Gänsehaut- VHS Velbert/Heiligenhaus
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Heiligenhauser Seniorenzeitung · Nr. 102 · Juni 2020 Herausgeber: Volkshochschule Velbert / Heiligenhaus ! men tneh Bitte mi Gänsehaut- Momente Stationen eines Lebens · Geborgenheit · Wiedersehen in der Deutschen Bahn · Der Schrei der Freiheit · Denn erstens kommt es anders und zweitens · Glück mal zwei · Gänsehaut für die Seele · Ein wohltuendes Gänsehautgefühl · Die alte Bauernkate · Buchvorstellung · Termine
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Heiligenhauser Seniorenzeitung Nr. 102 · Juni 2020 Herausgeber: Volkshochschule Velbert / Heiligenhaus Gänsehaut-Momente Liebe Leserin und lieber Leser, wie bei mir, beim Lesen des Artikels von Jörg Potthaus. Plötzlich war meine Lebenspha- im Januar begannen wir mit der se mit Mikis Theodorakis und Griechenland Redaktionsarbeit. Die Corona wieder sehr lebendig. Pandemie war noch weit ent- fernt... Bei Redaktionsschluss So wie überhaupt Musik, Liebe, Freundschaft Ende April sind wir mittendrin in einer nie ge- und Familie immer wieder Situationen mit kannten Krise, die uns wahrlich laufend Gän- Gänsehaut hervorrufen und sehr wichtige sehaut verursacht. Stationen in unserem Lebens sind und waren. Wir sind verunsichert, ängstlich, hilflos oder Und hier fiel mir bei allen Artikeln auch ein entdecken neue Solidarität und Werte. tröstlicher Spruch von Jean Paul ein, den ich aus Jugendjahren kannte: Das Leben rückt wieder in den Vordergrund. Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus Unsere Redaktion übt das Home Office und dem wir nicht vertrieben werden können. will Sie trotz allem unterhalten. Und die Ar- tikel zeigen, wieviel Reichtum auch in unserer Erinnerung liegt, in ganz besonderen Momen- ten. Ein Schatz, der uns auch in aktuellen Nö- Die Redaktion wünscht Ihnen Gesundheit, ten helfen kann. Entweder, weil sie überwun- Energien und gute Erinnerungen. den sind – so wie in den beiden Artikeln von Ihre Marianne Fleischer - oder auch noch einmal Ursula Schwarze nach Jahrzehnten Glücksgefühle auslösen, so Stationen eines Lebens Glück mal zwei Marianne Fleischer.............................................................................. 2 Armin Merta....................................................................................... 12 Geborgenheit Gänsehaut für die Seele Ute Moll............................................................................................... 4 Martina Müller................................................................................... 14 Wiedersehen in der Deutschen Bahn Ein wohltuendes Gänsehautgefühl Dagmar Haarhaus............................................................................... 6 Lore Loock......................................................................................... 16 Der Schrei der Freiheit Die alte Bauernkate Jörg Potthaus....................................................................................... 8 Helga Licher...................................................................................... 18 Denn erstens kommt es anders und zweitens Literatur und die Gänsehaut Rosemarie Koch................................................................................. 11 Ruth Ortlinghaus................................................................................ 20 Buchtipp: Eric-Emmanuel Schmitt: „Oskar und die Dame in Rosa“ ............... 21 1
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Die Orgelpfeifen, 1 Jahr vor der Flucht ten Züge der nach Deutschland, nach Dres- Stationen eines Lebens den fahren sollte. Alle wußten, dass es eine Marianne Fleischer der letzten Möglichkeiten sein würde vor der heranrückenden Front zu fliehen. Meine Mutter hatte jedem von uns „Älteren“ ein jüngeres Ge- Schicksalsmomente schwisterkind anvertraut, da sie fürchtete, sich in dem Gedränge nicht um alle kümmern zu A ls ich in den letzten Tagen immer wieder können. Mir hatte sie meine Schwester Monika Bilder über das Kriegsende im Fernse- an die Hand gegeben (9 Jahre alt). hen sah, hatte ich eines Nachts einen Traum, den ich schon sehr lange nicht mehr Der Zug kam. Er hielt, die Türen öffneten hatte. Ich lief mit meinen zwei Enkelinnen an sich und dann passierte etwas, was ich nicht der Hand auf einem Bahnsteig an einem Zug erwartet hatte. Die Menschen stürzten sich entlang, konnte ihn aber nicht erreichen. Die schreiend auf die Stufen vor den Zugtüren, Lokomotive stieß einen stürmten durch die Türen, stießen alle zur Sei- te die ihnen im Weg waren, Fenster wurden schrillen Pfiff aus und ich erwachte schweiß- geöffnet, Gepäckstücke in den Flur geworfen. gebadet. Die Ursache für diesen Traum war Meine Mutter, die meinen jüngsten Bruder auf ein schreckliches Erlebnis auf unserer Flucht dem Arm trug, wurde in den Zug hinein ge- aus Oberschlesien in den letzten Kriegstagen schoben. Wir wurden zur Seite gestoßen und 1945. Damals stand meine Mutter mit uns fünf erreichten die Treppen nicht. Meine Brüder Kindern auf einem Bahnhof in der damaligen schafften es durch Fenster in den Zug zu klet- Tschechoslowakei und wartete mit uns und tern. Wir Mädchen schafften es nicht. Monika vielen hundert Menschen auf einen der letz- und ich liefen verzweifelt am Zug entlang in der 2
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Hoffnung noch irgendwo reinzukommen. Die Menschen hingen aber bereits in Trauben auf den Trittbrettern. Wir waren schon fast an der Lokomotive angekommen. Sie stieß zunächst grauen, dann weißen Dampf aus dem Schorn- stein aus. Ein Heizer schaute aus dem Fenster der Heizungskabine und sah uns allein schreiend auf dem Bahnsteig stehen. Er sprang aus der Lok, rannte auf uns zu, nahm jede von uns auf einen Arm, rannte zurück, schob uns die Stu- fen hoch, schlug die Kabinentür hinter uns zu Bereit zur großen Reise und setzte uns auf ein paar Säcke neben einen Haufen schwarz glänzender Steinkohle. Ein unvergeßlicher Augenblick M Die Lokomotive stieß einen schrillen Pfiff aus itte März 1959. Mein Mann und ich und ratterte los. Der Heizer öffnete eine Klappe stehen ganz vorn an der Reling des des Heizungskessels, aus dem eine Höllenglut italienischen Passagierschiffes „Ame- herausschlug, warf zwei Schaufeln Kohle in rigo Vespucci“. Wir befinden uns mitten auf den Schlund und schloß die Klappe wieder. dem Atlantik, um uns herum nur Wasser, kein Land in Sicht! Wir haben Genua und das Mit- Wir glaubten uns in der Hölle, so groß war telmeer hinter uns gelassen, die Straße von Gi- die Hitze. Bald aber wurde uns bewusst, daß braltar passiert, haben einen