Frühlingserwachen im Umweltschutz - APRIL 2019 - Schweizerische Vogelwarte ...
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Uferschnepfe (Foto: Karsten Mosebach) AVINEWS APRIL 2019 Frühlingserwachen im Umweltschutz Wirksamer Naturschutz war jahr- falt auch die Lebensgrundlage der räume der Vögel repräsentativ und rektzahlungen für Biodiversitäts- zehntelang Wunschdenken weit- Menschen bedroht. zeigt, wo die Hebel anzusetzen förderflächen bereits. Es müsste sichtiger Ökologen. Jetzt nimmt Neu sind solche Erkenntnisse sind, damit auch Bienen, andere nur konsequent genutzt werden. er auf der politischen Bühne end- nicht. Schon 1972 machte der Insekten, Amphibien und Pflanzen Schon mit dem Budget für die un- lich Platz ein. Club of Rome in seinem Bericht profitieren. durchsichtigen Versorgungssicher- auf die Grenzen des Wachstums Die Vogelwarte hat den Hand- heitsbeiträge könnte der Bund Klimaschutz und Insektensterben aufmerksam. 1992 wurden an der lungsbedarf zu 11 Punkten ver- «Blühpatenschaften einkaufen» werden unverhofft zu Themen im UNO-Konferenz von Rio der Pro- dichtet. Vordringlich gilt es, den und zehn Prozent der Landwirt- Wahl- und Abstimmungskampf. zess der nachhaltigen Entwicklung Dünger- und Pestizideinsatz in der schaftsfläche zu Naturoasen ver- Schülerstreiks und Demonstratio- eingeleitet und die Biodiversitäts- Landwirtschaft zu senken und wandeln. Wie schnell und positiv nen für den Klimaschutz errei- konvention unterzeichnet. Endlich mehr Biodiversitätsförderflächen die Natur auf solche Massnahmen chen die Schweiz. Unsere bayeri- scheinen nun die Botschaften an- anzulegen. Die Wasserqualität, reagiert, illustrieren ökologische schen Nachbarn fordern in einer gekommen zu sein, und wir tun die Bodenfruchtbarkeit und die Aufwertungen, die von Landwir- Initiative vehement einen griffige- gut daran, die günstige politische Artenvielfalt würden unmittelbar ten mit Hilfe der Vogelwarte in der ren Naturschutz. 18,4 % Prozent Gelegenheit zu nutzen, bevor sich davon profitieren. Ein innovativer Champagne genevoise, im schaff- der Wahlberechtigten haben un- das Zeitfenster wieder schliesst. Landwirt aus Niederbayern bietet hausischen Klettgau und in der lu- längst das erfolgreichste Volksbe- Die Grundlagen für einen bes- für 50 Euro auf einer Aare Land zernischen Wauwiler Ebene reali- gehren in der Geschichte Bayerns seren Naturschutz sind dank um- pestizidfrei Futterpflanzen für Bie- siert wurden. Nutzen wir das Zeit- unterschrieben. In der Schweiz fassenden Vorarbeiten vorhanden. nen und andere Insekten an. Er fenster für einen verstärkten entspräche das einer Volksinitia- Etwa im neuen Schweizer Brutvo- wurde von der gewaltigen Nach- Naturschutz und eine wirklich tive mit knapp einer Million Un gelatlas, der uns ein aktuelles, prä- frage aus der Bevölkerung nach ökologische Agrarpolitik ab 2022. terschriften! Das Bewusstsein zises und umfassendes Bild über seinen Blühpatenschaften über- wächst, dass der alarmierende den Zustand der Vogelwelt liefert. rollt. In der Schweiz besteht das Matthias Kestenholz Rückgang der biologischen Viel- Das Bild ist auch für die Lebens- Programm der ökologischen Di-
AVINEWS APRIL 2019: IM FOKUS Der Brutvogelatlas als Auftrag Wie können wir die Situation der ziert und steht allen Interessierten nur klar, wo bzw. in welchen Le- jährlich erscheinenden «Zustands Vogelwelt in der Schweiz ver- online kostenlos zur Verfügung. bensräumen gehandelt werden erichts», der die wesentlichen b bessern? Der Brutvogelatlas Und er hält sein Versprechen: muss, sondern auch, welcher Erkenntnisse auf 44 Seiten zu- 2013–2016 zeigt den Handlungs- Noch nie konnte der Schutz der Handlungsbedarf konkret besteht. sammenfasst. Im Wissen um die bedarf auf. Die Vogelwarte setzt Brutvögel der Schweiz auf eine Grundlage dafür sind das über beschränkten Ressourcen im Na- sich zusammen mit Partnern für ähnlich fundierte Grundlage zu- Jahre hinweg erarbeitete Wissen tur- und Vogelschutz hat die Vo- Entwicklung und Umsetzung der rückgreifen. Der neue Brutvogel- um die Ansprüche der Vögel an gelwarte diese Erkenntnisse letzt- notwendigen Massnahmen ein. atlas zeigt nicht nur die aktuelle ihre Umwelt und die erfolgreich lich auf ein 4-seitiges Dokument Situation unserer Vögel, er veran- getesteten Fördermassnahmen. mit dem Namen «Der Brutvogel- Vor knapp sieben Jahren lancierte schaulicht auch, wie sich deren atlas als Auftrag» verdichtet. Mit die Vogelwarte nach Monaten Häufigkeit und Verbreitung in den Vom Buch über den Zustands- dieser Trilogie besitzt die Vogel- der Vorbereitung das Grosspro- letzten zwanzig Jahren verändert bericht zum Handlungsbedarf warte nun geeignete Grundlagen, jekt Brutvogelatlas 2013–2016. haben. Und weil Vögel mit ihren Indem der Brutvogelatlas den Bo- um sich gemeinsam mit Partner- In seinem Editorial in der Au- teils hochspezifischen Ansprü- gen spannt von der Beschreibung organisationen für eine Verbesse- gust-Ausgabe des Avinews 2012 chen an den Lebensraum auch des Zustands der Vogelwelt über rung der Situation unserer Brutvö- gab Lukas Jenni das Ziel vor, das immer Gradmesser für dessen Zu- die unmittelbaren Gründe für de- gel einzusetzen. die Vogelwarte mit dem Projekt stand sind, zeigt das Werk auch ren Entwicklung bis hin zum verfolgte: Eine Grundlage zu klar auf, wo im Naturschutz Defi- Handlungsbedarf, stellt das Werk Herleitung des Handlungs- schaffen für Folgearbeiten. Und zite bestehen. eine äusserst solide Grundlage für bedarfs bereits damals machte er klar, Doch die Autorinnen und Au- den Naturschutz dar. Wie gelan- Bei der Formulierung des Hand- dass dieses Ziel nicht ohne Unter- toren des Brutvogelatlas belassen gen nun die Erkenntnisse aus lungsbedarfs orientierte sich die stützung erreicht werden kann: es nicht bei der Beschreibung des dem über 