Forschung zu Tierschutz und Tiergerechtheit als sozialwissenschaftliche Aufgabe

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R OPPERMANN & G RAHMANN
                           Forschung zu Tierschutz und Tiergerechtheit als sozialwissenschaftliche Aufgabe

                   Forschung zu Tierschutz und Tiergerechtheit als
                          sozialwissenschaftliche Aufgabe

                        RAINER OPPERMANN1 UND GEROLD RAHMANN1

               1
                von Thünen-Institut (vTI), Institut für Ökologischen Landbau,
               Trenthorst 32, 23847 Westerau, rainer.oppermann@vti.bund.de

Zusammenfassung                                        related to animal welfare are discussed and
                                                       specified from the perspective of con-
Der Beitrag fällt in das Themenfeld Tier-
                                                       cerned actors.
schutz und tiergerechte landwirtschaftliche
Nutztierhaltung. Er fokussiert darauf, wel-            First of all farmers who keep animals are
che sozialwissenschaftlich begründete Fra-             considered in terms of their responsibility
gen in den Mittelpunkt von Forschung und               for animal keeping. Moreover actor-based
wissenschaftlicher Diskussion rücken,                  research relates to actors in the food indus-
wenn Tierschutz und tiergerechte Nutztier-             try and in food markets, and to the rela-
haltung mehr als es bisher der Fall war aus            tionship between consumers and actors in
einer Akteursperspektive betrachtet werden             markets as well. In addition, the topic of
und darüber hinaus der Frage nachgegan-                public opinion building with regard to
gen wird, wie sich die Landwirtschaft auf              animal welfare has to be taken in account.
die Ansprüche und Anforderungen der                    Especially the question how the agricul-
Tierschutzbewegung einstellen können.                  tural sector can cope with demands for
                                                       improved animal protection as it is seen
In unserer Gesellschaft ist die Frage der
                                                       and discussed by the public is addressed.
gesellschaftlichen Meinungsbildung zu den
Leistungen eines Sektors oder eines Wirt-
schaftsbereichs sowie zu seinen Problemen              Einführung
und Defiziten ein zentraler Faktor für den             In der Bundesrepublik haben derzeit meh-
Erfolg oder Misserfolg der Unternehmen                 rere Wirtschaftsbranchen damit zu kämp-
und ihrer Produktangebote geworden. Dies               fen, dass sich ihr Image verschlechtert hat
gilt auch für die landwirtschaftliche Nutz-            und dass größere Gruppen von Bürgern
tierhaltung und ihre Leistungen im Bereich             Ansprüche an ihre Leistungen anmelden
Tierschutz und tiergerechte Nutztierhal-               oder eine Veränderung der Leistung ein-
tung. Vor allem die Frage, wie sich die                fordern. Die Elektrizitätswirtschaft muss
Akteure im Agrarsektor auf diese gesell-               sich mit der Kritik an Kohlekraftwerken
schaftlichen Ansprüche einstellen und ob               und an der Kernenergie herumschlagen.
bzw. wie sich eine produktive Form des                 Die Finanzwirtschaft muss erklären, wa-
Umgangs damit ergibt, ist hier ein zentraler           rum sie sich auf hochspekulative Produkte
Punkt.                                                 eingelassen hat und warum sie die Risiken,
                                                       die mit solchen Geschäften verbunden
Abstract
                                                       sind, nicht (ausreichend) kommuniziert
Research for animal welfare is a social                hat.
duty as well
                                                       Auch Landwirtschaft und Ernährungswirt-
Animal welfare and how it can be practised             schaft kennen dieses Problem, wobei
in agriculture is the main topic of the fol-           Imageprobleme auf der einen Seite viel-
lowing contribution. Central issues for                fach mit ökologischen Defiziten verbunden
scientific research and scientific discourses          sind, sich in den letzten Jahren jedoch auch

                                                                                                        9
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Neues aus der Ökologischen Tierhaltung 2010

das Thema Tierschutz zu einem Stein des              als es sein Name vermuten lässt, auch die
Anstoßes entwickelt hat. Darüber soll im             Probleme der landwirtschaftliche Nutztier-
Folgenden berichtet und nachgedacht wer-             haltung intensiv angeht, schreibt in seinen
den. Außerdem sollen Forschungsfragen                „Leitideen“, dass er das Ziel verfolgt „eine
entwickelt werden, die in diesem Rahmen              Kultur der Tierrechte“ zu vertreten und
verstärkt gestellt werden sollten.                   voranzubringen. Die Argumentation ist für
                                                     die großen Tierschutzgruppen typisch und
Tierschutz und Tierschutzbewegung:                   soll stellvertretend für das gesamte
Warum sich die Rahmenbedingungen                     Spekrum      kurz     vorgestellt   werden
für die Nutztierhaltung damit verändern              (www.tierrechte.de/v10003000.html, Re-
Das Thema Tierschutz ist für Deutschland             cherche vom 12.9.2010).
schon lange kein Randthema mehr. Fragen              Nicht nur seine Mitglieder wollen „Tier-
des Tierschutzes interessieren Millionen             rechte achten“ (ebenda). Der Verband will,
von Menschen und für Tierschutz und                  dass dies eine kulturelles Grundmerkmal
Tierrechte tritt heute ein breites, differen-        unseres Gemeinwesens wird, so wie z.B.
ziert aufgestelltes Spektrum von einigen             das Eintreten für Minderheitenrechte für
großen Organisationen (Deutscher Tier-               viele politisch engagierte Menschen ein
schutzbund, Greenpeace, NABU, PETA,                  wesentliches Merkmal für eine offene und
WWF etc.), aber ebenso von sehr vielen               plurale politische Kultur in Deutschland
kleinen Gruppen ein.1 Ihr Engagement zielt           geworden ist. In Anknüpfung an die Tier-
auf die Abschaffung von Tierversuchen,               ethik von Peter Singer, die den Menschen-
den Schutz von Wild- und Haustieren oder             rechtsgedanken auf die Tiere überträgt,
richtet sich gegen die Abrichtung von Tie-           wird deshalb in den zitierten Leitideen
ren im Zirkus und andere Darbietungen mit            ausgeführt: „Menschen für Tierrechte
Tieren. Ein ganz wesentliches Element des            heißt, die Menschenrechtsbewegung um
Engagements ist jedoch die Kritik an der             Gerechtigkeit für Tiere zu erweitern,
landwirtschaftlichen Nutztierhaltung. Ins-           deren Rechte auf Würde, Leben und kör-
gesamt gesehen richtet die Tierschutzbe-             perliche Unversehrtheit, Gleichbehandlung
wegung an die Landwirtschaft den Vor-                und Freiheit allgemeingültig zur Geltung
wurf, dass die gängigen Formen ihrer                 zu bringen“ (ebenda, Hervorhebung von
Nutzierhaltung nicht mehr als tiergerecht            uns).2 Ähnliche Aussagen lassen sich von
angesehen werden können.                             anderen Verbänden und Gruppen anführen,
Und noch ein Merkmal verbindet die Tier-             die den Tierschutz auf ihre Fahnen ge-
schutzgruppen. Der Verband „Menschen                 schrieben haben.
für Tierrechte - Bundesverband der Tier-             Nun zeigt bereits ein kurzer Blick auf die
versuchsgegner“, ein Verband, der, anders            ethischen Diskussionen zu Tierschutz und
                                                     Tierrechten, dass man nicht auf die Argu-
1
  Der Deutsche Tierschutzpunkt ist gegenwärtig die
größte Tierschutzorganisation. Der Verband rekla-
                                                     2
miert mehr als 800 000 Mitglieder für sich, die in     Peter Singer hat diesen Anspruch selber verschie-
700 lokalen Gruppen arbeiten (Deutscher Tier-        dentlich klar ausgedrückt. In seiner „Praktischen
schutzbund e.V. 2009). Wie groß die Zahl der klei-   Ethik“ schreibt er u.a.: „Das Leben von Menschen
nen Initiativen ist, lässt sich hingegen nur grob    und Tieren zu vergleichen und in einigen Fällen
abschätzen. Die Untersuchung der Enquete-            gleichzusetzen, eben dies aber beabsichtigt mein
Kommission des Deutschen Bundestages zur „Zu-        Buch; ja man kann sagen: wenn es nur einen einzi-
kunft des bürgerschaftlichen Engagements“ vermit-    gen Aspekt gibt, der dieses Buch von anderen An-
telt eine solche Vorstellung. Sie ordnet die Tier-   sätzen unterscheidet…dann ist es die Tatsache, dass
schutzgruppen summarisch dem Bereich der Um-         …bewusst die Annahme vermieden wird, alle Mit-
weltinitiativen zu und geht davon aus, dass jede     glieder unserer eigen Spezies besäßen, eben weil sie
vierte Umweltorganisation schwerpunktmäßig im        eben dieser Spezies angehören, einen besonderen,
Tierschutz engagiert ist (Enquete- Kommission des    eigenen Wert, der sie über die Mitglieder anderer
Deutschen Bundestags 2002, S. 87).                   Arten erhebt „ (Singer 1994, S. 9).

