuer quantitativer Daten COVID-19 in der Bevölkerung Deutschlands so weit zur Sicherheit der Impfung und zur Krankheitslast wie möglich zu reduzieren. sowie einer Modellierung von direkten Effekten der ▶▶ Insbesondere sollen Menschen, die infolge von Impfung auf diese Altersgruppe wie auch indirekten Alter oder Vorerkrankungen ein sehr hohes Effekten auf andere Altersgruppen. Außerdem wur- oder hohes Risiko haben an COVID-19 schwer den die Daten der Zulassungserweiterung für Spike- zu erkranken oder zu versterben, durch die vax (COVID-19 Vakzine von Moderna) berücksich- Impfung geschützt werden. tigt. In der Gesamtschau der aktuell verfügbaren Evi- ▶▶ Durch die Impfung sollen auch COVID-19-Er- denz kommt die STIKO zu dem Schluss, die Imp- krankungen und Hospitalisierungen bei Kin- fung mit einem der beiden mRNA-Impfstoffe auch dern und Jugendlichen verhindert werden. Ein für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren ohne Vorer- zusätzliches Ziel ist es, dadurch auch indirekte krankung zu empfehlen. Die STIKO spricht sich je- Folgen von Severe Acute Respiratory Syndrome doch explizit dagegen aus, dass der Zugang von Kin- Corona Virus 2-(SARS-CoV-2-)Infektionen, wie dern und Jugendlichen zur Teilhabe an Bildung, Kul- Einschränkungen der sozialen und kulturellen tur und anderen Aktivitäten des sozialen Lebens Teilhabe von Kindern und Jugendlichen abzu- vom Vorliegen einer Impfung abhängig gemacht mildern. wird. Bei der COVID-19-Impfempfehlung der Stän- ▶▶ Ebenso sollen Personen mit erhöhtem arbeits digen Impfkommission (STIKO) handelt es sich um bedingten SARS-CoV-2-Expositionsrisiko ge- eine Indikationsimpfempfehlung im Rahmen einer schützt werden (berufliche Indikation). Pandemie. Ob es in Zukunft eine Standardimpfemp- ▶▶ In Umgebungen mit einem hohen Anteil vul- fehlung oder eine Indikationsimpfempfehlung ge- nerabler Personen und der Gefahr von Ausbrü- ben wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht chen sollen die Transmission vermindert und beurteilt werden. Gefährdete geschützt werden. ▶▶ Die Impfung soll zusätzlich die Aufrechterhal- Sobald weitere Impfstoffe zugelassen und verfüg- tung staatlicher Funktionen und des öffentli- bar sind oder neue Erkenntnisse mit Einfluss auf chen Lebens unterstützen. diese Empfehlung bekannt werden, wird die S TIKO ihre COVID-19-Impfempfehlung aktualisieren. Die Publikation jeder Aktualisierung erfolgt im Epide- Impfstoffe miologischen Bulletin (Epid Bull) und wird auf der Für die Impfung gegen COVID-19 sind aktuell in Webseite des Robert Koch-Instituts (RKI) bekannt der Europäischen Union (EU) vier Impfstoffe zuge- gegeben. lassen. Es handelt sich dabei um zwei mRNA-Impf-
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 4 stoffe (Comirnaty der Firma BioNTech/Pfizer und stationärer Behandlung meist mild; über mög- Spikevax der Firma Moderna) sowie zwei Vektor- liche Langzeitfolgen liegen bisher keine Er- basierte Impfstoffe (Vaxzevria der Firma Astra- kenntnisse vor. Weitere schwerwiegende uner- Zeneca und COVID-19 Vaccine Janssen der Firma wünschte Ereignisse sind bei 12 – 17-Jährigen Janssen Cilag International). nach COVID-19-Impfung bisher nicht nachge- ▶▶ Die beiden mRNA-Impfstoffe sind ab dem Alter wiesen worden, obwohl alleine in den USA ≥ 12 Jahre, die beiden Vektor-basierten Impf- und Kanada in dieser Altersgruppe bereits über stoffe ab dem Alter ≥ 18 Jahre zugelassen. 12 Millionen Impfstoffdosen verabreicht wur- ▶▶ Für eine vollständige Impfserie sind bei den den. beiden mRNA-Impfstoffen und beim Impfstoff 4. COVID-19 ist in der Regel bei Kindern und Vaxzevria jeweils zwei Impfstoffdosen notwen- Jugendlichen keine schwere Erkrankung. Die dig. Mehrzahl der SARS-CoV-2-Infektionen verläuft ▶▶ Die COVID-19 Vaccine Janssen ist derzeit als asymptomatisch oder mit milden Symptomen; einmalige Impfung zugelassen und anzuwen- Todesfälle bei Kindern und Jugendlichen ohne den. Aktuell läuft noch eine größere Studie zur Vorerkrankungen sind eine absolute Seltenheit. Wirksamkeit eines 2-Dosen Schemas. In Einzelfällen kann es jedoch in Folge von COVID-19 zu schwerwiegenden Krankheits manifestationen kommen (z. B. Pediatric Empfehlung für Kinder und Jugendliche Inflammatory Multisystem Syndrome [PIMS] und im Alter von 12 – 17 Jahren Myokarditis), deren Langzeitprognosen nicht Die STIKO empfiehlt für alle 12 – 17-Jährigen die endgültig bekannt sind. Während in Deutsch- COVID-19-Impfung mit zwei Dosen eines mRNA- land bisher nur wenig über (Peri-)Myokarditis- Impfstoffs (Comirnaty oder Spikevax) im Abstand Fälle in Folge einer COVID-19-Erkrankung im von 3 – 6 bzw. 4 – 6 Wochen (s. Tab. 1). Kindes- und Jugendalter bekannt ist, deuten US-amerikanische Registerdaten darauf hin, Die Impfung erfordert eine ärztliche Aufklärung dass Myokarditiden durchaus auch nach SARS- unter Berücksichtigung des Nutzens und des Risi- CoV-2-Infektion bei Kindern und Jugendlichen kos, die auch für die betroffenen Kinder und Ju- auftreten. gendlichen verständlich sein muss. Dabei spielen 5. Das Auftreten von Long-COVID bei Kindern folgende Aspekte eine Rolle: und Jugendlichen ist bisher nicht quantifizier- 1. Beide mRNA-Impfstoffe sind grundsätzlich bar. Bei zunehmenden Fallzahlen ist jedoch sehr wirksam und nach den bisher vorliegen- auch bei niedriger Inzidenz von Long-COVID den Daten sicher, wobei für den Impfstoff ein Anstieg von Langzeitfolgen anzunehmen. Comirnaty aufgrund des weltweit wesentlich Zudem sind die psychosozialen Folgen der Pan- häufigeren Einsatzes deutlich mehr Sicher- demie, insbesondere von Isolationsmaßnah- heitsdaten vorliegen als für Spikevax. men, in dieser Altersgruppe auch unabhängig 2. Nach der COVID-19-Impfung mit mRNA-Impf- von individuellen Infektionen mit SARS-CoV-2 stoffen sind vorübergehende lokale und syste- erheblich, wenngleich auch diese sich nur mische Impfreaktionen bei 12 – 15-Jährigen schwer quantifizieren lassen. (Comirnaty) bzw. 12 – 17-Jährigen (Spikevax) 6. Mathematische Modellierungen weisen darauf ähnlich häufig und ausgeprägt wie bei hin, dass primär das schnelle Erreichen einer 16 – 25-Jährigen (Comirnaty) bzw. 18 – 25-Jähri- hohen Impfquote (75% und mehr) bei Erwach- gen (Spikevax). senen für den Verlauf der vierten Infektions- 3. Myokarditiden nach Impfungen mit COVID-19- welle von Bedeutung ist und nur sekundär die mRNA-Impfstoffen sind gesicherte, aber sehr Impfquote unter den 12 – 17-Jährigen. Mit einer seltene unerwünschte Ereignisse, die bei Jun- insgesamt hohen Impfquote der ≥ 12-Jährigen gen häufiger als bei Mädchen auftreten (ca. kann zudem die Krankheitslast von ungeimpf- 1 : 17.000 bzw. 1 : 110.000 nach der 2. Impfung). ten Kindern und Jugendlichen reduziert Der akute Verlauf der Myokarditiden ist unter werden.
