POLITISCHE STUDIEN 442 - HANNS-SEIDEL-STIFTUNG
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Politische Studien 442 Orientierung durch Information und Dialog 63. Jahrgang | März-April 2012 | ISSN 0032-3462 | € 4,50 /// IM FOKUS Politische Studien /// Heft 442 Frauen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Mit Beiträgen von Anne Gfrerer | Ursula Männle | Emilia Müller | Hillary Rodham Clinton | Tanja Schwarzmüller | Matthias Spörrle | Isabell M. Welpe /// Marcel Huber Zeitgespräch: Ein Minister für Umwelt, Gesundheit und „Leben“ /// Junhua Zhang China: Bedrohung oder Partner für den Westen? /// Peter Witterauf Die Weltwirtschaft im Umbruch www.hss.de
„ Ein Jahr danach – ‚Fukushima’ und die Folgen sind noch lange nicht vorbei. editorial Das Undenkbare denken Tausende Menschen haben ihr Leben verloren und ganze Städte wurden verwüstet, als Japan am 11. März 2011 von einem Erdbeben und einem Tsunami heimgesucht wurde. Die Zerstörung hatte unvorstellbare Aus- maße und geriet zu einer Dreifach-Katastrophe, als es auch noch zu dem Reaktorunfall in Fukushima kam. Tagelang beobachteten die Menschen weltweit das dramatische Ringen um die Kernschmelze und die Freiset- zung von Radioaktivität. Dass in Japan, einer der führenden Industrienati- onen mit technologisch hoch entwickelter Wirtschaft, ein Reaktorunfall passieren könnte, hieß bis dato gleichsam, „das Undenkbare denken“ und führte in Deutschland zu einer Neubewertung der Atomkraft und zur Ener- giewende, deren Gelingen seitdem zu einem täglichen Thema geworden ist. Ein Jahr „nach Fukushima“ steigt nun wieder die Berichterstattung über die Situation vor Ort in Japan. Man erfährt von den Aufräumarbeiten, den Dekontaminierungsmaßnahmen und der Rücksiedlung von Bewoh- nern. Doch die Lage ist noch immer nicht gänzlich unter Kontrolle. Teile der Reaktorgebäude weisen so hohe Strahlenwerte auf, dass sie nicht betre- ten werden können und man nur wenig über den tatsächlichen Zustand weiß. Um eine weitere Freisetzung von radioaktivem Material zu verhin- dern, muss die gesamte Anlage eingehüllt werden. Die Verantwortlichen müssen außerdem versuchen, die Kühlung der Reaktoren dauerhaft in Griff zu bekommen und überlegen, was mit dem dadurch kontaminierten Was- ser passieren soll. Für Japans Wirtschaft ist aber nicht nur die Dreifach- Katastrophe eine besondere Belastungsprobe, sondern auch der wachsende Wettbewerbsdruck mit den aufstrebenden asiatischen Nachbarländern. Je- der kann sich vorstellen, was das für die Menschen vor Ort bedeutet: Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen, vor kontaminierten Lebensmitteln und auch vor weiteren Erdbeben. Es ist bewundernswert, wie gefasst die Bevöl- kerung mit der Situation umgeht. Silke Franke Dipl.-Geographin, Referentin für Umwelt und Klima, Ländlicher Raum, Ernährung und Verbraucherschutz, Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, München. 442 // PoLITISCHE STUDIEN 3
16 INHALT 06 IM FOKUS POLITISCHE-STUDIEN- AKTUELLES BUCH ZEITGESPRÄCH 12 DIE REFORM DES KOLLEKTIVEN 84 KÖNIGIN ELIZABETH II. FEIERT GEDÄCHTNISSES 06 EIN MINISTER FÜR UMWELT, DIAMANTENES THRONJUBILÄUM Einführung GESUNDHEIT UND „LEBEN“ God save the Queen CLAUDIA SCHLEMBACH Politische-Studien-Zeitgespräch REINHARD MEIER-WALSER mit dem bayerischen Umwelt- und 16 SCHRITT FÜR SCHRITT CHANCEN- Gesundheitsminister RUBRIKEN GLEICHHEIT – ZUM NUTZEN ALLER MARCEL HUBER Frauen in Europa 03 EDITORIAL EMILIA MÜLLER ANALYSEN 87 REZENSIONEN 103 LESEEMPFEHLUNG 24 FRAUEN IN DER POLITIK 52 WIRD CHINA BEDROHUNG ODER 106 ANKÜNDIGUNGEN 30 Was hat sich verändert? URSULA MÄNNLE PARTNER FÜR DEN WESTEN SEIN? Neue Überlegungen zu einer alten 108 IMPRESSUM Fragestellung 30 WOMEN’S BREAKFAST 2012 JUNHUA ZHANG Remarks HILLARY RODHAM CLINTON 61 DIE WELTWIRTSCHAFT IM UMBRUCH 35 DER HVB FRAUENBEIRAT Welcher Ordnungsrahmen ist Diversity neu denken notwendig? ANNE GFRERER PETER WITTERAUF 39 FRAUEN IN DER WISSENSCHAFT 72 ZWANZIG JAHRE NACH Please mind the gap! DEM ZUSAMMENBRUCH ISABELL M. WELPE | TANJA SCHWARZMÜLLER | JUGOSLAWIENS 52 MATTHIAS SPÖRRLE Zwischen Fortschritt und Stillstand OLIVER JOACHIM ROLOFS | JOCHEN STÖGER 4 POLITISCHE STUDIEN // 442 442 // POLITISCHE STUDIEN 5
POLITISCHE-STUDIEN–ZEITGESPRÄCH „ Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Politische Studien: Transparenz in der Nahrungsmittelkette und die Tierhaltung bleiben sicherlich noch Themen, über die zu sprechen sein wird. Eine weiteres, gro- ßes Aufgabenfeld für die Zukunft ist die /// Politische-Studien-Zeitgespräch Energiewende. Die Federführung liegt Marcel Huber: Die Energiewende ist MARCEL HUBER – EIN MINISTER FÜR zwar beim Wirtschaftsministerium, aber es gibt zahlreiche Aspekte, die weitere eine gesamtgesellschaftliche Herausfor- derung. Dabei kommt es auf alle an. UMWELT, GESUNDHEIT UND „LEBEN“ Ministerien berühren, beispielsweise bei Dieser Verantwortung kommen wir ger- der energetischen Gebäudesanierung ne nach, gemeinsam mit den Verbän- oder beim Biomasseanbau. Auch Ihr Res- den. Die Energieagentur Bayern führt sort ist betroffen. Das erfordert eine ech- die Gesamtregie für die Energiewende. MARCEL HUBER /// ist seit November 2011 Bayerischer Staatsminister für te Koordinationsleistung. Gibt es kultu- Wir selbst haben – als ein ressortüber- Umwelt und Gesundheit, das sich auch als „Lebensministerium“ bezeichnet. relle Hürden zwischen den Ministerien greifendes Beispiel – noch vor Weih- Der promovierte Tierarzt wirkte dort bereits von Oktober 2007 bis Oktober 2008 und den Verbänden? nachten den Windenergieerlass verab- als Staatssekretär, bevor er in das Staatsministerium für Unterricht und Kultus wechselte und anschließend zum Leiter der Bayerischen Staatskanzlei berufen wurde. Zu Hause im Landkreis Mühldorf am Inn ist er CSU-Kreisvorsitzender. Bildnachweis: Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit, München. Politische Studien: Sehr geehrter Herr rückstände. Zusätzlich zum nationalen Staatsminister, als Chef des Bayerischen Rückstandskontrollplan wurden 2010 Staatsministeriums für Umwelt und Ge- 174 Geflügelfleischproben auf Rück- sundheit tragen Sie auch für die Lebens- stände von Antibiotika untersucht. Da- mittelsicherheit und das Wohl der Tiere bei wurden keine Grenzwertüberschrei- Verantwortung – was einem Veterinär be- tungen festgestellt. 89 % des Hähnchen- sonders entgegenkommt. In den letzten und 31 % des Putenfleisches waren Wochen gab es in den Medien viele kriti- gänzlich ohne Rückstände. Zudem hat sche Berichte über die Folgen der Mas- das bayerische Gesundheitsministerium sentierhaltung und des Antibiotika-Ein- gehandelt und eine Sonderuntersu- satzes. Wie sieht angesichts dieser Her- chung zur Keimbelastung bei Hähn- ausforderungen Ihr Aktionsplan aus? chenfleisch in Auftrag gegeben. Ziel ist Marcel Huber: Antibiotika sind unver- es, zusätzlich repräsentative, valide zichtbar in der Medizin – für die Ge- Zahlen über die Resistenzsituation zu sundheit von Mensch und Tier. Die erhalten. Gemeinsam mit den anderen neue Situation der Antibiotika-Resisten- Ländern spricht sich Bayern im Kampf zen ist allerdings bedenklich. Es muss gegen die zunehmenden Antibiotikare- alles getan werden, die Wirksamkeit der sistenzen für einen ganzheitlichen An- Antibiotika zu erhalten. Das Bayerische satz für mehr Tiergesundheit durch eine Landesamt für Gesundheit und Lebens- Optimierung der Hygienestandards, der mittelsicherheit (LGL) untersucht regel- Haltungsbedingungen sowie des Be- mäßig Fleischproben auf Antibiotika- standsmanagements aus. Durch die Energiewende sind Solaranlagen weiter im Aufschwung – Minister Huber wirbt für sie. 6 POLITISCHE STUDIEN // 442 442 // POLITISCHE STUDIEN 7
