Frauen mit Behinderungen - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat

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Frauen mit Behinderungen - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Die Zeitschrift
monat
  Ausgabe 4/2019

Frauen mit
Behinderungen

    behindertenrat • www.behindertenrat.at • Aboservice Tel.: (01) 513 1 533 • Abo: 24,00 Euro/Ausland + Porto
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Frauen mit Behinderungen - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Foto: Newald
editorial
            Liebe Leserinnen und Leser!

            I
                n meiner Kolumne „Das fehlt“ in der Ausgabe 1/2018 war zu lesen,
                dass Frauen mit Behinderungen in der Öffentlichkeit weitgehend
                unsichtbar und ungehört sind. Sie haben noch immer nicht die
            gleichen Möglichkeiten und Chancen am sozialen, wirtschaftlichen und
            politischen Leben teilzuhaben.

            Obwohl Österreich sowohl die Frauenrechtskonvention im Jahr 1982
            als auch die Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 ratifiziert hat,
            passiert viel zu wenig. Bei frauenpolitischen Maßnahmen fehlen noch
            immer barrierefreie Angebote und in behindertenpolitischen Organisa-
            tionen fehlt es an Frauenförderungen. Lediglich rund 30 % Frauen sind
            bei unseren Mitgliedsorganisationen Präsidentinnen, Vorstandsvorsit-
            zende oder Geschäftsführerinnen.
            Letztes Jahr haben wir das Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen
            gegründet. Vernetzung und Empowerment sind wesentlich, damit die
            Anliegen von Frauen mit Behinderungen vorangebracht werden kön-
            nen. Das Kompetenzteam hat die erfolgreiche Konferenz: Frauen mit
            Behinderungen mitgetragen und auch maßgeblich diese Ausgabe von
            monat gestaltet. Vielen herzlichen Dank!
            Neben einer ausführlichen Rückschau auf unsere Konferenz (Seiten
            6-14) sind viele spannende Beiträge, beispielsweise über das Leben
            einer Mutter mit Behinderungen (Seite 20), zu Gendermedizin (Seite
            24), über Behinderung als Fetisch (Seite 26) und den Widerstand von
            Organisationen bei der Einführung von Frauenquoten (Seite 28) zu
            lesen. Alle Beiträge in dieser Ausgabe wurden von Frauen verfasst, der
            überwiegende Großteil von Frauen mit Behinderungen.

            Jede Frau und jedes Mädchen mit Behinderungen hat ein Recht auf ein
            selbstbestimmtes Leben. Dafür müssen wir uns jeden Tag einsetzen. 

                                       In diesem Sinn viel Lesevergnügen wünscht
                                                               Gabriele Sprengseis

                                                                  www.behindertenrat.at   3
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Aus dem Inhalt                                                                                                           Ausgabe 4/2019

Editorial                            3

Nachbericht zur Konferenz: Frauen
mit Behinderungen                 6

Gemeinsam Stark!                     15

Qualitative Studie mit und über
Frauen mit Behinderungen/Wien 16

Chefinnen mit Behinderungen?         18

"Meine Mama sitzt im Rollstuhl" 20

'Hysterische Frauen' beim Arzt       24

"Frauenquote? Unmöglich!"            28

Buchrezensionen                      32

                                                                  Foto: BKA / Andy Wenzel                    Foto: Wolfgang Eckert / Pixabay

                                          D                                                 A
 Liebe Leserin, lieber Leser!                   ie Konferenz Frauen mit Behin-                    m Arbeitsmarkt haben es
 Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim              derungen war ein voller Erfolg.                   Frauen mit Behinderungen
 Lesen des neuen Heftes und freuen              Es muss über über das Thema                       besonders schwer. Gabriele
 uns über Ihre Rückmeldung an:            Frauen mit Behinderungen gespro-                  Sprengseis zeigt die Probleme auf
 presse@behindertenrat.at                 chen werden, meinten Bundeskanz-                  und fordert Empowerment und

 monat
                                          lerin Brigitte Bierlein und 'First Lady'          spezielle Unterstützungsangebote.
                                          Doris Schmidauer unisono.

     Gefördert aus den Mitteln des                               Seiten 6 bis 13                                            Seiten 18
     Sozialministeriums

IMPRESSUM: Medieninhaber: Österreichischer Behindertenrat · Herausgeber: Herbert Pichler · Redaktion:
Gabriele Sprengseis (gs) - Heidemarie Egger (he) · Adresse: 1100 Wien, Favoritenstraße 111/11, Tel.: 01 513
1533, Mail: presse@behindertenrat.at · Website: www.behindertenrat.at · Offenlegung nach dem Mediengesetz:
www.behindertenrat.at/impressum · Gestaltung, Anzeigenverkauf, Layout und Druck: Die Medienmacher GmbH ·
8151 Hitzendorf · Filiale: 4800 Attnang-Puchhheim, 07674 62 900, www.diemedienmacher.co.at · Cover: Nina Klein ·
Nachdruck nur nach ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung der Redaktion gestattet. · Nicht alle Artikel entsprechen
unbedingt der Meinung der Redaktion. Wir haben das Ziel, eine möglichst breite Diskussionsbasis für behindertenpolitische
Themen und Standpunkte zu schaffen und die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen. · Bankverbindung:
easybank, IBAN: AT85 1420 0200 1093 0600, BIC: EASYATW1 DVR 08 67594 · ZVR-Zahl: 413797266 · Erscheinungsort Wien.

                                                                                                   www.behindertenrat.at                 5
Frauen mit Behinderungen - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Konferenz

Komptenzteam Frauen mit Behinderungen mit Bierlein, Schmidauer, Zarfl, Stilling, Langensiepen      Alle Fotos: Janousek/Maislinger

Unübersehbar! Laut! Solidarisch!
Konferenz: Frauen mit Behinderungen				                                                           Von Heidemarie Egger

D
     er Österreichische Behindertenrat veranstaltete am        als Querschnittsthema diskutiert werden muss. Gabriele
     12. und 13. September 2019 in Wien eine Konfe-            Sprengseis, Geschäftsführerin des Österreichischen
     renz zum Thema Frauen mit Behinderungen. Die              Behindertenrates: „Wir wollen Frauen mit Behinderun-
Konferenz hatte das Ziel, das Thema Frauen mit Behin-          gen Mut machen, ihnen eine Stimme geben und ihre
derungen als wichtigen Aspekt der Interessenvertretung         Forderungen unterstützen.“ Herbert Pichler, Präsident
von Menschen mit Behinderungen zu positionieren.               des Österreichischen Behindertenrates, dazu: „Es ist uns
                                                               ein Anliegen, Frauen mit Behinderungen als wichtigen
Die Lebensrealitäten von Frauen mit Behinderungen              Teil der Interessenvertretung zu positionieren. Nur dann
werden in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch im-        erreichen wir, dass sich in den Köpfen der Öffentlichkeit
mer ignoriert. Die Unsichtbarkeit von Frauen mit Behin-        nachhaltig etwas ändert.“
derungen bringt massive Benachteiligungen mit sich.
Ausgrenzung und Armut sind die Folgen.                         Persönlichkeiten aus Politik und von Interessenvertre-
                                                               tungen nahmen an der Konferenz teil. Bundeskanzlerin
Gespräche zeigen, dass Frauen und Mädchen mit Behin-           Brigitte Bierlein, Frauenfürsprecherin und ‚First Lady‘
derungen die gleichen Wünsche und Forderungen ha-              Doris Schmidauer, BM für Arbeit, Soziales, Gesundheit
ben, wie Frauen und Mädchen ohne Behinderungen. Der            und Konsumentenschutz Brigitte Zarfl, BM für Frauen,
Weg zur Erfüllung dieser Wünsche und Forderungen ist           Familien und Jugend Ines Stilling sowie ÖGB-Vizepräsi-
jedoch noch schwieriger. Sie wollen Gleichberechtigung,        dentin und Gastgeberin Korinna Schumann eröffneten
Selbstbestimmung, eine Ausbildung, einen guten Beruf,          die Konferenz. Katrin Langensiepen, die erste Frau mit
barrierefreie Gesundheitsversorgung oder auch ein erfül-       einer sichtbaren Behinderung im Europäischen Par-
lendes Liebesleben. Ein gewaltfreies Leben sollte selbst-      lament, hielt den Eröffnungsvortrag. "Bildet Banden,
verständlich sein. Der Gefahr von psychischer, physischer      vernetzt euch und werdet sichtbar!" fordert sie die Teil-
und sexualisierter Gewalt und Missbrauch sind Frauen mit       nehmer*innen der Konferenz auf.
Behinderungen jedoch überproportional ausgesetzt.
                                                                 Dokumentation der Konferenz
Auf Initiative des Kompetenzteams Frauen mit Behinde-            www.frauenmitbehinderungen.at
rungen wurde die Konferenzidee geboren. Die Konferenz            Fotos, Videos, Präsentationen, Graphic Recording, uvm.
hat gezeigt, dass das Thema Frauen mit Behinderungen

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Ausgabe 4/2019

                                                          „Bei Frauen mit Behinderungen multiplizieren sich die
                                                          Diskriminierungsformen – sie sind nicht ‚nur‘ mit jenen
                                                          konfrontiert, mit denen Frauen gemeinhin konfrontiert
                                                          sind, sondern darüber hinaus auch noch mit jenen, die
                                                          Menschen mit Behinderungen nach wie vor entgegnet
                                                          werden. Um die gezielte Förderung und Unterstützung
                                                          von Frauen mit Behinderungen weiter auszubauen,
                                                          werden wir die Inklusionsförderung für Frauen mit
                                                          Behinderungen erhöhen. Die Inklusionsförderung Plus,
                                                          die derzeit Unternehmen bekommen, die nicht der
                                                          Einstellungspflicht unterliegen, soll dann auch einstel-
                                                          lungspflichtigen Unternehmen gebühren, wenn sie
                                                          Frauen mit Behinderungen beschäftigen.“

Brigitte Zarfl kündigt Inklusionsförderung Plus an.

