Frauen mit Behinderungen - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Die Zeitschrift monat Ausgabe 4/2019 Frauen mit Behinderungen behindertenrat • www.behindertenrat.at • Aboservice Tel.: (01) 513 1 533 • Abo: 24,00 Euro/Ausland + Porto
Foto: Newald editorial Liebe Leserinnen und Leser! I n meiner Kolumne „Das fehlt“ in der Ausgabe 1/2018 war zu lesen, dass Frauen mit Behinderungen in der Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar und ungehört sind. Sie haben noch immer nicht die gleichen Möglichkeiten und Chancen am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben teilzuhaben. Obwohl Österreich sowohl die Frauenrechtskonvention im Jahr 1982 als auch die Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 ratifiziert hat, passiert viel zu wenig. Bei frauenpolitischen Maßnahmen fehlen noch immer barrierefreie Angebote und in behindertenpolitischen Organisa- tionen fehlt es an Frauenförderungen. Lediglich rund 30 % Frauen sind bei unseren Mitgliedsorganisationen Präsidentinnen, Vorstandsvorsit- zende oder Geschäftsführerinnen. Letztes Jahr haben wir das Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen gegründet. Vernetzung und Empowerment sind wesentlich, damit die Anliegen von Frauen mit Behinderungen vorangebracht werden kön- nen. Das Kompetenzteam hat die erfolgreiche Konferenz: Frauen mit Behinderungen mitgetragen und auch maßgeblich diese Ausgabe von monat gestaltet. Vielen herzlichen Dank! Neben einer ausführlichen Rückschau auf unsere Konferenz (Seiten 6-14) sind viele spannende Beiträge, beispielsweise über das Leben einer Mutter mit Behinderungen (Seite 20), zu Gendermedizin (Seite 24), über Behinderung als Fetisch (Seite 26) und den Widerstand von Organisationen bei der Einführung von Frauenquoten (Seite 28) zu lesen. Alle Beiträge in dieser Ausgabe wurden von Frauen verfasst, der überwiegende Großteil von Frauen mit Behinderungen. Jede Frau und jedes Mädchen mit Behinderungen hat ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Dafür müssen wir uns jeden Tag einsetzen. In diesem Sinn viel Lesevergnügen wünscht Gabriele Sprengseis www.behindertenrat.at 3
Aus dem Inhalt Ausgabe 4/2019 Editorial 3 Nachbericht zur Konferenz: Frauen mit Behinderungen 6 Gemeinsam Stark! 15 Qualitative Studie mit und über Frauen mit Behinderungen/Wien 16 Chefinnen mit Behinderungen? 18 "Meine Mama sitzt im Rollstuhl" 20 'Hysterische Frauen' beim Arzt 24 "Frauenquote? Unmöglich!" 28 Buchrezensionen 32 Foto: BKA / Andy Wenzel Foto: Wolfgang Eckert / Pixabay D A Liebe Leserin, lieber Leser! ie Konferenz Frauen mit Behin- m Arbeitsmarkt haben es Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim derungen war ein voller Erfolg. Frauen mit Behinderungen Lesen des neuen Heftes und freuen Es muss über über das Thema besonders schwer. Gabriele uns über Ihre Rückmeldung an: Frauen mit Behinderungen gespro- Sprengseis zeigt die Probleme auf presse@behindertenrat.at chen werden, meinten Bundeskanz- und fordert Empowerment und monat lerin Brigitte Bierlein und 'First Lady' spezielle Unterstützungsangebote. Doris Schmidauer unisono. Gefördert aus den Mitteln des Seiten 6 bis 13 Seiten 18 Sozialministeriums IMPRESSUM: Medieninhaber: Österreichischer Behindertenrat · Herausgeber: Herbert Pichler · Redaktion: Gabriele Sprengseis (gs) - Heidemarie Egger (he) · Adresse: 1100 Wien, Favoritenstraße 111/11, Tel.: 01 513 1533, Mail: presse@behindertenrat.at · Website: www.behindertenrat.at · Offenlegung nach dem Mediengesetz: www.behindertenrat.at/impressum · Gestaltung, Anzeigenverkauf, Layout und Druck: Die Medienmacher GmbH · 8151 Hitzendorf · Filiale: 4800 Attnang-Puchhheim, 07674 62 900, www.diemedienmacher.co.at · Cover: Nina Klein · Nachdruck nur nach ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung der Redaktion gestattet. · Nicht alle Artikel entsprechen unbedingt der Meinung der Redaktion. Wir haben das Ziel, eine möglichst breite Diskussionsbasis für behindertenpolitische Themen und Standpunkte zu schaffen und die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen. · Bankverbindung: easybank, IBAN: AT85 1420 0200 1093 0600, BIC: EASYATW1 DVR 08 67594 · ZVR-Zahl: 413797266 · Erscheinungsort Wien. www.behindertenrat.at 5
Konferenz Komptenzteam Frauen mit Behinderungen mit Bierlein, Schmidauer, Zarfl, Stilling, Langensiepen Alle Fotos: Janousek/Maislinger Unübersehbar! Laut! Solidarisch! Konferenz: Frauen mit Behinderungen Von Heidemarie Egger D er Österreichische Behindertenrat veranstaltete am als Querschnittsthema diskutiert werden muss. Gabriele 12. und 13. September 2019 in Wien eine Konfe- Sprengseis, Geschäftsführerin des Österreichischen renz zum Thema Frauen mit Behinderungen. Die Behindertenrates: „Wir wollen Frauen mit Behinderun- Konferenz hatte das Ziel, das Thema Frauen mit Behin- gen Mut machen, ihnen eine Stimme geben und ihre derungen als wichtigen Aspekt der Interessenvertretung Forderungen unterstützen.“ Herbert Pichler, Präsident von Menschen mit Behinderungen zu positionieren. des Österreichischen Behindertenrates, dazu: „Es ist uns ein Anliegen, Frauen mit Behinderungen als wichtigen Die Lebensrealitäten von Frauen mit Behinderungen Teil der Interessenvertretung zu positionieren. Nur dann werden in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch im- erreichen wir, dass sich in den Köpfen der Öffentlichkeit mer ignoriert. Die Unsichtbarkeit von Frauen mit Behin- nachhaltig etwas ändert.“ derungen bringt massive Benachteiligungen mit sich. Ausgrenzung und Armut sind die Folgen. Persönlichkeiten aus Politik und von Interessenvertre- tungen nahmen an der Konferenz teil. Bundeskanzlerin Gespräche zeigen, dass Frauen und Mädchen mit Behin- Brigitte Bierlein, Frauenfürsprecherin und ‚First Lady‘ derungen die gleichen Wünsche und Forderungen ha- Doris Schmidauer, BM für Arbeit, Soziales, Gesundheit ben, wie Frauen und Mädchen ohne Behinderungen. Der und Konsumentenschutz Brigitte Zarfl, BM für Frauen, Weg zur Erfüllung dieser Wünsche und Forderungen ist Familien und Jugend Ines Stilling sowie ÖGB-Vizepräsi- jedoch noch schwieriger. Sie wollen Gleichberechtigung, dentin und Gastgeberin Korinna Schumann eröffneten Selbstbestimmung, eine Ausbildung, einen guten Beruf, die Konferenz. Katrin Langensiepen, die erste Frau mit barrierefreie Gesundheitsversorgung oder auch ein erfül- einer sichtbaren Behinderung im Europäischen Par- lendes Liebesleben. Ein gewaltfreies Leben sollte selbst- lament, hielt den Eröffnungsvortrag. "Bildet Banden, verständlich sein. Der Gefahr von psychischer, physischer vernetzt euch und werdet sichtbar!" fordert sie die Teil- und sexualisierter Gewalt und Missbrauch sind Frauen mit nehmer*innen der Konferenz auf. Behinderungen jedoch überproportional ausgesetzt. Dokumentation der Konferenz Auf Initiative des Kompetenzteams Frauen mit Behinde- www.frauenmitbehinderungen.at rungen wurde die Konferenzidee geboren. Die Konferenz Fotos, Videos, Präsentationen, Graphic Recording, uvm. hat gezeigt, dass das Thema Frauen mit Behinderungen 6 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2019 „Bei Frauen mit Behinderungen multiplizieren sich die Diskriminierungsformen – sie sind nicht ‚nur‘ mit jenen konfrontiert, mit denen Frauen gemeinhin konfrontiert sind, sondern darüber hinaus auch noch mit jenen, die Menschen mit Behinderungen nach wie vor entgegnet werden. Um die gezielte Förderung und Unterstützung von Frauen mit Behinderungen weiter auszubauen, werden wir die Inklusionsförderung für Frauen mit Behinderungen erhöhen. Die Inklusionsförderung Plus, die derzeit Unternehmen bekommen, die nicht der Einstellungspflicht unterliegen, soll dann auch einstel- lungspflichtigen Unternehmen gebühren, wenn sie Frauen mit Behinderungen beschäftigen.