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mente von Peter Singer zurückgreifen                   werden wird, denn sie übersieht, dass wir
muss, um sich für Tierschutz zu engagie-               in den letzten Jahrzehnten den Zerfall des
ren. Im Gegenteil, wir finden heute in                 lange vorherrschenden gesellschaftlichen
Deutschland wie in vielen anderen Ländern              Konsenses erlebt haben, dass man Tiere
einen in theoretischer Hinsicht heterogenen            (und auch die Nutztiere) wie Sachen be-
Tierschutzdiskurs (Hoerster 2004). Hinter              handeln kann oder dort, wo man sich ihnen
dem Engagement der meisten Tierschützer                in moralischer Absicht annimmt, ein allen-
steht, trotz erkennbarer moralischer Verve,            falls drittklassiges Problem bewegt (Jami-
in vielen Fällen keine dezidiert philoso-              son 2010).
phisch begründete Überzeugung. Dennoch                 Es ist auf der anderen Seite aber auch un-
verbindet die meisten Menschen, die sich               wahrscheinlich, dass sich die Tierschutz-
für Tierschutz und Tierrechte einsetzen,               bewegung zu einem so starken politischen
die moralische Überzeugung, dass Tiere                 Pol in der Deutschen Verbandslandschaft
vor Leiden geschützt werden und dass sie               entwickeln wird, dass sie den politischen
dazu das Recht haben. Doch weil sie dieses             und kulturellen Diskurs unserer Gesell-
Recht nicht selbst vertreten können, müs-              schaft maßgeblich prägen kann. Bislang ist
sen sich Menschen zu Advokaten ihrer                   zumindest nicht erkennbar, dass sie sich
Rechte machen. Dies um- und durchzuset-                ähnlich schnell und ähnlich massiv einen
zen ist der politische Kristallisationspunkt           so zentralen Platz im öffentlichen Be-
der oben bereits angesprochenen Kultur                 wusstein erkämpfen kann, wie dies der
der Tierrechte, was ohne eine kulturelle               Ökologiebewegung gelungen ist (Brand
Umwälzung und damit ohne einen wie                     1999).
auch immer ausgestalteten und bewusst
verfolgten gesellschaftlichen Verände-                 Doch wo liegt die „Mitte“ zwischen den
rungsanspruch nicht denkbar ist.                       extremen Erwartungen? Man kann versu-
                                                       chen, sie zu konstruieren, wird dabei je-
Wie erfolgreich dieses Anliegen auf länge-             doch der Gefahr willkürlicher Postulate nur
re Sicht ist, kann heute nicht abgeschätzt             begegnen können, wenn man sich mit dem
werden. Es gibt keine Garantie dafür, dass             Phänomen wissenschaftlich beschäftigt,
ein Anliegen, das der Intention nach ein               und dies heißt wiederum: wenn man Tier-
gewisses Maß an gesellschaftlicher                     schutz und Tierschutzbewegung zum Ge-
Sprengkraft aufweist, dann auch sprengen-              genstand empirischer Untersuchungen
de Auswirkungen hat. Im Grunde zeigt                   macht.
sich hier bereits eine der zentralen Frage-
stellungen für die wissenschaftliche, spe-             Dazu gibt es bislang jedoch wenig Hand-
ziell für die sozialwissenschaftliche Be-              festes und Repräsentatives. Für die deut-
schäftigung mit Tierschutz und Tierschutz-             sche Innenpolitik lässt sich insgesamt zwar
akteuren. Die Erfahrungen mit der Um-                  feststellen, dass die Tierschutzbewegung in
weltbewegung, die sich vor einer Genera-               Deutschland in den letzten Jahren an Ein-
tion entwickelt und politisch konturiert hat,          fluss gewonnen hat und dass dies auch für
deuten jedoch darauf hin, dass zumindest               ihre politische Kritik an der landwirtschaft-
zwei in der Diskussion über die Ziele der              lichen Nutztierhaltung sowie an der Aus-
Tierschutzbewegung und ihre politische                 richtung der Agrarpolitik zutrifft. Es sei
Wirksamkeit anzutreffende Erwartungen                  daran erinnert, dass der Tierschutz im Jahr
sich vermutlich nicht erfüllen werden. Die             2002 als Staatsziel in das Grundgesetz auf-
erste Erwartung sieht Tierschutz als Mode-             genommen worden ist. Zu den Schutzzie-
erscheinung in modernen Wohlstandsge-                  len des Staates, die im Artikel 20a des GG
sellschaften, die über kurz oder lang ver-             festgeschrieben worden sind, gehört seit die-
gehen wird. Aus dieser Sicht ist die Tier-             sem Zeitpunkt auch der Schutz der Tiere.
schutzbewegung eine Eintagsfliege. Wir                 Gemessen an dem hohen Ziel einer kultu-
vermuten, dass diese Erwartung enttäuscht              rellen Umwälzung „unseres“ Verhältnisses

                                                                                                       11
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zu Tieren und am Anspruch, das gesamte        bandslandschaft sein, um zu erkennen, dass
Gemeinwesen und seine idealen Vorstel-        sich im Umgang mit Tieren, und das be-
lungen vom Gemeinwohl mit der Tier-           zieht sich dann auch auf die Nutztierhal-
schutzidee zu imprägnieren (s.o.), sind die   tung, das politische Gestaltungsgeschäft
Erfolge bisher jedoch begrenzt geblieben,     mit der Entwicklung der Tierschutzbewe-
auch wenn es aus Sicht der Tierschutzbe-      gung in Richtung auf pluralere Einfluss-
wegung im Bereich der Landwirtschaft          und Diskursstrukturen verändert hat. Dass
(kleine) Etappensiege wie die Abschaffung     mit der Tierschutzbewegung ein neuer
der Käfighaltung für Legehennen zu ver-       Faktor in die politische Meinungs- und
zeichnen gibt.                                Willensbildung eingetreten ist, der um Be-
                                              rücksichtigung kämpft, ist unstrittig. Doch
Was sich vermutlich dennoch grundsätz-
                                              wie sich die Diskursbedingungen real ver-
lich verändert hat ist die Tatsache, dass
                                              ändern und ob damit andere Kompromiss-
sich der Tierschutz als politische wie auch
                                              linien bei anstehenden Tierschutzfragen
als moralische Ordnungsidee in Deutsch-
                                              gefunden werden müssen, ist klärungsbe-
land als Faktor etabliert hat. Doch dieser
                                              dürftig.
Faktor ist empirisch zu verifizieren. Wo
liegen genau die Befindlichkeiten von         Für die Landwirtschaft ist auf jeden Fall
Menschen und sozialen Gruppen die sich        ein neues Akzeptanzproblem entstanden,
für Tierschutz und Tierrecht einsetzen? Wo    das bearbeitet werden muss.
ist der Faktor kulturell präsent? Wo hat er
mediale Aufmerksamkeit gefunden? Und          Die Erarbeitung einer organisationspoli-
wie handlungsfähig sind die politischen       tischen Landkarte und einer „diskurs-
Gruppen und Institutionen wirklich, die       geographischen“ Bestandsaufnahme als
sich für den Tierschutz ins Zeug legen?       Forschungsaufgabe
Das alles ist im Grunde kaum erforscht.       Im Unterschied zur Situation in den USA
Vor allem ist zu fragen, wie sich der Tier-   und Großbritannien gibt es für Deutschland
schutz in der Verbändelandschaft positio-     bislang wenig an wissenschaftlichen Be-
niert und wie er sich zu Gehör bringt, wenn   standsaufnahmen zur Entwicklung von
es um die Weiterentwicklung (Reform) der      Tierschutzorganisationen und ihrer Veran-
Gesellschaft insgesamt geht. Bewegt sich      kerung. Dies erscheint paradox, denn gera-
die Ordnungsidee Tierschutz wirklich          de in Deutschland gibt es seit Jahr und Tag
schon auf Augenhöhe mit anderen Ord-          eine intensive öffentliche Debatte über
nungsideen, die sich auf Schutzrechte für     Interessenvertretung und Lobbyismus. Al-
bestimmte Akteure und Institutionen be-       lerdings war es für die Bearbeitung des
ziehen?                                       Themas durch die Politikwissenschaften
                                              bis vor kurzem auch kennzeichnend, dass
Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass       sich auf der einen Seite „tollkühne theore-
diese Fragen in den angelsächsischen          tische Dachkonstruktionen“ häuften, wäh-
Staaten, vor allem in den USA und in          rend es anderseits „relativ wenige empi-
Großbritannien, schon etwas weiter entwi-     risch gesättigte Fallstudien gab„ (Lösche
ckelt sind, so dass sich am Beispiel dieser   2007, S. 100).
Länder (in grober Form) abschätzen lässt,
was sich in den nächsten Jahren in            Dabei fokussierte das wissenschaftliche
Deutschland entwickeln kann (Beers 2006,      Interesse durchaus nicht nur auf die Frage,
Finsen/Finsen 1994, Garner 1998, Ro-          wie sich historisch über längere Zeiträume
scher)                                        gewachsenen Strukturen der Interessenver-
                                              tretung weiterentwickeln. Die Frage, wie
Man muss kein Apologet des Verbän-            sich inhaltlich und historisch neu formie-
destaats im Sinne einer durchgängig plura-    rende Interessen und politische Standpunk-
listischen und ohne Ungleichgewichte und      te in ein bereits bestehendes System der
Machtballungen zu beschreibenden Ver-

