Fehler und Gefahren bei der Applikation potenziell gewebeschädigender Substanzen

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Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission – Folge 126

Fehler und Gefahren bei der Applikation
potenziell gewebeschädigender Substanzen
Im Rahmen von intravenösen                     neben der schriftlichen Aufzeichnung der       Lösungen wie Kaliumchlorid oder Glukose
Medikamentengaben können trotz                 einzuleitenden Sofortmaßnahmen die             verursacht werden. Weiterhin können Me-
Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen            ­Dokumentation ihres Ergebnisses unter         dikamente wie beispielsweise Tris-Puffer,
unterschiedlich ausgeprägte Paravasate          Angabe von Ort, Datum und Uhrzeit sowie       Phenytoin oder Tetracycline zu schweren
auftreten. Diese stellen besonders bei          zeitlich festgelegte Verlaufsbeobachtungen    Schädigungen des umliegenden Gewebes
potenziell nekrotisierenden Substanzen          und Nachkontrollen mit Dokumentation          führen.
eine klinische Notfallsituation dar, da         der betroffenen Gewebebereiche (Foto­             Paravasate im Rahmen einer zytostati-
schwerste Gewebeschädigungen eintreten          dokumentation). Geboten ist darüber hin-      schen Chemotherapie werden in der Lite-
können.                                         aus die Hinzuziehung von Konsiliarärzten      ratur mit einer Häufigkeit von 1 – 6,5%
                                                (Chirurg, plastischer Chirurg) sowie die      angegeben [2, 3, 5] und können substanz­
von Wolf-Dieter Schoppe,                        um­fassende Information der nachbehan-        spezifisch zu schwerwiegenden Kompli­-
Norbert Niederle, Peter Lange und               delnden Ärzte und Pflegekräfte. Schließlich   ka­tionen führen, besonders bei Austritt
Beate Weber                                     müssen die Patienten – gegebenenfalls         nekro­tisierender Medikamente [2, 5]. Zu
                                                unter Einbeziehung ihrer Bezugsperso­-        diesen gehören insbesondere:
                                                nen – die erforderlichen therapeutischen          Anthrazykline (Doxorubicin, Epirubicin,