“ Brigitte Zarfl kündigt Inklusionsförderung Plus an. „Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen wird viel zu wenig thematisiert und ist oftmals sogar tabuisiert. Mädchen mit Beeinträchtigungen erfahren zwei- bis dreimal häufiger sexuellen Missbrauch als Mädchen ohne Beeinträchtigungen und das setzt sich im Erwachsenenalter oft fort. Diesen schrecklichen Kreislauf müssen wir so früh als möglich durchbrechen und alles dafür tun, diese Frauen in einem selbstbestimmten und gewaltfreien Leben zu unterstützen. Ganz aktuell ist es gelungen, das Beratungsangebot für Frauen, die von sexueller Gewalt betroffen sind, auszubauen und zusätz- lich in den Bundesländern Burgenland, Kärnten und Vorarlberg Beratungen für betroffene Mädchen und Frauen anzubieten.“ Ines Stilling will Gewaltpräventionsmaßnahmen ausbauen. „Als einzige Frau mit sichtbarer Behinderung im Europäi- schen Parlament stehe ich mit meiner Stimme für die Anliegen aller Frauen mit Behinderung. Die UN-Behin- dertenrechtskonvention, die in Deutschland vor 10 und in Österreich schon vor 11 Jahren unterzeichnet wurde, muss endlich umgesetzt werden. Im Parlament werde ich dafür kämpfen, dass Teilhabe in allen Bereichen mitge- dacht wird, sei es im Bereich Verkehr, Tourismus oder in der Arbeitswelt. Frauen mit Behinderung müssen sicht- barer werden – in den Parlamenten, Schulen und Hoch- schulen, den Unternehmen, den Medien. Sie müssen einfach selbstverständlich werden.“ Katrin Langensiepen fordert die Umsetzung der UN-BRK. www.behindertenrat.at 7
Konferenz Frauen mit Behinderungen sind bei Sitzungen und Be- sprechungen meist in der Unterzahl, bei Presse- konferenzen reden überwiegend Männer, bei einschlä- gigen Tagungen sind primär Männer auf den Podien ver- treten und diskutieren die Anliegen von Menschen mit Behinderungen. Fraueninteressen gehen dadurch unter und werden nicht diskutiert. Gabriele Sprengseis und Heidemarie Egger fordern einen Brückenschlag zwischen Frauenorganisationen, feminis- tischem Engagement und Behindertenorganisationen. Um die Sichtbarkeit von Frauen mit Behinderungen zu Egger/Sprengseis: "Jede Frau mit Behinderungen hat das erhöhen, braucht es Empowerment und Vernetzung. Nur Recht auf ein selbstbestimmtes Leben!" dann kann Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben in vollem Ausmaß gelingen. Müssen wir darüber überhaupt sprechen? Im ersten Impulsreferat nach den Eröffnungsreden er- Genderpolitische Perspektive läuterten Gabriele Sprengseis und Heidemarie Egger die Nach einer Pause ging die Konferenz weiter mit einer Lage von Frauen mit Behinderungen in Österreich. Podiumsdiskussion zur Frage, warum eine genderpoliti- Vor drei Jahren wurde Gabriele Sprengseis Geschäfts- sche Perspektive für Organisationen im Themenfeld führerin des Österreichischen Behindertenrates. Sie Behinderung relevant ist. Am Podium diskutierten die gehört zur Gruppe von Frauen mit unsichtbaren Behin- Vertreter*innen von Organisationen zum Thema Behin- derungen. Heidemarie Egger arbeitet seit eineinhalb derung: Victoria Doppler (Ability Managerin Caritas), Jahren im Behindertenrat, sie lebt mit einer chronischen Bernadette Feuerstein (SLIÖ), Helene Jarmer (ÖGLB), Erkrankung. Die eigenen Erfahrungen und Beobachtun- Herbert Pichler (Behindertenrat) und Christine Steger gen als Frauen mit Behinderungen in der Interessenver- (Monitoringausschuss). Ergänzt wurde das Podium von tretung für Menschen mit Behinderungen sind einer der wissenschaftlicher Seite durch Sabine Mandl (Ludwig Ausgangspunkte für die Aktivitäten des Österreichischen Boltzmann Institut) und von internationaler Seite durch Behindertenrates zu diesem Thema. Katrin Langensiepen (Europäischen Parlament). Ja, wir müssen über Frauen mit Behinderungen sprechen! 8 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2019 Das Thema Frauen mit Behinderungen ist für die Organi- sationen im Themenfeld Behinderungen wichtig, darüber herrschte Einigkeit. Der Diskurs dazu steht jedoch erst am Anfang. Besonders drängend wurden die Themen: fehlende Sichtbarkeit, Gewalt gegen Frauen mit Behin- derungen und konkrete Forderungen und Schritte der Interessenvertretung von Frauen mit Behinderungen gesehen. Die Konferenz ist dafür ein längst überfälliger Startschuss. Andrea Schmon stellt Fördermaßnahmen vor. Miteinander diskutierten Elisabeth Löffler (Lebens- und Sexualberaterin, Performance-Künstlerin, Selbstbestimmt Leben Bewegung, Queer-Feministische Bewegung), Andrea Schmon (Sozialministeriumservice Wien), Andrea Strutzmann (Frauenhetz), Michael Svoboda (KOBV) und Manuela Vollmann (abz* austria). Die zugrundeliegende Diskussionsfrage war, was man voneinander lernen könne. Der Wissens- und Aktivitätsstand zum Thema Frauen mit Elisabeth Udl und Isabell Naronnig über Gewalt Behinderungen ist in den jeweiligen Organisationen sehr unterschiedlich. Der Austausch im Rahmen der Konfe- Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen renz wurde daher begrüßt. Das Thema Arbeit wurde in Eine besonders starke Resonanz unmittelbar auf der den Fokus der Diskussion genommen und festgestellt, Konferenz und auch auf den Feedbackbögen/E-Mails der dass es besonders für Frauen mit Behinderungen finanzi- Teilnehmer*innen erhielt der Vortrag am ersten Konfe- elle und institutionelle Unterstützung braucht. Die renztag von Isabell Naronnig und Elisabeth Udl und die vertretenen Organisationen erkannten in der Diskussion, Session am zweiten Konferenztag von Elisabeth Udl zur dass sie, ihren jeweiligen Möglichkeiten entsprechend, Arbeit von Ninlil/Kraftwerk. zu ökonomischer Selbstbestimmung von Frauen mit Behinderungen beitragen können und waren motiviert, Frauen mit Behinderungen sind um ein Vielfaches öfter dies zukünftig umzusetzen. von Gewalt betroffen als Frauen ohne Behinderungen. Elisabeth Udl und Isabell Naronnig gaben einen Einblick in die Arbeit des Vereins Ninlil/Kraftwerk. Mittels anony- misierter Fallbeispiele wurden Strategien für Prävention von und den Umgang mit den vielfältigen Formen von Gewalt aufgezeigt. Diese Form der Aufbereitung ermög- lichte es den Teilnehmer*innen eigene Erfahrungen zu reflektieren und teilweise auch in neue Kontexte zu set- zen. Ein geschärftes Bewusstsein für die unterschiedli- chen Formen von Gewalt wurde bei den Teilnehmer*innen geschaffen. Voneinander lernen In der zweiten Diskussionsrunde trafen Vertreter*innen von Organisationen im Behindertenbereich, arbeits- marktpolitische Organisationen und genderpolitisch- aktive Organisationen aufeinander. Gabriele Sprengseis moderierte die Diskussionen. www.behindertenrat.at 9