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Interessenvertretung und seine Mechanis-               und wie sich hier Handlungszusammen-
men einbringen können - also der hier inte-            hänge etabliert haben, die „auf Dauer“
ressierende Fall –, war durchaus Gegen-                (Lösche, ebenda, S. 48) angelegt sind, sieht
stand der Politikwissenschaft. Vor allem               sich schnell mit dem Problem konfrontiert,
die damit verbundenen Veränderungen bei                dass die Suchmaschinen zwar sekunden-
der Aushandlung von Interessenkompro-                  schnell alles an Land ziehen, was begriff-
missen waren ein zentraler Diskussionsge-              lich mit dem gewählten Suchbegriff zu-
genstand. Ausgangspunkt war vor allem                  sammenhängt, dass man jedoch bei dem
die Hypothese, dass die Architektur eines              Versuch, die Informationen in eine inhalt-
bestehenden Systems einer Interessenver-               liche Bedeutungsordnung zu bringen, ent-
tretung, die auf historisch gewachsenen                weder angesichts tausender ungeordneter
und mit gesellschaftlicher Legitimität aus-            Einträge zusammenbricht oder dann doch
gestatteten Macht- und Einflussstrukturen              damit beginnen muss, die Informationen
basiert, durch neue Gruppen und Akteure                organisations- und ideologiekritisch zu
zwar massiv unter Druck geraten kann,                  sichten und zu interpretieren.
unter demokratischen Bedingungen sich                  Hinzu kommt, dass Netzrecherchen sehr
jedoch häutet und nach heftigen Konflikten             stark die Resonanz von organisatorischen
eine neue Struktur und Stabilität gewinnt.             Aktivitäten in den Medien wiedergeben, so
Die Frage der Integration von ursprünglich             dass man mit Netzrecherchen die Medien-
„außen“ stehenden Interessen und Organi-               orientierung und Medientauglichkeit be-
sationsformen ist dabei der entscheidende              stimmter Aktivitäten und Kampagnen ge-
Punkt. Diese Fragen finden seit einigen                spiegelt bekommt, aber dann dennoch vor
Jahren bei der Verbändeforschung wie                   der Frage steht, ob man damit nicht dem
auch bei Untersuchungen zur Innovations-               medialen Kalkül der jeweiligen Medien
kraft demokratischer Staatsformen auch als             und/oder medial orientierter Tierschutz-
empirisch anzugehende Probleme größere                 gruppen aufsitzt. Es liegt auf der Hand,
Beachtung (von Winter/Willems 2007,                    dass damit ein einseitiges, vielleicht sogar
Leif/Speth 2006, Sebaldt/Straßner 2004).               falsches Bild von der Resonanz der Aktivi-
Dazu gehört auch die Frage nach der Re-                täten und Kampagnen von Tierschutzgrup-
präsentation sogenannter „schwacher Inte-              pen entsteht. Im Tierschutzbereich ist dies
ressen“, d.h. von Interessen, die sich aus             ein akutes Problem, denn Tierschutzfragen
verschiedenen Gründen nur schlecht orga-               werden sehr oft sehr emotional themati-
nisieren und artikulieren können (Wil-                 siert. In diesem Bereich spielt der People-
lems/von Winter 2000).                                 Faktor traditionell eine große Rolle, weil
                                                       die Öffentlichkeitsarbeit auf die Unterstüt-
Vor diesem Hintergrund ist es gleichwohl
                                                       zung von Promis abstellt, und es wird me-
erstaunlich, dass die Tierschutzbewegung
                                                       dial sehr effektvoll inszeniert.3
und der Prozess ihrer Organisierung und
Etablierung nicht schon längst zum Ge-                 Insofern führt kein Weg um die Erkenntnis
genstand einer intensiven wissenschaftli-              herum, dass wissenschaftlich relevante
chen Bestandsaufnahme geworden ist, wo-                Forschung über den Entwicklungsstand der
bei es angesichts der Heterogenität der                Tierschutzgruppen erst noch in Gang ge-
Tierschutzbewegung zunächst notwendig                  setzt werden muss, wobei es mit Blick auf
wäre, eine (relativ) vollständige organisati-          die agrarbezogenen Fragestellungen hilf-
onspolitische Landkarte der Verbände und               reich wäre, wenn man diesbezüglich mit
Gruppen, ihrer zentralen politischen Ziele
und ihrer politischen Bewegungsformen zu
                                                       3
zeichnen. Zwar liefert das Internet dazu                 Wer dies nachprüfen möchte, sei beispielsweise
bereits    wichtiges      Ausgangsmaterial,            auf die sehr emotional und medial gefärbten Insze-
                                                       nierungen von PETA (www.peta.de) und der Orga-
doch wer sich auf die Suche nach aussage-
                                                       nisation „Vier Pfoten“ verwiesen (www.vier-pfoten
kräftigen Informationen darüber macht, ob              .org).