D
                                                Hinweise zur Weiterbehandlung und Siche-      Idarubicin), Mitoxantron, Vincaal­kaloide
          ie intravenöse Gabe potenziell        rung des Behandlungserfolges erhalten.        (Vincristin, Vinblastin, Vinorelbin), Pacli-
          nekro­t isierender Medikamente                                                      taxel, Oxaliplatin, Cis-Platin, Carmustin,
          kann Patientinnen und Patienten      Paravasate                                     Mitomycin und Amsacrin.
          erheblich gefährden. Deshalb
müssen Kliniken und Praxen strukturierte           Paravasate entstehen durch Austritt von    Daten der Gutachterkommission
Vorgaben zur Indikation und Anwendung          infundierten Flüssigkeiten aus einer Vene
der Substanzen und ihrer Trägerlösungen        oder einem venösen Zugangssystem (ZVK,            Die Gutachterkommission hatte bereits
vorhalten. Ferner sollten schriftliche Ver-    Port) in das umgebende Gewebe.                 in Heft 8/2007 des Rheinischen Ärzteblattes
fahrensanweisungen zum Punktionsort,           Ursachen sind:                                 („Paravasate sind immer Notfälle“) über
zum Punktionsablauf inklusive der zu ver-      K	Fehl- oder Mehrfachpunktionen eines         die Fehler und Gefahren bei der intravenö-
wendenden Nadeln und Kanülen sowie –               Gefäßes oder Ports                         sen Anwendung potenziell gewebeschädi-
abhängig von der Mobilität der Patienten –     K nicht geeignete Gefäße oder ungeeignete     gender Arzneimittel der Abschlussjahre
zur Überwachung während und nach der              anatomische Regionen (zum Beispiel          2000 bis 2005 berichtet. Die damaligen
Applikation eingehalten werden. In einem          Ellenbogengelenk)                           detaillierten Ausführungen zu den Anfor-
persönlich geführten Aufklärungsgespräch       K	fragile oder vorgeschädigte Gefäße          derungen haben noch immer Gültigkeit. In
ist der Patient über die Risiken einschließ-   K	inadäquate Nadeln: Bei peripherem           den Folgejahren wurden Behandlungsfeh-
lich der Art, der Schwere und der Folgen          ­Zugang sollte immer eine Kunststoffnadel   lervorwürfe gegen Ärzte wegen Paravasa-
potenzieller Schädigungen zu unterrichten.        verwendet werden. Bei Portpunktionen        tionen während der Anwendung von An-
Eine Dokumentation hierzu ist anzuraten.          muss die Nadel ausreichend lang sein        thrazyklinen bei der Gutachterkommission
Vor jedem neuen Behandlungszyklus ist es          (Cave adipöse und mobile Patienten)         Nordrhein seltener und zuletzt kaum noch
geboten, den Patienten für die typischen       K	Zeitdruck                                   erhoben (Tabelle 1).
Anzeichen einer Paravasation zu sensibi-       K	Dislokation der primär korrekt gelegten        Die Feststellung von Behandlungsfeh-
lisieren. Die häufigsten Zeichen sind dabei       Nadel bei Bewegungen während der            lern bei der Paravasation anderer Substan-
brennende Schmerzen sowie eine unter-             Infusion                                    zen betraf aktuell zwei Fälle, in denen bei
schiedlich ausgeprägte Rötung und Schwel-      K	fehlende Kontrollen während des Infu-       total intravenöser Anästhesie eine Aware-
lung im Bereich des Punktionsortes, wobei         sionsvorgangs insbesondere bei unru-        ness auftrat, als deren Ursache jeweils eine
diese Veränderungen noch mit erheblicher          higen Patienten                             zu spät bemerkte Paravasation an der
zeitlicher Verzögerung auftreten können.       K	 Diskonnektion des Infusionssystems –       Punktionsstelle des Venenzugangs festge-
    Neben angemessenen organisatori-               cave keine Perfusoren (siehe Leitlinien)   stellt wurde, die für den Anästhesisten
schen Voraussetzungen (zum Beispiel Vor-       K	Vertauschen von Medikamenten beim           fehlerhaft nicht einsehbar war.
handensein eines Notfallsets) müssen alle          Wechsel von Infusionen                        Unter den von der Kommission festge-
an der Behandlung beteiligten ärztlichen       K	vermindertes Schmerzempfinden oder          stellten Behandlungsfehlern im Rahmen
und nichtärztlichen Mitarbeiter regelmäßig         eingeschränkte Kommunikationfähig-         von Paravasationen fanden sich am häu-
geschult werden. Außerdem müssen klinik­           keit des Erkrankten                        figsten Fehler bei der Wahl des Zugangs,
intern Gegenmaßnahmen festgelegt wer-              Außerdem können lokale Schädigungen        der Punktion des Gefäßes/des Ports und
den, die beim Eintritt eines Paravasats        der Venenwand durch die infundierte Sub-       der Dislokation der Portnadel sowie eine
zeitnah ergriffen werden. Dazu gehören         stanz selbst oder durch hochkonzentrierte      unzureichende Überwachung während des