Konferenz Jasna Puskaric fordert bedarfsgerechte Persönliche Assistenz. Julia Moser fordert Frauen mit Behinderungen auf, sich sichtbar zu machen. Expertinnen in eigener Sache Der Programmgestaltung der Konferenz lag von Anfang an der Wunsch zugrunde, dass möglichst viele Frauen mit Behinderungen von ihren ganz unterschiedlichen Miriam Labus interviewt die Expertinnen. Lebensrealitäten berichten. Die Verknüpfung von Exper- tinnenwissen zum Thema Frauen mit Behinderungen mit persönlichen Erfahrungen als Frau mit Behinderungen hat eine starke Wirkung. Am Nachmittag des ersten Konferenztages kamen vier Expertinnen zu Wort, die in diesem Stil über ihre Erfahrungen sprachen. Julia Moser berichtete über ihr Leben mit Hör- und Sehbehinderung, ihren beruflichen Werdegang und Frauen mit Behinde- rungen als wichtige Kundinnen und Mitarbeiterinnen. Sie ist DisAbility Management Expertin bei myAbility und Vorsitzende des Forum für Usher Syndrom und Taub- blindheit. Danach zeigte Jasna Puskaric auf, wie wichtig persönliche Assistenz für ein selbstbestimmtes Leben Iris Grasel musste sich im Krankenhaus behaupten. von Frauen mit Behinderungen ist. Sie ist geschäftsfüh- rende Vorständin der WAG – Assistenzgenossenschaft. Zum Abschluss sprachen die Mitglieder des Forum Selbst- vertretung Iris Grasel und Edith Zechmeister über zwei prägende Erlebnisse als Frauen mit Lernschwierigkeiten. Iris Grasel erfuhr als Frau mit Behinderungen Diskri- minierung im Krankenhaus. Edith Zechmeister wurde als „brave“ Frau mit Behinderungen als Mitarbeiterin ausgenutzt. Die vier Expertinnen machten sich mit ihren sehr persön- lichen Vorträgen als Frauen mit Behinderungen sichtbar und wurden so Vorbilder für viele Teilnehmer*innen. Edith Zechmeister hatte besonders mit ihrer Chefin Probleme. 10 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2019 Thementische zu Papier zu bringen. Die Thementische haben sich als Die Themenvielfalt im Kontext von Frauen mit Behinde- sehr nützliches Werkzeug erwiesen, um die individuellen rungen ist sehr groß. Der Vernetzungsgrad zwischen den Erfahrungen zu hören. In einem Schreibgespräch brach- Frauen mit Behinderungen ist noch viel zu gering. In zwei ten die Teilnehmer*innen ihre Gedanken zu Papier und halbstündigen Pausen wurden jeweils zwei Thementische knüpften beieinander an. angeboten. Zwei Expertinnen begleiteten diese, erläuter- ten die Methode und forderten zum Mitmachen auf. Side Event: „Tanzen für Alle!“ • Unsichtbare Behinderungen Konferenzen sind anstrengend, körperlich und auch Eringard Kaufmann (knack:punkt – Selbstbestimmt geistig. Ein Großteil der Teilnehmer*innen waren Frauen Leben) / Brigitte Heller (Forum Lichterkette) mit Behinderungen. Die eigene Lebensrealität einen • Arbeit und ökonomische Selbstbestimmung ganzen Tag diskutiert zu sehen und selber zu disku- Karin Pinter (ABAk Arbeitsassistenz für AkademikerIn- tieren, vielleicht ganz neue Dinge zu erkennen, das nen) / Ulrike Glösmann (Berufliche Assistenz NÖ des ist fordernd. Es war daher ein großes Glück, dass die BSV-WNB) Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen für • Stadt versus Land die Teilnehmer*innen ein Side-Event organisierte. Nach Beate Koch / Marina Zugschwert (ÖZIV Steiermark) Eröffnungsworten von Helga Bachleitner (Leiterin der • Recht auf Familie und Mutterschaft Kommunikation in der HG) sprach Expertin mit Behin- Monika Schmerold / Eringard Kaufmann (knack:- derungen Martina Gollner (Mitarbeiterin der HG und punkt – Selbstbestimmt Leben) Unternehmerin) über ihr Forschungsprojekt zur Barriere- freiheit bei Musik-Großveranstaltungen. Mit barrierefrei- Viele nutzten dieses Angebot, um miteinander ins Ge- em Tanz, geführt von Lillis Ballroom, und bei Speis‘ und spräch zu kommen und ihre Sichtweise zu den Themen Trank wurde der Tag danach gemeinsam verarbeitet. Einander ergänzen mit einem Schreibgespräch. Expertinnen luden an die Thementische ein. Viel Andrang an den Thementischen Tanzen und alles rauslassen! Side Event der Hilfsgemeinschaft www.behindertenrat.at 11
Konferenz Nachbericht der Sessionleiterinnen Sessions: Austausch und Vertiefung Für den zweiten Tag der Konferenz hatten die Teilneh- mer*innen die Möglichkeit, zwei Sessions zu besuchen. Es fanden zweimal drei Sessions parallel statt. • Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen: Ursprünge, Auswirkungen, Strategien im Umgang Elisabeth Udl (Ninlil/Kraftwerk) • Als Mädchen und junge Frau mit Behinderungen leben – zur Rolle genderspezifischer Aspekte in Kindheit und Jugend Petra Flieger (freie Sozialwissenschaftlerin), Laura Laura Moser brachte als Sessionleiterin ihre Erfahrungen ein. Moser (Mitglied im Jugendbeirat des Tiroler Monito- ringausschusses) • Ich bin eine Frau mit Behinderungen, was heißt das? Identität, Sexualität, Rollenbilder (Frauen mit Behinderungen only) Elisabeth Löffler (Lebens- und Sexualberaterin, Per- formance-Künstlerin, Selbstbestimmt Leben Bewe- gung, Queer-Feministische Bewegung) • Sichtbarkeit – Als Expertin mit Behinderungen auftreten (Frauen mit Behinderungen only) Magdalena Kern (Koordinatorin Anwaltschaft bei Licht für die Welt, Her Abilities Award), Christine Steger (Vorsitzende des Unabhängigen Monito- Gute besuchte Session zu Gewalt gegen Frauen mB. ringausschusses) • Allianzen – Verbündet mit Frauen* mit Behinderungen* sein Elisabeth Magdlener (Verein CCC** – Change Cultu- ral Concepts, Queer DisAbility (Studies)-Aktivistin, Crip-Bewegung, Queer-feministische Bewegung, Körperdiskurse, im Vorstand von Ninlil) • Strategien für Geschlechtergerechtigkeit in Organisationen entwickeln und umsetzen. Stefanie Steinbauer (BSVÖ, Referentin für internatio- nale Zusammenarbeit) Die Sessions wurden genutzt, um bei den ausgewählten Über die Situation von Mädchen mit Behinderungen Themen in die Tiefe zu gehen. Zwei Sessions wurden 12 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2019 explizit nur für Frauen mit Behinderungen angeboten. überwältigend positiv. Wo Kritik geäußert wurde, war Das große Bedürfnis nach Wissen und nach Austausch zu diese berechtigt und konstruktiv. Viele Rückmeldungen den Themen, die Frauen mit Behinderungen betreffen, beeinhalteten die Forderung, dass es mehr Veranstaltun- hat sich auch hier wieder gezeigt. Die veranschlagten 90 