600-seitigen Schwerge- Vogelwarte an ihrer eigenen Vi- «Wir wollen ein Gemeinschafts- Zustands der Vogelwelt oder de- wicht zu den verschiedensten sion, die einheimische Vogelwelt werk schaffen, das nur mit allen ren Veränderung. Sie zeigen für Partnerorganisationen und Behör- zu kennen und in ihrer Vielfalt für Freiwilligen zu erreichen ist, die einzelne Arten und ganze Vogel- den? kommende Generationen zu er- sich für Vögel begeistern. Packen gruppen sowie für Lebensräume In kondensierter Form: Zu die- halten. Doch sind dies nicht nur wir es gemeinsam an!» auf, welches die meist menschge- sem Zweck widmete die Vogel- die Ziele der Vogelwarte und ihrer Inzwischen ist der Schweizer machten Gründe für diese Ent- warte dem Brutvogelatlas 2013– freiwilligen Mitarbeitenden sowie Brutvogelatlas 2013–2016 publi- wicklungen sind. Damit wird nicht 2016 eine Sonderausgabe ihres zielverwandter Organisationen Als offizieller Atlasvogel schmückt der Wiedehopf ausser den Schweizer Brutvogelatlas 2013–2016 (648 S., links) auch die Sonderausgabe des Zustandsbericht 2018 (44 S., Mitte) und den Handlungsbedarf (4 S., rechts). 2
AVINEWS APRIL 2019: IM FOKUS und deren Unterstützerinnen und bei der Verbesserung der Situa- sechs Jahre nach Lukas Jenni re- las dereinst ein anderes, positives Unterstützer. Auch die offizielle tion, was Peter Knaus, der Leiter sümiert: «Nur wenn alle Beteilig- Fazit ziehen zu können.» Schweiz hat wiederholt festgehal- des Projekts Brutvogelatlas 2013– ten gemeinsam auf diese Ziele ten, dass der langfristigen Erhal- 2016, im Editorial der August- hinarbeiten, besteht die Chance, Michael Schaad tung der Biodiversität und damit Ausgabe des Avinews 2018 exakt nach dem nächsten Brutvogelat- auch der Vogelwelt ein hoher Stellenwert beizumessen ist. Mit dem Titel «Der Brutvogelatlas als Auftrag» zeigt die Vogelwarte, dass sie den Handlungsbedarf Handlungsbedarf ernst nimmt. Das Dokument stellt dadurch auch eine Konkretisie- Landwirtschaft rung der Vision der Vogelwarte. 1. Verringerung der Bewirtschaftungsintensität durch eine markante Reduktion des Dünger- und Pestizideinsatzes Der ausgewiesene Handlungsbe- sowie durch biodiversitätsfreundliche Anbau- und Erntetechniken. 2. Optimierung der Biodiversitätsförderflächen (BFF) durch die Erhöhung der Qualität und gute Vernetzung sowie darf dürfte dank seines raumgrei- Schaffung von mehr BFF insbesondere im Ackerland. fenden Einflusses neben den Vö- 3. Abstimmung der Mahdtermine auf die Lebensraumansprüche der Wiesenbrüter, insbesondere in deren Kern- geln auch anderen Pflanzen und gebieten. Tieren zu Gute kommen. 4. Erhaltung und Förderung von naturnahen Strukturen im Landwirtschaftsgebiet (z.B. Hecken, Einzelbäume, struktur- reiche Weiden, Trockenmauern, Böschungen, Kiesgruben). Weiteres Vorgehen Wald Die Vogelwarte hat in den ver- 5. Förderung strukturreicher Wälder sowie, vor allem im Mittelland und im Jura, von Tot- und Altholz. gangenen Jahrzehnten kontinu- 6. Schaffung von Waldrändern mit breiten Übergangszonen zum Kulturland sowie Förderung von lichten Wald- ierlich Kontakte zu Partnerorgani- beständen und Auenwäldern. sationen gepflegt, die betreffend Biodiversitätsförderung in den Feuchtbiotope und Gewässer verschiedenen Lebensräumen 7. Schaffung und Förderung eines Netzes von ausreichend nassen Feuchtbiotopen mit Pufferzonen und ent- und Sektoren Schlüsselpositionen sprechender Pflege. einnehmen. Dazu gehören Land- 8. Förderung eines naturverträglichen Abflussregimes und von grossflächigen Gewässerrevitalisierungen mit ent- besitzer bzw. -bewirtschafter und sprechender Besucherlenkung. deren Organisationen ebenso wie Siedlungen kantonale und nationale Behör- 9. Förderung von naturnahen Grünräumen und grossen Bäumen in Siedlungen sowie von Brutmöglichkeiten an Ge- den. Auf das so geknüpfte Netz- bäuden. werk kann sie jetzt aufbauen, um die Entwicklung und Umsetzung Anspruchsvolle Vogelarten von Massnahmen zur Erfüllung 10. Erhaltung von möglichst grossen störungsarmen Räumen insbesondere im alpinen Raum, im Wald und in Feucht- des Handlungsbedarfs voranzu- biotopen. Dazu gehört die Vermeidung von Fragmentierung durch Infrastruktur. treiben. Denn wie bei der Erarbei- 11. Verstärken der spezifischen Massnahmen und Projekte für die Prioritätsarten Artenförderung. tung des Brutvogelatlas gilt auch Die Bestände der Brutvogelarten in Feuchtbiotopen und an Gewässern sind nach wie vor klein. Zwei traditionelle Brutvogelarten sind in den letzten Jahren sogar ver- schwunden. Die wenigen noch verbleibenden Feuchtbiotope beherbergen meist eine hohe Artenvielfalt. Allerdings sind sie klein, fragil und isoliert. Nährstoffeinträge, Wasserstandregulierungen, Drainage und Störungen setzen ihnen zu. Die Ufer von Still- und Fliessgewässern sind vielfach verbaut (Fotos: Roman Graf und Mathias Kestenholz). 3
AVINEWS APRIL 2019: VOGELSCHUZTTHEMA ERKLÄRT Mehr Verständnis für kecke Krähen Kaum eine Vogelgruppe hat so der Altvögel nur eine geringe Rolle, sehr mit Vorurteilen zu kämpfen, als Nahrung für die Jungen sind sie wie die Rabenvögel. Mit einem aber wichtig. Mit proteinreicher besseren Verständnis für die öko- Nahrung ermöglichen die Raben- logischen Zusammenhänge und vögel ihren Jungen einen gesun- für deren Verhalten können sie den Start ins Leben. Genauso, wie entkräftet und Konflikte ent- dies beispielsweise ein Steinadler schärft werden. tut, der seinem Nachwuchs Mur- meltiere verfüttert. Schweizweit Die Bestände vieler Rabenvögel betrachtet haben Rabenvögel kei- steigen in der Schweiz deutlich an. nen Einfluss auf die Bestandsent- Insbesondere Elster, Raben- und wicklung anderer Vögel. Kleinvö- Saatkrähe sind mittlerweile häu- gel brüten meist mehrmals pro Jahr fige Brutvögel in Dörfern und und können so Brutverluste kom- Städten. Die anpassungsfähigen