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Infusionsvorganges (siehe Tabelle 2). Fest-                 e­ inen Befunderhebungsfehler dar. Bei dis-    reich. Zu diesem Zeitpunkt war der peri-
gestellt wurden auch Dokumentations­                         loziertem Port ist dessen weitere Benut-      phere Zugang nicht mehr durchgängig.
defizite während des Applikationsvorgangs                    zung, insbesondere die Gabe von Anthra-       Unter Annahme eines Olaratumab-Parava-
und der Befunderhebung nach Eintritt der                     zyklinen, als grob fehlerhaft zu bewerten.    sats wurde nach therapeutischen Hinwei-
Paravasation.                                                In diesem Fall zeigte sich auch, dass der     sen (früher sogenannte Sicherungsauf­
                                                             Port fehlerhaft und nicht dem Standard        klärung) auf die Gabe des Anthrazyklin-­
Fälle mit Zytostatika-Paravasat                              entsprechend gelegt worden war.               Antidots Dexrazoxan (Savene®) oder auf
                                                                 Über die Ursachen von Paravasationen      die Gabe von Dimethylsulfoxid (DMSO)
    In den letzten fünf Abschlussjahren                      durch Zytostatika und deren Bewertungen       explizit verzichtet. In den nachfolgenden
wurden nur sieben Behandlungsfehlervor-                      durch die Gutachterkommission geben fol-      Tagen konnte – ausweislich der vorgelegten
würfe zur Paravasation bei der Zytostatika-                  gende Fallbeispiele Aufschluss:               Foto- und Behandlungsdokumentation –
gabe erhoben, die in vier Fällen von der                                                                   eine Verschlechterung des Lokalbefundes
Kommission als begründet erachtet wur-                      Fall 1                                         nicht sicher festgestellt werden. Neun Tage
den. Bei vier von sieben Patienten erfolgte                                                                später stellte sich der Patient mit einer
die Zytostatikagabe über periphere Venen.                       Bei einem knapp 80-jährigen Patienten      schmerzhaften Nekrotisierung in der Ellen-
In einem dieser Fälle wurde bei einem                       wurde ein Leiomyosarkom Malignitätsgrad        beuge vor. Im Rahmen der Nekroseabtra-
­Doxorubicin-Paravasat insgesamt sachge-                    II im linken Bein festgestellt. Vier Monate    gung wurde auch ein Port für die weitere
 recht – auch mittels Dexrazoxanverabrei-                   später wurde wegen des Nachweises von          Tumorbehandlung gelegt.
 chung (Savene®) – vorgegangen. Für die                     retroperitonealen und pulmonalen Metas-
von der Patientin geltend gemachte anhal-                   tasen eine Kombinationstherapie mit dem        Gutachterliche Bewertung
tende Funktionsstörung des Arms fanden                      Anthrazyklin Doxorubicin und dem mono-
sich keine Anhaltspunkte, sodass auch ein                   klonalen Antikörper Olaratumab (Lartru-           Nekrotisierende Substanzen sollten
durch die (sachgerechte) Behandlung ver-                    vo®) über einen zentralvenösen Port emp-       stets – von Ausnahmefällen abgesehen –
ursachter Gesundheitsschaden nicht fest-                    fohlen, den der Patient aber wegen der         über zentrale Zugangswege (ZVK, Port)
stellbar war.                                               damit verbundenen Therapieverzögerung          appliziert werden. Im vorliegenden Fall
    In drei Fällen trat eine Paravasation im                ablehnte. Die stattdessen über eine peri-      wünschte der Patient explizit einen sofor-
Portbereich auf. Fehlerhaft wurde in einem                  phere Vene durchgeführte erste Anthrazy-       tigen Therapiebeginn, sodass nach Aufklä-
dieser Fälle ein Anthrazyklin verabreicht,                  klin- und Antikörpergabe erfolgte kompli-      rung über das Nekroserisiko die Applika­
obwohl eine vorherige Blutaspiration aus                    kationslos. Eine Portanlage wurde nach         tion über einen peripheren Zugang unter
dem am Vortag gelegten und bisher unge-                     dem zweiten Therapiekurs geplant. Die          entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen hier
nutzten Port nicht möglich war. Es hätte                    zweite Chemotherapie erfolgte deshalb          nicht als fehlerhaft zu bewerten war. Aller-
stattdessen dem Standard entsprochen, vor                   nach Normalisierung der Leukozyten wei-        dings hätte es vor dem zweiten Chemo­
der Verwendung von potenziell nekrotisie-                   terhin über einen peripheren Venenzugang       therapiekurs ausreichend Zeit gegeben, ein
renden Medikamenten eine mögliche Port-                     in der linken Ellenbeuge. Der Patient be-      Portsystem für die weitere Applikation zu
dislokation durch einen erneuten Aspira-                    richtete, dass er während der Anthrazyklin­    legen, was hier behandlungsfehlerhaft
tionsversuch von Blut oder durch eine                       infusion mehrfach eingeschlafen sei. Gegen     nicht erfolgte. Weiterhin konnten die
Röntgenkontrolle auszuschließen. Die                        Ende der nachfolgenden Olaratumab­gabe         Ärzte nicht sicher ausschließen, dass eine
Unterlassung dieser Maßnahmen stellt                        verspürte er ein Brennen im Zugangsbe-         Paravasation durch das zuerst applizierte

