FORSCHEN in Jülich - UMWELT UND KLIMASCHUTZ - Forschungszentrum Jülich
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Das Magazin aus dem Forschungszentrum 01|2009 FORSCHEN in Jülich UMWELT UND KLIMASCHUTZ :: FLIEGENDE LABORS :: ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE :: DEN HIMMEL ÜBER CHINA VERSTEHEN
FORSCHEN in Jülich Das Magazin aus dem Forschungszentrum Die Atmosphäre der Erde: Vielfältige Prozesse in der Lufthülle unseres Planeten beeinflussen die Umwelt und das Klima. Die Aufmerksamkeit der Atmosphärenforschung richtet sich zunehmend auf den vom Menschen verursachten Stoffeintrag. Titelbild: Das Messflugzeug „Eco-Dimona“, ein einmotoriger Motorsegler, misst über einem Versuchsfeld die Konzentration von Kohlendioxid und Wasser in der Atmosphäre. 2 Forschen in Jülich 1 | 2009
Umweltforschung für die Sicherung unserer Lebensgrundlagen D er Klimawandel wird gravierende Folgen haben, die unsere Lebensgrundlagen gefähr- den. Dies bestätigt der vierte Klima-Report des Weltklimarats (IPCC), an dem auch Wissen- schaftler des Forschungszentrums Jülich mitarbeiten. Der sparsame und intelligente Umgang mit Rohstof- fen und eine klimaschonende Energieversorgung ge- Prof. Dr. Achim Bachem, Vorstandsvorsitzender (r.), und hören daher zu den wichtigsten Zukunftsthemen un Prof. Dr. Harald Bolt, Mitglied des Vorstands serer Gesellschaft. Kaum jemand mag das heute noch ernsthaft bestreiten. Doch wie können wir nun darauf reagie- Ein anderes Beispiel: Bekannt ist, dass das Treib ren? Und wer? Entschiedenes Handeln der Politik, hausgas Kohlendioxid (CO2) von Pflanzen und Böden neue Produkte aus der Wirtschaft, verändertes Ver- aufgenommen, gespeichert und allmählich wieder halten der Verbraucher – all dies ist wichtig. Dies freigesetzt wird. Welche Wechselwirkungen jedoch wird aber nur gelingen, wenn wir noch viel genauer zwischen diesen organischen Kohlenstoffspeichern, verstehen, wie die komplexen Prozesse in unserer den unterschiedlichen Bodennutzungen, der Boden- Umwelt ablaufen, wie Atmosphäre, Pflanzenwelt und feuchte und dem prognostizierten Klimawandel – mit Boden in sich und im Austausch miteinander funk Temperaturanstieg und verändertem Niederschlag – tionieren. zu erwarten sind, das ist nach wie vor eine offene Ob der Energieträger Wasserstoff Freund oder Frage. Jülicher Wissenschaftler arbeiten an der Auf- Feind des Klimas ist oder wie sich Wolken auf das klärung und daran, wie man Pflanzen und Pflanzen- Klima auswirken … Längst ist noch nicht alles klar, produktion an die veränderten Klimabedingungen vieles nur scheinbar hinreichend verstanden. Beob- anpassen kann. achten, verstehen, handeln, und zwar in dieser Während bei diesen beiden Beispielen das Beob- Reihenfolge, ist daher unsere Position in der Umwelt- achten und Verstehen im Fokus stehen, sind wir auf und Energieforschung. Mit Messinstrumenten am anderen Feldern bereits sehr nah an der Anwendung. Boden und in der Luft sammeln Umweltforscher Beispiel Materialforschung für die klimaschonende innen und -forscher aus Jülich in internationalen Energieversorgung der Zukunft. Wissenschaftlerinnen Kampagnen umfangreiche Daten – regional wie glo- und Wissenschaftler des Instituts für Energie bal. Sie klären Wechselwirkungen auf und simulieren forschung entwickeln spezielle Membranen, die auf dieser Basis die ablaufenden Prozesse. Damit Kohlendioxid aus Abgasen abtrennen oder neue schaffen sie wichtige Grundlagen für zielgerichtetes Materialien für Brennstoffzellen und energiesparende und nachhaltiges Handeln. Lampen. Auch darüber berichtet dieses Heft. So beobachteten Jülicher Atmosphärenforscher Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre. zum Beispiel in der Luft über Südchina einen be- schleunigten Schadstoffabbau in der Atmosphäre, der sich von dem bislang bekannten unterscheidet. Mithilfe von Simulationsrechnungen und mittels Experimenten in der Jülicher Atmosphären-Simula Prof. Dr. Achim Bachem Prof. Dr. Harald Bolt tionskammer SAPHIR wird der neu beobachtete Vorstandsvorsitzender des Mitglied des Vorstands Mechanismus jetzt aufgeklärt. Forschungszentrums Jülich 1 | 2009 Forschen in Jülich 3
10 :: FLIEGENDE LABORS Messinstrumente unternehmen luftige Ausflüge im Zeppelin, mit Flugzeugen oder Satelliten, damit Atmosphärenforscher den Einfluss von Spurengasen und Schwebe teilchen auf die Atmosphäre untersuchen können. 13 26 ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE DEN HIMMEL ÜBER CHINA VERSTEHEN Die Beziehungen zwischen Boden, Pflanzen und Klima sind Jülicher Atmosphärenforscher reisten zu den Olympischen vielfältig: Pflanzen nehmen das Treibhausgas Kohlendioxid auf Spielen nach China. Sie erarbeiteten Empfehlungen, um die und produzieren zugleich Stoffe, die die Wolkenbildung fördern; Schadstoffbelastung während der Wettkämpfe zu verringern und Wälder speichern Wasser, Böden setzen je nach Wetterlage machten überraschende Entdeckungen zur Selbstreinigungs- verschieden viel Kohlendioxid frei. In Langzeitprojekten unter kraft der Atmosphäre. suchen Jülicher Forscher, wie das alles zusammenwirkt. 4 Forschen in Jülich 1 | 2009
IN DIESER AUSGABE 3 Editorial :: Schnappschüsse aus Jülich 6 Forschung im Überblick Ein Kaleidoskop von Bildern zeigt Highlights aus der Jülicher Forschung – von der Suche nach dem Ursprung der Masse über die Entdeckung von Gehirnveränderungen bei Synästheten bis zum Ausloten der Nanowelt. :: SCHWERPUNKT :: Highlights 9 Das Klima verstehen 26 Den Himmel über China verstehen Die Atmosphärenchemie über chinesischen Ballungs- 10 Fliegende Labors räumen funktioniert anders, als bisher gedacht. Messinstrumente gehen in die Luft, um Spurengase und Schwebeteilchen in der Atmosphäre zu analysieren. 30 Automatisierung statt Handarbeit Jülicher Energieforscher entwickeln automatisierte 13 Zwischen Himmel und Erde Fertigungsverfahren für Brennstoffzellen. Jülicher Umweltwissenschaftler untersuchen Wechsel wirkungen zwischen Böden, Pflanzen und Klima. 32 Wasserstoff – Freund oder Feind? Jülicher Wissenschaftler geben Entwarnung. 16 Globaler Klimawandel – regional beobachtet Interview mit Prof. Harry Vereecken, Direktor des 34 Gefährliche Notbremse gegen globale Erwärmung Instituts für Chemie und Dynamik der Geosphäre. Sulfatteilchen in der Atmosphäre könnten vielleicht dem Treibhauseffekt entgegensteuern, hätten aber starke 18 Eiswolken im Treibhaus Erde Nebenwirkungen. Zirruswolken aus winzigen Eiskristallen können sich sowohl kühlend, als auch wärmend auf das Klima auswirken. 36 Licht mit der richtigen Prise Salz Welcher Effekt überwiegt? Jülicher Forscher sind der Quecksilber in Energiesparlampen wird verboten – Antwort auf der Spur ... Jülicher Forscher entwickeln Alternativen. 20 Klima – beobachten, verstehen, handeln 38 Nachrichten aus der Umwelt- und Energieforschung Von Chemie-Wettervorhersagen, Weltrekord-Brennstoff 22 Vom Klimakiller zum Rohstofflieferanten zellen und Netzwerken für die Pflanzenforschung. Mikroalgen, die Kohlendioxid aus Kraftwerkabgasen binden, könnten künftig als nachwachsender Rohstoff für die Produktion von Benzin und Kunststoffen dienen. 24 Kohlendioxid einfangen und vergraben Filter, die das Treibhausgas Kohlendioxid aus Abgasen ab- trennen, sollen Kohlekraftwerke klimafreundlicher machen. 1 | 2009 Forschen in Jülich 5