POLITISCHE-STUDIEN–ZEITGESPRÄCH schiedet. Hier haben wir eng mit ver- ge Weise. Jüngstes Beispiel ist die Ge- Marcel Huber: Nein, die Kompensation gelung wollen wir in der geplanten Kom- schiedenen Verbänden zusammengear- bietskulisse Windkraft als Umweltpla- von Eingriffen in Natur und Landschaft pensationsverordnung verbessern. beitet, etwa mit dem Landesbund für nungshilfe. Die Gebietskulisse ist eine ist bundesgesetzlich festgeschrieben. Vogelschutz. Natürlich gibt es auch Dienstleistung insbesondere für die Derartige Eingriffe müssen grundsätz- Politische Studien: Wie sieht für Sie eine noch andere Herausforderungen, zum Kommunen und Regionalen Planungs- lich vom Verursacher durch Bereitstel- intelligente Vernetzung von Agrar- und Beispiel ein gemeinsames Verständnis verbände. Sie zeigt nach bayernweit ein- lung von Ausgleichs- oder Ersatzflächen Umweltproduktion aus? zur Wasserkraft. Auch hier suchen wir heitlichen Kriterien die geeigneten kompensiert werden. Ziel ist ein flä- Marcel Huber: Wir müssen heute so le- den Dialog. Standorte für die Errichtung von Wind- chendeckender Mindestschutz und der ben, dass auch unseren Kindern genü- kraftanlagen auf. Jetzt sind zunächst die Erhalt unserer Natur und Landschaft. gend Gestaltungsspielräume für ihr Bay- Politische Studien: Wie sieht es denn bei Kommunen mit ihrer Ortskenntnis und Dabei besteht keine aus agrarstrukturel- ern von morgen bleiben. Nachhaltigkeit der Wasserkraft aus? Da soll bis zum Jahr Planungshoheit bei der weiteren Ent- ler Sicht relevante Flächenkonkurrenz ist unser Leitmotiv, auch für die Produk- 2021 der Anteil am Stromverbrauch von wicklung gefragt. Auch der Leitfaden zwischen landwirtschaftlicher Nutzung tion von Agrargütern. So darf die Erzeu- derzeit 15 % auf 17 % ausgebaut werden. Energienutzungsplan leistet den Kom- und naturschutzfachlicher Kompensati- gung von Biomasse nicht weiter dazu Wie lässt sich das realisieren? munen seit Februar 2011 eine wichtige on. So können rund 40 % der Kompen- führen, dass nur noch Mais angebaut Marcel Huber: Die Wasserkraft ist eine Hilfestellung für eine effiziente Energie- sationsflächen weiterhin landwirt- wird. Klar ist, dass die zukünftigen He- wichtige Energiequelle, gerade in Bay- nutzung. Mit dem Energie-Atlas Bayern schaftlich, z. B. als extensives Grün- rausforderungen wie die Energiewende ern. Sie muss einen Beitrag zur Energie- haben die Kommunen im Internet unter land, genutzt werden. Das Bayerische nur durch eine gemeinsame Kraftan- wende leisten. Bereits jetzt liegt der An- www.energieatlas.bayern.de ein wichti- Naturschutzgesetz betont darüber hin- strengung gelingen können. Dies setzt teil der Wasserkraft an den regenerati- ges Instrument an der Hand. Es zeigt aus die Notwendigkeit, Grünland in voraus, dass wir noch stärker als bisher ven Energien in Bayern bei 60 %. Mit Potenziale auf und ist Basis für regionale ökologisch sensiblen Bereichen zu erhal- über Fachbereiche hinaus zusammenar- einem Zehn-Punkte-Fahrplan für eine Energienutzungskonzepte oder Ent- ten. Hier setzen wir auf das bewährte beiten müssen, um intelligente und kre- ökologische und naturverträgliche Was- wicklungspläne für erneuerbare Energi- Prinzip der Freiwilligkeit und schließen ative Lösungen zu finden. Die 55 Land- serkraftnutzung wollen wir den Ausbau en. Derzeit sind über 300.000 Anlagen Verträge mit den Landnutzern. Auch die schaftspflegeverbände in Bayern, in de- weiter voranbringen, vor allem mit Mo- erfasst, ihre Zahl wächst stetig. Neu Bayerische Biodiversitätsstrategie ist ein nen Vertreter der Kommunen, des Na- dernisierungen und Nachrüstungen. Ich hinzukommen wird ein Marktplatz für wichtiger Baustein, um die Vielfalt an tur- und Umweltschutzes und der Land- strebe für Natur und Artenvielfalt inno- Abwärme. Ziel ist es, Wärme für Hei- Arten und Lebensräumen zu sichern wirtschaft vor Ort zusammenarbeiten, vative Lösungen an, eine Win-win-Situ- zungen aus industriellen Prozessen, und Entwicklungsmöglichkeiten zu ver- leisten hier einen wertvollen Beitrag. ation für den Natur- und Gewässer- Müllverbrennungsanlagen oder Abwas- bessern. Große Erwartungen setzen wir schutz sowie die Energieerzeugung. Bis ser zurückzugewinnen. Der Energie- auch in die sogenannten „produktions- Politische Studien: Wie zufrieden sind Herbst 2012 soll es zum Beispiel eine Atlas Bayern wird damit vom Routen- integrierten Kompensationsmaßnah- Sie mit den bisherigen Ergebnissen zum erste Liste mit Standorten geben, an de- planer zur virtuellen Planungshilfe für men.“ Diese führen einerseits zu einer Flächensparen? Ein signifikant abneh- „ nen Modernisierungsmaßnahmen sinn- erneuerbare Energien. Er wird bereits ökologischen Aufwertung von landwirt- mender Trend ist nicht erkennbar. Brau- voll erscheinen oder vorhandene Wehre rege genutzt – die Anzahl der Klicks schaftlichen Flächen, andererseits müs- chen wir straffere Vorgaben? nachgerüstet werden können. Auch hier liegt bei über vier Millionen. sen die Flächen dafür nicht aus der land- ist uns ein enger Energiedialog mit den wirtschaftlichen Nutzung genommen Verbänden wichtig. Politische Studien: Ich möchte in diesem werden. Die Voraussetzungen für eine Zusammenhang den „Flächenverbrauch“ solche Flexibilisierung der Ausgleichsre- Politische Studien: Wie begleitet das ansprechen. Boden, das wird uns zuneh- Umweltministerium die Kommunen bei mend bewusst, ist eine wertvolle Res- der Energiewende? Viele Gemeinden source. Nun brauchen wir die Flächen Nachhaltigkeit ist unser Leitmotiv, damit auch möchten etwas tun, sind aber verunsi- nicht nur für den Anbau von Nahrungsmit- unseren Kindern genug Gestaltungsspielraum chert, z. B. was die Regelungen bei der teln, sondern auch für den Anbau von Bio- für morgen bleibt. Windenergie angeht. masse. Müssen wir um die „ökologischen Marcel Huber: Das Umweltministerium Ausgleichsflächen“ und Grünlandflächen unterstützt die Kommunen auf vielfälti- bangen? 8 POLITISCHE STUDIEN // 442 442 // POLITISCHE STUDIEN 9