                                                                                                       13
G RAHMANN & U SCHUMACHER (Hrsg.)
Neues aus der Ökologischen Tierhaltung 2010

Fallstudien zu den großen Organisationen      scherzeugung). Schon gar nicht kann er
beginnen würde.                               damit einverstanden sein, die Nutztierhal-
                                              tung gänzlich aufzugeben (im Sinne der
Hinzu käme dann jedoch die Aufgabe, ne-
                                              Forderung der Veganer). Und noch kriti-
ben einer inhaltlich ausgewiesenen Organi-
                                              scher wird es gegenüber „radikalen“ Posi-
sationsgeographie auch hinreichend inten-
                                              tionen in der Tierschutzbewegung ohnehin
siv an einer Diskursuntersuchung zu arbei-
                                              dort, wo Tierschützer das Recht auf Tötung
ten, die sich um die ideologische Ausprä-
                                              von Tieren generell bestreiten. Damit ist
gung der Diskurse dieser Gruppen küm-
                                              nicht gesagt, dass die in diesem Zusam-
mert und neben der internen Kommunika-
                                              menhang auftauchenden Gegensätze und
tionsebene auch die Ansprache der Öffent-
                                              Widersprüche zu politischen Spaltungsli-
lichkeit und dabei auch den Umgang mit
                                              nien führen müssen. Genau dies ist eine
den „Diskursgegnern“ thematisiert. Es gibt
                                              der vielen empirisch zu klärenden Proble-
bezogen auf den Tierschutz und die Tier-
                                              me, vor denen die Forschung steht.
schutzgruppen dazu bisher nur Arbeiten zu
Teilaspekten, so z.B. dort, wo das Enga-
                                              Warum sich Akzeptanzfragen als Ak-
gement für Tierschutz und Tierrechte als
                                              teursfrage stellen, die auf Management
Element jugendlicher Protestkultur be-
                                              handeln zielen
trachtet wird (Breyvogel 2005).
                                              Jenseits der Aufgabe, die Tierschutzbewe-
Darüber hinaus verdient die Untersuchung      gung empirisch zu „vermessen“ und dazu
des Verhältnisses zwischen Tierschutzor-      einen sozialwissenschaftlichen Zugriff zu
ganisationen und der Interessenvertretung     wählen, steht für unsere Begriffe heute ein
der Landwirtschaft eine besondere Beach-      zweiter Komplex von Themen und Frage-
tung. In diesem Rahmen wäre es wiederum       stellungen mit sozialwissenschaftlicher
nötig, zwischen konventioneller Landwirt-     Ausrichtung im Bereich der agrarischen
schaft und dem Ökologischen Landbau zu        Nutztierforschung zur Bearbeitung an.
differenzieren, denn während sich gegen-
über großen Teilen der konventionellen        Der wichtigste Ansatzpunkt dafür ist die
Landwirtschaft derzeit eine relativ krasse    Beschäftigung mit dem Tierhaltungsmana-
politische wie diskursive Frontstellung bei   gement im Betrieb. Wie es gestaltet
den Tierschützern zeigt und sich umge-        respektive umgestaltet werden kann, ist
kehrt die konventionelle Landwirtschaft       aktuell ein ebenso wichtiger Anknüpfungs-
über die unsachlichen Angriffe der Tier-      punkt für eine akteursbezogene Tierfor-
schützer beklagt, ist das Verhältnis zwi-     schung wie die bislang diskutierten Fragen.
schen Tierschutzbewegung und Ökologi-         Wo dabei anzusetzen ist, wird im Detail
scher Landwirtschaft nicht eindeutig.         zwar weiterhin Gegenstand von Diskussio-
                                              nen sein, die grundlegende Richtung ist
Auf der einen Seite gibt es durch gemein-     jedoch nicht strittig.
same Kritik an hochintensiven, industriel-
len Formen der Tierhaltung getragene          Die agrarische Tierforschung hat in den
Formen der Kooperation und dadurch auch       letzten Jahren entscheidende Problem-
eine bestimmte politische Nähe. Anderer-      punkte und Schwachstellen der landwirt-
seits greift das Angebot, das der Ökologi-    schaftlichen Nutztierhaltung offengelegt
sche Landbau aktuell dem Tierschutz           (von Borell/Van Den Weghen 1999, von
macht, zu kurz. Der Ökologische Landbau       Borell et al. 2007, Eurich-Menden
verteidigt weiterhin den Gedanken der         /Schrader 2006, KTBL 2008, Schäfer et al.
Nutzung von Tieren als Ziel und Zweck         2005,). Festzuhalten ist dabei vor allem,
des eigenen Betriebs und der eigenen Be-      dass in den einschlägigen Untersuchungen
rufsausübung. Er kann sich nicht damit        dem Faktor Management eine zentrale Be-
anfreunden, Tiernutzung erheblich zu be-      deutung für das erfolgreiche Angehen von
schränken (im Sinne der Aufgabe der Flei-     Tierschutz- und Tiergerechtheitsproblemen

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R OPPERMANN & G RAHMANN
                           Forschung zu Tierschutz und Tiergerechtheit als sozialwissenschaftliche Aufgabe

zugewiesen wird. Jüngere Forschungsar-                 dieser Überlegung bis zu der Überlegung,
beiten gehen hier sogar noch einen Schritt             dass man gutes oder schlechtes Manage-
weiter (Eurich-Menden/Schrader 2006,                   mentverhalten nicht als Abweichung von
Deimel u.a. 2010). Sie identifizieren                  abstrakten Managementnormen diskutieren
schlechtes Management explizit als Haupt-              kann, sondern dass es um die Klärung des
grund für die Probleme mit animal welfare              gesamten Sets an Bedingungen geht, unter
und rücken deshalb die Frage, wie das                  denen sich gutes Management entwickeln
Management wesentlich verbessert wer-                  und entfalten kann, ist es dann nur noch ein
den kann, in den Mittelpunkt der Diskus-               kleiner Schritt.
sionen über Lösungsstrategien.                         Akteursbezogener Managementforschung
Neben den klassischen Themenblöcken der                geht es unter diesen Prämissen um die wis-
Nutztierforschung, die sich auf die Hal-               senschaftliche Analyse der Handlungsbe-
tungssysteme (einschließlich Fütterung und             dingungen der Akteure, die das Tierhal-
Zucht), das Tierverhalten und die Tierge-              tungsmanagement gestalten, und zwar in
sundheit beziehen, hat sich deshalb der                ihrer Gesamtheit und in ihrer Komplexität.
Themenblock Tierhaltungsmanagement als                 Ihr wichtigstes Ziel ist die Verbesserung
ein hauptsächlich akteursbezogener An-                 des Managementpotentials, das die Akteu-
satzpunkt für Veränderungsstrategien etab-             re sich selber schaffen oder selber ausbau-
liert. Wenn Deimel et al. in einer Übersicht           en können.
der wichtigsten Ergebnisse der Tierge-                 Dies lässt sich wiederum in Fragestellun-
sundheitsforschung zu der Einschätzung                 gen untergliedern, die sich auf das gegen-
kommen, dass aus der Literatur „insge-                 wärtige Handeln der Akteure und seine
samt“ hervorgeht, dass „bestimmte Teilas-              materiellen Voraussetzungen beziehen
pekte der Tiergerechtheit“ - Tiergesundheit            (Status-Quo-Analyse).
wird dabei besonders herausgestrichen –
„stärker vom Management“ als von an-                   Wenn man diesen Überlegungen folgt,
deren Aspekten abhängig sind, dann drückt              dann kommt man zu einer Reihe von Fra-
sich die angesprochene Aufwertung der                  gen, die im Rahmen der bisherigen Tier-
Managementfrage hier klar aus (Deimel et               forschung zu wenig bearbeitet worden sind
al. S. 39, Hervorhebung von uns).                      und die in Zukunft durch die Tierfor-
                                                       schungsdisziplinen sehr viel stärker be-
Aus dieser Einschätzung lässt sich wieder-             forscht werden müssen. Man kommt in
um der Schluss ziehen, dass die Beschäfti-             diesem Kontext aber auch zu der Erkennt-
gung mit Managementhandeln und Mana-                   nis, dass bei solchen Untersuchungen ein
gementkonzepten bei allen Problemlagen,                hohes Maß an Interdisziplinarität anzustre-
welche die Tierforschung in der Vergan-                ben ist.
genheit als besonders defizitär identifiziert
hat, sogar Priorität genießen kann. Zumin-             Drei Schwerpunktthemen für eine ak-
dest gibt es hier einen besonders großen               teursbezogene Forschungsarbeit
Nachholbedarf.
                                                       Für die Auseinandersetzung mit den Hand-
Folgt man dieser Einschätzung, und die                 lungsbedingungen der Akteure ist die Fra-
Projekterfahrungen des Instituts für Öko-              ge zentral, wie sich der Zusammenhang
logischen Landbau aus den letzten Jahren               zwischen besserem Tiermanagement und
stützen diese Einschätzung ebenfalls (s.u.),           der Bewältigung der anderen Arbeitsauf-
dann muss daraus die Konsequenz gezogen                gaben, die im Betrieb anstehen, darstellt.
werden, dass Faktoren, die das Manage-                 Klärungsbedürftig ist hier vor allem, wie
menthandeln positiv oder negativ beein-                sich die Frage stellt, wenn besseres Tier-
flussen, ein hohes Gewicht zugemessen                  management neue oder zusätzliche Aufga-
werden muss, wenn man Durchbrüche in                   ben mit sich bringt. Vor allem, wenn große
Sachen Tiergerechtheit schaffen will. Von              Verbesserungsschritte anvisiert werden, ist