HILFE BEI BANDSCHEIBENSCHÄDEN URSPRUNG DER MASSE Wenn eine abgenutzte Bandscheibe unerträgliche Schmerzen ver- Mithilfe des Jülicher Supercomputers JUGENE gelang es erst ursacht und nicht-operative Behandlungsmethoden keine Linde malig einem internationalen Forscherteam, die Masse der wich rung bringen, so kann es notwendig werden, die Bandscheibe tigsten Bausteine der Materie – Protonen und Neutronen – zu durch ein Implantat zu ersetzen. Jülicher Forscher haben geholfen, berechnen. Die aufwändigen Simulationen der Wissenschaftler solche Titan-Implantate zu verbessern: Mit ihrem patentierten Her- bestätigen die Richtigkeit einer grundlegenden physikalischen stellungsverfahren lassen sich Größe und Anteil der Poren im Titan Theorie, der Quantenchromodynamik. Die Redakteure des renom- genau steuern, sodass sie optimal durch Knochenzellen besiedelt mierten Wissenschaftsmagazins „Science“ wählten diese Forscher- werden. Dr. Martin Bram, Dr. Hans-Peter Buchkremer und Prof. Dr. arbeit in ihre Top-Ten-Liste der „Durchbrüche des Jahres 2008“. Detlev Stöver erhielten dafür gemeinsam mit der Medizintechnik- firma Synthes den mit 50 000 Euro dotierten Schrödinger-Preis. Forschung im Überblick Die Jülicher Umweltforschung steht im Mittelpunkt dieses Magazins. Jülicher Wissenschaftler sind aber auch auf anderen Forschungsgebieten aktiv und erfolgreich. LINKTIPP www.fz-juelich.de/portal/kurznachrichten 6 Forschen in Jülich 1 | 2009
SchNAPPSCHÜSSE GEHIRNVERÄNDERUNGEN BEI SYNÄSTHETEN BLICK AUF QUANTENEFFEKT Bei Menschen mit Synästhesie kann beispielsweise das Sehen eines Buchstabens eine Eine internationale Forschergruppe, da zusätzliche Farbempfindung auslösen. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich runter der Jülicher Chemiker Dr. Gustav und der Kölner Universitätsklinik wiesen mit der Magnetresonanztomografie nach, Bihlmayer, maß erstmals direkt den Spin dass bei Synästheten die graue Gehirnsubstanz im linken Scheitellappen (links) und der Elektronen in einem Material, das im rechten unteren Schläfenlappen (rechts) vermehrt ist. Während die Gehirnregion im den 2004 theoretisch vorhergesagten unteren Schläfenlappen auf die Farbwahrnehmung spezialisiert ist, ist der Scheitel Quanten-Spin-Hall-Effekt aufweist. Dieser lappen für die Verknüpfung von Sinneseindrücken zuständig. Effekt könnte es künftig ermöglichen, die Information von Speichermedien nahezu verlustfrei zu transportieren und elek trisch zu manipulieren. BLUT IN BEWEGUNG SIMULIEREN MIT PETAFLOP/S NANOECHOLOT Physiker aus Jülich und Tokio fanden mit Seit Mai 2009 stehen in Jülich drei neue So wie ein Echolot Schallwellen aus aufwändigen Computersimulationen her- Supercomputer für die europäische For- sendet, um die Tiefen der Ozeane zu er- aus, dass sich rote Blutkörperchen in schung. Der leistungsstärkste unter ihnen kunden, können Elektronen von Raster- engen Kapillaren fallschirmförmig in einer kann eine Billiarde Rechenoperationen tunnelmikroskopen genutzt werden, um Reihe ausrichten, wenn ihr Gehalt im Blut- pro Sekunde, kurz ein Petaflop/s, ausfüh- tief verborgene Eigenschaften des Atom- strom niedrig ist (oben). Bei höherer ren und war damit bei seiner Einweihung gitters der Metalle zu untersuchen. Auf Dichte verändern die Blutkörperchen ihre der schnellste Rechner Europas und welt- diese Weise machten Wissenschaftler Form und ordnen sich reißverschlussartig weit Nr. 3. Bei einem Festakt unterstri- aus Jülich, Göttingen und Halle die so in zwei Reihen an (unten). Beim Übergang chen Bundesforschungsministerin Annette genannten Fermi-Flächen im Innern sicht- dieser beiden Zustände steigt der Strö- Schavan und NRW-Ministerpräsident Jür- bar, durch die beispielsweise Leitfähig- mungswiderstand des Blutes sprunghaft gen Rüttgers die Bedeutung des Super- keit, Wärmekapazität und Magnetismus an. computing für die Rolle Deutschlands und eines Metalls festgelegt werden. Europas im internationalen Wettbewerb. 1 | 2009 Forschen in Jülich 7
Schwerpunkt :: DAS KLIMA VERSTEHEN Boden, Biosphäre und Atmosphäre beeinflussen das lokale und globale Klima. Jülicher Wissenschaftler arbeiten daran, diese Faktoren so genau wie möglich zu erfassen und ihre vielfältigen Wechselwirkungen zu verstehen. Was genau geschieht im Boden, in Pflanzen und in der Luft? Wie wirken sich diese Prozesse auf das Klima aus, und wie reagieren sie auf natürliche Veränderungen und auf die Folgen menschlicher Aktivitäten? Das Ziel der Forscher ist es, Strategien für den Erhalt der Umwelt zu erarbeiten und eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen zu ermöglichen. 1 | 2009 Forschen in Jülich 9
Fliegende Labors Satelliten, Forschungs- und Linienflugzeuge sowie Luftschiffe transportieren die Messinstrumente in die Luft, mit denen Jülicher Forscher den Einfluss von Spurengasen und Schwebeteilchen auf das Klima untersuchen. Einzelne chemische Vorgänge lassen Prozesse den Transport von Spurengasen sich zwar im Labor am Boden unter über viele Hunderte Kilometer hinweg suchen. „Fraglich ist dann jedoch häufig, beeinflussen. Sie laufen damit auf einer inwieweit der Prozess auch in der Natur Skala ab, die sich im Labor nicht nach- wirksam ist – so kann es etwa zu Rück- stellen lässt“, sagt Riese. kopplungen kommen, die sich unter Labor- bedingungen nicht beobachten lassen“, Blick vom Satelliten in die Kaffeetasse erläutert Experte Dr. Franz Rohrer den Nun mag man auf die Idee verfallen, Grund für die Jülicher Höhenflüge über die Atmosphärenforscher könnten auf den Polargebieten, dem Bodensee oder ihre abwechslungsreichen Ausflüge ver- mitten in tropische Gewitterwolken hin- zichten und stattdessen einfach die Daten ein. Auch sind Wissenschaftler