POLITISCHE-STUDIEN–ZEITGESPRÄCH Marcel Huber: Flächen stehen uns nur in begrenztem Umfang zur Verfügung. Wir müssen mit dem wertvollen Gut künftige Generationen zu sichern. Auf der UN-Konferenz geht es darum, sich auf einen globalen Rahmen zu verstän- „ Ich befasse mich mit zukunftsrelevanten Themen – das ist eine tolle Herausforderung. Erhalt der Megaressource Wasser und verantwortungsvoll umgehen. Bayern digen, der allen Staaten und Regionen einen respektvollen Umgang mit der steht aber mit einem Anteil von nur Rückhalt und Unterstützung bei ihren Schöpfung, um nur einige Schlüsselthe- 11,3 % Siedlungs- und Verkehrsfläche Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit men zu nennen. Natürlich geht es auch an der Gesamtfläche im bundesweiten bietet und sich mit den drängenden He- um den Erhalt der Heimat, der regiona- Vergleich sehr gut da. Ziel der Bayeri- rausforderungen für die Weltgemein- len Kultur, der Dorfgemeinschaft und CO2-Ausstoß pro Bürger und Jahr deut- schen Staatsregierung ist es, den Flä- schaft auseinandersetzt. Nachhaltigkeit der Solidarität zwischen Stadt und lich unter sechs Tonnen zu drücken, chenverbrauch im Freistaat deutlich und bildet auch das Leitbild und den lang- Land. Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der nicht aus den Augen verlieren. Auch die dauerhaft zu senken. Wir unterstützen fristigen Orientierungsrahmen für die unseren traditionellen Vorstellungen ei- Bewahrung der Artenvielfalt ist mir ein die Kommunen dabei mit einer Reihe Politik der bayerischen Staatsregierung. ner werterhaltenden, im besten Sinne wichtiges Anliegen. Ich bin aber auch von Maßnahmen, beispielsweise mit Die Staatsregierung hat deshalb be- konservativen Politik enorm nahesteht. Gesundheitsminister. Deshalb liegt es einer Flächenmanagement-Datenbank, schlossen, eine neue Nachhaltigkeits- Aushängeschild des Bayerischen Um- mir am Herzen, die qualitativ hochwer- mit der Kommunen die vorhandenen strategie zu erarbeiten, die bayerische weltministeriums ist derzeit das Projekt tige medizinische Versorgung flächen- Flächensparpotenziale erfassen und die Ziele, Maßnahmen und Lösungsansätze „Netzwerk Nachhaltige Bürgerkommu- deckend zu sichern und weiterzuentwi- Nutzung dieser Potenziale im Rahmen für eine nachhaltige Entwicklung in ne“. Dieses Projekt ist ein gelungenes ckeln. Das Umwelt- und Gesundheits- der kommunalen Planungshoheit opti- Bayern formuliert und damit die Ziele Beispiel dafür, wie der Staat eine nach- ministerium ist das Lebensministerium: mieren können. der UN-Konferenz unterstützt. haltige Entwicklung in Kommunen un- Es deckt alle Bereiche des Lebens ab – terstützen kann. Auch künftig wird das von der Versorgung der Säuglinge bis Politische Studien: Im Juni 2012 tagt Politische Studien: Das Treffen ist sym- Bayerische Staatsministerium für Um- hin zum Bestattungsrecht. Das macht die UN-Konferenz für nachhaltige Ent- bolträchtig, denn es findet abermals in welt und Gesundheit innovative Mo- diese Tätigkeit so spannend. wicklung. Sie soll die Neuausrichtung Rio de Janeiro statt, wo sich die internati- dellprojekte unterstützen, etwa im Be- der Volkswirtschaften weltweit hin zu onale Staatengemeinschaft beim „Welt- reich der Energiewende oder des Demo- Politische Studien: Vielen Dank für das einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise gipfel“ vor zwanzig Jahren erstmals zum graphischen Wandels. Dies sind die Gespräch. – „Green Economy“ – deutlich beschleu- Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung großen Herausforderungen, vor denen nigen. Welche Erwartungen haben Sie be- bekannt und das Aktionsprogramm wir stehen. Ziel der Staatsregierung ist Das Interview führte Silke Franke, Dipl.- züglich der Konferenz und wie bringt sich „Agenda 21“ verabschiedet hat. Wie geht es, Unterstützung bei der Bewältigung Geographin, Referentin für Umwelt und Bayern dabei ein? es heute mit der lokalen Agenda 21 wei- der Zukunftsfragen zu bieten. Klima, Ländlicher Raum, Ernährung und Marcel Huber: Nachhaltige Entwick- ter? Welche Anreize bieten Sie den Kom- Verbraucherschutz, Akademie für Politik lung bedeutet den Erhalt der wertvollen munen zur nachhaltigen Umsteuerung? Politische Studien: Sie waren bereits und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stif- ökologischen, ökonomischen und sozia- Marcel Huber: Der Bezug zur lokalen 2007/ 2008 als Staatssekretär im Um- tung, München. /// „ len Grundlagen, um damit Wohlstand Agenda 21 ist richtig, aber nicht ab- weltministerium. Das Ministerium nennt und Lebensqualität für heutige und schließend. Nachhaltigkeit hat an Be- sich inzwischen Lebensministerium. Die deutung hinzugewonnen. Das berührt Energiewende setzt allerorten neue w Fragen unseres globalen Wirtschafts- Schwerpunkte. Welche Akzente möchten systems ebenso wie die Themen „Schul- Sie persönlich als Umweltminister setzen? denfreie Staaten“, Ökologisierung der Marcel Huber: Ich darf mich aktuell Energiegewinnung, Ressourcensparen, wieder mit den Themen befassen, die sehr große Zukunftsrelevanz haben. Ziel der Staatsregierung ist die Unterstützung bei der Das ist eine tolle Herausforderung. Die Bewältigung der Zukunftsfragen. Energiewende ist natürlich ein zentrales /// DR. MARCEL HUBER Thema. Ziel ist es, 50 % der elektrischen ist Bayerischer Staatsminister für Um- Energie regenerativ bis 2021 zu decken. welt und Gesundheit, München. Dabei dürfen wir unser Klimaziel, den 10 POLITISCHE STUDIEN // 442 442 // POLITISCHE STUDIEN 11
IM FOKUS /// Einführung DIE REFORM DES KOLLEKTIVEN Bildnachweis: Wilhelm Kranz / Getty Images GEDÄCHTNISSES CLAUDIA SCHLEMBACH /// Das kollektive Gedächtnis ist ein wichtiges Moment für die Identität einer Gesellschaft. Es reflektiert in Teilen das gesellschaftliche Wertegerüst, erweist sich aber auch als alltagstauglich und anwendungsorientiert, weil es die Beziehungen zwischen den Menschen abbildet. Unser kollektives Gedächtnis ist noch auf Steinzeit programmiert. Das muss sich ändern. Das Kollektive Gedächtnis steht für die genheit unserer Gesellschaft. Es zeigt land noch bei 27 %, 2006 erstmals bei Steiff, Käthe Kruse, Elisabeth Beusen „Tradition in uns, die über Generatio- sich: Unser kollektives Gedächtnis, das der Hälfte. Heute sind es die Frauen, oder Aenne Burda. Heute haben wir nen, in jahrhunderte-, ja teilweise jahr- wir so lange gepflegt haben, passt nicht die die meisten Studienabschlüsse ma- auf dieser Ebene Elisabeth Schäffler, tausendelanger Wiederholung gehärte- mehr so richtig in unsere Zeit. Die ge- chen. Liz Mohn oder Nicola Leibinger- ten Texte, Bilder und Riten, die unser wachsenen Strukturen in den unter- • 1906 prescht Finnland in Europa mit Kammüller. Auch die sogenannten Zeit- und Geschichtsbewusstsein, unser schiedlichen Lebenswelten von Politik, dem Frauenwahlrecht vor, 19 weibli- Führungspositionen sind im Mittel- Selbst- und Weltbild prägen“. Es ist Wirtschaft, Gesellschaft, Familie haben che Abgeordnete werden in das Parla- stand mit 20 % Frauenanteil nicht deshalb aus gutem Grund zäh und hält vielfältige, neue Formen angenommen. ment gewählt, Deutschland folgt 12 überwältigend, aber doch deutlich dem Druck stand, auf jeden neuen Die Geschwindigkeit, mit der diese Ver- Jahre später. Immer wieder schaffen es besser besetzt als in den investorenbe- Trend mit unmittelbaren Verhaltensän- änderungen über uns hereingebrochen Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg