FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg

 
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FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg
Frühjahr 2013

                FÜNFZIG
                50 Jahre BUND Baden-Württemberg

                                   BUND Jubiläumsmagazin 2013   1
FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg
riegel bioweine
                                                                                                                                                                                                                     Vorwort

            mehr als ein
                                                                                                              Liebe Leserinnen
                 weinhändler                                                                                  und Leser,

                                                                                                              wer 50 wird, ist nicht alt. Wer 50 wird, hat viel er-
            Nachhaltigkeit ist ein gern benutztes Wort. Wie können wir                                        lebt. Der BUND hat besonders viel erlebt. Und hat
            so wirtschaften, dass nach uns auch die nächste Generation                                        das Privileg, angesichts seiner fast 80.000 Mitglie-
            ökonomisch sinnvoll in einer immer noch schönen und                                               der und Unterstützer, der immer neuen Herausfor-
            lebenswerten Welt leben und arbeiten kann? Mit den damit                                          derungen und der manchmal mühsam errungenen
            zusammen hängenden Fragen beschäftigt sich Peter Riegel seit                                      Erfolge immer jung zu bleiben. Wir werden als die        nicht richtig beschrieben ist. Mutbürger und -bürge-
                                                                                                              führende außerparlamentarische Kraft im Umwelt-          rinnen stellen Partikularinteressen hintan und sind
            den Anfängen seines Unternehmerdaseins und sucht im Rahmen
                                                                                                              schutz wahrgenommen. Längst haben wir unsere             bereit, sich sachkundig, beharrlich und gewaltfrei
            seiner Möglichkeiten nach passenden Antworten.
                                                                                                              von Anbeginn bewährte Strategie, immer zweiglei-         einzumischen. Ein bleibender Wert an sich! Zumal
                                                                                                              sig zu fahren, auf viele andere Bereiche übertragen:     Tugenden geprobt und gefestigt werden, die die
            +    wir helfen Menschen in Südafrika und Südamerika                                              Widerstand organisieren und zugleich Alternativen        Gesellschaft braucht. Der Wissenschaftliche Beirat
            +    wir bilden aus                                                                               entwickeln. Wir sind seit 50 Jahren in Baden-Würt-       der Bundesregierung zum Thema Globale Umwelt-
            +    wir verkaufen 15% unserer Weine im Mehrwegsystem                                             temberg in zentralen Fragen aktiv, vom Ausstieg aus      veränderungen beschreibt in einem Gutachten von
            +    wir wirtschaften nachhaltig am Standort Orsingen                                             der Atomkraft bis zur Energiewende, vom Bemühen          2011, wie wichtig es für einen nachhaltigen Wer-
            +    wir handeln fair                                                                             um eine neue Beteiligungskultur bis hin zum Kampf        tewandel ist, einerseits demokratische legitimierte
            +    wir lernen am eigenen Schulungsweinberg                                                      gegen Gentechnik. Der Blick auf unsere Geschichte        Entscheidungsträger zu stärken und andererseits die
            +    wir züchten ökologische Rasenmäher                                                           belegt, wie oft die Verbandsgründer und ihre Mit-        Bürgerschaft zu beteiligen.
                                                                                                              streiter die Nase vorne hatten. FÜNFZIG legt auch
                                                                                                              davon beredtes Zeugnis ab. Ein Beispiel von vielen       Dem BUND fällt dabei in dem so oft zitierten Zeit-
                                                                                                              sind die Sonnentage von Sasbach, dem Vorläufer           fenster bis 2050, in dem sogar die schwarz-gelbe
            ...und wir haben über 950 Bioweine für Sie im Angebot!
                                                                                                              unserer Ökomessen, und was sich seit den Siebziger       Bundesregierung die Umstellung auf Erneuerbare
                                                                                                              Jahren daraus entwickelt hat.                            Energien abgeschlossen wissen will, eine zentrale
            unsere Ladenöffnungszeiten:
                                                                                                                                                                       Rolle zu. Wir wissen mit Informationen und Argu-
                                                                                                              Der BUND erstarkt immer neu dank der langen Li-          menten zu überzeugen – Menschen wie Behörden.
            Freitag 15:00 - 18:00 Uhr                                                                         nien und dank der Aktiven vor Ort, der vielfältigen      Wir sind in der Lage, für und gegen Vorhaben zu
            Samstag 10:00 - 14:00 Uhr                                                                         Projekte, Aktionen und Initiativen, dank der Ange-       mobilisieren. Der Blick, den FÜNFZIG auf die ver-
                                                                                                              bote für Kinder und des breiten Engagements unse-        gangenen Jahrzehnte wirft, zeigt, wie oft absurde
                                                                                                              rer Jugend. Und wir kennen keine Scheu, auch in po-      Eingriffe in Natur und Umwelt über das Planungs-
                                                                                                              litisch brisanten Streitfragen klare Kante zu zeigen.    stadium nie hinauskamen. Wir sind in der Lage, für
                                                                                                              Bestes Beispiel ist der jahrelange Streit um Stuttgart   und gegen Vorhaben zu mobilisieren. Es ist kein Ge-
                                                                                                              21. „Wer den Irrsinn erkannt hat, darf nicht mehr        dankenspiel, sich zu fragen, wie der BUND sein 75.
                                                                                                              schweigen“, hieß es auf einem der unzähligen Zet-        Jubiläum feiern will. Wir werden dies mit gleicher
                                                                                                              tel am inzwischen im Museum konservierten Bau-           Kraft tun. Denn auch in 25 Jahren ist eine starke au-
                                                                                                              zaun. Protest ist das eine. Wir haben aber zugleich      ßerparlamentarische Kraft notwendig, die für Natur-
                                                                                                              im Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 eine bessere        und Umweltschutz und für Nachhaltigkeit eintritt.
                                                                                                              Lösung koordiniert.                                      Meinen Dank an alle Aktiven und Unterstützerinnen
                                                                           Peter Riegel Weinimport GmbH                                                                und Unterstützer verbinde ich auch deshalb mit ei-
                                                                           Steinäcker 12 • D-78359 Orsingen   Auch nach fast zwei Jahrzehnten ist unklar, ob der       ner Aufforderung: Schenken wir uns selber jene Be-
                                                                           Telefon: +49 77 74 - 93 13-0       Milliarden Euro verschlingende Tiefbahnhof, der          geisterungs- und Kampagnenfähigkeit, die notwen-
                                                                           Fax: +49 77 74 93 13-810
                                                                           E-Mail: weinladen@riegel.de
                                                                                                              keine Leistungsverbesserung mit sich bringt, am          dig ist, um den immer neuen Herausforderungen zu
                                                                           www.riegel.de                      Ende nicht doch noch gebaut wird. Das wäre eine          begegnen, im Großen wie im Kleinen.
                                                                                                              Niederlage, gewiss. Aber auch sie würde nichts an
                                                                           www.good-grapes.org
                                                                           www.stellarorganics.de             der Bedeutung der Gegenwehr ändern. Weit über            Ihre/Eure
                                                                                                              den Stuttgarter Talkessel hinaus hat sich ein Geist      Dr. Brigitte Dahlbender
                                                                                                              etabliert, der mit dem Schlagwort vom Wutbürger          Vorsitzende des BUND Baden-Württemberg

             Peter Riegel Weinimport GmbH • Steinäcker 12 • D-78359 Orsingen
    Tel. +49 7774 9313 0 • Fax +49 7774 9313 810 • weinladen@riegel.de • www.riegel.de
2    BUND Jubiläumsmagazin 2013                                                                                                                                                                  BUND Jubiläumsmagazin 2013   3
FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg
inhalt                                                                                                                                                                                                  inhalt

            3	Vorwort                                     38	Flächenschutz: Klarer Blick von oben     64	Aus der Praxis: Viel Freude in freier Natur     90	Verkehr: Dagegen und dafür

            6	
              Ministerpräsident Winfried Kretschmann       40 Berthold Frieß                           66	Interview mit Dr. Bernd Eichert                 92	Projekt: Hornlose Heidschnucken
              zur Bedeutung des „Nein“                         und der BUND als Gegengift
                                                                                                        70	Stuttgart 21: Alternativen nicht vom Tisch      93 Projekt: Feuchtwiese Pfaffhalde
                                                           42	„dageGen!“: Das Europäische Nein
            8 FÜNFZIG Jahre lang treibende Kraft
                                                                                                        74	Umweltbildung: Möhren wachsen                   94	
                                                                                                                                                               Ökomessen: Wenn Erfolg
                                                           44	Hundert Hektar voller Schönheit              nicht auf Bäumen                                   überflüssig macht
          12	
             Guido Wolf
             Längst nicht alle Anliegen des BUND erfüllt
                                                                                                        78	Einkaufsverhalten: Pro und Kontra               96	Drei E für Energiewende
                                                           47	
                                                              FÜNFZIG Jahre BUND:
          14 Wo einst die Truppen übten
                                                              Die Historie des Landesverbandes,         80	Projekte: Streuobst                             98 Top-Runner Studie
          18 Endlich ein Nationalpark                         zusammengefasst auf zwölf Seiten
                                                              zum Herausnehmen                          82	Der lange Kampf gegen den Müll                100	Projekt: Schmetterlinge
          24 Interview mit Dr. Brigitte Dahlbender
                                                                                                        84	Hunderte Kilometer neue Ufer                  102	Impressum / Fotonachweis
          30	Gerhard Thielcke: Motor und Mitbegründer     59	Ein Preis, sechs Träger, eine Trägerin
                                                                                                        86	Auf dem Klapprad in die Zukunft
                                                           62	
                                                              Ivo Gönner
          32	
             Franz Untersteller
                                                              zum Wirken auf kommunaler Ebene           88	Projekt: Küchenschellen
             über den Interessenausgleich

          34	Wyhl: 40 Jahre „Nai hämmer gsait“

4   BUND Jubiläumsmagazin 2013                                                                                                                                                   BUND Jubiläumsmagazin 2013   5
FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg
Ministerpräsident Winfried Kretschmann Zur fundamentalen Bedeutung des „Nein"                                                                                                               Ministerpräsident Winfried Kretschmann Zur fundamentalen Bedeutung des „Nein"