pensieren. Das jährlich durchge- Vögel profitieren hier von guten führte «Monitoring häufiger Brut- Die Elster findet in städtischen Agglomerationen alles, was sie zum Leben Nahrungsbedingungen und feh- vögel» der Vogelwarte zeigt, dass braucht: Nahrung, Nist- und Schlafplätze (Foto: Beat Rüegger). lenden Feinden. Im Siedlungsraum die Bestände von Amsel, Rotkehl- halten sich die Vögel in der direk- chen, Kohlmeise und vielen weite- ten Umgebung des Menschen, ren Arten in den letzten Jahren Auswirkungen auf Greifvögel wird den Rabenvögeln als Boshaf- was immer wieder zu Konflikten deutlich zunahmen, obwohl ihre Wenn Rabenvögel einen Greifvo- tigkeit angelastet. Die Attacken führt: Anwohner stören sich am Nester von Rabenvögeln ausge- gel verfolgen, dann sind die Sym- durch Rabenvögel sind für die lautstarken Treiben von Saatkrä- räumt werden können. pathien klar verteilt: Der Greifvo- Greifvögel aber höchstens lästig, hen und an deren Kot unter Brut- Wer im eigenen Garten beob- gel ist der Gute, die Rabenvögel Auswirkungen auf die Populatio- kolonien, oder sie beklagen sich, achtet, wie ein Rabenvogel ein sind die Bösen. Greifvögel werden nen haben sie nicht: Die Bestände wenn ein Singvogelnest im Garten Nest ausräumt, fühlt dennoch mit aber nicht ohne Grund verjagt: Ra- der meisten Greifvögel steigen seit von einer Rabenkrähe oder Elster den Kleinvögeln. Wer Kleinvögeln benvögel vertreiben damit einen den 1990er-Jahren an. ausgeräumt wurde. helfen möchte, der pflanzt anstatt potenziellen Feind aus dem Terri- Thuja oder Kirschlorbeer dichte torium, um sich selbst zu schützen Nachbarschaftskonflikte Auswirkungen auf Kleinvögel Dornsträucher und deckungsrei- und um ihre Jungen zu verteidi- Im Gegensatz zur paarweise nis- Oft ist zu hören, Rabenvögel wür- che einheimische Gehölze, etwa gen. Rabenvögel sind nämlich hin- tenden Rabenkrähe brütet die den im Siedlungsgebiet die Singvo- Schwarz- und Weissdorn, Wildro- gebungsvolle Eltern und kümmern Saatkrähe in Kolonien. Ein Gross- gelbestände dezimieren oder gar sen oder Schwarzer Holunder. sich äusserst fürsorglich um ihren teil der 5800–7300 Brutpaare der ausrotten. Zwar spielen Kleinvögel, Diese bieten den Kleinvögeln rela- Nachwuchs. Was bei anderen Tie- Schweiz befindet sich in Städten. Eier und Nestlinge in der Nahrung tiv sichere Neststandorte. ren als Elternliebe gelten würde, Besonders ab Mai, wenn beide El- Saatkrähen brüten gern in Städten und Dörfern, weil dort die Jagd ruht und die Gefahr, von ihren natürlichen Feinden Habicht und Wanderfalke geschlagen zu werden, geringer ist als anderswo (Foto: Ralph Martin). 4
AVINEWS APRIL 2019: VOGELSCHUZTTHEMA ERKLÄRT Rabenkrähe 160 schaftlichen Schaden als gering 2012 ist auch die Saatkrähe jagd- eingeschätzt. Rabenvögel werden bar, geniesst aber eine Schonzeit 140 von Landwirten aber auch ge- zwischen 16. Februar und 31. Juli. 120 schätzt, da sie unter anderem Aas, Zwischen 2010 und 2017 wurden Bestandsindex Bestandsindex Schnecken und Mäuse fressen. laut eidgenössischer Jagdstatistik 100 Verantwortlich für die Schäden in durchschnittlich 9762 Rabenkrä- landwirtschaftlichen Kulturen sind hen und 1386 Elstern pro Jahr ge- 80 vor allem nichtbrütende Vögel, die schossen. Die Anzahl erlegter sich zu Schwärmen zusammen- Saatkrähen ist in den letzten Jah- 60 schliessen. Brutvögel hingegen ren geradezu explodiert: Wurden 40 richten während der Brutzeit 2013 noch 4 Saatkrähen geschos- kaum Schäden an. Zudem brüten sen, waren es 2017 bereits deren 1990 1995 2000 2005 2010 2015 in den Nestern von Krähen und 200. Von Schonung kann also Jahr Elstern Waldohreule und Turm- keine Rede sein. Dennoch ist eine falke. Ohne die Rabenvögel könn- dauerhafte Dezimierung der Be- ten die Mäusejäger nicht im Kul- stände durch intensivere Jagd aus Rotkehlchen Jahr Kohlmeise turland brüten. mehreren Gründen kaum zu reali- Amsel 160 Die beste Methode, um Raben- sieren. Einerseits ist die Jagd sehr vögel von Kulturen fernzuhalten, aufwändig, weil die Vögel dank 140 ist Vorbeugung. Durch das Pflan- ihrer hohen Intelligenz die Jäger zen von Hecken und Feldgehölzen und deren Fahrzeuge nach kurzer Bestandsindex 120 wird den Feinden von Rabenvögeln Zeit individuell erkennen und Deckung angeboten. Wenn sich rechtzeitig das Weite suchen. An- 100 die Rabenvögel nicht sicher fühlen, dererseits ist die Jagd im Sied- 80 kann sich deren Aufenthaltsdauer lungsbereich, wo die Bestände auf den Feldern reduzieren. Auch speziell zugenommen haben, auf- 60 durch den Aussaatzeitpunkt kann grund von Sicherheitsüberlegun- Schäden vorgebeugt werden. Müs- gen nicht praktikabel. 40 sen Rabenvögel trotzdem vertrie- Die Jagd setzt ausserdem ei- 1990 1995 2000 2005 2010 2015 ben werden, sind Fantasie und Ab- nige natürliche Regulationsmecha- Jahr wechslung gefragt, da die intelli- nismen ausser Kraft, die eine un- genten Vögel schnell lernen und begrenzte Zunahme der Bestände Die Auswertungen unserer Überwachungsprogramme zeigen für die Raben- nach wenigen Tagen nicht mehr verhindern. Bei hoher Bestands- krähenbestände einen positiven Langzeittrend. Das gilt auch für andere häu- auf Abwehrmassnahmen reagie- dichte treten vermehrt Nichtbrüter fige Siedlungsvögel wie das Rotkehlchen, die Amsel und die Kohlmeise. ren. Abwechselnd eingesetzt bie- auf, welche die Brutpaare bei der ten Gasballone, farbige Plastikbän- Jungenaufzucht erheblich stören der, Windräder und Apparate mit und so den Bruterfolg schmälern tern ihrem Nachwuchs Nahrung wurden an verschiedenen Orten akustischen und/oder visuellen können. Ausserdem nimmt mit der bringen, kann es an den Kolonien mit unterschiedlichem Erfolg an- Schreckeffekten einen gewissen Dichte auch die Aggression zwi- laut werden, was zu Klagen bei gewandt. Meistens führte dies zur Schutz, wobei Gasballone beson- schen benachbarten Brutpaaren