                                                                                                       15
G RAHMANN & U SCHUMACHER (Hrsg.)
Neues aus der Ökologischen Tierhaltung 2010

davon auszugehen, dass es zu Überlastun-       Sowohl unter den Bedingungen eines
gen oder zu Reibungspunkten mit der be-        landwirtschaftlichen Familienbetriebs wie
stehenden Arbeitsorganisation kommen           unter den Bedingungen eines Lohnarbeits-
kann. Wenn jedoch in sehr vielen Fällen        betriebs mit mehreren Beschäftigten spielt
davon abzuraten ist, den Knoten durch          es eine große Rolle, wie das Thema Tier-
einen voluntaristischen Akt zu zerschlagen,    schutz und Tiergerechtheit und daraus ab-
bei dem das Pferd mit dem eigenen              geleitete Verbesserungsforderungen von
Schwanz aus dem Sumpf gezogen wird,            allen Personen aufgenommen wird. Die
dann kann eine vernünftige Lösung nur          bereits angesprochene Einführung zusätzli-
darin bestehen, die neuen oder zusätzliche     cher Aufgaben respektive die Erweiterung
tierschutzbezogene Managementaufgaben          oder Vertiefung von Aufgaben im Zuge
schritt- oder stufenweise mit den Struktu-     geänderter Managementkonzepte führt in
ren des Betriebs und seinen Arbeitsver-        der Regel zu erheblichen Veränderungen
hältnissen kompatibel zu machen. Auf der       im innerbetrieblichen Kooperations- und
anderen Seite ist jedoch ebenso zu beach-      Kommunikationsgefüge - unter ungünsti-
ten, dass Veränderungskonzepte, die sich       gen Bedingungen sogar zu Zerreißproben.
einer Politik zu kleiner Schritte verschrei-   Dies ist eine aus größeren betrieblichen
ben, Veränderungsimpulse einerseits eben-      Veränderungen bekannte Erfahrung, und es
falls abtöten können und aus der Perspek-      ist aus der Perspektive solcher organisati-
tive der Verbraucher und Bürger darüber        onssoziologischen Erfahrungen nicht unbe-
hinaus als Versuche bewertet werden kön-       rechtigt, sogar von einer schwierigen Auf-
nen, den eigenen Pelz zwar zu waschen,         gabe zu sprechen. Die große Bedeutung
dabei aber nicht wirklich nass zu werden.      kommunikativer Prozesse und die Frage
Doch was ist ein realistisches Maß? Wel-       ihrer Steuerung ist in diesem Kontext eine
che beruflichen Sensibilitäten sind zu stär-   besonders wichtige und für die Umgestal-
ken? Wie sieht das Verhältnis zwischen         tung von Managementkonzepten durchaus
eigenen Ressourcen und der Mobilisierung       strategische Fragestellung.
von Ressourcen aus, die von außen kom-         Ein zweites wichtiges Feld für die
men? Dies sind Fragen, die sich die Akteu-     Beschäftigung mit Veränderungen beim
re stellen und die auch für die wissen-        Tiermanagement, das für die Analyse des
schaftliche Erforschung der Handlungsbe-       Status quo des Managementhandelns wie
dingungen der Akteure zentral sind.            auch für die Beschäftigung mit Verbesse-
Für eine akteursbezogene Managementfor-        rungsmöglichkeiten relevant ist, sind die
schung eröffnen sich im Zusammenhang           Umfeldfaktoren und Umfeldeinflüsse. Mit
mit der Verbesserung der Managements in        Blick auf Tierschutzziele und Tiergerecht-
der Tierhaltung deshalb viele Forschungs-      heitspraktiken ist eine der zentralen Fragen
felder. Sie umfassen die betriebswirtschaft-   hier die Frage, ob den Akteuren dafür auch
lichen Fragen nach Kosten und Nutzen           das notwendige Wissen zur Verfügung
sowie ihre Messung im Zeitablauf von           steht. Fragen der Qualifikation und die
Veränderungsstrategien. Sie beziehen sich      Beschäftigung mit Qualifizierungsprozes-
aber auch auf das psychische und soziale       sen stehen hier im Vordergrund.
Managen von Umstiegs- und Umorganisa-          Es ist generell anzustreben, dass tierschutz-
tionsprozessen (Change Management).            relevantes Wissen und Wissen über Ani-
Diese Fragen gehen über eine ökonomisch        mal Welfare auf dem neuesten Stand der
und arbeitswirtschaftlich enge Sichtweise      wissenschaftlichen Erkenntnis sein sollte.
hinaus, denn es müssen auch die subjekti-      Die Aufwertung des Tierschutzaspekts und
ven Einstellungen und beruflichen Leitbil-     des Themas Tiergerechtheit ist beispiels-
der der Akteure sowie ihr sozialer Back-       weise ohne Wissensverbesserungen im
ground betrachtet und bewertet werden.         Bereich Tierverhalten kaum denkbar. Der

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R OPPERMANN & G RAHMANN
                         Forschung zu Tierschutz und Tiergerechtheit als sozialwissenschaftliche Aufgabe

Wissenskanon muss dabei Wissensbestän-               Worüber jedoch wenig bekannt ist, ist die
de aus sehr verschiedenen Disziplinen um-            Anpassung des Wissensbestandes und der
fassen. Dem Wissen über Wechselbezie-                Wissensvermittlung an neue Erkenntnisse
hungen zwischen einzelnen Problemlagen               in den Bereichen Tierschutz und der Tier-
kommt ein hohes Gewicht zu. Zu fragen ist            gerechtheit. Zudem wird das Wissen über
konkret, ob die Wissensproduktion wie die            den inhaltlichen Umgang mit diesen The-
Wissensvermittlung diesen Ansprüchen                 men noch dünner, wenn man sich auf das
schon genügen. Dies bezieht sich wieder-             weite Feld der Weiterbildung begibt, das
um auf das berufliche Ausbildungssystem,             kaum normiert ist.
auf die gesamte Beratungsebene sowie auf             Was für die Überprüfung der Umfeldbe-
alle praxisbezogenen Formen der Wissens-             dingungen im Bereich der Wissensvermitt-
vermittlung durch wissenschaftliche Ein-             lung heute im Grunde noch fehlt, ist eine
richtungen.                                          auf das Thema Tierschutz, Tiergerechtheit,
Hier einen vollständigen Überblick über              Landwirtschaft und Management bezogene
den Status quo zu bekommen, stellt sich in           Evaluation der Angebote, und zwar sowohl
Deutschland in allen drei Bereichen (Be-             im Sinne einer Status quo-Analyse und eng
rufsausbildung, Beratung, Wissensvermitt-            damit verbunden auch eine Evaluation der
lung durch wissenschaftliche Einrichtun-             Nutzung der Angebote als auch eine Be-
gen) als anspruchsvolle Aufgabe dar, denn            wertung durch die Nutzer und eine darauf
die deutschen Systeme sind vielgliedrig              aufbauende Vorschlagsliste zur Verbesse-
und weisen ein hohes inneres Differenzie-            rung von Angeboten. Es müsste ein Aus-
rungspotential auf. Wir haben in Deutsch-            bildungs- und Weiterbildungsreport „ak-
land ein duales Ausbildungssystem, auf               teursbezogene Wissensvermittlung“ zu den
das der Staat und die Wirtschaft einwirken,          Themen Tierschutz und Tiergerechtheit“
und ein System der Wissensproduktion,                erarbeitet werden, der neben einem Über-
das Hochschulen, Fachhochschulen und                 blick auch auf Best-Practice-Lösungen
eine vielfältige Landschaft von hochschul-           abstellt. Die genannten Aufgaben stellen
unabhängigen Instituten kennt.                       sich für den Ökologischen Landbau in be-
                                                     sonders dringlicher Form dar, denn im Un-
Die Beratungssysteme sind staatlich orga-
                                                     terschied zur konventionellen Landwirt-
nisiert, kammergebunden oder existieren
                                                     schaft ist der Kenntnisstand zu Ausbil-
nur noch in Form von Marktangeboten
                                                     dungs-, Weiterbildungs- und Beratungs-
ohne irgendwelche staatlichen oder halb-
                                                     strukturen noch sehr bescheiden
staatlichen Beimengungen. Hinzu kommen
Einrichtungen wie das KTBL oder die                  Die angesprochene Wissensfrage betrifft
DLG, die auf einer ganz eigenen und be-              zudem auch Ebenen der Wissensvermitt-
sonderen Schnittmenge zwischen Staat,                lung und des beruflichen Erfahrungsaus-
Wissenschaft und landwirtschaftlichen                tauschs, die sehr individuell und fallbezo-
Berufsorganisationen fußen.                          gen strukturiert sind und wesentlich über
                                                     informelle Kanäle verlaufen.
Durch unseren Föderalismus mit 16 Bun-
desländern und Stadtstaaten kommt in die-            Schließlich weisen das Thema Wissens-
se Systeme zudem ein weiteres Element                vermittlung und das Thema Veränderung
von Unübersichtlichkeit und Binnendiffe-             der Managementpraxis im Betrieb im Tier-
renzierung hinein, die es jeder Status quo-          bereich eine Kooperationsdimension auf,
Analyse schwer macht.                                die über den Bereich der Inhalte und
                                                     Kommunikationsformen hinausgeht. Die
Zwar kann überhaupt kein Zweifel daran
                                                     Kooperationsfragstellung bezieht sich da-
bestehen, dass die berufsfachliche Ausbil-
                                                     rauf, ob spezifische Inhalte und Kommuni-
dung, die Beratung und die Wissensver-
                                                     kationsansprüche nicht völlig andere For-
mittlung durch die Wissenschaft in
                                                     men der Arbeitsteilung zur Voraussetzung
Deutschland auf einem hohen Niveau sind.