                                                                            Aus Liebe zur Natur, sagt Winfried Kretschmann, habe er 1979 die     nunmehr 50 Jahren auf Politik und Gesellschaft ein.     Es ist deshalb das Ziel der baden-württembergi-
                                                                            Grünen mitbegründet. Heute ist er erster grüner Regierungschef der   Die Forderungen nach einer nachhaltigen Entwick-        schen Landesregierung, mit der von ihr initiierten
                                                                            Republik.                                                            lung, sozialer Gerechtigkeit und einer Änderung         und praktizierten Politik des Gehörtwerdens die-
                                                                                                                                                 vorherrschender Lebensstile bleiben jedoch nicht        sen Menschen eine Plattform zu bieten, damit sie
                                                                                                                                                 ohne mögliche Lösungsstrategien und ernstzuneh-         sich beteiligen und ihre Alternativen vorbringen
                                                                                                                                                 mende Vorschläge der Verwirklichung. Damit prak-        können. Der Landesverband des BUND bringt sich
                                                                                                                                                 tiziert der Landesverband ein Konzept, das neben        hierbei entscheidend ein und mobilisiert die Bürge-
                                                                                                                                                 einem zustimmenden „Ja“ auch die Möglichkeit und        rinnen und Bürger in Baden-Württemberg, indem er
                                                                                                                                                 Relevanz eines ablehnenden, aber an Alternativen        vor Ort ein Forum für Vorschläge, Diskussionen und
                                                                                                                                                 gekoppelten „Nein“ bedenkt.                             verschiedenste Möglichkeiten der Beteiligung etab-
                                                                                                                                                                                                         liert. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag, um
                                                                                                                                                 Welche fundamentale Bedeutung Alternativen und          das Bewusstsein für die Mitgestaltung der eigenen
                                                                                                                                                 ein „Nein“ haben können, hat die in den 1970ern         Umwelt und Gemeinschaft zu schärfen.
                                                                                                                                                 entstandene Anti-Atomkraft-Bewegung beispielhaft
                                                                                                                                                 gezeigt: Deren Mitglieder wandten sich ebenso wie       Deshalb bin ich davon überzeugt, dass der Landes-
                                                                                                                                                 der BUND und auch die Grünen gegen die zivile           verband Baden-Württemberg des BUND in diesem
                                                                                                                                                 Nutzung der Kernenergie und forderten eine Abkehr       Prozess weiterhin ein verlässlicher, kompetenter und
                                                                                                                                                 von der Atomkraft. Diesem „Nein“ folgten Alterna-       zugleich kritischer Partner sein wird, der der Lan-
                                                                                                                                                 tivvorschläge: So zeigten Wissenschaftler des Frei-     desregierung mit seinen alternativen Konzepten und
                                                                                                                                                 burger Öko-Instituts mit ihrem Buch „Energiewende       Modellen vor allem in umweltpolitischen Belangen
                                                                                                                                                 – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“           kreative Denkanstöße geben wird.
                    Winfried Kretschmann zum Jubiläum                                                                                            bereits 1980 auf, dass Wirtschaftswachstum auch

                    Die fundamentale Bedeutung des „Nein“                                                                                        mit Hilfe einer effizienteren Energienutzung sowie
                                                                                                                                                 dem Einsatz von erneuerbaren Energien möglich sei.
                                                                                                                                                                                                         Aus diesem Grund gratuliere ich dem Landesver-
                                                                                                                                                                                                         band Baden-Württemberg zum 50-jährigen Jubi-
                                                                                                                                                 30 Jahre vor der Katastrophe von Fukushima und          läum sehr herzlich. Die Glückwünsche verbinde
                                                                                                                                                 der damit einhergehenden Realisierung der Ener-         ich mit meinem herzlichen Dank an die Mitarbei-
                    Mit dem 50-jährigen Bestehen des Landesverbands         Dass dadurch die Politikverdrossenheit bei den Bür-                  giewende in Deutschland gab es also bereits kon-        terinnen und Mitarbeiter sowie die Mitglieder und
                    Baden-Württemberg des Bundes für Umwelt und             gerinnen und Bürgern vergrößert zu werden droht,                     struktive Alternativvorschläge zur damals vorherr-      Unterstützer, die sich in den vergangenen Jahren
                    Naturschutz Deutschland (BUND) verbindet mich           ist nicht von der Hand zu weisen. Ihnen wird der                     schenden Nutzung von Atomenergie und fossilen           zumeist ehrenamtlich in vielfältiger Weise und mit
                    durch meine Mitgliedschaft zuerst einmal eine per-      Eindruck vermittelt, dass die politischen Entschei-                  Energieträgern. Und jetzt, da die deutschen Atom-       Nachdruck für Natur und Umwelt engagiert haben.
                    sönliche Bindung. Davon ausgehend spiegelt der          dungsträgerinnen und -träger ohnehin recht haben                     meiler nach und nach für immer vom Netz gehen,          Dem Landesverband wünsche ich in Zukunft viel
                    BUND für mich aber auch eine Tradition des kon­         und es sich nicht lohnt, zu argumentieren, zu de-                    tun sich weitere ernstzunehmende Alternativen auf,      Erfolg bei seiner wichtigen Arbeit zum Wohle der
                    struktiven Nein-Sagens sowie der Mobilisierung          battieren und zu streiten. Denn der angestrebte Weg                  die aufgrund der Vormachtstellung der Atomenergie       Menschen und der Natur in Baden-Württemberg.
                    und Stärkung bürgerlichen Engagements wider, die        ist sowieso der beste beziehungsweise alternativlos.                 bislang ein Schattendasein fristeten. Sie tragen dazu
                    ich als Bereicherung für unsere Gesellschaft und                                                                             bei, dass wir unsere Energieerzeugung in nicht allzu
                    ebenso relevant für die Politik empfinde.               Ich bin allerdings davon überzeugt, dass es insbe-                   ferner Zukunft zu hundert Prozent aus erneuerbaren
                                                                            sondere in der Politik immer um Alternativen geht.                   Energien decken können: effiziente Elektrogeräte,
                    In Baden-Württemberg zeigt der Landesverband des        Wenn wir zu allem stets nur „Ja und Amen“ sagen,                     Energie aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft, mo-
                    BUND anhand von konkreten Konzepten, Modellen           wie sollen dann neue Ideen und Konzepte entste-                      derne Speichertechniken und intelligente Netze, um
                    und Strategien Wirtschaft, Wissenschaft, Gesell-        hen? Deshalb gehört für mich das „Nein“ genauso                      nur ein paar Beispiele zu nennen. Ohne ein „Nein“       Winfried Kretschmann
                    schaft und Politik bis heute ernstzunehmende Al-        zur Politik wie das „Ja“. Nur wenn wir die Möglich-                  der Bürgerinnen und Bürger zur damals vorherr-          Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg
                    ternativen zur vorherrschenden menschlichen und         keit haben, das Bestehende abzulehnen, können wir                    schenden politischen Meinung wäre diese Erfolgs-
                    politischen Alltagspraxis zugunsten von Umwelt          Alternativen aufzeigen, eingetretene Pfade verlassen                 geschichte so nie möglich gewesen.
                    und Natur auf.                                          und zu neuen Ufern aufbrechen. Einem „Nein“ müs-
                                                                            sen allerdings zwingend auch immer konstruktive                      Es ist daher auch nicht zielführend, Protestbewegun-
                    Das ist vor allem in der Politik von herausragender     Alternativvorschläge folgen.                                         gen als Neinsager oder Verweigerer zu pauschalisie-
                    Bedeutung. Denn leider werden gerade hier Ent-                                                                               ren. Denn die Demokratie ist nicht dort in Gefahr,
                    scheidungen, Handlungen und Vorhaben allzu oft          Der Landesverband Baden-Württemberg des BUND                         wo Menschen sich einbringen und für ihre Über-
                    damit gerechtfertigt, dass es zu ihnen keine Alterna-   hat sein „Nein“ in der Vergangenheit wie auch in der                 zeugungen sowie Alternativen zur vorherrschenden
                    tivlösungen gibt. Aufkommende Diskussionen, Ein-        Gegenwart mit höchster Durchsetzungskraft umzu-                      politischen Meinung und Praxis einsetzen, sondern
                    wände oder gar ein „Nein“ zu geplanten Vorhaben         setzen gewusst. Mit seinem Engagement im Sinne                       überall dort, wo sie sich von der Demokratie abwen-
                    werden so von vorneherein verhindert.                   eines „zukunftsfähigen Deutschlands“ wirkt er seit                   den und gleichgültig werden.

6   BUND Jubiläumsmagazin 2013                                                                                                                                                                                                                            BUND Jubiläumsmagazin 2013   7
FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg
thema BUND-Erfolgsgeschichte

                                 Eine Erfolgsgeschichte geht weiter

                Fünfzig
              Jahre lang
         treibende Kraft
   Leistungen messbar macht auch die Hartnäckigkeit, mit der
Fragen aufgeworfen werden und nach Antworten gesucht wird.
    „Der BUND versteht sich als die treibende gesellschaftliche
       Kraft für eine nachhaltige Entwicklung in Deutschland“,
 heißt es im verbandseigenen Leitbild. Das Spektrum ist riesig,
      in 50 Jahren sind mannigfaltige Erfahrungen gesammelt,
       der BUND kann auf über 80.000 Mitglieder und Förderer
  bauen und – traditionell – auf die Unterstützung namhafter
                     Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.