gen und mehr Angebote für Frauen mit Behinderungen Minuten waren viel zu schnell vorbei. brauche. Bitte mehr davon! Mediales Echo In die Vorbereitungen für die Konferenz ist sehr viel Zeit, Besonders erfreulich war auch das Interesse der Medien Herz und Energie geflossen. Es hat sich ausgezahlt. Das an der Konferenz. So wurde in der Zeit im Bild genauso Team des Österreichischen Behindertenrats, das Kompe- wie auf PULS24 und in vielen Online-Portalen von Zei- tenzteam Frauen mit Behinderungen, die Speaker*innen, tungen über die Konferenz berichtet. die Videobotschafter*innen und die Teilnehmer*innen zeigten eindrucksvoll, dass über das Thema Frauen mit Was ist seither passiert? Behinderungen gesprochen werden muss. Neue Interessentinnen für die Expertinnenliste und auch für das Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen Aufbruchsstimmung haben sich gemeldet. Ideen für Zusammenarbeit wie Das Organisationsteam und auch die Teilnehmer*innen beispielsweise gemeinsame Veranstaltungen mit Stake- spürten eine ganz besondere Stimmung bei dieser Kon- holdern wie dem ÖGB wurden vertieft. Über allem steht, ferenz. Endlich passiert etwas, ich bin dabei und gestalte dass Frauen mit Behinderungen gezeigt haben, dass sie mit. Was wir von den Treffen des Kompetenzteams Frau- mehr als bereit sind, sich für Gleichstellung einzusetzen. en kennen - die Aufbruchsstimmung, der Veränderungs- Die Frage, ob man über Frauen mit Behinderungen spre- wunsch, das Gemeinschaftsgefühl - wurden fortgesetzt. chen muss, wurde mit einem heftigen JA beantwortet Die Rückmeldungen auf den Feedbackbögen, genauso und zu einem unignorierbaren Thema der Interessenver- auch Gespräche und E-Mails nach der Konferenz waren tretung von Menschen mit Behinderungen gemacht. Miriam Labus moderierte die Konferenz. Albert Brandstätter und Herbert Pichler Nina Klein (rechts) gestaltete das Christine Steger und Eringard Kaufmann Teilnehmerinnen machten sich sichtbar! Konferenz-Sujet. www.behindertenrat.at 13
Konferenz Ausgabe 4/2019 BK Bierlein nahm sich Zeit für die Teilnehmer*innen. M. Fuhrmann-Ehn und D. Ruggenthaler machen sich sichtbar! Konferenz: Frauen mit Behinderungen 201 Teilnehmer*innen 176 Frauen (87%) 25 Männer (13%) 28 Teilnehmer*innen aus den Bundesländern (13%) Auf dem Podium und/oder Konferenzteam 33 Frauen mit Behinderungen (67%) 14 Frauen ohne Behinderungen (29%) 2 Männer mit Behinderungen (4%) 0 Männer ohne Behinderungen (0%) Katrin Langensiepen und ihre "Fans" Präsentation der Konferenztasche Die Caterei (Pro Mente Wien) verwöhnte uns kulinarisch. A. Parfuss mit D. Raml (ÖZIV) und Gudrun Eigelsreiter 14 www.behindertenrat.at
Behindertenrat Ausgabe 4/2019 Gemeinsam stark! Aktivitäten des Österreichischen Behindertenrat Von Gudrun Eigelsreiter F rauen mit Behinderungen sind öfter von Arbeitslosigkeit, von Armut und von Gewalt betrof- fen. Ihre Fähigkeiten, ihre Talente, ihre Expertisen stehen oft nicht im gesellschaftlichen Fokus. Der Öster- reichische Behindertenrat arbeitet kontinuierlich daran, die Sichtbar- keit und die Rechte von Frauen mit Behinderungen in Gesellschaft und Politik zu verankern. Dieses Ziel wird vor allem durch folgende Arbeits- gruppen und Aktivitäten verfolgt: Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen Das Kompetenzteam Frauen mit Be- hinderungen wurde vom Österreich- ischen Behindertenrat gegründet, um die Mehrfachdiskriminierung von Frauen und Mädchen mit Behinderungen auf die behinder- tenpolitische Agenda zu setzen. Es dient auch dem Austausch und der Expertinnen mit Behinderungen sind Vorbilder. Graphik: Nina Klein Vernetzung von Frauen mit Behin- derungen. Bei Interesse, Teil des 50 Expertinnen mit Behinderungen Hier werden Ziele und notwendige, Kompetenzteams Frauen mit Behin- zu den unterschiedlichsten Themen: politische Maßnahmen entwickelt derungen zu werden, kontaktieren www.behindertenrat.at/ für Frauen mit Behinderungen, Kin- Sie bitte Heidemarie Egger unter expertinnenliste. Falls sie Inter- der und Jugendliche mit Behinde- h.egger@behindertenrat.at esse daran haben, als Expertin mit rungen sowie für den Themenkom- Behinderungen Teil dieser Liste zu plex Kunst, Kultur und Medien. Bei Frauen mit Behinderungen werden, schreiben Sie uns: Interesse an einer Mitarbeit melden für Vorträge / Podiums- dachverband@behindertenrat.at Sie sich bitte bei Gudrun Eigelsreiter diskussionen / Interviews g.eigelsreiter@behindertenrat.at Aus dem Kompetenzteam Frauen mit NAP-AG Frauen, Jugend, Behinderungen heraus wurde die Kunst, Kultur, Medien Der Österreichische Behindertenrat Idee einer Expertinnenliste geboren. In die Erarbeitung des neuen bietet viele Möglichkeiten, sich zu Denn zu oft sind Diskussionsrunden Nationalen Aktionsplan Behinderung engagieren, zu informieren und zu auf Podien vorwiegend oder aus- 2021-2030 soll diesmal die Zivilge- vernetzen. Nutzen Sie diese Chance, schließlich männlich besetzt, mit sellschaft aktiv eingebunden werden. gemeinsam bewegen wir viel! dem Argument, dass keine Expert- Zu jedem NAP Team der Ministerien innen mit Behinderungen bekannt gibt es auch eine Spiegelgruppe im seien, die man einladen könnte. Österreichischen Behindertenrat, so Dieses Argument hat nun ausge- auch zum Team „Frauen, Jugend, dient. Hier finden Sie eine Liste von Kunst, Kultur und Medien“. www.behindertenrat.at 15
Studie Acht Fokusgruppen wurden abgehalten. Foto: Gerd Altmann / Pixabay Frauen, die behindert werden. Qualitative Studie mit und über Frauen mit Behinderungen in Wien Von Claudia Sorger / Nadja Bergmann (L&R Sozialforschung) Z um Thema Frauen mit Behin- Welche Unterstützungsstrukturen heterogen. Zum einen ging es derungen in Wien existieren und Interessenvertretungen haben darum, möglichst unterschiedliche kaum aktuelle Zahlen und sich als hilfreich erwiesen? Welche Gruppen zu erfassen, wie etwa Daten. Zudem sind Studien, die Erfahrungen haben sie mit sozia- Frauen im Rollstuhl, Frauen mit sich mit den Lebensrealitäten, ler, politischer und wirtschaftlicher Sehbeeinträchtigungen, Frauen Wünschen und Barrieren im Alltag Partizipation? Welche konkreten mit Hörbeeinträchtigungen sowie und der politischen und sozialen Anregungen bestehen zum Abbau Frauen mit fortschreitenden, chro- Partizipation von Frauen mit Be- unterschiedlichster Barrieren? nischen Erkrankungen. Andererseits hinderungen auseinandersetzen, wollten wir Frauen mit Behinderun- relativ überschaubar. Um einen Im Zentrum des Forschungsvorha- gen zu Wort kommen lassen, die in Teil der Lücke zu füllen, hat das bens standen leitfadenbasierte Fo- der öffentlichen Wahrnehmung eher Frauenservice Wien (MA 57) eine kusgruppen mit Frauen mit Behinde- „unsichtbar“ sind wie Frauen mit Studie zur Situation von Frauen mit rungen, die durch Einzelinterviews psychischen Erkrankungen, Frauen Behinderungen in Wien in Auftrag ergänzt wurden. Zwischen November mit Down