Gänsehaut- VHS Velbert/Heiligenhaus

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Gänsehaut- VHS Velbert/Heiligenhaus
Heiligenhauser Seniorenzeitung · Nr. 102 · Juni 2020
Herausgeber: Volkshochschule Velbert / Heiligenhaus

                                                                          !
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                                                       Bitte mi

Gänsehaut-
   Momente

Stationen eines Lebens · Geborgenheit · Wiedersehen in der
Deutschen Bahn · Der Schrei der Freiheit · Denn erstens
kommt es anders und zweitens · Glück mal zwei ·
Gänsehaut für die Seele · Ein wohltuendes Gänsehautgefühl ·
Die alte Bauernkate · Buchvorstellung · Termine
Gänsehaut- VHS Velbert/Heiligenhaus
Das Rundum-Konzept für eine umfassende Pflegeversorgung.
                   Stationäre Pflege • Kurzzeitpflege • Tagespflege • Service-Wohnungen

                                                                                                      Wordenbecker Weg 51-56 • 42549 Velbert
                                                    Seniorenzentrum                                   Telefon 02051 60 84-1150

                                                    Velbert                                           info@seniorenzentrum-velbert.de
                                                                                                      www.seniorenzentrum-velbert.de

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                                                                                                       Spezialbrillengläser
en                                                                                                     für altersbedingte
        „Die gepflegte Art zu wohnen“

en
                                                                                                       Makuladegeneration
                                          Pflege und Demenz
 n                                        in Heiligenhaus
                                                    Domizil mobil
                                                                                                       Mehr Lebensqualität
                            epflegte Art zu wohnen

                                                                                                       und Schutz mit
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                                                                 Zu Hause gut versorgt

                                          Unsere Leistungen für Sie
                                                                                                        Optimaler Schutz
                                          • Tagespflege                                                   vor aggressivem UV-Licht
ilt:                                      • Ambulante Pflege                                             Verbessertes Farb- und
                                                                                                         Kontrastsehen
                                          • Service-Wohnen
                                                                                                        Vergrößerter Seheindruck
                                          • Kurzzeitpflege
                                          • Stationäre Pflege                                           Ihr Spezialist für AMD-Spezialgläser:

                                          • Wohnen/Betreuung
                                            für Menschen mit
                                            Demenz

                                          Domizil Heiligenhaus                                                 Hauptstraße 146 · 42579 Heiligenhaus
                                          Domizil Wohnfühlen GmbH
                                          Südring 90, 42579 Heiligenhaus, Tel.: (0 20 56) 58 54 9-0
                                                                                                               Tel. 0 20 56 / 55 31
                                          info@domizil-wohnfuehlen.de, www.domizil-wohnfuehlen.de              optik-a.reinders@t-online.de

                                                           Beratung und Kostenklärung
Gänsehaut- VHS Velbert/Heiligenhaus
Heiligenhauser Seniorenzeitung Nr. 102 · Juni 2020                                                                            Herausgeber: Volkshochschule Velbert / Heiligenhaus

Gänsehaut-Momente
                            Liebe Leserin und lieber Leser,                                                   wie bei mir, beim Lesen des Artikels von Jörg
                                                                                                              Potthaus. Plötzlich war meine Lebenspha-
              im Januar begannen wir mit der                                                                  se mit Mikis Theodorakis und Griechenland
              Redaktionsarbeit. Die Corona                                                                    wieder sehr lebendig.
              Pandemie war noch weit ent-
              fernt... Bei Redaktionsschluss                                                                  So wie überhaupt Musik, Liebe, Freundschaft
Ende April sind wir mittendrin in einer nie ge-                                                               und Familie immer wieder Situationen mit
kannten Krise, die uns wahrlich laufend Gän-                                                                  Gänsehaut hervorrufen und sehr wichtige
sehaut verursacht.                                                                                            Stationen in unserem Lebens sind und waren.

Wir sind verunsichert, ängstlich, hilflos oder                                                                Und hier fiel mir bei allen Artikeln auch ein
entdecken neue Solidarität und Werte.                                                                         tröstlicher Spruch von Jean Paul ein, den ich
                                                                                                              aus Jugendjahren kannte:
Das Leben rückt wieder in den Vordergrund.
                                                                                                              Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus
Unsere Redaktion übt das Home Office und                                                                      dem wir nicht vertrieben werden können.
will Sie trotz allem unterhalten. Und die Ar-
tikel zeigen, wieviel Reichtum auch in unserer
Erinnerung liegt, in ganz besonderen Momen-
ten. Ein Schatz, der uns auch in aktuellen Nö-                                                                Die Redaktion wünscht Ihnen Gesundheit,
ten helfen kann. Entweder, weil sie überwun-                                                                  Energien und gute Erinnerungen.
den sind – so wie in den beiden Artikeln von
                                                                                                              Ihre
Marianne Fleischer - oder auch noch einmal
                                                                                                              Ursula Schwarze
nach Jahrzehnten Glücksgefühle auslösen, so

  Stationen eines Lebens                                                                                      Glück mal zwei
  Marianne Fleischer.............................................................................. 2          Armin Merta....................................................................................... 12
  Geborgenheit                                                                                                Gänsehaut für die Seele
  Ute Moll............................................................................................... 4   Martina Müller................................................................................... 14
  Wiedersehen in der Deutschen Bahn                                                                           Ein wohltuendes Gänsehautgefühl
  Dagmar Haarhaus............................................................................... 6            Lore Loock......................................................................................... 16
  Der Schrei der Freiheit                                                                                     Die alte Bauernkate
  Jörg Potthaus....................................................................................... 8      Helga Licher...................................................................................... 18
  Denn erstens kommt es anders und zweitens                                                                   Literatur und die Gänsehaut
  Rosemarie Koch................................................................................. 11          Ruth Ortlinghaus................................................................................ 20
                                                                                                              Buchtipp:
                                                                                                              Eric-Emmanuel Schmitt: „Oskar und die Dame in Rosa“ ............... 21

                                                                                                                                                                                                                       1
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Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

Die Orgelpfeifen, 1 Jahr vor der Flucht

                                                   ten Züge der nach Deutschland, nach Dres-
Stationen eines Lebens                             den fahren sollte. Alle wußten, dass es eine
Marianne Fleischer                                 der letzten Möglichkeiten sein würde vor der
                                                   heranrückenden Front zu fliehen. Meine Mutter
                                                   hatte jedem von uns „Älteren“ ein jüngeres Ge-
Schicksalsmomente                                  schwisterkind anvertraut, da sie fürchtete, sich
                                                   in dem Gedränge nicht um alle kümmern zu

A
       ls ich in den letzten Tagen immer wieder    können. Mir hatte sie meine Schwester Monika
       Bilder über das Kriegsende im Fernse-       an die Hand gegeben (9 Jahre alt).
       hen sah, hatte ich eines Nachts einen
Traum, den ich schon sehr lange nicht mehr            Der Zug kam. Er hielt, die Türen öffneten
hatte. Ich lief mit meinen zwei Enkelinnen an      sich und dann passierte etwas, was ich nicht
der Hand auf einem Bahnsteig an einem Zug          erwartet hatte. Die Menschen stürzten sich
entlang, konnte ihn aber nicht erreichen. Die      schreiend auf die Stufen vor den Zugtüren,
Lokomotive stieß einen                             stürmten durch die Türen, stießen alle zur Sei-
                                                   te die ihnen im Weg waren, Fenster wurden
   schrillen Pfiff aus und ich erwachte schweiß-   geöffnet, Gepäckstücke in den Flur geworfen.
gebadet. Die Ursache für diesen Traum war          Meine Mutter, die meinen jüngsten Bruder auf
ein schreckliches Erlebnis auf unserer Flucht      dem Arm trug, wurde in den Zug hinein ge-
aus Oberschlesien in den letzten Kriegstagen       schoben. Wir wurden zur Seite gestoßen und
1945. Damals stand meine Mutter mit uns fünf       erreichten die Treppen nicht. Meine Brüder
Kindern auf einem Bahnhof in der damaligen         schafften es durch Fenster in den Zug zu klet-
Tschechoslowakei und wartete mit uns und           tern. Wir Mädchen schafften es nicht. Monika
vielen hundert Menschen auf einen der letz-        und ich liefen verzweifelt am Zug entlang in der