schon auswerten, die ihnen die Messgeräte von E xperten schätzen die Zahl der Sub häufiger bei Freiluftmessungen auf Vor- Satelliten frei Haus liefern. Doch die stanzen in der Atmosphäre auf 5 000 gänge gestoßen, die man auf Grundlage Wissenschaftler vom Jülicher Institut für bis 8 000. „Darunter sind Spuren von Untersuchungen im Labor gar nicht Chemie und Dynamik der Geosphäre ver- gase, die entscheidend für die Eigen- vorhersagen konnte. Bekanntestes Bei- weisen hier unter anderem auf die man- schaften der Atmosphäre sind und spiel dafür ist die Bildung des Ozonlochs gelnde „räumliche Auflösung“ der Auf- manchmal weniger als einen milliardstel über der Antarktis. Als Verursacher wur- nahmen. Was damit gemeint ist, erläutert Teil der Luft ausmachen“, sagt der Jülicher den überraschend die Fluorchlorkohlen- Franz Rohrer, Mitarbeiter des Bereichs Atmosphärenforscher Prof. Martin Riese. wasserstoffe (FCKW) identifiziert, die, als „Troposphäre“, anhand der Tasse Kaffee, Eine ganze Reihe von Substanzen wirkt Kühlmittel oder Treibgas eingesetzt, in die die vor ihm steht und in die er einen Trop- sich dabei beträchtlich auf das Klima aus. obere polare Atmosphäre gelangten und fen Milch einrührt: „Sieht man darauf mit Methan beispielsweise beeinflusst es auf dort durch früher unbekannte chemische den Augen eines Satelliten, so kann man kurze Sicht sogar ähnlich stark wie das Reaktionen an Wolkenteilchen in ozon häufig nur die durchschnittliche Helligkeit Treibhausgas CO2, das Hauptursache des zerstörende Substanzen umgewandelt des Kaffee-Milch-Gemischs erkennen. Ob Klimawandels ist. werden. „Zudem können meteorologische die Milch aber gleichmäßig verteilt ist 10 Forschen in Jülich 1 | 2009
Schwerpunkt Messgeräte auf Umweltsatelliten (links), im Zeppelin NT (Mitte) und in Forschungsflugzeugen wie HALO (rechts) liefern Jülicher Forschern einander ergänzende Informationen über Spurengase und Schwebeteilchen in der Atmosphäre. oder sich Schlieren gebildet haben, ist PREMIER (PRocess Exploitation through 15 Kilometern und einer Nutzlast von nicht zu sehen.“ Auch liefern Erderkun- Measurement of Infrared and milimetre- drei Tonnen alle anderen europäischen dungssatelliten nicht kontinuierlich Daten wave Emitted Radiation). Das For- Forschungsflugzeuge. „Mit HALO kann von einer bestimmten Region – doch der schungszentrum Jülich und europäische man gezielt in interessante chemische Gehalt vieler Spurengase verändert sich Partner haben es als Erderkundungsmis- und meteorologische Situationen hinein- innerhalb von Stunden oder Minuten. Da- sion vorgeschlagen, die von der „European fliegen und die dort ablaufenden Pro her können Atmosphärenforscher nicht Space Agency“ (ESA) mit Finanzmitteln zesse detailliert untersuchen“, sagt der auf Flugzeuge und Zeppeline verzichten, von 300 Millionen Euro ausgestattet ist Atmosphärenchemiker Dr. Andreas Volz- die einfach näher am Geschehen sind. und 2016 beginnen soll. Bisher verlief die Thomas. Besonders haben die Jülicher Martin Riese und sein Team vom Be- Bewerbung sehr erfolgreich: Aus 24 Vor- Forscher dabei die sogenannte Tropo reich „Stratosphäre“ arbeiten aber auch schlägen wurden drei für ausführliche pause zwischen fünf und 15 Kilometern daran, die Sehschärfe von Satellitenmes- Studien des wissenschaftlichen Poten über der Erdoberfläche im Visier. Sie sungen zu verbessern. Bisher können zials und der technischen Machbarkeit spielt für den Klimawandel eine wichtige Satelliten bestenfalls den durchschnitt ausgewählt – darunter PREMIER. Erst- Rolle, da sich hier Änderungen von Treib- lichen Gehalt eines Spurengases in einer mals getestet wird ein derartiges Mess hausgasen, Schwebeteilchen und Wolken drei bis fünf Kilometer hohen und meh instrument für mehr als 15 Spurengase besonders stark auf die Strahlungseigen- rere Hundert Kilometer breiten Luftsäule schon 2010 auf dem Forschungsflugzeug schaften der Atmosphäre und somit auf ermitteln. Gemeinsam mit Kollegen aus HALO. die Temperatur am Boden auswirken. dem Forschungszentrum Karlsruhe ent- wickeln die Jülicher Wissenschaftler ein Neues Forschungsflugzeug 100 Millionen Forschungskilometer Messinstrument, mit dem sich Spuren- Dieser 62 Millionen Euro teure Jet im Linienflugzeuge dagegen meiden „inte gas-Mittelwerte mit einem Höhenabstand Dienste der Klima- und Atmosphärenfor- ressante“ meteorologische Situationen von weniger als einem Kilometer unter- schung absolvierte seinen ersten Flug in wie etwa Gewitter und können keine ton- scheiden lassen – bei einem horizontalen Deutschland im Januar 2009. HALO über- nenschweren Messgeräte mitschleppen. Abstand von rund 50 Kilometern. Das trifft mit einer Reichweite von über 8 000 Trotzdem lassen sie sich sehr erfolgreich Gerät ist wesentlicher Teil des Konzepts Kilometern, einer Flughöhe von mehr als für die Atmosphärenforschung nutzen. 1 | 2009 Forschen in Jülich 11
Spezielle Lufteinlass-Systeme sind nötig, wenn Wissenschaftler mit einem Flugzeug die Atmosphäre erforschen wollen. Die Zentralabteilung Technologie im Forschungszentrum entwickelte für das HALO-Flugzeug dieses Einlass-System, mit dem hochreaktive, atmo- sphärische Spurenstoffe eingefangen und anschließend mit den Messgeräten, die sich im Inneren des Flugzeugs befinden, analysiert werden können. Das zeigte das MOZAIC-Projekt, das vom von Prof. Andreas Wahner, Kontakt zur Dr. Andreas Hofzumahaus (zu OH-Radi Bereich „Troposphäre“ koordiniert wurde. Deutschen Zeppelin-Reederei in Friedrichs- kalen siehe auch S. 29). Von 1994 bis 2004 reisten Messgeräte hafen auf, die den Zeppelin NT betreibt – Spricht man ihn auf den touristischen an Bord von fünf Airbus-Langstrecken ein Luftschiff, in dem normalerweise Tou- Wert einer solchen Forschungsmission fliegern mit und analysierten während risten die Aussicht auf den Bodensee über dem Bodensee an, lächelt Hofzuma- mehr als 100 Millionen Flugkilometern genießen. Es kann in geringen Höhen haus milde. Zeit, die schöne Aussicht zu die Luft der Tropopause. „So viele Daten langsam schweben, auf- und absteigen, genießen, hat dabei nämlich keiner. Statt- über einen langen Zeitraum sind auf in der Luft anhalten oder mit dem Wind dessen bedeutet so eine Mission für ein andere Weise nicht erhältlich. Auf fliegen und dabei bis zu einer Tonne Aus- vielköpfiges Wissenschaftlerteam harte ihnen beruhen inzwischen fast 150 wis- rüstung mit sich führen. Arbeit: von der Messgeräteentwicklung senschaftliche Publikationen“, freut sich „Inzwischen haben