FÜNFZIG 50 Jahre BUND Baden-Württemberg
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riegel bioweine Vorwort mehr als ein Liebe Leserinnen weinhändler und Leser, wer 50 wird, ist nicht alt. Wer 50 wird, hat viel er- Nachhaltigkeit ist ein gern benutztes Wort. Wie können wir lebt. Der BUND hat besonders viel erlebt. Und hat so wirtschaften, dass nach uns auch die nächste Generation das Privileg, angesichts seiner fast 80.000 Mitglie- ökonomisch sinnvoll in einer immer noch schönen und der und Unterstützer, der immer neuen Herausfor- lebenswerten Welt leben und arbeiten kann? Mit den damit derungen und der manchmal mühsam errungenen zusammen hängenden Fragen beschäftigt sich Peter Riegel seit Erfolge immer jung zu bleiben. Wir werden als die nicht richtig beschrieben ist. Mutbürger und -bürge- führende außerparlamentarische Kraft im Umwelt- rinnen stellen Partikularinteressen hintan und sind den Anfängen seines Unternehmerdaseins und sucht im Rahmen schutz wahrgenommen. Längst haben wir unsere bereit, sich sachkundig, beharrlich und gewaltfrei seiner Möglichkeiten nach passenden Antworten. von Anbeginn bewährte Strategie, immer zweiglei- einzumischen. Ein bleibender Wert an sich! Zumal sig zu fahren, auf viele andere Bereiche übertragen: Tugenden geprobt und gefestigt werden, die die + wir helfen Menschen in Südafrika und Südamerika Widerstand organisieren und zugleich Alternativen Gesellschaft braucht. Der Wissenschaftliche Beirat + wir bilden aus entwickeln. Wir sind seit 50 Jahren in Baden-Würt- der Bundesregierung zum Thema Globale Umwelt- + wir verkaufen 15% unserer Weine im Mehrwegsystem temberg in zentralen Fragen aktiv, vom Ausstieg aus veränderungen beschreibt in einem Gutachten von + wir wirtschaften nachhaltig am Standort Orsingen der Atomkraft bis zur Energiewende, vom Bemühen 2011, wie wichtig es für einen nachhaltigen Wer- + wir handeln fair um eine neue Beteiligungskultur bis hin zum Kampf tewandel ist, einerseits demokratische legitimierte + wir lernen am eigenen Schulungsweinberg gegen Gentechnik. Der Blick auf unsere Geschichte Entscheidungsträger zu stärken und andererseits die + wir züchten ökologische Rasenmäher belegt, wie oft die Verbandsgründer und ihre Mit- Bürgerschaft zu beteiligen. streiter die Nase vorne hatten. FÜNFZIG legt auch davon beredtes Zeugnis ab. Ein Beispiel von vielen Dem BUND fällt dabei in dem so oft zitierten Zeit- sind die Sonnentage von Sasbach, dem Vorläufer fenster bis 2050, in dem sogar die schwarz-gelbe ...und wir haben über 950 Bioweine für Sie im Angebot! unserer Ökomessen, und was sich seit den Siebziger Bundesregierung die Umstellung auf Erneuerbare Jahren daraus entwickelt hat. Energien abgeschlossen wissen will, eine zentrale unsere Ladenöffnungszeiten: Rolle zu. Wir wissen mit Informationen und Argu- Der BUND erstarkt immer neu dank der langen Li- menten zu überzeugen – Menschen wie Behörden. Freitag 15:00 - 18:00 Uhr nien und dank der Aktiven vor Ort, der vielfältigen Wir sind in der Lage, für und gegen Vorhaben zu Samstag 10:00 - 14:00 Uhr Projekte, Aktionen und Initiativen, dank der Ange- mobilisieren. Der Blick, den FÜNFZIG auf die ver- bote für Kinder und des breiten Engagements unse- gangenen Jahrzehnte wirft, zeigt, wie oft absurde rer Jugend. Und wir kennen keine Scheu, auch in po- Eingriffe in Natur und Umwelt über das Planungs- litisch brisanten Streitfragen klare Kante zu zeigen. stadium nie hinauskamen. Wir sind in der Lage, für Bestes Beispiel ist der jahrelange Streit um Stuttgart und gegen Vorhaben zu mobilisieren. Es ist kein Ge- 21. „Wer den Irrsinn erkannt hat, darf nicht mehr dankenspiel, sich zu fragen, wie der BUND sein 75. schweigen“, hieß es auf einem der unzähligen Zet- Jubiläum feiern will. Wir werden dies mit gleicher tel am inzwischen im Museum konservierten Bau- Kraft tun. Denn auch in 25 Jahren ist eine starke au- zaun. Protest ist das eine. Wir haben aber zugleich ßerparlamentarische Kraft notwendig, die für Natur- im Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 eine bessere und Umweltschutz und für Nachhaltigkeit eintritt. Lösung koordiniert. Meinen Dank an alle Aktiven und Unterstützerinnen Peter Riegel Weinimport GmbH und Unterstützer verbinde ich auch deshalb mit ei- Steinäcker 12 • D-78359 Orsingen Auch nach fast zwei Jahrzehnten ist unklar, ob der ner Aufforderung: Schenken wir uns selber jene Be- Telefon: +49 77 74 - 93 13-0 Milliarden Euro verschlingende Tiefbahnhof, der geisterungs- und Kampagnenfähigkeit, die notwen- Fax: +49 77 74 93 13-810 E-Mail: weinladen@riegel.de keine Leistungsverbesserung mit sich bringt, am dig ist, um den immer neuen Herausforderungen zu www.riegel.de Ende nicht doch noch gebaut wird. Das wäre eine begegnen, im Großen wie im Kleinen. Niederlage, gewiss. Aber auch sie würde nichts an www.good-grapes.org www.stellarorganics.de der Bedeutung der Gegenwehr ändern. Weit über Ihre/Eure den Stuttgarter Talkessel hinaus hat sich ein Geist Dr. Brigitte Dahlbender etabliert, der mit dem Schlagwort vom Wutbürger Vorsitzende des BUND Baden-Württemberg Peter Riegel Weinimport GmbH • Steinäcker 12 • D-78359 Orsingen Tel. +49 7774 9313 0 • Fax +49 7774 9313 810 • weinladen@riegel.de • www.riegel.de 2 BUND Jubiläumsmagazin 2013 BUND Jubiläumsmagazin 2013 3
inhalt inhalt 3 Vorwort 38 Flächenschutz: Klarer Blick von oben 64 Aus der Praxis: Viel Freude in freier Natur 90 Verkehr: Dagegen und dafür 6 Ministerpräsident Winfried Kretschmann 40 Berthold Frieß 66 Interview mit Dr. Bernd Eichert 92 Projekt: Hornlose Heidschnucken zur Bedeutung des „Nein“ und der BUND als Gegengift 70 Stuttgart 21: Alternativen nicht vom Tisch 93 Projekt: Feuchtwiese Pfaffhalde 42 „dageGen!“: Das Europäische Nein 8 FÜNFZIG Jahre lang treibende Kraft 74 Umweltbildung: Möhren wachsen 94 Ökomessen: Wenn Erfolg 44 Hundert Hektar voller Schönheit nicht auf Bäumen überflüssig macht 12 Guido Wolf Längst nicht alle Anliegen des BUND erfüllt 78 Einkaufsverhalten: Pro und Kontra 96 Drei E für Energiewende 47 FÜNFZIG Jahre BUND: 14 Wo einst die Truppen übten Die Historie des Landesverbandes, 80 Projekte: Streuobst 98 Top-Runner Studie 18 Endlich ein Nationalpark zusammengefasst auf zwölf Seiten zum Herausnehmen 82 Der lange Kampf gegen den Müll 100 Projekt: Schmetterlinge 24 Interview mit Dr. Brigitte Dahlbender 84 Hunderte Kilometer neue Ufer 102 Impressum / Fotonachweis 30 Gerhard Thielcke: Motor und Mitbegründer 59 Ein Preis, sechs Träger, eine Trägerin 86 Auf dem Klapprad in die Zukunft 62 Ivo Gönner 32 Franz Untersteller zum Wirken auf kommunaler Ebene 88 Projekt: Küchenschellen über den Interessenausgleich 34 Wyhl: 40 Jahre „Nai hämmer gsait“ 4 BUND Jubiläumsmagazin 2013 BUND Jubiläumsmagazin 2013 5