Tabelle 1	Gutachterliche Verfahren mit Vorwürfen bei einer stattgehabten Paravasation
                           (5-Jahres-Vergleich)

    Abschlusszeitraum                             Verfahren          Fehler                        mit Vorwurf einer Paravasation
    2000 – 2019                                   insgesamt          bejaht                                    davon
                                                      n
                                                                                   n                  Zytostatika               andere Substanzen

                                                                                                  n         Fehler bejaht       n        Fehler bejaht

    Gesamt                                        28.744             8.975        172            64            23 (4¹)         108          28 (3¹)

    2015 – 2019                                    8.031             2.395         41             7             4 (0¹)          34           4 (1¹)

    2010 – 2014                                     7.753            2.327         41            12             5 (1¹)          29          9 (0¹)

    2005 – 2009                                     7.117            2.184         43            24             5 (2¹)              19       4 (1¹)

    2000 – 2004                                    5.843             2.069         47            21             9 (1¹)          26          11 (1¹)

¹    Aufklärungsfehler bei verneintem Behandlungsfehler

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2021                                                                                                               27
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­ oxorubicin eingetreten war, sodass sie
D                                                Fall 2                                         gewesen. Zu keinem Zeitpunkt habe es an
behandlungsfehlerhaft weder die Gabe des                                                        der primären Zugangsstelle Auffälligkeiten
Anthrazyklin-Antidots Dexrazoxan (Save-             Eine Ende 50-jährige Patientin mit Mul-     gegeben oder habe die Patientin über Be-
ne®) noch eine topische Applikation von          tipler Sklerose wurde seit 2015 alle drei      schwerden geklagt, auch nicht bei den
Dimethylsulfoxid (DMSO) zur Eindämmung           Monate mit Mitoxantron-Infusionen behan-       ambulanten Wiedervorstellungen in der
der Schädigung veranlassten, was sich als        delt. Bei der beanstandeten 13. Mitoxan-       Sprechstunde und bei der neuerlichen Fort-
Fehleinschätzung herausstellte. Ferner war       trongabe über einen bei der Aufnahme           führung der Mitoxantrontherapie, sodass
als Behandlungsfehler zu werten, dass der        gelegten, örtlich nicht beschriebenen intra­   der Vorwurf eines nicht erkannten und
Patient während der Infusionstherapie            venösen Zugang war nach Aussage der            fehlbehandelten Paravasats nach Auffas-
nicht ausreichend überwacht wurde. Als           belasteten Ärzte das Pflegepersonal zur        sung der Ärzte substanzlos ist. Allerdings
durch den Behandlungsfehler verursachte          Patientin gerufen worden, weil die Infusion    wird im Entlassbrief nach der letztmaligen
Gesundheitsschäden sind die durch die            „nicht korrekt gelaufen“ sei. Daraufhin sei    Mitoxantrongabe ausgeführt, dass eine
Paravasation verursachten Schmerzen und          die Infusion gestoppt und der Venenzugang      Paravasation von Mitoxantron chirurgisch
die chirurgischen Maßnahmen der Spalt-           sofort entfernt worden. Die Fortführung der    habe versorgt werden müssen. Ein Jahr
hautdeckung des Oberarms zum sekundär-           Mitoxantrongabe sei nachfolgend über ei-       nach der beanstandeten Mitoxantroninfu-
en Wundverschluss zu werten.                     nen neuen Zugang problemlos möglich            sion wird in einem Bericht aus der hand-
                                                                                                chirurgischen Abteilung der belasteten
                                                                                                Klinik ausgeführt, dass „nach dem Parava-
                                                                                                sat am rechten Handgelenk“ anhaltende
                                                                                                belastungs- und bewegungsabhängige
                                                                                                Schmerzen bestünden, die einer konser­
 So gehen Sie richtig bei der Gabe von                                                          vativen Therapie nicht zugänglich gewesen
 nekrotisierenden Medikamenten vor:                                                             seien.