                                                          „Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen
                                                          wird viel zu wenig thematisiert und ist oftmals sogar
                                                          tabuisiert. Mädchen mit Beeinträchtigungen erfahren
                                                          zwei- bis dreimal häufiger sexuellen Missbrauch als
                                                          Mädchen ohne Beeinträchtigungen und das setzt sich im
                                                          Erwachsenenalter oft fort. Diesen schrecklichen Kreislauf
                                                          müssen wir so früh als möglich durchbrechen und alles
                                                          dafür tun, diese Frauen in einem selbstbestimmten und
                                                          gewaltfreien Leben zu unterstützen. Ganz aktuell ist es
                                                          gelungen, das Beratungsangebot für Frauen, die von
                                                          sexueller Gewalt betroffen sind, auszubauen und zusätz-
                                                          lich in den Bundesländern Burgenland, Kärnten und
                                                          Vorarlberg Beratungen für betroffene Mädchen und
                                                          Frauen anzubieten.“
Ines Stilling will Gewaltpräventionsmaßnahmen ausbauen.

                                                          „Als einzige Frau mit sichtbarer Behinderung im Europäi-
                                                          schen Parlament stehe ich mit meiner Stimme für die
                                                          Anliegen aller Frauen mit Behinderung. Die UN-Behin-
                                                          dertenrechtskonvention, die in Deutschland vor 10 und
                                                          in Österreich schon vor 11 Jahren unterzeichnet wurde,
                                                          muss endlich umgesetzt werden. Im Parlament werde ich
                                                          dafür kämpfen, dass Teilhabe in allen Bereichen mitge-
                                                          dacht wird, sei es im Bereich Verkehr, Tourismus oder in
                                                          der Arbeitswelt. Frauen mit Behinderung müssen sicht-
                                                          barer werden – in den Parlamenten, Schulen und Hoch-
                                                          schulen, den Unternehmen, den Medien. Sie müssen
                                                          einfach selbstverständlich werden.“

Katrin Langensiepen fordert die Umsetzung der UN-BRK.

                                                                                      www.behindertenrat.at          7
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Konferenz

                                                           Frauen mit Behinderungen sind bei Sitzungen und Be-
                                                           sprechungen meist in der Unterzahl, bei Presse-
                                                           konferenzen reden überwiegend Männer, bei einschlä-
                                                           gigen Tagungen sind primär Männer auf den Podien ver-
                                                           treten und diskutieren die Anliegen von Menschen mit
                                                           Behinderungen. Fraueninteressen gehen dadurch unter
                                                           und werden nicht diskutiert.

                                                           Gabriele Sprengseis und Heidemarie Egger fordern einen
                                                           Brückenschlag zwischen Frauenorganisationen, feminis-
                                                           tischem Engagement und Behindertenorganisationen.
                                                           Um die Sichtbarkeit von Frauen mit Behinderungen zu
Egger/Sprengseis: "Jede Frau mit Behinderungen hat das     erhöhen, braucht es Empowerment und Vernetzung. Nur
Recht auf ein selbstbestimmtes Leben!"                     dann kann Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen und
                                                           gesellschaftlichen Leben in vollem Ausmaß gelingen.
Müssen wir darüber überhaupt sprechen?
Im ersten Impulsreferat nach den Eröffnungsreden er-       Genderpolitische Perspektive
läuterten Gabriele Sprengseis und Heidemarie Egger die     Nach einer Pause ging die Konferenz weiter mit einer
Lage von Frauen mit Behinderungen in Österreich.           Podiumsdiskussion zur Frage, warum eine genderpoliti-
Vor drei Jahren wurde Gabriele Sprengseis Geschäfts-       sche Perspektive für Organisationen im Themenfeld
führerin des Österreichischen Behindertenrates. Sie        Behinderung relevant ist. Am Podium diskutierten die
gehört zur Gruppe von Frauen mit unsichtbaren Behin-       Vertreter*innen von Organisationen zum Thema Behin-
derungen. Heidemarie Egger arbeitet seit eineinhalb        derung: Victoria Doppler (Ability Managerin Caritas),
Jahren im Behindertenrat, sie lebt mit einer chronischen   Bernadette Feuerstein (SLIÖ), Helene Jarmer (ÖGLB),
Erkrankung. Die eigenen Erfahrungen und Beobachtun-        Herbert Pichler (Behindertenrat) und Christine Steger
gen als Frauen mit Behinderungen in der Interessenver-     (Monitoringausschuss). Ergänzt wurde das Podium von
tretung für Menschen mit Behinderungen sind einer der      wissenschaftlicher Seite durch Sabine Mandl (Ludwig
Ausgangspunkte für die Aktivitäten des Österreichischen    Boltzmann Institut) und von internationaler Seite durch
Behindertenrates zu diesem Thema.                          Katrin Langensiepen (Europäischen Parlament).

Ja, wir müssen über Frauen mit Behinderungen sprechen!

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Frauen mit Behinderungen - monat Die Zeitschrift - Österreichischer Behindertenrat
Ausgabe 4/2019

Das Thema Frauen mit Behinderungen ist für die Organi-
sationen im Themenfeld Behinderungen wichtig, darüber
herrschte Einigkeit. Der Diskurs dazu steht jedoch erst am
Anfang. Besonders drängend wurden die Themen:
fehlende Sichtbarkeit, Gewalt gegen Frauen mit Behin-
derungen und konkrete Forderungen und Schritte der
Interessenvertretung von Frauen mit Behinderungen
gesehen. Die Konferenz ist dafür ein längst überfälliger
Startschuss.

                                                             Andrea Schmon stellt Fördermaßnahmen vor.

                                                             Miteinander diskutierten Elisabeth Löffler (Lebens- und
                                                             Sexualberaterin, Performance-Künstlerin, Selbstbestimmt
                                                             Leben Bewegung, Queer-Feministische Bewegung),
                                                             Andrea Schmon (Sozialministeriumservice Wien), Andrea
                                                             Strutzmann (Frauenhetz), Michael Svoboda (KOBV) und
                                                             Manuela Vollmann (abz* austria). Die zugrundeliegende
                                                             Diskussionsfrage war, was man voneinander lernen könne.
                                                             Der Wissens- und Aktivitätsstand zum Thema Frauen mit
Elisabeth Udl und Isabell Naronnig über Gewalt               Behinderungen ist in den jeweiligen Organisationen sehr
                                                             unterschiedlich. Der Austausch im Rahmen der Konfe-
Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen                        renz wurde daher begrüßt. Das Thema Arbeit wurde in
Eine besonders starke Resonanz unmittelbar auf der           den Fokus der Diskussion genommen und festgestellt,
Konferenz und auch auf den Feedbackbögen/E-Mails der         dass es besonders für Frauen mit Behinderungen finanzi-
Teilnehmer*innen erhielt der Vortrag am ersten Konfe-        elle und institutionelle Unterstützung braucht. Die
renztag von Isabell Naronnig und Elisabeth Udl und die       vertretenen Organisationen erkannten in der Diskussion,
Session am zweiten Konferenztag von Elisabeth Udl zur        dass sie, ihren jeweiligen Möglichkeiten entsprechend,
Arbeit von Ninlil/Kraftwerk.                                 zu ökonomischer Selbstbestimmung von Frauen mit
                                                             Behinderungen beitragen können und waren motiviert,
Frauen mit Behinderungen sind um ein Vielfaches öfter        dies zukünftig umzusetzen.
von Gewalt betroffen als Frauen ohne Behinderungen.
Elisabeth Udl und Isabell Naronnig gaben einen Einblick
in die Arbeit des Vereins Ninlil/Kraftwerk. Mittels anony-
misierter Fallbeispiele wurden Strategien für Prävention
von und den Umgang mit den vielfältigen Formen von
Gewalt aufgezeigt. Diese Form der Aufbereitung ermög-
lichte es den Teilnehmer*innen eigene Erfahrungen zu
reflektieren und teilweise auch in neue Kontexte zu set-
zen. Ein geschärftes Bewusstsein für die unterschiedli-
chen Formen von Gewalt wurde bei den Teilnehmer*innen
geschaffen.