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 5 Für Kinder und Jugendliche, die aufgrund einer Empfehlung für Personen ab 18 Jahren Vorerkrankung ein erhöhtes Risiko für einen Die STIKO empfiehlt die Impfung gegen COVID-19 schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung (s. für alle Personen ab 18 Jahren. Für die Impfung soll Tab. 2) haben, überwiegt der Nutzen deutlich die einer der beiden zugelassenen mRNA-Impfstoffe Risiken. Diese Kinder und Jugendlichen sollen des- (Comirnaty, Spikevax) oder (bei > 60-Jährigen) einer halb bevorzugt berücksichtigt werden. Gleiches gilt der beiden zugelassenen Vektor-basierten Impfstoffe für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren, in deren (Vaxzevria, COVID-19 Vaccine Janssen) verwendet Umfeld sich Angehörige oder andere Kontaktper- werden. Bei keinem dieser Impfstoffe handelt es sonen mit hoher Gefährdung für einen schweren sich um einen Lebendimpfstoff. Die Impfstoffe wer- COVID-19-Verlauf befinden, die selbst nicht geimpft den hinsichtlich des Individualschutzes und der Be- werden können oder bei denen der begründete Ver- kämpfung der Pandemie nach derzeitigem Wissen dacht auf einen nicht ausreichenden Schutz nach als geeignet beurteilt. Direkte Vergleichsstudien Impfung besteht (z. B. Menschen unter relevanter zwischen den verschiedenen Impfstoffen sind nur immunsuppressiver Therapie). begrenzt verfügbar. Die beiden mRNA-Impfstoffe können in allen Alters- und Indikationsgruppen Bisher war die STIKO nicht davon überzeugt, dass eingesetzt werden, für die sie zugelassen sind. die Risiko-Nutzen-Abwägung zu Gunsten einer Impfempfehlung für gesunde Kinder und Jugendli- Aufgrund der beobachteten thromboembolischen che unter 18 Jahren sprach. Auf Basis der aktuell Ereignisse werden die beiden Vektor-basierten vorliegenden quantitativen Daten überwiegt nach Impfstoffe (Vaxzevria und COVID-19 Vaccine Jans- Ansicht der STIKO nun auch bei Kindern und sen) nur für Personen im Alter ≥ 60 Jahren empfoh- Jugendlichen ohne Vorerkrankung der Nutzen die len. Die STIKO empfiehlt jedoch wie bei den Risiken der Impfung. Deshalb wird ihnen die Imp- < 60-Jährigen, die in der Vergangenheit eine Impf- fung von der STIKO ebenfalls empfohlen. stoffdosis Vaxzevria erhalten hatten, auch für ≥ 60-Jährige ein heterologes Impfschema (d. h. Für Jugendliche, die arbeitsbedingt entweder ein er- 1. Impfung mit Vaxzevria gefolgt von einem mRNA- höhtes Expositionsrisiko aufweisen oder engen Impfstoff in einem Abstand von mindestens 4 Wo- Kontakt zu vulnerablen Personengruppen haben, chen). Eine zweimalige Vaxzevria-Impfung (homo- besteht eine berufliche Impfindikation (s. Tab. 2, loges Vax/Vax-Schema) im empfohlenen Intervall Abschnitt F). schützt ebenfalls gut vor schweren Erkrankungen nach SARS-CoV-2-Infektionen (einschließlich der Um Viruseinträge in Gemeinschaftseinrichtungen Delta-Variante). (Schulen und andere Einrichtungen für Kinder und Jugendliche) zu minimieren und den Betrieb dieser Hintergrund für diese Empfehlung ist zum einen Einrichtungen so lange wie möglich aufrecht zu er- die in mehreren unabhängigen Studien gemachte halten, sollten Eltern, LehrerInnen, ErzieherInnen Beobachtung, dass die Antikörper-basierte und – so- sowie andere Betreuungspersonen von Kindern und fern untersucht – auch die T-Zell-basierte Immun- Jugendlichen das Impfangebot dringend wahrneh- antwort nach diesem heterologen Impfschema sig- men. Zur Eindämmung der Pandemie kommt es nifikant höher war als nach zweimaliger Vaxzevria- maßgeblich darauf an, in der Bevölkerung rasch Impfung. Auch wenn in diesen Arbeiten nicht un- hohe Impfquoten zu erreichen.1 tersucht wurde, ob eine heterologe Impfung einer homologen Vaxzevria-Impfung hinsichtlich des Daten aus Studien oder Surveillance-Systemen zur Schutzes vor COVID-19 überlegen ist, lässt die er- Erfassung von möglichen Spätfolgen der SARS- höhte Immunogenität nach Einschätzung der CoV-2-Infektion wie auch von seltenen unerwünsch- STIKO eine verbesserte Schutzwirkung erwarten. ten Ereignissen nach COVID-19-Impfung werden Zum anderen hat das heterologe Impfschema den von der STIKO fortlaufend evaluiert. Vorteil, dass eine vollständige Immunisierung in ei- nem kürzeren Zeitrahmen erreicht werden kann (≥ 4 Wochen vs. 9 – 12 Wochen).