                                                                                                     17
G RAHMANN & U SCHUMACHER (Hrsg.)
Neues aus der Ökologischen Tierhaltung 2010

haben.4 Das Problem lässt sich am deut-                Sachverstand einbringen kann, auch
lichsten an der Frage der Faktorerkrankun-             der Finanz- und Wirtschaftsberater teil.
gen exemplifizieren. Es bezieht sich auf            x Die Beratung und Betreuung muss sich
die Tiergesundheit und auf das Tierge-                 moderner Informationstechniken und
sundheitsmanagement, hat aber auch für                 kurzer Informationswege bedienen.
Animal Welfare in all seinen Facetten eine          x Ein „Andocken“ der betriebsbezogenen
große Bedeutung.                                       Beratung an überbetriebliche Bera-
Es ist bekannt, dass das Krankheitsgesche-             tungs- und Betreuungszusammenhänge
hen in der Nutztierhaltung heute sehr stark            ist sinnvoll und erhöht die Effektivität
durch Faktorerkrankungen geprägt ist.                  der Beratung und Betreuung beträcht-
Gleiches gilt für Strategien zur Risikobe-             lich (Benchmarking).
grenzung. Auf beiden Feldern reicht es              Damit bekommt man eine Konstellation,
nicht (mehr) aus, dass der einzelne Land-           die auch einen neuen Zuschnitt der Ver-
wirt seinen Wissens- und Beratungsbedarf            antwortlichkeiten und der Verteilung von
durch Tiergesundheitsexperten (v.a. Tier-           Aufgabenpaketen erfordert, ein viel inten-
ärzte) nur „anlassbezogen“ abdeckt, d.h.            siveres Kommunikationsgeschehen nach
zum einen im Fall einer Erkrankung und              sich zieht und letztlich auch eine Verände-
wenn er bereits weiß, dass sich eine Risi-          rung der Formen der Entlohnung der Bera-
kolage zugespitzt hat. Faktorerkrankungen           tungs- und Betreuungsleistungen auf die
sind nach gängiger Auffassung nur durch             Tagesordnung setzt.
ein betriebs- und herdenbezogenes Ge-
                                                    Man kann sich eine effektive Organisation
sundheitsmanagement zu begrenzen bzw.
                                                    der Beratung und Betreuung idealer als
zu bekämpfen, das präventiv ausgerichtet
                                                    Netzwerkstruktur vorstellen. Ein solches
ist. Dazu braucht es an Voraussetzungen:
                                                    Netz drängt Hierarchien zurück und redu-
x ein hohes Maß an Verstetigung der                ziert die Bedeutung traditioneller berufli-
   fachlichen Beratung. Eine regelmäßige            cher Zuständigkeits- und Leistungsgrenzen
   Betreuung in ausreichend engen Ab-               erheblich. Es setzt (funktionierende) Sozi-
   ständen ist das A & O.                           albeziehung zwischen den Beteiligten und
x Die Beratungsinhalte sind auf präven-            persönlich eingefärbte Kommunikations-
   tive Maßnahmen ausgerichtet (Hygie-              formen voraus. In beruflicher Hinsicht
   ne, Impfungen, betriebliche Qualitäts-           bringt dieses Netz tendenziell eine Aufhe-
   checks zu Faktoren wie Futterqualität,           bung der bisherigen Arbeitsteilungs- und
   Tierkomfort etc.)                                Spezialisierungsstrukturen in der Tierhal-
x Eine ganzheitliche Herangehensweise              tung hervor. Es liegt auf der Hand, dass
   ist wichtig. Diagnosen und Lösungsan-            solche Strukturen sowohl als soziale Be-
   gebote der Veterinärmedizin und der              ziehung(en) wie auch als ökonomische
   Fachberatung sind deshalb zusammen-              Austauschbeziehungen zu betrachten sind.
   zubringen. Der gesamte Betrieb und               Sie gehen über die Demarkationslinien
   das gesamte Haltungssystem sind je-              berufsrechtlicher Art deutlich hinaus. Die
   weils zu analysieren. Ethologische Ge-           bestehenden Demarkationslinien zwischen
   sichtspunkte und Lösungsansätze sind             den (potentiell) beteiligen Professionen, ihr
   zu integrieren.                                  unterschiedliches Rollenverständnis und
x An der Beratung und Betreuung neh-               ihr unterschiedlicher sozialer Status lassen
   men in Idealfall der Tierarzt, der Hal-          nicht erwarten, dass sich anspruchsvolle
   tungsberater und, sofern der Haltungs-           Kooperationskonstellationen im obigen
   berater keinen betriebswirtschaftlichen          Sinne ohne große Veränderungen im Be-
                                                    rufsrecht und im beruflichen Rollenver-
4                                                   ständnis umsetzen lassen. Deshalb gehört
  Dass dies keine Frage ist, die sich nur für die
Tierhaltung stellt, soll hier zumindest vermerkt    die Frage, ob die strukturellen und berufs-
werden.                                             rechtlichen Voraussetzungen für derartige
18
R OPPERMANN & G RAHMANN
                         Forschung zu Tierschutz und Tiergerechtheit als sozialwissenschaftliche Aufgabe

Beratungs- und Betreuungsnetze reformiert            Landbau versteht dieses Leistungsspekt-
werden können, zu den integralen Untersu-            rum als ganzheitliches Angebot. Natürlich
chungsaufgaben, die sich stellen, wenn               gibt es im Einzelfall Prioritätensetzungen.
man die Chancen solcher Netze ausloten               In programmatischer Hinsicht lehnt es der
will.                                                Ökologische Landbau jedoch ab, sich auf
                                                     ein oder zwei zentrale Leistungsbereiche
Vordringlich für ein Forschungskonzept,
                                                     begrenzen zu lassen. Es liegt auf der Hand,
das vom vTI mitentwickelt werden kann,
                                                     dass konzeptionelle Komplexität auch ei-
erscheint jedoch ebenfalls zunächst die
                                                     nen komplexen Kommunikationsbedarf
Abklärung des Status quo zu sein, wobei
                                                     generiert, der sowohl die Inhalte wie die
sich für den Beginn einer umfassend aus-
                                                     Formen betrifft.
gelegten Untersuchungsstrategie ein dop-
pelgleisiges Vorgehen anbietet. Zum einen            In dieser Hinsicht wird in der Branche je-
ist das bestehende Wissen zu kooperativen            doch beklagt, dass die Kommunikationsin-
Beratungs- und Betreuungsformen im Be-               halte in der Vergangenheit insgesamt enger
reich der Tierhaltung zu sichten. Parallel           geworden und zu sehr auf kommerzielle
dazu ist empirisch anzugehen, mit welchen            Bedürfnisse abgestellt wurden. Vor allem
Zielen und Interessen Akteure und Institu-           der Zusammenhang zwischen ethischen
tionen im Agrarsektor heute „unterwegs“              und sozialen Werten und der ökologischen
sind, die sich auf eine veränderte Bera-             Produktionsform sei zu wenig thematisiert
tungs- und Betreuungsstruktur angesichts             worden. Allerdings zeigt sich an diesem
komplexer und komplizierter Anforderun-              Punkt mittlerweile auch eine Gegenbewe-
gen im Bereich Tierschutz und Tierge-                gung. Es sind Bestrebungen erkennbar, die
rechtheit einstellen.                                Kommunikation gegenüber Bürgern und
                                                     Verbrauchern wieder auf eine breitere
Am Beispiel des Ökologischen Landbaus
                                                     Plattform zu stellen und den ethischen und
lässt sich die Thematik erläutern. Die vor-
                                                     sozialen Prinzipien im Rahmen eines integ-
gestellten drei Themen decken zwar nicht
                                                     rierten Kommunikationskonzepts wieder
die Breite der möglichen Themen ab, sind
                                                     mehr Gewicht einzuräumen. Dabei ist
jedoch für die Verbesserung des Tierma-
                                                     nicht an eine Rückwärtsentwicklung ge-
nagements von großer Relevanz:
                                                     dacht, sondern an die Wiedergewinnung
Wo muss der Ökologische Landbau die                  alter Kommunikationsstärke unter heutigen
Kommunikation mit Verbrauchern und                   Marktbedingungen. Vor allem die Ansprü-
Bürgern verändern?                                   che, kommerziell erfolgreich zu sein, sich
                                                     an ein breites Spektrum von Verbrauchern
Der Ökologische Landbau erhebt den An-               zu wenden und einen modernen Kommu-
spruch, eine umweltfreundliche, tierfreund-          nikationsstil zu pflegen, sollen nicht auf-
liche, wirtschaftlich erfolgreiche und bei           gegeben werden.
der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse und
der sozialen Beziehungen auch eine „men-             In diesem Kontext ergibt sich ebenfalls ein
schenfreundliche“ Form des Landbaus zu               Bündel von Themenstellungen und Fragen,
sein. Dieser Anspruch schlägt sich in einer          die aus einer sozialwissenschaftlichen Per-
Reihe konkreter        Leistungsversprechen          spektive zu bearbeiten sind. Bezogen auf
nieder. Inhaltlich lassen sich Umwelt- und           die Tierhaltung und Fragen des Tierschut-
Naturschutzleistungen, Tierschutzleistun-            zes stehen dabei in erster Linie die Fragen
gen, Leistungen der Landschaftsgestaltung,           im Mittelpunkt, wie und auf welche Weise
die Sicherung eines angemessenen Ein-                Tierschutz und Tiergerechtheit als beson-
kommens für die Landwirte, Leistungen                deres Leistungsmerkmal kommuniziert
für ländliche Räume, Kulturleistungen,               werden können.
Gesundheitsleistungen sowie soziale Leis-            Ein zweites Kommunikationsproblem, mit
tungen unterscheiden. Der Ökologische                dem der Ökologische Landbau beschäftigt