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Gänsehaut- VHS Velbert/Heiligenhaus
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

Hoffnung noch irgendwo reinzukommen. Die
Menschen hingen aber bereits in Trauben auf
den Trittbrettern. Wir waren schon fast an der
Lokomotive angekommen. Sie stieß zunächst
grauen, dann weißen Dampf aus dem Schorn-
stein aus.
  Ein Heizer schaute aus dem Fenster der
Heizungskabine und sah uns allein schreiend
auf dem Bahnsteig stehen. Er sprang aus der
Lok, rannte auf uns zu, nahm jede von uns auf
einen Arm, rannte zurück, schob uns die Stu-
fen hoch, schlug die Kabinentür hinter uns zu      Bereit zur großen Reise
und setzte uns auf ein paar Säcke neben einen
Haufen schwarz glänzender Steinkohle.              Ein unvergeßlicher Augenblick

                                                   M
  Die Lokomotive stieß einen schrillen Pfiff aus            itte März 1959. Mein Mann und ich
und ratterte los. Der Heizer öffnete eine Klappe            stehen ganz vorn an der Reling des
des Heizungskessels, aus dem eine Höllenglut                italienischen Passagierschiffes „Ame-
herausschlug, warf zwei Schaufeln Kohle in         rigo Vespucci“. Wir befinden uns mitten auf
den Schlund und schloß die Klappe wieder.          dem Atlantik, um uns herum nur Wasser, kein
                                                   Land in Sicht! Wir haben Genua und das Mit-
   Wir glaubten uns in der Hölle, so groß war      telmeer hinter uns gelassen, die Straße von Gi-
die Hitze. Bald aber wurde uns bewusst, daß        braltar passiert, haben einen kurzen Zwischen-
wir im fahrenden Zug saßen. Es war warm            stopp in Teneriffa gemacht und sind jetzt weit
nach der Eiseskälte auf dem Bahnsteig, wir         draußen auf dem Meer. Das Wasser ist ganz
waren gerettet! Der Heizer reichte uns lächelnd    ruhig, ab und zu hört man eine kleine Welle an
einen Becher Tee aus seiner Thermoskanne.          den Rumpf des Schiffes schlagen. Die Moto-
Er hatte uns das Leben gerettet! Wir wären auf     ren machen ein leises Hintergrundgeräusch.
dem Bahnsteig bei dem eisigen Schneetreiben        Ab und zu leuchtet ein kleines Schaumkrön-
sicher erfroren.                                   chen im Licht des Mondes auf, der vom mit
  Mitreisende aus dem Zug hatten das Ret-             Tausenden von Sternen übersäten Abend-
tungsmanöver beobachtet und gaben die              himmel auf uns herableuchtet. Es ist noch der
Nachricht im Zug weiter: „Die Mädchen sind         Sternenhimmel den wir kennen, der Himmel
drin im Zug“. Diese Nachricht erreichte auch       der nördlichen Halbkugel. Wir entdecken den
unsere Mutter, die sich große Sorgen gemacht       „Großen Wagen“ und den „Polarstern“. Bald
hatte. Erst Stunden später, als die Lokomoti-      wird der südliche Sternenhimmel über uns zu
ve Wasser tanken und Kohle bunkern mußte,          sehen sein mit dem „Kreuz des Südens“ und
konnten wir zu unserer Mutter umsteigen.           fremden Sternenbildern. Am Horizont ist noch
  Wenn ich heute im Fernsehen Bilder von           ein heller Streifen des Abendhimmels zu se-
Kindern in Flüchtlingslagern sehe, wünsche         hen, um uns her aber nur Wasser. Zum ersten
ich ihnen von Herzen, auch Menschen zu be-         Mal sehen wir, dass die Erde rund ist.
gegnen, die ihnen einen Kanister mit Trinkwas-       Es sieht so aus, als befänden wir uns auf
ser bringen, oder eine warme Decke und ein         dem höchsten Punkt einer Kugel und es geht
wenig Wärme!                                       nach allen Seiten abwärts. Ich sehe zum ers-
                                                   ten Mal in meinem Leben bewusst, daß die
                                                   Erde eine Kugel ist. Wir kommen uns vor wie

                                                                                                 3
Gänsehaut- VHS Velbert/Heiligenhaus
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

die einzigen Menschen auf der Welt – nur wir
zwei und unsere kleine Familie. Unsere beiden
kleinen Söhne liegen fest eingepackt in ihren
Schlafsäcken in der Kabine, bewacht von einer
netten Zimmer-Stewardess und unser kleiner
blinder Passagier ruht sicher unter meinem
Herzen.
   Wir haben alles hinter uns gelassen, unsere
Wohnung aufgelöst, die Sachen die wir mit-
nehmen durften in Kartons gepackt und mit
einem Frachtschiff vorausgeschickt. Wir sind
auf dem Weg in ein fremdes Land, auf der an-
deren Halbkugel, mit fremden Menschen, einer
fremden Sprache in einer Wüsten-Oasenstadt
auf 2300 m Höhe. Freunde von uns haben uns
gebeten beim Aufbau einer Begegnungsschu-
le zu helfen. Sie selbst leben dort bereits seit
einem Jahr mit Kindern, die das Klima gut ver-
tragen. Wir haben uns entschlossen den Neu-
Anfang zu wagen. Wir wollen alles hinter uns
lassen was wir erlebt haben: ich, nach einer lie-
bevoll umhegten Kindheit in einer Großfamilie,
die Flucht aus Oberschlesien und die spätere
Flucht aus der DDR, mein Mann den Krieg, er
wurde bereits mit 18 Jahren Soldat und ver-
brachte dann drei Jahre in Kriegsgefangen-
schaft in Frankreich. Wir sind voller Erwartung
und Vorfreude auf unser „Neues Leben“! Wir          Geborgenheit
kommen uns vor wie die ersten Menschen auf          Ute Moll
Entdeckerfahrt. Fünf Jahre liegen vor uns – pa-

                                                    W
radiesisch schöne Jahre – wie wir im Nachhi-
                                                             enn ich in meine Gefühlswelt tauche
nein feststellen werden, Jahre, die uns verän-
                                                             und erlebte Gefühle erinnern möch-
dern werden. Es tut uns gut, unsere Heimat
                                                             te, brauche ich sehr viel Ruhe, um
Deutschland auch mal aus der Ferne zu sehen
                                                    in diese tiefen inneren Räume zu gelangen.
und als „Ausländer“ in einem fremden Land zu
                                                    Diesmal mit dem Auftrag, nach “Gänsehaut-
leben!
                                                    Momenten“ zu suchen.
  Den Moment auf dem Schiff, aber Hand in
                                                      Es kam ein ganzes Gewirr gelebten Lebens
Hand mit meinem Mann – allein auf dem Meer
                                                    und prägender gravierender Momente zum
– habe ich nie vergessen. Es war einer der
                                                    Vorschein, Schaudergeschichten und Glücks-
schönsten Augenblicke meines Lebens!
                                                    gefühle. Ich entschied mich für Glücksgefühle.
                                                       Es war in der Vorweihnachtszeit, und ich
                                                    erlebte in meinem Umfeld, bei Freunden, Be-
                                                    kannten und Nachbarn, wie sie immer weniger
                                                    Zeit zum Verabreden hatten, immer geschäf-
                                                    tiger wurden. Manchmal begegnete mir auch