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 6 Der Einsatz von Vaxzevria als zweimalige Impfung A) Personen im Alter ≥ 60 Jahren und der COVID-19 Vaccine Janssen ist bei < 60-Jäh- B) Personen im Alter ≥ 18 Jahren mit Grunderkrankungen, die ein rigen zulassungskonform und nach ärztlicher Auf- erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe haben, z. B. klärung und bei individueller Risikoakzeptanz ▶▶ Angeborene oder erworbene Immundefizienz bzw. Immun suppression, inkl. HIV-Infektion, Z. n. Organtransplantation durch die impfwillige Person möglich. ▶▶ Autoimmunerkrankungen, inkl. rheumatologische Erkrankungen ▶▶ Chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen ▶▶ Chronische Krankheiten der Atmungsorgane Die jeweils empfohlenen Impfabstände sind in ▶▶ Chronische Lebererkrankungen, inkl. Leberzirrhose Tabelle 1 aufgeführt. ▶▶ Chronische Nierenerkrankungen ▶▶ Chronisch entzündliche Darmerkrankungen ▶▶ Chronische neurologische Erkrankungen ▶▶ Demenz oder geistige Behinderung Empfehlung zur Priorisierung ▶▶ Psychiatrische Erkrankungen ▶▶ Stoffwechselerkrankungen, inkl. Adipositas mit Body-Mass-Index Die Impfung gegen COVID-19 soll allen Personen [BMI] > 30 kg/m2 und Diabetes mellitus ▶▶ Trisomie 21 ab dem Alter von 12 Jahren angeboten werden. ▶▶ Krebserkrankungen, inkl. maligne hämatologische Erkrankungen C) Kinder und Jugendliche im Alter von 12 – 17 Jahren mit Aufgrund des Fortschritts der Impfkampagne und Grunderkrankungen, die ein erhöhtes Risiko für schwere zunehmender Verfügbarkeit von COVID-19-Impf- COVID-19-Verläufe haben ▶▶ Adipositas (> 97. Perzentile des BMI) stoffen ist ein stufenweises Vorgehen (Priorisie- ▶▶ Angeborene oder erworbene Immundefizienz oder relevante rungsempfehlung) auf nationaler Ebene nicht mehr Immunsuppression ▶▶ Angeborene zyanotische Herzfehler (O -Ruhesättigung < 80 %) notwendig. Während die Priorisierung zu einer Re- und Einkammerherzen nach Fontan-Operation 2 duzierung schwerer COVID-19-Erkrankungen in ▶▶ Chronische Lungenerkrankungen mit einer anhaltenden Einschränkung der Lungenfunktion unterhalb der 5. Perzentile, der ersten Phase der Impfkampagne geführt hat, definiert als z-Score-Wert < –1,64 für die forcierte Einsekunden lassen aktuelle Modellierungen keinen zusätzlichen kapazität (FEV1) oder Vitalkapazität (FVC). (Ein gut eingestelltes Asthma bronchiale ist hier nicht gemeint). Nutzen durch Beibehaltung der Priorisierung er- ▶▶ Chronische Nierenerkrankungen warten. ▶▶ Chronische neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen ▶▶ Diabetes mellitus, wenn nicht gut eingestellt bzw. mit HbA1c- Wert > 9,0 % Trotz Wegfalls der stufenweisen Priorisierungsemp- ▶▶ Schwere Herzinsuffizienz ▶▶ Schwere pulmonale Hypertonie fehlung ist die impfende Ärzteschaft aufgerufen, bis- ▶▶ Syndromale Erkrankungen mit schwerer Beeinträchtigung lang nicht geimpfte Erwachsene, Jugendliche und ▶▶ Trisomie 21 ▶▶ Tumorerkrankungen und maligne hämatologische Erkrankungen Kinder ab dem Alter ≥ 12 Jahren, die ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe haben oder D) BewohnerInnen von SeniorInnen- und Altenpflegeheimen sowie BewohnerInnen in Gemeinschaftsunterkünften (Alter: ≥ 12 Jahre) die arbeitsbedingt besonders exponiert sind oder die E) Enge Kontaktpersonen von Schwangeren oder Personen mit engen Kontakt zu vulnerablen Personengruppen ha- einem Risiko für schwere COVID-19-Verläufe (Alter: ≥ 12 Jahre) ben, weiterhin bei der Vergabe von Impfterminen F) Personen, die arbeitsbedingt besonders exponiert sind, engen bevorzugt zu berücksichtigen (s. Tab. 2). Kontakt zu vulnerablen Personengruppen haben, oder Personen in Schlüsselpositionen, z. B. ▶▶ Personal mit erhöhtem Expositionsrisiko in medizinischen Einrichtungen ▶▶ Personal mit engem Kontakt zu vulnerablen Gruppen in medizinischen Einrichtungen ▶▶ Pflegepersonal und andere Tätige in der ambulanten und Impfstoff Impfabstand stationären Altenpflege oder Versorgung von Personen mit Comirnaty (BioNTech/Pfizer) 3 – 6 Wochen Demenz oder geistiger Behinderung ▶▶ Tätige in Gemeinschaftsunterkünften Spikevax (Moderna) 4 – 6 Wochen ▶▶ Medizinisches Personal im Öffentlichen Gesundheitsdienst Vaxzevria (AstraZeneca) 9 – 12 Wochen (ÖGD) ▶▶ LehrerInnen und ErzieherInnen Heterologes Impfschema ab 4 Wochen ▶▶ Beschäftigte im Einzelhandel (Vaxzevria/mRNA-Impfstoff) ▶▶ Beschäftigte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit ▶▶ Personal in Schlüsselpositionen der Landes- und Bundesregie- Tab. 1 | Impfabstände zur Grundimmunisierung gegen rungen COVID-19 (Stand: 19.08.2021)* ▶▶ Berufsgruppen der kritischen Infrastruktur * Sollte der empfohlene maximale Abstand zwischen der 1. und 2. Impfstoffdosis überschritten worden sein, kann die Tab. 2 | Personen mit besonderer Indikation für eine Impfserie dennoch fortgesetzt werden und muss nicht neu COVID-19-Impfung (Die Gruppen und Vorerkrankungen sind begonnen werden. nicht nach Relevanz geordnet.)
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 7 Hinweise zur praktischen Umsetzung COVID-19-Impfstoffdosis eingehalten werden ▶▶ Eine COVID-19-Impfung setzt eine sorgfältige (Notfallimpfungen sind davon ausgenommen). Aufklärung der zu impfenden Person bzw. des ▶▶ Es besteht keine Notwendigkeit, vor Verabrei- Vorsorgebevollmächtigten oder Sorgeberechtig- chung einer COVID-19-Impfung das Vorliegen ten voraus. Bei Minderjährigen < 14 Jahren ist einer akuten asymptomatischen oder (uner- regelmäßig die Einwilligung der Eltern bzw. kannt) durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion Sorgeberechtigten einzuholen. Jugendliche labordiagnostisch auszuschließen. können selbst einwilligen, wenn sie die erfor- ▶▶ Sollte der empfohlene maximale Abstand zwi- derliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit schen der 1. und 2. Impfstoffdosis überschritten besitzen. Die STIKO verweist hierzu auf Kapitel worden sein, kann die Impfserie dennoch fort- 4.1 der STIKO-Impfempfehlungen 2020/2021 gesetzt werden und muss nicht neu begonnen (Epid Bull 34/2020). werden. ▶▶ Bei der Impfung sind die Anwendungshinweise ▶▶ Aufgrund der Immunität nach durchgemachter in den Fachinformationen zum jeweiligen SARS-CoV-2-Infektion sollten immungesunde Impfstoff sowie die veröffentlichten „Rote- Personen, die eine gesicherte SARS-CoV-2- Hand“-Briefe zu beachten. Infektion (aktuell nachgewiesen mittels PCR) ▶▶ Auch bei sehr alten Menschen oder Menschen durchgemacht haben, unabhängig vom Alter mit progredienten Krankheiten, die sich in ei- zunächst nur eine Impfstoffdosis erhalten, da nem schlechten Allgemeinzustand befinden, sich durch eine einmalige Impfung bereits muss die Impffähigkeit gegeben sein. Bei die- hohe Antikörperkonzentrationen erzielen las- sen Gruppen sollte ärztlich geprüft werden, ob sen, die durch eine 2. Impfstoffdosis nicht wei- ihnen die Impfung empfohlen werden kann. ter gesteigert werden. Dies gilt auch, wenn der ▶▶ Es ist ratsam, in den ersten Tagen nach einer Infektionszeitpunkt länger zurückliegt. Ob und Impfung außergewöhnliche körperliche Belas- wann später eine 2. COVID-19-Impfung not- tungen und Leistungssport zu vermeiden. wendig ist, lässt sich gegenwärtig nicht sagen. ▶▶ Zur Anwendung der COVID-19-Impfstoffe in Hingegen muss bei Personen mit Immundefi- der Schwangerschaft liegen aktuell limitierte zienz im Einzelfall entschieden werden, ob eine Daten vor. Die STIKO empfiehlt derzeit keine einmalige Impfstoffdosis ausreicht oder eine generelle Impfung in der Schwangerschaft. vollständige Impfserie verabreicht werden soll- Eine akzidentelle Impfung in der Schwanger- te. Dies hängt maßgeblich von Art und Ausprä- schaft ist jedoch keine Indikation für einen gung der Immundefizienz ab. Schwangerschaftsabbruch. Schwangeren mit Bei gesicherter bestätigter symptomatischer Vorerkrankungen und einem daraus resultie- Infektion soll die notwendige eine Impfstoffdo- renden hohen Risiko für eine schwere sis in der Regel 6 Monate nach der Infektion COVID-19-Erkrankung oder mit einem erhöh- gegeben werden. Die derzeit verfügbaren klini- ten Expositionsrisiko aufgrund ihrer Lebens- schen und immunologischen Daten belegen umstände kann nach Nutzen-Risiko-Abwägung eine Schutzwirkung für mindestens 6 – 10 Mo- und Aufklärung eine Impfung mit einem nate nach überstandener SARS-CoV-2-Infek mRNA-Impfstoff ab dem 2. Trimenon angebo- tion. Das Risiko für eine Reinfektion ist in den ten werden. Bisher liegen zur Anwendung der ersten Monaten nach einer gesicherten SARS- COVID-19-Impfstoffe in der Stillzeit nur weni- CoV-2-Infektion sehr niedrig, kann aber mit zu- ge Daten vor. Die STIKO hält es jedoch für äu- nehmendem Abstand ansteigen. Die Gabe der ßerst unwahrscheinlich, dass eine Impfung der einmaligen Impfstoffdosis ist bereits ab 4 Wo- Mutter während der Stillzeit ein Risiko für den chen nach dem Ende der COVID-19-Symptome Säugling darstellt. Hierzu wird auch auf die möglich, wenn z. B. eine Exposition gegenüber Empfehlung der Nationalen Stillkommission neu aufgetretenen Virusvarianten anzunehmen (NSK) verwiesen. ist, gegen die eine durchgemachte SARS-CoV-2- ▶▶ Zu anderen planbaren Impfungen soll ein Min- Infektion alleine keinen längerfristigen Schutz destabstand von 14 Tagen vor und nach jeder mehr vermittelt (immune escape-Varianten).