 1.	Indikation prüfen und mündlich geführtes Aufklärungsgespräch dokumentieren                 Gutachterliche Bewertung
 2.	vor jeder Therapiemaßnahme die Patientinnen und Patienten auf die zu erachten­
     den Verhaltensmaßnahmen mündlich erneut hinweisen
                                                                                                   Zweifellos entsprach die Indikation zur
 3.	Prävention von Paravasaten durch:
                                                                                                Mitoxantrongabe den einschlägigen Leit­
     K Neuanlage eines peripheren Zugangs, besser: ZVK oder Portsystem
                                                                                                linien. Die Verwendung eines zentralen
     K keine Mehrfachpunktionen von peripheren Venen oder Portsystemen
                                                                                                Zugangs wird von Neurologen nicht zwin-
     K möglichst Infusionen nekrotisierender Substanzen außerhalb der Regeldienst­
                                                                                                gend gefordert. Nach dem weiteren klini-
         zeiten bei fehlenden Kontrollmöglichkeiten vermeiden
                                                                                                schen Verlauf und einer MRT-Untersu-
 4. Blutaspiration oder Blutrücklauf aus dem System prüfen
                                                                                                chung musste bei der Patientin mit aus­
 5. ungehinderten Einlauf von neutraler Flüssigkeit prüfen
 6. im Zweifelsfall radiologische Dokumentation veranlassen
                                                                                                reichender Sicherheit von einer Paravasa-
 7. festgelegte Kontrollintervalle während der Applikation einhalten                            tion von Mitoxantron ausgegangen werden,
 8.	Organisationsabläufe in den Verfahrensanweisungen beachten und an den                      da sich hierfür typische Befunde zeigten
     Pflichtschulungen teilnehmen                                                               (Anscheinsbeweis). Eine weitere Beobach-
 9.	nur qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Arbeitsbereichen                 tung und Betreuung der Patientin wurde
     einsetzen                                                                                  versäumt und sie wurde ohne Hinweis
                                                                                                auf die Notwendigkeit von Handlungsemp-
 So verhalten Sie sich richtig bei Verdacht auf                                                 fehlungen entlassen (Verletzung der thera-
 eine eingetretene Paravasation:                                                                peutischen Hinweispflicht). Die spärliche
                                                                                                Dokumentation geht dabei zulasten der
 Erstmaßnahmen:                                                                                 Ärzte.
 K Infusion stoppen und aus der Nadel aspirieren
 K Paravasatset nach Verfahrensanweisung/SOP einsetzen                                          Fall 3
 K Extremität unter Hochlagerung ruhigstellen
 K Schmerztherapie                                                                                 Einer Anfang 70-jährigen Patientin
 K Patienten/Angehörige informieren (therapeutische Aufklärung)                                 ­ urde im Dezember 2017 ein Kolonkar­
                                                                                                w
                                                                                                zinom durch lokale R0-Resektion entfernt.
 Dokumentation:
                                                                                                Nach Behandlung der postoperativ auf­
 K  Datum und Uhrzeit der Paravasation
                                                                                                getretenen Komplikationen (unter anderem
 K  Verabreichte(s) Medikament(e) mit Dosisangabe
                                                                                                Langzeitbeatmung bei Sepsis) konnte
 K  Position des Zugangs und des Verlaufs an der Punktionsstelle (Fotodokumentation)
                                                                                                erst im Februar 2019 mit einer palliativen
 K  Nachkontrollen mit Befundbeschreibung
                                                                                                onkologischen Therapie bei primär vorhan-
 Handlungsanweisungen für:                                                                      denen Lebermetastasen mit Bevacicumab
 K Patienten/Angehörige mit Kontrollterminen                                                    (Avastin®), Oxaliplatin und 5-FU+Ca-Foli-
 K Weiterbetreuende Ärzte/Pflegekräfte                                                          nat begonnen werden. Beim vierten Thera-
                                                                                                piekurs trat entweder eine primäre Fehl-