wir mit dem Zep über die Flugplanung bis zur Datenaus- Volz-Thomas. Zu den herausragenden pelin NT zwei mehrtägige, sehr erfolg wertung. Bei den Messflügen selbst darf Erkenntnissen gehört, dass die obere reiche Messkampagnen über Süddeutsch dann neben dem Piloten nur ein Forscher Troposphäre über Ostasien weit mehr land durchgeführt. Dabei haben wir unter mit an Bord sein – mehr Gewicht könnte Kohlenmonoxid enthält als erwartet – anderem die Konzentration der soge- der Zeppelin nicht tragen. eine Folge von Waldbränden und Brand nannten Hydroxyl-Radikale bestimmt – www.fz-juelich.de/portal/forschung/ rodung. Satelliten hatten die extrem Verbindungen, die den Abbau der highlights/zeppelin hohen Kohlenmonoxid-Konzentrationen meisten Schadstoffe einleiten und damit übersehen. so etwas wie das Waschmittel der Atmo- Frank Frick Aus dem zeitlich begrenzten Projekt sphäre sind“, sagt der Jülicher Forscher MOZAIC geht jetzt das dauerhafte euro- päische Beobachtungssystem IAGOS-ERI hervor. „Wichtiger Bestandteil von IAGOS-ERI sind leichtere, einfacher zu wartende und leistungsfähigere Mess instrumente, die auch zur Nachrüstung von Flugzeugen zugelassen sind“, sagt Volz-Thomas, der Jülicher Projektleiter von IAGOS. Ende 2009 soll eine Luft hansa-Maschine erstmals mit den neuen Geräten ausgestattet werden. Die Entdeckung der Langsamkeit Für die Untersuchung der untersten Luftschicht der Atmosphäre bis 1 000 Meter Höhe fehlte lange Zeit ein fliegen- des Labor. Die Messgeräte waren zu schwer und zu groß für die verfügbaren Forschungsflugzeuge, die zudem viel zu schnell fliegen, um erdnahe Daten mit hoher räumlicher Auflösung zu sammeln. Die wichtigsten Flugrouten der fünf Daher nahmen die Jülicher Wissenschaft- Airbus-Linienflugzeuge des MOZAIC-Projekts. Die Geräte an Bord maßen ler des Bereichs „Troposphäre“, geleitet unter anderem den Ozon- und den Kohlenmonoxid-Gehalt in der Atmosphäre. 12 Forschen in Jülich 1 | 2009
Schwerpunkt Zwischen Himmel und Erde Wälder und Felder entziehen der Atmosphäre das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) und speichern den Kohlenstoff als Biomasse – Wissenschaftler sprechen von CO2-Senken. Der überwiegende Teil des Kohlenstoffs steckt dabei im Boden: in Wurzelwerk, Laubstreu und Humus. Bodenorganismen zersetzen die toten Pflanzen teile und geben das CO2 allmählich wieder an die Atmosphäre ab. Doch unter welchen Bedingungen wird wie viel CO2 geschluckt oder abgegeben? Wissen schaftler des Jülicher Instituts für Chemie und Dynamik der Geosphäre sind den Zusammenhängen auf der Spur. Erkenntnisse aus nackter Erde regio32“ der Deutschen Forschungs zufinden, stecken die Wissenschaftler Ganz bodenständig arbeitet Dr. Michael gemeinschaft. Nur zersetztes Pflanzen- nach unten offene Kammern von etwa Herbst. Auf seinem Versuchsfeld bei Sel material von früherem Weizenanbau 20 Zentimetern Durchmesser in die Erde hausen wächst rein gar nichts. Mithilfe steckt noch im Feld. Herbst will wissen: und messen darin den Anstieg des CO2 von umweltverträglichen Unkrautvernich Wie viel CO2 gibt der nackte Boden an sowie Feuchtigkeit und Temperatur des tern und Bodenbearbeitung sorgt er mit die Atmosphäre ab? Wie beeinflussen Bodens. seinen Kollegen im Projekt FLOWatch seit Regen oder Dürre, Schneefall, ein milder „Den größten Einfluss hat die Tempe drei Jahren sorgfältig dafür, dass das Feld oder kühler Sommer den Fluss des Koh- ratur“, berichtet Herbst. „Aber auch Trocken- so kahl bleibt. Das Projekt ist Teil des lenstoffs? Was bewirkt eine gröbere oder heit mögen die Bodenorganismen nicht.“ Sonderforschungsbereichs (SFB) „Trans- feinere Bodenstruktur? Um das heraus Allerdings herrschen hier Verhältnisse, 1 | 2009 Forschen in Jülich 13
Mit einem Spektrometer ermittelt Anke Schickling die von der Oberfläche reflek- tierte Sonnenstrahlung; im Hintergrund das Messflugzeug „Eco-Dimona“, das die Konzentration von Wasser und Kohlen dioxid in der Atmosphäre misst. die die Wissenschaftler „nicht-linear“ s einen Kollegen die Fotosyntheseaktivität Eingesperrte Bäume nennen: Man kann keinesfalls damit der Pflanzen. Dafür messen die Forscher Aus einem anderen Blickwinkel be- rechnen, dass eine bestimmte Erhöhung sowohl im Feld als auch von Flugzeugen trachtet Dr. Astrid Kiendler-Scharr den der Bodenfeuchtigkeit immer in gleichem oder künftig sogar von Satelliten aus Zusammenhang von Vegetation und Klima- Maße den Abbau von Pflanzenresten die Fluoreszenz der Grünpflanzen im Son- wandel. Ihre Arbeiten sind Teil des EU- im Boden steigert. Wenn es zu nass nenlicht. Je weniger Fluoreszenz, desto Projekts EUCAARI (European Integrated wird, gibt der Boden sogar weniger CO2 größer die Fotosyntheseaktivität, desto ab. „Die Bodenporen sind dann gleich- eifriger entziehen die Pflanzen also der sam verstopft, das Gas kann nicht Atmosphäre CO2. Sogenannte Eddy- mehr zirkulieren“, erläutert Herbst. Nur Kovarianz-Messgeräte registrieren das mit vielen Messdaten vom kahlen Feld Auf und Ab von kleinen Luftwirbeln (engl. lassen sich die Zusammenhänge genau Eddy) über dem Feld und messen Tempe- klären. ratur, Wasserdampf und den vertikalen CO2-Fluss – also die Summe dessen, was Vom Boden zum Feld Boden und Pflanzen bewirken. „Dabei Normalerweise besitzen Böden in sollte unterm Strich das herauskommen, unseren Breiten jedoch eine mehr oder was Kammermessungen und Pflanzen- weniger dichte Pflanzendecke. Wie die messungen addiert ergeben“, erläutert Vegetation den Austausch zwischen Bo- Graf. „Tatsächlich stimmen die Ergebnisse Mit Experimenten in Pflanzenkammern den und Atmosphäre beeinflusst, möch- bisher recht gut überein.“ untersucht Astrid Kiendler-Scharr, welche ten Dr. Alexander Graf und seine Kollegen „Wir vergleichen dabei einerseits Stoffe Pflanzen an die Luft abgeben. im Projekt FLUXPAT herausfinden, das verschiedene Formen des Bewuchses“, ebenfalls zum SFB „Transregio32“ ge- berichtet Rascher. „Andererseits wollen Project on Aerosol Cloud Climate and Air hört. Sie senken ihre CO2-Messkammern wir wissen, wie wechselnde Umwelt Quality Interactions). Sie sieht Pflanzen daher zwischen Getreide oder Zucker bedingungen, etwa Temperatur, Sonnen- nicht nur als Verbraucher des Treibhaus- rübenpflanzen in den Ackerboden. „Um einstrahlung oder Feuchtigkeit, sich auf gases CO2, sondern auch als Produzen- den oberirdischen Pflanzenteil kümmern die Fotosynthese und die Aufnahme von ten von Emissionen, die das Klima beein- wir uns dabei erst einmal nicht“, erläutert CO2 im Tagesverlauf auswirken.“ Mit den flussen. „Jeder, der schon einmal im Graf. Ihn interessiert zunächst, was an vielen Daten füttern sie schließlich ihre Sommer in einem Kiefernwald spazieren der Grenze von Boden und Atmosphäre Computer, um Modelle weiterzuent gegangen ist, hat wahrgenommen, dass auf einem von lebendigen Wurzeln durch- wickeln. Diese sollen vorhersagen, wie Bäume Stoffe an die Atmosphäre abge- zogenen Feld geschieht. sich die globale Erwärmung auf verschie- ben“, sagt sie. „Der würzige Duft rührt Für die Vegetation selbst interessiert dene landwirtschaftliche Kulturen und von einer Vielzahl flüchtiger Substanzen sich Dr. Uwe Rascher. Er verfolgt mit natürliche Ökosysteme auswirkt. her.“ 14 Forschen in Jülich 1 | 2009