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 8 Nach gesicherter asymptomatischer SARS- die ärztliche Einschätzung des Gesundheits CoV-2-Infektion kann die Impfung bereits ab zustands. 4 Wochen nach der Labordiagnose erfolgen. ▶▶ Nach der Zulassung von Comirnaty sind einzel- ▶▶ Wird bei einer einmalig gegen COVID-19 ne schwerwiegende, allergische Unverträglich- geimpften Person durch direkten Erregernach- keitsreaktionen aufgetreten. Nach der derzeiti- weis (PCR) eine SARS-CoV-2-Infektion nachge- gen Datenlage ist ein generell erhöhtes Risiko wiesen, soll die 2. Impfung in der Regel 6 Mo- für schwerwiegende unerwünschte Wirkungen nate nach Ende der COVID-19-Symptome bzw. für Personen mit vorbekannten allergischen Er- der Diagnose erfolgen. Die Gabe einer Impf- krankungen bei Impfung mit mRNA-Impfstof- stoffdosis ist bereits ab 4 Wochen nach dem fen nicht anzunehmen, sofern keine Allergie Ende der COVID-19-Symptome möglich, wenn gegen einen Inhaltsstoff der jeweiligen Vakzine z. B. mit Exposition gegenüber neuen Virus vorliegt (z. B. Polyethylenglykol im Falle der varianten zu rechnen ist, gegen die eine durch- COVID-19-mRNA-Impfstoffe). Zur weiteren In- gemachte SARS-CoV-2-Infektion keinen ausrei- formation wird auf die „Empfehlung zur chenden Schutz vermittelt. Coronaimpfung für Allergikerinnen und Aller- ▶▶ Aktuell ist nicht bekannt, ob man nach giker“ des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und das SARS-CoV-2-Exposition durch eine postexposi- Flussdiagramm zum Vorgehen bei positiver tionelle Impfung den Verlauf der Infektion Allergieanamnese vor COVID-19-Impfung ver- günstig beeinflussen oder die Erkrankung noch wiesen. verhindern kann. ▶▶ Nach der Impfung mit den mRNA-Impfstoffen ▶▶ Postmarketing- und Real-Life-Studien haben sind in sehr seltenen Fällen Myokarditiden auf- gezeigt, dass die Virusausscheidung bei Perso- getreten. Betroffen waren bisher überwiegend nen, die sich trotz einer abgeschlossenen Impf- männliche Jugendliche und junge Männer serie mit SARS-CoV-2 infiziert haben, reduziert (s. auch Kapitel 5.3 in dieser Ausgabe). Die und damit das Transmissionsrisiko deutlich Komplikationen traten größtenteils in den ers- vermindert ist. Es muss jedoch davon ausge- ten 14 Tagen nach der 2. Impfstoffdosis auf. Ent- gangen werden, dass Menschen nach entspre- sprechende Warnhinweise wurden in die chender Exposition trotz Impfung symptoma- Fachinformationen von Comirnaty und Spike- tisch oder asymptomatisch infiziert werden vax aufgenommen. Die Erkrankungen verliefen können und dabei SARS-CoV-2 ausscheiden. meist mild. Treten nach der Impfung mit ei- ▶▶ Die Impfung ist strikt intramuskulär (i. m.) und nem mRNA-Impfstoff Atemnot, Rhythmusstö- keinesfalls intradermal, subkutan oder intravas- rungen oder Brustschmerzen auf, sollen die Be- kulär (i. v.) zu verabreichen. Bei PatientInnen troffenen umgehend ärztliche Hilfe in An- unter Antikoagulation soll die Impfung eben- spruch nehmen. falls i. m. mit einer sehr feinen Injektions ▶▶ Sehr seltene Fälle von Thrombosen in Kombi- kanüle und einer anschließenden festen Kom- nation mit Thrombozytopenien sind 4 – 21 Tage pression der Einstichstelle über mindestens nach der Impfung mit Vaxzevria aufgetreten 2 Minuten erfolgen. (sog. Thrombose mit Thrombozytopenie Syn- ▶▶ Im Allgemeinen wird eine Nachbeobachtungs- drom [TTS], vormals Vakzine-induzierte im- zeit nach der COVID-19-Impfung von mindes- munthrombotische Thrombozytopenie [VITT]). tens 15 Minuten empfohlen. Längere Nachbeob- Aufgefallen sind vor allem Hirnvenenthrombo- achtungszeiten (30 Minuten) sollten vorsichts- sen (sogenannte Sinus venosus Thrombosen; halber bei bestimmten Risikopersonen einge- SVT). Aber auch andere thrombotische Ereig- halten werden, z. B. bei Personen mit schweren nisse wie Mesenterialvenenthrombosen und kardialen oder respiratorischen Grunderkran- Lungenembolien sind berichtet worden. Einzel- kungen oder mit stärkeren oder anaphylak ne Fälle waren auch kombiniert mit erhöhter tischen Reaktionen auf Impfungen in der Gerinnungsaktivität oder Blutungen im ganzen Anamnese. Maßgeblich für diese Entscheidun- Körper. Auch nach Anwendung der COVID-19 gen sind die Angaben der Person selbst sowie Vaccine Janssen sind in den USA sehr seltene
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 9 Fälle von TTS überwiegend bei jüngeren det werden (siehe Kapitel 4.9 „Impfkomplikati- Geimpften aufgetreten. Entsprechende Warn- onen und deren Meldung“ in den STIKO- hinweise wurde in die Fachinformationen der Impfempfehlungen 2020/2021; Meldeformu- beiden Impfstoffe aufgenommen. Die STIKO lar des PEI). Regelmäßige Berichte des PEI zur empfiehlt die Impfung mit den beiden Vektor- Sicherheit von COVID-19-Impfstoffen sind un- basierten Impfstoffen Vaxzevria und COVID-19 ter folgendem Link zu finden: https://www.pei. Vaccine Janssen nur für Menschen im Alter de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/arznei- ≥ 60 Jahre, da in dieser Altersgruppe aufgrund mittelsicherheit.html der ansteigenden Letalität einer COVID-19- Erkrankung die Nutzen-Risiko-Abwägung ein- deutig zu Gunsten der Impfung ausfällt (siehe auch Kapitel 7.2.1.1 in der 4. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung der STIKO). Der Einsatz der beiden Vektor-basierten Impfstoffe unterhalb dieser Altersgrenze bleibt indes nach ärztlicher Aufklärung und bei individueller Risikoakzeptanz durch die impfwillige Person möglich. ▶▶ Mit den genannten Vektor-basierten Impfstof- fen Geimpfte sollten darüber aufgeklärt werden, dass sie bei Symptomen wie starken, anhalten- den Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit, Bein- schwellungen, anhaltenden Bauchschmerzen, neurologischen Symptomen oder punktförmi- gen Hautblutungen umgehend ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen sollten. ÄrztInnen sollten auf Anzeichen und Symptome einer Thrombo embolie in Kombination mit einer Thrombo zytopenie achten, wenn sich PatientInnen vor- stellen, die kürzlich mit Vektor-basierten COVID-19-Impfstoffen geimpft wurden. Dies gilt insbesondere, wenn PatientInnen über spä- ter als drei Tage nach der Impfung beginnende und dann anhaltende Kopfschmerzen klagen oder punktförmige Hautblutungen auftreten. Weitere Informationen und Hinweise zur Diag- nostik und Therapie findet man in der Stellung- nahme der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH): https://gth-on- line.org/wp-content/uploads/2021/03/GTH- Stellungnahme-AstraZeneca_3-29-2021.pdf ▶▶ Die STIKO bekräftigt die Empfehlung, das bun- desweite Monitoring von Impfquoten fortzu- führen, damit auch in Zukunft verlässliche Da- ten zur Risiko-Nutzen-Analyse zeitnah verfüg- bar sind. ▶▶ Für die Meldungen von über das übliche Maß hinausgehenden Impfreaktionen und -kompli- kationen soll das etablierte Verfahren verwen-