kurzen Zwischen- wir im fahrenden Zug saßen. Es war warm stopp in Teneriffa gemacht und sind jetzt weit nach der Eiseskälte auf dem Bahnsteig, wir draußen auf dem Meer. Das Wasser ist ganz waren gerettet! Der Heizer reichte uns lächelnd ruhig, ab und zu hört man eine kleine Welle an einen Becher Tee aus seiner Thermoskanne. den Rumpf des Schiffes schlagen. Die Moto- Er hatte uns das Leben gerettet! Wir wären auf ren machen ein leises Hintergrundgeräusch. dem Bahnsteig bei dem eisigen Schneetreiben Ab und zu leuchtet ein kleines Schaumkrön- sicher erfroren. chen im Licht des Mondes auf, der vom mit Mitreisende aus dem Zug hatten das Ret- Tausenden von Sternen übersäten Abend- tungsmanöver beobachtet und gaben die himmel auf uns herableuchtet. Es ist noch der Nachricht im Zug weiter: „Die Mädchen sind Sternenhimmel den wir kennen, der Himmel drin im Zug“. Diese Nachricht erreichte auch der nördlichen Halbkugel. Wir entdecken den unsere Mutter, die sich große Sorgen gemacht „Großen Wagen“ und den „Polarstern“. Bald hatte. Erst Stunden später, als die Lokomoti- wird der südliche Sternenhimmel über uns zu ve Wasser tanken und Kohle bunkern mußte, sehen sein mit dem „Kreuz des Südens“ und konnten wir zu unserer Mutter umsteigen. fremden Sternenbildern. Am Horizont ist noch Wenn ich heute im Fernsehen Bilder von ein heller Streifen des Abendhimmels zu se- Kindern in Flüchtlingslagern sehe, wünsche hen, um uns her aber nur Wasser. Zum ersten ich ihnen von Herzen, auch Menschen zu be- Mal sehen wir, dass die Erde rund ist. gegnen, die ihnen einen Kanister mit Trinkwas- Es sieht so aus, als befänden wir uns auf ser bringen, oder eine warme Decke und ein dem höchsten Punkt einer Kugel und es geht wenig Wärme! nach allen Seiten abwärts. Ich sehe zum ers- ten Mal in meinem Leben bewusst, daß die Erde eine Kugel ist. Wir kommen uns vor wie 3
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente die einzigen Menschen auf der Welt – nur wir zwei und unsere kleine Familie. Unsere beiden kleinen Söhne liegen fest eingepackt in ihren Schlafsäcken in der Kabine, bewacht von einer netten Zimmer-Stewardess und unser kleiner blinder Passagier ruht sicher unter meinem Herzen. Wir haben alles hinter uns gelassen, unsere Wohnung aufgelöst, die Sachen die wir mit- nehmen durften in Kartons gepackt und mit einem Frachtschiff vorausgeschickt. Wir sind auf dem Weg in ein fremdes Land, auf der an- deren Halbkugel, mit fremden Menschen, einer fremden Sprache in einer Wüsten-Oasenstadt auf 2300 m Höhe. Freunde von uns haben uns gebeten beim Aufbau einer Begegnungsschu- le zu helfen. Sie selbst leben dort bereits seit einem Jahr mit Kindern, die das Klima gut ver- tragen. Wir haben uns entschlossen den Neu- Anfang zu wagen. Wir wollen alles hinter uns lassen was wir erlebt haben: ich, nach einer lie- bevoll umhegten Kindheit in einer Großfamilie, die Flucht aus Oberschlesien und die spätere Flucht aus der DDR, mein Mann den Krieg, er wurde bereits mit 18 Jahren Soldat und ver- brachte dann drei Jahre in Kriegsgefangen- schaft in Frankreich. Wir sind voller Erwartung und Vorfreude auf unser „Neues Leben“! Wir Geborgenheit kommen uns vor wie die ersten Menschen auf Ute Moll Entdeckerfahrt. Fünf Jahre liegen vor uns – pa- W radiesisch schöne Jahre – wie wir im Nachhi- enn ich in meine Gefühlswelt tauche nein feststellen werden, Jahre, die uns verän- und erlebte Gefühle erinnern möch- dern werden. Es tut uns gut, unsere Heimat te, brauche ich sehr viel Ruhe, um Deutschland auch mal aus der Ferne zu sehen in diese tiefen inneren Räume zu gelangen. und als „Ausländer“ in einem fremden Land zu Diesmal mit dem Auftrag, nach “Gänsehaut- leben! Momenten“ zu suchen. Den Moment auf dem Schiff, aber Hand in Es kam ein ganzes Gewirr gelebten Lebens Hand mit meinem Mann – allein auf dem Meer und prägender gravierender Momente zum – habe ich nie vergessen. Es war einer der Vorschein, Schaudergeschichten und Glücks- schönsten Augenblicke meines Lebens! gefühle. Ich entschied mich für Glücksgefühle. Es war in der Vorweihnachtszeit, und ich erlebte in meinem Umfeld, bei Freunden, Be- kannten und Nachbarn, wie sie immer weniger Zeit zum Verabreden hatten, immer geschäf- tiger wurden. Manchmal begegnete mir auch 4
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Hektik mit Fragen wie: „Was soll ich schenken, gelegt. Wir lernten uns gnadenlos von unserer was soll ich kochen und backen, was soll ich an Schattenseite kennen und abstoßen. den Feiertagen anziehen?“ Meine eigenen Fra- Heute weiß ich, dass wir überempfindlich gen waren: „Soll ich selbst einladen oder lieber und uns durch überhöhte Erwartungshaltun- warten, ob ich eingeladen werde?“ Diese Fra- gen in einen neuen Kennenlernprozeß hinein- gen belasteten mich, obwohl die beschriebe- manövriert hatten. ne Hektik bei mir abwesend war. Stattdessen nahm die Vorstellung von mir Besitz, alle seien Jede erlebte auch an diesem Ort und in die- an den Festtagen in ihren „heilen“ Familien und ser Konstellation ihre gefürchtete Einsamkeit, Beziehungen eingetaucht, ohne mich. Diese bis wir begriffen, dass Weihnachten eigentlich Vorstellung, als Horror empfunden, obwohl das Fest der Liebe ist und wir uns darin üben mein Kopf noch die Fantasie hatte, dass ich können, andere zu lieben und nicht nur selbst auch auf Singlereisen gehen könnte, brachte geliebt werden wollen. Fast hätten wir uns mir schon gar keine Adventsstimmung. durch unser egoistisches Verhalten den Sinn von Weihnachten und das Auftanken auf die- Lange Rede, kurzer Sinn, meine Freundin ser schönen Insel verpasst. Katharina war in einer ähnlichen Gefühlsverfas- sung, und wir verabredeten eine Weihnachts- Jede von uns nahm sich und ihre überzo- reise zur Nordseeinsel Norderney. genen Vorstellungen zurück und wir tausch- ten unsere Gefühlssituation aus. Von nun an Eine ansprechende Wohnung war schnell konnten wir liebevoller miteinander umgehen gebucht und eine kleine, aber andersartige und Wanderungen und Inselerlebnisse mitei- Vorfreude stellte sich bei mir ein. Andersartig nander teilen. Gemeinsam besuchten wir die auch deshalb, weil wir beide uns zwar etliche Inselkirchen, und meine Freundin begleitete Jahre kannten, aber noch nie zusammen in mich gerne auf der Suche zu der Kirche mei- einer Ferienwohnung gelebt hatten, und wir ner Kindheit, in der ich so oft mit meiner Familie wussten, dass wir im Alter sehr eigenwillig und hineingegangen war, um am Gottesdienst teil- speziell geworden waren. Es war also schon zunehmen. ein Abenteuer. Begeistert vom Meer, Strand und dem klei- nen Inselort gingen wir froh gestimmt durch Volkshochschule die weihnachtlich geschmückten Straßen, lie- Velbert / Heiligenhaus ßen es uns in einem originellen Speiserestau- rant schmecken und bezogen danach unsere Wohnung, die bei der Ankunft einen modernen Aktuelles finden Sie und pfiffigen Eindruck gemacht hatte. im Programmheft, unserer Im Rückblick fing genau zu diesem Zeit- Homepage und auf unserer punkt die Herausforderung eines abenteuer- Facebook-Seite lichen Miteinanders mit einem Schlafzimmer und einem kombinierten Wohnzimmer mit Schlafcouch und Einbauküche an. Jede von uns hatte andere Gewohnheiten, Vorstellun- gen und Erwartungen an diese besonderen www.vhs-vh.de Tage. Über Küchennutzung und Tagesgestal- info@vhs-vh.de tung fingen wir nun an zu streiten. Die erhofften 02051 94 96 0 weihnachtlichen Gefühle waren erst mal auf Eis 5