Ministerpräsident Winfried Kretschmann Zur fundamentalen Bedeutung des „Nein" Ministerpräsident Winfried Kretschmann Zur fundamentalen Bedeutung des „Nein" Aus Liebe zur Natur, sagt Winfried Kretschmann, habe er 1979 die nunmehr 50 Jahren auf Politik und Gesellschaft ein. Es ist deshalb das Ziel der baden-württembergi- Grünen mitbegründet. Heute ist er erster grüner Regierungschef der Die Forderungen nach einer nachhaltigen Entwick- schen Landesregierung, mit der von ihr initiierten Republik. lung, sozialer Gerechtigkeit und einer Änderung und praktizierten Politik des Gehörtwerdens die- vorherrschender Lebensstile bleiben jedoch nicht sen Menschen eine Plattform zu bieten, damit sie ohne mögliche Lösungsstrategien und ernstzuneh- sich beteiligen und ihre Alternativen vorbringen mende Vorschläge der Verwirklichung. Damit prak- können. Der Landesverband des BUND bringt sich tiziert der Landesverband ein Konzept, das neben hierbei entscheidend ein und mobilisiert die Bürge- einem zustimmenden „Ja“ auch die Möglichkeit und rinnen und Bürger in Baden-Württemberg, indem er Relevanz eines ablehnenden, aber an Alternativen vor Ort ein Forum für Vorschläge, Diskussionen und gekoppelten „Nein“ bedenkt. verschiedenste Möglichkeiten der Beteiligung etab- liert. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag, um Welche fundamentale Bedeutung Alternativen und das Bewusstsein für die Mitgestaltung der eigenen ein „Nein“ haben können, hat die in den 1970ern Umwelt und Gemeinschaft zu schärfen. entstandene Anti-Atomkraft-Bewegung beispielhaft gezeigt: Deren Mitglieder wandten sich ebenso wie Deshalb bin ich davon überzeugt, dass der Landes- der BUND und auch die Grünen gegen die zivile verband Baden-Württemberg des BUND in diesem Nutzung der Kernenergie und forderten eine Abkehr Prozess weiterhin ein verlässlicher, kompetenter und von der Atomkraft. Diesem „Nein“ folgten Alterna- zugleich kritischer Partner sein wird, der der Lan- tivvorschläge: So zeigten Wissenschaftler des Frei- desregierung mit seinen alternativen Konzepten und burger Öko-Instituts mit ihrem Buch „Energiewende Modellen vor allem in umweltpolitischen Belangen – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“ kreative Denkanstöße geben wird. Winfried Kretschmann zum Jubiläum bereits 1980 auf, dass Wirtschaftswachstum auch Die fundamentale Bedeutung des „Nein“ mit Hilfe einer effizienteren Energienutzung sowie dem Einsatz von erneuerbaren Energien möglich sei. Aus diesem Grund gratuliere ich dem Landesver- band Baden-Württemberg zum 50-jährigen Jubi- 30 Jahre vor der Katastrophe von Fukushima und läum sehr herzlich. Die Glückwünsche verbinde der damit einhergehenden Realisierung der Ener- ich mit meinem herzlichen Dank an die Mitarbei- Mit dem 50-jährigen Bestehen des Landesverbands Dass dadurch die Politikverdrossenheit bei den Bür- giewende in Deutschland gab es also bereits kon- terinnen und Mitarbeiter sowie die Mitglieder und Baden-Württemberg des Bundes für Umwelt und gerinnen und Bürgern vergrößert zu werden droht, struktive Alternativvorschläge zur damals vorherr- Unterstützer, die sich in den vergangenen Jahren Naturschutz Deutschland (BUND) verbindet mich ist nicht von der Hand zu weisen. Ihnen wird der schenden Nutzung von Atomenergie und fossilen zumeist ehrenamtlich in vielfältiger Weise und mit durch meine Mitgliedschaft zuerst einmal eine per- Eindruck vermittelt, dass die politischen Entschei- Energieträgern. Und jetzt, da die deutschen Atom- Nachdruck für Natur und Umwelt engagiert haben. sönliche Bindung. Davon ausgehend spiegelt der dungsträgerinnen und -träger ohnehin recht haben meiler nach und nach für immer vom Netz gehen, Dem Landesverband wünsche ich in Zukunft viel BUND für mich aber auch eine Tradition des kon und es sich nicht lohnt, zu argumentieren, zu de- tun sich weitere ernstzunehmende Alternativen auf, Erfolg bei seiner wichtigen Arbeit zum Wohle der struktiven Nein-Sagens sowie der Mobilisierung battieren und zu streiten. Denn der angestrebte Weg die aufgrund der Vormachtstellung der Atomenergie Menschen und der Natur in Baden-Württemberg. und Stärkung bürgerlichen Engagements wider, die ist sowieso der beste beziehungsweise alternativlos. bislang ein Schattendasein fristeten. Sie tragen dazu ich als Bereicherung für unsere Gesellschaft und bei, dass wir unsere Energieerzeugung in nicht allzu ebenso relevant für die Politik empfinde. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass es insbe- ferner Zukunft zu hundert Prozent aus erneuerbaren sondere in der Politik immer um Alternativen geht. Energien decken können: effiziente Elektrogeräte, In Baden-Württemberg zeigt der Landesverband des Wenn wir zu allem stets nur „Ja und Amen“ sagen, Energie aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft, mo- BUND anhand von konkreten Konzepten, Modellen wie sollen dann neue Ideen und Konzepte entste- derne Speichertechniken und intelligente Netze, um und Strategien Wirtschaft, Wissenschaft, Gesell- hen? Deshalb gehört für mich das „Nein“ genauso nur ein paar Beispiele zu nennen. Ohne ein „Nein“ Winfried Kretschmann schaft und Politik bis heute ernstzunehmende Al- zur Politik wie das „Ja“. Nur wenn wir die Möglich- der Bürgerinnen und Bürger zur damals vorherr- Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg ternativen zur vorherrschenden menschlichen und keit haben, das Bestehende abzulehnen, können wir schenden politischen Meinung wäre diese Erfolgs- politischen Alltagspraxis zugunsten von Umwelt Alternativen aufzeigen, eingetretene Pfade verlassen geschichte so nie möglich gewesen. und Natur auf. und zu neuen Ufern aufbrechen. Einem „Nein“ müs- sen allerdings zwingend auch immer konstruktive Es ist daher auch nicht zielführend, Protestbewegun- Das ist vor allem in der Politik von herausragender Alternativvorschläge folgen. gen als Neinsager oder Verweigerer zu pauschalisie- Bedeutung. Denn leider werden gerade hier Ent- ren. Denn die Demokratie ist nicht dort in Gefahr, scheidungen, Handlungen und Vorhaben allzu oft Der Landesverband Baden-Württemberg des BUND wo Menschen sich einbringen und für ihre Über- damit gerechtfertigt, dass es zu ihnen keine Alterna- hat sein „Nein“ in der Vergangenheit wie auch in der zeugungen sowie Alternativen zur vorherrschenden tivlösungen gibt. Aufkommende Diskussionen, Ein- Gegenwart mit höchster Durchsetzungskraft umzu- politischen Meinung und Praxis einsetzen, sondern wände oder gar ein „Nein“ zu geplanten Vorhaben setzen gewusst. Mit seinem Engagement im Sinne überall dort, wo sie sich von der Demokratie abwen- werden so von vorneherein verhindert. eines „zukunftsfähigen Deutschlands“ wirkt er seit den und gleichgültig werden. 6 BUND Jubiläumsmagazin 2013 BUND Jubiläumsmagazin 2013 7
thema BUND-Erfolgsgeschichte Eine Erfolgsgeschichte geht weiter Fünfzig Jahre lang treibende Kraft Leistungen messbar macht auch die Hartnäckigkeit, mit der Fragen aufgeworfen werden und nach Antworten gesucht wird. „Der BUND versteht sich als die treibende gesellschaftliche Kraft für eine nachhaltige Entwicklung in Deutschland“, heißt es im verbandseigenen Leitbild. Das Spektrum ist riesig, in 50 Jahren sind mannigfaltige Erfahrungen gesammelt, der BUND kann auf über 80.000 Mitglieder und Förderer bauen und – traditionell – auf die Unterstützung namhafter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Avantgarde übersetzt das Wörterbuch mit Vorreiter. Schwarzwald zerschnitten hätten. Ein anderes Pro- Gesetz, das Energieversorgungsunternehmen auf Beispiele von so vielen: „Mit erheblichem Werbe- Schmetterling-Stand: Bei ungezählten Themen aus dem Natur- und Um- jekt wollte den Rhein bis zum Bodensee schiffbar die Redlichkeit ihrer Werbung verpflichten sollte. In aufwand werden zur Zeit elektrische Wärmepum- BUND-Ortsverband weltschutz zählt der BUND zur Avantgarde, treibt machen und für den Rheinfall einen Umgehungska- einem Brief wird die CDU-Landesregierung schon pen zur Raumheizung angeboten“, heißt es in einer Radolfzell im Jahr 2012 sie seinerseits voran. Unter anderem illustrieren nal bauen. Wäre das Wirklichkeit geworden, führen im Februar 1975 (!) aufgefordert, unverzüglich ein Stellungnahme aus dem Jahr 1979 (!). Der Arbeits- die sieben landesweit agierenden Arbeitsgruppen heute täglich Lastkähne über den See. Jeder größere Energiesparprogramm vorzulegen und in den lan- kreis Energieeinsparung hat Berechnungen ange- die Kompetenzen: Klimaschutz und Energie, Ver- Ort hätte seinen Hafen mit Industriebetrieben. Der deseigenen Energieversorgungsunternehmen um- stellt und kommt zu dem Ergebnis: „Eine Beheizung kehr, Naturschutz, Wald, Umweltbildung, Ehrenamt, Bauboom hätte die gesamte Uferlandschaft zerstört. weltfreundliche Tarife einzuführen. Der nächste Satz der Wohnräume mit Strom, auch mit elektrischen Streuobst und Rhein. Projekte der vergangenen fünf Schon Mitte der Siebziger Jahre war von diesen ist an Aktualität kaum zu überbieten: „Nach den Wärmepumpen, ist energiepolitisch nicht zu ver- Jahrzehnte haben Baden-Württemberg verändert. gigantischen Einfällen keine Rede mehr. Den Natur- gegenwärtigen Stromtarifen subventionieren die treten.