4
Gänsehaut- VHS Velbert/Heiligenhaus
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

Hektik mit Fragen wie: „Was soll ich schenken,      gelegt. Wir lernten uns gnadenlos von unserer
was soll ich kochen und backen, was soll ich an     Schattenseite kennen und abstoßen.
den Feiertagen anziehen?“ Meine eigenen Fra-
                                                      Heute weiß ich, dass wir überempfindlich
gen waren: „Soll ich selbst einladen oder lieber
                                                    und uns durch überhöhte Erwartungshaltun-
warten, ob ich eingeladen werde?“ Diese Fra-
                                                    gen in einen neuen Kennenlernprozeß hinein-
gen belasteten mich, obwohl die beschriebe-
                                                    manövriert hatten.
ne Hektik bei mir abwesend war. Stattdessen
nahm die Vorstellung von mir Besitz, alle seien       Jede erlebte auch an diesem Ort und in die-
an den Festtagen in ihren „heilen“ Familien und     ser Konstellation ihre gefürchtete Einsamkeit,
Beziehungen eingetaucht, ohne mich. Diese           bis wir begriffen, dass Weihnachten eigentlich
Vorstellung, als Horror empfunden, obwohl           das Fest der Liebe ist und wir uns darin üben
mein Kopf noch die Fantasie hatte, dass ich         können, andere zu lieben und nicht nur selbst
auch auf Singlereisen gehen könnte, brachte         geliebt werden wollen. Fast hätten wir uns
mir schon gar keine Adventsstimmung.                durch unser egoistisches Verhalten den Sinn
                                                    von Weihnachten und das Auftanken auf die-
   Lange Rede, kurzer Sinn, meine Freundin
                                                    ser schönen Insel verpasst.
Katharina war in einer ähnlichen Gefühlsverfas-
sung, und wir verabredeten eine Weihnachts-           Jede von uns nahm sich und ihre überzo-
reise zur Nordseeinsel Norderney.                   genen Vorstellungen zurück und wir tausch-
                                                    ten unsere Gefühlssituation aus. Von nun an
  Eine ansprechende Wohnung war schnell
                                                    konnten wir liebevoller miteinander umgehen
gebucht und eine kleine, aber andersartige
                                                    und Wanderungen und Inselerlebnisse mitei-
Vorfreude stellte sich bei mir ein. Andersartig
                                                    nander teilen. Gemeinsam besuchten wir die
auch deshalb, weil wir beide uns zwar etliche
                                                    Inselkirchen, und meine Freundin begleitete
Jahre kannten, aber noch nie zusammen in
                                                    mich gerne auf der Suche zu der Kirche mei-
einer Ferienwohnung gelebt hatten, und wir
                                                    ner Kindheit, in der ich so oft mit meiner Familie
wussten, dass wir im Alter sehr eigenwillig und
                                                    hineingegangen war, um am Gottesdienst teil-
speziell geworden waren. Es war also schon
                                                    zunehmen.
ein Abenteuer.
  Begeistert vom Meer, Strand und dem klei-
nen Inselort gingen wir froh gestimmt durch                              Volkshochschule
die weihnachtlich geschmückten Straßen, lie-                             Velbert / Heiligenhaus
ßen es uns in einem originellen Speiserestau-
rant schmecken und bezogen danach unsere
Wohnung, die bei der Ankunft einen modernen
                                                      Aktuelles finden Sie
und pfiffigen Eindruck gemacht hatte.
                                                      im Programmheft, unserer
   Im Rückblick fing genau zu diesem Zeit-            Homepage und auf unserer
punkt die Herausforderung eines abenteuer-            Facebook-Seite
lichen Miteinanders mit einem Schlafzimmer
und einem kombinierten Wohnzimmer mit
Schlafcouch und Einbauküche an. Jede von
uns hatte andere Gewohnheiten, Vorstellun-
gen und Erwartungen an diese besonderen               www.vhs-vh.de
Tage. Über Küchennutzung und Tagesgestal-             info@vhs-vh.de
tung fingen wir nun an zu streiten. Die erhofften     02051 94 96 0
weihnachtlichen Gefühle waren erst mal auf Eis

                                                                                                     5
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Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

                                                      Wiedersehen in der
                                                      Deutschen Bahn
                                                      Dagmar Haarhaus

                                                      I
                                                         m Juni 2013 wanderte ich mit meiner Freun-
                                                         din auf der letzten Etappe des Jakobswegs
                                                         von Astorga nach Santiago de Compostela.
                                                      Mittags ruhten wir aus, manchmal nur in der
                                                      Natur, und stärkten uns mit Müsliriegeln und
                                                      Wasser. Aber es gab auch hin und wieder eine
                                                      Gastwirtschaft am Weg, wo wir uns stärken
                                                      konnten. Um die restlichen Kilometer weiter-
                                                      hin gut durchzustehen, verzichteten wir auf ein
                                                      üppiges Mittagessen, bevorzugten lieber eine
   Diese römisch katholische Kirche Stella Ma-        Käseplatte und tranken dazu ein kleines Bier.
ris ist 1931 erbaut worden im Stil der neuen             So auch am vorletzten Tag unserer Wande-
Sachlichkeit. Seit 2006 ist sie restauriert und       rung. In fast fußläufiger Nähe zum Endpunkt
durch Flüchtlinge und Tourismus ein beliebtes         waren wir voller Vorfreude und genehmigten
und gut besuchtes Gotteshaus. Wir gingen              uns eine etwas längere Pause. Wir bestellten
auf die Empore, um die beeindruckende Taufe           das Übliche. Die Käseplatte, das Brot, dazu
eines polnischen Kindes genauestens mitzu-            Bier, dämpften unser Hungergefühl. Am Tisch
bekommen. Der Pastor hielt nach der Tauf-             gegenüber saß eine Wanderin, die uns durch
zeremonie das noch gewickelte Kind für alle           ihre knallgelbe Sonnenbrille auffiel, mit großen
sichtbar in die Höhe und sagte: das ist Martha.       Gläsern.
Es war ein berührender Moment.
                                                        Wir grüßten gegenseitig und tauschten ein
   Die Akustik des Kirchengebäudes war ein-           Lächeln. Kurze Zeit später zahlte sie und kam
fach wunderbar. Wir sangen etliche Lieder mit         an unseren Tisch. Wir baten sie, Platz zu neh-
und genossen die feierliche Stimmung. Am              men. Noch ahnte ich nicht, was sich aus die-
Ende des Gottesdienstes erschallte das Lied           ser Begegnung für mich entwickeln würde.
aus meiner Kindheit: „Meerstern ich Dich grü-
ße, oh Maria hilf. Maria hilf uns allen aus unserer      Unsere Wanderin stellte sich mit Namen
tiefen Not.“ Meine Freundin und ich fassten un-       Awilda vor, ein gebräuchlicher Vorname in
sere Hände und wir sangen aus „voller Brust“          Puerto-Rico. Lange Jahre hatte sie als Opern-
mit. Ich bekam eine Gänsehaut und fühlte mich         sängerin in Deutschland gelebt, war aber
durch die wieder belebte Erinnerung und durch         nach ihrer Scheidung nach Seattle gezogen.
die wieder erlangte Nähe zu meiner Freundin           Dort heiratete sie erneut einen deutschen,
wunderbar geborgen. Wir konnten uns wieder            sehr bekannten Klaviervirtuosen mit Vorna-
herzlich umarmen und eine festliche Stimmung          men Hartwig. Wir waren fasziniert von ihrer
erleben.                                              Persönlichkeit, mussten aber leider das Ge-
                                                      spräch beenden, um unser Tagesziel zu er-
                                                      reichen. Versäumt hatte ich, nach ihrer Ad-
                                                      resse zu fragen, so dass ein weiterer Kontakt
                                                      nicht gegeben war. Aber irgendwie bekam
                                                      ich diese Begegnung nicht aus dem Kopf.