Voneinander lernen
In der zweiten Diskussionsrunde trafen Vertreter*innen
von Organisationen im Behindertenbereich, arbeits-
marktpolitische Organisationen und genderpolitisch-
aktive Organisationen aufeinander.                           Gabriele Sprengseis moderierte die Diskussionen.

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Konferenz

                                                           Jasna Puskaric fordert bedarfsgerechte Persönliche Assistenz.

Julia Moser fordert Frauen mit Behinderungen auf,
sich sichtbar zu machen.

Expertinnen in eigener Sache
Der Programmgestaltung der Konferenz lag von Anfang
an der Wunsch zugrunde, dass möglichst viele Frauen
mit Behinderungen von ihren ganz unterschiedlichen         Miriam Labus interviewt die Expertinnen.
Lebensrealitäten berichten. Die Verknüpfung von Exper-
tinnenwissen zum Thema Frauen mit Behinderungen mit
persönlichen Erfahrungen als Frau mit Behinderungen
hat eine starke Wirkung. Am Nachmittag des ersten
Konferenztages kamen vier Expertinnen zu Wort, die in
diesem Stil über ihre Erfahrungen sprachen. Julia Moser
berichtete über ihr Leben mit Hör- und Sehbehinderung,
ihren beruflichen Werdegang und Frauen mit Behinde-
rungen als wichtige Kundinnen und Mitarbeiterinnen.
Sie ist DisAbility Management Expertin bei myAbility und
Vorsitzende des Forum für Usher Syndrom und Taub-
blindheit. Danach zeigte Jasna Puskaric auf, wie wichtig
persönliche Assistenz für ein selbstbestimmtes Leben       Iris Grasel musste sich im Krankenhaus behaupten.
von Frauen mit Behinderungen ist. Sie ist geschäftsfüh-
rende Vorständin der WAG – Assistenzgenossenschaft.
Zum Abschluss sprachen die Mitglieder des Forum Selbst-
vertretung Iris Grasel und Edith Zechmeister über zwei
prägende Erlebnisse als Frauen mit Lernschwierigkeiten.
Iris Grasel erfuhr als Frau mit Behinderungen Diskri-
minierung im Krankenhaus. Edith Zechmeister wurde
als „brave“ Frau mit Behinderungen als Mitarbeiterin
ausgenutzt.
Die vier Expertinnen machten sich mit ihren sehr persön-
lichen Vorträgen als Frauen mit Behinderungen sichtbar
und wurden so Vorbilder für viele Teilnehmer*innen.
                                                           Edith Zechmeister hatte besonders mit ihrer Chefin Probleme.

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Thementische                                                zu Papier zu bringen. Die Thementische haben sich als
Die Themenvielfalt im Kontext von Frauen mit Behinde-       sehr nützliches Werkzeug erwiesen, um die individuellen
rungen ist sehr groß. Der Vernetzungsgrad zwischen den      Erfahrungen zu hören. In einem Schreibgespräch brach-
Frauen mit Behinderungen ist noch viel zu gering. In zwei   ten die Teilnehmer*innen ihre Gedanken zu Papier und
halbstündigen Pausen wurden jeweils zwei Thementische       knüpften beieinander an.
angeboten. Zwei Expertinnen begleiteten diese, erläuter-
ten die Methode und forderten zum Mitmachen auf.            Side Event: „Tanzen für Alle!“
• Unsichtbare Behinderungen                                 Konferenzen sind anstrengend, körperlich und auch
    Eringard Kaufmann (knack:punkt – Selbstbestimmt         geistig. Ein Großteil der Teilnehmer*innen waren Frauen
    Leben) / Brigitte Heller (Forum Lichterkette)           mit Behinderungen. Die eigene Lebensrealität einen
• Arbeit und ökonomische Selbstbestimmung                   ganzen Tag diskutiert zu sehen und selber zu disku-
    Karin Pinter (ABAk Arbeitsassistenz für AkademikerIn-   tieren, vielleicht ganz neue Dinge zu erkennen, das
    nen) / Ulrike Glösmann (Berufliche Assistenz NÖ des     ist fordernd. Es war daher ein großes Glück, dass die
    BSV-WNB)                                                Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen für
• Stadt versus Land                                         die Teilnehmer*innen ein Side-Event organisierte. Nach
    Beate Koch / Marina Zugschwert (ÖZIV Steiermark)        Eröffnungsworten von Helga Bachleitner (Leiterin der
• Recht auf Familie und Mutterschaft                        Kommunikation in der HG) sprach Expertin mit Behin-
    Monika Schmerold / Eringard Kaufmann (knack:-           derungen Martina Gollner (Mitarbeiterin der HG und
    punkt – Selbstbestimmt Leben)                           Unternehmerin) über ihr Forschungsprojekt zur Barriere-
                                                            freiheit bei Musik-Großveranstaltungen. Mit barrierefrei-
Viele nutzten dieses Angebot, um miteinander ins Ge-        em Tanz, geführt von Lillis Ballroom, und bei Speis‘ und
spräch zu kommen und ihre Sichtweise zu den Themen          Trank wurde der Tag danach gemeinsam verarbeitet.

Einander ergänzen mit einem Schreibgespräch.                Expertinnen luden an die Thementische ein.

Viel Andrang an den Thementischen                           Tanzen und alles rauslassen! Side Event der Hilfsgemeinschaft

                                                                                         www.behindertenrat.at        11
Konferenz

Nachbericht der Sessionleiterinnen
                                                                Sessions: Austausch und Vertiefung
                                                                Für den zweiten Tag der Konferenz hatten die Teilneh-
                                                                mer*innen die Möglichkeit, zwei Sessions zu besuchen.
                                                                Es fanden zweimal drei Sessions parallel statt.

                                                                •   Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen:
                                                                    Ursprünge, Auswirkungen, Strategien im Umgang
                                                                    Elisabeth Udl (Ninlil/Kraftwerk)
                                                                •   Als Mädchen und junge Frau mit Behinderungen
                                                                    leben – zur Rolle genderspezifischer Aspekte in
                                                                    Kindheit und Jugend
                                                                    Petra Flieger (freie Sozialwissenschaftlerin), Laura
Laura Moser brachte als Sessionleiterin ihre Erfahrungen ein.       Moser (Mitglied im Jugendbeirat des Tiroler Monito-
                                                                    ringausschusses)
                                                                •   Ich bin eine Frau mit Behinderungen, was heißt
                                                                    das? Identität, Sexualität, Rollenbilder (Frauen
                                                                    mit Behinderungen only)
                                                                    Elisabeth Löffler (Lebens- und Sexualberaterin, Per-
                                                                    formance-Künstlerin, Selbstbestimmt Leben Bewe-
                                                                    gung, Queer-Feministische Bewegung)
                                                                •   Sichtbarkeit – Als Expertin mit Behinderungen
                                                                    auftreten (Frauen mit Behinderungen only)
                                                                    Magdalena Kern (Koordinatorin Anwaltschaft bei
                                                                    Licht für die Welt, Her Abilities Award), Christine
                                                                    Steger (Vorsitzende des Unabhängigen Monito-
Gute besuchte Session zu Gewalt gegen Frauen mB.                    ringausschusses)
                                                                •   Allianzen – Verbündet mit Frauen* mit
                                                                    Behinderungen* sein
                                                                    Elisabeth Magdlener (Verein CCC** – Change Cultu-
                                                                    ral Concepts, Queer DisAbility (Studies)-Aktivistin,
                                                                    Crip-Bewegung, Queer-feministische Bewegung,
                                                                    Körperdiskurse, im Vorstand von Ninlil)
                                                                •   Strategien für Geschlechtergerechtigkeit in
                                                                    Organisationen entwickeln und umsetzen.
                                                                    Stefanie Steinbauer (BSVÖ, Referentin für internatio-
                                                                    nale Zusammenarbeit)

                                                                Die Sessions wurden genutzt, um bei den ausgewählten
Über die Situation von Mädchen mit Behinderungen                Themen in die Tiefe zu gehen. Zwei Sessions wurden

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explizit nur für Frauen mit Behinderungen angeboten.          überwältigend positiv. Wo Kritik geäußert wurde, war
Das große Bedürfnis nach Wissen und nach Austausch zu         diese berechtigt und konstruktiv. Viele Rückmeldungen
den Themen, die Frauen mit Behinderungen betreffen,           beeinhalteten die Forderung, dass es mehr Veranstaltun-
hat sich auch hier wieder gezeigt. Die veranschlagten 90      gen und mehr Angebote für Frauen mit Behinderungen
Minuten waren viel zu schnell vorbei.                         brauche.