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 10 Wissenschaftliche Begründung der STIKO für die Empfehlung zur Impfung gegen COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen von 12 – 17 Jahren Inhaltsverzeichnis 1. Hintergrund.................................................. 11 5. COVID-19-Impfung....................................... 26 5.1. Comirnaty (BioNTech/Pfizer)....................... 26 2. Krankheitsbild............................................... 11 5.2. Spikevax (COVID-19 Vaccine Moderna)...... 30 2.1. Symptomatik einer SARS-CoV-2-Infektion 5.3. (Peri-)Myokarditis als unerwünschte bei Kindern und Jugendlichen...................... 11 Wirkung nach COVID-19-Impfung............... 34 2.2. Immunantwort nach COVID-19-Infektion 5.4. Fazit zur Wirksamkeit und Sicherheit versus Immunantwort nach COVID-19- der mRNA-Impfstoffe bei Kindern und Impfung........................................................ 12 Jugendlichen im Alter von 12 – 17 Jahren..... 35 2.3. Transmission von SARS-CoV-2 bei Kindern und Jugendlichen............................ 12 6. Modellierungsergebnisse der Effekte 2.4. Infektionsquelle für SARS-CoV-2- einer Impfung für Kinder und Jugendliche Infektionen bei Kindern und im Alter von 12 – 17 Jahren............................ 36 Jugendlichen................................................. 13 7. Akzeptanz bei Eltern und Jugendlichen....... 40 2.5. Risikofaktoren für eine schwere COVID-19-Erkrankung bei Kindern und 8. Fazit und Impfempfehlung........................... 40 Jugendlichen................................................. 13 Literatur........................................................ 42 2.6. Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS)......................................... 14 2.7. Myokarditis bei COVID-19-Erkrankung im Kindesalter............................................... 15 2.8. Long-COVID................................................. 16 3. Epidemiologie von SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19-Erkrankungen bei 12 – 17-jährigen Kindern und Jugendlichen in Deutschland............................................. 18 3.1. IfSG-Meldedaten.......................................... 18 3.2. Erhebungsdaten der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI)..................................... 23 3.3. Seroprävalenzdaten zu Kindern und Jugendlichen................................................. 24 3.4. Fazit zur Epidemiologie von COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 – 17 Jahren in Deutschland................ 25 4. Psychosoziale Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche................................ 25
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 11 1. Hintergrund ausschließlich systematische Reviews berücksich- Aktuell sind von der Europäischen Arzneimittel tigt, die über laborbestätigte SARS-CoV-2-Infektio- agentur (EMA) zwei Impfstoffe für die Impfung von nen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 – 17 Jah- 0 – 19 Jahren berichteten. Insgesamt wurden nach ren gegen COVID-19 zugelassen. Es handelt sich da- Abstract- und Volltext-Screening 18 Studien einge- bei um die mRNA-Impfstoffe Comirnaty (BioNTech/ schlossen, die wiederum Studien aus China, Italien, Pfizer) und Spikevax (Moderna). Comirnaty war seit Spanien, Südkorea, Malaysia, Singapur, Vietnam, dem 21.12.2020 für ≥ 16-Jährige zugelassen und er- dem Iran und den USA einschlossen. Nach den Er- hielt am 31.05.2021 eine Zulassungserweiterung mit gebnissen, die Daten von > 34.000 Personen be- identischer Dosierung auch für Kinder und Jugend- rücksichtigten, sind Fieber und Husten, die bei liche im Alter von 12 – 15 Jahren. Spikevax war seit 40 – 60 % der infizierten Kinder und Jugendlichen dem 06.01.2021 für ≥ 18-Jährige zugelassen und er- vorkommen, die vorherrschenden Symptome von hielt am 26.07.2021 eine Zulassungserweiterung in COVID-19. Die Prävalenz dieser Symptome ist un- identischer Dosierung für die Impfung von abhängig vom Alter und oft treten diese beiden 12 – 17-Jährigen. Die STIKO gibt im Folgenden einen Symptome gemeinsam auf. Die gängigen Sympto- Überblick über die wissenschaftlichen Daten und me einer Erkrankung der oberen Atemwege wie die Evidenz, die sie bei ihrer Entscheidung zur Schnupfen und Halsschmerzen sind bei COVID-19 Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung für im Kindesalter eher ungewöhnlich. Andere Symp- Kinder und Jugendliche berücksichtigt hat. tome wie Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Mus- kelschmerzen und gastrointestinale Symptome (Er- brechen und Durchfall) treten ebenfalls deutlich sel- 2. Krankheitsbild tener auf und zeigen sich bei weniger als 10 – 20 % 2.1. Symptomatik einer SARS-CoV-2-Infektion der Erkrankten. bei Kindern und Jugendlichen Kinder aller Altersgruppen können sich mit SARS- In einer prospektiven Kohortenstudie aus dem Ver- CoV-2 infizieren, an COVID-19 erkranken und zu einigten Königreich wurde der Krankheitsverlauf Überträgern der SARS-CoV-2-Infektion werden. Die hinsichtlich Dauer und Symptomatik von Inzidenz der Erkrankung steigt mit zunehmendem COVID-19-Erkrankungen bei 5 – 17-jährigen Kindern Alter an. Obwohl schwere COVID-19-Erkrankungen und Jugendlichen untersucht.5 Im Zeitraum von auch im Kindes- und Jugendalter vorkommen kön- März 2020 bis Februar 2021 wurden Daten von 1.734 