“ Ebenso klar ist die Aussage zu elektrischen Auch weil Veränderungen gestoppt und Entwick- schützern am See war es gelungen, den Wert des Energiesparer die Energieverschwender.“ Heizungspumpen mehr als dreißig Jahre später: lungen vorangetrieben wurden, allen voran der von Bodensees als Naturlandschaft und Erholungsgebiet Solch eine Heizungspumpe gehöre „häufig zu den der EU beförderte Aufbau eines Netzes von natürli- im ganzen Land bewusst zu machen. Unter der Regie „Viele kleine Schritte” größten Stromverbrauchern im Haushalt“. Es gibt chen und naturnahen Lebensräumen verschiedener des Konstanzer Landrats Ludwig Seiterich begann Überhaupt blieb die Energiepolitik eines jener in Baden-Württemberg schätzungsweise rund drei geografischer Regionen, seit langem bekannt als die Ausweisung zahlreicher Naturschutz- und Land- immergrünen Dauerthemen. Im November 1979 legt Millionen Heizungspumpen. Davon sind 80 Prozent Natura 2000. Dies sei „die Jahrhundertchance für den schaftsschutzgebiete. Der Bund für Naturschutz der BUND ein Versorgungskonzept ohne Kernener- ungeregelt, sie pumpen also unabhängig vom tat- Schutz und die Erhaltung von Pflanzen, Tieren und Bodensee-Hegau, unser direkter Vorläufer, erarbei- gie und Erdöl vor, das fordert, die Energieversorgung sächlichen Bedarf laufend Wasser durch Heizungs- Lebensräumen in Europa“, heißt es in einem Appell tete gemeinsam mit anderen Naturschützern die auf erneuerbare Quellen, bessere Eigennutzung und und Warmwasserrohre. Der gute Rat ist nicht teu- des BUND, und die „sollten wir uns nicht entgehen Grundlage für insgesamt 40 Unterschutzstellungen. eine umweltfreundliche Grundlage umzustellen. er: „Durch den Einbau einer modernen, geregelten lassen“. Deshalb will er sich auch künftig mit allem Auch die Autobahnpläne wurden ad acta gelegt. Der damalige SPD-Landesvorsitzende Erhard Eppler Hocheffizienzpumpe, die bedarfsgerecht arbeitet, Nachdruck für den Naturschutz in den Grenzen des meldete sich zu Wort: Wichtig sei, dass „viele kleine werden Stromverbrauch und Stromkosten deutlich Landes und darüber hinaus einsetzen. Umweltfreundlichen Tarif gefordert Schritte getan werden, um Energie zu sparen und reduziert. Im Privathaushalt können das bis zu 150 Schon die Anfänge waren geprägt von der Energie erneuerbare Quellen zu erschließen“. 33 Jahre spä- Euro pro Jahr sein.“ Bei Investitionskosten von rund Gerade die BUND-Pioniere hatten sich mit schweren diskussion, nicht nur, aber auch der Vorgänge in ter bleibt richtig: Allein durch die Umsetzung der 300 Euro rechne sich der Pumpentausch je nach Brocken zu befassen, viele davon muten nicht erst Wyhl wegen. Der BUND wollte nicht nur das Atom- wirtschaftlich lohnenden Stromeffizienzmaßnah- Handwerkerleistung nach rund zwei bis vier Jahren. aus heutiger Sicht fast aberwitzig an. So gab es die kraftwerk verhindern – was bekanntlich in einem men würden bis 2020 mehr als zwanzig Prozent des Dass trotz hoher Rentabilität solche Maßnahmen Idee, in einem riesigen Stollen durch die Schwäbische zähen, langen und in der Bevölkerung breit veran- Stromverbrauchs eingespart. nicht angegangen werden, „liegt häufig an fehlen- Alb von Überlingen nach Tübingen dem Neckar kerten Kampf gelang –, sondern legte auch ganze den Informationen“. Bodenseewasser zuzuleiten, um ihn durchzuspü- Bündel von Forderungen vor. Zum Beispiel nach Das unverwechselbare Profil des BUND lässt sich len. Eine Brücke über den Bodensee war geplant, einem „Berufsverbot für Minister“ in Aufsichtsrä- auch an der Bereitschaft zur Analyse im Detail und Informationen sind von Anfang geflossen. Die ersten ebenso etliche Autobahnen, darunter solche, die den ten gewerblicher Unternehmen. Oder nach einem zur Präsentation von Alternativen ablesen. Zwei „Blätter für Natur- und Umweltschutz“ erschienen 8 BUND Jubiläumsmagazin 2013 BUND Jubiläumsmagazin 2013 9
thema BUND-Erfolgsgeschichte thema BUND-Erfolgsgeschichte 1973. Wissenschaftler befassten sich mit dem The- regierung schwenkten letztendlich ein. Inzwischen ma Umweltschutz im Wasserbau. „Es gibt nur wenige gesundet der Wald. Eingriffe des Menschen, die so nachhaltig schädlich auf die Umwelt einwirken wie Flussbegradigungen Sichtbar wird die Dimension der bearbeiteten The- Unsere neun Leitsätze und Entwässerungen“, heißt es in ihrem Positionspa- men in einem ABC der Projekte: von A wie Arten- pier. Verlangt wird unter anderem die Überprüfung schutz über B wie Biotop-Verbund, E wie Elektro- 1. Wir stehen für ökologische Erneuerung und nachhaltige Ent- aller Pläne zu Hochwasserschutz und Entwässerung smog bis hin zu S wie Schmetterlingsland und W wicklung: Wir sind die treibende gesellschaftliche Kraft für ökolo- unter ökologischen und ökonomischen Aspekten. wie Wildkatze. Auf 20.000 grünen Kilometern soll gische Erneuerung und nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Lange Jahre machte sich der BUND auch um poli- als Band durch ganz Deutschland ein durchgängi- Wir machen unsere zentrale Rolle in diesem Prozess deutlich, tische Transparenz verdient, indem er grundsätzlich ges Waldsystem geschaffen werden. „Auch wir im indem wir unser Profil als der glaubwürdige und in seiner Positio- zu herausragenden Postionen auch die Meinung der Landesverband Baden-Württemberg beteiligen uns, nierung konsequente Umwelt- und Naturschutzverband schärfen. im Landtag vertretenen Parteien einholte. Im Okto- um das Rettungsnetz für die Wildkatze, als wohl ber 1997 kam wieder Eppler zu Wort mit der Idee, größtes Naturschutzprojekt in Mitteleuropa, entste- 2. Wir setzen uns ein für ein zukunftsfähiges Deutschland: Wir Stromsondertarife für Wohnungs- oder Hausbesitzer hen zu lassen“, erläutert ein aktueller Aufruf. konkretisieren und aktualisieren unsere politischen Forderungen einzuführen, die Sonnenkollektoren nutzen. auf Basis der Leitbilder aus dem „Zukunftsfähigen Deutschland“, Neben den Begegnungen vor Ort und dem BUND- entwickeln innovative Lösungsstrategien und zeigen Wege auf, Dauerbrenner Waldsterben magazin ist längst das Internet wichtiger Mittler diese umzusetzen. Wir arbeiten an der Weiterentwicklung der Oft spiegeln sich im Engagement des BUND das Land unter Mitgliedern und Unterstützern. Das Angebot Inhalte der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“. Wir verknüp- und seine wirtschaftliche Entwicklung. Als noch ist so breit gefächert wie der Verband selbst: von fen unsere umweltpolitischen Aussagen mit unseren Forderungen niemand von Premiummarken sprach, wenn er Mer- den Expertenstudien über unzählige Projektinfor- nach sozialer Gerechtigkeit und Änderung der Lebensstile. cedes oder Porsche meinte, legte der BUND fundierte mationen bis zum Ökotipp, von den Adressen der Mobilitätskonzepte vor. Die Verkehrswegeplanung Anlaufstellen vor Ort bis zur Möglichkeit, eine Mit- 3. Wir begeistern die Menschen für unsere Ziele: Wir begeistern wurde regelmäßig durchleuchtet, Konzepte für frei- gliedschaft zu verschenken. „Der Verband und sei- die Menschen für ein zukunftsfähiges Deutschland, indem wir willige Temporeduzierungen wurden erarbeitet. Ein ne Mitglieder haben die Fähigkeit“, schrieb Brigitte durch die Verwirklichung konkreter, im Alltag umsetzbarer Pro- Landesvorstand im Jahr 2011 Dauerbrenner der frühen Achtziger war das Thema Dahlbender zum 40. Geburtstag, „nicht nur Wächter jekte die nachhaltige Entwicklung mitgestalten. Wir zeigen den Waldsterben. „Die Situation wird immer prekärer“, und Mahner zu sein, sondern auch konstruktiv Menschen, dass unsere Ziele umsetzbar und erreichbar sind. warnt eine Stellungnahme. Der BUND wurde auch Lösungen zu entwickeln.