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Wiedersehen in der Deutschen Bahn Dagmar Haarhaus I m Juni 2013 wanderte ich mit meiner Freun- din auf der letzten Etappe des Jakobswegs von Astorga nach Santiago de Compostela. Mittags ruhten wir aus, manchmal nur in der Natur, und stärkten uns mit Müsliriegeln und Wasser. Aber es gab auch hin und wieder eine Gastwirtschaft am Weg, wo wir uns stärken konnten. Um die restlichen Kilometer weiter- hin gut durchzustehen, verzichteten wir auf ein üppiges Mittagessen, bevorzugten lieber eine Diese römisch katholische Kirche Stella Ma- Käseplatte und tranken dazu ein kleines Bier. ris ist 1931 erbaut worden im Stil der neuen So auch am vorletzten Tag unserer Wande- Sachlichkeit. Seit 2006 ist sie restauriert und rung. In fast fußläufiger Nähe zum Endpunkt durch Flüchtlinge und Tourismus ein beliebtes waren wir voller Vorfreude und genehmigten und gut besuchtes Gotteshaus. Wir gingen uns eine etwas längere Pause. Wir bestellten auf die Empore, um die beeindruckende Taufe das Übliche. Die Käseplatte, das Brot, dazu eines polnischen Kindes genauestens mitzu- Bier, dämpften unser Hungergefühl. Am Tisch bekommen. Der Pastor hielt nach der Tauf- gegenüber saß eine Wanderin, die uns durch zeremonie das noch gewickelte Kind für alle ihre knallgelbe Sonnenbrille auffiel, mit großen sichtbar in die Höhe und sagte: das ist Martha. Gläsern. Es war ein berührender Moment. Wir grüßten gegenseitig und tauschten ein Die Akustik des Kirchengebäudes war ein- Lächeln. Kurze Zeit später zahlte sie und kam fach wunderbar. Wir sangen etliche Lieder mit an unseren Tisch. Wir baten sie, Platz zu neh- und genossen die feierliche Stimmung. Am men. Noch ahnte ich nicht, was sich aus die- Ende des Gottesdienstes erschallte das Lied ser Begegnung für mich entwickeln würde. aus meiner Kindheit: „Meerstern ich Dich grü- ße, oh Maria hilf. Maria hilf uns allen aus unserer Unsere Wanderin stellte sich mit Namen tiefen Not.“ Meine Freundin und ich fassten un- Awilda vor, ein gebräuchlicher Vorname in sere Hände und wir sangen aus „voller Brust“ Puerto-Rico. Lange Jahre hatte sie als Opern- mit. Ich bekam eine Gänsehaut und fühlte mich sängerin in Deutschland gelebt, war aber durch die wieder belebte Erinnerung und durch nach ihrer Scheidung nach Seattle gezogen. die wieder erlangte Nähe zu meiner Freundin Dort heiratete sie erneut einen deutschen, wunderbar geborgen. Wir konnten uns wieder sehr bekannten Klaviervirtuosen mit Vorna- herzlich umarmen und eine festliche Stimmung men Hartwig. Wir waren fasziniert von ihrer erleben. Persönlichkeit, mussten aber leider das Ge- spräch beenden, um unser Tagesziel zu er- reichen. Versäumt hatte ich, nach ihrer Ad- resse zu fragen, so dass ein weiterer Kontakt nicht gegeben war. Aber irgendwie bekam ich diese Begegnung nicht aus dem Kopf. 6
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Wir erreichten Santiago de Compostela zwei Tage später und gönnten uns am Ankunftstag ein köstliches Abendessen, im ersten Haus am Platze, dem „Parador Reis Catolicos“. Wir hat- ten die Wander-Etappe gut geschafft. Das war der erste Gänsehautmoment, ein weiterer soll- te folgen. Die letzten Stunden bis zur Heimreise ver- brachten wir in der Stadt in einem Straßenca- fe. Und wie aus heiterem Himmel sahen wir Awilda mit schnellem Schritt auf unseren Tisch zusteuern. Wir begrüßten uns herzlich. Da sie auf dem Weg zur Kathedrale war, hatten wir gerade noch Zeit, unsere Adressen auszu- tauschen. Nach der Verabschiedung steckte ich voller Freude den Zettel in meine Tasche. Kaum war ich wieder zu Hause, bekam ich elektronische Post aus Seattle. Das war wie- der ein Gänsehautmoment, der sich zu einem jahrelangen Schriftwechsel entwickelte, wobei Awilda mir auf Englisch schrieb und ich auf mich, als endlich der Zug angekündigt wurde. Deutsch antwortete. Nun sind sieben Jahre Awilda hatte mich schon beim Einfahren auf vergangen und ein Ordner füllte sich mit un- dem Bahnsteig entdeckt, und kaum hatte ich serem Email-Schriftverkehr. Obwohl ich des den Wagen betreten, kam mir Awilda bereits öfteren nach Seattle eingeladen wurde, hatte entgegen. Wir fielen uns in die Arme, und die ich bisher nicht den Mut, die Reise anzutreten, ersten Freudentränen benetzten unsere Wan- da ich unter Flugangst leide. gen. Sie nahm mich an die Hand und führte mich zu ihrem Sitzplatz, wo Hartwig schon auf Aber das Schicksal meinte es gut mit uns. mich wartete. Wir kannten uns nur vom Telefon Während einer gerade zu Ende gegangenen oder dem Email-Austausch. Aber es war eine kleinen Europareise des Ehepaares wurde mir so herzliche Begrüßung, dass überhaupt keine vorher berichtet, dass man von Hamburg aus Fremdheit aufkam. Nach Ankunft in Koblenz mit dem Zug nach Koblenz reisen wollte. Diese erreichten wir kurze Zeit später das Hotel, in Gelegenheit des Wiedersehens wollte ich mir dem wir unsere Zimmer gebucht hatten. Nicht nicht entgehen lassen. So konnte ich in Erfah- lange blieben wir dort, sondern feierten unser rung bringen, an welchem Tag und um welche Wiedersehen ein wenig in der Hotelhalle, bevor Uhrzeit der Zug in Wuppertal hielt und in wel- wir dann zum Abendessen aufbrachen. chem Wagen die Sitzplätze reserviert waren Nach der Rückkehr ins Hotel wollte Hartwig Bei meinem Kartenkauf konnte ich im ruhen, während Awilda und ich noch sehr lan- gleichen Wagen auch einen Sitzplatz be- ge in meinem Zimmer gesessen haben. Wir kommen und ich musste nur pünktlich am konnten es kaum fassen, dass sieben Jahre Bahnsteig stehen, damit das Wiedersehen vergangen waren, als wir uns auf dem Jakobs- stattfinden konnte. Die Uhrzeiger schlichen weg begegneten. Mein mitgebrachtes Album dahin, und die Aufregung wollte sich nicht sorgte für Momente der Erinnerung. Größer legen. Der Gänsehautmoment übermannte aber war das Erstaunen darüber, dass wir 7