Bitte mehr davon!                                             Mediales Echo
In die Vorbereitungen für die Konferenz ist sehr viel Zeit,   Besonders erfreulich war auch das Interesse der Medien
Herz und Energie geflossen. Es hat sich ausgezahlt. Das       an der Konferenz. So wurde in der Zeit im Bild genauso
Team des Österreichischen Behindertenrats, das Kompe-         wie auf PULS24 und in vielen Online-Portalen von Zei-
tenzteam Frauen mit Behinderungen, die Speaker*innen,         tungen über die Konferenz berichtet.
die Videobotschafter*innen und die Teilnehmer*innen
zeigten eindrucksvoll, dass über das Thema Frauen mit         Was ist seither passiert?
Behinderungen gesprochen werden muss.                         Neue Interessentinnen für die Expertinnenliste und
                                                              auch für das Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen
Aufbruchsstimmung                                             haben sich gemeldet. Ideen für Zusammenarbeit wie
Das Organisationsteam und auch die Teilnehmer*innen           beispielsweise gemeinsame Veranstaltungen mit Stake-
spürten eine ganz besondere Stimmung bei dieser Kon-          holdern wie dem ÖGB wurden vertieft. Über allem steht,
ferenz. Endlich passiert etwas, ich bin dabei und gestalte    dass Frauen mit Behinderungen gezeigt haben, dass sie
mit. Was wir von den Treffen des Kompetenzteams Frau-         mehr als bereit sind, sich für Gleichstellung einzusetzen.
en kennen - die Aufbruchsstimmung, der Veränderungs-          Die Frage, ob man über Frauen mit Behinderungen spre-
wunsch, das Gemeinschaftsgefühl - wurden fortgesetzt.         chen muss, wurde mit einem heftigen JA beantwortet
Die Rückmeldungen auf den Feedbackbögen, genauso              und zu einem unignorierbaren Thema der Interessenver-
auch Gespräche und E-Mails nach der Konferenz waren           tretung von Menschen mit Behinderungen gemacht. 

Miriam Labus moderierte die Konferenz.                                            Albert Brandstätter und Herbert Pichler

                                                                                  Nina Klein (rechts) gestaltete das
Christine Steger und Eringard Kaufmann   Teilnehmerinnen machten sich sichtbar!   Konferenz-Sujet.

                                                                                          www.behindertenrat.at        13
Konferenz                                                                                                     Ausgabe 4/2019

BK Bierlein nahm sich Zeit für die Teilnehmer*innen.          M. Fuhrmann-Ehn und D. Ruggenthaler machen sich sichtbar!

                                          Konferenz: Frauen mit
                                          Behinderungen
                                          201 Teilnehmer*innen
                                          176 Frauen (87%)
                                          25 Männer (13%)
                                          28 Teilnehmer*innen aus den
                                          Bundesländern (13%)

                                          Auf dem Podium und/oder
                                          Konferenzteam
                                          33 Frauen mit Behinderungen (67%)
                                          14 Frauen ohne Behinderungen (29%)
                                          2 Männer mit Behinderungen (4%)
                                          0 Männer ohne Behinderungen (0%)
Katrin Langensiepen und ihre "Fans"                                                Präsentation der Konferenztasche

Die Caterei (Pro Mente Wien) verwöhnte uns kulinarisch.       A. Parfuss mit D. Raml (ÖZIV) und Gudrun Eigelsreiter

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Behindertenrat                                                                                            Ausgabe 4/2019

Gemeinsam stark!
Aktivitäten des Österreichischen Behindertenrat		                                            Von Gudrun Eigelsreiter

F
    rauen mit Behinderungen sind
    öfter von Arbeitslosigkeit, von
    Armut und von Gewalt betrof-
fen. Ihre Fähigkeiten, ihre Talente,
ihre Expertisen stehen oft nicht im
gesellschaftlichen Fokus. Der Öster-
reichische Behindertenrat arbeitet
kontinuierlich daran, die Sichtbar-
keit und die Rechte von Frauen mit
Behinderungen in Gesellschaft und
Politik zu verankern. Dieses Ziel wird
vor allem durch folgende Arbeits-
gruppen und Aktivitäten verfolgt:

Kompetenzteam Frauen mit
Behinderungen
Das Kompetenzteam Frauen mit Be-
hinderungen wurde vom Österreich-
ischen Behindertenrat gegründet,
um die Mehrfachdiskriminierung
von Frauen und Mädchen mit
Behinderungen auf die behinder-
tenpolitische Agenda zu setzen. Es
dient auch dem Austausch und der         Expertinnen mit Behinderungen sind Vorbilder.		                Graphik: Nina Klein
Vernetzung von Frauen mit Behin-
derungen. Bei Interesse, Teil des        50 Expertinnen mit Behinderungen       Hier werden Ziele und notwendige,
Kompetenzteams Frauen mit Behin-         zu den unterschiedlichsten Themen:     politische Maßnahmen entwickelt
derungen zu werden, kontaktieren         www.behindertenrat.at/                 für Frauen mit Behinderungen, Kin-
Sie bitte Heidemarie Egger unter         expertinnenliste. Falls sie Inter-     der und Jugendliche mit Behinde-
h.egger@behindertenrat.at                esse daran haben, als Expertin mit     rungen sowie für den Themenkom-
                                         Behinderungen Teil dieser Liste zu     plex Kunst, Kultur und Medien. Bei
Frauen mit Behinderungen                 werden, schreiben Sie uns:             Interesse an einer Mitarbeit melden
für Vorträge / Podiums-                  dachverband@behindertenrat.at          Sie sich bitte bei Gudrun Eigelsreiter
diskussionen / Interviews                                                       g.eigelsreiter@behindertenrat.at
Aus dem Kompetenzteam Frauen mit         NAP-AG Frauen, Jugend,
Behinderungen heraus wurde die           Kunst, Kultur, Medien                  Der Österreichische Behindertenrat
Idee einer Expertinnenliste geboren.     In die Erarbeitung des neuen           bietet viele Möglichkeiten, sich zu
Denn zu oft sind Diskussionsrunden       Nationalen Aktionsplan Behinderung     engagieren, zu informieren und zu
auf Podien vorwiegend oder aus-          2021-2030 soll diesmal die Zivilge-    vernetzen. Nutzen Sie diese Chance,
schließlich männlich besetzt, mit        sellschaft aktiv eingebunden werden.   gemeinsam bewegen wir viel! 
dem Argument, dass keine Expert-         Zu jedem NAP Team der Ministerien
innen mit Behinderungen bekannt          gibt es auch eine Spiegelgruppe im
seien, die man einladen könnte.          Österreichischen Behindertenrat, so
Dieses Argument hat nun ausge-           auch zum Team „Frauen, Jugend,
dient. Hier finden Sie eine Liste von    Kunst, Kultur und Medien“.

                                                                                       www.behindertenrat.at           15
Studie

Acht Fokusgruppen wurden abgehalten.								                                                    Foto: Gerd Altmann / Pixabay

Frauen, die behindert werden.
Qualitative Studie mit und über Frauen mit Behinderungen in Wien
                                                       Von Claudia Sorger / Nadja Bergmann (L&R Sozialforschung)

Z
      um Thema Frauen mit Behin-      Welche Unterstützungsstrukturen         heterogen. Zum einen ging es
      derungen in Wien existieren     und Interessenvertretungen haben        darum, möglichst unterschiedliche
      kaum aktuelle Zahlen und        sich als hilfreich erwiesen? Welche     Gruppen zu erfassen, wie etwa
Daten. Zudem sind Studien, die        Erfahrungen haben sie mit sozia-        Frauen im Rollstuhl, Frauen mit
sich mit den Lebensrealitäten,        ler, politischer und wirtschaftlicher   Sehbeeinträchtigungen, Frauen
Wünschen und Barrieren im Alltag      Partizipation? Welche konkreten         mit Hörbeeinträchtigungen sowie
und der politischen und sozialen      Anregungen bestehen zum Abbau           Frauen mit fortschreitenden, chro-
Partizipation von Frauen mit Be-      unterschiedlichster Barrieren?          nischen Erkrankungen. Andererseits
hinderungen auseinandersetzen,                                                wollten wir Frauen mit Behinderun-
relativ überschaubar. Um einen        Im Zentrum des Forschungsvorha-         gen zu Wort kommen lassen, die in
Teil der Lücke zu füllen, hat das     bens standen leitfadenbasierte Fo-      der öffentlichen Wahrnehmung eher
Frauenservice Wien (MA 57) eine       kusgruppen mit Frauen mit Behinde-      „unsichtbar“ sind wie Frauen mit
Studie zur Situation von Frauen mit   rungen, die durch Einzelinterviews      psychischen Erkrankungen, Frauen
Behinderungen in Wien in Auftrag      ergänzt wurden. Zwischen November       mit Down Syndrom oder Frauen mit
gegeben. In einem partizipativen      2018 und Jänner 2019 wurden acht        Lernschwierigkeiten. Zusätzlich wur-
Forschungsprozess kamen Frauen        Fokusgruppen sowie einige Einzel-       den zwei Fokusgruppen mit Müttern
zu Wort, die über ihr Leben in Wien   interviews mit insgesamt 76 Frauen      von Kindern mit Behinderungen
berichteten. Mit welchen Barrieren    abgehalten. Die Gruppe von Frauen       und/oder Pflegebedarf durchge-
waren und sind sie konfrontiert?      mit Behinderungen ist sehr              führt. Diese Gruppe von Frauen ist