Anwohner führen kann. Die akus- Gründung neuer Kolonien in der ders wirksam sind. Details zur kor- zu. Krähen und Elstern vertragen tische Kommunikation spielt bei Umgebung. Das Problem wird da- rekten Anwendung sind im Merk- sich auch untereinander nicht gut der sozialen Saatkrähe aber eine mit verlagert, doch kaum je ge- blatt «Rabenvögel in landwirt- und plündern sich bei Gelegenheit ganz wichtige Rolle. Schallpegel- löst. Aus Sicht der Vogelwarte schaftlichen Kulturen» aufgeführt. gegenseitig die Nester. Durch die messungen haben zudem gezeigt, müssen Massnahmen bis zum Be- Die immer wieder diskutierte In- jagdlich bedingte zeitweilige Dezi- dass die Rufe der Saatkrähen deut- ginn der Schonzeit Mitte Februar tensivierung der Jagd hingegen mierung setzt man die bei hoher lich unter denen des Verkehrs- abgeschlossen sein. Allfällige Ein- verspricht keine langfristige Lö- Bestandsdichte wirkenden, natür- lärms liegen. Dass die Rufe der griffe und deren Auswirkungen sung dieser Konflikte. lichen Regulierungsmechanismen Saatkrähen dennoch als störender zu dokumentieren ist die Voraus- ausser Kraft. Die Bestände wach- bezeichnet werden, zeigt, wie we- setzung, um daraus zu lernen Die Krux mit der Jagd sen deshalb sehr rasch wieder zur nig guten Willen den Vögeln ent- und allfällige weitere Eingriffe Entgegen der landläufigen Mei- alten Grösse heran. gegen gebracht wird. Insbeson- entsprechend zu optimieren. nung sind Elster und Rabenkrähe dere wenn sich unter den Nestern nicht geschützt und damit ausser- Livio Rey Park-, Sitz- oder Spielplätze, Trot- Rabenvögel in der halb der Schonzeit jagdbar. Seit toirs oder Bushaltestellen befinden, Landwirtschaft bergen Verschmutzungen wegen Nicht nur in den Siedlungen, auch Kot weiteres Konfliktpotenzial. im offenen Landwirtschaftsland Um die Ansiedlung von Saat- finden Rabenvögel ihre Nahrung. krähen zu verhindern, wurden Dabei können saisonal Kultur- Weiterführende Informationen über Rabenvögel finden Sie im Themenheft schon Versuche mit zahlreichen pflanzen einen erheblichen Teil 2019 «Raben: schwarz, schlau und verspielt» und in unseren Merkblättern Methoden durchgeführt. Häufiger der Nahrung ausmachen. Ob- «Elstern und Rabenkrähen im Siedlungsgebiet», «Saatkrähen» und «Raben- Baumschnitt, Einsatz von Attrap- schon einzelne Betriebe stark be- vögel in landwirtschaftlichen Kulturen» unter: pen, optisches Verscheuchen, La- troffen sein können, haben Unter- www.vogelwarte.ch/de/voegel/ratgeber serstrahlen und weitere Techniken suchungen den gesamtwirt- 5
AVINEWS APRIL 2019: ARTENFÖRDERUNG Als Bodenbrüterin ist die Feldlerche unbedingt auf eine schonende Bodennutzung angewiesen (Foto: Mike Powles/FLPA). Die Feldlerche – eine Bodenbrüterin am Boden Die Feldlerche ist vielerorts wei- Die einst überaus häufige und all- förderflächen seien nicht wirksam. aber für eine ökologische, nach- terhin im Sinkflug, wie der gegenwärtige Charakterart Das ist falsch, denn das Problem haltige Schweizer Landwirtschaft Schweizer Brutvogelatlas 2013– musste auf der Roten Liste als besteht darin, dass es in den offe- unabdingbar und für die Feldler- 2016 bilanziert. Damit diese iko- «potentiell gefährdet» eingestuft nen Ackerbaugebieten – also ge- che von existenzieller Bedeutung. nische Landwirtschaftsart nicht werden und ist eine der 50 Priori- nau im Lebensraum der Feldlerche weiter an Boden verliert, braucht tätsarten der Artenförderung Vö- – viel zu wenig Biodiversitätsförder- Umsetzen – aber wie? sie eine grossräumige Förderung, gel Schweiz. flächen auf Ackerland gibt. Ihr An- Für Feldlerche, Feldhase und Co. ist insbesondere mehr wertvolle teil liegt dort heute im Durch- es zentral, das Angebot an niedri- Biodiversitätsförderflächen und Rezepte vorhanden schnitt bei nur ca. 1,6 % der land- ger und lückiger Vegetation zur schonende Anbaumethoden. Die Förderung der Feldlerche wird wirtschaftlichen Nutzfläche. Doch Brutzeit grossflächig zu erhöhen. immer dringender. Die Vogelwarte es wären einige Prozent mehr nö- Im Ackerbau sehen wir deshalb Die Feldlerche gehört in der hat denn auch schon früh Rezepte tig. Die BFF auf Ackerland stehen einen machbaren Weg darin, nicht Schweiz zu den grossen Verlierern entwickelt und ausgetestet, wie jedoch meist in Konkurrenz zur in- nur das Angebot an wertvollen in der Vogelwelt. Wo noch vor we- der Bestand der Feldlerche ge- tensiven Produktion und stossen Feldlerche Biodiversitätsförderflächen zu er- nigen Jahrzehnten über einem stützt werden kann. Ein Mosaik deshalb auf Widerstand. Sie sind höhen, sondern es mit Massnah- Quadratkilometer weiträumigen, aus Buntbrachen, Rotationsbra- offenen Kulturlandes 20–40 Ler- chen, Säumen, Blüh- und Acker- 140 chen sangen, fehlt sie heute vieler- randstreifen bietet ihr Platz zum orts grossräumig. Als Bodenbrü- Brüten, Sämereien als Nahrung terin kommt sie bei der landwirt- und Insekten als Futter für ihre 120 schaftlichen Nutzung in Jungen. Diese Strukturen im Kul- Bestandsindex Bestandsindex Bedrängnis. Im Grünland werden turland, sogenannte Biodiversitäts- 100 intensiv genutzte Wiesen zu häu- förderflächen (BFF), haben sich als fig geschnitten, und auch in Acker- sehr erfolgreich erwiesen. Wo kulturen gibt es immer weniger Landwirte und Landwirtinnen zu- 80 Nistmöglichkeiten. Für ihr Brutge- sammen mit der Vogelwarte ein schäft braucht die Feldlerche nur entsprechendes Angebot geschaf- knapp sechs Wochen. Nestbau fen haben, konnte die Feldlerche 60 (3–4 Tage), das Legen (4–5 Tage) überleben, etwa im Schaffhauser 1990 1995 2000 2005 2010 2015 und Bebrüten der Eier (11–12 Klettgau, in der luzernischen Wau- Jahr Tage) und die Aufzucht der Nest- wiler Ebene oder in der Champa- linge (18–20 Tage) werden in Re- gne genevoise. Dennoch wird Die Feldlerche ist seit Jahren im Sinkflug. Im Mittelland ist die Dichte mittler- kordzeit absolviert, und doch nach über 20 Jahren Direktzahlun- weile zehnmal tiefer als um 1990. Die BeständeJahr sind aber auch in höheren bleibt der Bruterfolg sehr oft aus. gen Kritik laut, die Biodiversitäts- Lagen rückläufig. 6