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente uns während der gesamten Jahre nicht aus darauf folgenden politischen Erschütterungen den Augen verloren haben. Geholfen haben dazu geführt hatten, dass die seit sieben Jah- der rege Email-Verkehr und lange Telefonge- ren in Griechenland regierende faschistische spräche. Dabei haben wir viel Privates ausge- Militärjunta gestürzt worden war. Das Geburts- tauscht, und ich glaube, dieses hat geholfen, land der Demokratie, seit sieben Jahren von dass wir das Gefühl hatten, uns erst kürzlich KZ-ähnlichen Straflagern, Foltergefängnissen getroffen zu haben. und Zensur aller Lebensbereiche überzogen, konnte endlich wieder aufatmen. Es gab be- Nach dem Frühstück, am nächsten Morgen, reits eine Übergangsregierung, die ersten hatten wir noch etwas Zeit zur angeregten Un- freien Wahlen seit den Jahren der Dunkelheit terhaltung, bevor dann der Abschied nahte. standen kurz bevor. Vielleicht werde ich doch einmal meine Den Tag über hatten wir uns durch Athen Flugangst überwinden können, um Awil- treiben lassen, waren auf der Akropolis, hat- da und Hartwig in Seattle zu besuchen. ten im Altstadtviertel Plaka gut gegessen und Das wäre dann auch wieder ein Gänsehaut- getrunken. Die Aufbruchsstimmung der Men- moment. schen, ihre Erleichterung, ihre Freude über das Ende der Diktatur waren mit Händen greifbar, und als wir dem Kellner zur neu gewonnenen Der Schrei der Freiheit Freiheit, der „Eleftheria“, gratulierten, ging un- sere ganze Rechnung aufs Haus. Jörg Potthaus Wir schlenderten weiter durch die Gassen, 1 viele davon mit roten Nelken bekränzt (si- 0. Oktober 1974. Vor zwei Tagen über cherlich als Reminiszenz an die vor wenigen die damals noch gesamtjugoslawische Monaten erfolgreiche „Nelken-Revolution“ in Grenze gekommen, hatte ich, zusam- Portugal) und ließen uns von den fröhlichen men mit zwei Freunden, am Morgen Athen er- Menschenmassen mittreiben. reicht. Wie sich das damals gehörte, waren wir den ganzen weiten Weg, u.a. über die Balkan- Seit einiger Zeit schon war uns aufgefallen, route und den als „Todespiste“ berühmt-be- dass an jeder verfügbaren freien Wand, jedem rüchtigten Autoput in einem unverwüstlichen Bauzaun, jeder Telefonzelle oder Litfaßsäu- VW-Bulli gekommen, Campingausrüstung in- le eine Vielzahl von immer gleichen Flugblät- klusive. Dass es so spät in der Jahreszeit ge- tern angebracht war, offenbar ziemlich primitiv worden war, hatte mit der seit dem Sommer durch Matrizen gekurbelt und mit einem Klecks anhaltenden Zypern-Krise zu tun, die fast zu Leim hastig und meist schief fixiert, allerdings einem Krieg zwischen den NATO-Partnern für uns unlesbar, da in griechischer Schrift. Griechenland und Türkei geführt hatte. Einige Wir fragten einen jungen Mann, der Englisch Monate intensiver politischer und militärischer sprach, nach dem Inhalt. Seine Antwort warf Unruhen, die eine solche Reise als wenig sinn- uns um: Heute noch würde Mikis Theodorakis, voll erscheinen ließen, lagen nun hinter uns. der berühmteste Grieche, aus seinem Pariser Jetzt war die griechische Grenze wieder offen Exil heimkehren und, das war die eigentliche und wir konnten endlich in das Land unserer, Sensation, gleich am Abend im Karaiskakis- wenn auch auf typisch deutsche Weise ver- Stadion von Piräus sein erstes Konzert nach klärten Sehnsucht hinein. Das einzig Positive der langjährigen Verfolgung geben. an der Besetzung eines Teils Zyperns durch die türkische Armee (die das Land übrigens bis heute spaltet) war die Tatsache, dass die 8
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Mikis Theodorakis zurück – wir konnten es Der Militärputsch von 1967 brachte ihm er- kaum fassen! Die Stimme des demokratischen neut Haft und zahlreiche Torturen ein, seine Griechenlands, und das seit Jahrzehnten Musik wurde in ganz Griechenland verboten. schon. Erst eine internationale Kampagne von Künst- lern und Politikern brachte ihm die Freilassung. 1925 geboren, kämpfte er - als Kreter hatte Von seinem Pariser Exil aus gab er, zusammen er die Sehnsucht nach Freiheit ohnehin ganz mit seinem Orchester und der ebenfalls exilier- tief verinnerlicht - bereits als junger Mann ge- ten Sängerin Maria Farantouri, weltweit über gen die italienischen und deutschen Invasoren, 1000 Konzerte, um auf das Schicksal seiner was diese ihm mit Haft, Prügel und brutaler Heimat aufmerksam zu machen. Und nun also, Folter vergolten. Nach dem Zweiten Weltkrieg an diesem 10. Oktober 1974, die Rückkehr in ereilte ihn das gleiche Schicksal noch einmal, die griechische Heimat! als er von seinen monarchisch und nationalis- tisch gesinnten Landsleuten auf der KZ-Insel Da ich selbst kurz einmal als Student auf Makronissos inhaftiert und so brutal misshan- einer seiner Europa-Tourneen als Hilfsarbeiter delt wurde, dass er nur wie durch ein Wunder (Kabel- und Mikroträger) für ihn tätig gewe- überlebte. sen war und eine Anzahl seiner charismati- schen Konzerte miterlebt hatte, fiel es mir nicht Nach seiner Freilassung avancierte er schnell schwer, meine Freunde dazu zu bringen, den zum berühmtesten Komponisten Griechen- Bulli auf einem öffentlichen Parkplatz stehen zu lands, dazu schrieb und sang er, dirigierte ein lassen und sich mit mir mittels Bus und Stra- eigenes Orchester, engagierte sich politisch ßenbahn Richtung Piräus aufzumachen. auf der Linken. Weltruhm erlangte er, als er die Musik für den Film „Alexis Sorbas“ mit der be- Während der Fahrt waren die Straßen rühmten Tanzszene am Schluss schrieb. schwarz vor Menschen, die, als wir das alte Karaiskakis-Stadion erreicht hatten, zu einer 9