28                                                                                                                Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2021
Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission – Folge 126

Tabelle 2 Festgestellte Einzelfehler bei Zytostatika-Paravasationen

 Abschlusszeitraum                                  Gesamter Zeitraum          2015 – 2019         2010 – 2014       2005 – 2009        2000 – 2004
 2000 – 2019                                             davon                   davon               davon              davon              davon
                                                n         Zyto-    Andere     Zyto­    Andere     Zyto-    Andere    Zyto-    Andere    Zyto-    Andere
                                                         statika             statika             statika            statika            statika
 Fälle mit Fehlern                           51 (7¹)     23 (4¹)   28 (3¹)     4       4 (1¹)    5 (1¹)      9      5 (2¹)    4 (1¹)   9 (1¹)    11 (1¹)
 davon mit Einzelfehler²:
 Fehlende Indikation/                           3            1           2      /         /         1        1         /        /         /         1
 falsch gewähltes Medikament
 Wahl des Zugangs/Anlage/                     20            11           9      1         /         2        2         1        /         7         7
 Sicherung/unzulässige Delegation
 Keine Kontrolle/Stoppen der                    9            3           6      /         2         1        /         2        3         /         1
 Infusion bei Komplikation
 Nicht/zu spät erkanntes Paravasat/           10             3           7      1         /         /        5         1        /         1         2
 keine ärztliche Inaugenscheinnahme
 Keine unmittelbare Reaktion                   13            9           4      1         /         1        2         2        1         5         1
 (Aspiration, DMSO etc.)
 Kein/zu spätes chirurgisches Konsil            4            2           2      1         /         /        1         /        /         1         1

 Keine Kontrolle/ Behandlung des                6            2           4      1         1         1        2         /        /         /         1
 Lokalbefundes
 Keine Sicherungsaufklärung für                 2            2           /      2         /         /        /         /        /         /         /
 weitere Behandlung an den
 Patienten/Nachbehandler
 Dokumentationsmangel                           6            3           3      1         /         1        1         /        1         1         1

 Risikoaufklärungsmangel bzgl.              10 (7¹)       5 (4¹)   5 (3¹)       /       1 (1¹)    1 (1¹)     /      3 (2¹)    2 (1¹)    1 (1¹)    2 (1¹)
 „Paravasation“