Du lieber Himmel: Zur Rettung der Feldlerche braucht es deutlich mehr Biodiversitätsförderflächen im Ackerland, schonende Anbaumethoden und spätere Mahdtermine (Fotos: Markus Jenny). men auf Produktionsflächen zu Landwirte haben Interesse an sol- kombinieren. Es gilt, Kulturen so chen Anbauformen, denn ge- anzubauen, dass sie Erträge liefern sunde Böden sind unabdingbar, Am Schamserberg in Graubünden, auf 1900–2100 m ü.M., ist die Feld- und gleichzeitig bessere Bedingun- um die Nahrungsmittelproduktion lerchendichte rekordverdächtig für höhere Lagen der Schweiz: auf 8,3 km2 Fläche finden wir rund 200 Reviere. Dafür verantwortlich sind insbesondere gen für Bodenbrüter bieten. Dies langfristig zu sichern. Deshalb in- die gute topographische Lage und das Lebensraum-Mosaik von leicht ge- gelingt etwa mit Sommergetreide, teressieren sich auch Landwirt- düngten Fettwiesen und Magerrasen. Spätmahdverträge für drei Viertel der herbizidfreiem Anbau von Ge- schaftskreise wieder vermehrt für Wiesen garantieren eine Feldlerchen-freundliche Nutzung. Nun gefährdet treide respektive Mais mit Unter- bodenschonende Anbauweisen. eine Melioration dieses wertvolle Feldlerchengebiet. Wir fordern, dass die saaten sowie mit einer weiten Saat Sie bieten nicht nur der Feldlerche Spätmahdverträge im gleichen Umfang erhalten bleiben. Im Gegenzug im Getreide. Die «Weite Saat», eine Chance, sondern bergen können die Landwirte die restliche Fläche flexibler nutzen. auch als «Weite Reihe» bezeichnet, auch ein grossräumiges Potenzial wird bereits in mehreren Kantonen für die Förderung der typischen innerhalb von Vernetzungsprojek- Flora und Fauna des offenen Kul- ten als eine Massnahme auf Pro- turlandes. Wie das praktisch ab- duktionsflächen angeboten. laufen kann, testen wir derzeit auf Die Förderung macht dort am einer grossen Staatsdomäne im meisten Sinn, wo die Landschaft Berner Seeland. Eine schonende noch weit und offen ist, das heisst Bodenbearbeitung kombiniert mit von starker Überbauung und Zer- Maisanbau mit Untersaat hält siedelung noch verschont ist, und nicht nur die Böden langfristig ge- wo auch die Bodenbeschaffenheit sund, sondern bietet auch der günstig ist. Die Vogelwarte hat Feldlerche wieder mehr Brutmög- diese Regionen in einer Feldler- lichkeiten, dank grösserem Anteil chen-Potenzialkarte bezeichnet an niedriger und relativ lückiger (siehe Artikel im Avinews vom De- Vegetation. zember 2017). Vorbildliche Produzentenorga- Vielerorts sind Vernetzungspro- nisationen wie IP-Suisse initiieren jekte etabliert, in welche regionale vermehrt Programme, in denen Förderkonzepte integriert und be- Landwirte bei herbizidfreiem An- Feldlerche (Foto: Mathias Schäf) gleitet werden können. Liegen bau oder Verzicht auf Glyphosat wichtige Feldlerchengebiete höhere Preise erhalten. Mit diesen ausserhalb von Vernetzungsperi- Trends tun sich sprichwörtlich bewirtschaftet werden. Eine ex- Spiegelbild einer naturverträgli- metern, bedeutet dies, dass keine «neue Felder» auf für die Förde- tensive Bewirtschaftungsweise för- chen Landwirtschaft. Mit ressour- Vernetzungsgelder fliessen und rung von Feldlerche, Feldhase und dert die Pflanzen- und Insektendi- censchonenden und extensiven zusätzliche Finanzierungsmöglich- Co. Allerdings bringen auch solche versität. Insekten sind unverzicht- Produktionssystemen ist es Feldler- keiten gefunden werden müssen. ressourcenschonenden Verfahren bare Bestäuber von Kulturpflanzen che und Co. möglich, sich auch In jedem Fall ist eine fachlich fun- unter Umständen Probleme mit und als Fressfeinde anderer Insek- auf Produktionsflächen wieder er- dierte Beratung zur Motivation sich. Die Unkrautbekämpfung ge- ten sorgen sie für weniger Schä- folgreich fortzupflanzen. Nicht zu- und Begleitung der Landwirte schieht oft mechanisch, das heisst den an Kulturen. Solche Ökosys- letzt erfreut sich auch die Bevölke- matchentscheidend. durch Striegeln und Hacken der temleistungen sind unerlässlich für rung an blühenden und lebendi- Kulturen. Erfolgt dies zu häufig, die langfristige umweltfreundliche gen Kulturlandschaften – inklusive Die Landwirtschaft profitiert leiden die Bodenbrüter darunter. Produktion von Nahrungsmitteln. trillernder Feldlerchen. von der Feldlerchenförderung Synergien können hier nur genutzt Die Feldlerche als Charaktervo- Die Massnahmen zur Förderung werden, wenn eine gewisse Ver- gel der offenen Kulturlandschaf- Judith Zellweger-Fischer & der Feldlerche wirken oft auch res- unkrautung toleriert wird und die ten darf in der Schweiz nicht wei- Reto Spaar sourcen- oder bodenschonend. Kulturen grundsätzlich extensiv ter an Boden verlieren, denn sie ist 7
AVINEWS APRIL 2019: VOGELSCHUTZTHEMA ERKLÄRT Zu viel Dünger schadet den Vögeln Die Schweiz ist ein üppig grünes noch 145 000 t sein. Die soge- Land. Äcker und Wiesen sind nannte Stickstoffeffizienz wird von reichlich gedüngt. Moore und 22 auf 30 % zugenommen haben. Wälder erhalten mehr Nährstoffe, Es sind also Fortschritte absehbar; als ihnen gut tut. Dadurch ver- der Stickstoffüberfluss in der schlechtert sich der Lebensraum Schweiz wird aber auch dann noch vieler Vogelarten, die bei der gewaltig sein. Nahrungssuche oder für die Nest- anlage auf lückige, niedrige Ve- Schweizer Tieflagen getation angewiesen sind. besonders überdüngt Die Stickstoffbelastung ist regional Zweck des landwirtschaftlichen sehr unterschiedlich. Am stärksten Düngens ist die Ertragssteigerung. ist sie im östlichen Mittelland und Doch nicht aller Dünger wird von im voralpinen Hügelland. Aber den Pflanzen aufgenommen. Ein auch in den