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente unübersehbaren Menge angeschwollen wa- diesem ewig langgedehnten Laut, einem Laut, ren. Und obwohl die Fußballarena „nur“ 60.000 wie ich ihn weder auf Rockkonzerten noch bei Zuschauer fasste, kamen wir irgendwie rein, Fußballspielen jemals zuvor und auch nachher mussten uns auf eine heillos überfüllte Stehtri- nie mehr wieder gehört habe. Ein alles überla- büne quetschen und darauf gefasst sein, eini- gernder Aufschrei voller sich entladender Wut, ge Stunden so verbringen zu müssen. aber auch einer unglaublichen Bereitschaft für Neues, noch nie Dagewesenes, vielleicht der Aber damals ging das noch, unsere Körper Augenblick, in dem die Utopie wahr wurde, waren mit Anfang 20 noch hinreichend intakt. hier an diesem Ort, am 10. Oktober 1974, in Mitten auf dem Fußballfeld stand eine hastig diesem Schrei, dem Schrei der Freiheit. zusammengezimmerte Holzbühne, beleuch- Als Theodorakis die ersten Liedverse an- tet von funzeligem Flutlicht und umrahmt von stimmte, „Was du einmal gewesen bist, wirst wenig Vertrauen erweckenden Boxentürmen, du wieder sein“, ging der Schrei über in einen auf der Bühne die Mikros und die Instrumente, orkanartigen Jubel, ich bekam einen Stoß von alles auf die Schnelle improvisiert. Die Span- hinten, fand mich dann eine Reihe von Stufen nung stieg ins Unermessliche. Wo sonst die unterhalb meines Stehplatzes wieder. Meine Anfeuerungsrufe der Fans von Olympiakos Freunde hatte ich völlig aus den Augen ver- Piräus zu vernehmen waren, dominierten jetzt loren. Ich verfolgte das Konzert wie in Trance die Sprechchöre der Zuschauer, die sehn- bis zum Ende. Zum Schluss sangen der kre- lichst auf das Erscheinen ihres Idols warteten: tische Riese und das ganze Stadion gemein- „Übergebt die Junta dem Volk! Nieder mit der sam „Weine nicht um das Griechentum“, die Diktatur! Es lebe die Demokratie!“. Und mitten Grundmauern der alten Sportstätte wankten, hinein in diese Kakophonie, die kurz vor ihrem und irgendwann zog mich der Menschenstrom ekstatischen Höhepunkt stand, richteten sich auf die Straßen, spülte mich auf magische große Scheinwerfer auf den Kabinenausgang, Weise bis zurück in die Athener Innenstadt und aus dem sonst vor jedem Spiel die Fußballer wundersamer Weise fand ich sogar unseren herausmarschierten. Für einen kurzen Augen- Bulli wieder. blick herrschte eine gespenstische Stille. Dann kam als erster ein Mann die Treppe aus den Die Freunde kamen erst lange Zeit später, Stadion-Katakomben hochgestiegen: zwei schweißüberströmt, sprachlos, erschüttert Meter groß, die Schultern ganz leicht nach vorn und glücklich wie ich selbst. Den Schrei der gebeugt, der Kopf bedeckt von einer wilden, Freiheit an jenem Oktoberabend in Piräus, ich lockigen Mähne, bekleidet mit einem einfachen habe ihn nicht vergessen, bis heute nicht und Leinenanzug ganz in Schwarz. Der Mann hob ich werde ihn bis zum Ende meines Lebens die Hand und winkte. nicht vergessen. Ein Gänsehaut-Moment, der Gänsehaut- Und jedes Mal, wenn ich Bilder aus dem Sta- Moment? Viel mehr! Das Blut schien mir in den dion sehe, alte Videos, You-tube-Ausschnitte Adern einzufrieren, aber im gleichen Moment oder das damals mitgeschnittene Konzert auf begann es auch unbändig zu kochen und heiß den Plattenteller lege, ist er wieder da, der zu brodeln, beides! Dieser Schrei, als Theo- Schrei – und im gleichen Moment die Gänse- dorakis mit seiner Band und den Sängern aus haut, die sich über meinen ganzen Körper legt. dem Stadiontunnel kam! Zehntausende Men- Im Juli 2020 wird Theodorakis, inzwischen schen schrien, als fiele eine tausendjährige sehr krank, aber ungebrochen und so Gott will, Sklaverei von ihnen ab, dabei waren es nur sie- 95. Chronia Pola, Mikis! ben Jahre gewesen, aber sieben sehr schlim- me Jahre – und von denen befreiten sie sich mit 10
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Denn erstens kommt es anders und zweitens … Rosemarie Koch S chon mehrfach habe ich in meinen Ar- tikeln darüber geschrieben, dass Musik in unserer Familie eine wichtige Rolle spielte. Sowohl als Musiker mit eigenem Ins- trument, als auch als Zuhörer bei Konzerten oder Medien, wie Schallplatten, Radio, Fern- sehen usw. Einen großen Anteil an unserem musischen irgendwo eine Melodie erklang, sangen wir Interesse hatte mein Vater, Jahrgang 1926. einfach so mit. Die Musik beeinflusste unsere NUR DER NAME IST NEU Auf alten Fotos ist er schon als Kind im Alter Stimmung erheblich. von 8 Jahren mit einem Akkordeon zu sehen. ObwohlSeit mehr er nie als 40 Jahren Musikunterricht gehörte hatte, spieltedas Im vorigen Jahr er Architekturbüro Frankverstarb mein Vater Engelhardt zu denim Alter bekannten alles, was Adressen er hörte und was ihmnicht von fast 93 nur in der Region gefiel. undJahren. standInfür denArchitektur letzten Monaten und war er wird gesundheitlich auch sonicht mehr Denn in der Lage, die an Nachumfassende Ende des 2. Bauherrenbetreuung. Weltkrieges und seinerDasFeiern und bleiben! Aktivitäten RückkehrMitarbeiter, die Ihnen aus russischer in ihrer bisherigen Gefangenschaft bes- ses Funktion als Ansprechpartner zur Hau- außerhalb seines teilzunehmen. Aber Musik hören und mit- serte erVerfügung standen,mit sein Einkommen bleiben Ihnen erhalten und zwei Freunden, sind auch in Zukunft ein Garant zusingen bereitete ihm bis zum Schluss großes einem für Kontinuität, Kundenorientierung Schlagzeuger, einem Gitarristen und und Qualität. Für Sie besteht also weiterhin Vergnügen. Auch die Besuche seiner Enkelin seinem umfassende Akkordeon, Bauherrenbetreuung an Wochenenden in rund Lo- um die Architektur. erfreuten ihn sehr, besonders wenn sie auf kalen und bei Feiern auf. Eine weitere Leiden- dem Akkordeon spielte. schaft gehörte den Schallplatten, von denen er im Laufe seines Lebens eine stattliche Samm- Durch die körperliche Einschränkung meines lung zusammentrug. Vaters hatte meine Mutter ebenfalls auf Besu- che bei Feiern und Treffen verzichtet. So wuchsen wir, meine Geschwister und ich, schon von klein auf in einem musikalischen Ich wusste, dass sie auch gerne Musik, un- Elternhaus auf. Die Texte zu den Melodien lern- ter anderem von den Don Kosaken, hörte. Also ten wir so nebenbei beim Zuhören, und wenn besorgte ich Karten für ein Konzert, das im EUGENBIALONARCHITEKT GMBH Nordring 56 103 42579 Hauptstraße 42579Heiligenhaus 42579 Heiligenhaus Heiligenhaus TT 02056 2589647 FFF02056 02056 5994030 0205659940399 02056 5821837 59940399 EE info@ebialon.de info@ebialon.de URL ebialon.de URL ebialon.de ebialon.de AKNW 21136 gif e.v. AKH 18532 11
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Oktober in Essen stattfinden sollte. Wir freuten rend der Trauerrede über einige Begebenheiten uns beide, seit langer Zeit wieder einmal etwas aus dem Leben meiner Mutter sogar lächeln. gemeinsam zu unternehmen. Noch dazu ein Einige Tage später fand das Konzert der Don Konzert zu besuchen. Leider kam es anders. Kosaken in Essen statt, welches ich gemein- Sie erkrankte im September so schwer, dass sam mit meiner Tochter besuchte. An diesem ihre Kräfte nicht mehr zur Gesundung aus- Abend hatten wir beide eine Gänsehaut. reichten. Sie starb wenige Tage vor dem Be- such des geplanten Konzertes. Ich entschloss mich, ihre Trauerfeier mit ei- nem bekannten Lied „Die Abendglocken“, ge- Glück mal zwei sungen vom Chor der Don Kosaken, beginnen Armin Merta zu lassen. Die tiefen Glockenschläge zu Be- I ginn, die dunklen Bassstimmen der Don Ko- saken erzeugten auf meinen Armen eine Gän- ch glaube, ich bin ein wenig nahe am Was- sehaut, die langsam bis zu den Haarspitzen ser gebaut. Das macht sich bemerkbar, kroch. Gefühlt standen meine Haare zu Berge. wenn ich ganz überraschend etwas Wun- derbares erlebe oder erzählt bekomme. Auch Ich sah zu dem Bild meiner Mutter am Al- besonders gut ausgehende Filme, bei denen tar. Sie lächelte mich an, und ich glaubte, ihre ich mit den Personen „leide“, die einfach ein Hand auf meiner Hand zu spüren. Ich versank Happy-End verdient haben, lassen ab und zu in den Gesang des russischen Chores. die Augen feucht werden. Obwohl ich kein Wort des Textes verstand, Vereinzelt gab es das auch bei Schülerinnen, die Sprache war mir fremd, ging eine tiefe Ver- die ihre gesamte Schulzeit bei mir der Note 2 trautheit von diesem Lied aus. Meine Trauer standen, aber bei der Abiturprüfung notenmä- wich einer inneren Ruhe, und ich konnte wäh- ßig plötzlich stark daneben lagen. Sie mussten ins Mündliche. Ich versetzte mich als Prüfer in 12