nen, zeigt der überwiegende Teil einen asymptoma- 5 – 17-jährigen Kindern und Jugendlichen (Alters- tischen oder milden bzw. moderaten Infektionsver- gruppe 5 – 11 Jahre: n = 588; Altersgruppe 12 – 17 Jah- lauf von ein- bis zweiwöchiger Dauer. Im Rahmen re: n = 1.146) ausgewertet, die einen positiven SARS- eines systematischen Reviews, der Studien aus CoV-2-Nachweis hatten und bei denen ausreichend China, Iran, Italien, Malaysia, Spanien, Südkorea, Informationen zur Bestimmung der Infektions USA und Vietnam mit Daten von insgesamt 7.480 dauer vorlagen. Die häufigsten Symptome waren Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 – 18 Jah- Kopfschmerzen (62 %) und Abgeschlagenheit ren einschloss, blieben 15 % asymptomatisch, wäh- (55 %). Länger andauernde Erkrankungen waren rend 42,5 % einen milden und 39,6 % einen mode- selten und bei älteren Kindern häufiger als bei jun- raten Infektionsverlauf hatten; bei 2 % verlief die Er- gen Kindern; im Median betrug die Krankheits krankung schwer und 0,7 % waren kritisch krank.2 dauer 6 Tage (IQR 3 – 11 Tage). Bei 4,4 % bestand die Der ermittelte Anteil asymptomatischer Fälle betrug Symptomatik mindestens 4 Wochen und bei 1,8 % in einer Studie aus Spanien (n = 61.075) in einer re- mindestens 8 Wochen. In einer Vergleichsgruppe präsentativen Bevölkerungsstichprobe 33 % über mit ähnlicher Symptomatik aber negativem SARS- alle Altersgruppen.3 CoV-2-Test waren prolongierte Krankheitsverläufe deutlich seltener. Viner et al. führten einen Umbrella-Review zur Symptomatik von COVID-19 bei < 20-Jährigen Eine kürzlich erschiene Metanalyse zeigte darüber durch. 4 In dieser systematischen Übersicht wurden hinaus, dass SARS-CoV-2-Infektionen bei Kindern
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 12 auch mit einer kardialen Beteiligung (Myokard T-Lymphozyten aktiviert, wobei dies bei den Vektor- ischämie, Arrhythmie, Herzinsuffizienz, Myokard Impfstoffen deutlicher zu sein scheint als bei den itis und Multisystem-Entzündungssyndrom) ein- mRNA-Impfstoffen.14 – 17 hergehen können.6 2.3. Transmission von SARS-CoV-2 bei Kindern Hieraus folgt, dass bei der Bewertung des Nutzens und Jugendlichen der Impfung neben den bekannten COVID-19- Ein systematischer Review untersuchte die Suszep- Manifestationen in der Akutphase auch seltenere, tibilität für und Transmission von SARS-CoV-2 un- im weiteren Verlauf zu beobachtende Komplikatio- ter Kindern und Jugendlichen, verglichen mit Er- nen relevant sind. wachsenen.18 Es wurden 32 Studien aus 21 Ländern eingeschlossen, die Daten von 41.640 Kindern und 2.2. Immunantwort nach COVID-19-Infektion Jugendlichen und 268.945 Erwachsenen auswerte- versus Immunantwort nach COVID-19-Impfung ten. Die AutorInnen resümieren, dass die Evidenz Ungeimpfte rekonvaleszente Personen weisen eine aus 15 Kontaktnachverfolgungsstudien darauf hin- breite B- und T-Zell-Immunantwort auf, die sowohl weist, dass Kinder und Jugendliche eine geringere neutralisierende Antikörper als auch Helfer-, Effek- Suszeptibilität für SARS-CoV-2 Infektionen haben tor- und Gedächtnis-T-Zellen umfasst, unter ande- als Erwachsene. Die Ergebnisse aus den einge- rem gegen das Spike- und Nukleokapsid-Protein schlossenen Seroprävalenzstudien waren dagegen von SARS-CoV-2 gerichtet ist 7 – 9 und für mindestens heterogen. Allerdings wurde in keiner Studie eine 6 – 10 Monate anhält.10 – 12 In einer prospektiven Mul- höhere Seroprävalenz bei Kindern und Jugendli- ticenter-Studie wurde die humorale SARS-CoV-2- chen als bei Erwachsenen beobachtet. Wenn Kinder Immunantwort bei Kindern in Deutschland getrennt von Jugendlichen untersucht wurden, zeig- 3 – 4 Monate und 11 – 12 Monate nach SARS-CoV-2- te sich in den meisten Studien, dass Kinder niedri- Infektion untersucht.13 In 328 Haushalten, in denen gere Seroprävalenzen hatten, während die der Ju- bei mindestens einem Angehörigen eine SARS- gendlichen den Seroprävalenzen der Erwachsenen CoV-2-Infektion nachgewiesen worden war, wurden ähnlich waren. Die verfügbaren Studien zur Trans- 548 Kinder und 717 Erwachsene analysiert. Nach mission weisen darauf hin, dass Kinder und Exposition konnte bei 34 % der Kinder und 58 % der Jugendliche eine untergeordnete Rolle bei der Wei- Erwachsenen eine Serokonversion nachgewiesen terverbreitung von SARS-CoV-2 spielen.18 werden. Im Vergleich zu Erwachsenen war die SARS-CoV-2-Infektion bei Kindern 5-mal häufiger Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen die AutorIn- asymptomatisch. Trotz des häufigeren asymptoma- nen einer Seroprävalenzstudie aus Sachsen,19 in die tischen Infektionsverlaufs waren die spezifischen n = 150 Haushalte eingeschlossen waren. Transmis- Antikörperkonzentrationen höher und die Immun- sionsraten unter Haushaltsmitgliedern von erwach- antwort bei Kindern dauerhafter als bei Erwachse- senen IndexpatientInnen wurden mit denen von nen. kindlichen und jugendlichen IndexpatientInnen verglichen. Die sekundären Infektionsraten (attack Die derzeit in Deutschland zugelassenen und ver- rates) von < 18-jährigen Indexfällen waren signifi- fügbaren COVID-19-Impfstoffe lösen eine T- und kant niedriger als die von erwachsenen Indexfällen. B-Lymphozyten-basierte Immunantwort gegen das In dieser Studie wurden keine Transmissionen von Spike-Protein von SARS-CoV-2 aus, da sowohl die Indexpersonen im Alter von < 18 Jahren auf Kinder mRNA- als auch die Vektor-Impfstoffe nur dieses und Jugendliche beobachtet, aber eine beträchtliche Oberflächenprotein von SARS-CoV-2 als Antigen Anzahl (n = 26) von Transmissionen von erwachse- nutzen. Die Impfung von naiven Personen mit ei- nen Indexfällen auf Haushaltskontakte im Alter von nem dieser Impfstoffe bewirkt vor allem die Bildung < 18 Jahren. Haushalte mit Kindern und Jugendli- von Spike-Protein-spezifischen Typ 1 T-Helfer-Zellen chen waren signifikant seltener vollständig seropo- und B-Lymphozyten sowie von neutralisierenden sitiv als Haushalte ohne Kinder. Es wurden aber kei- Antikörpern gegen das Spike-Protein. Darüber hi- ne differenzierten Ergebnisse nach Altersgruppen naus werden durch die Impfung auch CD8+ berichtet.