übrigen tiefgelegenen grosser Teil des Stickstoffs geht in Gegenden sind die Werte sehr die Luft: 2005 stammten 65 % die- hoch. Die kritische Obergrenze der ser Emissionen aus der Landwirt- Stickstoffbelastung variiert je nach schaft, 22 % vom Verkehr, 10 % Lebensraum, wird in der Schweiz aus Industrie und Gewerbe und aber fast überall überschritten: 3 % aus privaten Haushalten. Die- 100 % der Hochmoore, 90 % der Waldlaubsänger (Foto: Mathias Schäf. ser Stickstoff in der Luft kommt Wälder, 84 % der Flachmoore und grösstenteils wieder auf die Erde 42 % der Trockenwiesen erhalten zurück und düngt auch Flächen, mehr Stickstoff, als ihnen zuträg- sammensetzung und Struktur der bei der Revierwahl. Auch beim die nicht mit Nährstoffen angerei- lich ist. Vegetation und indirekt auch auf Berglaubsänger, der vor allem chert werden sollten. Heute liegen Brutvögel. Hier zwei Beispiele: nährstoffärmere Waldgesellschaf- die Stickstoff-Immissionen vieler- Erhebliche Auswirkungen auf 1. Wo früher Waldmeister oder ten besiedelt, wird ein negativer orts weit über den 5–25 kg/ha und Vögel Hainsimsen eine lückige Bodenve- Einfluss der Nährstoffzunahme Jahr, die für die meisten Ökosys- Die überschüssigen Stickstoffmen- getation bildeten, wird der Unter- vermutet. teme als noch tragbar gelten. gen, die in die Umwelt gelangen, wuchs in «überdüngten Wäldern» 2. In Gebieten mit grosser Stick- Während für 1994 ein jährlicher gelten als eine der Hauptursachen heute durch nährstoffliebende Ar- stoffdeposition aus der Luft ist die Stickstoffüberschuss von 190 000 t für den Rückgang der Biodiversität ten wie Brombeeren oder Brenn- Pflanzenvielfalt kleiner als an Ver- berechnet wurde, werden es 2020 in Mitteleuropa. Sie haben gravie- nesseln dominiert. Der Waldlaub- gleichsstandorten. Das liegt daran, bei gleichbleibender Entwicklung rende Auswirkungen auf Artenzu- sänger meidet solche Vegetation dass dort vermehrt konkurrenz- kräftige Arten aufkommen und die auf magere Standorte speziali- Anzahl Arten/km2 sierten, kleinwüchsigeren Arten verdrängen. In fetten, artenarmen Wiesen gibt es weniger Insekten, was auf viele Vogelarten des Kul- turlands negative Auswirkungen hat. Zudem erschwert ein üppiger Pflanzenwuchs die Erreichbarkeit der Insekten für Vögel, die am Bo- den nach Nahrung suchen. Etliche Arten mit abnehmenden Bestän- den wie Wendehals, Feldlerche, Heidelerche, Neuntöter und Gar- tenrotschwanz sind zur Nahrungs- aufnahme auf eine lückige, eher niedrige Vegetation angewiesen. Auf Landschaftsebene macht die Überdüngung die Flora eintöni- ger. Analysen der Brutvogelatlas- daten deuten darauf hin, dass dies auch für die Avifauna gilt. Wir ha- ben dazu für alle unter 600 m gele- genen Atlasquadrate (10 × 10 km) im Mittelland und im Jura den mittleren Stickstoffeintrag/ha aus der Luft mit der festgestellten Ar- Verbreitungsänderung seit 1993–1996 für jene fünf Arten, die zur Nahrungssuche offene Bodenstellen benötigen tenzahl verglichen. Überdüngte At- (Wendehals, Feldlerche, Heidelerche, Neuntöter und Gartenrotschwanz). Die Karte entstand durch die Kombination der Veränderungskarten dieser fünf Arten. lasquadrate weisen weniger Brut- vogelarten auf als Quadrate mit 8
AVINEWS APRIL 2019: VOGELSCHUTZTHEMA ERKLÄRT geringerem Stickstoffeintrag: Je 10 kg/ha zusätzlich deponiertem Stickstoff sinkt die Artenzahl um rund 11 Arten. Positive Auswirkungen der Düngerreduktion in Seen In den Gewässern verlief die Ent- wicklung anders als im Grünland und im Wald, denn dort ist nicht Stickstoff, sondern Phosphor der limitierende Nährstoff. Viele Schweizer Seen waren vor einigen Jahrzehnten noch mit so viel Phos- phor aus Siedlungsabwässern und der Landwirtschaft belastet, dass ihre Ökosysteme beinahe kolla- bierten. Seither hat sich die Situa- tion durch den Ausbau des Kläran- lagensystems, das Phosphatverbot in Waschmitteln und die Einrich- tung von Pufferzonen stark ver- bessert. Dadurch konnten sich viele Schilfbestände und vor allem die unter Wasser wachsenden Ra- sen von Laichkräutern und Arm- Der Waldlaubsänger bevorzugt Wälder mit mässiger bis mittelstarker, grasartiger Bodenvegetation. Bestände mit einer leuchteralgen wieder erholen. Da- von stickstoffliebenden Pflanzen wie z.B. Brombeeren dominierten Krautschicht meidet er dagegen. von profitierten Schilfbrüter und die sich vorwiegend von Arm- leuchteralgen ernährende Kolben- Während es also gelungen ist, unser Ziel bleibt, auch Arten zu er- Leicht gekürzter Auszug aus dem ente. Deren Winterbestände sind die Nährstoffsituation in unseren halten, die eine weniger über- identisch betitelten Fokustext im bei uns in den letzten Jahren stark Gewässern deutlich zu verbessern, düngte Landschaft mit lückiger, Schweizer Brutvogelatlas 2013- gewachsen, und die Zahl der Brut- sind wir von einer nachhaltigen niedriger Vegetation benötigen, 2016. paare hat sich von 1993–1996 bis Lösung im terrestrischen Bereich muss in diesem Bereich rasch und Roman Graf 2013–2016 etwa verfünffacht. noch sehr weit entfernt. Wenn es entschlossen gehandelt werden. Fettwiesen sind relativ arm an Insekten. Dazu erschwert der üppige Pflanzenwuchs jenen Vogelarten, die wie der Gartenrotschwanz am Boden nach Nahrung suchen, auch noch den Zugang zur spärlichen Beute (Foto: Markus Varesvuo). 9