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente die Seele und in die Gedanken dieser jungen zelten und lachten sogar und nahmen es nicht Menschen und bereitete natürlich den Richt- ernst. Es war ja der 1.April. Den Scherz fanden linien entsprechende Prüfungsaufgaben vor, wir sehr gelungen. Ich weiß nicht mehr, wie von denen ich annahm, dass sie diesen Teilbe- sich unsere Tochter nun gefühlt haben muss. reich des Stoffs so beherrschten, dass sie das Sie zeigte uns ein Ultraschallbild. Auch zu dem Abitur einfach bestehen mussten. Die feucht Zeitpunkt glaubten wir noch an einen April- gewordenen Augen ließ ich mir danach mög- scherz. Aber dann zückte sie als Beweis ihren lichst nicht anmerken. frischen Mutterpass. Nun erst erkannten wir, dass wir wirklich Großeltern werden sollten. Im Frühling 2007 kam für meine Frau und Jetzt brach es in uns durch. Tränen der Freude mich etwas hoch Emotionales auf uns zu. Es vermischten sich mit dem Glückwunsch an die ging hier nicht nur um die Tatsache, sondern Tochter und den Gedanken, in etwa sechs Mo- um die Art und Weise, wie uns zwei Glücksbot- naten ein Enkelkind zu bekommen. Ich habe in schaften hintereinander überbracht wurden. dem Moment aber nicht geprüft, ob sich bei Es war am 1.April. Unsere Tochter besuchte uns auch Gänsehaut bildete, vermutlich schon. uns. Wir kamen ins Gespräch. Worüber wir da Etwas später kam unser Sohn mit seiner da- redeten – wahrscheinlich gerade etwas über maligen Verlobten zu uns. Dass die Beiden im unsere Erlebnisse der letzten Zeit – weiß ich Mai heiraten wollten, wussten wir schon einige nicht mehr. Dafür aber blieb uns der folgende Monate. Unser Sohn hatte von der Schwan- Dialog im Gedächtnis. Unsere Tochter teilte gerschaft seiner Schwester erfahren. Die Bei- uns mit, dass wir im Herbst Großeltern werden den gratulierten uns zu dem bevorstehenden sollten. Ich kann mir vorstellen, dass andere Ereignis im Herbst. Wir bedankten uns bei ih- Eltern nun sofort gejubelt hätten. Wir schmun- nen, dass sie so mit uns fühlten und uns dieses Johanniter bieten Hausnotruf mit kontaktloser Installation Hilfe auf Knopfdruck auch während der Corona-Pandemie Bis ins hohe Alter selbstständig in den eigenen vier Wänden leben und sich dabei sicher fühlen – das wünschen sich viele Menschen. Der Hausnotruf kann dafür ein wichtiger Baustein sein. Auch während der aktuellen Corona-Pandemie möchten die Johanniter dieses Angebot Interessenten ermöglichen. Daher ist es ab sofort möglich, den Hausnotruf ohne persönlichen Kontakt zu bestellen und zu installieren. Klaus Domhan, Leiter Soziale Dienste der Johanniter im Kreisverband Mettmann, klärt auf: „Auspacken, an die Steckdose anschließen und mit einem Knopfdruck in Betrieb nehmen. Fertig“. Neue Gerätetypen mit der sogenannten Plug-and- Play-Technologie ermöglichen es, den neuen Kunden das Gerät per Post oder als verpacktes Gerät vor die Wohnungs- oder Haustür auszuliefern und es ihn selbst einschalten zu lassen. Im Paket wird eine Schnellstartanleitung mitgeliefert. „Benötigen die Kunden zusätzliche Hilfe, stehen ihnen telefonisch Ansprechpartner zur Verfügung, die sie dabei unterstützen“, so Domhan weiter. Weitere Informationen finden Sie unter 02102 70070-80 oder im Internet unter www.johanniter.de/hausnotruf. Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. Kreisverband Mettmann, Kölner Str. 16, 40885 Ratingen, Tel. 02102 70070-80 hausnotruf.mettmann@johanniter.de, www.johanniter.de/mettmann 13
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Glück gönnten. Wir kamen nicht auf die Idee, Natürlich nahmen wir nun regen Anteil an die Beiden zu fragen, ob sie da ein wenig nei- Tochter und Schwiegertochter (sie hatte inzwi- disch wären. Es war einfach wunderbar, sich schen geheiratet). Da die erste Enkelin etwas auf dieses bevorstehende glückliche Ereignis früher kam als geplant, die zweite etwas spä- gemeinsam zu freuen. ter, lagen die Geburtstage dann genau 4 Wo- chen auseinander, wieder Momente mit Gän- Nun überreichte uns unser Sohn eine pas- sehaut und voller Glück. sendes Ultraschallbild mit der Aufschrift „Hallo Oma! Hallo Opa!“. Wir fanden das sehr origi- nell und freuten uns sehr darüber. Den wahren Grund für diese Karte mit dem Foto erahnten Gänsehaut für die Seele wir im ersten Moment nicht. Aber jetzt durften wir ihn erfahren. Das war nicht irgendeine Ultra- Martina Müller schallaufnahme. Es war das Foto von unserer zukünftigen 2.Enkelin. Wir wissen nicht mehr, bei welcher Nachricht von der bevorstehenden Gänsehautmomente – wie verschie- Geburt einer Enkelin wir mehr Gänsehaut be- den die Auslöser sein können! kamen. Auf jeden Fall brachen bei uns emotio- Es können Momente der Freude, des Glücks nal wieder alle Dämme. Beide Geburten waren und der Anteilnahme sein. Aber auch Momen- im Herbst zu erwarten und dann noch fast zur te der Kälte, der Angst oder der Erregung. Ein gleichen Zeit. Das haute uns einfach um. politisches Ereignis kann Gänsehaut verursa- chen, denke ich an die Öffnung der Berliner Mauer im November 1989. Dieser Abend war hochemotional. Tausende Ostberliner zogen 14