                    Avantgarde übersetzt das Wörterbuch mit Vorreiter.      Schwarzwald zerschnitten hätten. Ein anderes Pro-     Gesetz, das Energieversorgungsunternehmen auf           Beispiele von so vielen: „Mit erheblichem Werbe-        Schmetterling-Stand:
                    Bei ungezählten Themen aus dem Natur- und Um-           jekt wollte den Rhein bis zum Bodensee schiffbar      die Redlichkeit ihrer Werbung verpflichten sollte. In   aufwand werden zur Zeit elektrische Wärmepum-           BUND-Ortsverband
                    weltschutz zählt der BUND zur Avantgarde, treibt        machen und für den Rheinfall einen Umgehungska-       einem Brief wird die CDU-Landesregierung schon          pen zur Raumheizung angeboten“, heißt es in einer       Radolfzell im Jahr 2012
                    sie seinerseits voran. Unter anderem illustrieren       nal bauen. Wäre das Wirklichkeit geworden, führen     im Februar 1975 (!) aufgefordert, unverzüglich ein      Stellungnahme aus dem Jahr 1979 (!). Der Arbeits-
                    die sieben landesweit agierenden Arbeitsgruppen         heute täglich Lastkähne über den See. Jeder größere   Energiesparprogramm vorzulegen und in den lan-          kreis Energieeinsparung hat Berechnungen ange-
                    die Kompetenzen: Klimaschutz und Energie, Ver-          Ort hätte seinen Hafen mit Industriebetrieben. Der    deseigenen Energieversorgungsunternehmen um-            stellt und kommt zu dem Ergebnis: „Eine Beheizung
                    kehr, Naturschutz, Wald, Umweltbildung, Ehrenamt,       Bauboom hätte die gesamte Uferlandschaft zerstört.    weltfreundliche Tarife einzuführen. Der nächste Satz    der Wohnräume mit Strom, auch mit elektrischen
                    Streuobst und Rhein. Projekte der vergangenen fünf      Schon Mitte der Siebziger Jahre war von diesen        ist an Aktualität kaum zu überbieten: „Nach den         Wärmepumpen, ist energiepolitisch nicht zu ver-
                    Jahrzehnte haben Baden-Württemberg verändert.           gigan­tischen Einfällen keine Rede mehr. Den Natur-   gegenwärtigen Stromtarifen subventionieren die          treten.“ Ebenso klar ist die Aussage zu elektrischen
                    Auch weil Veränderungen gestoppt und Entwick-           schützern am See war es gelungen, den Wert des        Energiesparer die Energieverschwender.“                 Heizungspumpen mehr als dreißig Jahre später:
                    lungen vorangetrieben wurden, allen voran der von       Bodensees als Naturlandschaft und Erholungsgebiet                                                             Solch eine Heizungspumpe gehöre „häufig zu den
                    der EU beförderte Aufbau eines Netzes von natürli-      im ganzen Land bewusst zu machen. Unter der Regie     „Viele kleine Schritte”                                 größten Stromverbrauchern im Haushalt“. Es gibt
                    chen und naturnahen Lebensräumen verschiedener          des Konstanzer Landrats Ludwig Seiterich begann       Überhaupt blieb die Energiepolitik eines jener          in Baden-Württemberg schätzungsweise rund drei
                    geografischer Regionen, seit langem bekannt als         die Ausweisung zahlreicher Naturschutz- und Land-     immer­grünen Dauerthemen. Im November 1979 legt         Millionen Heizungspumpen. Davon sind 80 Prozent
                    Natura 2000. Dies sei „die Jahrhundertchance für den    schaftsschutzgebiete. Der Bund für Naturschutz        der BUND ein Versorgungskonzept ohne Kernener-          ungeregelt, sie pumpen also unabhängig vom tat-
                    Schutz und die Erhaltung von Pflanzen, Tieren und       Bodensee-Hegau, unser direkter Vorläufer, erarbei-    gie und Erdöl vor, das fordert, die Energieversorgung   sächlichen Bedarf laufend Wasser durch Heizungs-
                    Lebensräumen in Europa“, heißt es in einem Appell       tete gemeinsam mit anderen Naturschützern die         auf erneuerbare Quellen, bessere Eigennutzung und       und Warmwasserrohre. Der gute Rat ist nicht teu-
                    des BUND, und die „sollten wir uns nicht entgehen       Grundlage für insgesamt 40 Unterschutzstellungen.     eine umweltfreundliche Grundlage umzustellen.           er: „Durch den Einbau einer modernen, geregelten
                    lassen“. Deshalb will er sich auch künftig mit allem    Auch die Autobahnpläne wurden ad acta gelegt.         Der damalige SPD-Landesvorsitzende Erhard Eppler        Hocheffizienzpumpe, die bedarfsgerecht arbeitet,
                    Nachdruck für den Naturschutz in den Grenzen des                                                              meldete sich zu Wort: Wichtig sei, dass „viele kleine   werden Stromverbrauch und Stromkosten deutlich
                    Landes und darüber hinaus einsetzen.                    Umweltfreundlichen Tarif gefordert                    Schritte getan werden, um Energie zu sparen und         reduziert. Im Privathaushalt können das bis zu 150
                                                                            Schon die Anfänge waren geprägt von der Energie­      erneuerbare Quellen zu erschließen“. 33 Jahre spä-      Euro pro Jahr sein.“ Bei Investitionskosten von rund
                    Gerade die BUND-Pioniere hatten sich mit schweren       diskussion, nicht nur, aber auch der Vorgänge in      ter bleibt richtig: Allein durch die Umsetzung der      300 Euro rechne sich der Pumpentausch je nach
                    Brocken zu befassen, viele davon muten nicht erst       Wyhl wegen. Der BUND wollte nicht nur das Atom-       wirtschaftlich lohnenden Stromeffizienzmaßnah-          Handwerkerleistung nach rund zwei bis vier Jahren.
                    aus heutiger Sicht fast aberwitzig an. So gab es die    kraftwerk verhindern – was bekanntlich in einem       men würden bis 2020 mehr als zwanzig Prozent des        Dass trotz hoher Rentabilität solche Maßnahmen
                    Idee, in einem riesigen Stollen durch die Schwäbische   zähen, langen und in der Bevölkerung breit veran-     Stromverbrauchs eingespart.                             nicht angegangen werden, „liegt häufig an fehlen-
                    Alb von Überlingen nach Tübingen dem Neckar             kerten Kampf gelang –, sondern legte auch ganze                                                               den Informationen“.
                    Bodenseewasser zuzuleiten, um ihn durchzuspü-           Bündel von Forderungen vor. Zum Beispiel nach         Das unverwechselbare Profil des BUND lässt sich
                    len. Eine Brücke über den Bodensee war geplant,         einem „Berufsverbot für Minister“ in Aufsichtsrä-     auch an der Bereitschaft zur Analyse im Detail und      Informationen sind von Anfang geflossen. Die ersten
                    ebenso etliche Autobahnen, darunter solche, die den     ten gewerblicher Unternehmen. Oder nach einem         zur Präsentation von Alternativen ablesen. Zwei         „Blätter für Natur- und Umweltschutz“ erschienen

8   BUND Jubiläumsmagazin 2013                                                                                                                                                                                                        BUND Jubiläumsmagazin 2013    9
FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg
thema BUND-Erfolgsgeschichte                                                                                                                                                                                                                                        thema BUND-Erfolgsgeschichte