“ 7. Wir sind nah bei den Menschen: Wir bieten Menschen in jeder hier Vorreiter und verlangte deutlich schärfere Vor- 4. Wir handeln von der lokalen bis zur globalen Ebene: Wir sind Lebensphase die Möglichkeit, sich mit ihren Interessen und Kom- schriften zur Luftreinhaltung. Bundes- und Landes- Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer in Deutschland auf allen Entscheidungsebenen präsent und be- petenzen auf allen Ebenen im BUND zu engagieren. Dies reicht einflussen so Politik und Gesellschaft. In unserem internationalen von konkreter praktischer oder organisatorischer Arbeit bis hin zu Engagement sind wir in Europa und weltweit als deutsche Sektion wissenschaftlicher und politischer Arbeit. Wir unterstützen und von Friends of the Earth (FoE) aktiv. Wir verstärken unsere um- fördern dieses Engagement durch die BUNDgruppen vor Ort, un- Klimastaffel 2004 Ditzingen (links) weltpolitische Arbeit auf EU-Ebene in Zusammenarbeit mit den sere hauptamtlichen MitarbeiterInnen in unseren Einrichtungen dort tätigen Akteuren. und unsere Gemeinschaft von Aktiven auf allen Verbandsebenen. Titelseite BUNDwerkzeug "Wildtierkorridore", eine Anleitung zu Wir unterstützen die eigenständige Arbeit junger Menschen in der Biotopvernetzung und Biotopverbund. Die Autorin Laura Bollwahn war 5. Wir sind ein erfolgreiches Netzwerk: Wir, der BUND, sind ein BUNDjugend und verstärken den Austausch zwischen BUND und Leiterin des BUND-Projektes "Rettungsnetz Wildkatze" in BaWü. (Mitte) starkes Bündnis von Menschen, die sich in Politik, Gesellschaft BUNDjugend. und Wirtschaft für den Umwelt- und Naturschutz engagieren. Zita Sebo˝ aus Ungarn machte das Europäische Freiwilligenjahr im BUND-Umweltzentrum Ulm. (rechts) Grundlage für unsere hohe Durchsetzungsfähigkeit ist die akti- 8. Wir sind finanziell unabhängig: Wir sind finanziell unabhängig ve Einbindung, Förderung des Engagements und Mobilisierung durch eine breite, stabile Unterstützerstruktur von Mitgliedern, vieler Menschen. Wir vergrößern unsere Schlagkraft und Durch- SpenderInnen und Förderern. Diese Unabhängigkeit sichern wir setzungsfähigkeit durch die aktive Kooperation mit anderen durch eine gerechte und solidarische Mittelverteilung innerhalb Umweltverbänden und anderen gesellschaftlichen Gruppen und des BUND. Auf dieser Basis erweitern wir unsere finanziellen Mög- Institutionen. lichkeiten und politischen Handlungsspielräume, indem wir Pro- jektmittel einwerben und mit unterschiedlichen und geeigneten 6. Wir arbeiten Hand in Hand: Wir sind ein Mitgliederverband und Partnern zusammenarbeiten. arbeiten auf allen Ebenen auf Basis gemeinsam festgelegter Ziele und Strategien. Die tragenden Säulen unseres Verbandes sind ein 9. Wir arbeiten an uns und lassen uns an unserem Leitbild mes- aktives Ehrenamt und engagierte MitarbeiterInnen. Die Förderung sen: Wir verstärken unsere Kultur des Vertrauens und der gegen- des Freiwilligenengagements im Verband ist für uns eine wichtige seitigen Anerkennung in unserem Verband. Unsere fachliche und Grundlage für die Verbandsentwicklung. Die demokratische und soziale Kompetenz entwickeln wir stetig weiter. Wir setzen unsere föderale Organisation unseres Verbandes ist verbunden mit effi- personellen und finanziellen Ressourcen effektiv und sorgfältig zienten Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen, die sich ein. Unser Leitbild zur Verbandsentwicklung ist Maßstab unseres durch frühzeitige Partizipation auszeichnen. Handelns. 10 BUND Jubiläumsmagazin 2013 BUND Jubiläumsmagazin 2013 11
thema Längst nicht alle Anliegen des BUND erfüllt Der frühere Tuttlinger Landrat Guido Wolf (CDU) ist seit Oktober 2011 Präsident des voller Umgang mit Ressourcen, es geht um unsere baden-württembergischen Landtags. Lebensgrundlagen. Insofern ist der BUND sowohl – getreu seinem Motto zu Gründerzeiten – „Anwalt der Natur“ als auch Anwalt für die Gesundheit und für die Lebensqualität künftiger Generationen. Da- für möchte ich dem Landesverband im Namen aller Abgeordneten des Landtags von Baden-Württem- berg aufrichtig Dank sagen und allen Beteiligten zum „runden Geburtstag“ die besten Wünsche über- mitteln. Auch der Landtag profitiert vom Engagement des BUND. Nicht nur, dass dieser Umweltverband mit Vielfalt erhalten – seinem Know-how ein geschätzter Gesprächspart- ner der Landespolitik ist. Nein, auch ganz konkret: Im Rahmen des BUND-Projekts „Schmetterlingsland Falter schützen Baden-Württemberg“ zum Beispiel. So soll – abge- stimmt mit den Umbauplänen des Landtags – in der Umgebung des Parlamentsgebäudes eine rechtecki- ge Fläche mit einer Schmetterlings-Wildblumenwie- se eingesät werden. Vorgesehen sind des Weiteren vier Wechselflorbeete, die mit mediterranen Stauden wie Thymian und Lavendel bepflanzt werden und als „Nektartankstelle“ für Schmetterlinge dienen können. Besucherinnen und Besucher sollen sich mittels Infotafeln über Sinn und Zweck dieses Pro- jekts informieren können. Grußwort von Landtagspräsident Guido Wolf 50 Jahre BUND Baden-Württemberg – ich wünsche all seinen Pionieren, Mitgliedern und Förderern, Längst nicht alle Anliegen dass sie ihre Ziele weiterhin mit Idealismus, Kreati vität, Selbstbewusstsein und vor allem Beharrlichkeit des BUND erfüllt verfolgen. Der BUND wird gebraucht: als Mahner und Warner im Dienst von Natur und Umwelt in der www.schmetterlingsland.de Öffentlichkeit ebenso wie als Lobby für ökologische Es gibt Erfolgsgeschichten, die kann man nicht chenfraß, um nur einige Entwicklungen zu nennen, Anliegen bei Behörden und in den Parlamenten, übersehen. Die des BUND zählt zweifellos dazu. Sie denen es entgegenzuwirken gilt. Tatkräftig, konse- gleich welcher Ebene. BUND Baden-Württemberg begann 1963 mit der Gründung des „Bund für Na- quent, nachhaltig. turschutz Bodensee-Hegau“. Aus diesem ging dann Spendenkonto Nr. 4 088 100 1973 der Landesverband Baden-Württemberg her- „Lassen Sie uns alles daransetzen, dass wir der BLZ 692 500 35 vor. Zwei Jahre später entstand der Bundesverband. nächsten Generation, den Kindern von heute, eine Sparkasse Singen-Radolfzell Diese nunmehr 50-jährige Erfolgsgeschichte lässt Welt hinterlassen, die ihnen nicht nur den nötigen Stichwort: sich ganz einfach auf einen Nenner bringen: Ohne Lebensraum bietet, sondern auch die Umwelt, die die überparteiliche Bürgerbewegung BUND wäre es das Leben erlaubt und lebenswert macht“, hat Alt- Schmetterlingsschutz um Natur und Umwelt heute deutlich schlechter be- Bundespräsident Richard von Weizsäcker einmal Guido Wolf MdL stellt. gesagt. Damit ist im Wesentlichen der Anspruch de- Präsident des Landtags von Baden-Württemberg finiert, der dem Handeln des BUND zugrunde liegt. Das soll aber nicht heißen, dass auf diesem Ge- biet alles in Ordnung und sämtliche Anliegen des Mit Projekten und Aktionen will der BUND seinen BUND erfüllt wären. Ganz im Gegenteil, an Aufga- spezifischen Beitrag dazu leisten, Natur und Umwelt ben und Herausforderungen herrscht kein Mangel. zu bewahren. Artenschutz, die Reinhaltung von Luft Klimawandel, Bedrohung der Biodiversität und Flä- und Wasser, sinnvolle Ernährung, verantwortungs- 12 BUND Jubiläumsmagazin 2013 BUND Jubiläumsmagazin 2013 13