Syndrom oder Frauen mit gegeben. In einem partizipativen 2018 und Jänner 2019 wurden acht Lernschwierigkeiten. Zusätzlich wur- Forschungsprozess kamen Frauen Fokusgruppen sowie einige Einzel- den zwei Fokusgruppen mit Müttern zu Wort, die über ihr Leben in Wien interviews mit insgesamt 76 Frauen von Kindern mit Behinderungen berichteten. Mit welchen Barrieren abgehalten. Die Gruppe von Frauen und/oder Pflegebedarf durchge- waren und sind sie konfrontiert? mit Behinderungen ist sehr führt. Diese Gruppe von Frauen ist 16 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2019 besonderen Belastungen ausgesetzt, Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit dem der „Behördendschungel“ ein über ihre Probleme und Bedürfnisse einer körperlichen Beeinträchtigung zentrales Thema. Viele Teilnehmerin- ist wenig bekannt. ab und manche lehnen den Begriff nen erzählten von der Unübersicht- der Behinderung als gar nicht zutref- lichkeit der Informationen und Zu- Peer-Expertinnen fend ab. Viele der beteiligten Frauen ständigkeiten mit einer Vielzahl von Die Studie wurde von Beginn an betonten, dass sie nicht behindert Anlaufstellen. Hier wird auch die unter Einbeziehung von Peer-Expert- sind, sondern dass sie durch viel- Problematik angesprochen, dass die innen durchgeführt. Sie wurden fältige Barrieren behindert werden. Behörden neben der Service- und sowohl beim inhaltlichen und or- Zum Abbau dieser Barrieren einen Beratungsfunktion auch eine Kont- ganisatorischen Design der Fokus- Beitrag zu leisten, ist ein Anliegen rollfunktion hätten. So berichteten gruppe als auch bei der Suche nach der vorliegenden Studie. Dabei geht mehrere Teilnehmerinnen, dass sie Teilnehmerinnen eingebunden. es auch um die Barrieren zwischen die Kontrollen als unangenehm erle- Herzlichen Dank an Xenia Dürr, Menschen mit und Menschen ohne ben und sich teilweise mit dem Vor- Heike Fleischanderl, Brigitte Hel- Behinderungen, um das Bewusstma- wurf konfrontiert sehen, sie könnten ler, Elisabeth Magdlehner, Sabine chen von ähnlichen Lebenslagen und das System ungerechtfertigter Weise Piribauer, Barbara Renner, Edith um das Vermeiden von Parallelwelten. ausnützen. Von mehreren Fokus- Mansky Sadek, Maria Schwarr und gruppen-Teilnehmerinnen wurde der Astrid Strießnig. Ziel eines parti- Existenzsicherung Wunsch nach einer übergreifenden zipativen Forschungsansatzes ist, Von den vielen Themen, die disku- Zuständigkeit thematisiert. dass die Beforschten nicht nur als tiert wurden, gehen wir in diesem „Objekte der Forschung“ behandelt Text auf zwei ein. Ein wichtiges The- Eintreten für eigene Rechte werden, sondern relevanten Einfluss ma war, wie eine eigenständige Das Eintreten für die eigenen nehmen können. Im Idealfall findet Existenzsicherung ermöglicht Rechte, das Kämpfen um benötigte die Beteiligung von Betroffenen werden kann. Dies ist schwierig, Ressourcen und auch die Solidarisier- als Forscher*innen statt. Über den weil Frauen mit Behinderungen oft ung untereinander, die gegenseitige von uns gewählten Weg konnten in Bereichen arbeiten, in denen Unterstützung in vielen Angelegen- wir zumindest einen Teil der Hier- das Einkommen nicht sehr hoch heiten waren bestimmende Elemente archie zwischen Forscherinnen und ist. Außerdem ergibt sich aufgrund der Fokusgruppen. Es wurde auch Beforschten aufheben und so einen von Betreuungspflichten und/oder auffallend oft der Wunsch geäußert, fruchtbaren Austausch ermöglichen. der Tatsache, dass nicht in vollem sich öfter in einer Runde wie der Stundenausmaß oder nicht regel- Fokusgruppe austauschen zu kön- Stigmatisierung abbauen! mäßig gearbeitet werden kann, ein nen. Hier wurde deutlich, dass es Gemeinsam war den Teilnehmerinnen niedriges Erwerbseinkommen. Unter einen Mangel und gleichzeitig einen der Studie, dass mit dem Begriff anderem wurde ein Systemwechsel Bedarf nach niederschwelligen Behinderung meist eine Stigmati- vorgeschlagen, der die Kombination Angeboten des Austauschs und der sierung einhergeht, die oft mit der von Erwerbsarbeit und Transferzahl- Vernetzung gibt. Ein Mitgrund dafür Zuschreibung von anderen, negati- ungen vorsieht, damit eine eigen- ist, dass die politische Repräsentanz ven Merkmalen verbunden ist. ständige finanzielle Absicherung von Menschen mit Behinderungen Wie im gesamten Forschungspro- und eine passende Erwerbsarbeit durchgängig als unzufriedenstellend zess deutlich wurde, weisen die ermöglicht wird. Auch das niedrige erlebt wird. Teilnehmerinnen der Studie eine „Taschengeld“ (Leistungsanerken- enorme Vielfalt, sowohl in Bezug auf nung) in Werkstätten/Tageseinrich- die Art der Behinderung, aber vor tungen wurde in dem Zusammen- allem in Bezug auf Lebensrealitäten hang massiv kritisiert. Infobox und Persönlichkeiten, auf. Es gibt Frauen mit Behinderungen sind in nicht DIE Frau mit Behinderungen. Österreich in hohem Maße armuts- Veröffentlichung der Studie: Manche Teilnehmerinnen können und ausgrenzungsgefährdet. Jänner 2020 sich mit dem Begriff der Behin- www.wien.gv.at/menschen/ derung identifizieren, für manche Behördendschungel frauen/vielfalt/behinderungen/ hängt der Begriff von der Frage der In fast allen Fokusgruppen war zu- www.behindertenrat.at 17
Arbeit Chefinnen mit Behinderungen? Arbeitsmarktsituation für Frauen mit Behinderungen Von Gabriele Sprengseis W eltweit gibt es etwas Arbeitslosigkeit angekündigt, dass sie die Unter- mehr Frauen als Männer Die Erwerbsbeteiligung von Frauen stützung der beruflichen Teilhabe mit Behinderungen. Laut mit Behinderungen ist viel niedriger von Menschen mit Behinderungen Statistik Österreich (2015) sind als jene von Frauen ohne Behin- und besonders von Frauen mit es über 703.300 Frauen, die mit derungen und als jene der Männer Behinderungen verbessern möchte. einer sichtbaren oder unsichtbaren mit Behinderungen. In den letzten Neben anderen Maßnahmen soll mit Behinderung in Österreich leben. 10 Jahren hat sich die Anzahl der einer Lohnförderung ein Anreiz für Die Dunkelziffer ist allerdings weit arbeitslos vorgemerkten weiblichen Dienstgeberinnen und Dienstgeber höher. Frauen mit Behinderungen Personen und Schulungsteilneh- zur nachhaltigen Beschäftigung bilden jene gesellschaftliche Gruppe, merinnen mit gesundheitlichen von Menschen mit Behinderungen die am wenigsten sichtbar ist und Vermittlungseinschränkungen ver- gesetzt und die Arbeitslosigkeit die am meisten von Ausgrenzung doppelt: 35.150 Frauen mit gesund- gesenkt werden. Für Frauen mit und daraus resultiertend von Armut heitlichen Vermittlungseinschränk- Behinderungen wird die Inklusions- betroffen ist. ungen gab es im Jahr 2018, im Jahr förderung Plus um 25 % erhöht. 