                     1973. Wissenschaftler befassten sich mit dem The-      regierung schwenkten letztendlich ein. Inzwischen
                     ma Umweltschutz im Wasserbau. „Es gibt nur wenige      gesundet der Wald.
                     Eingriffe des Menschen, die so nachhaltig schädlich
                     auf die Umwelt einwirken wie Flussbegradigungen        Sichtbar wird die Dimension der bearbeiteten The-
                                                                                                                                                       Unsere neun Leitsätze
                     und Entwässerungen“, heißt es in ihrem Positionspa-    men in einem ABC der Projekte: von A wie Arten-
                     pier. Verlangt wird unter anderem die Überprüfung      schutz über B wie Biotop-Verbund, E wie Elektro-                        1. Wir stehen für ökologische Erneuerung und nachhaltige Ent-
                     aller Pläne zu Hochwasserschutz und Entwässerung       smog bis hin zu S wie Schmetterlingsland und W                              wicklung: Wir sind die treibende gesellschaftliche Kraft für ökolo-
                     unter ökologischen und ökonomischen Aspekten.          wie Wildkatze. Auf 20.000 grünen Kilometern soll                            gische Erneuerung und nachhaltige Entwicklung in Deutschland.
                     Lange Jahre machte sich der BUND auch um poli-         als Band durch ganz Deutschland ein durchgängi-                             Wir machen unsere zentrale Rolle in diesem Prozess deutlich,
                     tische Transparenz verdient, indem er grundsätzlich    ges Waldsystem geschaffen werden. „Auch wir im                              indem wir unser Profil als der glaubwürdige und in seiner Positio-
                     zu herausragenden Postionen auch die Meinung der       Landes­verband Baden-Württemberg beteiligen uns,                            nierung konsequente Umwelt- und Naturschutzverband schärfen.
                     im Landtag vertretenen Parteien einholte. Im Okto-     um das Rettungsnetz für die Wildkatze, als wohl
                     ber 1997 kam wieder Eppler zu Wort mit der Idee,       größtes Naturschutzprojekt in Mitteleuropa, entste-                     2. Wir setzen uns ein für ein zukunftsfähiges Deutschland: Wir
                     Stromsondertarife für Wohnungs- oder Hausbesitzer      hen zu lassen“, erläutert ein aktueller Aufruf.                             konkretisieren und aktualisieren unsere politischen Forderungen
                     einzuführen, die Sonnenkollektoren nutzen.                                                                                         auf Basis der Leitbilder aus dem „Zukunftsfähigen Deutschland“,
                                                                            Neben den Begegnungen vor Ort und dem BUND-                                 entwickeln innovative Lösungsstrategien und zeigen Wege auf,
                     Dauerbrenner Waldsterben                               magazin ist längst das Internet wichtiger Mittler                           diese umzusetzen. Wir arbeiten an der Weiterentwicklung der
                     Oft spiegeln sich im Engagement des BUND das Land      unter Mitgliedern und Unterstützern. Das Angebot                            Inhalte der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“. Wir verknüp-
                     und seine wirtschaftliche Entwicklung. Als noch        ist so breit gefächert wie der Verband selbst: von                          fen unsere umweltpolitischen Aussagen mit unseren Forderungen
                     niemand von Premiummarken sprach, wenn er Mer-         den Expertenstudien über unzählige Projektinfor-                            nach sozialer Gerechtigkeit und Änderung der Lebensstile.
                     cedes oder Porsche meinte, legte der BUND fundierte    mationen bis zum Ökotipp, von den Adressen der
                     Mobilitätskonzepte vor. Die Verkehrswegeplanung        Anlaufstellen vor Ort bis zur Möglichkeit, eine Mit-                    3. Wir begeistern die Menschen für unsere Ziele: Wir begeistern
                     wurde regelmäßig durchleuchtet, Konzepte für frei-     gliedschaft zu verschenken. „Der Verband und sei-                           die Menschen für ein zukunftsfähiges Deutschland, indem wir
                     willige Temporeduzierungen wurden erarbeitet. Ein      ne Mitglieder haben die Fähigkeit“, schrieb Brigitte                        durch die Verwirklichung konkreter, im Alltag umsetzbarer Pro-        Landesvorstand im Jahr 2011
                     Dauerbrenner der frühen Achtziger war das Thema        Dahlbender zum 40. Geburtstag, „nicht nur Wächter                           jekte die nachhaltige Entwicklung mitgestalten. Wir zeigen den
                     Waldsterben. „Die Situation wird immer prekärer“,      und Mahner zu sein, sondern auch konstruktiv                                Menschen, dass unsere Ziele umsetzbar und erreichbar sind.
                     warnt eine Stellungnahme. Der BUND wurde auch          Lösungen zu entwickeln.“                                                                                                                          7. Wir sind nah bei den Menschen: Wir bieten Menschen in jeder
                     hier Vorreiter und verlangte deutlich schärfere Vor-                                                                           4. Wir handeln von der lokalen bis zur globalen Ebene: Wir sind              Lebensphase die Möglichkeit, sich mit ihren Interessen und Kom-
                     schriften zur Luftreinhaltung. Bundes- und Landes-     Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer                                           in Deutschland auf allen Entscheidungsebenen präsent und be-              petenzen auf allen Ebenen im BUND zu engagieren. Dies reicht
                                                                                                                                                        einflussen so Politik und Gesellschaft. In unserem internationalen        von konkreter praktischer oder organisatorischer Arbeit bis hin zu
                                                                                                                                                        Engagement sind wir in Europa und weltweit als deutsche Sektion           wissenschaftlicher und politischer Arbeit. Wir unterstützen und
                                                                                                                                                        von Friends of the Earth (FoE) aktiv. Wir verstärken unsere um-           fördern dieses Engagement durch die BUNDgruppen vor Ort, un-
                                                                            Klimastaffel 2004 Ditzingen (links)                                         weltpolitische Arbeit auf EU-Ebene in Zusammenarbeit mit den              sere hauptamtlichen MitarbeiterInnen in unseren Einrichtungen
                                                                                                                                                        dort tätigen Akteuren.                                                    und unsere Gemeinschaft von Aktiven auf allen Verbandsebenen.
                                                                            Titelseite BUNDwerkzeug "Wildtierkorridore", eine Anleitung zu                                                                                        Wir unterstützen die eigenständige Arbeit junger Menschen in der
                                                                            Biotopvernetzung und Biotop­verbund. Die Autorin Laura Bollwahn war     5. Wir sind ein erfolgreiches Netzwerk: Wir, der BUND, sind ein              BUNDjugend und verstärken den Austausch zwischen BUND und
                                                                            Leiterin des BUND-Projektes "Rettungsnetz Wildkatze" in BaWü. (Mitte)       starkes Bündnis von Menschen, die sich in Politik, Gesellschaft           BUNDjugend.
                                                                                                                                                        und Wirtschaft für den Umwelt- und Naturschutz engagieren.
                                                                            Zita Sebo˝ aus Ungarn machte das Europäische Freiwilligenjahr im
                                                                            BUND-Umweltzentrum Ulm. (rechts)
                                                                                                                                                        Grundlage für unsere hohe Durchsetzungsfähigkeit ist die akti-        8. Wir sind finanziell unabhängig: Wir sind finanziell unabhängig
                                                                                                                                                        ve Einbindung, Förderung des Engagements und Mobilisierung                durch eine breite, stabile Unterstützerstruktur von Mitgliedern,
                                                                                                                                                        vieler Menschen. Wir vergrößern unsere Schlagkraft und Durch-             SpenderInnen und Förderern. Diese Unabhängigkeit sichern wir
                                                                                                                                                        setzungsfähigkeit durch die aktive Kooperation mit anderen                durch eine gerechte und solidarische Mittelverteilung innerhalb
                                                                                                                                                        Umweltverbänden und anderen gesellschaftlichen Gruppen und                des BUND. Auf dieser Basis erweitern wir unsere finanziellen Mög-
                                                                                                                                                        Institutionen.                                                            lichkeiten und politischen Handlungsspielräume, indem wir Pro-
                                                                                                                                                                                                                                  jektmittel einwerben und mit unterschiedlichen und geeigneten
                                                                                                                                                    6. Wir arbeiten Hand in Hand: Wir sind ein Mitgliederverband und             Partnern zusammenarbeiten.
                                                                                                                                                        arbeiten auf allen Ebenen auf Basis gemeinsam festgelegter Ziele
                                                                                                                                                        und Strategien. Die tragenden Säulen unseres Verbandes sind ein       9. Wir arbeiten an uns und lassen uns an unserem Leitbild mes-
                                                                                                                                                        aktives Ehrenamt und engagierte MitarbeiterInnen. Die Förderung           sen: Wir verstärken unsere Kultur des Vertrauens und der gegen-
                                                                                                                                                        des Freiwilligenengagements im Verband ist für uns eine wichtige          seitigen Anerkennung in unserem Verband. Unsere fachliche und
                                                                                                                                                        Grundlage für die Verbandsentwicklung. Die demokratische und              soziale Kompetenz entwickeln wir stetig weiter. Wir setzen unsere
                                                                                                                                                        föderale Organisation unseres Verbandes ist verbunden mit effi-           personellen und finanziellen Ressourcen effektiv und sorgfältig
                                                                                                                                                        zienten Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen, die sich             ein. Unser Leitbild zur Verbandsentwicklung ist Maßstab unseres
                                                                                                                                                        durch frühzeitige Partizipation auszeichnen.                              Handelns.

10   BUND Jubiläumsmagazin 2013                                                                                                                                                                                                                                          BUND Jubiläumsmagazin 2013    11
FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg
thema Längst nicht alle Anliegen des BUND erfüllt

                                                                          Der frühere Tuttlinger Landrat Guido Wolf (CDU)
                                                                          ist seit Oktober 2011 Präsident des
                                                                                                                                voller Umgang mit Ressourcen, es geht um unsere
                                                                          baden-württembergischen Landtags.                     Lebensgrundlagen. Insofern ist der BUND sowohl –
                                                                                                                                getreu seinem Motto zu Gründerzeiten – „Anwalt
                                                                                                                                der Natur“ als auch Anwalt für die Gesundheit und
                                                                                                                                für die Lebensqualität künftiger Generationen. Da-
                                                                                                                                für möchte ich dem Landesverband im Namen aller
                                                                                                                                Abgeordneten des Landtags von Baden-Württem-
                                                                                                                                berg aufrichtig Dank sagen und allen Beteiligten
                                                                                                                                zum „runden Geburtstag“ die besten Wünsche über-
                                                                                                                                mitteln.

                                                                                                                                Auch der Landtag profitiert vom Engagement des
                                                                                                                                BUND. Nicht nur, dass dieser Umweltverband mit           Vielfalt erhalten –
                                                                                                                                seinem Know-how ein geschätzter Gesprächspart-
                                                                                                                                ner der Landespolitik ist. Nein, auch ganz konkret:
                                                                                                                                Im Rahmen des BUND-Projekts „Schmetterlingsland
                                                                                                                                                                                           Falter schützen
                                                                                                                                Baden-Württemberg“ zum Beispiel. So soll – abge-
                                                                                                                                stimmt mit den Umbauplänen des Landtags – in der
                                                                                                                                Umgebung des Parlamentsgebäudes eine rechtecki-
                                                                                                                                ge Fläche mit einer Schmetterlings-Wildblumenwie-
                                                                                                                                se eingesät werden. Vorgesehen sind des Weiteren
                                                                                                                                vier Wechselflorbeete, die mit mediterranen Stauden
                                                                                                                                wie Thymian und Lavendel bepflanzt werden und
                                                                                                                                als „Nektartankstelle“ für Schmetterlinge dienen
                                                                                                                                können. Besucherinnen und Besucher sollen sich
                                                                                                                                mittels Infotafeln über Sinn und Zweck dieses Pro-
                                                                                                                                jekts informieren können.

                     Grußwort von Landtagspräsident Guido Wolf                                                                  50 Jahre BUND Baden-Württemberg – ich wünsche
                                                                                                                                all seinen Pionieren, Mitgliedern und Förderern,
                     Längst nicht alle Anliegen                                                                                 dass sie ihre Ziele weiterhin mit Idealismus, Kreati­
                                                                                                                                vität, Selbstbewusstsein und vor allem Beharrlichkeit
                     des BUND erfüllt                                                                                           verfolgen. Der BUND wird gebraucht: als Mahner
                                                                                                                                und Warner im Dienst von Natur und Umwelt in der        www.schmetterlingsland.de
                                                                                                                                Öffentlichkeit ebenso wie als Lobby für ökologische
                     Es gibt Erfolgsgeschichten, die kann man nicht       chenfraß, um nur einige Entwicklungen zu nennen,      Anliegen bei Behörden und in den Parlamenten,
                     übersehen. Die des BUND zählt zweifellos dazu. Sie   denen es entgegenzuwirken gilt. Tatkräftig, konse-    gleich welcher Ebene.                                     BUND Baden-Württemberg
                     begann 1963 mit der Gründung des „Bund für Na-       quent, nachhaltig.
                     turschutz Bodensee-Hegau“. Aus diesem ging dann
                                                                                                                                                                                          Spendenkonto Nr. 4 088 100
                     1973 der Landesverband Baden-Württemberg her-        „Lassen Sie uns alles daransetzen, dass wir der                                                                 BLZ 692 500 35
                     vor. Zwei Jahre später entstand der Bundesverband.   nächsten Generation, den Kindern von heute, eine                                                                Sparkasse Singen-Radolfzell
                     Diese nunmehr 50-jährige Erfolgsgeschichte lässt     Welt hinterlassen, die ihnen nicht nur den nötigen                                                              Stichwort:
                     sich ganz einfach auf einen Nenner bringen: Ohne     Lebensraum bietet, sondern auch die Umwelt, die
                     die überparteiliche Bürgerbewegung BUND wäre es      das Leben erlaubt und lebenswert macht“, hat Alt-
                                                                                                                                                                                          Schmetterlingsschutz
                     um Natur und Umwelt heute deutlich schlechter be-    Bundespräsident Richard von Weizsäcker einmal         Guido Wolf MdL
                     stellt.                                              gesagt. Damit ist im Wesentlichen der Anspruch de-    Präsident des Landtags von Baden-Württemberg
                                                                          finiert, der dem Handeln des BUND zugrunde liegt.
                     Das soll aber nicht heißen, dass auf diesem Ge-
                     biet alles in Ordnung und sämtliche Anliegen des     Mit Projekten und Aktionen will der BUND seinen
                     BUND erfüllt wären. Ganz im Gegenteil, an Aufga-     spezifischen Beitrag dazu leisten, Natur und Umwelt
                     ben und Herausforderungen herrscht kein Mangel.      zu bewahren. Artenschutz, die Reinhaltung von Luft
                     Klimawandel, Bedrohung der Biodiversität und Flä-    und Wasser, sinnvolle Ernährung, verantwortungs-