thema Biosphärengebiet Schwäbische Alb thema Biosphärengebiet Schwäbische Alb und Siedlungsdruck sind hoch. Sehr viele und immer mehr kleinteilige Maßnahmen können aber großflä- Michael Spielmann chigen Naturschutz nicht ersetzen, weil bestimmte Der Diplom-Politologe und studierte Prozesse auf kleinen Flächen gar nicht erst in Gang Volkswirtschaftler Michael Spielmann kommen. Das machen sich viele Leute nicht klar. In war viele Jahre in führenden Positionen kleinteiligen Gebieten sind die Störungen meist zu beim BUND tätig, zwischen 2001 und groß, um etwa Luchs oder Wildkatze Lebensraum 2008 als Geschäftsführer des Landes- zu erhalten oder zu schaffen. Die brauchen einige verbands Baden-Württemberg. Danach tausend Hektar. Ein zweites Beispiel sind die von war er Vorstandssprecher der Heinz- intensiver landwirtschaftlicher Nutzung unbeein- Sielmann-Stiftung. Seit Januar 2012 ist trächtigten Flächen. Auf der Schwäbischen Alb gibt Spielmann Bundesgeschäftsführer der es Gebiete von fast mittelalterlichem Charakter, von Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH). einer unglaublichen musealen Schönheit, die bun- des-, wahrscheinlich sogar europaweit einmalig ist. So gesehen war der Truppenübungsplatz, genauer gesagt seine Stilllegung, ein Glücksfall? die vor allem Gegenargumenten nicht feindselig be- Spielmann: Das ist ja eine Ironie der Geschichte. gegnen, die jemanden nicht für blöd erklären, nur Ohne diese nicht aus Menschenfreundlichkeit und weil er anderer Meinung ist. Das ist für alle, die Naturliebe angelegten Flächen wäre Naturschutz ernsthaft Überzeugungsarbeit leisten, ein wichtiger in der Form wie auf der Schwäbischen Alb meist Charakterzug. gar nicht möglich. Wir verdanken der Bundeswehr Biosphärengebiet Schwäbische Alb letzte große Flächen, auf denen sich die intensive Sie waren mit Ihrer Überzeugungsarbeit sehr erfolg- Landnutzung nicht durchgesetzt hat. Diejenigen, die reich. Michael Spielmann: „Wir haben viel erreicht” Truppenübungsplätze angelegt haben, waren keine Spielmann: Auf der Alb oder prinzipiell? Naturschützer, aber wir können heute auf ihre Hin- Wo einst die Truppen übten terlassenschaften zurückgreifen. Dennoch gab es jetzt Menge Hürden? Sowohl als auch. Spielmann: Bei aller Bescheidenheit: Beides stimmt. Die Umweltbewegung fühlt sich oft als Verliererin der Spielmann: Naturschutz muss für „normale“ Men- Entwicklung. Dabei ist in den vergangenen zwanzig schen verständlich gemacht werden. Der BUND Jahren unheimlich viel erreicht worden. Inhaltlich, Naturschutz für normale Menschen, wie er sagt, zu erklären, Oettinger ist da ganz anders herangegangen, uni- war und ist Teil der Erfolgsgeschichte, ebenso aber aber auch prinzipiell. Dem BUND ist zu verdanken, ist eines der großen Anliegen von Michael Spielmann. deologisch und am Ergebnis orientiert. Es passt zu auch das Engagement vieler Einzelner. Wir sind hier dass der Naturschutz, der oft mit Attributen verbun ihm, dass er in seiner Regierungserklärung von dem sinnbildlich Zwerge, die auf den Schultern von Rie- den wurde wie konservativ oder modernisierungs- Im Interview mit Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer Biosphärenreservat auf der Schwäbischen Alb als sen stehen. Ich nenne nur stellvertretend für viele feindlich, aus dieser Ecke herausgekommen ist. Heute berichtet er vom jahrelangen Ringen um das einem Leuchtturmprojekt gesprochen und die Reali- Günter Künkele aus Bad Urach und Markus Rößler, gibt es eine moderne Umwelt- und Naturschutz- Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Und er erläutert – sierung ermöglich hat. der jetzt als Grünen-Abgeordneter im Landtag sitzt. bewegung, wobei die Schwerpunkte gerade in der Ohne deren jahrelanges Engagement wäre auch der Energiepolitik oder in Klimaschutz liegen. Das sind auch mit Blick auf den Nationalpark Nordschwarzwald –, Um die eher semantische Frage gleich abzuräumen: BUND nicht so vorangekommen bei seiner Überzeu- fassbare Themen, während der klassische Naturschutz warum großflächiger Naturschutz so wichtig ist. Reservat oder Gebiet? gungsarbeit. Wir haben zahlreiche Veranstaltung weiterhin viel stärker mit Legitimationsproblemen Spielmann: Das ist einerseits wieder typisch Baden- gemacht, um zu informieren und Vorurteile auszu- zu kämpfen hat. Württemberg - es sollte kein Reservat sein, sondern räumen. Wir wollten vor Ort die Leute davon über- Was hat die Schwäbische Alb und damit das Land ein Gebiet. Und so ist ja auch die Bezeichnung im zeugen, dass das Gebiet eine große Chance für die Die worin bestehen? Günther Oettinger zu verdanken? Gesetz. Andererseits vermindert der Begriff Gebiet Region ist und dass Naturschutz eben auch ökono- Spielmann: Naturschutz hat kein klares Leitbild. Spielmann: Einiges, weil es Günther Oettinger ge- die Akzeptanzprobleme. ‚Wir sind doch keine Indi- mische Chancen eröffnet. Wir haben sehr viel über Was will er eigentlich? Da jeden Baum wachsen lungen ist, die Blockade im Naturschutz aufzubre- aner‘, das habe ich immer wieder gehört, wenn wir Ängste und Befürchtungen geredet und immer mehr lassen und dort Bäume wegschlagen, um Trocken- chen. Unter Ministerpräsident Erwin Teufel wurden für das Biosphärenreservat geworben haben. Viele Unterstützung erfahren. rasengebiete zu schützen. Wenn sich drei Natur- vor allem der großflächige Naturschutz, Themen hatten Assoziationen mit einem Zoo oder mit einer schützer treffen, gibt es vier Meinungen – dieser wie Biosphärenreservat oder Nationalpark hochi- Glaskugel, die über Teile der Schwäbischen Alb ge- Die Politik des Gehörtwerdens, bevor sie erfunden war. Spruch hat einen sehr wahren Kern. Welche Tier- deologisch diskutiert. Baden-Württemberg hat sich stürzt wird. Da macht der Begriff Gebiet manches Spielmann: Ich will jetzt nicht in die übliche und oder Pflanzenart gibt in welchem Projekt den Takt einen Sonderweg geleistet mit dem Tenor ‚Wir ma- leichter. auch durchaus berechtigte Kretschmann-Lobens- an? Naturschützer stehen vor objektiven Problemen chen keinen großflächigen Naturschutz, sondern hymne einstimmen. Aber wahr ist, dass der baden- oder haben mit Widersprüchen zu kämpfen. Und das wir machen viele kleine Projekte‘. Ich will das nicht Was ist die größte Errungenschaft? württembergische Ministerpräsident ein guter Ver- merken unsere Gegner sofort. Es ist keine moralische kleinreden, da waren viele schöne Modellversuche Spielmann: Wir in Baden-Württemberg haben rela- treter einer bestimmten Art von Menschen ist. Die Frage, kein einheitliches Leitbild zu haben, aber es darunter, aber die sind kein vollwertiger Ersatz. tiv wenige unzerschnittene Gebiete. Straßendichte im Zustimmungsfall nicht sofort Juhu schreien und eröffnet eine Flanke. 14 BUND Jubiläumsmagazin 2013 BUND Jubiläumsmagazin 2013 15