AVINEWS APRIL 2019: NEUES AUS DER FORSCHUNG Zugkalender bei Männchen und Weibchen Bei vielen Zugvögeln erscheinen von mit Hilfe von Geolokatoren ge- Briedis M et al. 2019 A full annual Bei den untersuchten Kleinvogelarten die Männchen einige Tage vor wonnenen Zugdaten europäischer perspective on sex-biased migra- (alles europäische Langstreckenzieher) den Weibchen an den Brutplät- Singvögel ausgewertet. tion timing in long-distance migra- unterscheiden sich die Zugperioden von Männchen (blau) und Weibchen zen, denn je früher sie dorthin zu- Dabei hat sich gezeigt, dass tory birds. Proc. R. Soc. B 20182821. (orange). Die Zeitskala zeigt Abwei- rückkehren, umso grösser ist die Männchen in den verschiedenen http://dx.doi.org/10.1098/ chungen (in Tagen) vom Mittelwert. Aussicht, sich das beste Revier zu Zugzeiten generell ein paar Tage rspb.2018.2821 A: Abflug aus dem Brutgebiet. sichern. Wenn die Weibchen ein- früher aufbrechen als Weibchen. B: Ankunft im Winterquartier. getroffen sind, wählen sie ihren Die einzige Ausnahme betrifft die C: Abflug aus dem Winter- Brutpartner aufgrund seiner indi- Ankunft in den afrikanischen Win- quartier. D: Ankunft viduellen Vorzüge und der Quali- terquartieren; dort treffen Männ- im Brutgebiet. tät seines Brutreviers. chen und Weibchen gleichzeitig ein. Die Zugkalender der Ge- Bis jetzt war nicht bekannt, wie die- schlechter scheinen sich also fast ser Vorsprung der Männchen zu- im ganzen Jahresverlauf etwas zu stande kommt. Überwintern sie nä- unterscheiden. Demzufolge be- her an den Brutgebieten? Ziehen ruht die frühere Rückkehr der sie insgesamt schneller oder begin- Männchen in die europäischen nen sie ihre Reise früher als die Brutgebiete weitgehend auf dem Weibchen? Es herrschte auch keine zeitigeren Aufbruch im afrikani- Klarheit darüber, ob solche zeitli- schen Winterquartier. chen Unterschiede zwischen den Abreise- und Ankunfttermine Geschlechtern auch in anderen Ab- von Zugvögeln sind generell stark schnitten des Jahreszyklus auftre- korreliert. Wer früh aufbricht, hat ten. Deshalb haben Wissenschaft- auch sehr gute Chancen, früh am ler der Vogelwarte zusammen mit Ziel anzukommen. Das gilt sowohl Kollegen verschiedener europäi- für den Wegzug im Herbst als scher Universitäten grosse Mengen auch für den Heimzug im Frühling. Der Wanderfalke in der Schweiz: Bestandstrends der Jahre 2005–2016 Der schweizerische Brutbestand gangen sind. In der Südwest- rungen, z.B. durch Kletterer, Foto- Kéry, M., Banderet, G., Neuhaus, des Wanderfalken hat sich nach schweiz ist die Zahl der Brutpaare grafen, Gleitschirmflieger, Wande- M., Weggler, M., Schmid, H., Satt- dem pestizidbedingten Einbruch zwischen 2008 und 2015 von 51 rer oder Geocacher sowie Todes- ler, T. & Parish, D. 2019. Popula- zwischen den Fünfziger- und auf 33 (–35 %) gesunken, im fälle an Infrastrukturanlagen wie tion trends of the Peregrine Falcon Siebzigerjahren bis zur Jahr- Nordjura zwischen 2009 und Stromleitungen, Fensterscheiben in Switzerland with special refe- tausendwende wieder weitge- 2015 von 70 auf 40 (–43 %) und oder Windkraftturbinen zum rence to the period 2005-2016. – hend erholt. Ähnliche Tendenzen im Kanton Zürich zwischen 2010 Rückgang der schweizerischen Ornis Hungarica 26(2): 91-103. hat man auch in anderen Län- und 2015 von 6–7 auf nur noch Wanderfalkenbestände beitragen. DOI: 10.1515/orhu-2018-0017. dern Europas und in Nordame- 2–4 (–50 %)! . rika beobachtet. In derselben Periode kam es in allen drei Untersuchungsgebieten Mit Hilfe dynamischer Modelle zur mindestens zu einer Verdoppe- Besetzung der bekannten Horst- lung der örtlichen Aussterberate, standorte hat ein Team mit Beteili- denn diese stieg von 0,05–0,1 auf gung der Vogelwarte die Trends 0,2. Im Nordjura sank gleichzeitig der Wanderfalkenbestände ge- auch die lokale Besiedlungsrate nauer untersucht, speziell seit von 0,3 auf 0,1, während in den dem Jahr 2005. Die Daten stam- beiden anderen Gebieten keine men aus drei Regionen, in denen Änderung dieses Werts feststellbar die Art von Spezialisten intensiv war. beobachtet wird: aus der Süd- Als möglicherweise verantwort- westschweiz (1960–2015), dem liche Auslöser für diese neuesten, Nordjura (2005–2015) und dem starken Einbussen diskutieren die Kanton Zürich (2002–2015). Autoren die Prädation durch den Leider hat die Studie ergeben, Uhu und die illegale direkte Verfol- dass die Bestände in den letzten gung durch den Menschen. Weiter Jahren wieder deutlich zurückge- könnten auch zunehmende Stö- Wanderfalke (Foto: Ralph Martin) 10
AVINEWS APRIL 2019: UNTERWEGS MIT ... … Stefanie Pfefferli Die erfahrene Ornithologin, später weitere Botanik- und Exkur- ID-Melderin und Breitband-Na- sionsleiter-Kurse. turkundlerin Stefanie Pfefferli In ihrer Ausbildungszeit als Flo- leitet heute das Naturlehrgebiet ristin verdiente sich Stefanie mit Buchwald in Ettiswil. der Leitung von Vogelexkursionen am Wochenende etwas dazu. Da- Auf die Frage, was ihr Interesse an nach zog es sie ins deutsche Wat- der Natur und an der Vogelwelt tenmeer, wo sie je ein halbes Jahr geweckt habe, muss die erfahrene als Vogelwartin auf den winzigen Feldornithologin aus Wangen bei Inseln Scharhörn und Neuwerk Olten in frühen Kindheitserinne- verbrachte. Auf der Düneninsel rungen kramen. Von der Wald- Scharhörn führte sie Brutvogelkar- schnepfe aus einem Kinderbuch tierungen, Wasservogel- und über den Wald war sie fasziniert Müll(!)-Zählungen durch – als ein- gewesen, und schon als Erstkläss- zige Person auf der Insel, und ohne lerin hatte sie ihrer erstaunten fliessendes Wasser in der Unter- Stefanie Pfefferli (Foto: Dennis Röseler) Mutter erklärt, dass der Käfer in kunft! In dieser Zeit wurde Stefanie ihren Händen ein Hirschkäfer und klar, dass sie im Umweltbereich damit etwas ganz Besonderes sei. und Naturschutz arbeitet möchte. Jahre lang an der Inselstation der Heute leitet Stefanie das Natur- Stefanie trat sehr früh dem Natur- Die Sumpfohreule, die sie damals Vogelwarte und beim dortigen lehrgebiet Buchwald in Ettiswil, schutzverein in ihrem Dorf bei und regelmässig am Morgen auf dem Ableger des Vereins Jordsand. An wo sie mit ihren profunden orni- machte schon mit 12 Jahren bei Geländer ihrer Hütte besuchte, ist der Inselstation bekam sie die Ge- thologischen Kenntnissen, ihrem Lagern und anderen Anlässen der noch heute ihr Lieblingsvogel! legenheit, eine