2009 waren es 16.618 (AMS August Mehrfachdiskriminierung 2019 Spezialthema). Nachhaltige Mehr Sichtbarkeit Frauen mit Behinderungen werden Maßnahmen zur Verbesserung der Frauen mit Behinderungen müssen aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Arbeitsmarktsituation von Frauen mit sich ihre ökonomische Unabhängig- Behinderung in mehrfacher Weise Behinderungen fehlen. keit erst erkämpfen. Sie müssen diskriminiert. Die benachteiligenden Durchsetzungsstärke aufbauen, die Faktoren verstärken sich, sodass Armutsgefährdung durch Vernetzung und Empowerment Frauen mit Behinderungen deutlich Die Folgen dieser Diskriminierungen entwickelt und gefördert wird. schlechter gestellt sind als Frauen sind bekannt. Frauen mit Behin- Dafür sind noch viele Initiativen ohne Behinderungen und Männer derungen verfügen über ein viel erforderlich. mit Behinderungen. Der Gefahr von geringeres Erwerbseinkommen und psychischer, physischer und sexu- sie erhalten im Falle von Arbeitslos- Bestehende Frauenprojekte müssen alisierter Gewalt sind Frauen mit igkeit viel weniger Arbeitslosen- barrierefreier werden und spezielle Behinderungen überproportional geld. Damit sind sie in hohem Maße Initiativen, wie beispielsweise die ausgesetzt. Diese Erfahrungen füh- armuts- und ausgrenzungsgefähr- Expertinnenliste von Frauen mit ren oft zu weiteren Behinderungen. det. Im Pensionsalter spitzt sich die Behinderungen für Vorträge, Po- Diese Mehrfachdiskriminierungen Situation nochmals zu. diumsdiskussionen und Interviews sind hinlänglich erforscht. Trotzdem müssen ausgeweitet werden. gibt es kaum Initiativen und Maß- Inklusionsförderung Plus nahmen, um das Leben von Frauen Nun hat Gesundheits- und Sozial- Inklusive Ausbildung mit Behinderungen zu verbessern, ministerin Brigitte Zarfl auf der Kon- Es braucht Eltern, die an die Fähig- auch nicht in der Arbeitsmarktpolitik. ferenz Frauen mit Behinderungen keiten ihrer Kinder glauben, es braucht ein inklusives Schul- und Ausbildungssystem sowie inklusive Fort- und Weiterbildungen für Men- schen mit Behinderungen. Beson- ders wichtig ist auch Persönliche Assistenz für jene Menschen, die sie brauchen, egal ob sie für die Schule, den Arbeitsplatz oder für die Freizeit AMS August 2019 Spezialthema benötigt wird. 18 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2019 Frauen und Mädchen mit Behinder- eigenen Vorstellungen verwirklichen Teilhabe möglich. Und nur dann wird ungen sind besonders zu unterstüt- können. Nur dann ist für sie eine es Chefinnen mit Behinderungen zen, damit sie ein Leben nach ihren wirtschaftliche und gesellschaftliche geben. Mobilitätslösungen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen Bereits zum 2. Mal war Baumgartner-Fahr- ten elektronischen Fahrhilfen, wie die neueste zeugbau als Aussteller auf der Vienna Auto Space Drive II Steuerung aus dem Hause Show vertreten um dort innovative Umbauten PARAVAN. und andere Mobilitätslösungen zu präsentieren. Nicht jeder Umbau ist in jedem Fahrzeug Die Pallette reichte hier von einfachen mecha- möglich. Wir beraten Sie gerne, bei Bedarf Anzeige nischen Umbauten, bis hin zu hochentwickel- auch bei Ihrem gewünschten Autohändler! www.paravan-partner.at Anzeige Anzeige Anzeige www.behindertenrat.at 19
Familie "Meine Mama sitzt im Rollstuhl." Vom Leben einer Mutter mit Behinderungen Von Barbara Sima-Ruml herausforderndsten Jahre meines Lebens bezeichnen. Inzwischen habe ich schon zwei kleine Racker und natürlich fällt einem beim zweiten Kind alles leichter, nicht nur, weil das erste Kind schon vieles weiß und auch, ehrlich gesagt, das eine oder andere Mal mithilft, sondern weil ich selbst viel gelasse- ner bin. Das eine Mal, als mir meine Tochter fast auf die Straße gelaufen wäre, hat mich geprägt und gleich- zeitig mein Vertrauen in die Welt gefestigt. Nicht immer passiert das Schlimmstmögliche. Sie fragen sich vielleicht, wie der Alltag einer Mutter mit Rollstuhl funktioniert. Viele Eltern mit Behin- derungen würden nun ganz laut auf- schreien: „Bei uns ist alles gleich, wie bei Eltern ohne Behinderung!“ 2018 zierte dieses Foto des Cover das VALID-Magazins. Foto: Tanja Stolz / Lieblingsbild Aber – zumindest bei mir – stimmt das nicht. Mein Mann arbeitet F ür meine zweieinhalb jährige zurück. Am Schoß dreht sie sich um täglich sehr lange, ich nur bis zum Tochter dauert es schon zu und umarmt mich fest. Ich erkläre frühen Nachmittag. Daher kümmere lange. Die Dame hinter der ihr, dass sie das nie mehr tun darf ich mich nachmittags mit einer Bäckertheke hat unverschämt zwei und von diesem Zeitpunkt an, läuft Assistentin um die Kinder. Bevor ich andere Kunden einfach vorgezogen sie mir auch nie wieder weg. Aber, sie aus der Kinderbetreuung hole, und ich war zu feige, mich darüber es hätte auch alles anders kommen machen meine Assistentin und ich zu beschweren. können. noch notwendige Haushaltsarbei- ten. Gemeinsam gehen wir dann Endlich sind wir dran, bezahlen Ich bin Mutter. Ich nutze einen die Kinder holen und wenn dann unsere Semmeln und ab nach Hause. Rollstuhl. Ich war aber schon ganz eines der beiden Kinder lieber an Aber nur kurze Zeit später sitzt mein Vieles in meinem Leben. Ich war der Hand der Assistentin gehen will Mädchen bockig am Gehsteig und einmal Spitzensportlerin und eine und nicht neben mir, dann schmerzt rührt sich nicht. Ich versuche sie von Österreichs ersten Models mit mein Mutterherz. Aber sie dürfen verzweifelt hochzuheben. Da steht Rollstuhl. Ich moderierte Reise- das, denn die Assistentinnen sind meine Tochter auf und beginnt zu sendungen, deren Hauptthema es Teil unseres Alltags. laufen. Ich versuche sie festzu- war, ohne Infos spontan in eine Assistentinnen zu haben ist aber halten, habe aber keine Chance. fremde Stadt zu fahren. Man könnte auch viel Arbeit für mich, Vorstel- Ich schreie mit aller Kraft: „Stooo- sagen, ich habe vieles schon er- und lungsgespräche führen, Dienstpläne opp!!!“ – sie bleibt stehen, sieht das überlebt. Aber meine ersten Jahre erstellen, Personalverrechnung noch etwas entfernte Auto, erschrickt als Mutter mit Behinderungen kann machen, Förderungen abrechnen. fürchterlich und kommt sofort zu mir ich mit gutem Gewissen als die 20 www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2019 Belastend empfinde ich meine Rolle Mama ist also ein fragiles Konstrukt. Barbara Sima-Ruml als arbeitende Mutter nur dann, Fällt nur ein kleiner Baustein weg, wenn die Kinder mal wieder einen bricht Chaos aus. Dann müssen wir Als Barbara Sima-Ruml 2011 ihr Virus mit nach Hause schleppen auf Sparflamme den Tag überstehen, Architekturstudium abschloss, und ich nächtelang wegen ihrer es gibt haufenweise Kuscheleinheiten steckte sie schon bis über die Krankheit keinen Schlaf bekomme. statt Spielplatz und auch mal nur Rolli-Räder in der Materie des Üblicherweise endet das mit einer Marmeladenbrot anstatt eines Barrierefreien Bauens. eigenen Ansteckung, denn auch kunstvoll gestalteten Obsttellers zur Heute arbeitet sie als Sach- meine Gesundheit ist wegen mei- Jause. Auch das gehört zu einem verständige, unterrichtet an ner Behinderung einfach schneller