12   BUND Jubiläumsmagazin 2013                                                                                                                                                                       BUND Jubiläumsmagazin 2013   13
FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg
thema Biosphärengebiet Schwäbische Alb                                                                                                                                                                                            thema Biosphärengebiet Schwäbische Alb

                                                                                                                                          und Siedlungsdruck sind hoch. Sehr viele und immer
                                                                                                                                          mehr kleinteilige Maßnahmen können aber großflä-
                                                                                                                                                                                                                                     Michael Spielmann
                                                                                                                                          chigen Naturschutz nicht ersetzen, weil bestimmte
                                                                                                                                                                                                                                     Der Diplom-Politologe und studierte
                                                                                                                                          Prozesse auf kleinen Flächen gar nicht erst in Gang
                                                                                                                                                                                                                                     Volkswirtschaftler Michael Spielmann
                                                                                                                                          kommen. Das machen sich viele Leute nicht klar. In
                                                                                                                                                                                                                                     war viele Jahre in führenden Positionen
                                                                                                                                          kleinteiligen Gebieten sind die Störungen meist zu
                                                                                                                                                                                                                                     beim BUND tätig, zwischen 2001 und
                                                                                                                                          groß, um etwa Luchs oder Wildkatze Lebensraum
                                                                                                                                                                                                                                     2008 als Geschäftsführer des Landes-
                                                                                                                                          zu erhalten oder zu schaffen. Die brauchen einige
                                                                                                                                                                                                                                     verbands Baden-Württemberg. Danach
                                                                                                                                          tausend Hektar. Ein zweites Beispiel sind die von
                                                                                                                                                                                                                                     war er Vorstandssprecher der Heinz-
                                                                                                                                          intensiver landwirtschaftlicher Nutzung unbeein-
                                                                                                                                                                                                                                     Sielmann-Stiftung. Seit Januar 2012 ist
                                                                                                                                          trächtigten Flächen. Auf der Schwäbischen Alb gibt
                                                                                                                                                                                                                                     Spielmann Bundesgeschäftsführer der
                                                                                                                                          es Gebiete von fast mittelalterlichem Charakter, von
                                                                                                                                                                                                                                     Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH).
                                                                                                                                          einer unglaublichen musealen Schönheit, die bun-
                                                                                                                                          des-, wahrscheinlich sogar europaweit einmalig ist.

                                                                                                                                          So gesehen war der Truppenübungsplatz, genauer
                                                                                                                                          gesagt seine Stilllegung, ein Glücksfall?                die vor allem Gegenargumenten nicht feindselig be-
                                                                                                                                          Spielmann: Das ist ja eine Ironie der Geschichte.        gegnen, die jemanden nicht für blöd erklären, nur
                                                                                                                                          Ohne diese nicht aus Menschenfreundlichkeit und          weil er anderer Meinung ist. Das ist für alle, die
                                                                                                                                          Naturliebe angelegten Flächen wäre Naturschutz           ernsthaft Überzeugungsarbeit leisten, ein wichtiger
                                                                                                                                          in der Form wie auf der Schwäbischen Alb meist           Charakterzug.
                                                                                                                                          gar nicht möglich. Wir verdanken der Bundeswehr
                                                                                                       Biosphärengebiet Schwäbische Alb   letzte große Flächen, auf denen sich die intensive       Sie waren mit Ihrer Überzeugungsarbeit sehr erfolg-
                                                                                                                                          Landnutzung nicht durchgesetzt hat. Diejenigen, die      reich.
                      Michael Spielmann: „Wir haben viel erreicht”                                                                        Truppenübungsplätze angelegt haben, waren keine          Spielmann: Auf der Alb oder prinzipiell?
                                                                                                                                          Naturschützer, aber wir können heute auf ihre Hin-

                      Wo einst die Truppen übten                                                                                          terlassenschaften zurückgreifen.

                                                                                                                                          Dennoch gab es jetzt Menge Hürden?
                                                                                                                                                                                                   Sowohl als auch.
                                                                                                                                                                                                   Spielmann: Bei aller Bescheidenheit: Beides stimmt.
                                                                                                                                                                                                   Die Umweltbewegung fühlt sich oft als Verliererin der
                                                                                                                                          Spielmann: Naturschutz muss für „normale“ Men-           Entwicklung. Dabei ist in den vergangenen zwanzig
                                                                                                                                          schen verständlich gemacht werden. Der BUND              Jahren unheimlich viel erreicht worden. Inhaltlich,
     Naturschutz für normale Menschen, wie er sagt, zu erklären,              Oettinger ist da ganz anders herangegangen, uni-            war und ist Teil der Erfolgsgeschichte, ebenso aber      aber auch prinzipiell. Dem BUND ist zu verdanken,
          ist eines der großen Anliegen von Michael Spielmann.                deologisch und am Ergebnis orientiert. Es passt zu          auch das Engagement vieler Einzelner. Wir sind hier      dass der Naturschutz, der oft mit Attributen verbun­
                                                                              ihm, dass er in seiner Regierungserklärung von dem          sinnbildlich Zwerge, die auf den Schultern von Rie-      den wurde wie konservativ oder modernisierungs-
           Im Interview mit Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer                 Biosphärenreservat auf der Schwäbischen Alb als             sen stehen. Ich nenne nur stellvertretend für viele      feindlich, aus dieser Ecke herausgekommen ist. Heute
                    berichtet er vom jahrelangen Ringen um das                einem Leuchtturmprojekt gesprochen und die Reali-           Günter Künkele aus Bad Urach und Markus Rößler,          gibt es eine moderne Umwelt- und Naturschutz-
         Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Und er erläutert –                 sierung ermöglich hat.                                      der jetzt als Grünen-Abgeordneter im Landtag sitzt.      bewegung, wobei die Schwerpunkte gerade in der
                                                                                                                                          Ohne deren jahrelanges Engagement wäre auch der          Energiepolitik oder in Klimaschutz liegen. Das sind
      auch mit Blick auf den Nationalpark Nordschwarzwald –,                  Um die eher semantische Frage gleich abzuräumen:            BUND nicht so vorangekommen bei seiner Überzeu-          fassbare Themen, während der klassische Naturschutz
                warum großflächiger Naturschutz so wichtig ist.               Reservat oder Gebiet?                                       gungsarbeit. Wir haben zahlreiche Veranstaltung          weiterhin viel stärker mit Legitimationsproblemen
                                                                              Spielmann: Das ist einerseits wieder typisch Baden-         gemacht, um zu informieren und Vorurteile auszu-         zu kämpfen hat.
                                                                              Württemberg - es sollte kein Reservat sein, sondern         räumen. Wir wollten vor Ort die Leute davon über-
                      Was hat die Schwäbische Alb und damit das Land          ein Gebiet. Und so ist ja auch die Bezeichnung im           zeugen, dass das Gebiet eine große Chance für die        Die worin bestehen?
                      Günther Oettinger zu verdanken?                         Gesetz. Andererseits vermindert der Begriff Gebiet          Region ist und dass Naturschutz eben auch ökono-         Spielmann: Naturschutz hat kein klares Leitbild.
                      Spielmann: Einiges, weil es Günther Oettinger ge-       die Akzeptanzprobleme. ‚Wir sind doch keine Indi-           mische Chancen eröffnet. Wir haben sehr viel über        Was will er eigentlich? Da jeden Baum wachsen
                      lungen ist, die Blockade im Naturschutz aufzubre-       aner‘, das habe ich immer wieder gehört, wenn wir           Ängste und Befürchtungen geredet und immer mehr          lassen und dort Bäume wegschlagen, um Trocken-
                      chen. Unter Ministerpräsident Erwin Teufel wurden       für das Biosphärenreservat geworben haben. Viele            Unterstützung erfahren.                                  rasengebiete zu schützen. Wenn sich drei Natur-
                      vor allem der großflächige Naturschutz, Themen          hatten Assoziationen mit einem Zoo oder mit einer                                                                    schützer treffen, gibt es vier Meinungen – dieser
                      wie Biosphärenreservat oder Nationalpark hochi-         Glaskugel, die über Teile der Schwäbischen Alb ge-          Die Politik des Gehörtwerdens, bevor sie erfunden war.   Spruch hat einen sehr wahren Kern. Welche Tier-
                      deologisch diskutiert. Baden-Württemberg hat sich       stürzt wird. Da macht der Begriff Gebiet manches            Spielmann: Ich will jetzt nicht in die übliche und       oder Pflanzenart gibt in welchem Projekt den Takt
                      einen Sonderweg geleistet mit dem Tenor ‚Wir ma-        leichter.                                                   auch durchaus berechtigte Kretschmann-Lobens-            an? Naturschützer stehen vor objektiven Problemen
                      chen keinen großflächigen Naturschutz, sondern                                                                      hymne einstimmen. Aber wahr ist, dass der baden-         oder haben mit Widersprüchen zu kämpfen. Und das
                      wir machen viele kleine Projekte‘. Ich will das nicht   Was ist die größte Errungenschaft?                          württembergische Ministerpräsident ein guter Ver-        merken unsere Gegner sofort. Es ist keine moralische
                      kleinreden, da waren viele schöne Modellversuche        Spielmann: Wir in Baden-Württemberg haben rela-             treter einer bestimmten Art von Menschen ist. Die        Frage, kein einheitliches Leitbild zu haben, aber es
                      darunter, aber die sind kein vollwertiger Ersatz.       tiv wenige unzerschnittene Gebiete. Straßendichte           im Zustimmungsfall nicht sofort Juhu schreien und        eröffnet eine Flanke.