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente zu den Grenzübergängen und verlangten die kau“. Ich fragte meine Tochter, ob sie mit mir sofortige Maueröffnung. Und Stunden später in das Ballett gehen würde. Sie war erst nicht dann die Bilder von den jubelnden Menschen- so begeistert. Als ich ihr erzählte, dass wir vor mengen, die in den Westen strömten. Jahrzehnten schon einmal zusammen in dieser Ballett Vorführung waren, war sie sofort einver- Ein Musikstück kann uns so stark berühren standen mich zu begleiten. Doch so kurz vor und verzaubern, dass es Gänsehaut hervor- Weihnachten dachte ich nicht mehr daran die ruft. Zwischenmenschliche Kontakte können Karten zu besorgen. uns im Negativen wie im Positiven berühren. Es kam der 1. Weihnachtstag. Am 1. Weih- Wie schön ist es zu erfahren, wenn die eige- nachtstag kommen meine Kinder mit ihren Fa- nen Kinder Eltern werden. Wie schön ist es, als milien immer zu mir. Wir Erwachsenen wich- Oma die Enkelkinder im Arm zu haben und das teln, das heißt, jeder zieht im Vorfeld einen neue Leben mitzuerleben. Zettel und beschenkt ein Familienmitglied. Ich Ich bin ein sehr positiver Mensch und ver- bekam eine tolle große Brotbackform und ei- binde Gänsehautmomente mit gravierend nen Roman von einem meiner Lieblingsschrift- schönen Erlebnissen. So erlebte ich an Weih- steller. Doch da lag noch ein Umschlag für nachten des letzten Jahres einen besonderen mich, er war von meiner Tochter. Ich öffnete Gänsehautmoment. Vor über 30 Jahren ging den Umschlag und darin war ein Gutschein: meine Tochter zum Ballettunterricht. Sie ging „Schwanensee“. noch zur Grundschule. Ich schenkte ihr zu „Danke Mama, dass Du immer für uns da Weihnachten eine Karte für die Ballettauffüh- bist. Du bist die beste Mama der Welt“. Ja, das rung „Schwanensee“. Wir waren beide begeis- war ein überwältigender Gänsehautmoment. tert. Einige Tage vor Weihnachten des letzten Jahres entdeckte ich im Spielplan des Ratin- ger Kulturkalenders die Veranstaltung „Schwa- nensee, Klassisches russisches Ballett Mos- Niederbergischer Trinkgenuss Süßmosterei Fruchtsäfte aus der Region Ernst Dalbeck Fruchtsäfte Mühlenweg 18 · 42579 Heiligenhaus · Tel.: 0 20 56 - 6 9219 · www.dalbeck-fruchtsaft.de 15
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Nachdem der letzte Satz gesprochen war, Ein wohltuendes blieb es auf den Kirchenbänken zuerst ganz Gänsehautgefühl still, dann aber setzte ein unglaublicher Ap- plaus ein. Die Zuschauer, oder besser gesagt Lore Loock die „Zuhörer“, waren anscheinend mit unserer Darbietung sehr zufrieden. E s ist doch sonderbar, wie sich gefühlvoll Auf einmal kam er wieder zurück, dieser Lebenssituationen wiederholen können. kurze Augenblick von damals. Dieses unbe- Und weil mir so etwas mal passiert ist, schreibliche Gefühl, das ich in meiner Schul- möchte ich erzählen, was ich in unserer der- zeit, vor mehr als sechzig Jahren, schon einmal zeitigen Theatergruppe erlebt habe. Während erleben durfte, so einen Applaus, der nur we- der Adventszeit wollten wir eine szenische Le- nige Minuten dauerte, den ich schon gänzlich sung in Langenberg aufführen. Dazu haben vergessen hatte, der war auf einmal wieder da. wir die bekannte „Weihnachtsgeschichte“ von Wie sich doch die Zeiten verändert haben, Charles Dickens ausgesucht. Eine Geschichte, dachte ich. Heutzutage ist es ganz üblich, die einem gerade zur Weihnachtszeit ans Herz dass in einem Gotteshaus kulturelle Veranstal- geht. tungen stattfinden. Die Künstler, welcher Art Die „Alte Kirche“ mit ihrem schönen Ambien- auch immer, bekommen für ihre Darbietungen te war genau der richtige Ort, dieses Werk in natürlich die verdienten Beifallsäußerungen. Szene zu setzen. In unserem Fall ohne Kostü- Aber damals war in einer Kirche so eine Be- me, nur mit der Stimme und dem Mienenspiel. geisterung unvorstellbar. Und nun durfte ich meine Gefühlswallung von damals ein zweites Mal erleben. 16
informiert Neu: Psychosomatische Behandlungssettings am Helios Klinikum in Niederberg Psychosomatische Erkrankungen (körperlich nicht werden können, denn somatische Behandlungsansätze begründbare Beschwerden) spielen heutzutage eine helfen in diesem Zusammenhang oft nicht und können immer größere Rolle. Jedoch sind diese Erkrankun- unter Umständen sogar schaden. gen mit seelischer Ursache heute aufgrund etablierter In einem diagnostischen Vorgespräch, wird das jewei- Methoden und Behandlungssettings gut behandelbar lige, auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmte, und gesellschaftlich deutlich mehr akzeptiert. Ab sofort Behandlungssetting geklärt. Zu unterscheiden gilt es bietet das Helios Klinikum Niederberg in der etablierten grundlegend zwischen ambulanten, (teil-)stationären psychiatrischen Abteilung ein eigenständiges psychoso- und rehabilitativen Behandlungen sowie zwischen psy- matisches-psychotherapeutisches Setting zur Behand- chiatrischen und psychosomatischen Settings. lung dieser Erkrankungen an. Psychosomatik bezeichnet in der Medizin eine ganz- heitliche Betrachtungsweise des Patienten (körper- lich-seelische Wechselwirkungen). Klassisch werden die psychischen Ursachen im Rahmen von vermeintlich körperlichen Erkrankungen unter Berücksichtigung der sozialen Lebensbedingungen und der individuellen Lebensgeschichte betrachtet. Als ein Teilgebiet der Medizin beschäftigt sich die Psy- chosomatik also mit den Wechselwirkungen zwischen psychologischen, biologischen und auch sozialen Bedin- gungen von Erkrankungen. Ist das seelische Befinden erheblich gestört, kann sich die Störung durch körperli- che Beschwerden äußern. Umgekehrt kann eine kör- perliche Erkrankung einen Menschen auch seelisch aus dem Gleichgewicht bringen. Psychosomatische Medizin und Psychotherapie umfassen die Erkennung, Behand- lung und Rückfallvorbeugung von Krankheiten, an deren Verursachung psychosoziale und psychosomatische Faktoren eine Hauptrolle spielen. Insbesondere körperliche Beschwerden, die eine see- lische Ursache haben, finden sich potentiell in allen medizinischen Bereichen. Es ist sehr wichtig, psychoso- matische Erkrankungen zu erkennen, damit sie krank- heits- und fachgerecht psychotherapeutisch behandelt Diagnostisches Vorgespräch jetzt auch per Videosprechstunde möglich Vor dem Hintergrund des sich aktuell noch immer aus- Smartphone oder einen Laptop mit Kamera) und eine breitenden Sars-CoV-2 Virus haben Patienten vielerorts Internetverbindung sowie die Krankenkassenkarte oder Bedenken und möchten den Besuch medizinischer den Personalausweis bei privater Krankenversicherung. Einrichtungen gerne vermeiden. Daher bietet das Helios Die Terminvergabe und Einzelheiten zur Videosprech- Klinikum Niederberg seinen Patienten ab sofort auch stunde können Ihre Patienten wie gewohnt telefonisch die Durchführung des Vorgespräches für die Psychoso- über das Sekretariat der Psychosomatik unter der Tele- matik per Videosprechstunde an. fonnummer: (02051) 982 – 1650 erfragen oder online Man braucht lediglich ein Endgerät mit Frontkamera über den Button „Videosprechstunde“ auf der Startseite und Anzeigedisplay (wie zum Beispiel ein Tablet, ein der Homepage einen Termin vereinbaren.