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Gänsehaut- VHS Velbert/Heiligenhaus
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

Wir erreichten Santiago de Compostela zwei
Tage später und gönnten uns am Ankunftstag
ein
  köstliches Abendessen, im ersten Haus am
Platze, dem „Parador Reis Catolicos“. Wir hat-
ten die Wander-Etappe gut geschafft. Das war
der erste Gänsehautmoment, ein weiterer soll-
te folgen.
   Die letzten Stunden bis zur Heimreise ver-
brachten wir in der Stadt in einem Straßenca-
fe. Und wie aus heiterem Himmel sahen wir
Awilda mit schnellem Schritt auf unseren Tisch
zusteuern. Wir begrüßten uns herzlich. Da sie
auf dem Weg zur Kathedrale war, hatten wir
gerade noch Zeit, unsere Adressen auszu-
tauschen. Nach der Verabschiedung steckte
ich voller Freude den Zettel in meine Tasche.
Kaum war ich wieder zu Hause, bekam ich
elektronische Post aus Seattle. Das war wie-
der ein Gänsehautmoment, der sich zu einem
jahrelangen Schriftwechsel entwickelte, wobei
Awilda mir auf Englisch schrieb und ich auf       mich, als endlich der Zug angekündigt wurde.
Deutsch antwortete. Nun sind sieben Jahre         Awilda hatte mich schon beim Einfahren auf
vergangen und ein Ordner füllte sich mit un-      dem Bahnsteig entdeckt, und kaum hatte ich
serem Email-Schriftverkehr. Obwohl ich des        den Wagen betreten, kam mir Awilda bereits
öfteren nach Seattle eingeladen wurde, hatte      entgegen. Wir fielen uns in die Arme, und die
ich bisher nicht den Mut, die Reise anzutreten,   ersten Freudentränen benetzten unsere Wan-
da ich unter Flugangst leide.                     gen. Sie nahm mich an die Hand und führte
                                                  mich zu ihrem Sitzplatz, wo Hartwig schon auf
   Aber das Schicksal meinte es gut mit uns.      mich wartete. Wir kannten uns nur vom Telefon
Während einer gerade zu Ende gegangenen           oder dem Email-Austausch. Aber es war eine
kleinen Europareise des Ehepaares wurde mir       so herzliche Begrüßung, dass überhaupt keine
vorher berichtet, dass man von Hamburg aus        Fremdheit aufkam. Nach Ankunft in Koblenz
mit dem Zug nach Koblenz reisen wollte. Diese     erreichten wir kurze Zeit später das Hotel, in
Gelegenheit des Wiedersehens wollte ich mir       dem wir unsere Zimmer gebucht hatten. Nicht
nicht entgehen lassen. So konnte ich in Erfah-    lange blieben wir dort, sondern feierten unser
rung bringen, an welchem Tag und um welche        Wiedersehen ein wenig in der Hotelhalle, bevor
Uhrzeit der Zug in Wuppertal hielt und in wel-    wir dann zum Abendessen aufbrachen.
chem Wagen die Sitzplätze reserviert waren
                                                    Nach der Rückkehr ins Hotel wollte Hartwig
  Bei meinem Kartenkauf konnte ich im             ruhen, während Awilda und ich noch sehr lan-
gleichen Wagen auch einen Sitzplatz be-           ge in meinem Zimmer gesessen haben. Wir
kommen und ich musste nur pünktlich am            konnten es kaum fassen, dass sieben Jahre
Bahnsteig stehen, damit das Wiedersehen           vergangen waren, als wir uns auf dem Jakobs-
stattfinden konnte. Die Uhrzeiger schlichen       weg begegneten. Mein mitgebrachtes Album
dahin, und die Aufregung wollte sich nicht        sorgte für Momente der Erinnerung. Größer
legen. Der Gänsehautmoment übermannte             aber war das Erstaunen darüber, dass wir

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Gänsehaut- VHS Velbert/Heiligenhaus
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

uns während der gesamten Jahre nicht aus          darauf folgenden politischen Erschütterungen
den Augen verloren haben. Geholfen haben          dazu geführt hatten, dass die seit sieben Jah-
der rege Email-Verkehr und lange Telefonge-       ren in Griechenland regierende faschistische
spräche. Dabei haben wir viel Privates ausge-     Militärjunta gestürzt worden war. Das Geburts-
tauscht, und ich glaube, dieses hat geholfen,     land der Demokratie, seit sieben Jahren von
dass wir das Gefühl hatten, uns erst kürzlich     KZ-ähnlichen Straflagern, Foltergefängnissen
getroffen zu haben.                               und Zensur aller Lebensbereiche überzogen,
                                                  konnte endlich wieder aufatmen. Es gab be-
  Nach dem Frühstück, am nächsten Morgen,
                                                  reits eine Übergangsregierung, die ersten
hatten wir noch etwas Zeit zur angeregten Un-
                                                  freien Wahlen seit den Jahren der Dunkelheit
terhaltung, bevor dann der Abschied nahte.
                                                  standen kurz bevor.
  Vielleicht werde ich doch einmal meine
                                                     Den Tag über hatten wir uns durch Athen
Flugangst überwinden können, um Awil-
                                                  treiben lassen, waren auf der Akropolis, hat-
da und Hartwig in Seattle zu besuchen.
                                                  ten im Altstadtviertel Plaka gut gegessen und
Das wäre dann auch wieder ein Gänsehaut-
                                                  getrunken. Die Aufbruchsstimmung der Men-
moment.
                                                  schen, ihre Erleichterung, ihre Freude über das
                                                  Ende der Diktatur waren mit Händen greifbar,
                                                  und als wir dem Kellner zur neu gewonnenen
Der Schrei der Freiheit                           Freiheit, der „Eleftheria“, gratulierten, ging un-
                                                  sere ganze Rechnung aufs Haus.
Jörg Potthaus
                                                     Wir schlenderten weiter durch die Gassen,

1
                                                  viele davon mit roten Nelken bekränzt (si-
       0. Oktober 1974. Vor zwei Tagen über       cherlich als Reminiszenz an die vor wenigen
       die damals noch gesamtjugoslawische        Monaten erfolgreiche „Nelken-Revolution“ in
       Grenze gekommen, hatte ich, zusam-         Portugal) und ließen uns von den fröhlichen
men mit zwei Freunden, am Morgen Athen er-        Menschenmassen mittreiben.
reicht. Wie sich das damals gehörte, waren wir
den ganzen weiten Weg, u.a. über die Balkan-         Seit einiger Zeit schon war uns aufgefallen,
route und den als „Todespiste“ berühmt-be-        dass an jeder verfügbaren freien Wand, jedem
rüchtigten Autoput in einem unverwüstlichen       Bauzaun, jeder Telefonzelle oder Litfaßsäu-
VW-Bulli gekommen, Campingausrüstung in-          le eine Vielzahl von immer gleichen Flugblät-
klusive. Dass es so spät in der Jahreszeit ge-    tern angebracht war, offenbar ziemlich primitiv
worden war, hatte mit der seit dem Sommer         durch Matrizen gekurbelt und mit einem Klecks
anhaltenden Zypern-Krise zu tun, die fast zu      Leim hastig und meist schief fixiert, allerdings
einem Krieg zwischen den NATO-Partnern            für uns unlesbar, da in griechischer Schrift.
Griechenland und Türkei geführt hatte. Einige     Wir fragten einen jungen Mann, der Englisch
Monate intensiver politischer und militärischer   sprach, nach dem Inhalt. Seine Antwort warf
Unruhen, die eine solche Reise als wenig sinn-    uns um: Heute noch würde Mikis Theodorakis,
voll erscheinen ließen, lagen nun hinter uns.     der berühmteste Grieche, aus seinem Pariser
Jetzt war die griechische Grenze wieder offen     Exil heimkehren und, das war die eigentliche
und wir konnten endlich in das Land unserer,      Sensation, gleich am Abend im Karaiskakis-
wenn auch auf typisch deutsche Weise ver-         Stadion von Piräus sein erstes Konzert nach
klärten Sehnsucht hinein. Das einzig Positive     der langjährigen Verfolgung geben.
an der Besetzung eines Teils Zyperns durch
die türkische Armee (die das Land übrigens
bis heute spaltet) war die Tatsache, dass die