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 13 Eine Studie aus Rheinland-Pfalz untersuchte das 177 Gemeinden identifiziert, die eine geringe Übertragungsrisiko von COVID-19 in Kitas und SARS-CoV-2-Infektionrate (< 10 %) aufwiesen. In Schulen zwischen August und Dezember 2020.20 diesen Gemeinden wurde das Auftreten von Dabei wurde analysiert, zu wie vielen Folgefällen SARS-CoV-2-Infektionen bei ungeimpften < 16-Jäh- ein Indexfall beiträgt. Auf Basis der Meldedaten und rigen in Abhängigkeit von der Impfquote bei den den Informationen der Kontaktnachverfolgung Erwachsenen ermittelt. Mit jedem Anstieg der Impf- zeigte sich, dass das Übertragungsrisiko in diesen quote in der erwachsenen Bevölkerung um 20 % Einrichtungen niedrig ist und dass die sekundäre halbierte sich die Zahl der SARS-CoV-2-Infektionen Erkrankungsrate lediglich 1,3 % (95 % KI: 1,16 – 1,54) bei den ungeimpften Kindern und Jugendlichen. beträgt. Außerdem wurde festgestellt, dass eine Diese Studienergebnisse belegen den indirekten Übertragung in Schulen durch LehrerInnen häufi- Schutzeffekt einer Impfung, der eintritt, sobald ein ger vorkommt als durch SchülerInnen (Incidence gewisser Anteil der erwachsenen Bevölkerung Rate Ratio 3,2; 95 % KI: 1,8 – 5,9) und dass das Über- geimpft ist. tragungsrisiko in Schulen geringer ist als in Kitas. 2.4. Infektionsquelle für SARS-CoV-2-Infektionen An einer weiterführenden Schule in Sachsen wur- bei Kindern und Jugendlichen den in einer Seroprävalenzstudie acht Wochen nach In einem Survey der Deutschen Gesellschaft für Bekanntwerden einer SARS-CoV-2-Infektion bei ei- pädiatrische Infektiologie (DGPI) wurde die Exposi- nem Schüler erstmalig im November 2020 Seren tion bei 146 COVID-19-PatientInnen im Alter von von 247 SchülerInnen und 55 LehrerInnen und ein 12 – 17 Jahren erfragt: 73,3 % hatten sich im Haushalt zweites Mal etwa fünf Wochen später bei 197 Schü- angesteckt, 18,5 % in der Schule, 4,1 % im Kranken- lerInnen und 40 LehrerInnen untersucht.21 Die haus und 4,1 % auf einer Reise oder anderswo Seroprävalenz stieg zwischen den beiden Untersu- (persönliche Kommunikation Dr. J. Armann, DGPI chungszeitpunkten von 1,7 % auf 6,8 % an. Das Ver- Survey, Klinik und Poliklinik für Kinder- und hältnis zwischen unerkannten und erkannten Jugendmedizin am Uniklinikum Dresden). SARS-CoV-2-Infektionen hat sich zwischen den bei- den Erhebungszeitpunkten kaum verändert (0,25 2.5. Risikofaktoren für eine schwere COVID-19- bzw. 0,33). Es ergaben sich keine Hinweise auf eine Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen relevante, unerkannte SARS-CoV-2-Transmission in COVID-19 ist in der Regel eine milde Erkrankung der Schule. Studienergebnisse wie diese legen nahe, im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. Bei einem dass es unwahrscheinlich ist, dass Bildungseinrich- geringen Anteil der betroffenen Kinder und Jugend- tungen eine zentrale Rolle für das Infektionsgesche- lichen kann sich aber ein schwerer Krankheitsver- hen in der Pandemie spielen. lauf entwickeln, der eine intensivmedizinische Ver- sorgung und eventuell eine invasive Beatmung er- Einige der genannten Studien wurden zu einer Zeit forderlich macht. Todesfälle sind im Kindes- und Ju- durchgeführt, bevor die ersten, ansteckenderen gendalter jedoch sehr selten. In einer Kohortenstudie Virusvarianten detektiert wurden und zu der bereits wurden im April 2020 Daten von stationär behan- Infektionsschutzmaßnahmen, Kontaktbeschrän- delten Kindern und Jugendlichen mit PCR-bestätig- kungen und teilweise Schulschließungen bestan- ter SARS-CoV-2-Infektion im Alter < 18 Jahren aus den, die die Transmission beeinflusst haben. 25 europäischen Ländern gesammelt und hinsicht- lich prädisponierender Risikofaktoren für einen Unter dem Gesichtspunkt der Transmission sind schweren Verlauf (Aufnahme auf die Intensivsta auch die Ergebnisse zum Gemeinschaftsschutz tion) mittels multivariabler logistischer Regression (Herdenimmunität) einer Studie aus Israel bedeu- analysiert.23 Es wurden n = 582 Personen mit einem tend.22 Hier wurde unter real-world-Bedingungen medianen Alter von 5,0 Jahren (Spanne: 3 Tage bis untersucht, ob und in welchem Ausmaß durch 18 Jahre) eingeschlossen. Ohne vorbestehende Er- geimpfte Personen die Übertagung von SARS- krankung waren n = 437 (75 %). Von den übrigen CoV-2 und das Infektionsrisiko für Ungeimpfte n = 145 (25 %) hatten n = 29 eine chronische Lungen beeinflusst wird. Es wurden Anfang März 2021 erkrankung, n = 27 eine maligne Tumorerkrankung,
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 14 n = 26 eine neurologische Beeinträchtigung, n = 25 mit Trisomie 21. Diese PatientInnen haben auch eine angeborene Herzerkrankung, n = 10 eine chro- aufgrund der zahlreichen risikobehafteten Komor- mosomale Anomalie und n = 9 eine chronische Nie- biditäten (z. B. schwere angeborene Herzfehler, Stö- renerkrankung. Insgesamt hatten n = 17 (3 %) ≥ 2 be- rungen der Immun- und Lungenfunktion) ein er- stehende Vorerkrankungen. Eine immunsuppressive höhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Therapie erhielten 5 % und chemotherapeutisch be- Verlauf. Das Alter (0 – 3 Monate oder > 20 Jahre), handelt wurden 4 %. Bei n = 10 trat ein Acute Respi- Asthma bronchiale und chronische gastrointestinale ratory Distress Syndrome (ARDS) auf und machte Vorerkrankung stellten sich als prädisponierende eine maschinelle Beatmung erforderlich. In der Faktoren für eine notwendige unterstützende Beat- multivariablen Analyse wurden als prädisponieren- mung dar. Die Mortalität von COVID-19 wird bei de Faktoren für eine intensivmedizinische Versor- 0 – 19-Jährigen seit Beginn fortlaufend durch eine gung Alter < 1 Monat (OR 5,6; 95 % KI: 1,7 – 14,9), englische Forschergruppe in 7 Ländern (USA, UK, männliches Geschlecht (OR 2,1; 95 % KI: 1,6 – 4,2), Italien, Deutschland, Spanien, Frankreich und Süd- Zeichen einer unteren Atemwegsinfektion bei Vor- korea) untersucht und beträgt 0,17/100.000 Ein- stellung (OR 10,5; 95 % KI: 5,2 – 21,2) und eine vor- wohner.28 bestehende Erkrankung (OR 3,3; 95 % KI: 1,7 – 6,4) identifiziert. Auf Grundlage der Daten von 1.501 wegen oder mit einer SARS-CoV-2-Infektion hospitalisierten Kin- Eine Studie in den USA untersuchte ebenfalls Risi- dern und Jugendlichen in Deutschland, die durch kofaktoren für einen schweren Verlauf bei Kindern den COVID-19-Survey der DGPI erfasst wurden, und Jugendlichen mit SARS-CoV-2-Infektion.24 In wurden Risikofaktoren für eine intensivmedizini- diese retrospektive Kohortenstudie wurden n = 454 sche Behandlung ermittelt.29 Signifikant erhöhte re- PatientInnen im Alter < 21 Jahren (medianes Alter: lative Risiken (RR) im vollständig adjustierten Mo- 11 Jahre) eingeschlossen, die im Zeitraum vom dell hatten PatientInnen mit Trisomie 21 (RR: 4,2; 15.03.2020 bis 08.07.2020 aufgrund einer SARS- 95 % KI: 1,4 – 