triebenen Konzernen. Dort variieren derungen zu reagieren. sind, die Dynamik, die darin steckt, in die Spitzengremien der Partei, blei- die Zahlen zwischen 3,5 und 7,5 % – Greifen wir die Beziehung zwischen steht nun im krassen Gegensatz zu der ben aber die Ausnahme. Ursula so oder so, beeindruckend ist die Mar- Mann und Frau in ihrem diversen Rol- zähen Gedächtnismasse, die sich Verän- Männle, die sicher als politische Pio- ge nicht. lenverständnis auf, das Bild der Frau und derungen verweigert. nierin gelten darf, schildert in diesem • Auch in anderen Bereichen waren des Mannes bezüglich Familie, Bezie- Heft ihre Einschätzung darüber, was Frauen lange Zeit nur als Solitäre aus- hung und Ehe. In der Steinzeit erlegten Die Zähigkeit im Zeitraffer sich tatsächlich geändert hat. zumachen: Therese Giehse auf der die Männer als Jäger das Wild und • 1886 gibt es die ersten Abiturprüfun- • Die Diskussion um Führungspositio- Bühne, Christl-Marie Schultes, die schützten den Stamm vor feindlichen gen von Frauen in Berlin, 1901 darf nen in der Wirtschaft gab es bis vor erste Pilotin in Bayern, Johanna So- Übergriffen. Die Frauen waren Sammle- Mathilde Wagner als erste ordentliche wenigen Jahrzehnten in Deutschland phia Kettner, die als Mann verkleidet rinnen, hielten die Höhle sauber, zogen Studentin in Medizin promovieren. noch nicht, weil das System mit mana- 1746 zum Korporal berufen wurde den Nachwuchs groß und pflegten das Seit 1921 können sich Frauen auch ha- gergesteuerten Betrieben erst seit Mit- oder Therese von Bayern, die Tochter soziale Netzwerk. Das war eine klare bilitieren. 1999 bekommt Marion te des letzten Jahrhunderts entstand. von Prinzregent Luitpolt, die aus den Rollenverteilung. Machen wir einen Kiechle als erste Frau eine C4-Profes- Davor standen die Unternehmer im Salons flüchtete, Naturforscherin wur- Jahrtausendsprung in die Gegenwart sur in Frauenheilkunde. 1967 liegt der Blickpunkt und ganz vereinzelt auch de und den ersten Ehrendoktor der und in die kurz zurückliegende Vergan- Anteil der Studentinnen in Deutsch- Unternehmerinnen wie z. B. Margarete Münchner Universität erhielt. 12 POLITISCHE STUDIEN // 442 442 // POLITISCHE STUDIEN 13
IM FOKUS Schlussfolgerungen demographischen Daten gehören sicher- In unserer komplexen Welt ist es Es fehlt dem Gedächtnis bis dato noch lich dazu. Die Gesellschaft schrumpft, wichtig, jenseits von institutionellen die kritische Masse an Frauen, um zu wir brauchen gut ausgebildete Arbeits- Zwängen, Glasdecken und Bewusst- Eine immer komplexere Welt einer Veränderung getrieben zu werden. kräfte und die dürfen dann auch weib- seinswandel, Frauen in alle Lebensberei- muss die Frauen in allen Bereichen Es gab eben immer schon Amazonen, lich sein. Die Akademisierungs- und che verstärkt zu integrieren. Es geht stärker INTEGRIEREN. die sich nicht in die Schablone fügten. Ausbildungsquoten sprechen dafür. Die hierbei um die Reduktion von Komple- Ihre Handlungen wurden von Frauen finanzielle Situation erlaubt es außerdem xität durch Pluralismus, multiperspekti- und Männern mehr oder weniger be- vielen Familien gar nicht mehr, dass es visches Herangehen an Aufgaben und wundert, gefürchtet und belächelt. Es nur einen Ernährer gibt. Diesem Druck weibliche Methoden der Konfliktlösung, reichte jedenfalls nicht aus, um ausrei- kann sich heute kaum jemand entziehen. die sie angeblich sehr gut beherrschen, Wir haben es mit in der Hand, die chend andere Frauen aus der Höhle zu Und ohne hier in Ursache-Wir- aber auch um mehr männliche Präsenz Strukturen dafür zu legen. locken. Sie fanden das Höhlendasein at- kungs-Ketten denken zu wollen, ist si- in der Familie. Es geht um die Auswei- Die Hanns-Seidel-Stiftung hat vor traktiver, sie trauten sich nicht auf das cher mitentscheidend, dass mit zuneh- tung des Nährbodens für Innovation, diesem Hintergrund zusammen mit der neue und damit unsichere Terrain, sie mender Bildung und damit Aufklärung die Kombination von Lebenswelten und Bayerischen Staatskanzlei eine Tages- definierten ihre Rolle ganz anders und und Selbstreflexion einhergehend beide den darin geltenden Regeln, Methoden veranstaltung zu Frauen in Politik, fürchteten, dem Druck der Gemein- Geschlechter neue Chancen sehen. Die und Erfahrungen. Hillary Clinton be- Wirtschaft und Wissenschaft organi- schaft nicht standzuhalten, wenn sie Frauen wollen in die männliche „Arena“, schrieb das in ihrer Rede beim zweiten siert und dabei eine Auswahl von Red- „ihr Ding“ machen würden. Die Män- und mehr und mehr Männer geben zu, Women‘s Breakfast, das die Hanns-Sei- nerinnen zu Wort kommen lassen. Bei ner wollten keine „Amazone“ neben dass sie es als Entlastung empfinden, del-Stiftung zusammen mit der Staats- der Veranstaltung selbst war deutlich sich und verteidigten die Strukturen, die wenn die Frauen sich zunehmend pari- kanzlei und WIIS.de organisiert hat, geworden, dass es innerhalb dieser drei sie aufgebaut hatten, die ihnen vertraut tätisch an der „Jagd“ und dem Schutz sinngemäß so: „Wenn es in Gesprächen Bereiche ganz unterschiedliche Heran- waren und in denen sie sich sicher be- des Territoriums beteiligen und sie darum geht, wie wir uns dem Gegner ge- gehensweisen an die Problemstellung wegten. Sie betrachteten Gleichberechti- selbst mehr Zeit für die Kinder haben. genüber verhalten, welchen Schlag wir gibt und dass die Lösungsansätze sowie gung nicht nur als rhetorische Floskel, Manche zeigen sogar großes Geschick als nächstes führen wollen, dann wer- die Bewertung der Eigenverantwortung sondern als Angriff auf ihren Status bei der Pflege der „Höhle“. In der Sum- den die Einwände der Frauen als weiche, der handelnden Personen variieren. quo, auf die Territorien Raum, Zeit, Fa- me sind das die Grundlagen einer neu- nicht zielführende Perspektive abgetan. Auch hier trägt die Überlappung der Be- milie bzw. Frau. en, gleichberechtigten Form des Zusam- Wir weisen das entschieden zurück.“ reiche und die damit gewonnene Trans- Für die Mehrheit der Männer und menlebens und -arbeitens, in der auch Wenn wir akzeptieren, dass wir die- parenz zur positiven Gestaltung bei. Frauen war das über viele Jahrzehnte Familie und Kinder wieder eine neue se Multiperspektivität brauchen, um die Wir werden weiter daran arbeiten. /// hinweg eine gute Symbiose, die von bei- Bedeutung bekommen können. Sie sind Herausforderungen unserer globalen den Geschlechtern weitgehend mitgetra- der Katalysator für Veränderung – aber Welt handhaben zu können, dann gen wurde. Scheinbar losgelöst davon das Ganze bleibt zäh. braucht es auch Raum, Gelegenheit und aber entwickelten sich Rahmenbedin- Natürlich zeigt sich, dass der Weg den Willen der Beteiligten dafür, damit gungen, die die Sinnhaftigkeit dieser aus der weiblichen Lebenswelt in die sie in die Entscheidungen einfließen Rollenverteilung in Frage stellten. Die Welt der Männer und vice versa nicht können. Das sind konkret die institutio- reibungslos verläuft. Die von den Män- nellen Rahmenbedingungen, die Über- nern aufgebauten Strukturen und Insti- zeugungen der Männer und Frauen, die tutionen sind nicht die der Frauen. Und Akzeptanz in der Gesellschaft für neue die darin ablaufenden Prozesse und Ri- Rollenzuordnungen, ein wenig Toleranz /// DR. CLAUDIA SCHLEMBACH Zur Änderung des kollektiven ten sind ihnen ebenfalls nicht vertraut. für Reibungsverluste, Geduld und ist Referentin für Wirtschaft und Finanzen Gedächtnisses braucht es mehr Auf der anderen Seite müssen die Män- gleichzeitig ein nicht nachlassender der Akademie für Politik und Zeitgesche- WEIBLICHE VORBILDER. ner erkennen, dass sie mit den klassi- Druck der Veränderung. Kurz: Es ist die hen, Hanns-Seidel-Stiftung, München. schen Methoden wie Blockade, Verdrän- Reform eines jahrtausendealten kultu- gung, „Beseitigung“ oder Drohung die rellen Gedächtnisses. Das geht weit über Anmerkung * Assmann, Jan: Thomas Mann und Ägypten, München Frauen nicht mehr aufhalten können. die sogenannte „Frauenfrage“ hinaus. 2006, S.70. 14 POLITISCHE STUDIEN // 442 442 // POLITISCHE STUDIEN 15