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Ausgabe 4/2019

besonderen Belastungen ausgesetzt,     Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit        dem der „Behördendschungel“ ein
über ihre Probleme und Bedürfnisse     einer körperlichen Beeinträchtigung     zentrales Thema. Viele Teilnehmerin-
ist wenig bekannt.                     ab und manche lehnen den Begriff        nen erzählten von der Unübersicht-
                                       der Behinderung als gar nicht zutref-   lichkeit der Informationen und Zu-
Peer-Expertinnen                       fend ab. Viele der beteiligten Frauen   ständigkeiten mit einer Vielzahl von
Die Studie wurde von Beginn an         betonten, dass sie nicht behindert      Anlaufstellen. Hier wird auch die
unter Einbeziehung von Peer-Expert-    sind, sondern dass sie durch viel-      Problematik angesprochen, dass die
innen durchgeführt. Sie wurden         fältige Barrieren behindert werden.     Behörden neben der Service- und
sowohl beim inhaltlichen und or-       Zum Abbau dieser Barrieren einen        Beratungsfunktion auch eine Kont-
ganisatorischen Design der Fokus-      Beitrag zu leisten, ist ein Anliegen    rollfunktion hätten. So berichteten
gruppe als auch bei der Suche nach     der vorliegenden Studie. Dabei geht     mehrere Teilnehmerinnen, dass sie
Teilnehmerinnen eingebunden.           es auch um die Barrieren zwischen       die Kontrollen als unangenehm erle-
Herzlichen Dank an Xenia Dürr,         Menschen mit und Menschen ohne          ben und sich teilweise mit dem Vor-
Heike Fleischanderl, Brigitte Hel-     Behinderungen, um das Bewusstma-        wurf konfrontiert sehen, sie könnten
ler, Elisabeth Magdlehner, Sabine      chen von ähnlichen Lebenslagen und      das System ungerechtfertigter Weise
Piribauer, Barbara Renner, Edith       um das Vermeiden von Parallelwelten.    ausnützen. Von mehreren Fokus-
Mansky Sadek, Maria Schwarr und                                                gruppen-Teilnehmerinnen wurde der
Astrid Strießnig. Ziel eines parti-    Existenzsicherung                       Wunsch nach einer übergreifenden
zipativen Forschungsansatzes ist,      Von den vielen Themen, die disku-       Zuständigkeit thematisiert.
dass die Beforschten nicht nur als     tiert wurden, gehen wir in diesem
„Objekte der Forschung“ behandelt      Text auf zwei ein. Ein wichtiges The-   Eintreten für eigene Rechte
werden, sondern relevanten Einfluss    ma war, wie eine eigenständige          Das Eintreten für die eigenen
nehmen können. Im Idealfall findet     Existenzsicherung ermöglicht            Rechte, das Kämpfen um benötigte
die Beteiligung von Betroffenen        werden kann. Dies ist schwierig,        Ressourcen und auch die Solidarisier-
als Forscher*innen statt. Über den     weil Frauen mit Behinderungen oft       ung untereinander, die gegenseitige
von uns gewählten Weg konnten          in Bereichen arbeiten, in denen         Unterstützung in vielen Angelegen-
wir zumindest einen Teil der Hier-     das Einkommen nicht sehr hoch           heiten waren bestimmende Elemente
archie zwischen Forscherinnen und      ist. Außerdem ergibt sich aufgrund      der Fokusgruppen. Es wurde auch
Beforschten aufheben und so einen      von Betreuungspflichten und/oder        auffallend oft der Wunsch geäußert,
fruchtbaren Austausch ermöglichen.     der Tatsache, dass nicht in vollem      sich öfter in einer Runde wie der
                                       Stundenausmaß oder nicht regel-         Fokusgruppe austauschen zu kön-
Stigmatisierung abbauen!               mäßig gearbeitet werden kann, ein       nen. Hier wurde deutlich, dass es
Gemeinsam war den Teilnehmerinnen      niedriges Erwerbseinkommen. Unter       einen Mangel und gleichzeitig einen
der Studie, dass mit dem Begriff       anderem wurde ein Systemwechsel         Bedarf nach niederschwelligen
Behinderung meist eine Stigmati-       vorgeschlagen, der die Kombination      Angeboten des Austauschs und der
sierung einhergeht, die oft mit der    von Erwerbsarbeit und Transferzahl-     Vernetzung gibt. Ein Mitgrund dafür
Zuschreibung von anderen, negati-      ungen vorsieht, damit eine eigen-       ist, dass die politische Repräsentanz
ven Merkmalen verbunden ist.           ständige finanzielle Absicherung        von Menschen mit Behinderungen
Wie im gesamten Forschungspro-         und eine passende Erwerbsarbeit         durchgängig als unzufriedenstellend
zess deutlich wurde, weisen die        ermöglicht wird. Auch das niedrige      erlebt wird. 
Teilnehmerinnen der Studie eine        „Taschengeld“ (Leistungsanerken-
enorme Vielfalt, sowohl in Bezug auf   nung) in Werkstätten/Tageseinrich-
die Art der Behinderung, aber vor      tungen wurde in dem Zusammen-
allem in Bezug auf Lebensrealitäten    hang massiv kritisiert.                  Infobox
und Persönlichkeiten, auf. Es gibt     Frauen mit Behinderungen sind in
nicht DIE Frau mit Behinderungen.      Österreich in hohem Maße armuts-         Veröffentlichung der Studie:
Manche Teilnehmerinnen können          und ausgrenzungsgefährdet.               Jänner 2020
sich mit dem Begriff der Behin-                                                 www.wien.gv.at/menschen/
derung identifizieren, für manche      Behördendschungel                        frauen/vielfalt/behinderungen/
hängt der Begriff von der Frage der    In fast allen Fokusgruppen war zu-

                                                                                      www.behindertenrat.at       17
Arbeit

Chefinnen mit Behinderungen?
Arbeitsmarktsituation für Frauen mit Behinderungen                                            Von Gabriele Sprengseis