12,6), PatientInnen, die zusätzlich zu CoV-2-Infektion in der Kinderklinik von Colorado der SARS-CoV-2-Infektion eine weitere Koinfektion vorstellig geworden waren. Mithilfe der multivaria- hatten (RR: 4,2; 95 % KI: 2,0 – 8,5) sowie PatientIn- blen logistischen Regression wurden Risikofaktoren nen mit einem primären Immundefekt (RR: 2,7; für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf, 95 % KI: 1,2 – 6,2). In der bivariaten Analyse wurden der eine stationäre Therapie erforderlich machte, folgende Risikofaktoren ermittelt: Fettleber (RR: identifiziert. Das Säuglingsalter (0 – 3 Monate) (OR 8,0; 95 % KI: 4,1 – 15,6), pulmonale Hypertonie (RR: 7,9; 95 % KI: 3,0–20,4) und junge Erwachsenenal- 7,8; 95 % KI: 4,2 – 14,4), Zustand nach Herzopera ter > 20 Jahre (OR 5,1; 95 % KI: 1,2 – 20,7) stellte sich tion (RR: 7,8; 95 % KI: 4,2 – 14,4), zyanotische Herz im Vergleich zu einem Alter von 11 – 15 Jahren als Ri- erkrankungen (RR: 6,2; 95 % KI: 2,9 – 13,2), psycho- sikofaktor heraus. Außerdem waren das Vorliegen motorische Retardierungen (RR: 4,8; 95 % KI: 2,9 – einer Vorerkrankung (Asthma bronchiale (OR 2,2; 7,9) und Epilepsie (RR: 2,3; 95 % KI: 1,1 – 4,9). 95 % KI: 1,4 – 4,5), chronische gastrointestinale Er- krankungen (OR 2,7; 95 % KI: 1,3 – 5,2), Diabetes Von den in Deutschland lebenden 4,5 Mio. 12 – mellitus (OR 6,6; 95 % KI: 1,1 – 39,8), Immunsup- 17-Jährigen haben Schätzungen zufolge ca. 8,4 % pression (OR 3,5; 95 % KI: 1,5 – 8,1), Adipositas (n = 379.000) Vorerkrankungen.30 (> 95 % Perzentile) (OR 2,5; 95 % KI: 1,2 – 5,1), schwe- re Adipositas (> 120 % Perzentile) (OR 4,8; 95 % KI: 2.6. Pediatric Inflammatory Multisystem 1,9 – 12,1) und Frühgeburtlichkeit (OR 3,8; 95 % KI: Syndrome (PIMS) 2,0 – 7,4) mit Krankenhausaufnahme assoziiert. Aus vielen von der SARS-CoV-2-Pandemie betroffe- Retrospektive Kohortenstudien aus England25 und nen Ländern gibt es seit Ende April 2020 Berichte den USA,26 die Risikofaktoren für einen schweren über Kinder mit einem schweren inflammatorischen COVID-19-Verlauf erwachsener PatientInnen unter- Krankheitsbild. Das sog. Pediatric Inflammatory suchten, sowie pädiatrische Einzelfallberichte27 be- Multisystem Syndrome (PIMS) ist ein seltenes, aber legen die Schwere von COVID-19 bei PatientInnen schwerwiegendes Krankheitsbild, das sich in der
Epidemiologisches Bulletin 33 | 2021 19. August 2021 15 Regel 3 – 4 Wochen nach einer symptomatischen Regel älter und Schocksymptomatik, Erbrechen, oder asymptomatischen SARS-CoV-2-Infektion ma- Durchfall und Bauchschmerzen sind häufiger. nifestiert und in vielen Fällen mit Schocksymptoma- Neben der supportiven Therapie kommen Immun- tik und in der Regel passagerer kardiorespiratori- globuline und immunmodulatorische Medikamen- scher Insuffizienz einhergeht.31 Die Ätiologie ist un- te zum Einsatz. Das zunächst neue Krankheitsbild klar, zur Häufigkeit gibt es noch keine verlässlichen wird von den behandelnden ÄrztInnen zunehmend Zahlen. Die DGPI definiert PIMS wie folgt:32 Fälle besser verstanden und ist inzwischen in den meis- werden als PIMS gewertet, wenn neben (1) Fieber, ten Fällen gut behandelbar, wenn auch die optimale (2) erhöhte systemische Inflammationsparameter Therapie weiterhin nicht bekannt ist.34 In Deutsch- (C-reaktives Protein, Procalcitonin), (3) mindestens land wurden seit Beginn der Pandemie bis zum zwei Organbeteiligungen und (4) eine aktuelle (po- 01.08.2021 398 Fälle von PIMS im Rahmen einer sitiver SARS-CoV-2 PCR- oder Antigen-Nachweis) Erhebung der DGPI erfasst. Bis dato ist kein Kind oder stattgehabte (positive SARS-CoV-2-Serologie) oder Jugendlicher an PIMS verstorben.30 SARS-CoV-2-Infektion oder ein SARS-CoV-2-Kon- takt nachzuweisen waren sowie (5) andere infektio- In einer britischen Studie wurden 46 Kinder und logische Ursachen ausgeschlossen werden konnten. Jugendliche (medianes Alter 10,2 Jahre; Spanne 8,8–13,3 Jahre) mit PIMS 6 Monate nach der Kran- In einem systematischen Review, der 39 Studien kenhausbehandlung erneut untersucht.35 Zu die- mit insgesamt 662 PatientInnen mit PIMS ein- sem Zeitpunkt war bei 45 von 46 Kindern und Ju- schloss, wurden epidemiologische und klinische gendlichen keine systemische Inflammation mehr Charakteristika von PIMS beschrieben.33 Das mitt- nachweisbar. Die meisten anderen Organmanifesta- lere Alter lag bei 9,3 ± 0,5 Jahre und 52,3 % der Kin- tionen waren nicht mehr nachweisbar oder deutlich der und Jugendlichen waren männlich. Etwa die rückläufig. Die körperliche Belastbarkeit war bei 18 Hälfte der PatientInnen hatte Vorerkrankungen von 40 untersuchten PatientInnen noch einge- oder war übergewichtig (BMI > 30kg/m2). Fieber schränkt. 45 der 46 Kinder und Jugendlichen be- (100 %), Bauchschmerzen/Diarrhö (74 %) und Er- suchten jedoch wieder ganztags die Schule oder brechen (68 %) waren die häufigsten Symptome. Kinderbetreuungseinrichtung. Auch Konjunktivitiden (52 %) und Exantheme (56 %) wurden häufig beobachtet. Etwa 60 % der Pa- Berichte von PIMS nach COVID-19-Impfung liegen tientInnen wurden wegen einer Schocksymptoma- bisher nicht vor. Es gibt wenige Einzelfallberichte tik mit Katecholaminen und Infusionen behandelt. über ein dem PIMS vergleichbares „multisystem Mehr als die Hälfte (54 %) der PatientInnen hatte inflammatory syndrome“ nach COVID-19-Impfung einen auffälligen Echokardiographie-Befund zu- bei Erwachsenen.36,37 Die Ätiologie ist auch hier meist mit eingeschränkter linksventrikulärer Funk- unklar. tion als möglichen Hinweis auf eine kardiale Betei- ligung. Auch Koronaraneurysmen wurden beobach- 2.7. Myokarditis bei COVID-19-Erkrankung tet. Eine akute Nierenschädigung trat bei 16 % der im Kindesalter Fälle auf. Bei den Laborbefunden waren die stark Neben einer Herzbeteiligung bei PIMS besteht erhöhten Entzündungs- und kardialen Marker auf- auch im Rahmen der COVID-19-Erkrankung das Ri- fällig. Ein hoher Anteil (71 %) der PIMS-PatientIn- siko einer Myo- und/oder Perikarditis.6 Folgen der nen benötigte eine intensivmedizinische Versor- Herzmuskelentzündung können eine chronische gung und eine maschinelle Beatmung (22 %), 4,4 % Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen sogar eine extrakorporale Membranoxygenierung sein. Eine Studie aus den USA, die Versicherten (ECMO). Im untersuchten PatientInnenkollektiv lag daten analysierte, untersuchte die Häufigkeit von die Sterblichkeit bei 1,7 %. Klinisch ähnelt das PIMS Myokarditiden im Zusammenhang mit SARS- dem Kawasaki-Syndrom (KS) und dem toxischen CoV-2-Infektionen bei 12 – 17-jährigen Jugendli- Schocksyndrom (TSS). Allerdings ist das Inflamma- chen.38 Neun Myokarditiden wurden unter 14.207 tionsgeschehen beim PIMS in der Regel ausgepräg- COVID-19-Fällen identifiziert. Das Risiko war bei ter als bei KS und TSS, die PatientInnen sind in der männlichen Kindern und Jugendlichen doppelt so
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