Leben mit einer Mama im Rollstuhl Hochschulen, hält Vorträge über aus der Balance zu bringen. Dann dazu. Barrierefreiheit, Inklusion und ihr braucht es die Hilfe von den fleißi- Leben als behinderte Mutter. gen Omas, sowie von Freundinnen Hm. Vielleicht ist es ja doch nicht so facebook.com/barbara.a.sima und Nachbarinnen. Mein Alltag als anders, wie in anderen Familien? Unbehindert Mutter sein! Von Eringard Kaufmann E in Symposium der Europata- Das Recht auf Familie und Mutter- Geburt sind für Frauen mit Behinde- gung des ifsw (International schaft wurde auch auf der Konfer- rungen schwer zu finden. Federation of Social Workers) enz Frauen mit Behinderungen widmete sich am 10. September in des Behindertenrates im Rahmen Frauen mit Behinderungen wissen Wien dem Thema Elternschaft mit eines Thementisches aufgenommen. sehr genau, welche Unterstützung Behinderungen. Es ist bekannt, dass Frauen und Mütter mit Behinderun- sie als Mütter benötigen. Da geht Eltern mit Behinderungen besonders gen brachten ihre Erfahrungen ein. es um ausreichende Versorgung mit oft von Fremdunterbringungen ihrer Monika Schmerold und Eringard Hilfsmitteln, alltägliche Unterstüt- Kinder betroffen sind. Das Netzwerk Kaufmann (knack:punkt - Selbstbe- zung und bedarfsgerechte Assistenz Selbstbestimmte Elternschaft fordert stimmt Leben Salzburg) luden zum auch für Mütter mit psychosozialen diese unbefriedigenden Situationen Austausch ein. Beeinträchtigungen. Angebote zu beseitigen und die Rechte der durch Institutionen und Einrich- Behindertenrechtskonvention zu Vom fehlenden Zutrauen, Mutter tungen, die Mütter im Bedarfsfall garantieren. sein zu können, wissen Frauen und unterstützen, ehe es Probleme gibt, Mütter mit Behinderungen mehr als sind noch immer die Ausnahme. Dazu sind die Rechte des Art. 23 der nur eine beklemmende Geschich- Barrierefreiheit von Kindergärten Behindertenrechtskonvention im te zu berichten. Eine Mutter mit oder Schulen sind eine weitere wich- neuen Nationalen Aktionsplan Be- einer Gehbeeinträchtigung hörte tige Voraussetzung für eine diskrimi- hinderung 2021-2030 abzusichern. beipsielsweise schon als kleines nierungsfreie Elternschaft. Hilfesysteme sind unter Einbezie- Mädchen immer wieder „Du kannst hung der Interessenvertretungen eh keine Kinder bekommen“. Die Das Ziel muss sein, ein Bewusstsein der Menschen mit Behinderungen Anerkennung als vollwertige Frau für die Rechte der Frauen mit Behin- zu entwickeln und österreichweit wird Frauen mit Behinderungen oft derungen und ihre Rolle als Mütter umzusetzen. So erhalten Eltern mit vorenthalten. Diese Diskriminierun- zu schaffen. So kann die UN-BRK Behinderungen individuell ange- gen setzen sich in der medizinischen übergreifend in der Kinder- & Ju- passte Angebote. Fachleute werden Betreuung und professionellen gendhilfe und der Behindertenhilfe geschult und das gesellschaftliche Begleitung fort. Gute Beratung und umgesetzt werden. Bild wandelt sich. Begleitung zu Schwangerschaft und www.behindertenrat.at 21
Persönliche Assistenz Ausgabe 4/2019 „Frau sein“ - selbstbestimmt leben Persönliche Assistenz: Grundlage für Gleichstellung Von Michaela Mallinger Persönlicher Assistenz ihr Familienleben gestalten. Für junge Frauen ist Persönliche Assistenz für die Schule und Ausbildung besonders wichtig. Sie erleichtert den Einstieg ins Berufsleben. Situation in Österreich Der Zugang zu Persönlicher Assistenz ist nur für Schule, Ausbildung und Arbeit bundesweit einheitlich geregelt. In den Lebensbereichen außerhalb der Arbeit entscheidet der Wohnort darüber, ob Frau oder Mann Persönliche Assistenz in Anspruch nehmen kann. „Die Gleichstellung von Frauen mit Behinderungen ist wichtig und darf nicht Katharina Praniess arbeitet unterstützt durch PA Foto: WAG infrage gestellt werden. Sie braucht noch mehr Aufmerk- samkeit und diverse Maßnahmen zur Umsetzung. Eine F rauen mit Behinderungen leben unterschiedliche davon ist mit Sicherheit die bedarfsgerechte, bundesweit Lebensrealitäten und Rollen. Sie sind Partnerin, einheitliche Finanzierung von Persönlicher Assistenz Mutter, Karrierefrau und vieles mehr. Persönliche unabhängig von Alter, Behinderung, Einkommen oder Assistenz ermöglicht Frauen, selbstbestimmt in der Vermögen“, fordert Jasna Puskaric. Gesellschaft zu handeln und selbst zu entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten. Von Leistungsempfängerin zu Steuerzahlerin „Das Tollste an Persönlicher Assistenz ist, dass ich arbei- Unabhängigkeit ten kann“, stellt Katharina Praniess kurz und prägnant „Gerade für Frauen mit Behinderungen bedeutet Per- fest. Sie arbeitet als Beraterin in der WAG - Assistenz- sönliche Assistenz einen wichtigen Schritt in Richtung genossenschaft. Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz Unabhängigkeit“, erklärt Jasna Puskaric, geschäfts- ist für Katharina Praniess unverzichtbar und ganz und führende Vorständin der WAG – Assistenzgenossen- gar nicht ungewöhnlich. Sie ist mit Persönlicher Assis- schaft. PA macht es möglich, selbst zu entscheiden, wer, tenz in der Schule groß geworden. Die junge Beraterin wann, wo, wie unterstützt. „Aufstehen wann ich will“ wollte immer mit Menschen arbeiten und diese unter- oder „Leben in meiner Wohnung, wie ich es für richtig stützen. Sie hat das Psychologiestudium abgeschlossen. halte“ werden damit Realität. Jetzt begleitet sie Kund*innen vom Erstgespräch bis hin zur Antragstellung und darüber hinaus. Die Persönlichen Frauen und Persönliche Assistenz Assistent*innen begleiten Katharina Praniess am Arbeits- In der WAG – Assistenzgenossenschaft werden in etwa weg, übernehmen das Tippen oder unterstützen sie in gleich viele Frauen wie Männer beraten. Allerdings neh- den Pausen beim Essen oder am WC. Damit hat sie die men viel mehr Männer Persönliche Assistenz am Arbeits- Möglichkeit, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. platz in Anspruch. „Werden Frauen nicht nur aufgrund ihrer Behinderung benachteiligt, sondern auch aufgrund ihres Frau-Seins?“ fragt sich Jasna Puskaric. WAG – Assistenzgenossenschaft Wenn Frauen mit Behinderungen ihren Alltag mit Die WAG - Assistenzgenossenschaft unterstützt Persönlicher Assistenz organisieren können, sind sie Menschen mit Behinderungen bei der Organisation trotz Hilfebedarf nicht vom Partner*in oder der Familie von Persönlicher Assistenz, arbeitet nach den Selbst- abhängig. Die Erfahrung, das eigene Leben selbst in der bestimmt Leben-Prinzipien und somit nach der Peer Hand zu haben, öffnet neue Türen. Dazu zählt neben Counseling-Methode. Arbeit oder Freizeitgestaltung auch die Mutterschaft. www.wag.or.at Es gibt einige Kund*innen, die Kinder haben und mit 22 www.behindertenrat.at