W
         eltweit gibt es etwas           Arbeitslosigkeit                         angekündigt, dass sie die Unter-
         mehr Frauen als Männer          Die Erwerbsbeteiligung von Frauen        stützung der beruflichen Teilhabe
         mit Behinderungen. Laut         mit Behinderungen ist viel niedriger     von Menschen mit Behinderungen
Statistik Österreich (2015) sind         als jene von Frauen ohne Behin-          und besonders von Frauen mit
es über 703.300 Frauen, die mit          derungen und als jene der Männer         Behinderungen verbessern möchte.
einer sichtbaren oder unsichtbaren       mit Behinderungen. In den letzten        Neben anderen Maßnahmen soll mit
Behinderung in Österreich leben.         10 Jahren hat sich die Anzahl der        einer Lohnförderung ein Anreiz für
Die Dunkelziffer ist allerdings weit     arbeitslos vorgemerkten weiblichen       Dienstgeberinnen und Dienstgeber
höher. Frauen mit Behinderungen          Personen und Schulungsteilneh-           zur nachhaltigen Beschäftigung
bilden jene gesellschaftliche Gruppe,    merinnen mit gesundheitlichen            von Menschen mit Behinderungen
die am wenigsten sichtbar ist und        Vermittlungseinschränkungen ver-         gesetzt und die Arbeitslosigkeit
die am meisten von Ausgrenzung           doppelt: 35.150 Frauen mit gesund-       gesenkt werden. Für Frauen mit
und daraus resultiertend von Armut       heitlichen Vermittlungseinschränk-       Behinderungen wird die Inklusions-
betroffen ist.                           ungen gab es im Jahr 2018, im Jahr       förderung Plus um 25 % erhöht.
                                         2009 waren es 16.618 (AMS August
Mehrfachdiskriminierung                  2019 Spezialthema). Nachhaltige          Mehr Sichtbarkeit
Frauen mit Behinderungen werden          Maßnahmen zur Verbesserung der           Frauen mit Behinderungen müssen
aufgrund ihres Geschlechts und ihrer     Arbeitsmarktsituation von Frauen mit     sich ihre ökonomische Unabhängig-
Behinderung in mehrfacher Weise          Behinderungen fehlen.                    keit erst erkämpfen. Sie müssen
diskriminiert. Die benachteiligenden                                              Durchsetzungsstärke aufbauen, die
Faktoren verstärken sich, sodass         Armutsgefährdung                         durch Vernetzung und Empowerment
Frauen mit Behinderungen deutlich        Die Folgen dieser Diskriminierungen      entwickelt und gefördert wird.
schlechter gestellt sind als Frauen      sind bekannt. Frauen mit Behin-          Dafür sind noch viele Initiativen
ohne Behinderungen und Männer            derungen verfügen über ein viel          erforderlich.
mit Behinderungen. Der Gefahr von        geringeres Erwerbseinkommen und
psychischer, physischer und sexu-        sie erhalten im Falle von Arbeitslos-    Bestehende Frauenprojekte müssen
alisierter Gewalt sind Frauen mit        igkeit viel weniger Arbeitslosen-        barrierefreier werden und spezielle
Behinderungen überproportional           geld. Damit sind sie in hohem Maße       Initiativen, wie beispielsweise die
ausgesetzt. Diese Erfahrungen füh-       armuts- und ausgrenzungsgefähr-          Expertinnenliste von Frauen mit
ren oft zu weiteren Behinderungen.       det. Im Pensionsalter spitzt sich die    Behinderungen für Vorträge, Po-
Diese Mehrfachdiskriminierungen          Situation nochmals zu.                   diumsdiskussionen und Interviews
sind hinlänglich erforscht. Trotzdem                                              müssen ausgeweitet werden.
gibt es kaum Initiativen und Maß-        Inklusionsförderung Plus
nahmen, um das Leben von Frauen          Nun hat Gesundheits- und Sozial-         Inklusive Ausbildung
mit Behinderungen zu verbessern,         ministerin Brigitte Zarfl auf der Kon-   Es braucht Eltern, die an die Fähig-
auch nicht in der Arbeitsmarktpolitik.   ferenz Frauen mit Behinderungen          keiten ihrer Kinder glauben, es
                                                                                  braucht ein inklusives Schul- und
                                                                                  Ausbildungssystem sowie inklusive
                                                                                  Fort- und Weiterbildungen für Men-
                                                                                  schen mit Behinderungen. Beson-
                                                                                  ders wichtig ist auch Persönliche
                                                                                  Assistenz für jene Menschen, die sie
                                                                                  brauchen, egal ob sie für die Schule,
                                                                                  den Arbeitsplatz oder für die Freizeit
                                                 AMS August 2019 Spezialthema     benötigt wird.

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Ausgabe 4/2019

Frauen und Mädchen mit Behinder-            eigenen Vorstellungen verwirklichen          Teilhabe möglich. Und nur dann wird
ungen sind besonders zu unterstüt-          können. Nur dann ist für sie eine            es Chefinnen mit Behinderungen
zen, damit sie ein Leben nach ihren         wirtschaftliche und gesellschaftliche        geben.

 Mobilitätslösungen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen
 Bereits zum 2. Mal war Baumgartner-Fahr-         ten elektronischen Fahrhilfen, wie die neueste
 zeugbau als Aussteller auf der Vienna Auto       Space Drive II Steuerung aus dem Hause
 Show vertreten um dort innovative Umbauten       PARAVAN.
 und andere Mobilitätslösungen zu präsentieren.   Nicht jeder Umbau ist in jedem Fahrzeug
 Die Pallette reichte hier von einfachen mecha-   möglich. Wir beraten Sie gerne, bei Bedarf

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Familie

"Meine Mama sitzt im Rollstuhl."
Vom Leben einer Mutter mit Behinderungen			                                                                Von Barbara Sima-Ruml

                                                                                              herausforderndsten Jahre meines
                                                                                              Lebens bezeichnen. Inzwischen
                                                                                              habe ich schon zwei kleine Racker
                                                                                              und natürlich fällt einem beim
                                                                                              zweiten Kind alles leichter, nicht
                                                                                              nur, weil das erste Kind schon vieles
                                                                                              weiß und auch, ehrlich gesagt,
                                                                                              das eine oder andere Mal mithilft,
                                                                                              sondern weil ich selbst viel gelasse-
                                                                                              ner bin. Das eine Mal, als mir meine
                                                                                              Tochter fast auf die Straße gelaufen
                                                                                              wäre, hat mich geprägt und gleich-
                                                                                              zeitig mein Vertrauen in die Welt
                                                                                              gefestigt. Nicht immer passiert das
                                                                                              Schlimmstmögliche.

                                                                                              Sie fragen sich vielleicht, wie der
                                                                                              Alltag einer Mutter mit Rollstuhl
                                                                                              funktioniert. Viele Eltern mit Behin-
                                                                                              derungen würden nun ganz laut auf-
                                                                                              schreien: „Bei uns ist alles gleich,
                                                                                              wie bei Eltern ohne Behinderung!“
2018 zierte dieses Foto des Cover das VALID-Magazins.     Foto: Tanja Stolz / Lieblingsbild   Aber – zumindest bei mir – stimmt
                                                                                              das nicht. Mein Mann arbeitet

F
    ür meine zweieinhalb jährige           zurück. Am Schoß dreht sie sich um                 täglich sehr lange, ich nur bis zum
    Tochter dauert es schon zu             und umarmt mich fest. Ich erkläre                  frühen Nachmittag. Daher kümmere
    lange. Die Dame hinter der             ihr, dass sie das nie mehr tun darf                ich mich nachmittags mit einer
Bäckertheke hat unverschämt zwei           und von diesem Zeitpunkt an, läuft                 Assistentin um die Kinder. Bevor ich
andere Kunden einfach vorgezogen           sie mir auch nie wieder weg. Aber,                 sie aus der Kinderbetreuung hole,
und ich war zu feige, mich darüber         es hätte auch alles anders kommen                  machen meine Assistentin und ich
zu beschweren.                             können.                                            noch notwendige Haushaltsarbei-
                                                                                              ten. Gemeinsam gehen wir dann
Endlich sind wir dran, bezahlen            Ich bin Mutter. Ich nutze einen                    die Kinder holen und wenn dann
unsere Semmeln und ab nach Hause.          Rollstuhl. Ich war aber schon ganz                 eines der beiden Kinder lieber an
Aber nur kurze Zeit später sitzt mein      Vieles in meinem Leben. Ich war                    der Hand der Assistentin gehen will
Mädchen bockig am Gehsteig und             einmal Spitzensportlerin und eine                  und nicht neben mir, dann schmerzt
rührt sich nicht. Ich versuche sie         von Österreichs ersten Models mit                  mein Mutterherz. Aber sie dürfen
verzweifelt hochzuheben. Da steht          Rollstuhl. Ich moderierte Reise-                   das, denn die Assistentinnen sind
meine Tochter auf und beginnt zu           sendungen, deren Hauptthema es                     Teil unseres Alltags.
laufen. Ich versuche sie festzu-           war, ohne Infos spontan in eine                    Assistentinnen zu haben ist aber
halten, habe aber keine Chance.            fremde Stadt zu fahren. Man könnte                 auch viel Arbeit für mich, Vorstel-
Ich schreie mit aller Kraft: „Stooo-       sagen, ich habe vieles schon er- und               lungsgespräche führen, Dienstpläne
opp!!!“ – sie bleibt stehen, sieht das     überlebt. Aber meine ersten Jahre                  erstellen, Personalverrechnung
noch etwas entfernte Auto, erschrickt      als Mutter mit Behinderungen kann                  machen, Förderungen abrechnen.
fürchterlich und kommt sofort zu mir       ich mit gutem Gewissen als die

20        www.behindertenrat.at
Ausgabe 4/2019

Belastend empfinde ich meine Rolle     Mama ist also ein fragiles Konstrukt.     Barbara Sima-Ruml
als arbeitende Mutter nur dann,        Fällt nur ein kleiner Baustein weg,
wenn die Kinder mal wieder einen       bricht Chaos aus. Dann müssen wir         Als Barbara Sima-Ruml 2011 ihr
Virus mit nach Hause schleppen         auf Sparflamme den Tag überstehen,        Architekturstudium abschloss,
und ich nächtelang wegen ihrer         es gibt haufenweise Kuscheleinheiten      steckte sie schon bis über die
Krankheit keinen Schlaf bekomme.       statt Spielplatz und auch mal nur         Rolli-Räder in der Materie des
Üblicherweise endet das mit einer      Marmeladenbrot anstatt eines              Barrierefreien Bauens.
eigenen Ansteckung, denn auch          kunstvoll gestalteten Obsttellers zur     Heute arbeitet sie als Sach-
meine Gesundheit ist wegen mei-        Jause. Auch das gehört zu einem           verständige, unterrichtet an
ner Behinderung einfach schneller      Leben mit einer Mama im Rollstuhl         Hochschulen, hält Vorträge über
aus der Balance zu bringen. Dann       dazu.                                     Barrierefreiheit, Inklusion und ihr
braucht es die Hilfe von den fleißi-                                             Leben als behinderte Mutter.
gen Omas, sowie von Freundinnen        Hm. Vielleicht ist es ja doch nicht so    facebook.com/barbara.a.sima
und Nachbarinnen. Mein Alltag als      anders, wie in anderen Familien? 