8
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

  Mikis Theodorakis zurück – wir konnten es           Der Militärputsch von 1967 brachte ihm er-
kaum fassen! Die Stimme des demokratischen         neut Haft und zahlreiche Torturen ein, seine
Griechenlands, und das seit Jahrzehnten            Musik wurde in ganz Griechenland verboten.
schon.                                             Erst eine internationale Kampagne von Künst-
                                                   lern und Politikern brachte ihm die Freilassung.
   1925 geboren, kämpfte er - als Kreter hatte
                                                   Von seinem Pariser Exil aus gab er, zusammen
er die Sehnsucht nach Freiheit ohnehin ganz
                                                   mit seinem Orchester und der ebenfalls exilier-
tief verinnerlicht - bereits als junger Mann ge-
                                                   ten Sängerin Maria Farantouri, weltweit über
gen die italienischen und deutschen Invasoren,
                                                   1000 Konzerte, um auf das Schicksal seiner
was diese ihm mit Haft, Prügel und brutaler
                                                   Heimat aufmerksam zu machen. Und nun also,
Folter vergolten. Nach dem Zweiten Weltkrieg
                                                   an diesem 10. Oktober 1974, die Rückkehr in
ereilte ihn das gleiche Schicksal noch einmal,
                                                   die griechische Heimat!
als er von seinen monarchisch und nationalis-
tisch gesinnten Landsleuten auf der KZ-Insel          Da ich selbst kurz einmal als Student auf
Makronissos inhaftiert und so brutal misshan-      einer seiner Europa-Tourneen als Hilfsarbeiter
delt wurde, dass er nur wie durch ein Wunder       (Kabel- und Mikroträger) für ihn tätig gewe-
überlebte.                                         sen war und eine Anzahl seiner charismati-
                                                   schen Konzerte miterlebt hatte, fiel es mir nicht
  Nach seiner Freilassung avancierte er schnell
                                                   schwer, meine Freunde dazu zu bringen, den
zum berühmtesten Komponisten Griechen-
                                                   Bulli auf einem öffentlichen Parkplatz stehen zu
lands, dazu schrieb und sang er, dirigierte ein
                                                   lassen und sich mit mir mittels Bus und Stra-
eigenes Orchester, engagierte sich politisch
                                                   ßenbahn Richtung Piräus aufzumachen.
auf der Linken. Weltruhm erlangte er, als er die
Musik für den Film „Alexis Sorbas“ mit der be-       Während der Fahrt waren die Straßen
rühmten Tanzszene am Schluss schrieb.              schwarz vor Menschen, die, als wir das alte
                                                   Karaiskakis-Stadion erreicht hatten, zu einer

                                                                                                   9
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

unübersehbaren Menge angeschwollen wa-             diesem ewig langgedehnten Laut, einem Laut,
ren. Und obwohl die Fußballarena „nur“ 60.000      wie ich ihn weder auf Rockkonzerten noch bei
Zuschauer fasste, kamen wir irgendwie rein,        Fußballspielen jemals zuvor und auch nachher
mussten uns auf eine heillos überfüllte Stehtri-   nie mehr wieder gehört habe. Ein alles überla-
büne quetschen und darauf gefasst sein, eini-      gernder Aufschrei voller sich entladender Wut,
ge Stunden so verbringen zu müssen.                aber auch einer unglaublichen Bereitschaft für
                                                   Neues, noch nie Dagewesenes, vielleicht der
 Aber damals ging das noch, unsere Körper
                                                   Augenblick, in dem die Utopie wahr wurde,
waren mit Anfang 20 noch hinreichend intakt.
                                                   hier an diesem Ort, am 10. Oktober 1974, in
   Mitten auf dem Fußballfeld stand eine hastig    diesem Schrei, dem Schrei der Freiheit.
zusammengezimmerte Holzbühne, beleuch-
                                                      Als Theodorakis die ersten Liedverse an-
tet von funzeligem Flutlicht und umrahmt von
                                                   stimmte, „Was du einmal gewesen bist, wirst
wenig Vertrauen erweckenden Boxentürmen,
                                                   du wieder sein“, ging der Schrei über in einen
auf der Bühne die Mikros und die Instrumente,
                                                   orkanartigen Jubel, ich bekam einen Stoß von
alles auf die Schnelle improvisiert. Die Span-
                                                   hinten, fand mich dann eine Reihe von Stufen
nung stieg ins Unermessliche. Wo sonst die
                                                   unterhalb meines Stehplatzes wieder. Meine
Anfeuerungsrufe der Fans von Olympiakos
                                                   Freunde hatte ich völlig aus den Augen ver-
Piräus zu vernehmen waren, dominierten jetzt
                                                   loren. Ich verfolgte das Konzert wie in Trance
die Sprechchöre der Zuschauer, die sehn-
                                                   bis zum Ende. Zum Schluss sangen der kre-
lichst auf das Erscheinen ihres Idols warteten:
                                                   tische Riese und das ganze Stadion gemein-
„Übergebt die Junta dem Volk! Nieder mit der
                                                   sam „Weine nicht um das Griechentum“, die
Diktatur! Es lebe die Demokratie!“. Und mitten
                                                   Grundmauern der alten Sportstätte wankten,
hinein in diese Kakophonie, die kurz vor ihrem
                                                   und irgendwann zog mich der Menschenstrom
ekstatischen Höhepunkt stand, richteten sich
                                                   auf die Straßen, spülte mich auf magische
große Scheinwerfer auf den Kabinenausgang,
                                                   Weise bis zurück in die Athener Innenstadt und
aus dem sonst vor jedem Spiel die Fußballer
                                                   wundersamer Weise fand ich sogar unseren
herausmarschierten. Für einen kurzen Augen-
                                                   Bulli wieder.
blick herrschte eine gespenstische Stille. Dann
kam als erster ein Mann die Treppe aus den           Die Freunde kamen erst lange Zeit später,
Stadion-Katakomben hochgestiegen: zwei             schweißüberströmt, sprachlos, erschüttert
Meter groß, die Schultern ganz leicht nach vorn    und glücklich wie ich selbst. Den Schrei der
gebeugt, der Kopf bedeckt von einer wilden,        Freiheit an jenem Oktoberabend in Piräus, ich
lockigen Mähne, bekleidet mit einem einfachen      habe ihn nicht vergessen, bis heute nicht und
Leinenanzug ganz in Schwarz. Der Mann hob          ich werde ihn bis zum Ende meines Lebens
die Hand und winkte.                               nicht vergessen.
  Ein Gänsehaut-Moment, der Gänsehaut-               Und jedes Mal, wenn ich Bilder aus dem Sta-
Moment? Viel mehr! Das Blut schien mir in den      dion sehe, alte Videos, You-tube-Ausschnitte
Adern einzufrieren, aber im gleichen Moment        oder das damals mitgeschnittene Konzert auf
begann es auch unbändig zu kochen und heiß         den Plattenteller lege, ist er wieder da, der
zu brodeln, beides! Dieser Schrei, als Theo-       Schrei – und im gleichen Moment die Gänse-
dorakis mit seiner Band und den Sängern aus        haut, die sich über meinen ganzen Körper legt.
dem Stadiontunnel kam! Zehntausende Men-
                                                     Im Juli 2020 wird Theodorakis, inzwischen
schen schrien, als fiele eine tausendjährige
                                                   sehr krank, aber ungebrochen und so Gott will,
Sklaverei von ihnen ab, dabei waren es nur sie-
                                                   95. Chronia Pola, Mikis!
ben Jahre gewesen, aber sieben sehr schlim-
me Jahre – und von denen befreiten sie sich mit