Bildnachweis: AFP/Getty Images IM FOKUS /// Frauen in Europa SCHRITT FÜR SCHRITT CHANCEN- GLEICHHEIT – ZUM NUTZEN ALLER EMILIA MÜLLER /// Frauen bewegen die Welt – zuletzt haben das mutige Freiheits- kämpferinnen im arabischen Frühling bewiesen. Dennoch sind Unterdrückung und Benachteiligung von Frauen nach wie vor an der Tagesordnung. Auch in Europa kann trotz mancher positiver Entwicklung von einer Chancengleichheit der Geschlechter noch lange nicht die Rede sein. Auf dem Weg zu mehr Chancengerechtigkeit ist noch einiges zu tun. Arabischer Frühling – Eiszeit für kämpft haben – mutige und hoffnungs- die Frauen volle Bilder. Vor einem Jahr verfolgte Europa mit Ohne Frauen wäre der Aufstand in Spannung die Demokratiebewegung in Ägypten und den anderen Ländern der der arabischen Welt. Diese Ereignisse arabischen Welt undenkbar gewesen. haben Geschichte geschrieben und die Ein Jahr danach haben sich die Bilder Welt verändert. Wir erinnern uns an die gewandelt. Wir sehen im Fernsehen Verzweiflungstat eines jungen tunesi- oder im Internet, wie bei Demonstratio- schen Obsthändlers, der sich aus Protest nen Frauen von Männern beschimpft, gegen die autoritäre Willkürherrschaft gedemütigt, verprügelt und verschleppt in seinem Land vor den Augen der Welt werden. Wir lesen voll Entsetzen in den angezündet hat. Wir denken an die Zeitungen von sexuellen Übergriffen, Fernsehbilder von tausenden jungen von Jungfrauentests und Misshandlun- Menschen auf dem Tahrir-Platz in Kai- gen – auch westlichen Journalistinnen ro, die sich via Facebook und Twitter gegenüber. Und schließlich wird nach versammelt und damit einen Umbruch der konstituierenden Sitzung des ersten losgetreten haben. Und wir haben ein- frei gewählten Parlaments in Ägypten drucksvolle Bilder von Frauen vor Au- offenkundig, was viele vorher bereits be- gen, die an vorderster Front in Ägypten, fürchtet hatten: Der „Arabische Früh- Arabische Frauen kämpften für Tunesien und Libyen für die Revolution, ling“ ist für die Frauen der Revolution Freiheit und Mitbestimmung in für Freiheit und Mitbestimmung und zur Eiszeit geworden. Mit weniger als ihrem Land. für Frauen- und Menschenrechte ge- zwei Prozent Frauenanteil bei den Abge- 442 // POLITISCHE STUDIEN 17
IM FOKUS ordneten spielen Frauen in Ägypten po- schläge, der Siege und Niederlagen – ein heit, Gleichheit und Brüderlichkeit, litisch keine Rolle mehr. Weg der kleinen Schritte, der unser Eu- dauerte es immerhin bis zum Ende des Das demokratische Wahlergebnis ropa seit dem letzten Jahrhundert Stück Zweiten Weltkriegs, bis die Demokratie In Europas Parlamenten sind wir bestätigt die wissenschaftlichen Unter- für Stück chancengerechter macht. Einzug hielt und Frauen wählen und po- von Geschlechtergerechtigkeit suchungsergebnisse des Genfer Welt- litisch mitbestimmen durften. Den un- noch WEIT entfernt. wirtschaftsforums. In seinem „Global Europas Wege zur Gleichstellung rühmlichen Abschluss dieses europäi- Gender Gap Report 2011“ werden welt- von Mann und Frau schen Nord-Süd-Gefälles der Demokra- weit Fortschritte bei der Gleichberechti- Allein die Notwendigkeit des Internati- tieentwicklung bildet die Schweiz. 1990 gung von Frauen gemessen. Der Report onalen Weltfrauentags am 8. März zeigt, musste der letzte Kanton vom Schweize- stellt Ägypten und den anderen arabi- dass dieser Weg noch lange nicht zu rischen Bundesgericht gezwungen wer- schen Staaten ein miserables Zeugnis Ende ist. Auch unser europäisches Rin- den, das Frauenwahlrecht einzuführen. derranking immerhin auf einem ordent- aus. Ägypten belegt nur Rang 123 von gen um Chancengleichheit hat mit muti- Demokratie – das zeigt dieser kurze lichen Platz 19 von 135 untersuchten 135 untersuchten Staaten.1 gen, selbstbewussten Frauen begonnen, Blick in unsere europäische Geschichte Staaten3 und liegt im europäischen Län- Zeitungs- und Fernsehberichte an- die sich in Europa verstärkt für politi- – ist stets ein langwieriger und schwieri- dervergleich noch im oberen Drittel. lässlich des Jahrestages des Arabischen sche Mitbestimmung und das Frauen- ger Prozess. Das Abgeben von Privilegi- Aber von einer geschlechtergerechten Frühlings zeigen sich enttäuscht bis ent- wahlrecht eingesetzt haben. Für unsere en und Vormachtstellungen fällt nie sozialen Repräsentanz der Bevölkerung setzt über die offensichtliche politische Vorreiterinnen der Gleichberechtigung leicht und Männern, die diese Vor- sind wir in unseren europäischen Parla- und gesellschaftliche Unterdrückung war es ein harter Weg mit ungewissem machtstellungen seit Jahrhunderten ge- menten immer noch weit entfernt. der weiblichen Hälfte der ägyptischen Ausgang. Eine der Anführerinnen der nossen haben, schon gar nicht. Auch Der ehemalige EU-Kommissar für Bevölkerung. Aber wundert es uns militanten Suffragetten in England, Em- heute noch ist Überzeugungsarbeit not- Beschäftigung, soziale Angelegenheiten wirklich, dass die Revolution in der ara- meline Pankhurst, hat einmal gesagt: wendig, dass Gleichberechtigung zum und Chancengleichheit, Vladimir Spid- bischen Welt nicht von heute auf mor- „Die Militanz der Männer hat durch die Nutzen aller ist – auch der Männer. la, hat in seinem Vorwort zum Bericht gen eine bessere und gerechtere Gesell- Jahrhunderte die Welt mit Blut getränkt, Demokratie braucht daher Vorbil- der Europäischen Kommission mit dem schaft hervorgebracht hat? Haben wir und für diesen Horror, diese Zerstörung der, engagierte Demokratinnen und De- Titel „Frauen in der europäischen Poli- ernsthaft geglaubt, dass ein jahrtausen- sind sie mit Denkmälern, großen Ge- mokraten. Es reicht beileibe nicht, dass tik – Zeit zu handeln“ die Konsequen- dealtes patriarchalisches System über sängen und Epen belohnt worden. Die engagierte Frauenrechtlerinnen für zen aus dieser unbefriedigenden Situati- Nacht den Mantel der Männerherr- Militanz von Frauen hat nur das Leben Gleichberechtigung kämpfen. Fort- on gezogen und folgenden Vorsatz for- schaft abstreift und Frauen dieselben derjenigen bedroht, die diesen gerech- schritte bei der Chancengleichheit muliert: „Die Europäische Union ist be- Rechte wie Männern zubilligt? ten Kampf gekämpft haben. Nur die konnten und können nur erzielt werden, strebt, die Gleichstellung der Geschlech- Ein Blick in unsere eigene europäi- Zeit wird offenbaren, welcher Lohn den wenn die gesellschaftlichen Wortführer ter in Entscheidungspositionen zu för- sche Vergangenheit zeigt, wie lange und Frauen zugesprochen werden wird.