Unsichtbare Behinderungen Ausgabe 4/2019 Leben mit chronischer Erkrankung Behinderung(en) nicht in der Form, wie es oft angenommen wird. Von Michaela Joch L ebt man mit einer unsicht- Rollstuhl aufzustehen und viel- baren Behinderung, hat man leicht ein paar Stufen zwecks der quasi als Pauschalangebot BarriereUNfreiheit dieser Welt zu den Zweifel und die ungefragte bewältigen (atemloses Starren), Expertise Außenstehender gleich dann ist die Verwirrung perfekt. mitgebucht. Es scheint verboten zu sein, als Mensch mit einer chro- Dieses Spannungsfeld ist also nischen Erkrankung Spaß zu haben, bestenfalls erschwert zu bestrei- sich körperlich zu betätigen, schick ten – wenn nicht gar unmöglich. angezogen oder vom täglichen Durchaus ernste Konsequenzen Kurzurlaub in Balkonien etwas ergeben sich u.a. wenn man keine braun geworden zu sein. Man Arbeitsplatzanpassungen be- sollte am besten Trübsal und Misere kommt, seinen Job verliert oder aus jeder Pore ausdünsten, Nicht jede Behinderung ist sichtbar! man für eine Invaliditäts- oder um den Anforderungen an den Berufsunfähigkeitspension ab- Krankheits-Look gerecht zu gelehnt wird, weil einem nicht werden. Sonst gibt es den „Du siehst ja gar nicht krank geglaubt wird. Dies betrifft aber nicht nur das Arbeitsleben, aus!“-Blick, der sich bis zu verbalen Äußerungen oder tät- sondern auch die medizinische Versorgung. Sehe ich krank lichen Angriffen steigern kann, wenn man vermeintlicher genug aus, um ernst genommen zu werden? Bekomme ich Weise dabei erwischt wird, sich ach so ungerechtfertigte die Untersuchungen und Medikamente, die ich brauche? Vorteile (die eigentlich als Nachteilsausgleiche zu verste- Was ist mit Fehldiagnosen? Traue ich mich trotz der Blicke hen sind, aber das nur am Rande) zu verschaffen. Und wie und der Gefahr, dass ich meine Glaubhaftigkeit verliere, viele Hilfssheriffs es da plötzlich gibt! die Hilfsmittel in der Art zu nutzen, wie es für mich in der jeweiligen Situation am besten ist? Gleichzeitig darf man sich als kranker Mensch nicht gehen lassen. Man sollte Spaß haben („Lachen ist die beste Es braucht dringend ein Umdenken, wenn es um unsicht- Medizin!“), sich körperlich betätigen („Wer rastet, der bare Behinderungen geht. Sicher gibt es Menschen, die rostet!") und täglich in die Sonne gehen (zwecks dem Krankheiten und/oder Behinderungen aus unterschied- Vitamin D). Keinesfalls darf man trübsinnig sein oder lichsten Gründen nur vortäuschen. Aber es gibt auch sich miserabel fühlen („Deine Einstellung ist schuld, dass Bankräuber*innen. Und nur weil das so ist, werfe ich nicht es dir so schlecht geht!“). Etwas verwahrlost und offen- jeder Person, die einen Geldschein in der Hand hält vor, sichtlich krank auszusehen, sollte bestenfalls vermieden eine Bank ausgeraubt zu haben (oder bombardiere sie mit werden, denn sonst wird man schnell in die Ecke der Auf- Investmenttipps). Ohne dieses Umdenken kann Inklusion merksamkeits- und/oder Mitleidssucher*innen gesteckt. nicht funktionieren. Damit entfällt jegliche überbordende Sympathie und einem wird das Münchhausen-Syndrom attestiert. Oder die Michaela Joch Krankheit wird als psychosomatisch („Deine Einstellung!“) und damit als nicht existent eingeschätzt, was ja in sich Doktorandin der WU Wien Fachbereich Diversitäts- schon ein grober Fehlschluss ist. Bei so vielen Gesund- management / myAbility Beraterin heitsexpert*innen fragt man sich doch, wie es überhaupt zu einem Mangel an ärztlichem Personal kommen kann. Sie lebt mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom und setzt sich u.a. im Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen für Nutzt man dann noch unterschiedlichste Hilfsmittel in die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein. unterschiedlicher Intensität und Reihenfolge zu unter- schiedlichen Tageszeiten oder wagt es gar, aus dem www.behindertenrat.at 23
Medizinische Versorgung ‚Hysterische Frauen‘ beim Arzt Geschlechter-Diagnostik und Therapie Von Cornelia Dechant I m September dieses Jahres fand das erste Mal eine Konferenz über das Thema „Frauen mit Behinderungen“ statt, veranstaltet wurde diese vom Österreichischen Behindertenrat. Warum ist so eine Konferenz notwendig? Weil gerade Frauen mit Behinderungen in der Ge- sellschaft oft nicht als eigenständige Persönlichkeit, ebenbürtige Partner- innen oder als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft betrachtet werden. Nicht nur, dass schon durch das weibliche Geschlecht eine andere Beurteilung stattfindet, entsteht meist durch die bestehende Behin- derung noch ein zusätzlicher Faktor, der die Betroffenen dazu verurteilt, Foto: Bruno Glätsch / Pixabay zuerst die Vorurteile des Gegenübers abbauen zu müssen, bevor über- medizin zeigte sich allerdings, dass Symptomatik präsentierten. Frauen haupt ein ernsthaftes Gespräch auf Frauen z.B. manche Medikamente haben im Gegensatz zu den, von Augenhöhe geführt werden kann. Es langsamer abbauen als Männer Männern meist geäußerten, geht hier keinesfalls um eine Opfer- oder dass gewisse Medikamente bei typischen Schmerzen in der linken rolle, sondern um wissenschaftlich Männern und Frauen unterschied- Brust mit Ausstrahlung in den linken nachgewiesene Ungleichheiten, die lich wirken. So wurde z.B. in den Arm, eher ein Ziehen in den Hals unter anderem durch solche Konfe- 90ern das Medikament Digitalis oder eine vegetative Symptomatik als renzen sichtbar gemacht werden. allen Patienten mit Herzinsuffizienz Leitsymptom. Erst als man lernte, verordnet, da sich in den Studien dass solche Beschwerden bei Frauen Gendermedizin eine positive Wirkung zeigte. Nach- eben eher typisch sind, zeigte sich Auch in der Medizin hat man im dem man Anfang der 2000er Jahre eine Besserung der kardiologischen letzten Jahrzehnt angefangen, sich allerdings diese Studie nochmal nach Versorgung von Frauen. die Ungleichheiten der Geschlechter Geschlechtern getrennt auswertete, bei Diagnostik und Therapie näher zeigte sich ein deutlicher Nachteil, Psychische Ursachen? anzusehen. Dadurch, dass Medika- für Frauen sogar eine erhöhte Leider werden Beschwerden von mententests meist mit männlichen Sterblichkeit. Frauen häufig leichter auf psychische Mäusen durchgeführt wurden und Ursachen geschoben als bei Männern. erst seit einigen Jahren auf eine Unterschiedliche Symptome Die Ursachen hierfür sind sicherlich ausgewogene Aufteilung zwischen Männer und Frauen unterscheiden mannigfaltig, hängen aber auch mit Männern und Frauen bei medizini- sich auch oft in der Art der Be- dem Bild der schwachen, hysteri- schen Studien geachtet wird, war schwerden. Auch hierfür gibt es schen Frau zusammen, dass sich die Medizin der letzten Jahrzehnte viele Beispiele. In der Kardiologie früher in der Gesellschaft etabliert eigentlich für die Bedürfnisse eines wurden früher häufig Herzinfarkte hat und sich nur langsam, jedoch durchschnittlichen Mannes gemacht. bei Frauen zu spät erkannt, da sie stetig, in den letzten Jahren ändert. Durch die Entstehung der Gender- sich nicht mit der typischen 24 www.behindertenrat.at
Sie können auch lesen