14    BUND Jubiläumsmagazin 2013                                                                                                                                                                                                                BUND Jubiläumsmagazin 2013     15
FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg
thema Biosphärengebiet Schwäbische Alb                                                                                                                                                                                                                              thema Biosphärengebiet Schwäbische Alb

                                                                                                                                                            Für gewöhnlich wird aber mit Einschnitten argumen-                ermöglicht. Das ist eben diese paradox klingende
                                                                                                                                                            tiert. Reutlingen und Metzingen sind Teil des Schutz-             Chance, dass dort, wo die Belastungen größer sind,
                                                                                                                                                            gebiets auf der Schwäbischen Alb. Wie passt das zu                den Menschen besser gezeigt werden kann, wie die-
                                                                                                                                                            den langen Autoschlangen vor Outlet-Centern?                      ses Leben im Einklang mit der Natur funktionieren
                                                                                                                                                            Spielmann: Es ist ja die Besonderheit der Kategorie               kann. Das Lammfleisch wird verkauft, mit Lamm-
                                                                                                                                                            Biosphärengebiet, im Unterschied etwa zum Natio­                  wolle wird gedämmt. Die Wertschöpfung entsteht,
                                                                                                                                                            nalpark, dass auch in stark belasteten Regionen                   weil es Abnehmer gibt. Das ist in Thüringen, um
                                                                                                                                                            Menschen im Einklang mit der Natur leben und                      bei diesem Beispiel zu bleiben, deutlich schwieri-
                                                                                                                                                            wirtschaften können sollen. In diesen Gebieten gibt               ger. Erfolgreiche Vermarktung von Produkten wird
                                                                                                                                                            es Schmutzecken, sozusagen, aber in diese Schmutz-                zum wichtigen Standbein beim Naturschutz. Es wird
                                                                                                                                                            ecken ragt die Entwicklung hinein. Der heutige                    weiter Widersprüche geben, wie vor den Outlets in
                                                                                         begebiet ist ein Eingriff, Arbeitsplätze sind wichtig.             CDU-Fraktionschef und damalige Landwirtschafts-                   Metzingen. Aber die Käufer, die dort Schlange ste-
      Vom Truppen­    Was schafft Abhilfe?                                               Aber wo wir wirtschaften, da gibt es oft keine Bio-                minister Peter Hauk hat einmal in einer Diskussions-              hen, finanzieren die Landschaftspflege auf der Alb
     übungsplatz zu   Spielmann: Das große Leitbild auf kleine herunter-                 diversität. Wenn wir eine Fläche sich selbst überlas-              runde argumentiert, in Thüringen sei großflächiger                mit. Und genau dieses Zusammenspiel bringt uns
einer parkähnlichen   brechen. Was allerdings noch keine Antwort auf                     sen, kann dort niemand Kartoffeln ernten. Es gibt                  Naturschutz gut möglich, in Baden-Württemberg                     entscheidend voran.
   Weidelandschaft
                      das zweite, regelrecht epochale Problem ist. Die Ge-               keinen goldenen Weg, dieser Erkenntnis müssen wir                  aber nicht. Ich drehe das genau herum. Gerade in
                      schichte der Menschheit ist eine Geschichte der Zäh-               uns stellen. Es gibt aber Zusammenhänge, die über-                 stark belasteten Regionen ist Naturschutz nötig, ge-
                      mung und Störung der Natur. Wir brauchen Nah-                      zeugen. Die Schwäbische Alb zieht neue Gruppen                     rade in stark belasteten Regionen mit ihrer Wirt-
                      rung und wollen nicht frieren. Wir haben die Natur                 von Touristen an, bestimmte neue Angebote, zum                     schaftsprosperität schließt sich aber auch der Kreis.
                      klein gemacht. Und jetzt müssen wir umsteuern und                  Beispiel Lammfleisch, werden erfolgreich vermark-                  Hier finde ich Abnehmer für etwas teurere Produkte.
                      es dialektisch hinbekommen, die Natur unter Wah-                   tet. So sorgt Naturschutz auch für neue Qualität und               Hier habe ich ein Einzugsgebiet, das eine veränderte
                      rung unserer Interessen zu schützen. Jedes Gewer-                  wirtschaftlichen Erfolg.                                           Form des Tourismus der kurzen Wege auf die Alb

                      Die Mischung macht’s
                      Hang- und Schluchtwälder: Hier entwickelt sich Natur frei          Alb erhalten, die Wacholderheide. Sie ist das Ergebnis einer       – durchzieht den Norden des Biosphärenreservates. Tausende von        Schäferei Stotz und der Firma ‚Flomax Naturmode‘. Die Firma bezog
                      Die Schwäbische Alb wurde sehr früh, bereits in der Jungstein-     jahrhundertealten Bewirtschaftungsform, der Schafbeweidung.        Kirsch-, Apfel-, Birnen- und Walnussbäumen schaffen eine Land-        viele Jahre lang Wolle aus Südamerika, um sie auf der Schwäbi-
                      zeit, besiedelt. Der Jahrtausende währende Einfluss des Men-       Ohne Beweidung würde auf den steilen Karsthängen längst            schaft mit intensiven Farben und Düften sowie einer unglaublich       schen Alb zu Pullovern, Jacken und Mützen zu verarbeiten. Seit
                      schen hat in der Region Spuren hinterlassen. Entstanden ist eine   wieder Wald wachsen. 16 Schäfereibetriebe treiben noch heu-        reichen Tier- und Pflanzenvielfalt.                                   zwei Jahren kooperiert sie mit der benachbarten Schäferei Stotz.
                      vielfältige Kulturlandschaft mit einem reizvollen Mosaik aus       te alljährlich etwa 30.000 Schafe über das Offenland des ehe-      Bis zu 5.000 Arten finden sich in diesem Lebensraum, voraus-          Ohne eine anfängliche Förderung würde die Wolle heute aber wohl
                      Wald und Offenland. Vom Menschen unberührte Natur ist hin-         maligen Truppenübungsplatzes Münsingen. Sie verkaufen das          gesetzt, die Wiesen werden nur selten gemäht und maßvoll ge-          eher nicht aus der Region kommen. Denn die Wollverarbeitung
                      gegen selten geworden. Frei entwickeln kann sich die Natur der-    Fleisch der Lämmer und Schafe an die Gastwirte in der Region,      düngt. Auch hier gewinnen sowohl die Natur als auch der Mensch        wurde in Deutschland auf Grund des Preisverfalls der Wolle seit
                      zeit lediglich in den Hang- und Schluchtwäldern des Albtraufs      aber auch an muslimische Mitbürger. Die Wollnutzung ist bis        in gleichem Maße. Die Palette der Streuobstprodukte reicht von        langem nicht mehr praktiziert. Das Verfahren, größere Mengen
                      und seiner Seitentäler sowie in den klassischen Kuppenwäldern      auf wenige Ausnahmen unrentabel geworden.                          Kirschlikör und Apfelschaumwein über Fruchtsäfte und Most bis         qualitativ hochwertiger Wolle zu verarbeiten, musste daher erst
                      der „Kuppenalb“. Diese verstreuten Restbestände an Wildnis sind    Durch den selektiven Verbiss der Schafe entstehen Kalkmager-       hin zu Brotaufstrichen. Immer mehr Gaststätten der Region bie-        neu etabliert und optimiert werden, bevor das Experiment erfolg-
                      in den Kernzonen des Biosphärenreservats unter Schutz gestellt.    rasen – ein idealer Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenar-   ten Streuobst-Gerichte an. Diverse Veranstaltungen rund um die        reich war. Seither kann die Schäferei Stotz nicht nur das Fleisch,
                      Sie nehmen insgesamt rund drei Prozent der Fläche ein. Die Wäl-    ten. Kräuter wie Feldthymian, Wilder Majoran und Echtes Lab-       Fruchtvermarktung – wie Most-, Kirschen- oder Zwetschgenfeste         sondern auch die Wolle ihrer Tiere verkaufen. Flomax dagegen pro-
                      der befinden sich im Eigentum von Kommunen, des Landes Ba-         kraut überziehen zu Tausenden weite Flächen. Sie sind wichtige     – bringen die Menschen aus der Region zusammen. Über Wander-          fitiert von der großen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die ihr
                      den-Württemberg und der Bundesrepublik Deutschland. In den         Nahrungspflanzen für verschiedene Schmetterlingsarten, bei-        und Radwege sind die Streuobstwiesen frei zugänglich und zu allen     seit dem Umstieg auf regionale Wolle zuteil wurde.
                      Wäldern im Donntal dominieren Buche, Esche und Bergahorn           spielsweise für den Schwalbenschwanz. Zu den seltenen Pflan-       Jahreszeiten ein genussreiches Reiseziel. Lehrpfade, Schaugärten      Die enge Kooperation des Biosphären-Managements mit den Ge-
                      den Bestand. Das Waldgebiet wurde 1995 als Bannwald aus-           zen gehören unter anderen der Frühlingsenzian, das Gemeine         und Museen ergänzen das Angebot für die Gäste.                        werbetreibenden der Region zeigt sich auch in der „Partner-Initi-
                      gewiesen und damit erst seit weniger als zwei Jahrzehnten aus      Katzenpfötchen und die Mond-Raute. Rotmilane kreisen über                                                                                ative“. Qualitäts- und Umweltstandards sorgen für ein einheitlich
                      der Nutzung genommen. Die Bäume sind relativ jung (rund 70         die sanft geschwungenen Kuppen, und sogar die seltene Heide-       Regionale Wertschöpfungsketten in der Entwicklungszone                hohes Niveau bei den beteiligten Partnerbetrieben. Sie zeichnen
                      bis 130 Jahre), die Totholz-Mengen eher gering. Der Unterschied    lerche und der Neuntöter finden hier ideale Lebensbedingungen.     Die Entwicklungszone im Biosphärenreservat Schwäbische Alb            sich durch die hohe Qualität ihrer Produkte und ihres Services aus,
                      zum Wirtschaftswald ist also noch wenig ausgeprägt. Dennoch        Die markierten Wege dürfen dabei nicht verlassen werden, zu-       nimmt rund 55 Prozent der Gebietsfläche ein. Gewerbe, Dienstleis-     leisten einen Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft und engagie-
                      hinterlässt ein Besuch einen bleibenden Eindruck von einem Wald,   mal noch immer erhebliche Munitionsreste im Boden lagern.          tungsbetriebe und Industrie sind hier angesiedelt, ein Großteil der   ren sich als Botschafter des Biosphärengedankens.
                      der sich ohne menschlichen Einfluss entwickeln kann.               Seit dem Abzug der Truppen Ende 2005 verwaltet der Bun-            Bevölkerung wohnt hier. Es gibt keinerlei Einschränkungen, dafür
                                                                                         desforst die gesamte Fläche. Doch nicht nur Schafe tragen zur      Unterstützung für ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltige       Quelle: www.europarc.org. Das Biosphärengebiet Schwäbische Alb
                      Pflegezonen: Vielfalt durch extensive Nutzung                      Landschaftspflege bei, sondern beispielsweise auch die Büf-        Wirtschaftsformen. Innovative Ideen zur Stärkung regionaler Wirt-     gehört zur Föderation EUROPARC, die 1973 gegründet wurde. Seit-
                      Rund 42 Prozent der Gebietsfläche sind als Pflegezone ausge-       felherde in Hohenstein. Ein Band von Streuobstwiesen – ein         schaftskreisläufe und Wertschöpfungsketten werden gefördert.          her hat sie sich zu Europas größtem Schutzgebietsnetzwerk entwi-
                      wiesen. Hier wird eines der Markenzeichen der Schwäbischen         weiteres prägendes Landschaftselement der Schwäbischen Alb         So entstehen Kooperationen, wie beispielsweise die zwischen der       ckelt, mit zurzeit über 420 Mitgliedern in 35 Ländern.