“2 und politischen Verantwortungsträger dern, das Bewusstsein für die Ungleich- steinig der Weg zur gesellschaftlichen Rund hundert Jahre später wissen – bis heute mehrheitlich Männer – diese behandlung von Frauen in diesem Be- und politischen Gleichberechtigung von wir, dass die Denkmäler, Gesänge und Entwicklungen mittragen und unter- reich zu stärken und Maßnahmen zur Frauen und Männern ist. Es war und ist Epen auf diese Frauen eher spärlich stützen. Denn es gibt nach wie vor kein Verbesserung dieser Situation zu er- ein Weg der Hoffnungen und Rück- sind. Und wir wissen, wie lange der Parlament auf dieser Welt, das mehr- greifen.“4 Lohn durch politische Gleichberechti- heitlich mit Frauen besetzt ist, auch gung in manchen europäischen Län- wenn die Frauen in den Ländern Euro- Frauencharta der Europäischen dern auf sich warten ließ. Vorreiter bei pas in der Mehrheit sind. Kommission der Durchsetzung des Wahlrechts für Den skandinavischen Ländern ist es Mit der Verabschiedung der Frauen- Der Weg zu sozialer und politischer Frauen waren die skandinavischen Län- zumindest gelungen, ein Frauen-Män- charta am 5. März 2010 hat die Europä- GLEICHBERECHTIGUNG ist lange der. In Mitteleuropa wurde fast überall ner-Verhältnis von rund 40:60 herzu- ische Kommission die notwendigen und steinig. nach dem Ersten Weltkrieg das Frauen- stellen. Das ist europaweit spitze. Leitziele klar umrissen: gleiche wirt- wahlrecht eingeführt. Aber in den süd- Deutschland steht mit halb so vielen schaftliche Unabhängigkeit von Män- europäischen Ländern und in Frank- weiblichen wie männlichen Bundestags- nern und Frauen, gleiches Entgelt für reich, der Wiege des Kampfes für Frei- abgeordneten im internationalen Län- gleiche oder gleichwertige Arbeit, eine 18 POLITISCHE STUDIEN // 442 442 // POLITISCHE STUDIEN 19
Bildnachweis: Alena Yakusheva / Fotolia.com IM FOKUS der familiären Verantwortung, signali- berechtigung von Frauen und Männern siert aber auch häufig das Fehlen von bewirken. Kinderbetreuung und Möglichkeiten Auch beim Thema Lohnungleichheit zur Vereinbarkeit von Berufs- und Pri- zwischen Frauen und Männern in Euro- vatleben“,8 folgert die Europäische pa darf die Politik sich nicht zurückleh- Kommission. So unterschiedlich wie der nen und den Schwarzen Peter der Wirt- Status quo sind auch die Haltungen, schaft, den Arbeitgebern und Arbeit- Einstellungen und Maßnahmen in den nehmern zuschieben. Politik muss zu- einzelnen Ländern Europas. mindest eine vernetzende Funktion übernehmen und die Akteure sowie Gesellschaftlicher Rollenwandel Multiplikatorinnen und Multiplikato- Bei uns in Deutschland hat sich hin- ren des Lohnfindungsprozesses an ei- sichtlich familiärer Verantwortung und nen Tisch holen, wie es derzeit in Rollenverteilung bei der Kinderbetreu- Deutschland geschieht. Ich wünsche ung gerade in den letzten Jahren ein mir aber auch, dass mehr männliche Po- enormer Bewusstseinswandel vollzo- litiker in Deutschland und Europa die gen. So hat noch vor fünf Jahren ein Lohnschere zwischen Frauen und Män- Bundeskanzler Familienpolitik als „Ge- nern anprangern. Denn das Thema ist döns“ bezeichnet oder die zwei Väter- keineswegs reine Frauensache. Die Fra- monate wurden als „Wickelvolontariat“ ge der Geschlechtergerechtigkeit ist auch eine Frage der Leistungsgerechtig- keit in einer Gesellschaft, die künftig Bayern hat die ZIELMARKE bei der immer stärker auf weibliche, hoch Blumige Zeiten für Familien: Verantwortung kann nun aufgeteilt werden. Beschäftigungsquote fast erreicht. qualifi zierte Arbeitskräfte angewiesen ist. Ein Lohnunterschied von EU-weit durchschnittlich 18 Prozent ist diskri- ausgewogene Repräsentanz der Ge- reicht von 40 bis 75 Prozent: Letzteres verunglimpft. Heute ist die männliche minierend und untragbar – das sollte schlechter in politischen und wirt- ist die Zielmarke, die sich die EU bis Politikwelt viel vorsichtiger mit solchen von Frauen und Männern gleicherma- schaftlichen Führungspositionen in den 2020 für alle 20- bis 64-jährigen Frauen Äußerungen – hoffentlich aus Überzeu- ßen so verstanden werden. Wenn statt- EU-Mitgliedsländern, Respekt der und Männer gesetzt hat.6 In Bayern ha- gung. Alle Parteien haben inzwischen dessen versucht wird, das Phänomen Menschenwürde und das Recht auf Un- ben wir diese Zielmarke mit 69,2 Pro- die Bedeutung der Familienpolitik als der schlechteren Bezahlung mit weibli- versehrtheit von Frauen sowie das Ende zent fast erreicht. Während in den skan- Zukunftsthema erkannt. Auch die Vä- cher Teilzeitarbeit zu rechtfertigen, ver- der geschlechtsspezifischen Gewalt und dinavischen und baltischen Ländern die termonate sind ein voller Erfolg. Inzwi- gisst man(n) wohl, dass diese Teilzeitar- schließlich die Durchsetzung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und schen nimmt rund jeder vierte Vater El- beit meist ein Ergebnis der ungleichen Gleichstellung von Frauen und Män- Männern fast ausgeglichen ist, sind die terngeld in Anspruch und lässt sich vom Verteilung der Familienarbeit ist. Und nern auch im Rahmen der EU-Bezie- Differenzen gerade in Südeuropa mit Arbeitgeber freistellen, um sich selbst wer schlechter bezahlte sogenannte hungen zu Drittländern.5 Werten zwischen 22 und 34 Prozent um den Nachwuchs zu kümmern.9 Vor Frauenberufe als Erklärung für geringe- Für die zuletzt genannten Zielset- enorm.7 Eine Elternschaft wirkt sich bei der Einführung des Elterngeldes waren re weibliche Löhne ins Feld führt, der zungen gibt es einen breiten inhaltlichen Frauen und Männern sehr unterschied- Väter, die Elternzeit genommen haben, sollte genau an diesem Punkt ansetzen, Konsens in Europa. Was die gleiche lich auf die Beschäftigung aus. Wäh- noch eine verschwindend geringe Min- anstatt sich mit der Situation abzufin- wirtschaftliche Unabhängigkeit angeht, rend in Europa durchschnittlich 90,3 derheit. An diesem Beispiel wird deut- den. Berufe, die mit Menschen zu tun sieht es schon anders aus. Schon der Sta- Prozent der Männer mit Kindern arbei- lich, wie groß die Gestaltungskraft der haben wie beispielsweise Erzieherin, tus quo in den EU-Ländern bietet eine ten, sind es bei Frauen mit Kindern un- Politik ist. Die richtigen und praxisna- Kranken- oder Altenpflegerin, brauchen höchst unterschiedliche Ausgangslage. ter 12 Jahren nur 65,6 Prozent. „Dies hen politischen Weichenstellungen kön- eine höhere Wertschätzung. Respekt Die Beschäftigungsquote von Frauen unterstreicht die ungerechte Verteilung nen viel für Gleichstellung und Gleich- und Anerkennung gilt allen, die unsere 20 POLITISCHE STUDIEN // 442 442 // POLITISCHE STUDIEN 21