10
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

Denn erstens kommt es
anders und zweitens …
Rosemarie Koch

S
       chon mehrfach habe ich in meinen Ar-
       tikeln darüber geschrieben, dass Musik
       in unserer Familie eine wichtige Rolle
spielte. Sowohl als Musiker mit eigenem Ins-
trument, als auch als Zuhörer bei Konzerten
oder Medien, wie Schallplatten, Radio, Fern-
sehen usw.
   Einen großen Anteil an unserem musischen irgendwo eine Melodie erklang, sangen wir
Interesse hatte mein Vater, Jahrgang 1926. einfach so mit. Die Musik beeinflusste unsere
        NUR DER NAME IST NEU
Auf alten Fotos ist er schon als Kind im Alter Stimmung erheblich.
von 8 Jahren mit einem Akkordeon zu sehen.
ObwohlSeit   mehr
         er nie     als 40 Jahren
                Musikunterricht      gehörte
                                 hatte,   spieltedas    Im vorigen Jahr
                                                  er Architekturbüro   Frankverstarb  mein Vater
                                                                               Engelhardt   zu denim Alter
        bekannten
alles, was            Adressen
           er hörte und  was ihmnicht                 von fast 93
                                         nur in der Region
                                    gefiel.                     undJahren.
                                                                      standInfür
                                                                               denArchitektur
                                                                                    letzten Monaten
                                                                                                und war
                                                      er wird
                                                          gesundheitlich
                                                                 auch sonicht     mehr Denn
                                                                                         in der Lage,
                                                                                                 die an
   Nachumfassende
         Ende des 2. Bauherrenbetreuung.
                         Weltkrieges und seinerDasFeiern       und
                                                                              bleiben!
                                                                    Aktivitäten
RückkehrMitarbeiter,  die Ihnen
           aus russischer          in ihrer bisherigen
                           Gefangenschaft      bes- ses Funktion       als Ansprechpartner zur Hau-
                                                                                 außerhalb   seines
                                                           teilzunehmen. Aber Musik hören und mit-
serte erVerfügung    standen,mit
         sein Einkommen        bleiben   Ihnen erhalten und
                                 zwei Freunden,                 sind auch in Zukunft ein Garant
                                                      zusingen bereitete ihm bis zum Schluss großes
einem für   Kontinuität, Kundenorientierung
        Schlagzeuger,    einem Gitarristen und    und Qualität. Für Sie besteht also weiterhin
                                                      Vergnügen. Auch die Besuche seiner Enkelin
seinem umfassende
         Akkordeon, Bauherrenbetreuung
                       an Wochenenden in rund    Lo- um  die Architektur.
                                                      erfreuten ihn sehr, besonders wenn sie auf
kalen und bei Feiern auf. Eine weitere Leiden- dem Akkordeon spielte.
schaft gehörte den Schallplatten, von denen er
im Laufe seines Lebens eine stattliche Samm-            Durch die körperliche Einschränkung meines
lung zusammentrug.                                    Vaters hatte meine Mutter ebenfalls auf Besu-
                                                      che bei Feiern und Treffen verzichtet.
   So wuchsen wir, meine Geschwister und
ich, schon von klein auf in einem musikalischen         Ich wusste, dass sie auch gerne Musik, un-
Elternhaus auf. Die Texte zu den Melodien lern- ter anderem von den Don Kosaken, hörte. Also
ten wir so nebenbei beim Zuhören, und wenn besorgte ich Karten für ein Konzert, das im

       EUGENBIALONARCHITEKT
                        GMBH
       Nordring  56 103 42579
        Hauptstraße         42579Heiligenhaus
                           42579    Heiligenhaus
                                    Heiligenhaus
       TT 02056   2589647 FFF02056
           02056 5994030        0205659940399
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       EE info@ebialon.de
           info@ebialon.de        URL  ebialon.de
                                  URL ebialon.de
                                      ebialon.de
       AKNW 21136          gif e.v. AKH 18532
                                                                                                        11
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

Oktober in Essen stattfinden sollte. Wir freuten   rend der Trauerrede über einige Begebenheiten
uns beide, seit langer Zeit wieder einmal etwas    aus dem Leben meiner Mutter sogar lächeln.
gemeinsam zu unternehmen. Noch dazu ein
                                                     Einige Tage später fand das Konzert der Don
Konzert zu besuchen. Leider kam es anders.
                                                   Kosaken in Essen statt, welches ich gemein-
Sie erkrankte im September so schwer, dass
                                                   sam mit meiner Tochter besuchte. An diesem
ihre Kräfte nicht mehr zur Gesundung aus-
                                                   Abend hatten wir beide eine Gänsehaut.
reichten. Sie starb wenige Tage vor dem Be-
such des geplanten Konzertes.
  Ich entschloss mich, ihre Trauerfeier mit ei-
nem bekannten Lied „Die Abendglocken“, ge-         Glück mal zwei
sungen vom Chor der Don Kosaken, beginnen          Armin Merta
zu lassen. Die tiefen Glockenschläge zu Be-

                                                   I
ginn, die dunklen Bassstimmen der Don Ko-
saken erzeugten auf meinen Armen eine Gän-            ch glaube, ich bin ein wenig nahe am Was-
sehaut, die langsam bis zu den Haarspitzen            ser gebaut. Das macht sich bemerkbar,
kroch. Gefühlt standen meine Haare zu Berge.          wenn ich ganz überraschend etwas Wun-
                                                   derbares erlebe oder erzählt bekomme. Auch
   Ich sah zu dem Bild meiner Mutter am Al-        besonders gut ausgehende Filme, bei denen
tar. Sie lächelte mich an, und ich glaubte, ihre   ich mit den Personen „leide“, die einfach ein
Hand auf meiner Hand zu spüren. Ich versank        Happy-End verdient haben, lassen ab und zu
in den Gesang des russischen Chores.               die Augen feucht werden.
   Obwohl ich kein Wort des Textes verstand,         Vereinzelt gab es das auch bei Schülerinnen,
die Sprache war mir fremd, ging eine tiefe Ver-    die ihre gesamte Schulzeit bei mir der Note 2
trautheit von diesem Lied aus. Meine Trauer        standen, aber bei der Abiturprüfung notenmä-
wich einer inneren Ruhe, und ich konnte wäh-       ßig plötzlich stark daneben lagen. Sie mussten
                                                   ins Mündliche. Ich versetzte mich als Prüfer in

12
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

die Seele und in die Gedanken dieser jungen                          zelten und lachten sogar und nahmen es nicht
Menschen und bereitete natürlich den Richt-                          ernst. Es war ja der 1.April. Den Scherz fanden
linien entsprechende Prüfungsaufgaben vor,                           wir sehr gelungen. Ich weiß nicht mehr, wie
von denen ich annahm, dass sie diesen Teilbe-                        sich unsere Tochter nun gefühlt haben muss.
reich des Stoffs so beherrschten, dass sie das                       Sie zeigte uns ein Ultraschallbild. Auch zu dem
Abitur einfach bestehen mussten. Die feucht                          Zeitpunkt glaubten wir noch an einen April-
gewordenen Augen ließ ich mir danach mög-                            scherz. Aber dann zückte sie als Beweis ihren
lichst nicht anmerken.                                               frischen Mutterpass. Nun erst erkannten wir,
                                                                     dass wir wirklich Großeltern werden sollten.
  Im Frühling 2007 kam für meine Frau und
                                                                     Jetzt brach es in uns durch. Tränen der Freude
mich etwas hoch Emotionales auf uns zu. Es
                                                                     vermischten sich mit dem Glückwunsch an die
ging hier nicht nur um die Tatsache, sondern
                                                                     Tochter und den Gedanken, in etwa sechs Mo-
um die Art und Weise, wie uns zwei Glücksbot-
                                                                     naten ein Enkelkind zu bekommen. Ich habe in
schaften hintereinander überbracht wurden.
                                                                     dem Moment aber nicht geprüft, ob sich bei
   Es war am 1.April. Unsere Tochter besuchte                        uns auch Gänsehaut bildete, vermutlich schon.
uns. Wir kamen ins Gespräch. Worüber wir da
                                                                       Etwas später kam unser Sohn mit seiner da-
redeten – wahrscheinlich gerade etwas über
                                                                     maligen Verlobten zu uns. Dass die Beiden im
unsere Erlebnisse der letzten Zeit – weiß ich
                                                                     Mai heiraten wollten, wussten wir schon einige
nicht mehr. Dafür aber blieb uns der folgende
                                                                     Monate. Unser Sohn hatte von der Schwan-
Dialog im Gedächtnis. Unsere Tochter teilte
                                                                     gerschaft seiner Schwester erfahren. Die Bei-
uns mit, dass wir im Herbst Großeltern werden
                                                                     den gratulierten uns zu dem bevorstehenden
sollten. Ich kann mir vorstellen, dass andere
                                                                     Ereignis im Herbst. Wir bedankten uns bei ih-
Eltern nun sofort gejubelt hätten. Wir schmun-
                                                                     nen, dass sie so mit uns fühlten und uns dieses