16   BUND Jubiläumsmagazin 2013                                                                                                                                                                                                                                                     BUND Jubiläumsmagazin 2013   17
FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg
thema Nationalpark

                                                                                                                                                                                        Das Wildseemoor bei Kaltenbronn:
                                                                                                                                                                                        Das größte Hochmoor Deutschlands liegt im Suchgebiet.

                                                                                                                                                                                        pro Jahr weniger zur Verfügung – im ganzen Land
                                                                                                                                                                                        werden aber alljährlich zwischen sieben und zehn
                                                                                                                                                                                        Millionen eingeschlagen; allein im Staatswald sind
                                                                                                                                                                                        es rund 2,5 Millionen.

                                                                                                                                                                                        Zudem liegen ermutigende Erfahrungen aus an-
                                                                                                                                                                                        deren Regionen vor, etwa vom Bayerischen Wald,
                                                                                                                                                                                        wo sich Anfang der Achtziger Jahre die ärmsten
                                                                                                                                                                                        Landkreise des Freistaats zusammentaten. Seither
                                                                                                                                                                                        profitiert das ganze Gebiet. Die Statistik untermau-
                                                                                                                                                                                        ert diese Bilanz. So hat die EU eine Wertschöpfung
           Erste entscheidende Weichen sind gestellt: „Für die und mit den Menschen“                                                                                                    von 2500 Euro pro Jahr und Hektar errechnet. Do-
                                                                                                                                                                                        kumentiert ist auch der Aufschwung vor allem in

          Endlich ein
                                                                                                                                                                                        den ersten zehn Jahren nach der Eröffnung. Wäh-
                                                                                                                                                                                        rend das Tourismusaufkommen zwischen 1982 und
                                                                                                                                                                                        1992 in Bayern um 20 Prozent stieg, waren es in
                                                                                                                                                                                        den Nationalparkgemeinden 67 Prozent. Und eine
                                                                                                                                                                                        Studie der Uni Passau belegt über achttausend Voll-

          Nationalpark
                                                                                                                                                                                        zeitarbeitsplätze, die neu entstanden und dauerhaft
                                                                                                                                                                                        sind.

                                                                                                                                                                                        Solche und andere Argumente allerdings zählten
                                                                                                                                                                                        und zählen wenig. Gegner wollen allein über die
                                                                                                                                                                                        grundsätzliche Ablehnung, nicht aber über Kom-
                                                                                                                                                                                        promisse diskutieren, einige – wie der ehemalige
                                                                                                                                                                                        ZDF-Moderator Alexander Niemetz – kühlten ihr
                                                                                                                                                                                        Mütchen an den Grünen und Naturschutzverbän-
                                                                                                                                                                                        den („Tugendterrorismus“). Die FDP will – ganz
                                                                                                                                                                                        anders als bei Stuttgart 21 – allein die betroffene
          Auf eine Herausforderung, sagte Baden-Württembergs                müsse aber die Politik treffen. Kretschmann hat        Herbst 2012 sind 64 Prozent der Baden-Württem-       Bevölkerung entscheiden lassen, was rechtlich gar
     Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Jahreswechsel               einen Zeitplan vorgegeben: Bis Jahresende solle        berger für die Einrichtung eines Nationalparks und   nicht möglich ist. Der Nationalpark wird als Pres-
                                                                            das notwendige Gesetz „vom nach unserer Verfas-        nur 30 dagegen.                                      tigeprojekt der Grünen hingestellt. Stimmt nicht,
      2013, freue er sich besonders: die Umsetzung der Pläne für            sungsordnung allein für das Verfahren zuständigen                                                           sagt nicht nur der Minister ein ums andere Mal:
               einen Nationalpark im Nordschwarzwald. Der wird              Landtag“ verabschiedet sein.                           0,7 Prozent der Landesfläche                         „Der BUND, alle Naturschutzverbände und sehr
         inzwischen immerhin von einer Zweidrittelmehrheit der                                                                     Die Befürworter, allen voran der Ministerpräsident   viele Befürworter-Gruppen machen sich seit An-
                                                                            Der vor allem von bestimmten wirtschaftlichen          selber, appellieren, die Dimensionen im Blick zu     fang der Neunziger Jahre stark für ein Großschutz-
                         Bürgerschaft im Südwesten befürwortet.             und parteipolitischen Interessen motivierte Wider-     behalten: Es geht um 0,7 Prozent der Landesfläche.   gebiet.“ Außerdem fand die grün-rote Landesre-
                                                                            stand ist jedoch ungebrochen. Bei sechs öffentli-      Über einen Nationalpark könne „nur vernünftig        gierung bei Amtsantritt umfangreiche Vorarbeiten
                       1200 Seiten stark ist das Papier, das Landesge-      chen Veranstaltungen in den vergangenen Wochen         diskutieren, wer diese Größenordnung fair bewer-     sogar der CDU/FDP-Koalitionen vor.
                       schichte schreiben wird. In einem ausführlichen      sollten immer wieder Lautstärke und Aggression         tet“, sagt Kretschmann. Der zuständiger Minister
                       Gutachten, basierend auch auf nicht weniger als      der Gegner suggerieren, dass die Mehrheit im La-       Alex Bonde legt ebenfalls mit Zahlen nach, die die   Längst wissen nicht nur Insider: Aus 17.000 Hektar,
                       rund 4000 Fragen aus der Region und von Be-          ger der Neinsager stehe. Umfragen und Studien          über Monate mit so großer Vehemenz vorgetrage-       allesamt im Staatsbesitz, sollen am Ende 10.000
                       troffenen, wird das Für und Wider eines Groß-        besagen das Gegenteil. Sieben paritätisch besetzte     nen Gegenargumente zurechtrücken sollen. Nach        Hektar rund um Ruhestein und Ochsenkopf ausge-
                       schutzgebietes im Nordschwarzwald abgewogen.         Arbeitskreise urteilten positiv, und landesweit gibt   den Berechnungen der Gutachter stehen der regi-      sucht und zum ersten Nationalpark im Südwesten
                       Die Signale stehen eindeutig auf Grün. Die politi-   ohnehin es eine mehrheitliche Zustimmung. Nach         onalen Sägeindustrie ohne Ausgleichsmaßnahmen        werden. Der BUND fordert von der Landesregie-
                       sche Entscheidung, so die Gutachter ausdrücklich,    einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen vom          und rein rechnerisch 26.660 Erntefestmeter Holz      rung, ihn „mit einer attraktiven Infrastruktur für

18     BUND Jubiläumsmagazin 2013                                                                                                                                                                                                               BUND Jubiläumsmagazin 2013   19
thema Nationalpark                                                                                                                                                                                                                                                                  thema Nationalpark