¹ Aufklärungsfehler bei verneintem Behandlungsfehler
² gezählt wurden maximal 4 Einzelfehler/Fall mit beklagten Paravasaten

punktion des seit sieben Wochen in der                   den eine ­zertifizierte Pflegkraft vorge­         krankung, an der die Patientin im Dezem-
Vena subclavia liegenden Portsystems                     nommen habe, sei es zum Austritt von              ber 2019 verstarb.
auf oder mit höherer Wahrscheinlichkeit                  ­Oxaliplatin gekommen. Am Folgetag wurde
eine Dislokation der Portnadel beim Um-                   in den Unterlagen eine Rötung beschrieben        Gutachterliche Bewertung
stecken der Infusionen mit der Folge einer                und ein chirurgisches Konsil angefragt,
Paravasation von Oxaliplatin. Die bei der                 welches erst zwei Tage später ausgeführt            In einem zertifizierten Onkologischen
Chemotherapieapplikation anwesende                        wurde und „reiz­lose Verhältnisse und            Zentrum wurden – der für die Beurteilung
Tochter gab an, der Assistenzarzt habe                    eine diskrete Schwellung der Portkammer          der Kommission maßgeblichen Behand-
den Port mehrfach punktieren müssen.                      ohne Notwendigkeit einer chirurgischen           lungsdokumentation folgend – die vorhan-
In der S ­ tellungnahme des Chefarztes                    Intervention“ beschreibt. Deutlich ver­          denen Verfahrensanweisungen /SOP nicht
wird ausgeführt, dass der Assistenzarzt                   zögert kam es zu einer aus­gedehnten             ausreichend beachtet. Insbesondere wurde
die Portnadel habe korrigieren müssen. Auf                ­Thoraxwandnekrose inklusive der Brust-          der Kommission eine Dokumentation der
die Prüfung des Rückflusses von Blut sei                   drüse rechts, die mehrfach durch Wund­          Abläufe und gebotenen Kontrollen nach
dann entgegen der Verfahrensordnung/                       debridement und eine plastisch-­chirur­         Maßgabe der hauseigenen Vorgaben mit
SOP verzichtet worden. Hierzu erfolgte                     gische Deckung behandelt werden musste.         Kontrollvermerken und Handzeichen der
kein Akteneintrag. Berichtet wird ein un-                  Dies hatte das Aussetzen der ­onkologischen     ausführenden Fachkraft bis zum Abschluss
gehindertes Einlaufen von physiologischer                  Therapie über mehrere M  ­ onate zur Folge.     des Verfahrens nicht vorgelegt. Damit wur-
Kochsalzlösung, der antiemetischen Medi-                   Nach initialer Rück­bildung der Tumor­          de gegen die gesetzliche Verpflichtung
kation und von ­Dexamethason. Nach dem                     marker und der Lebermetastasen kam es           verstoßen, die für die Behandlung aus fach-
Wechsel auf die Infusion mit Oxaliplatin,                  in dieser Zeit zu einer Progredienz der Er-     licher Sicht wesentlichen Maßnahmen

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2021                                                                                                                 29
Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission – Folge 126