  Johanniter bieten Hausnotruf
  mit kontaktloser Installation
  Hilfe auf Knopfdruck auch während der Corona-Pandemie
  Bis ins hohe Alter selbstständig in den eigenen vier Wänden leben und sich dabei sicher fühlen – das wünschen sich
  viele Menschen. Der Hausnotruf kann dafür ein wichtiger Baustein sein. Auch während der aktuellen Corona-Pandemie
  möchten die Johanniter dieses Angebot Interessenten ermöglichen.
  Daher ist es ab sofort möglich, den Hausnotruf ohne persönlichen Kontakt zu bestellen und zu installieren. Klaus
  Domhan, Leiter Soziale Dienste der Johanniter im Kreisverband Mettmann, klärt auf: „Auspacken, an die Steckdose
  anschließen und mit einem Knopfdruck in Betrieb nehmen. Fertig“. Neue Gerätetypen mit der sogenannten Plug-and-
  Play-Technologie ermöglichen es, den neuen Kunden das Gerät per Post oder als verpacktes Gerät vor die Wohnungs-
  oder Haustür auszuliefern und es ihn selbst einschalten zu lassen. Im Paket wird eine Schnellstartanleitung mitgeliefert.
  „Benötigen die Kunden zusätzliche Hilfe, stehen ihnen telefonisch Ansprechpartner zur Verfügung, die sie dabei
  unterstützen“, so Domhan weiter.

  Weitere Informationen finden Sie unter 02102 70070-80 oder im Internet unter www.johanniter.de/hausnotruf.

  Johanniter-Unfall-Hilfe e. V.
  Kreisverband Mettmann, Kölner Str. 16, 40885 Ratingen, Tel. 02102 70070-80
  hausnotruf.mettmann@johanniter.de, www.johanniter.de/mettmann

                                                                                                                              13
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

Glück gönnten. Wir kamen nicht auf die Idee,           Natürlich nahmen wir nun regen Anteil an
die Beiden zu fragen, ob sie da ein wenig nei-      Tochter und Schwiegertochter (sie hatte inzwi-
disch wären. Es war einfach wunderbar, sich         schen geheiratet). Da die erste Enkelin etwas
auf dieses bevorstehende glückliche Ereignis        früher kam als geplant, die zweite etwas spä-
gemeinsam zu freuen.                                ter, lagen die Geburtstage dann genau 4 Wo-
                                                    chen auseinander, wieder Momente mit Gän-
  Nun überreichte uns unser Sohn eine pas-
                                                    sehaut und voller Glück.
sendes Ultraschallbild mit der Aufschrift „Hallo
Oma! Hallo Opa!“. Wir fanden das sehr origi-
nell und freuten uns sehr darüber. Den wahren
Grund für diese Karte mit dem Foto erahnten         Gänsehaut für die Seele
wir im ersten Moment nicht. Aber jetzt durften
wir ihn erfahren. Das war nicht irgendeine Ultra-
                                                    Martina Müller
schallaufnahme. Es war das Foto von unserer
zukünftigen 2.Enkelin. Wir wissen nicht mehr,
bei welcher Nachricht von der bevorstehenden
                                                    Gänsehautmomente – wie verschie-
Geburt einer Enkelin wir mehr Gänsehaut be-         den die Auslöser sein können!
kamen. Auf jeden Fall brachen bei uns emotio-         Es können Momente der Freude, des Glücks
nal wieder alle Dämme. Beide Geburten waren         und der Anteilnahme sein. Aber auch Momen-
im Herbst zu erwarten und dann noch fast zur        te der Kälte, der Angst oder der Erregung. Ein
gleichen Zeit. Das haute uns einfach um.            politisches Ereignis kann Gänsehaut verursa-
                                                    chen, denke ich an die Öffnung der Berliner
                                                    Mauer im November 1989. Dieser Abend war
                                                    hochemotional. Tausende Ostberliner zogen

14
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

zu den Grenzübergängen und verlangten die                  kau“. Ich fragte meine Tochter, ob sie mit mir
sofortige Maueröffnung. Und Stunden später                 in das Ballett gehen würde. Sie war erst nicht
dann die Bilder von den jubelnden Menschen-                so begeistert. Als ich ihr erzählte, dass wir vor
mengen, die in den Westen strömten.                        Jahrzehnten schon einmal zusammen in dieser
                                                           Ballett Vorführung waren, war sie sofort einver-
  Ein Musikstück kann uns so stark berühren
                                                           standen mich zu begleiten. Doch so kurz vor
und verzaubern, dass es Gänsehaut hervor-
                                                           Weihnachten dachte ich nicht mehr daran die
ruft. Zwischenmenschliche Kontakte können
                                                           Karten zu besorgen.
uns im Negativen wie im Positiven berühren.
                                                              Es kam der 1. Weihnachtstag. Am 1. Weih-
  Wie schön ist es zu erfahren, wenn die eige-
                                                           nachtstag kommen meine Kinder mit ihren Fa-
nen Kinder Eltern werden. Wie schön ist es, als
                                                           milien immer zu mir. Wir Erwachsenen wich-
Oma die Enkelkinder im Arm zu haben und das
                                                           teln, das heißt, jeder zieht im Vorfeld einen
neue Leben mitzuerleben.
                                                           Zettel und beschenkt ein Familienmitglied. Ich
  Ich bin ein sehr positiver Mensch und ver-               bekam eine tolle große Brotbackform und ei-
binde Gänsehautmomente mit gravierend                      nen Roman von einem meiner Lieblingsschrift-
schönen Erlebnissen. So erlebte ich an Weih-               steller. Doch da lag noch ein Umschlag für
nachten des letzten Jahres einen besonderen                mich, er war von meiner Tochter. Ich öffnete
Gänsehautmoment. Vor über 30 Jahren ging                   den Umschlag und darin war ein Gutschein:
meine Tochter zum Ballettunterricht. Sie ging              „Schwanensee“.
noch zur Grundschule. Ich schenkte ihr zu
                                                             „Danke Mama, dass Du immer für uns da
Weihnachten eine Karte für die Ballettauffüh-
                                                           bist. Du bist die beste Mama der Welt“. Ja, das
rung „Schwanensee“. Wir waren beide begeis-
                                                           war ein überwältigender Gänsehautmoment.
tert.
  Einige Tage vor Weihnachten des letzten
Jahres entdeckte ich im Spielplan des Ratin-
ger Kulturkalenders die Veranstaltung „Schwa-
nensee, Klassisches russisches Ballett Mos-

  Niederbergischer Trinkgenuss

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Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

                                                      Nachdem der letzte Satz gesprochen war,
Ein wohltuendes                                    blieb es auf den Kirchenbänken zuerst ganz
Gänsehautgefühl                                    still, dann aber setzte ein unglaublicher Ap-
                                                   plaus ein. Die Zuschauer, oder besser gesagt
Lore Loock                                         die „Zuhörer“, waren anscheinend mit unserer
                                                   Darbietung sehr zufrieden.