grosse Anzahl Zug- breiten Wissen in anderen Natur- Jugendgruppe Egerkingen mit. Nach einem Praktikum im Bird- vögel zu beringen. Auch in der kunde-Bereichen und ihrem päda- Dann fing sie an, sich intensiver Life-Zentrum Neeracherried und Schweiz hat Stefanie auf Berin- gogischen Geschick genau am mit der Vogelbeobachtung zu be- der Ausbildung als Natur- und gungstationen mitgeholfen, z.B. richtigen Platz ist. schäftigen. Mit 15 Jahren be- Umweltfachfrau lockte eine wei- auf dem Col de Bretolet und an suchte sie den Feldornitholo- tere Nordseeinsel: Auf Helgoland der MoDem-Station Wauwiler- gie-Kurs von BirdLife Solothurn, arbeitete Stefanie insgesamt zwei moos. AVINEWS APRIL 2019: PERSONELLES Personelle Änderungen In der Abteilung Ökologische For- piner Steinadler» startet Julia Hatzl Auswertungen sind grosse Daten- in einer Festanstellung an der Vo- schung starten gleich zwei neue ihre Doktorarbeit. Sie ist dank mengen, die an über 100 Wetter- gelwarte. Beide werden Verant- Dissertationen: Benedetta Catitti ihrem bisherigen Einsatz im Projekt radar-Stationen in ganz Europa er- wortungsbereiche in der neu ge- absolvierte ihre Masterarbeit im bereits mit dem Thema und dem hoben wurden. gründeten Waldgruppe überneh- Rotmilanprojekt, unterstützte uns Untersuchungsgebiet vertraut. Mit Virginie Utzinger haben wir men. danach als Feldassistentin und be- In der Vogelzugforschung hat eine motivierte Mitarbeiterin ge- Ein herzliches Willkommen den ginnt nun im gleichen Projekt ihre Raphaël Nussbaumer seine einjäh- winnen können, die in einem 20 % neuen Mitarbeitenden und viel Dissertation zum Thema «Auswir- rige Post-Doc Stelle angetreten. Er Arbeitspensum das Team der Pfle- Freude bei ihrem Wirken. kungen der Nestlingsperiode auf befasst sich mit der Analyse und gestation unterstützen wird. spätere Lebensabschnitte». Im der Visualisierung des Nachtzuges Karin Feller und Alexander Projekt «Ausbreitungsökologie al- über Europa. Die Basis für diese Grendelmeier engagieren sich neu Von links nach rechts: Benedetta Catitti, Julia Hatzl, Raphaël Nussbaumer, Karin Feller und Alexander Grendelmeier. 11
AVINEWS APRIL 2019: HERAUSGEPICKT Buchtipp: Le comportement Veränderungen in der WIKO des oiseaux d’Europe Dieses kürzlich erschienene Buch in den Kapiteln zu den einzelnen verdient auch in den Bibliotheken Arten oder nah verwandten Arten- deutschsprachiger Ornithologen gruppen noch genauer erklärt wer- einen Platz! Das ursprünglich italie- den. nische Werk «Il Comportamento Jedes Kapitel der 427 behan- degli uccelli d’Europa» der Auto- delten europäischen Vogelarten ren Armando Gariboldi (Ornitho- beginnt mit einem Einführungstext loge) und Andrea Ambrogio (Tier- zur Biologie und zum Verhalten. zeichner) ist von der Zeitschrift La Dann folgen die präzisen und pä- Salamandre in Zusammenarbeit dagogisch geschickt gestalteten mit der Vogelwarte auf Französisch Bilder zu Jagdtechnik, Nahrungs- übersetzt und herausgegeben suche, Balz, Flug- und allenfalls worden. Das einzigartige und um- Schwimmstil, Jungenaufzucht, Re- Franziska von Lerber und Dominik Thiel (Foto links: Tobias Dussex) fassende, 576 Seiten starke Buch vierverteidigung und vielen ande- begeistert. ren Verhaltensweisen. Das Werk ist eine tolle Ergän- Weitere Informationen sind auf Die Wissenschaftliche Kommis- turförderung des Amts für Land- zung zu den Bestimmungsführern, der Internetseite unserer Partner- sion der Schweizerischen Vogel- wirtschaft und Natur des Kantons denn die über 1800 hervorragen- organisation La Salamandre warte WIKO befasst sich mit der Bern zuständig für die Betreuung den Bleistiftzeichnungen und www.boutique.salamandre.net zu Schwerpunktsetzung der wissen- der kantonalen Naturschutzge- Aquarelle zeigen eindrücklich ver- finden. Dort kann man das Buch schaftlichen Tätigkeit sowie der biete und von Projekten zur schiedenste Verhaltensweisen, die zum Preis von CHF 65.– bestellen. Qualität der wissenschaftlichen Arten- und Lebensraumförderung. Projekte der Vogelwarte. Sie be- Dr. Dominik Thiel ist Leiter des Am- steht aus Mitgliedern des Stif- tes für Natur, Jagd und Fischerei tungsrates (mit * markiert) und des Kantons St. Gallen. weiteren Fachpersonen mit pro- Weitere Mitglieder sind Prof. Dr. fundem Verständnis für wissen- Lukas F. Keller* (Präsident), Prof. schaftliche Arbeit im Bereich Dr. Bruno Baur, Dr. Kurt Bollmann*, Grundlagenforschung und/oder Dr. Urs Leugger*, Prof. Dr. Alexan- grossem praxisbezogenen Fach- dre Roulin* und Corina Schiess. wissen. Mit Sarah Pearson verliess Wir danken Sarah Pearson für letztes Jahr ein langjähriges Mit- ihr Engagement und freuen uns glied die WIKO. über die künftige fachliche Beglei- An ihre Stelle treten zwei neue tung durch Franziska von Lerber Mitglieder aus der Praxis: Franziska und Dominik Thiel. von Lerber ist in der Abteilung Na- IMPRESSUM Redaktion: Sophie Jaquier Übersetzung: Hannes von Hirschheydt AGENDA Mitarbeit: Simon Birrer, Marcel Burkhardt, Roman Graf, Isabelle Kaiser, Matthias Kestenholz, Livio Rey, Michael Schaad, Arno Schneider, Reto Spaar, Irene Schumacher, Judith Zellweger-Fischer. Auflage: 4000 Ex. 1.5.–31.5.19 Vogelwarte-Fotowettbewerb Ausgaben: April, August und Dezember https://photo.vogelwarte.ch/de ISSN: 1664-9451 (elektronische Ausgabe: 1664-946X) 23.5.–26.5.19 Festival der Natur Papier: Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier 26.5.19 Moostag, Wauwiler Ebene 7.6.19 Weltseglertag 22.6.19 Treffen der Arbeitsgruppe Segler, Langenthal BE Schweizerische Vogelwarte Tel. 041 462 97 00 Station ornithologique suisse Fax 041 462 97 10 Stazione ornitologica svizzera info@vogelwarte.ch Postkonto 60-2316-1 Staziun ornitologica svizra CH-6204 Sempach www.vogelwarte.ch IBAN CH47 0900 0000 6000 2316 1 12
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