                                                                                                     19
G RAHMANN & U SCHUMACHER (Hrsg.)
Neues aus der Ökologischen Tierhaltung 2010

ist, bezieht sich auf Leistungsdefizite in      ziehungen. Das Prinzip Gerechtigkeit, das
einigen Leistungsbereichen. Der Erfolg des      in den IFOAM-Richtlinien als zentrales
Ökologischen Landbaus in den letzten Jah-       Gestaltungsprinzip genannt wird, und seine
ren ist ohne einen erheblichen Vertrauens-      Umsetzung ist dafür ein Beispiel, ebenso
vorschuss nicht zu erklären. Bürger und         das Prinzip Sorgfalt (IFOAM 2005). Die-
Verbraucher gehen selbstverständlich da-        ser Leistungsbereich ist mit einem beson-
von aus, dass der Ökologische Landbau die       deren Erklärungsbedarf behaftet, zumal die
Leistungen, die er versprochen hat, auch        Interpretation der Ziele und Leistungen
tatsächlich erbringt. Dies trifft auf weite     auch dem Zeitgeist und dem sozialen
Teile des Leistungsspektrums zwar zu.           Wandel unterworfen ist.
Doch in inhaltlich wie kommunikativ sen-        Aus der Literatur geht hervor, dass es in
siblen Bereichen wie Tiergesundheit und         den letzen Jahren trotz der angesprochenen
Regionalität sowie bei einzelnen Fragen         kommunikativen Unschärfe zu einer Re-
der Produktqualität zeigen sich Leistungs-      naissance der Kommunikation dieser Ziele
defizite. Dies wirft die Frage auf, wie diese   und Leistungsebenen gekommen ist. So ist
Sachverhalte kommuniziert werden kön-           das Thema Gerechtigkeit in Richtung wirt-
nen. Bislang sind diese Themen zwar noch        schaftlicher und sozialer Fairness konkreti-
nicht zum Gegenstand öffentlicher Leis-         siert und kommuniziert worden, und die
tungskritik geworden. Das Vertrauen in die      Frage der Sorgfalt wurde an die Themen
Leistungsfähigkeit      des    Ökologischen     Markttransparenz und Qualitätssicherung
Landbaus ist also (noch) nicht erschüttert.     angebunden und darüber konkretisiert. Von
Doch geht ein Teil der Bereichsexperten         vielen Akteuren wird dennoch anerkannt,
mittlerweile davon aus, dass sich an diesen     dass sich die Branche in Zukunft noch in-
Punkten Vertrauenskrisen entwickeln kön-        tensiver mit solchen weichen Faktoren
nen. Das Beschweigen der Probleme ist für       beschäftigen muss und dass sich daraus
diese Gruppe keine Lösung. Die Probleme         spezifische, bisher vernachlässigte Kom-
müssten offen angesprochen werden. Es           munikationsaufgaben ergeben. Dabei wird
müssten einerseits Strategien zur Verbesse-     vor allem daran gedacht, durch Darstellung
rung der Leistungen erarbeitet werden,          des konkreten sozialen Handelns der Ak-
wobei anderseits aber auch gefordert wird,      teure und Institutionen die Kommunikati-
dass die Aufklärung über kritische Punkte       onsaufgaben anzugehen, wobei es als be-
in kommunikativer Hinsicht behutsam             sonders wichtig erachtet wird, die Koope-
vorgehen müsste. So müssten Leistungskri-       rationsbeziehungen in der gesamten Wert-
tik und die Darstellung von Leistungsstär-      schöpfungskette in den Blick zu nehmen
ken miteinander verbunden werden, und es        und sich auf Themen wie Corporate Social
müssten insbesondere die Anstrengungen          Responsibility (CSR) und die Schaffung
zur Verbesserung von Leistungen, die der        von gemeinsamen sozialen Verhaltensko-
Sektor unternimmt, intensiv kommuniziert        dizes in der Wertschöpfungskette für Nah-
werden.                                         rungsmittel zu beziehen. Allerdings betritt
Wie kommuniziert man „weiche“ Leis-             die Branche damit Neuland, und sehr vie-
tungen                                          les von dem, was sich in diesem Bereich
                                                zurzeit praktisch abgespielt hat, bewegt
Vom Thema Leistungsanspruch contra
                                                sich noch in einem experimentellen Stadi-
Leistungswirklichkeit ist eine Leistungs-
                                                um. Strittig ist dabei vor allem, wie poli-
diskussion zu unterscheiden, die sich mit
                                                tisch solche Themen und Kommunikati-
der Frage beschäftigt, wie Leistungen bes-
                                                onsaufgaben angefasst werden sollen und
ser zu erklären sind, die als „weich“ be-
                                                wie verbindlich und überprüfbar Selbst-
zeichnet werden können, weil sie weniger
                                                verpflichtungskonzepte gestaltet werden
präzise mit eindeutig messbaren Erfolgsin-
                                                müssen.
dikatoren versehen sind. Dies betrifft vor
allem soziale Faktoren und Austauschbe-

20
R OPPERMANN & G RAHMANN
                         Forschung zu Tierschutz und Tiergerechtheit als sozialwissenschaftliche Aufgabe