                     naturverträglichen Tourismus einerseits und die                gegen das Ziel ökologischer Unversehrtheit zu Fel-             die Fortsetzung. Rein wissenschaftlich betrachtet               „Ein Blick über den Tellerrand Baden-Württembergs hinaus zeigt ganz eindeutig:
                     Naturwaldforschung andererseits auszustatten“.                 de, zwar fürchten noch immer Anrainergemeinden                 könnte – andere sagen: müsste – jetzt eine neue in-             Nationalparks sind ein Gewinn für Mensch und für die Natur.“
                     Nötig sind dafür aus seiner Sicht unter anderem                um Entwicklungschancen und Unternehmer um die                  tensive Phase der Beteiligung und des Interessens-              Dr. Markus Rösler, der naturschutzpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, macht
                     gut ausgebildete Nationalparkführerinnen und                   Attraktivität von Standorten. Dennoch stehen Teile             ausgleichs starten. Zugleich aber berichten Land-,              sich seit vielen Jahren für den Nationalpark Nordschwarzwald stark.
                     -führer, Informationszentren mit attraktiven Aus-              der CDU mittlerweile im Lager der Befürworter. Da-             Kreis- und Gemeinderäte, dass viele Menschen vor
                     stellungen, besondere Naturerlebnisangebote und                runter sind klingende Namen aus der Region, und                Ort auf eine Entscheidung drängen. Außer­      dem              „Wir setzen uns für die Einrichtung eines Nationalparks Schwarzwald ein – aus
                     Wege für alle, die sich leise durch die Landschaft             sogar frühere CDU-Granden werben für den Natio-                möchte Grün-Rot das Vorhaben in dieser Legisla-                 Verantwortung für die Schöpfung und als Beitrag zur Förderung der Wirtschaft
                     bewegen beim Wandern, Reiten, Fahrradfahren,                   nalpark, zum Beispiel der erste Umweltminister im              turperiode unumkehrbar machen. Ein Ausgleichs-                  im Schwarzwald. Wir sind der Überzeugung, dass die Natur, die Menschen und die
                     Lang- oder Schneeschuhlaufen. Außerdem dürf-                   Südwesten Erwin Vetter.                                        verfahren, das seinen Namen verdient, könnte aber               Wirtschaft einen neuen, kraftvollen Impuls verdient haben.“
                     ten „die Kosten – immerhin mehrere Millionen pro                                                                              Jahre dauern. Kretschmanns Faustregel, für Betei-               Erklärung von Christdemokraten pro Nationalpark. Zu den Erst-Unterzeichnern gehört
                     Jahr insbesondere für Nationalpark-Arbeitsplätze               Einmaliger Dialogprozess                                       ligungsprozesse, lautet „Gehört heißt nicht erhört“.            der frühere baden-württembergische Umweltminister Erwin Vetter (CDU), einer der
                     – nicht zu Lasten anderer Naturschutzaufgaben                  Um die Bürgerschaft zu überzeugen, fanden in den               Und die gilt auch im Nordschwarzwald. Im Gesetz-                politischen Väter der Idee. Er hatte sich bereits vor mehr als zwanzig Jahren für einen
                     des Landes“ gehen. Wie groß der Nachholbedarf                  vergangenen eineinhalb Jahren gut 150 Veran-                   gebungsverfahren könnte die Anhörung um eine                    Nationalpark im Nordschwarzwald eingesetzt.
                     ist, zeigen Vergleichszahlen. In ganz Deutschland              staltungen statt, 120.000 Haushalte wurden ange-               neuerliche Beteiligung der Bürgerschaft erweitert
                     gibt es 14 solcher Gebiete, die Eingriffen durch den           schrieben und eben jene rund 4000 Einzelfragen                 werden. Auch aus Stuttgart 21, so der Minister-                 „Touristen wollen nicht über Totholz steigen.“
                     Menschen weitestgehend entzogen sind, In ganz                  zusammengefasst, der renommierte Risiko- und                   präsident, habe er gelernt, dass „so etwas künftig              Der FDP-Landtagsabgeordnete Friedrich Bullinger, der im Zusammenhang mit der Ein-
                     Europa aber mehr als 300. Und Baden-Württem-                   Kommunikationsforscher Ortwin Renn leitete eine                stattzufinden hat, ehe alle grundlegenden Ent-                  richtung des von ihm vehement bekämpften Nationalparks von einer „Wahlkampfkos-
                     berg liegt ganz weit hinten. Schon Harald B. Schä-             Tagung mit rund 350 Teilnehmern, die Arbeitskrei-              scheidungen getroffen sind“. Die Diskussionen vor               tenerstattung“ der Landesregierung an die Naturschutzverbände spricht, weil die vor
                     fer wusste das. Der im Januar 2013 verstorbene                 se berieten intensiv, eine Infoplattform samt Tele-            Ort im Schwarzwald hätten ihn in dieser Haltung                 allem die Grünen 2011 stark unterstützt hätten.
                     Sozialdemokrat, ab 1992 für vier Jahre Umweltmi-               fon ist geschaltet, unzählige Materialen stehen im             bestätigt. Als weiteres konkretes Ergebnis des bis-
                     nister einer Großen Koalition im Land, hatte sich              Netz. „Mir ist nicht bekannt“, sagt Thomas Wal-                herigen Verfahrens steht schon heute fest, dass                 „Anfangs mussten die Naturschützer gegen erheblichen Widerstand kämpfen. Indus-
                     für das Projekt stark gemacht. Viele Pläne wurden              denspuhl, im Ministerium zuständig für den Natio­              es bei allen Fragen grundsätzlich eine paritätische             trielle fürchteten um ihren Zugang zu Wasser- und Holzschätzen. Freiheitsliebende
                     geboren, hatten aber keinerlei Aussichten auf eine             nalpark, „dass es jemals in Deutschland einen ähn-             Mitbestimmung geben wird. „Denn wenn der Natio-                 Bürger und Politiker störten sich an dem großen Einfluss der Regierung. Parlamen-
                     Mehrheit. Die CDU-Spitze, auch Ministerpräsident               lich intensiven Dialogprozess gegeben hat.“                    nalpark kommt“, sagt Waldenspuhl, „dann kommt                   tariern in Washington und in den neuen Bundes­staaten schien die wirtschaftliche
                     Erwin Teufel, saß beharrlich im Bremserhäuschen.                                                                              er für die und mit den Menschen.“                               Expansion ihrer Nation zunächst wichtiger als die Bewahrung der Natur.“
                     Inzwischen hat sich manches verändert. Zwar zie-               Dennoch – oder gerade deshalb – warten viele Be-                                                                               Badische Zeitung Anfang Oktober 2011 über den massiven Widerstand gegen den
                     hen noch immer Sägewerk- oder Großwaldbesitzer                 teiligungs- und Konfliktexperten mit Spannung auf              Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer                               ersten amerikanischen Nationalpark im Yellowstone-Gebiet im Jahr 1872.

                     Ängste und Interessen wie vor 140 Jahren                                                                                      Häuser und Wohnungen, manche alten Hotels und viele klei-
                                                                                                                                                   ne Geschäfte leer­stehen. Gerade in den kleinen Gemeinden
                                                                                                                                                                                                                   Nationalparkbesucher sind meist keine Tagestouristen und bleiben
                                                                                                                                                                                                                   länger. Und die Einheimischen sind stolz auf das gerettete, faszinie-
                                                                                                                                                   des Nordschwarzwalds beginnt der demographische Wandel          rende Naturerbe vor ihrer Tür.
                     Amerika ist stolz auf seine Nationalparks. Inzwischen. Vor     im Wald erlaubt", schreibt die Badische Zeitung. Ein Sünden-   auch optisch sichtbar zu werden, und die Landflucht macht
                     140 Jahren war vieles anders. Auch im Yellowstone-Gebiet       bock Nationalpark bietet sich da an, um abzulenken.            sich immer stärker bemerkbar. Qualitätstourismus mit einem      Axel Mayer, BUND
                     musste erst jede Menge Überzeugungsarbeit geleistet wer-                                                                      Nationalpark Nordschwarzwald könnte die Situation positiv
                     den. Mehr als hundert Jahre später beginnen die ersten Über-   Es ist beeindruckend, wie geschickt die ökonomischen Inte-     verändern, und ein Nationalpark bietet auch die Chance, sich
                     legungen für den Nordschwarzwald, für einen vergleichswei-     ressen der Nationalparkgegner mit einem grünen Mäntel-         positiv mit der Heimat zu identifizieren.
                     se kleinen Nationalpark in der zersiedelten, zerschnittenen,   chen bedeckt werden und wie mit vorgeschobenen, falschen
                     auf- und ausgeräumten Landschaft in Baden-Württemberg.         Naturschutzargumenten gegen Natur argumentiert wird. Zu        Baden-Württemberg, das Saarland und Rheinland-Pfalz
                                                                                    den Ängsten, die da gezielt geschürt werden, zählt die weit    haben als einzige Flächenländer noch keinen Nationalpark.
                     Und wieder gibt es finanzstarke Lobbygruppen dagegen und       verbreitete Angst vor "Unordnung im Wald". Nationalpark-       Der Nationalpark Nordschwarzwald soll eine Mindestfläche
                     die fast gleichen, 140 Jahre alten Argumente. Insbesonde-      gegner gibt es nicht nur in den Wäldern Amazoniens und in      von rund 10.000 Hektar (100 Quadratkilometer) umfassen.
                     re die FDP, die Lobbyisten und Vertreter der Sägewerke, der    Afrika ...                                                     Der tägliche Flächenverbrauch in Deutschland liegt bei rund
                     Holzindustrie und der Waldbesitzer kritisieren die National-                                                                  hundert Hektar am Tag. Der Park hätte also die Fläche, die in
                     parkpläne der grün-roten Landesregierung. Der Slogan der       Wer sich auf den Straßen und in den Orten in und um den        Deutschland in hundert Tagen bebaut, zersiedelt, entwertet
                     gut organisierten Nationalparkgegner lautet: "JA zum Wald      geplanten Nationalpark Nordschwarzwald umschaut, sieht         und zerstört wird...
                     – NEIN zum Nationalpark Nordschwarzwald", doch das "Ja         Kurzzeit- und Tagestouristen, die meist wenig Geld in die
                     zum Wald" ist wohl eher ein "Ja zum Holz"... Geld macht        Region bringen. "Die älteren Gäste wollen keine Wildnis"       Ein Nationalpark Nordschwarzwald wäre auch ein Stück Hei-
                     Meinung. Die Sägewerke im Schwarzwald stecken aus ganz         ist ein häufig zu hörendes Argument im Nordschwarzwald.        mat in unserer ausgeräumten und zersiedelten Landschaft.
                     anderen Gründen in einer tiefen Krise. "Das Problem der        Dass junge und alte Touristen Wildnis mögen und immer          Auch die Menschen in den Gemeinden im Schwarzwald
                     deutschen Sägeindustrie: Es gibt zu viele Mitbewerber. Fach-   stärker suchen, zeigt nicht nur der Nationalpark Bayerischer   könnten profitieren. Überall dort, wo es Nationalparks gibt,
                     leute schätzen, dass die Sägewerke der Republik etwa 2,5       Wald. Wer sich im Nordschwarzwald in und um den geplan-        hat ein naturverträglicher Tourismus eingesetzt, der Gelder
                     mal mehr Holz sägen könnten als ein nachhaltiger Einschlag     ten Nationalpark umschaut, sieht allerdings auch, dass erste   in die Gemeinden bringt und Arbeitsplätze schafft, denn         Widerstand gehört zu vielen Nationalparks vor ihrer Einrichtung: auch im Nordschwarzwald

20   BUND Jubiläumsmagazin 2013                                                                                                                                                                                                                                             BUND Jubiläumsmagazin 2013        21
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