aufzuzeichnen (vgl. § 630 f Abs. 2 BGB).               wird die Paravasation nicht erwähnt, so-               Literatur
Aufgrund dieser Dokumentationsmängel                   dass damit auch keine klaren Empfehlun-
                                                                                                              1.	Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsge­
ist zu vermuten, dass medizinisch gebote-              gen für die weiterbetreuenden Ärzte sowie                  sellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Supportive
ne Maßnahmen nicht oder nur unzurei-                   für die Patientin und deren Angehörige                     Therapie bei onkologischen Patientinnen – Lang­
                                                                                                                  version 1.1, AWMF Registiernummer 032/0540L
chend ergriffen wurden und die Applika­                erteilt wurden.                                            (https://Leitlinienprogramm-Onkologie.de)
tion von Oxaliplatin sowie deren Über­                                                                        2.	Jordan K. (2006) Prävention und Therapie von
                                                                                                                  Paravasaten, In: Schmoll HJ, Höffken K, Possinger
wachung auch nach Eintritt der Paravasa-                                                                          K (Hrsg) Kompendium Internistischen Onkologie
tion nicht standardgerecht erfolgten, so-                                                                     3.	Heyn, G. Akuter Notfall in der Onkologie.
                                                                                                                  ­Pharmazeutische Zeitung: 36 (2017): S. 1–15
dass von der Verursachung einer schweren,                  Professor Dr. med. Wolf-Dieter Schoppe und         4.	R. Mader, Wien: Arbeitsgruppe Paravasate in:
schmerzhaften Thoraxwandnekrose in Ver-                    Professor Dr. med. Nobert Niederle gehörten             Paravasation von Zytostatika (2006) Springer
bindung mit dem mehrmonatigen Ausset-                      der Gutachterkommission bis zum Ende der                ­Verlag, in Mader I, Fürst-Weger, PR, Mader, RM,
                                                           11. Amt­periode am 30.11.2020 an,                        Nogler-Semenitz, E, Wassertheurer, S. http://www.
zen der onkologischen Therapie und deren                   Dr. jur. Peter Lange ist stellvertretender             dgop.org/download/paravasation_von_zytostatika.pdf
Folgen auszugehen war. Es fehlen nach                      Vorsitzender und Dr. med. Beate Weber ist die      5.	Oechsle K, Bokemeyer C. Zytostatika-Paravasate:
                                                           für die Dokumentation und Aus­wertung der              Gefürchtet aber vermeidbar. Hamburg Arbeitskreis
Aktenlage ärztliche Anweisungen nach                       Begutachtungen zuständige Referentin der               supportive Maßnahmen in der Onkologie (ASO)
Eintritt der Paravasation. Im Entlassbrief                 Gutachterkommission.                                   innerhalb der DKG und MASCC.

                Videokonferenz:
                Videokonferenz
                Titel Va                          Videokonferenz
                                                  am xx,      xx
                                                  von xx:00 –xx:00 Uhr

                                                                         ,

         83. Fortbildungsveranstaltung „Aus Fehlern lernen“
        	
          in Zusammenarbeit mit der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein

          Inkontinenz bei Frauen –
          Welche therapeutischen Optionen gibt es?
          Mittwoch, 25. August 2021, 15:30–17:45 Uhr, Live Online-Seminar

           Begrüßung                                                                      Möglichkeiten der operativen Therapie
           Dr. med. Martina Levartz, MPH                                                  Prof. Dr. med. Markus Fleisch
           Geschäftsführerin des IQN                                                      Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe,
           Dr. med. Sabine Mewes                                                          Direktor der Landesfrauenklinik Wuppertal, Stellvertretendes
           Referentin IQN                                                                 Geschäftsführendes Mitglied der Gutachterkommission für
                                                                                          ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein
           Einführung und Moderation
           Prof. Dr. med. Tanja Fehm                                                      Sektorübergreifende Versorgung von Patientinnen
           Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe,                               mit Inkontinenz
           Direktorin der Frauenklinik,Universitätskliniken Düsseldorf                    Dr. med. Kourosh Taghavi
                                                                                          Niedergelassener Facharzt für Frauenheilkunde und
           Formen der Inkontinenz                                                         Geburtshilfe, Düsseldorf
           Überblick über Diagnose; konservative Therapiemöglichkeiten,
           Indikationen zur operativen Therapie                                           Anerkennung 3 Punkte
           Dr. med. Sebastian Kolben
           Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Oberarzt der
           Frauenklinik, Ev. Krankenhaus Hagen-Haspe

      Für die Veranstaltung gilt

           Anmeldung erforderlich über den Anmeldelink auf unserer                        Kontakt
           Homepage www.iqn.de Fortbildungen des IQN/Link zur                             Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein
           Fortbildung/Registrierung                                                      Tersteegenstr. 9, 40474 Düsseldorf, Tel.: 0211 4302-2752
                                                                                          Internet www.iqn.de
           oder E-Mail: iqn@aekno.de
                                                                                          IQN Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein
           Bitte beachten: Anmeldungen per Fax können nicht mehr                          Einrichtung einer Körperschaft öffentlichen Rechts
           berücksichtigt werden

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