Neue Fragen und neue Ebenen der Leis-                diskutiert beginnt sich im Ökologischen
tungskommunikation                                   Sektor schließlich eine Diskussion zu ent-
                                                     wickeln, die sich mit der Frage auseinan-
Von diesen Themen sind wiederum Kom-
                                                     dersetzt, wie sich ein rationaler und diffe-
munikationsprobleme zu unterscheiden,
                                                     renzierter Diskurs über die Vor- und
die für die Ökologische Landwirtschaft
                                                     Nachteile landwirtschaftlicher Produkti-
bislang keine große Rolle gespielt haben,
                                                     onsformen in einer Gesellschaft führen
weil sie bisher nicht sichtbar geworden
                                                     lässt, der die Landwirtschaft weitgehend
sind oder noch nicht aktuell waren.
                                                     fremd geworden ist. Geschätzte 80 % bis
Dies betrifft vor allem den Themenkom-               90 % der Menschen in Deutschland haben
plex Klimawandel/Klimaschutz. Die noch               so gut wie keine eigenen beruflichen oder
sehr jungen Diskussionen über Art und                lebensweltlichen Erfahrungen mit Land-
Umfang der Klimabelastung durch die                  wirtschaft mehr. Die Fachdiskurse des Ag-
Landwirtschaft wie auch die Diskussionen             rarsektors erreichen diese Menschen nicht
zur Reduzierung von Klimabelastungen                 oder werden kaum verstanden. Dies trifft
werden in der Ökologischen Landwirt-                 auch für große Teile der Bevölkerung im
schaft jedoch insgesamt als Chance gese-             ländlichen Raum zu.
hen, den eigenen Nachhaltigkeitsanspruch
zu akzentuieren und sich damit politisch zu          Unter diesen Voraussetzungen ist es prin-
profilieren. Es besteht weitgehend Konsens           zipiell schwierig, über Zwänge und Re-
darüber, dass der Ökologische Landbau auf            striktionen oder über konkrete Vor- und
diesen Feldern in kommunikativer Hinsicht            Nachteile landwirtschaftlicher Produkti-
über „sehr gute Karten“ verfügt. Deshalb             onsformen rational zu diskutieren. Die für
wird nachdrücklich dafür plädiert, das               jeden rationalen Diskurs zentralen Anfor-
Thema Klimafreundlichkeit zu einem zent-             derungen, zum einen zu wissen, worüber
ralen Markenzeichen der Ökologischen                 man redet, und zweitens die für die Ver-
Landwirtschaft zu machen und mit dieser              mittlung zwischen kontroversen Anschau-
Frage kommunikativ in die Offensive zu               ungen wesentliche Voraussetzung, sich
gehen.                                               gedanklich in unterschiedliche Positionen
                                                     hineinzuversetzen, scheitern am Unwissen.
Dennoch stellen sich auch in diesem Be-
                                                     Als Folge davon ist die Gefahr groß, dass
reich neue Kommunikationsaufgaben, die
                                                     eine produktive Diskussion erst gar nicht
sich zunächst aus der Komplexität der Ma-
                                                     in Gang kommt oder doch sehr schnell in
terie selbst ergeben. Der Nachweis der
                                                     einen Glaubenskrieg übergeht. Die
Klimafreundlichkeit ist eine schwierige
                                                     konventionelle Landwirtschaft vermag es
Aufgabe, weil hochkomplexe Ursachen-
                                                     unter heutigen Bedingungen kaum noch,
und Wirkungszusammenhänge zu beachten
                                                     Diskurse zu initiieren, die auf ihre Anlie-
und zu bewerten sind und es noch einige
                                                     gen offen eingehen. Ihre Image- und
Zeit dauern wird, bis Leistungsansprüche
                                                     Akzeptanzprobleme haben sich nicht
mit gut belegten Daten fundiert werden
                                                     zuletzt deshalb im Laufe der Jahre eher
können. Ohne eine stärkere Verbreitung
                                                     verfestigt.
von Basiswissen zu Risiken und Problem-              Auf der anderen Seite hat der Ökologische
lagen des Klimawandels kann für den Öko-             Landbau von dieser Konstellation zunächst
logischen Landbau auch die Aufklärung                zwar profitiert. Sie erleichterte die kom-
über seine Leistungen in diesem Bereich              munikative Aufgabe, der misslichen Reali-
nur schlecht funktionieren.                          tät der konventionellen Landwirtschaft mit
                                                     einem alternativen Anspruch zu begegnen.
Das Unwissen der Menschen über die
                                                     Doch mittlerweile hat der Ökologische
Landwirtschaft: ein Kommunikations-
                                                     Landbau selbst mit ähnlichen Problemen
problem mit wachsender Bedeutung
                                                     zu kämpfen. Er hat es erstens damit zu tun,
Eher vorsichtig und derzeit von den Be-              dass die bereits angesprochenen Leis-
troffenen durchweg als Zukunftsthema                 tungsdefizite (s.o.) aus den Problemen sei-

                                                                                                     21
G RAHMANN & U SCHUMACHER (Hrsg.)
Neues aus der Ökologischen Tierhaltung 2010

ner Produktionsform heraus erklärt werden      daraus, dass Forschungskapazitäten, die in
müssen. Dies gilt noch mehr für jede Form      diese Richtung gehen, aufgebaut werden
von Überzeugungsarbeit, die Verbraucher        müssten. Dabei lässt sich sicher produktiv
und Bürger auf stichhaltige Weise darüber      an die (langjährige) betriebswirtschaftliche
informiert, wie solche Defizite abgestellt     und strukturpolitische Forschung in der
werden können.                                 FAL anknüpfen, und mit Blick auf die Ag-
                                               rarmärkte und die Wertschöpfungskette
Für den Bio-Landwirt bedeutet dies, dass
                                               können die Erfahrungen und Kompetenzen
er kommunikativ sehr viel mehr als seinen
                                               der FAL im Bereich Marktanalyse eben-
guten Willen und vielleicht noch seine
                                               falls ein zentraler Ausgangspunkt sein.
Persönlichkeit in die Waagschale werfen
muss, um überzeugend auftreten zu kön-         Ohne Zweifel hat das Thema Tier-
nen. Für die Bürger und Verbraucher be-        schutz/Tiergerechtheit bislang nicht zu den
deutet dies anderseits, dass sie sich darauf   Schwerpunktthemen des vTI gehört. Diese
einlassen müssen, sich zu einem sehr spe-      Fragen sind schwerpunktmäßig den Tier-
zifischen und spezialisierten Produktions-     produktionswissenschaften sowie der Vete-
feld Wissen anzueignen. Der angesproche-       rinärmedizin zugeordnet worden.
ne Zusammenhang tritt aber auch dort zu        Dennoch ist das vTI bereits heute an meh-
Tage, wo es um die zitierten neuen Fragen      reren Punkten mit dem Thema Tierschutz
geht, und er spielt überall dort eine Rolle,   und mit der Frage der Tiergerechtheit be-
wo erfolgreiche Kommunikationsstrategien       fasst. Dies betrifft zunächst das Institut für
neue Fragen stellen, neue Themen aufgrei-      Ökologischen Landbau (OEL), das die
fen und Differenzierungsmomente in Dis-        Frage der artgerechten Tierhaltung als eine
kurse einbringen müssen.                       Schwerpunktaufgabe hat und sich auf der
                                               Basis eines ganzheitlichen Forschungsan-
Die mögliche Rolle des vTI in Diskussi-
                                               satzes mit Tierschutzfragen und tiergerech-
onsprozessen zum Thema „Tierschutz
                                               ter Haltung beschäftigt. Die Haltungsbe-
und Tiergerechtheit“
                                               dingungen der Tiere, das Thema Tierge-
Aus der Perspektive der inneren Gliede-        sundheit sowie Fragen zum Tierverhalten
rung der Ressortforschung des BMELV            stehen dabei im Mittelpunkt. Darüber hin-
betrachtet fällt Managementforschung, die      aus hat sich das Institut in den letzen Jah-
sich auf die Umsetzung tierschutzrelevan-      ren mit einer Untersuchung zum Einsatz
ter Haltungsansprüche bezieht, natürlich       von Tiergesundheitsplänen (TGP) bereits
auch in den Aufgabenbereich des FLI.           intensiver mit akteursbezogenen Fragestel-
Aber sie kann nicht ausschließlich hier        lungen beschäftigt und dazu eine sehr stark
angesiedelt werden, denn überall dort, wo      soziologisch ausgerichtete Akzeptanzun-
es um ökonomisch und sozial beeinflusste       tersuchung durchgeführt. Zu berücksichti-
Handlungsbedingungen der Akteure geht          gen ist überdies, dass auch am Institut für
und wo die Frage nach Verbesserungen der       Technologie und Biosystemtechnik zu hal-
Handlungsbedingungen gestellt wird, um         tungsbezogenen Fragen gearbeitet wird,
die Voraussetzungen für eine Verbesse-         dass diese Fragen durchweg tierschutzrele-
rung des Tiermanagements abzuklären, ist       vant und für die tiergerechte Lösungen von
wirtschafts- und sozialwissenschaftliche       Bedeutung sind. Auch hier lässt sich die
Kompetenz unverzichtbar.                       Frage stellen, ob diese Forschungen, wenn
Für die vTI-Forschung bedeutet dies wie-       sie sich für die Umsetzung technologischer
derum, dass sie ihre „eigenen“ Fragestel-      Innovationen interessiert, nicht einer ge-
lungen und Kompetenzen in die Erfor-           wissen Erweiterung in Richtung auf ak-
schung des Haltungsmanagements im              teursbezogene Fragen bedarf.
Tierbereich einbringen muss, und weil          In der deutschen Forschungslandschaft,
dies derzeit nur begrenzt passiert, folgt      und dies bezieht sich nicht nur auf die Ag-

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