thema Biosphärengebiet Schwäbische Alb thema Biosphärengebiet Schwäbische Alb Für gewöhnlich wird aber mit Einschnitten argumen- ermöglicht. Das ist eben diese paradox klingende tiert. Reutlingen und Metzingen sind Teil des Schutz- Chance, dass dort, wo die Belastungen größer sind, gebiets auf der Schwäbischen Alb. Wie passt das zu den Menschen besser gezeigt werden kann, wie die- den langen Autoschlangen vor Outlet-Centern? ses Leben im Einklang mit der Natur funktionieren Spielmann: Es ist ja die Besonderheit der Kategorie kann. Das Lammfleisch wird verkauft, mit Lamm- Biosphärengebiet, im Unterschied etwa zum Natio wolle wird gedämmt. Die Wertschöpfung entsteht, nalpark, dass auch in stark belasteten Regionen weil es Abnehmer gibt. Das ist in Thüringen, um Menschen im Einklang mit der Natur leben und bei diesem Beispiel zu bleiben, deutlich schwieri- wirtschaften können sollen. In diesen Gebieten gibt ger. Erfolgreiche Vermarktung von Produkten wird es Schmutzecken, sozusagen, aber in diese Schmutz- zum wichtigen Standbein beim Naturschutz. Es wird ecken ragt die Entwicklung hinein. Der heutige weiter Widersprüche geben, wie vor den Outlets in begebiet ist ein Eingriff, Arbeitsplätze sind wichtig. CDU-Fraktionschef und damalige Landwirtschafts- Metzingen. Aber die Käufer, die dort Schlange ste- Vom Truppen Was schafft Abhilfe? Aber wo wir wirtschaften, da gibt es oft keine Bio- minister Peter Hauk hat einmal in einer Diskussions- hen, finanzieren die Landschaftspflege auf der Alb übungsplatz zu Spielmann: Das große Leitbild auf kleine herunter- diversität. Wenn wir eine Fläche sich selbst überlas- runde argumentiert, in Thüringen sei großflächiger mit. Und genau dieses Zusammenspiel bringt uns einer parkähnlichen brechen. Was allerdings noch keine Antwort auf sen, kann dort niemand Kartoffeln ernten. Es gibt Naturschutz gut möglich, in Baden-Württemberg entscheidend voran. Weidelandschaft das zweite, regelrecht epochale Problem ist. Die Ge- keinen goldenen Weg, dieser Erkenntnis müssen wir aber nicht. Ich drehe das genau herum. Gerade in schichte der Menschheit ist eine Geschichte der Zäh- uns stellen. Es gibt aber Zusammenhänge, die über- stark belasteten Regionen ist Naturschutz nötig, ge- mung und Störung der Natur. Wir brauchen Nah- zeugen. Die Schwäbische Alb zieht neue Gruppen rade in stark belasteten Regionen mit ihrer Wirt- rung und wollen nicht frieren. Wir haben die Natur von Touristen an, bestimmte neue Angebote, zum schaftsprosperität schließt sich aber auch der Kreis. klein gemacht. Und jetzt müssen wir umsteuern und Beispiel Lammfleisch, werden erfolgreich vermark- Hier finde ich Abnehmer für etwas teurere Produkte. es dialektisch hinbekommen, die Natur unter Wah- tet. So sorgt Naturschutz auch für neue Qualität und Hier habe ich ein Einzugsgebiet, das eine veränderte rung unserer Interessen zu schützen. Jedes Gewer- wirtschaftlichen Erfolg. Form des Tourismus der kurzen Wege auf die Alb Die Mischung macht’s Hang- und Schluchtwälder: Hier entwickelt sich Natur frei Alb erhalten, die Wacholderheide. Sie ist das Ergebnis einer – durchzieht den Norden des Biosphärenreservates. Tausende von Schäferei Stotz und der Firma ‚Flomax Naturmode‘. Die Firma bezog Die Schwäbische Alb wurde sehr früh, bereits in der Jungstein- jahrhundertealten Bewirtschaftungsform, der Schafbeweidung. Kirsch-, Apfel-, Birnen- und Walnussbäumen schaffen eine Land- viele Jahre lang Wolle aus Südamerika, um sie auf der Schwäbi- zeit, besiedelt. Der Jahrtausende währende Einfluss des Men- Ohne Beweidung würde auf den steilen Karsthängen längst schaft mit intensiven Farben und Düften sowie einer unglaublich schen Alb zu Pullovern, Jacken und Mützen zu verarbeiten. Seit schen hat in der Region Spuren hinterlassen. Entstanden ist eine wieder Wald wachsen. 16 Schäfereibetriebe treiben noch heu- reichen Tier- und Pflanzenvielfalt. zwei Jahren kooperiert sie mit der benachbarten Schäferei Stotz. vielfältige Kulturlandschaft mit einem reizvollen Mosaik aus te alljährlich etwa 30.000 Schafe über das Offenland des ehe- Bis zu 5.000 Arten finden sich in diesem Lebensraum, voraus- Ohne eine anfängliche Förderung würde die Wolle heute aber wohl Wald und Offenland. Vom Menschen unberührte Natur ist hin- maligen Truppenübungsplatzes Münsingen. Sie verkaufen das gesetzt, die Wiesen werden nur selten gemäht und maßvoll ge- eher nicht aus der Region kommen. Denn die Wollverarbeitung gegen selten geworden. Frei entwickeln kann sich die Natur der- Fleisch der Lämmer und Schafe an die Gastwirte in der Region, düngt. Auch hier gewinnen sowohl die Natur als auch der Mensch wurde in Deutschland auf Grund des Preisverfalls der Wolle seit zeit lediglich in den Hang- und Schluchtwäldern des Albtraufs aber auch an muslimische Mitbürger. Die Wollnutzung ist bis in gleichem Maße. Die Palette der Streuobstprodukte reicht von langem nicht mehr praktiziert. Das Verfahren, größere Mengen und seiner Seitentäler sowie in den klassischen Kuppenwäldern auf wenige Ausnahmen unrentabel geworden. Kirschlikör und Apfelschaumwein über Fruchtsäfte und Most bis qualitativ hochwertiger Wolle zu verarbeiten, musste daher erst der „Kuppenalb“. Diese verstreuten Restbestände an Wildnis sind Durch den selektiven Verbiss der Schafe entstehen Kalkmager- hin zu Brotaufstrichen. Immer mehr Gaststätten der Region bie- neu etabliert und optimiert werden, bevor das Experiment erfolg- in den Kernzonen des Biosphärenreservats unter Schutz gestellt. rasen – ein idealer Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenar- ten Streuobst-Gerichte an. Diverse Veranstaltungen rund um die reich war. Seither kann die Schäferei Stotz nicht nur das Fleisch, Sie nehmen insgesamt rund drei Prozent der Fläche ein. Die Wäl- ten. Kräuter wie Feldthymian, Wilder Majoran und Echtes Lab- Fruchtvermarktung – wie Most-, Kirschen- oder Zwetschgenfeste sondern auch die Wolle ihrer Tiere verkaufen. Flomax dagegen pro- der befinden sich im Eigentum von Kommunen, des Landes Ba- kraut überziehen zu Tausenden weite Flächen. Sie sind wichtige – bringen die Menschen aus der Region zusammen. Über Wander- fitiert von der großen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die ihr den-Württemberg und der Bundesrepublik Deutschland. In den Nahrungspflanzen für verschiedene Schmetterlingsarten, bei- und Radwege sind die Streuobstwiesen frei zugänglich und zu allen seit dem Umstieg auf regionale Wolle zuteil wurde. Wäldern im Donntal dominieren Buche, Esche und Bergahorn spielsweise für den Schwalbenschwanz. Zu den seltenen Pflan- Jahreszeiten ein genussreiches Reiseziel. Lehrpfade, Schaugärten Die enge Kooperation des Biosphären-Managements mit den Ge- den Bestand. Das Waldgebiet wurde 1995 als Bannwald aus- zen gehören unter anderen der Frühlingsenzian, das Gemeine und Museen ergänzen das Angebot für die Gäste. werbetreibenden der Region zeigt sich auch in der „Partner-Initi- gewiesen und damit erst seit weniger als zwei Jahrzehnten aus Katzenpfötchen und die Mond-Raute. Rotmilane kreisen über ative“. Qualitäts- und Umweltstandards sorgen für ein einheitlich der Nutzung genommen. Die Bäume sind relativ jung (rund 70 die sanft geschwungenen Kuppen, und sogar die seltene Heide- Regionale Wertschöpfungsketten in der Entwicklungszone hohes Niveau bei den beteiligten Partnerbetrieben. Sie zeichnen bis 130 Jahre), die Totholz-Mengen eher gering. Der Unterschied lerche und der Neuntöter finden hier ideale Lebensbedingungen. Die Entwicklungszone im Biosphärenreservat Schwäbische Alb sich durch die hohe Qualität ihrer Produkte und ihres Services aus, zum Wirtschaftswald ist also noch wenig ausgeprägt. Dennoch Die markierten Wege dürfen dabei nicht verlassen werden, zu- nimmt rund 55 Prozent der Gebietsfläche ein. Gewerbe, Dienstleis- leisten einen Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft und engagie- hinterlässt ein Besuch einen bleibenden Eindruck von einem Wald, mal noch immer erhebliche Munitionsreste im Boden