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Um das Ereignis zu erzählen, muss ich al- mung konnten wir das Lob der Zuhörer noch lerdings bis in die fünfziger Jahre zurück ge- gar nicht fassen. Darauf bat uns unser Lehrer hen. Wir Schulmädchen hielten uns damals in noch das Lied „Heidschi – Bumbeidschi“ als einem Schullandheim im Hunsrück auf, als wir Zugabe zu singen, was ja eigentlich mehr zu mit unserem Rektor, der uns betreute, eine Ta- uns Kindern passte. gestour nach Trier unternahmen. Nachdem uns zuerst nur einige der Kir- Dieser Rektor, zur damaligen Zeit ein außer- chenbesucher zaghaften Applaus schenkten, gewöhnlicher Pädagoge, war auch gleichzei- stimmten nach und nach alle anderen mit ein. tig unser Musiklehrer. Wir liebten ihn, weil wir Wir kleinen Sängerinnen hatten zuerst das als Teenager durch ihn die üblichen Volkslieder Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, oder professionell und stimmungsvoll singen konn- sogar Verbotenes, denn so etwas kannten wir ten. Durch ihn wurden wir nicht nur zum bes- nicht. Wie versteinert und irritiert, zuletzt aber ten Chor der Schule, sondern er erweckte in glücklich standen wir da, weil es in einer Kirche uns auch das Interesse an klassischer Musik. zu der damaligen Zeit nicht üblich war, weltli- Wohl deshalb kam er auch auf die wagemutige che Lieder zu singen oder sogar zu klatschen, Idee, mit uns „Schulmädchen“, die einstudierte Mit einem „wohligen Gänsehaut-Gefühl“ ver- Partie des Gefangenenchors aus Verdis Oper ließen wir die Liebfrauenkirche und hatten mit „Nabucco“ in der Trierer Liebfrauenkirche zu vielen Besichtigungen von historischen Bau- singen. denkmälern, noch einen vergnüglichen Tag in Ganz zaghaft stimmten wir an: Trier. „Flieg Gedanke, getragen von Sehnsucht...... Ich hätte nie gedacht, dass ein so weit zu- rück liegendes Ereignis sich wiederholen konn- lass dich nieder in jenen Gefilden. te. o die Freiheit wir glücklich einst erlebten, W wo die Heimat uns‘rer Seele ist.“ Als diese Zeilen gesungen waren merkten Die alte Bauernkate wir, dass die Besucher der Kirche auf uns auf- merksam wurden. Einer nach dem Anderen Helga Licher trat näher an uns heran. E s war ein Tag wie jeder andere. Es regne- Dadurch mutiger geworden sangen wir, zwi- te in Strömen, und Hinnerks Stimmung schen den Kirchenbänken stehend, weiter: war alles andere als gut. Wie immer hat- „Unser letztes Gebet gilt dir und mir …. te er das Vieh versorgt und Holz für den alten Ofen hergerichtet. Das trübe Licht der alten Teure Heimat leb wohl. Straßenlaterne schien durch die geschlosse- Teure Heimat leb wohl.“ nen Vorhänge und warf lange Schatten auf die Bretter des Holzfußbodens. Als der letzte Ton verklungen war, standen alle Menschen, die sich in der Kirche befanden, „Du solltest dich umziehen Hinnerk, die nun vor uns und lobten: „Das habt ihr wun- Christmesse fängt gleich an.“ Die Bäuerin band derschön gesungen. Danke“. Auch wir selbst ihre Schürze ab und schob den Stuten in den wurden von einem wundersamen, ja hier in Backofen. Sie legte noch einige Holzscheite dieser Kirche konnte man wahrhaftig sagen, nach und schaute zu ihrem Mann hinüber. Hin- von einem „heiligen Gänsehautgefühl“ über- nerk seufzte, schob die Zeitung beiseite und schüttet. Gefangengenommen in dieser Stim- erhob sich. 18
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente Er warf seiner Frau einen mürrischen Blick „Komm Hinnerk“, sagte Meta leicht gereizt zu, während er hinüber in die Schlafkammer „Die Messe beginnt gleich.“ ging. Meta verstand den Bauern nicht mehr. Er war zu einem Griesgram geworden, der oft Doch Hinnerk stand stumm da und starrte missgelaunt war. Vor einigen Jahren hatte er zum Wald hinüber. Endlich drehte er sich um sich heftig mit seinem Bruder gestritten, aber und sah seine Frau nachdenklich an. Hinnerk war nun mal ein Hitzkopf. Der Bauer „Geh schon vor“, sagte er leise „ich komme war inzwischen aus der Schlafkammer gekom- nach. Ich habe noch etwas zu erledigen.“ men, setzte sich auf die Ofenbank und zog seine Stiefel an. Die Bäuerin nahm die Hand- Der Bauer steckte seine Hände tief in die Ta- tasche von der Garderobe und öffnete die schen seines Mantels und zog den Hut in die schwere Dielentür. Stirn. Schnellen Schrittes ging er auf den Wald zu. Er spürte den kalten Wind nicht, der ihm Stumm gingen sie neben einander her. Auf die Tränen in die Augen trieb. Sein Blick war dem Kopfsteinpflaster hatten sich große Pfüt- starr auf einen unsichtbaren Punkt in der Ferne zen gebildet. Noch immer war der Himmel ne- gerichtet. Erst als plötzlich vor ihm eine sch- belverhangen, und kein einziger Stern war zu male Brücke aus dem Nichts auftauchte, blieb sehen. Nur langsam schob sich der Mond hin- er stehen. Unsicher betrat er die knarrenden ter einer Wolke hervor und erhellte mit seinem Holzbohlen, die unter seinem Gewicht leicht milden Schein die dunkle Nacht. Es war schon schwankten. Das morsche Geländer ächzte spät, als Hinnerk und seine Frau schließlich bei jedem seiner Schritte. Er war diesen Weg den schmalen Kiesweg zur Kapelle hinauf schon oft gegangen, aber an eine Brücke, schritten. Plötzlich blieb der Bauer stehen und konnte er sich nicht erinnern. Kein Mensch schaute zum Wald hinüber. war weit und breit zu sehen, auch die heller- leuchtete Kirche mit ihren kupfernen Türmen 19
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