Unbehindert Mutter sein!		                                                                   Von Eringard Kaufmann

E
     in Symposium der Europata-        Das Recht auf Familie und Mutter-        Geburt sind für Frauen mit Behinde-
     gung des ifsw (International      schaft wurde auch auf der Konfer-        rungen schwer zu finden.
     Federation of Social Workers)     enz Frauen mit Behinderungen
widmete sich am 10. September in       des Behindertenrates im Rahmen           Frauen mit Behinderungen wissen
Wien dem Thema Elternschaft mit        eines Thementisches aufgenommen.         sehr genau, welche Unterstützung
Behinderungen. Es ist bekannt, dass    Frauen und Mütter mit Behinderun-        sie als Mütter benötigen. Da geht
Eltern mit Behinderungen besonders     gen brachten ihre Erfahrungen ein.       es um ausreichende Versorgung mit
oft von Fremdunterbringungen ihrer     Monika Schmerold und Eringard            Hilfsmitteln, alltägliche Unterstüt-
Kinder betroffen sind. Das Netzwerk    Kaufmann (knack:punkt - Selbstbe-        zung und bedarfsgerechte Assistenz
Selbstbestimmte Elternschaft fordert   stimmt Leben Salzburg) luden zum         auch für Mütter mit psychosozialen
diese unbefriedigenden Situationen     Austausch ein.                           Beeinträchtigungen. Angebote
zu beseitigen und die Rechte der                                                durch Institutionen und Einrich-
Behindertenrechtskonvention zu         Vom fehlenden Zutrauen, Mutter           tungen, die Mütter im Bedarfsfall
garantieren.                           sein zu können, wissen Frauen und        unterstützen, ehe es Probleme gibt,
                                       Mütter mit Behinderungen mehr als        sind noch immer die Ausnahme.
Dazu sind die Rechte des Art. 23 der   nur eine beklemmende Geschich-           Barrierefreiheit von Kindergärten
Behindertenrechtskonvention im         te zu berichten. Eine Mutter mit         oder Schulen sind eine weitere wich-
neuen Nationalen Aktionsplan Be-       einer Gehbeeinträchtigung hörte          tige Voraussetzung für eine diskrimi-
hinderung 2021-2030 abzusichern.       beipsielsweise schon als kleines         nierungsfreie Elternschaft.
Hilfesysteme sind unter Einbezie-      Mädchen immer wieder „Du kannst
hung der Interessenvertretungen        eh keine Kinder bekommen“. Die           Das Ziel muss sein, ein Bewusstsein
der Menschen mit Behinderungen         Anerkennung als vollwertige Frau         für die Rechte der Frauen mit Behin-
zu entwickeln und österreichweit       wird Frauen mit Behinderungen oft        derungen und ihre Rolle als Mütter
umzusetzen. So erhalten Eltern mit     vorenthalten. Diese Diskriminierun-      zu schaffen. So kann die UN-BRK
Behinderungen individuell ange-        gen setzen sich in der medizinischen     übergreifend in der Kinder- & Ju-
passte Angebote. Fachleute werden      Betreuung und professionellen            gendhilfe und der Behindertenhilfe
geschult und das gesellschaftliche     Begleitung fort. Gute Beratung und       umgesetzt werden. 
Bild wandelt sich.                     Begleitung zu Schwangerschaft und

                                                                                       www.behindertenrat.at       21
Persönliche Assistenz                                                                                         Ausgabe 4/2019

„Frau sein“ - selbstbestimmt leben
Persönliche Assistenz: Grundlage für Gleichstellung                                              Von Michaela Mallinger

                                                               Persönlicher Assistenz ihr Familienleben gestalten. Für
                                                               junge Frauen ist Persönliche Assistenz für die Schule
                                                               und Ausbildung besonders wichtig. Sie erleichtert den
                                                               Einstieg ins Berufsleben.

                                                               Situation in Österreich
                                                               Der Zugang zu Persönlicher Assistenz ist nur für Schule,
                                                               Ausbildung und Arbeit bundesweit einheitlich geregelt.
                                                               In den Lebensbereichen außerhalb der Arbeit entscheidet
                                                               der Wohnort darüber, ob Frau oder Mann Persönliche
                                                               Assistenz in Anspruch nehmen kann. „Die Gleichstellung
                                                               von Frauen mit Behinderungen ist wichtig und darf nicht
Katharina Praniess arbeitet unterstützt durch PA   Foto: WAG   infrage gestellt werden. Sie braucht noch mehr Aufmerk-
                                                               samkeit und diverse Maßnahmen zur Umsetzung. Eine

F
     rauen mit Behinderungen leben unterschiedliche            davon ist mit Sicherheit die bedarfsgerechte, bundesweit
     Lebensrealitäten und Rollen. Sie sind Partnerin,          einheitliche Finanzierung von Persönlicher Assistenz
     Mutter, Karrierefrau und vieles mehr. Persönliche         unabhängig von Alter, Behinderung, Einkommen oder
Assistenz ermöglicht Frauen, selbstbestimmt in der             Vermögen“, fordert Jasna Puskaric.
Gesellschaft zu handeln und selbst zu entscheiden, wie
sie ihr Leben gestalten.                                       Von Leistungsempfängerin zu Steuerzahlerin
                                                               „Das Tollste an Persönlicher Assistenz ist, dass ich arbei-
Unabhängigkeit                                                 ten kann“, stellt Katharina Praniess kurz und prägnant
„Gerade für Frauen mit Behinderungen bedeutet Per-             fest. Sie arbeitet als Beraterin in der WAG - Assistenz-
sönliche Assistenz einen wichtigen Schritt in Richtung         genossenschaft. Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz
Unabhängigkeit“, erklärt Jasna Puskaric, geschäfts-            ist für Katharina Praniess unverzichtbar und ganz und
führende Vorständin der WAG – Assistenzgenossen-               gar nicht ungewöhnlich. Sie ist mit Persönlicher Assis-
schaft. PA macht es möglich, selbst zu entscheiden, wer,       tenz in der Schule groß geworden. Die junge Beraterin
wann, wo, wie unterstützt. „Aufstehen wann ich will“           wollte immer mit Menschen arbeiten und diese unter-
oder „Leben in meiner Wohnung, wie ich es für richtig          stützen. Sie hat das Psychologiestudium abgeschlossen.
halte“ werden damit Realität.                                  Jetzt begleitet sie Kund*innen vom Erstgespräch bis hin
                                                               zur Antragstellung und darüber hinaus. Die Persönlichen
Frauen und Persönliche Assistenz                               Assistent*innen begleiten Katharina Praniess am Arbeits-
In der WAG – Assistenzgenossenschaft werden in etwa            weg, übernehmen das Tippen oder unterstützen sie in
gleich viele Frauen wie Männer beraten. Allerdings neh-        den Pausen beim Essen oder am WC. Damit hat sie die
men viel mehr Männer Persönliche Assistenz am Arbeits-         Möglichkeit, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. 
platz in Anspruch. „Werden Frauen nicht nur aufgrund
ihrer Behinderung benachteiligt, sondern auch aufgrund
ihres Frau-Seins?“ fragt sich Jasna Puskaric.                   WAG – Assistenzgenossenschaft
Wenn Frauen mit Behinderungen ihren Alltag mit                  Die WAG - Assistenzgenossenschaft unterstützt
Persönlicher Assistenz organisieren können, sind sie            Menschen mit Behinderungen bei der Organisation
trotz Hilfebedarf nicht vom Partner*in oder der Familie         von Persönlicher Assistenz, arbeitet nach den Selbst-
abhängig. Die Erfahrung, das eigene Leben selbst in der         bestimmt Leben-Prinzipien und somit nach der Peer
Hand zu haben, öffnet neue Türen. Dazu zählt neben              Counseling-Methode.
Arbeit oder Freizeitgestaltung auch die Mutterschaft.           www.wag.or.at
Es gibt einige Kund*innen, die Kinder haben und mit