Schwerpunkt Hier wird die Fluoreszenz eines Blattes gemessen und daraus die Fotosynthese- aktivität der Pflanze bestimmt. Reagieren diese mit Ozon und anderen Nach Kriegsende wurden am Wüste- Sauerstoffverbindungen, verbinden sie bach Fichten für die Holzproduktion an- sich zu Partikeln, die die Wolkenbildung gepflanzt. Jetzt soll der Forst in einen fördern und so der Erderwärmung ent standortgerechten Mischwald umgewan- gegenwirken. „Allerdings herrscht unter delt werden. Doch bislang ist unklar, wie Experten große Uneinigkeit, wie stark sich dies Vorhaben auswirken wird: Wie dieser Effekt ist – die Schätzungen unter- viel Kohlendioxid und Stickstoff werden Ausgestochene Bodenstücke in so scheiden sich um das 10- bis 100fache“, vor- und nachher gespeichert oder abge- genannten Lysimetern helfen zu verstehen, berichtet Astrid Kiendler-Scharr. geben? Wie verändern sich Wasserhaus- welche Rolle das Wasser und die Boden Um Genaueres zu erfahren, steckt die halt, Pflanzen- und Tierwelt? „Wir wollten struktur beim Transport von Stoffen spielt, Wissenschaftlerin kleine Bäume in große es fast nicht glauben, als wir feststellen und wie Klimaveränderungen diese Glasgefäße der Kollegen vom Pflanzeninsti- mussten, dass es keine Studien gibt, die Prozesse beeinflussen. tut. So kann sie messen, was die Pflanzen eine solche Umstrukturierung interdiszi absondern, wie daraus Partikel entstehen plinär begleitet haben“, sagt Pütz. wird der Wasser- und Stofftransport mit und wie sich Stress durch Hitze, Trocken- Mit seinen Kollegen aus Jülich sowie Sensoren, die über Funk mit einem Rech- heit oder Schädlingsbefall auf die Pflanzen von den Universitäten Trier, Bonn und ner verbunden sind, in Echtzeit über- auswirkt. „Höhere Temperaturen zum Bei Aachen trägt er nun dazu bei, diese Wis- wacht. spiel vergrößern tendenziell die Menge der senslücke zu füllen. Seit 2007 durch Bis die ersten Fichten fallen, soll eine Emissionen aus Bäumen und damit die ziehen die Wissenschaftler das 27 Hektar Bestandsaufnahme fertig sein, die dann Aerosolbildung“, berichtet die Forscherin. große Areal mit einem Netzwerk von erlauben wird, Veränderungen zu erfas- Die globale Erwärmung könnte damit zu- Bodensensoren, um beispielsweise die sen. „Wir nehmen an, dass der Wald gleich die Kühlung durch Aerosole erhöhen. Bodenfeuchtigkeit in unterschiedlichen boden nach einer Rodung zunächst viel Tiefen zu messen. In der Mitte des Be- CO2 abgibt, und dass nach einer Wieder- Ein Wald unter Beobachtung standes stehen ein Regenradar und eine aufforstung Jahre vergehen, bis der Wald Mit einzelnen Bäumen gibt sich Dr. Wetterstation. Die CO2-Abgabe des Wald- wieder zur CO2-Senke wird“, sagt Pütz. Thomas Pütz nicht zufrieden. Sein Ver- bodens wird an vielen Messpunkten Doch ist der genaue Verlauf umstritten suchsgegenstand ist ein ganzer Wald: registriert, ebenso wie die Menge der und wird sich abschließend erst klären das Wassereinzugsgebiet im oberen Ver- Kohlenstoffverbindungen im Wasser. Die lassen, wenn die Daten vorliegen. lauf des Wüstebachs im Nationalpark Wissenschaftler zählen und bestimmen Erst die kombinierten Ergebnisse aller Eifel. Es ist zugleich Teil des Rur-Obser Tier- und Pflanzenarten und schätzen die Projekte können umfassend klären, wie vatoriums, eines 2 400 Quadratkilometer Biomasse im Ökosystem. In sogenannten Klima, Boden und Pflanzen einander be- großen Gebiets entlang der Rur, das im Lysimetern – oben offenen Metallzylin- einflussen. Langzeitprojekt TERENO beobachtet wird dern, die ausgestochene Bodenblöcke (siehe auch Kasten S. 17). von etwa 1,5 Kubikmetern enthalten – Wiebke Rögener 1 | 2009 Forschen in Jülich 15
Prof. Harry Vereecken im Gespräch Globaler Klimawandel – regional beobachtet Wie wirkt sich der Klimawandel in Deutschland aus? Welche ökologischen und wirt- schaftlichen Folgen hat er in den Regionen – vom norddeutschen Tiefland bis zu den Alpen? Das herauszufinden, ist Ziel des Projekts TERENO (TERrestrial ENvironmental Observatories). Prof. Dr. Harry Vereecken, Direktor des Jülicher Instituts für Chemie und Dynamik der Geosphäre, koordiniert gemeinsam mit seinem Jülicher Kollegen Dr. Heye Bogena das Netzwerk aus sechs Helmholtz-Zentren. werden derart große und vielfältige Land- schaftsräume langfristig und Disziplinen übergreifend untersucht. Das Beobach- tungsgebiet, für das Jülich die Federfüh- rung hat, das Rur-Observatorium, reicht von der Eifel zur Niederrheinischen Bucht und ist damit so groß wie Luxemburg. Mindestens 15 Jahre lang werden wir hier Daten sammeln, zum Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) und zum Klima, aber auch zum Stickstoffhaushalt, zur Methan- bildung, zur Wasser- und Bodenqualität oder zur biologischen Vielfalt. Gleichzeitig erfassen wir die Landnutzung. Welche Folgen haben etwa Aufforstungen oder Tagebaue? Müssen Landwirte künftig mehr bewässern? Bislang gibt es dazu keine ausreichenden Daten. Frage: Welche Wissenslücken sind be Frage: Messstationen, die das Klima sonders gravierend? beobachten gibt es viele – was ist das Vereecken: Ausnehmend wenig wissen Besondere an TERENO? wir über Vorgänge in tieferen Boden- Vereecken: Einzigartig ist, dass wir in vier schichten. Dabei spielen sie für das Klima Regionen Deutschlands alle Bestandteile eine enorme Rolle: Hier lagert ein Groß- des terrestrischen Systems – also Boden, teil des gebundenen Kohlenstoffs, welt- Grundwasser, Pflanzen und Atmosphäre – weit geschätzte 1 600 Milliarden Tonnen. intensiv beobachten. Zum ersten Mal Es ist daher sehr wichtig herauszufinden, 16 Forschen in Jülich 1 | 2009