lagern. tungsbetriebe und Industrie sind hier angesiedelt, ein Großteil der ren sich als Botschafter des Biosphärengedankens. der sich ohne menschlichen Einfluss entwickeln kann. Seit dem Abzug der Truppen Ende 2005 verwaltet der Bun- Bevölkerung wohnt hier. Es gibt keinerlei Einschränkungen, dafür desforst die gesamte Fläche. Doch nicht nur Schafe tragen zur Unterstützung für ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltige Quelle: www.europarc.org. Das Biosphärengebiet Schwäbische Alb Pflegezonen: Vielfalt durch extensive Nutzung Landschaftspflege bei, sondern beispielsweise auch die Büf- Wirtschaftsformen. Innovative Ideen zur Stärkung regionaler Wirt- gehört zur Föderation EUROPARC, die 1973 gegründet wurde. Seit- Rund 42 Prozent der Gebietsfläche sind als Pflegezone ausge- felherde in Hohenstein. Ein Band von Streuobstwiesen – ein schaftskreisläufe und Wertschöpfungsketten werden gefördert. her hat sie sich zu Europas größtem Schutzgebietsnetzwerk entwi- wiesen. Hier wird eines der Markenzeichen der Schwäbischen weiteres prägendes Landschaftselement der Schwäbischen Alb So entstehen Kooperationen, wie beispielsweise die zwischen der ckelt, mit zurzeit über 420 Mitgliedern in 35 Ländern. 16 BUND Jubiläumsmagazin 2013 BUND Jubiläumsmagazin 2013 17
thema Nationalpark Das Wildseemoor bei Kaltenbronn: Das größte Hochmoor Deutschlands liegt im Suchgebiet. pro Jahr weniger zur Verfügung – im ganzen Land werden aber alljährlich zwischen sieben und zehn Millionen eingeschlagen; allein im Staatswald sind es rund 2,5 Millionen. Zudem liegen ermutigende Erfahrungen aus an- deren Regionen vor, etwa vom Bayerischen Wald, wo sich Anfang der Achtziger Jahre die ärmsten Landkreise des Freistaats zusammentaten. Seither profitiert das ganze Gebiet. Die Statistik untermau- ert diese Bilanz. So hat die EU eine Wertschöpfung Erste entscheidende Weichen sind gestellt: „Für die und mit den Menschen“ von 2500 Euro pro Jahr und Hektar errechnet. Do- kumentiert ist auch der Aufschwung vor allem in Endlich ein den ersten zehn Jahren nach der Eröffnung. Wäh- rend das Tourismusaufkommen zwischen 1982 und 1992 in Bayern um 20 Prozent stieg, waren es in den Nationalparkgemeinden 67 Prozent. Und eine Studie der Uni Passau belegt über achttausend Voll- Nationalpark zeitarbeitsplätze, die neu entstanden und dauerhaft sind. Solche und andere Argumente allerdings zählten und zählen wenig. Gegner wollen allein über die grundsätzliche Ablehnung, nicht aber über Kom- promisse diskutieren, einige – wie der ehemalige ZDF-Moderator Alexander Niemetz – kühlten ihr Mütchen an den Grünen und Naturschutzverbän- den („Tugendterrorismus“). Die FDP will – ganz anders als bei Stuttgart 21 – allein die betroffene Auf eine Herausforderung, sagte Baden-Württembergs müsse aber die Politik treffen. Kretschmann hat Herbst 2012 sind 64 Prozent der Baden-Württem- Bevölkerung entscheiden lassen, was rechtlich gar Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Jahreswechsel einen Zeitplan vorgegeben: Bis Jahresende solle berger für die Einrichtung eines Nationalparks und nicht möglich ist. Der Nationalpark wird als Pres- das notwendige Gesetz „vom nach unserer Verfas- nur 30 dagegen. tigeprojekt der Grünen hingestellt. Stimmt nicht, 2013, freue er sich besonders: die Umsetzung der Pläne für sungsordnung allein für das Verfahren zuständigen sagt nicht nur der Minister ein ums andere Mal: einen Nationalpark im Nordschwarzwald. Der wird Landtag“ verabschiedet sein. 0,7 Prozent der Landesfläche „Der BUND, alle Naturschutzverbände und sehr inzwischen immerhin von einer Zweidrittelmehrheit der Die Befürworter, allen voran der Ministerpräsident viele Befürworter-Gruppen machen sich seit An- Der vor allem von bestimmten wirtschaftlichen selber, appellieren, die Dimensionen im Blick zu fang der Neunziger Jahre stark für ein Großschutz- Bürgerschaft im Südwesten befürwortet. und parteipolitischen Interessen motivierte Wider- behalten: Es geht um 0,7 Prozent der Landesfläche. gebiet.“ Außerdem fand die grün-rote Landesre- stand ist jedoch ungebrochen. Bei sechs öffentli- Über einen Nationalpark könne „nur vernünftig gierung bei Amtsantritt umfangreiche Vorarbeiten 1200 Seiten stark ist das Papier, das Landesge- chen Veranstaltungen in den vergangenen Wochen diskutieren, wer diese Größenordnung fair bewer- sogar der CDU/FDP-Koalitionen vor. schichte schreiben wird. In einem ausführlichen sollten immer wieder Lautstärke und Aggression tet“, sagt Kretschmann. Der zuständiger Minister Gutachten, basierend auch auf nicht weniger als der Gegner suggerieren, dass die Mehrheit im La- Alex Bonde legt ebenfalls mit Zahlen nach, die die Längst wissen nicht nur Insider: Aus 17.000 Hektar, rund 4000 Fragen aus der Region und von Be- ger der Neinsager stehe. Umfragen und Studien über Monate mit so großer Vehemenz vorgetrage- allesamt im Staatsbesitz, sollen am Ende 10.000 troffenen, wird das Für und Wider eines Groß- besagen das Gegenteil. Sieben paritätisch besetzte nen Gegenargumente zurechtrücken sollen. Nach Hektar rund um Ruhestein und Ochsenkopf ausge- schutzgebietes im Nordschwarzwald abgewogen. Arbeitskreise urteilten positiv, und landesweit gibt den Berechnungen der Gutachter stehen der regi- sucht und zum ersten Nationalpark im Südwesten Die Signale stehen eindeutig auf Grün. Die politi- ohnehin es eine mehrheitliche Zustimmung. Nach onalen Sägeindustrie ohne Ausgleichsmaßnahmen werden. Der BUND fordert von der Landesregie- sche Entscheidung, so die Gutachter ausdrücklich, einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen vom und rein rechnerisch 26.660 Erntefestmeter Holz rung, ihn „mit einer attraktiven Infrastruktur für 18 BUND Jubiläumsmagazin 2013 BUND Jubiläumsmagazin 2013 19
thema Nationalpark thema Nationalpark naturverträglichen Tourismus einerseits und die gegen das Ziel ökologischer Unversehrtheit zu Fel- die Fortsetzung. Rein wissenschaftlich betrachtet „Ein Blick über den Tellerrand Baden-Württembergs hinaus zeigt ganz eindeutig: Naturwaldforschung andererseits auszustatten“. de, zwar fürchten noch immer Anrainergemeinden könnte – andere sagen: müsste – jetzt eine neue in- Nationalparks sind ein Gewinn für Mensch und für die Natur.“ Nötig sind dafür aus seiner Sicht unter anderem um Entwicklungschancen und Unternehmer um die tensive Phase der Beteiligung und des Interessens- Dr. Markus Rösler, der naturschutzpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, macht gut ausgebildete Nationalparkführerinnen und Attraktivität von Standorten. Dennoch stehen Teile ausgleichs starten. Zugleich aber berichten Land-, sich seit vielen Jahren für den Nationalpark Nordschwarzwald stark. -führer, Informationszentren mit attraktiven Aus- der CDU mittlerweile im Lager der Befürworter. Da- Kreis- und Gemeinderäte, dass viele Menschen vor stellungen, besondere Naturerlebnisangebote und runter sind klingende Namen aus der Region, und Ort auf eine Entscheidung drängen. Außer dem „Wir setzen uns für die Einrichtung eines Nationalparks Schwarzwald ein – aus Wege für alle, die sich leise durch die Landschaft sogar frühere CDU-Granden werben für den Natio- möchte Grün-Rot das Vorhaben in dieser Legisla- Verantwortung für die Schöpfung und als Beitrag zur Förderung der Wirtschaft bewegen beim Wandern, Reiten, Fahrradfahren, nalpark, zum Beispiel der erste Umweltminister im turperiode unumkehrbar machen. Ein Ausgleichs- im Schwarzwald. Wir sind der Überzeugung, dass die Natur, die Menschen und die Lang- oder Schneeschuhlaufen. Außerdem dürf- Südwesten Erwin Vetter. verfahren, das seinen Namen verdient, könnte aber Wirtschaft einen neuen, kraftvollen Impuls verdient haben.