22        www.behindertenrat.at
Unsichtbare Behinderungen                                                                                       Ausgabe 4/2019

Leben mit chronischer Erkrankung
Behinderung(en) nicht in der Form, wie es oft angenommen wird.
                                                                                                         Von Michaela Joch

L
     ebt man mit einer unsicht-                                                          Rollstuhl aufzustehen und viel-
     baren Behinderung, hat man                                                          leicht ein paar Stufen zwecks der
     quasi als Pauschalangebot                                                           BarriereUNfreiheit dieser Welt zu
den Zweifel und die ungefragte                                                           bewältigen (atemloses Starren),
Expertise Außenstehender gleich                                                          dann ist die Verwirrung perfekt.
mitgebucht. Es scheint verboten
zu sein, als Mensch mit einer chro-                                                      Dieses Spannungsfeld ist also
nischen Erkrankung Spaß zu haben,                                                        bestenfalls erschwert zu bestrei-
sich körperlich zu betätigen, schick                                                     ten – wenn nicht gar unmöglich.
angezogen oder vom täglichen                                                             Durchaus ernste Konsequenzen
Kurzurlaub in Balkonien etwas                                                            ergeben sich u.a. wenn man keine
braun geworden zu sein. Man                                                              Arbeitsplatzanpassungen be-
sollte am besten Trübsal und Misere                                                      kommt, seinen Job verliert oder
aus jeder Pore ausdünsten,                   Nicht jede Behinderung ist sichtbar!        man für eine Invaliditäts- oder
um den Anforderungen an den                                                              Berufsunfähigkeitspension ab-
Krankheits-Look gerecht zu                                                               gelehnt wird, weil einem nicht
werden. Sonst gibt es den „Du siehst ja gar nicht krank         geglaubt wird. Dies betrifft aber nicht nur das Arbeitsleben,
aus!“-Blick, der sich bis zu verbalen Äußerungen oder tät-      sondern auch die medizinische Versorgung. Sehe ich krank
lichen Angriffen steigern kann, wenn man vermeintlicher         genug aus, um ernst genommen zu werden? Bekomme ich
Weise dabei erwischt wird, sich ach so ungerechtfertigte        die Untersuchungen und Medikamente, die ich brauche?
Vorteile (die eigentlich als Nachteilsausgleiche zu verste-     Was ist mit Fehldiagnosen? Traue ich mich trotz der Blicke
hen sind, aber das nur am Rande) zu verschaffen. Und wie        und der Gefahr, dass ich meine Glaubhaftigkeit verliere,
viele Hilfssheriffs es da plötzlich gibt!                       die Hilfsmittel in der Art zu nutzen, wie es für mich in der
                                                                jeweiligen Situation am besten ist?
Gleichzeitig darf man sich als kranker Mensch nicht gehen
lassen. Man sollte Spaß haben („Lachen ist die beste            Es braucht dringend ein Umdenken, wenn es um unsicht-
Medizin!“), sich körperlich betätigen („Wer rastet, der         bare Behinderungen geht. Sicher gibt es Menschen, die
rostet!") und täglich in die Sonne gehen (zwecks dem            Krankheiten und/oder Behinderungen aus unterschied-
Vitamin D). Keinesfalls darf man trübsinnig sein oder           lichsten Gründen nur vortäuschen. Aber es gibt auch
sich miserabel fühlen („Deine Einstellung ist schuld, dass      Bankräuber*innen. Und nur weil das so ist, werfe ich nicht
es dir so schlecht geht!“). Etwas verwahrlost und offen-        jeder Person, die einen Geldschein in der Hand hält vor,
sichtlich krank auszusehen, sollte bestenfalls vermieden        eine Bank ausgeraubt zu haben (oder bombardiere sie mit
werden, denn sonst wird man schnell in die Ecke der Auf-        Investmenttipps). Ohne dieses Umdenken kann Inklusion
merksamkeits- und/oder Mitleidssucher*innen gesteckt.           nicht funktionieren. 
Damit entfällt jegliche überbordende Sympathie und
einem wird das Münchhausen-Syndrom attestiert. Oder die            Michaela Joch
Krankheit wird als psychosomatisch („Deine Einstellung!“)
und damit als nicht existent eingeschätzt, was ja in sich          Doktorandin der WU Wien Fachbereich Diversitäts-
schon ein grober Fehlschluss ist. Bei so vielen Gesund-            management / myAbility Beraterin
heitsexpert*innen fragt man sich doch, wie es überhaupt
zu einem Mangel an ärztlichem Personal kommen kann.                Sie lebt mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom und setzt sich
                                                                   u.a. im Kompetenzteam Frauen mit Behinderungen für
Nutzt man dann noch unterschiedlichste Hilfsmittel in              die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein.
unterschiedlicher Intensität und Reihenfolge zu unter-
schiedlichen Tageszeiten oder wagt es gar, aus dem

                                                                                             www.behindertenrat.at       23
Medizinische Versorgung

‚Hysterische Frauen‘ beim Arzt
Geschlechter-Diagnostik und Therapie				                                                       Von Cornelia Dechant

I
    m September dieses Jahres fand
    das erste Mal eine Konferenz
    über das Thema „Frauen mit
Behinderungen“ statt, veranstaltet
wurde diese vom Österreichischen
Behindertenrat. Warum ist so eine
Konferenz notwendig? Weil gerade
Frauen mit Behinderungen in der Ge-
sellschaft oft nicht als eigenständige
Persönlichkeit, ebenbürtige Partner-
innen oder als vollwertige Mitglieder
der Gesellschaft betrachtet werden.

Nicht nur, dass schon durch das
weibliche Geschlecht eine andere
Beurteilung stattfindet, entsteht
meist durch die bestehende Behin-
derung noch ein zusätzlicher Faktor,
der die Betroffenen dazu verurteilt,                                                               Foto: Bruno Glätsch / Pixabay

zuerst die Vorurteile des Gegenübers
abbauen zu müssen, bevor über-           medizin zeigte sich allerdings, dass   Symptomatik präsentierten. Frauen
haupt ein ernsthaftes Gespräch auf       Frauen z.B. manche Medikamente         haben im Gegensatz zu den, von
Augenhöhe geführt werden kann. Es        langsamer abbauen als Männer           Männern meist geäußerten,
geht hier keinesfalls um eine Opfer-     oder dass gewisse Medikamente bei      typischen Schmerzen in der linken
rolle, sondern um wissenschaftlich       Männern und Frauen unterschied-        Brust mit Ausstrahlung in den linken
nachgewiesene Ungleichheiten, die        lich wirken. So wurde z.B. in den      Arm, eher ein Ziehen in den Hals
unter anderem durch solche Konfe-        90ern das Medikament Digitalis         oder eine vegetative Symptomatik als
renzen sichtbar gemacht werden.          allen Patienten mit Herzinsuffizienz   Leitsymptom. Erst als man lernte,
                                         verordnet, da sich in den Studien      dass solche Beschwerden bei Frauen
Gendermedizin                            eine positive Wirkung zeigte. Nach-    eben eher typisch sind, zeigte sich
Auch in der Medizin hat man im           dem man Anfang der 2000er Jahre        eine Besserung der kardiologischen
letzten Jahrzehnt angefangen, sich       allerdings diese Studie nochmal nach   Versorgung von Frauen.
die Ungleichheiten der Geschlechter      Geschlechtern getrennt auswertete,
bei Diagnostik und Therapie näher        zeigte sich ein deutlicher Nachteil,   Psychische Ursachen?
anzusehen. Dadurch, dass Medika-         für Frauen sogar eine erhöhte          Leider werden Beschwerden von
mententests meist mit männlichen         Sterblichkeit.                         Frauen häufig leichter auf psychische
Mäusen durchgeführt wurden und                                                  Ursachen geschoben als bei Männern.
erst seit einigen Jahren auf eine        Unterschiedliche Symptome              Die Ursachen hierfür sind sicherlich
ausgewogene Aufteilung zwischen          Männer und Frauen unterscheiden        mannigfaltig, hängen aber auch mit
Männern und Frauen bei medizini-         sich auch oft in der Art der Be-       dem Bild der schwachen, hysteri-
schen Studien geachtet wird, war         schwerden. Auch hierfür gibt es        schen Frau zusammen, dass sich
die Medizin der letzten Jahrzehnte       viele Beispiele. In der Kardiologie    früher in der Gesellschaft etabliert
eigentlich für die Bedürfnisse eines     wurden früher häufig Herzinfarkte      hat und sich nur langsam, jedoch
durchschnittlichen Mannes gemacht.       bei Frauen zu spät erkannt, da sie     stetig, in den letzten Jahren ändert.
Durch die Entstehung der Gender-         sich nicht mit der typischen

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