IM FOKUS Quoten stellen Weichen porzes, gerade bei uns in Bayern. Wieso Auch ich bin von Quoten nicht uneinge- tun wir uns dann mit dem Geschlech- Geschlechtergerechtigkeit schränkt begeistert. Quoten sind Krü- terproporz so schwer? ist eine Frage der cken. Aber um Laufen zu lernen, braucht Wir müssen Frauen europaweit dazu LEISTUNGSGERECHTIGKEIT. es eben manchmal Krücken. Vernunft, ermutigen, den Griff nach Macht und Überzeugungskraft und gute Argumen- Verantwortung nicht zu scheuen. Und te haben uns in der Vergangenheit leider wir brauchen mehr positive Beispiele: zu wenig gebracht. Darum habe ich Wir brauchen Frauen, die es wagen, Ver- mich in meiner Partei vor drei Jahren für änderungen anzustoßen. Wir brauchen die Quote stark gemacht. Denn die aus- Frauen, die andere Frauen fördern, sie /// EMILIA MÜLLER Kinder erziehen oder Vater und Mutter drücklichen Empfehlungen seitens des unterstützen. Frauennetzwerke sind ist Staatsministerin für Bundes- und Eu- im Altenheim pflegen. Das sind die ge- Parteivorstandes, Frauen bei Listenauf- heute unverzichtbar. Ich habe in meiner ropaangelegenheiten und Bevollmäch- sellschaftspolitischen Zukunftsfragen, stellungen und bei der Nominierung Partei schon vor vielen Jahren ein gut tigte des Freistaates Bayern beim Bund. die wir als Politikerinnen und Politiker von Direktmandaten stärker zu berück- funktionierendes Mentoringprogramm angehen müssen, wenn wir Politik für sichtigen, haben kaum etwas bewirkt. für junge Frauen gestartet. Wir brau- Anmerkungen die Menschen machen wollen. Ich bin froh, dass meine Partei und der chen Frauen, die zukunftsorientiert 1 Vgl. Hausmann, Ricardo / Tyson, Laura D. / Zahi- Parteivorsitzende mit den Beschlüssen denken und handeln, neue Wege be- di, Saaida: The Global Gender Gap Report 2011, hrsg. vom World Economic Forum, Cologny/Genf Schreckgespenst Quote? unseres Parteitages im Oktober 2010 schreiten und als Vorbilder mit gutem 2011 S. 8 f. Gesellschaftliche Veränderungsprozes- hier einen Paradigmenwechsel geschafft Beispiel vorangehen. Das Vorbild ist 2 Zit. n. www.fembio.org/biographie.php/frau/ biographie/emmeline-pankhurst.com, se und politische Weichenstellungen be- haben. stärker als alle Worte. Stand: 2.2.2012. dingen sich immer wechselseitig. Politik Wir müssen Frauen die Möglichkeit Nehmen wir uns ein Beispiel an den 3 Vgl. Global Gender Gap Report 2011, S. 53. 4 Spidla, Vladimir: Vorwort, in: Frauen in der euro- reagiert auf eine sich verändernde Ge- geben, politische Führungsaufgaben mutigen Frauen in Ägypten und in an- päischen Politik – Zeit zu handeln, hrsg. von der sellschaft, genauso wie mit politischen und Mandate zu übernehmen und dabei deren arabischen Ländern. Sie lassen Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit Referat G1 bei der Europäi- Entscheidungen neue Maßstäbe und zu zeigen, was sie können. Dafür brau- sich trotz Anfeindungen und männli- schen Kommission, Luxemburg 2009, S. 3. Anreize gesetzt werden, die wiederum chen wir die richtigen Weichenstellun- cher Gewalt nicht davon abhalten, für 5 Vgl. http://europa.eu/legislation_summaries/em- ployment_and_social_policy/equality_between_ die gesellschaftliche Realität verändern. gen. Die Quote ist eine solche Weichen- ihre Rechte und ihre politische Mitbe- men_and_women/em0033_de.htm, Eine umstrittene, aber dringende Aufga- stellung. Sie ist eine Interimslösung, da- stimmung zu kämpfen. Diese Uner- Stand: 1.2.2012. 6 Vgl. http://ec.europa.eu/justice/gender-equality/ be ist das von der EU-Kommission vor- mit weibliche Mandatsträger auf allen schrockenheit sollten wir uns in Europa economic-independence/index_de.htm, gegebene Ziel einer ausgewogenen Re- Parteiebenen und in allen Gremien zur zum Vorbild nehmen auf unserem un- Stand: 2.2.2012. 7 Vgl. Fuchs, Gesine: Gleichstellung auf dem Ar- präsentanz der Geschlechter in politi- Selbstverständlichkeit werden. Ich gleich leichteren Weg hin zu mehr beitsmarkt. Ein europäischer Vergleich, in: www. schen und wirtschaftlichen Führungs- weiß, dass gerade junge Frauen oft Vor- Gleichberechtigung und mehr Chan- bpb.de/themen/AVISSS.html, Stand: 2.2.2012. 8 http://ec.europa.eu/justice/gender-equality/eco- positionen. Hier ist die Politik am Zug. behalte gegen die Quote haben, weil sie cengerechtigkeit. /// nomic-independence/index_de.htm, Freiwillige Selbstverpflichtungen gab es befürchten, ihre Leistungsfähigkeit Stand: 2.2.2012. 9 Vgl. www.bmfsfj.de/BMFSFJ/familie,did=176180. in den letzten zehn Jahren zuhauf. Ge- würde angezweifelt. Sie wollen sich html, Stand: 2.2.2012. nutzt haben sie kaum etwas. Welcher nicht dem Vorwurf aussetzen, sie Mann gibt schon gerne seine gesell- bräuchten die Quote aus mangelnder schaftliche, durch tradierte Rollenmus- Eignung. Ich sehe das anders: Nicht wir ter verankerte Vormachtstellung freiwil- Frauen brauchen die Quote, um in der lig auf? Schaut man in die Vorstandseta- Politik oder Wirtschaft einen Posten zu gen, ist hier deutlich zu wenig gesche- erhalten. Politik und Wirtschaft brau- hen. Deshalb trägt das klassische Tot- chen die Quote, um künftig für Frauen Was wir brauchen, sind weibliche schlagargument gegen die Quote nicht, attraktiv und damit zukunftsfähig zu VORBILDER und Frauennetzwerke. das mit der Sorge um eine mögliche Dif- sein. Zudem kennen wir gerade in der famierung von Frauen als „Quotenfrau- Politik längst die ungeschriebenen Ge- en“ argumentiert. setze des Regional- oder Religionspro- 22 POLITISCHE STUDIEN // 442 442 // POLITISCHE STUDIEN 23
IM FOKUS /// Was hat sich verändert? FRAUEN IN DER POLITIK URSULA MÄNNLE /// „Als einzelne ist die Frau wie eine Rose – zu mehreren wie Unkraut.“ Diesen Satz, der dem ersten Parlamentspräsidenten des Bayerischen Landtages zugeschrieben wird, würde heute kein Mann einer Partei mehr öffentlich aussprechen. Auch wohlgemeinte Worte von Grußwortrednern bei Frauenveranstal- tungen wie „man fühle sich wie ein Dorn unter lauter Rosen“ ernten heute nur noch Buhrufe oder abschätziges Lächeln. Wenn ich in diesem Beitrag berichten des Lebens – zumindest auf dem Papier. soll, was sich innerhalb der CSU hin- In den Köpfen der Parteimitglieder ist sichtlich der Frauenproblematik verän- die Veränderung aber oft noch nicht an- dert hat, so ist mein Fazit: Vieles hat gekommen. sich gewandelt seit meinem Eintritt in die CSU vor fast 50 Jahren. War ich da- Frauenkandidaturen mals als junge Frau in der CSU bei ei- Der zweite Fortschritt ist in der Reprä- nem Frauenanteil von 8 % eine Exotin, sentanz der Frauen in den politischen so sind heute Frauen selbstverständli- Ämtern festzustellen. Von Beginn an cher in der Politik und der Partei gewor- waren Frauen in der CSU im Vergleich Bildnachweis: Bildarchiv Bayerischer Landtag, München. den. Einiges hat sich positiv entwickelt. zu anderen Parteien unterrepräsentiert Die programmatischen Aussagen über und auch heute noch, 67 Jahre nach der die Rolle der Frau haben sich grundle- Parteigründung, hat die CSU Nachhol- gend gewandelt. Die Grundsatzpro- bedarf. Aber es hat sich etwas bewegt, gramme tragen den jeweiligen gesell- nicht nur zahlenmäßig. Es waren nur schaftlichen und wirtschaftlichen Ent- wenige Frauen in den Mandaten, den- wicklungen in der Bundesrepublik noch blieben sie im Gedächtnis, z. B. Deutschland Rechnung. Sie lesen sich Maria Probst (bis in die 80er-Jahre hatte wie eine nachträgliche Akzeptanz der sie keine Nachfolgerin in einem Direkt- Änderungen im Frauenbild. Das heuti- mandat), erste weibliche Vizepräsiden- ge Grundsatzprogramm beschreibt die tin des Deutschen Bundestages und be- moderne Frau, kennt keinerlei Rollen- kannt als „Maria Hilf“, oder Dr. Mathil- festlegungen und bekennt sich zur de Berghofer-Weichner, erste weibliche „Maria Hilf“ – Maria Probst (links) war die erste weibliche Vizepräsidentin des deutschen Gleichberechtigung in allen Bereichen stellvertretende Parteivorsitzende, erste Bundestages, 1965 eine wirkliche Sensation. 24 POLITISCHE STUDIEN // 442 442 // POLITISCHE STUDIEN 25