“ ten „die Kosten – immerhin mehrere Millionen pro Jahre dauern. Kretschmanns Faustregel, für Betei- Erklärung von Christdemokraten pro Nationalpark. Zu den Erst-Unterzeichnern gehört Jahr insbesondere für Nationalpark-Arbeitsplätze Einmaliger Dialogprozess ligungsprozesse, lautet „Gehört heißt nicht erhört“. der frühere baden-württembergische Umweltminister Erwin Vetter (CDU), einer der – nicht zu Lasten anderer Naturschutzaufgaben Um die Bürgerschaft zu überzeugen, fanden in den Und die gilt auch im Nordschwarzwald. Im Gesetz- politischen Väter der Idee. Er hatte sich bereits vor mehr als zwanzig Jahren für einen des Landes“ gehen. Wie groß der Nachholbedarf vergangenen eineinhalb Jahren gut 150 Veran- gebungsverfahren könnte die Anhörung um eine Nationalpark im Nordschwarzwald eingesetzt. ist, zeigen Vergleichszahlen. In ganz Deutschland staltungen statt, 120.000 Haushalte wurden ange- neuerliche Beteiligung der Bürgerschaft erweitert gibt es 14 solcher Gebiete, die Eingriffen durch den schrieben und eben jene rund 4000 Einzelfragen werden. Auch aus Stuttgart 21, so der Minister- „Touristen wollen nicht über Totholz steigen.“ Menschen weitestgehend entzogen sind, In ganz zusammengefasst, der renommierte Risiko- und präsident, habe er gelernt, dass „so etwas künftig Der FDP-Landtagsabgeordnete Friedrich Bullinger, der im Zusammenhang mit der Ein- Europa aber mehr als 300. Und Baden-Württem- Kommunikationsforscher Ortwin Renn leitete eine stattzufinden hat, ehe alle grundlegenden Ent- richtung des von ihm vehement bekämpften Nationalparks von einer „Wahlkampfkos- berg liegt ganz weit hinten. Schon Harald B. Schä- Tagung mit rund 350 Teilnehmern, die Arbeitskrei- scheidungen getroffen sind“. Die Diskussionen vor tenerstattung“ der Landesregierung an die Naturschutzverbände spricht, weil die vor fer wusste das. Der im Januar 2013 verstorbene se berieten intensiv, eine Infoplattform samt Tele- Ort im Schwarzwald hätten ihn in dieser Haltung allem die Grünen 2011 stark unterstützt hätten. Sozialdemokrat, ab 1992 für vier Jahre Umweltmi- fon ist geschaltet, unzählige Materialen stehen im bestätigt. Als weiteres konkretes Ergebnis des bis- nister einer Großen Koalition im Land, hatte sich Netz. „Mir ist nicht bekannt“, sagt Thomas Wal- herigen Verfahrens steht schon heute fest, dass „Anfangs mussten die Naturschützer gegen erheblichen Widerstand kämpfen. Indus- für das Projekt stark gemacht. Viele Pläne wurden denspuhl, im Ministerium zuständig für den Natio es bei allen Fragen grundsätzlich eine paritätische trielle fürchteten um ihren Zugang zu Wasser- und Holzschätzen. Freiheitsliebende geboren, hatten aber keinerlei Aussichten auf eine nalpark, „dass es jemals in Deutschland einen ähn- Mitbestimmung geben wird. „Denn wenn der Natio- Bürger und Politiker störten sich an dem großen Einfluss der Regierung. Parlamen- Mehrheit. Die CDU-Spitze, auch Ministerpräsident lich intensiven Dialogprozess gegeben hat.“ nalpark kommt“, sagt Waldenspuhl, „dann kommt tariern in Washington und in den neuen Bundesstaaten schien die wirtschaftliche Erwin Teufel, saß beharrlich im Bremserhäuschen. er für die und mit den Menschen.“ Expansion ihrer Nation zunächst wichtiger als die Bewahrung der Natur.“ Inzwischen hat sich manches verändert. Zwar zie- Dennoch – oder gerade deshalb – warten viele Be- Badische Zeitung Anfang Oktober 2011 über den massiven Widerstand gegen den hen noch immer Sägewerk- oder Großwaldbesitzer teiligungs- und Konfliktexperten mit Spannung auf Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer ersten amerikanischen Nationalpark im Yellowstone-Gebiet im Jahr 1872. Ängste und Interessen wie vor 140 Jahren Häuser und Wohnungen, manche alten Hotels und viele klei- ne Geschäfte leerstehen. Gerade in den kleinen Gemeinden Nationalparkbesucher sind meist keine Tagestouristen und bleiben länger. Und die Einheimischen sind stolz auf das gerettete, faszinie- des Nordschwarzwalds beginnt der demographische Wandel rende Naturerbe vor ihrer Tür. Amerika ist stolz auf seine Nationalparks. Inzwischen. Vor im Wald erlaubt", schreibt die Badische Zeitung. Ein Sünden- auch optisch sichtbar zu werden, und die Landflucht macht 140 Jahren war vieles anders. Auch im Yellowstone-Gebiet bock Nationalpark bietet sich da an, um abzulenken. sich immer stärker bemerkbar. Qualitätstourismus mit einem Axel Mayer, BUND musste erst jede Menge Überzeugungsarbeit geleistet wer- Nationalpark Nordschwarzwald könnte die Situation positiv den. Mehr als hundert Jahre später beginnen die ersten Über- Es ist beeindruckend, wie geschickt die ökonomischen Inte- verändern, und ein Nationalpark bietet auch die Chance, sich legungen für den Nordschwarzwald, für einen vergleichswei- ressen der Nationalparkgegner mit einem grünen Mäntel- positiv mit der Heimat zu identifizieren. se kleinen Nationalpark in der zersiedelten, zerschnittenen, chen bedeckt werden und wie mit vorgeschobenen, falschen auf- und ausgeräumten Landschaft in Baden-Württemberg. Naturschutzargumenten gegen Natur argumentiert wird. Zu Baden-Württemberg, das Saarland und Rheinland-Pfalz den Ängsten, die da gezielt geschürt werden, zählt die weit haben als einzige Flächenländer noch keinen Nationalpark. Und wieder gibt es finanzstarke Lobbygruppen dagegen und verbreitete Angst vor "Unordnung im Wald". Nationalpark- Der Nationalpark Nordschwarzwald soll eine Mindestfläche die fast gleichen, 140 Jahre alten Argumente. Insbesonde- gegner gibt es nicht nur in den Wäldern Amazoniens und in von rund 10.000 Hektar (100 Quadratkilometer) umfassen. re die FDP, die Lobbyisten und Vertreter der Sägewerke, der Afrika ... Der tägliche Flächenverbrauch in Deutschland liegt bei rund Holzindustrie und der Waldbesitzer kritisieren die National- hundert Hektar am Tag. Der Park hätte also die Fläche, die in parkpläne der grün-roten Landesregierung. Der Slogan der Wer sich auf den Straßen und in den Orten in und um den Deutschland in hundert Tagen bebaut, zersiedelt, entwertet gut organisierten Nationalparkgegner lautet: "JA zum Wald geplanten Nationalpark Nordschwarzwald umschaut, sieht und zerstört wird... – NEIN zum Nationalpark Nordschwarzwald", doch das "Ja Kurzzeit- und Tagestouristen, die meist wenig Geld in die zum Wald" ist wohl eher ein "Ja zum Holz"... Geld macht Region bringen. "Die älteren Gäste wollen keine Wildnis" Ein Nationalpark Nordschwarzwald wäre auch ein Stück Hei- Meinung. Die Sägewerke im Schwarzwald stecken aus ganz ist ein häufig zu hörendes Argument im Nordschwarzwald. mat in unserer ausgeräumten und zersiedelten Landschaft. anderen Gründen in einer tiefen Krise. "Das Problem der Dass junge und alte Touristen Wildnis mögen und immer Auch die Menschen in den Gemeinden im Schwarzwald deutschen Sägeindustrie: Es gibt zu viele Mitbewerber. Fach- stärker suchen, zeigt nicht nur der Nationalpark Bayerischer könnten profitieren. Überall dort, wo es Nationalparks gibt, leute schätzen, dass die Sägewerke der Republik etwa 2,5 Wald. Wer sich im Nordschwarzwald in und um den geplan- hat ein naturverträglicher Tourismus eingesetzt, der Gelder mal mehr Holz sägen könnten als ein nachhaltiger Einschlag ten Nationalpark umschaut, sieht allerdings auch, dass erste in die Gemeinden bringt und Arbeitsplätze schafft, denn Widerstand gehört zu vielen Nationalparks vor ihrer Einrichtung: auch im Nordschwarzwald 20 BUND Jubiläumsmagazin 2013 BUND Jubiläumsmagazin 2013 21
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