Schwerpunkt Nordostdeutsches Tiefland Observatorium Uecker-Einzugsgebiet TERENO – die Fakten Harz/Mitteldeutsches Tiefland Observatorium Das nationale Observatorien-Netzwerk wird von sechs Zentren der Helmholtz- Bode-Einzugsgebiet Gemeinschaft betrieben: dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Eifel/Niederrheinische Bucht Observatorium dem Forschungszentrum Karlsruhe, dem Helmholtz-Zentrum München, dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, dem Helmholtz-Zentrum Potsdam Rur-Einzugsgebiet und dem Forschungszentrum Jülich, das die Koordinierung übernommen hat. Das Projekt ist auf zunächst 15 Jahre angelegt und wird von der Helmholtz- Gemeinschaft in den nächsten drei Jahren mit 12 Millionen Euro finanziert. Hinzu kommen Mittel für Teilprojekte, wie das Lysimeter-Netzwerk SoilCan (3,6 Mio Euro) und TERENO-ICOS zur Messung von Spurengasen (2,75 Mio Euro). 2007 hat der Aufbau des Netzwerks begonnen, offizieller Programmstart war Bayrische Alpen/ Voralpen Observatorium Ende 2008. www.tereno.net Das Projekt TERENO spannt ein deutschlandweites Netz zur Erdbeobachtung. Vom nord Ammer-Einzugsgebiet deutschen Tiefland bis zu den Alpen werden Umweltveränderungen in vier klimatisch unterschiedlichen Regionen (Observatorien) untersucht. wie schnell er umgesetzt und wieder als s owohl innerhalb als auch zwischen den Europas erfassen soll. Unsere Arbeit im CO2 an die Atmosphäre abgegeben wird, Observatorien – etwa von Gebieten mit Rur-Observatorium ist außerdem unmit- und wie der Temperaturanstieg oder Ver- viel Regen zu Gebieten mit geringerem telbar mit dem Sonderforschungsbereich änderungen im Wasserhaushalt diesen Niederschlag oder von kühleren in „Transregio32“ (TR-32) verknüpft, in dem Prozess beeinflussen. wärmere Regionen. Wir sehen dann bei- das Forschungszentrum Jülich mit den spielsweise, was geschieht, wenn Gras- Universitäten Köln, Bonn und Aachen Frage: Wie gewinnen Sie diese Infor land- oder Ackerböden des Rur-Obser zusammenarbeitet. Der TR-32 nutzt die mationen? vatoriums größerer Trockenheit ausgesetzt selbe Infrastruktur, die von der Helm- Vereecken: Wir nutzen eine Vielfalt von werden, wie sie im Osten Deutschlands holtz-Gemeinschaft zur Verfügung ge Methoden, von der Fernerkundung mit- herrscht. So simulieren wir künftige Klima- stellt wird. tels Satelliten über Radarstationen bis veränderungen. zu Sonden im Boden, oder sogenannten Frage: Können Sie damit auch in die Lysimetern. Das sind ausgestochene Frage: Warum dauern die Messungen Zukunft sehen? Bodenkerne von etwa 1,5 Kubikmetern in so lange? Vereecken: Wenn wir Satellitendaten, unten offenen Metallcontainern, in denen Vereecken: Für solche Untersuchungen detaillierte Messungen zu Niederschlä- wir den Wasser- und Stofftransport genau sind 15 Jahre eher ein kurzer Zeitraum. gen und Bodenfeuchtigkeit sowie Infor- messen können. Im Rahmen von SoilCan, Im Boden stabil gebundener Kohlenstoff mationen zum Grundwasserstand kom einem Teilprojekt von TERENO, werden in braucht mehrere Hundert Jahre, bis er binieren, können wir beispielsweise den vier Observatorien insgesamt 120 abgebaut ist. Auch wollen wir nicht Wet- genauer als heute vorhersehen, ob Lysimeter installiert. Alle Messwerte wer- terschwankungen einiger Jahre untersu- Hochwassergefahr besteht. Mit den ge- den per Funk übertragen und in Echtzeit chen, sondern die Entwicklung und die koppelten Messdaten werden wir Modelle überwacht. Auswirkung langanhaltender Klimatrends. weiterentwickeln, die bessere regionale Deshalb ist es auch wichtig, dass TERENO Voraussagen darüber erlauben, wie das Frage: Bodenstücke in großen Blech mit anderen langfristigen Forschungs Klima sich wandeln wird und mit welchen dosen also – was können Sie damit vorhaben verknüpft ist, beispielsweise ökologischen und wirtschaftlichen Folgen herausfinden? mit dem EU-Projekt NOHA (Network wir rechnen müssen. Vereecken: Unter anderem werden Lysi- of Hydrological Observatories), das den meter an andere Standorte versetzt, Wasserhaushalt in vielen Regionen Interview: Wiebke Rögener 1 | 2009 Forschen in Jülich 17
Eiswolken im Treibhaus Erde Jülicher Wissenschaftler haben bei Forschungsflügen den Wassergehalt von Zirrus- Eiswolken akribisch gemessen und so geholfen, deren Rolle im Klimageschehen besser zu verstehen. Außerdem haben sie Überraschendes über organische Aerosole herausgefunden, die bei der Wolkenbildung eine Rolle spielen. erstmals beschriebene Phänomen der Wolken ein wesentlicher Unsicherheits- Übersättigung ist heute ein viel beachte- faktor bei allen Prognosen: Werden spe tes Thema der Atmosphären- und Klima- ziell die Zirruswolken, die am Himmel forschung, zu dem Jülicher Wissenschaft- meist als zart-weiße Büschel oder Bänder ler neue Erkenntnisse beigesteuert auftreten, das „Treibhaus Erde“ noch zu- haben. sätzlich anheizen, oder dämpfen sie eher Wolken in sechs bis 20 Kilometern den weltweiten, vom Menschen verur- E in Pferd rennt über grönländisches Höhe, die ausschließlich aus Eis- und sachten Temperaturanstieg? Eis. Begleitet wird es von einer Schneekristallen bestehen, beeinflussen Wolke, die zeitweise bis zu 50 Meter den Wärmehaushalt der Erde. Einerseits Bessere Klimamodelle hoch ist. Als das der Polarforscher Alfred reflektieren sie einfallendes Sonnenlicht Wer diese Frage beantworten will, Wegener bei einer Expedition in den zurück in den Weltraum. Andererseits muss zunächst in Erfahrung bringen, Jahren 1911 und 1912 beobachtete, er- vermindern sie die Wärmeabstrahlung unter welchen Bedingungen sich die Zir- kannte er, dass die Luft „übersättigt“ sein von der Erdoberfläche ins All. „Zirrus ruswolken bilden. Daher haben Jülicher kann. Das heißt, sie enthält mehr Wasser- wolken können daher sowohl kühlend als Wissenschaftler ausgefeilte Geräte zur dampf, als sie eigentlich dürfte. Denn das auch wärmend wirken – wie die Gesamt- Bestimmung des Wasserdampfgehaltes überschüssige Wasser kristallisiert nur bilanz aussieht, ist derzeit noch unklar“, in Eiswolken und im klaren Himmel ent- dann gemäß der herrschenden Tempe sagt Dr. Martina Krämer, Leiterin der wickelt und sie bei über 100 Forschungs- ratur zu Eis, wenn es in der Luft auf Parti- Arbeitsgruppe „Wolken“ des Jülicher flügen über den Tropen, über der Arktis kel oder Tröpfchen trifft. Weil das Pferd Bereichs „Stratosphäre“ (ICG-1). Für den und in mittleren geografischen Breiten diese Partikel mit seinem feuchten Atem Weltklimarat (IPCC) ist die Art der „Rück- eingesetzt. „Auf diese Weise erhielten wir ausstößt, bildet sich augenblicklich eine kopplung“ zwischen der globalen Klima eine qualitätskontrollierte Datensamm- Wolke aus Eiskristallen. Das von Wegener erwärmung und der Klimawirkung von lung, die vom Umfang her einzigartig ist 18 Forschen in Jülich 1 | 2009