IM FOKUS nur ein „männlicher“ Stimmkreis wird einige Parteifreunde gönnerhaft: „End- War man dann doch sicher, dass der Ka- frei. Fragen wir nach den Aufstellungs- lich machst Du etwas Ernsthaftes“. meraschwenk auch die Männer dane- Der Weg der Frauen ins Parlament versammlungen nach, wie viele Frauen Frauenthemen wurden selten wichtig ben streifte. Apropos Äußeres, leider ist nach wie vor MÜHSAM. künftig für die CSU im Landtag sitzen genommen (Ausnahme war der §218, spielen Aussehen, Auftreten und Klei- werden! da redeten die Männer gerne mit). Alle dung bei Frauen in der Politik eine wich- Dieses Problem wird man auch Vorsitzenden der Frauen Union wissen, tige Rolle (manchmal sogar eine ent- durch die Quote nicht lösen können. dass sie geringer geschätzt werden als scheidende). Als Mitglied der Jungen Für Delegiertenversammlungen gilt sie Vorsitzende anderer Arbeitsgemein- Union schrieb ich in einem Beitrag über nicht und Listenquotierungen wären für schaften. Waren sie vorher Expertinnen die Rolle der Frauen in der Politik kri- Ministerin in Bayern und erste stellver- die CSU, die die Partei ist, die ihre Man- auf einem bestimmten Gebiet und hoch tisch über die unterschiedlichen Bewer- tretende Ministerpräsidentin. Sie schrie- date über die Direktkreise erhält, nicht anerkannt, werden sie dann nur noch tungen des Äußeren von Politikern und ben Geschichte, Maria Probst in den wirksam. Und Kampfkandidaturen ge- unter der Frauenperspektive gesehen Politikerinnen am Beispiel von Franz Anfangsjahren der Bundesrepublik, Dr. gen amtierende Abgeordnete sind in der und leider oft belächelt. Und wer erlebt Josef Strauß und Dr. Mathilde Bergho- Mathilde Berghofer-Weichner 30 Jahre CSU bisher unüblich ... Also abwarten? nicht heute noch als Frau, dass kaum fer-Weichner. Die Entgegnung eines später. Das dauert. Aber erfreulich ist, dass in- zugehört wird, wenn sie spricht, dass prominenten Politikers, man müsse sich Es geht langsam, aber nachhaltig. zwischen einige Frauen durchaus direkt der Lärmpegel steigt und dass auf ihre die Frau auch im Bett vorstellen können, Besonders schwer war es für Frauen, kandidiert haben und natürlich auch er- Argumente nicht eingegangen wird. spricht für sich. Heute traut sich zumin- Direktwahlkreise zu bekommen. Die folgreich waren. Interessant ist, dass ei- Wenn aber ein Mann 20 Minuten später dest niemand mehr, dies öffentlich zu CSU glich dieses Defi zit durch die Be- nige von ihnen – vor allem im Deutschen exakt das Gleiche sagt, wird dies sofort äußern. rücksichtigung von Frauen auf den Lis- Bundestag – zunächst über die Liste ka- gewürdigt und als sehr gute Idee be- ten aus. Manchmal diente es auch als men, sich im Bundestag bewährten und zeichnet. Die Frau nimmt dies erstaunt Vertrauen zu Frauen Argument bei den Aufstellungen: Mit dann einen Wahlkreis erhielten: Micha- zur Kenntnis, schweigt und ist froh, Frauen wählen keine Frauen - dieses Ur- der Verankerung einer Frau auf der Lis- ela Geiger, Gerda Hasselfeldt oder Do- dass sich wenigstens ihre Idee durchge- teil entpuppt sich heute als Vorurteil. te könne der Wahlkreis durch zwei Per- rothee Bär sind prominente Beispiele. setzt hat, auch wenn sie einem anderen Mag es vor 60, 70 Jahren gestimmt ha- sonen repräsentiert werden, weshalb Nur wenige Männer müssen diesen Um- zugeschrieben wird. Dies offen anzu- ben, dass Frauen weniger zugetraut sollte also eine Frau direkt aufgestellt weg gehen. wurde und viele Frauen äußerten, diese werden. Jahrelang hat dies funktio- Kandidatin solle sich lieber um Mann niert, aber auch die Anzahl der Frauen Wahrnehmung von Frauen und Kinder kümmern anstatt auf politi- limitiert. Heute ist es Allgemeingut, Als Ursula Krone-Appuhn, ehemalige sche Veranstaltungen zu gehen, oder dass nur die Aufstellung von Frauen in Landesvorsitzende der Frauen Union Frauen werden in der Politik meist dass besonders in kleineren Gemeinden den Direktkreisen den Einzug von Frau- sich für den Verteidigungsausschuss be- NICHT ernst genommen. Frauen auf den Kommunallisten trotz en in die Parlamente garantiert. Dass warb, stieß dies auf großes Erstaunen. guter Platzierung nach hinten gewählt damit nicht die sofortige Anhebung der Inzwischen wissen alle, dass Frauen wurden, so gilt dies heute nicht mehr. Anzahl der Frauen einhergeht, liegt auf nicht nur in der Sozial- und Bildungspo- Wie ließe sich sonst der Erfolg von Kan- der Hand. Wichtig ist z. B., wo werden litik kompetent sind, sondern in allen didatinnen gerade auch bei den Direkt- Wahlbezirke frei oder wohnen die rich- Politikbereichen sich selbstverständlich wahlen erklären. Wie oft ist es schon tigen Kandidatinnen in den dortigen bewegen. Geschätzt wird heute ihre be- sprechen und sich zu wehren, fällt den vorgekommen, dass eine Frau bei einer Gemeinden, denn von außen werden sondere Sichtweise auf die Dinge. Sie Frauen auch heute noch schwer. Ledig- angeblich aussichtslosen Kandidatur ge- bei sicheren Kandidaturen keine Frauen stellen andere Fragen, sind konkreter lich in speziellen Seminaren wird man wonnen hat. Männer wollten keine Nie- akzeptiert. Besonders deutlich sieht auf die Lebenssituationen bezogen. Die dafür sensibilisiert. derlage einstecken, die Frau hatte nichts man das Problem jetzt in Oberbayern. Frauenperspektive erweitert den politi- Dennoch werden Frauen heute erns- zu verlieren und siegte. Wählerinnen Bei der letzten Wahl kam niemand von schen Gestaltungsraum. Aber immer ter genommen, während sie früher eher und Wähler trauen heute den Frauen der Liste in den Landtag und zur kom- noch gilt, dass Frauenpolitik eher karri- als „schmückendes Beiwerk“ galten. durchaus etwas zu, sie vertrauen sogar menden Wahl kandidieren fünf Frauen erehemmend ist. Als ich Ministerin für Sehr beliebt waren bei Foto- und Fern- den Frauen mehr. Und sie werden selte- nicht mehr in den Stimmkreisen und Bundesangelegenheiten wurde, sagten sehterminen die Plätze neben der Frau. ner enttäuscht. 26 POLITISCHE STUDIEN // 442 442 // POLITISCHE STUDIEN 27
Sie können auch lesen