Schwerpunkt Polare Eiswolken in der oberen Stratosphäre, aufgenommen von einem Umweltsatelliten. ger als gedacht organisches Material enthalten und daher verhältnismäßig schlechte Kristallisationskeime für das Eis sind“, so Krämer. Dies wirft auch ein neues Licht auf die Forschung von Wissenschaftlern des Bereichs „Troposphäre“ (ICG-2), die diese organischen Aerosole innerhalb des EU- Projekts EUCAARI (European Integrated Project on Aerosol Cloud Climate and Air Quality Interactions) eigentlich unter suchen, weil sie Keime für Wasserwolken sind. „Den kühlenden Effekt dieser Wol- ken hat schon jeder von uns gespürt“, sagt Dr. Thomas Mentel, Leiter der Abtei- lung „Aerosole“. Wasserwolken in den unteren Kilometern der Atmosphäre sind wichtige Gegenspieler bei der Erwärmung Gefrierender Atem macht ein Phänomen sichtbar, das Atmosphären- und der Erdatmosphäre durch Treibhausgase. Klimaforscher beschäftigt: die „Übersättigung“ der Luft mit Wasserdampf. Die Jülicher Wissenschaftler erfor- schen, wie organische Aerosole entstehen und warum es in der Atmosphäre so viel davon gibt. Prinzipiell bekannt ist, dass und die selbst Zirruswolken bei sehr nied- der Zahl der Eiskristalle in den Wolken Bäume flüchtige Substanzen abgeben, rigen Temperaturen bis zu minus passten, die von Mainzer Wissenschaft- die Chemiker als Terpene bezeichnen. Aus 90 Grad Celsius erfasst“, sagt Krämers lern bei einem Teil der Flüge registriert ihnen bilden sich mit Ozon und anderen Kollege Dr. Cornelius Schiller, Leiter der wurde. Denn diese Anzahl war unerwartet Sauerstoffverbindungen bei Sonnenlicht Arbeitsgruppe „Wasserdampf“. Die Mes- niedrig, sodass die Eiskristalle in der Aerosole (siehe auch „Zwischen Himmel sungen zeigten, dass die Dichte der Wol- Summe weniger Wasser aufnehmen und Erde“, S. 13). In der Atmosphären- ken – entscheidend für die Strahlungs konnten, als bisher angenommen. Simulationskammer „SAPHIR“ haben die reflexion – und ihr Wassergehalt mit Jülicher Forscher diesen Prozess nachge- größeren Höhen bei zugleich sinkenden Alternde Substanzen und Aerosole stellt. Dabei haben sie herausgefunden, Temperaturen sehr rasch abnimmt. Zu- Auf der Suche nach einer Erklärung dass man die Menge des gebildeten Aero- dem bestimmten die Forscher das Aus- muss man wissen: Auch in der oberen sols deutlich unterschätzt, wenn man nur maß, in dem es innerhalb und außerhalb Troposphäre kann der Wasserdampf – die direkte Reaktion der Terpene berück- der Eiswolken zur Übersättigung kommt. wie es Alfred Wegener dicht über dem sichtigt. Denn auch die Oxidationspro- „Unsere Daten sind bereits in Klima- Boden beobachtet hat – nur zu Eis kris- dukte, die aus den Terpenen entstehen, modelle eingeflossen und ermöglichen tallisieren, weil es dort Schwebeteilchen bilden noch Tage später Aerosole. „Das es, die Bildung von Zirruswolken wirklich- gibt. Diese sogenannten Aerosole können ist eine heiße Spur auf der Suche nach keitsnäher am Computer zu simulieren“, chemisch gesehen sehr unterschiedlicher fehlenden Quellen für organische Aero freut sich Schiller. Zudem fanden die Natur sein und etwa aus Salz, Ruß oder sole“, ist Mentel überzeugt. Jülicher Forscher heraus, dass die ge- mineralischem Staub bestehen. „Eine messenen hohen Übersättigungen gut zu Vermutung ist, dass die Aerosole häufi- Frank Frick 1 | 2009 Forschen in Jülich 19
1 2 5 6 Klima – beobachten, verstehen, 7 handeln Mit einer Vielzahl von Geräten und Methoden erforschen Jülicher Wissenschaftler verschiedene Faktoren, die das Klima beeinflussen. Ziel ist es, diese Prozesse im Detail zu verstehen und daraus Handlungsempfehlungen für den Klimaschutz zu entwickeln. 20 Forschen in Jülich 1 | 2009
Schwerpunkt 4 3 8 9 1 Wolken können mal kühlend, mal wärmend auf das Klima wirken. 2 Der Zeppelin trägt Messinstrumente bis in 1000 Meter Höhe. 3 Umweltsatelliten liefern immer genauere Messungen von Spurengasen in der Atmosphäre. 4 Das Höhenforschungsflugzeug HALO kann drei Tonnen Messinstrumente mitführen. 5 Mit solchen Membranen wird Kohlendioxid aus Abgasen „ausgesiebt“. 6 Brennstoffzellen liefern klimafreundlich Energie. 7 Algen verbrauchen Kohlendioxid und liefern nachwachsende ohstoffe. R 8 Ein Radiometer misst den Feuchtigkeitsgehalt des Bodens. 9 Über die Fluoreszenz wird die Fotosyntheserate einer Pflanze bestimmt. 10 10 Lysimeter liefern Umweltinformationen aus dem Erdreich. 1 | 2009 Forschen in Jülich 21
Vom Treibhausgas zum Rohstofflieferanten Kohlendioxid (CO2) lässt sich auch intelligent nutzen: Man kann damit Algen „füttern“, die als Quelle für Chemieprodukte dienen und in Form von Biogas oder Biosprit Energie liefern. Jülicher Forscher bringen ihr Know-how in die weltweit fortschrittlichste Algenzuchtanlage zur effizienten CO2-Umwandlung im RWE-Kraft- werk Bergheim-Niederaußem ein. K ohlendioxid, wie das CO2 mit vol- Die Flächen allerdings, auf denen die lem Namen heißt, ist ein Treibhaus- Pflanzen wachsen – gleich ob Wälder, gas und gilt als wichtigste Ursache Plantagen oder Ackerland – lassen sich für die globale Klimaerwärmung. „Doch nicht beliebig ausweiten. Um die be- man sollte auch seine andere Seite grenzt verfügbaren Kulturpflanzen kon- sehen“, gibt Pflanzenforscher Prof. Ulrich kurrieren heute Kraftstoffhersteller und Schurr, Direktor des Jülicher Instituts für chemische Industrie mit der Lebensmit- Chemie und Dynamik der Geosphäre, zu telbranche. Einen Ausweg aus diesem bedenken. Denn CO2 ist für das Leben Dilemma bietet die Produktion von Bio- auf der Erde unersetzlich. Vor allem be- masse, die nicht für Nahrungsmittel ge- nötigen die grünen Pflanzen das Gas zur nutzt wird. „Das Ziel ist es, möglichst viel Fotosynthese: Sie produzieren daraus Biomasse in kurzer Zeit zu erhalten, ohne mithilfe von Sonnenlicht Zuckermoleküle, dabei große Mengen kostbaren Wassers die ihnen als Energiespeicher und als und hochwertige Ackerfläche zu ver Baumaterial für Blätter, Stängel und brauchen“, erläutert Schurr. Stämme dienen. Bereits heute gehen aus Pflanzen rund Algen brauchen keinen Acker zehn Prozent aller Produkte der chemi- Vielversprechende Kandidaten für die schen Industrie hervor – ein Anteil, der Biomasseproduktion sind Mikroalgen: künftig deutlich steigen wird. Denn Erdöl, Ihre Wachstumsrate ist sieben- bis zehn- das als Quelle für Benzin, Kunststoffe mal so hoch wie die von Landpflanzen. und Medikamente dient, wird knapp. Zu- Zudem lassen sie sich in geschlossenen dem können Produkte, die auf Pflanzen Anlagen produzieren, sodass Standorte basieren, wesentlich klimafreundlicher genutzt werden können, deren Böden für Der Wissenschaftler Thorsten Brehm sein. Sie geben am Ende ihrer „Lebens- den Pflanzenanbau nicht geeignet sind. untersucht die Salzwasser-Algen- zeit“ nur so viel CO2 ab, wie die Pflanzen Salzwasseralgen, wie sie zum Beispiel Mischung in den Kunststoffschläuchen während ihres Wachstums aus der Luft von Wissenschaftlern der Jacobs Univer- der Pilotanlage in Niederaußem. aufgenommen haben. sität Bremen erforscht werden, eignen 22 Forschen in Jülich 1 | 2009
Schwerpunkt sich besonders gut: Während im Süß Niederaußem stammt. Das Rauchgas ge- In Kunststoffschläuchen produzieren wasser leicht Gär- und Faulprozesse ein- langt dabei zunächst in einen sogenann- Mikroalgen Biomasse und verbrauchen setzen, fühlen sich die dafür verantwort ten Blasenreaktor. Darin befindet sich ein dabei Kohlendioxid. lichen Mikroorganismen im Salzwasser Gemisch aus Salzwasser und Algen, das nicht wohl. Gemeinsam mit den Bremer solange CO2 aus dem Rauchgas aufnimmt, Kollegen und dem Unternehmen RWE bis es gesättigt ist. Das verbleibende Gas phyll-Fluoreszenz bestimmt werden. Je hat es sich das Jülicher Wissenschaftler- enthält entsprechend weniger CO2 und aktiver die Algen Fotosynthese betreiben team um Schurr zur Aufgabe gemacht, strömt über einen Kamin nach außen. können, desto mehr Energie setzt das die Produktion von Salzwasseralgen zu Dagegen wird die CO2-reiche Algen-Salz- dafür verantwortliche Chlorophyll in Form verbessern und die Verwertungsmöglich- wasser-Mischung aus dem Blasenreaktor eines messbaren Fluoreszenz-Lichtsignals keiten der entstehenden Biomasse zu in ein Gewächshaus mit transparenten, frei. erforschen. V-förmigen Kunststoffschläuchen geleitet. Außerdem untersuchen die Forscher Energieversorger RWE hat dafür im Darin wachsen die Algen. Geerntet wer- um Schurr, wie sich das innovative Dach November 2008 eine 600 Quadratmeter den sie letztlich, indem man sie wieder ihrer Jülicher Kleingewächshäuser auf die große Pilotanlage zur Algenzucht in Be- aus dem Salzwasser herausfiltert. Ins Algenproduktion auswirkt. Es besteht aus trieb genommen. Die Algen darin werden gesamt produziert die Anlage pro Jahr bis hochtransparenten und für UV-Strahlung direkt mit Rauchgas „gefüttert“, das aus zu 6 000 Kilogramm Algen und verwertet durchlässigen Gläsern, die besonders dem benachbarten Braunkohlekraftwerk dabei 12 000 Kilogramm Kohlendioxid aus viel Licht in die Anlage dringen lassen, dem Rauchgas. dessen spektrale Zusammensetzung nahezu der des natürlichen Sonnenlichts Raffinierte Regelung entspricht. Die Wissenschaftler prüfen Parallel zur laufenden Algenzucht in auch, inwieweit sich die Schläuche, in Bergheim-Niederaußem arbeiten die For- denen die Algen wachsen, noch ver scher um Schurr daran, die Produktion bessern lassen. effizienter zu machen. Ihr Ansatzpunkt: „Unsere gesammelten Erkenntnisse Neben Kohlendioxid ist für das Algen- sollen dann in der Algenproduktion in wachstum auch das Angebot an Nähr- Niederaußem die Produktion steigern“, stoffen und Licht sowie die Temperatur sagt Schurr. Die dortige Anlage soll nach wichtig. Die Wissenschaftler verfolgen und nach entsprechend aufgerüstet wer- daher eine raffinierte Regelungsstrategie. den. Die Jülicher Wissenschaftler sind Sensoren messen regelmäßig und berüh- zuversichtlich, dass sich am Ende ihrer rungslos den Zustand und das Wachstum Forschungsarbeit zeigen wird: Algenzucht Photosyntheseaktivität in unterschied- der Algen. Entsprechend den gewonne- und die Verwertung der Biomasse, etwa lichen Algenproben: die Algen in einer nen Daten wird dann das Angebot an für Treibstoffe oder Baumaterialien, lohnt frischen Suspension (Mitte) nehmen CO2 und Nährstoffen automatisch ange- sich – für die Umwelt, aber auch für die gegenüber einer verdünnten (unten) passt, sodass die Algen optimal gedeihen Wirtschaft. und einer abgesetzten Mischung (oben) können. Wie „fit“ die Algen sind, kann das meiste CO2 auf. dabei etwa durch Messung der Chloro- Frank Frick 1 | 2009 Forschen in Jülich 23
Kohlendioxid einfangen und vergraben Kohlendioxid (CO2) soll der Weg in die Atmosphäre verwehrt werden. Jülicher Forscher entwickeln Membranen, die das klimaschädliche Gas in Kohlekraftwerken aus dem Abgas abtrennen, damit es dann in unterirdischen Lagerstätten gespeichert werden kann. siv dafür ein, den prognostizierten Tem- „Dieses Kohlendioxid stammt aller- peraturanstieg auf maximal zwei Grad dings aus der chemischen Industrie und Celsius zu begrenzen. Das wird nur durch wird mit Lastwagen nach Ketzin ge- die Kombination vieler verschiedener bracht“, erläutert die Jülicher Verfahrens- Maßnahmen zu erreichen sein. Neben technikerin Dr. Petra Zapp. Warum das der verstärkten Nutzung erneuerbarer Gas noch nicht aus Kraftwerken angelie- D er Weltklimarat (IPPC) sagt bis Energiequellen fördert die Bundesregie- fert wird, liegt auf der Hand: Effiziente zum Jahr 2100 eine Zunahme der rung deshalb unter anderem auch die Verfahren zum Abtrennen des Kohlen Durchschnittstemperatur auf der Entwicklung von Kohlekraftwerken, die dioxids aus dem Abgas von Kohlekraft- Erde um ein bis sechs Grad Celsius kaum noch Kohlendioxid in die Atmo- werken gibt es bisher nicht. „Die derzeit voraus – abhängig vom jeweils angenom- sphäre entweichen lassen. Das Gas soll am weitesten entwickelte Abtrenntechnik menen Szenario. Hauptursache für den stattdessen in unterirdischen Lagerstät- für konventionelle Kraftwerke ist eine Temperaturanstieg seit Mitte des 20. ten gespeichert werden. Ein Pilotprojekt chemische Wäsche“, sagt Dr. Wilhelm Jahrhunderts ist die zunehmende CO2- dazu führt derzeit das Geoforschungs- Meulenberg, der wie Zapp dem Institut Konzentration in der Atmosphäre. Sie ist zentrum Potsdam im brandenburgischen für Energieforschung angehört. Bei dieser von einem vorindustriellen Wert von 280 Ketzin durch, wo von 2008 bis 2010 „Wäsche“ wird das Kohlendioxid chemisch ppm (parts per million) auf 379 ppm im insgesamt 60 000 Tonnen Kohlendioxid an eine Lösung gebunden und vor dem Jahr 2005 gestiegen. Deutschland und in eine mit Salzwasser gefüllte poröse Transport durch eine Temperaturerhö- die Europäische Union setzen sich mas- Gesteinsschicht eingebracht werden. hung wieder freigesetzt. Aber das kostet 24 Forschen in Jülich 1 | 2009
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