E
      s ist doch sonderbar, wie sich gefühlvoll       Auf einmal kam er wieder zurück, dieser
      Lebenssituationen wiederholen können.        kurze Augenblick von damals. Dieses unbe-
         Und weil mir so etwas mal passiert ist,   schreibliche Gefühl, das ich in meiner Schul-
möchte ich erzählen, was ich in unserer der-       zeit, vor mehr als sechzig Jahren, schon einmal
zeitigen Theatergruppe erlebt habe. Während        erleben durfte, so einen Applaus, der nur we-
der Adventszeit wollten wir eine szenische Le-     nige Minuten dauerte, den ich schon gänzlich
sung in Langenberg aufführen. Dazu haben           vergessen hatte, der war auf einmal wieder da.
wir die bekannte „Weihnachtsgeschichte“ von          Wie sich doch die Zeiten verändert haben,
Charles Dickens ausgesucht. Eine Geschichte,       dachte ich. Heutzutage ist es ganz üblich,
die einem gerade zur Weihnachtszeit ans Herz       dass in einem Gotteshaus kulturelle Veranstal-
geht.                                              tungen stattfinden. Die Künstler, welcher Art
  Die „Alte Kirche“ mit ihrem schönen Ambien-      auch immer, bekommen für ihre Darbietungen
te war genau der richtige Ort, dieses Werk in      natürlich die verdienten Beifallsäußerungen.
Szene zu setzen. In unserem Fall ohne Kostü-       Aber damals war in einer Kirche so eine Be-
me, nur mit der Stimme und dem Mienenspiel.        geisterung unvorstellbar. Und nun durfte ich
                                                   meine Gefühlswallung von damals ein zweites
                                                   Mal erleben.

16
informiert
Neu: Psychosomatische Behandlungssettings
am Helios Klinikum in Niederberg
Psychosomatische Erkrankungen (körperlich nicht            werden können, denn somatische Behandlungsansätze
begründbare Beschwerden) spielen heutzutage eine           helfen in diesem Zusammenhang oft nicht und können
immer größere Rolle. Jedoch sind diese Erkrankun-          unter Umständen sogar schaden.
gen mit seelischer Ursache heute aufgrund etablierter
                                                           In einem diagnostischen Vorgespräch, wird das jewei-
Methoden und Behandlungssettings gut behandelbar
                                                           lige, auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmte,
und gesellschaftlich deutlich mehr akzeptiert. Ab sofort
                                                           Behandlungssetting geklärt. Zu unterscheiden gilt es
bietet das Helios Klinikum Niederberg in der etablierten
                                                           grundlegend zwischen ambulanten, (teil-)stationären
psychiatrischen Abteilung ein eigenständiges psychoso-
                                                           und rehabilitativen Behandlungen sowie zwischen psy-
matisches-psychotherapeutisches Setting zur Behand-
                                                           chiatrischen und psychosomatischen Settings.
lung dieser Erkrankungen an.
Psychosomatik bezeichnet in der Medizin eine ganz-
heitliche Betrachtungsweise des Patienten (körper-
lich-seelische Wechselwirkungen). Klassisch werden
die psychischen Ursachen im Rahmen von vermeintlich
körperlichen Erkrankungen unter Berücksichtigung
der sozialen Lebensbedingungen und der individuellen
Lebensgeschichte betrachtet.
Als ein Teilgebiet der Medizin beschäftigt sich die Psy-
chosomatik also mit den Wechselwirkungen zwischen
psychologischen, biologischen und auch sozialen Bedin-
gungen von Erkrankungen. Ist das seelische Befinden
erheblich gestört, kann sich die Störung durch körperli-
che Beschwerden äußern. Umgekehrt kann eine kör-
perliche Erkrankung einen Menschen auch seelisch aus
dem Gleichgewicht bringen. Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie umfassen die Erkennung, Behand-
lung und Rückfallvorbeugung von Krankheiten, an deren
Verursachung psychosoziale und psychosomatische
Faktoren eine Hauptrolle spielen.
Insbesondere körperliche Beschwerden, die eine see-
lische Ursache haben, finden sich potentiell in allen
medizinischen Bereichen. Es ist sehr wichtig, psychoso-
matische Erkrankungen zu erkennen, damit sie krank-
heits- und fachgerecht psychotherapeutisch behandelt

Diagnostisches Vorgespräch
jetzt auch per Videosprechstunde möglich
Vor dem Hintergrund des sich aktuell noch immer aus-       Smartphone oder einen Laptop mit Kamera) und eine
breitenden Sars-CoV-2 Virus haben Patienten vielerorts     Internetverbindung sowie die Krankenkassenkarte oder
Bedenken und möchten den Besuch medizinischer              den Personalausweis bei privater Krankenversicherung.
Einrichtungen gerne vermeiden. Daher bietet das Helios
                                                           Die Terminvergabe und Einzelheiten zur Videosprech-
Klinikum Niederberg seinen Patienten ab sofort auch
                                                           stunde können Ihre Patienten wie gewohnt telefonisch
die Durchführung des Vorgespräches für die Psychoso-
                                                           über das Sekretariat der Psychosomatik unter der Tele-
matik per Videosprechstunde an.
                                                           fonnummer: (02051) 982 – 1650 erfragen oder online
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und Anzeigedisplay (wie zum Beispiel ein Tablet, ein       der Homepage einen Termin vereinbaren.
Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

   Um das Ereignis zu erzählen, muss ich al-          mung konnten wir das Lob der Zuhörer noch
lerdings bis in die fünfziger Jahre zurück ge-        gar nicht fassen. Darauf bat uns unser Lehrer
hen. Wir Schulmädchen hielten uns damals in           noch das Lied „Heidschi – Bumbeidschi“ als
einem Schullandheim im Hunsrück auf, als wir          Zugabe zu singen, was ja eigentlich mehr zu
mit unserem Rektor, der uns betreute, eine Ta-        uns Kindern passte.
gestour nach Trier unternahmen.
                                                         Nachdem uns zuerst nur einige der Kir-
   Dieser Rektor, zur damaligen Zeit ein außer-       chenbesucher zaghaften Applaus schenkten,
gewöhnlicher Pädagoge, war auch gleichzei-            stimmten nach und nach alle anderen mit ein.
tig unser Musiklehrer. Wir liebten ihn, weil wir      Wir kleinen Sängerinnen hatten zuerst das
als Teenager durch ihn die üblichen Volkslieder       Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, oder
professionell und stimmungsvoll singen konn-          sogar Verbotenes, denn so etwas kannten wir
ten. Durch ihn wurden wir nicht nur zum bes-          nicht. Wie versteinert und irritiert, zuletzt aber
ten Chor der Schule, sondern er erweckte in           glücklich standen wir da, weil es in einer Kirche
uns auch das Interesse an klassischer Musik.          zu der damaligen Zeit nicht üblich war, weltli-
Wohl deshalb kam er auch auf die wagemutige           che Lieder zu singen oder sogar zu klatschen,
Idee, mit uns „Schulmädchen“, die einstudierte
                                                         Mit einem „wohligen Gänsehaut-Gefühl“ ver-
Partie des Gefangenenchors aus Verdis Oper
                                                      ließen wir die Liebfrauenkirche und hatten mit
„Nabucco“ in der Trierer Liebfrauenkirche zu
                                                      vielen Besichtigungen von historischen Bau-
singen.
                                                      denkmälern, noch einen vergnüglichen Tag in
     Ganz zaghaft stimmten wir an:                    Trier.
     „Flieg Gedanke, getragen von Sehnsucht......       Ich hätte nie gedacht, dass ein so weit zu-
                                                      rück liegendes Ereignis sich wiederholen konn-
     lass dich nieder in jenen Gefilden.
                                                      te.
      o die Freiheit wir glücklich einst erlebten,
     W
     wo die Heimat uns‘rer Seele ist.“
   Als diese Zeilen gesungen waren merkten            Die alte Bauernkate
wir, dass die Besucher der Kirche auf uns auf-
merksam wurden. Einer nach dem Anderen
                                                      Helga Licher
trat näher an uns heran.

                                                      E
                                                             s war ein Tag wie jeder andere. Es regne-
  Dadurch mutiger geworden sangen wir, zwi-                  te in Strömen, und Hinnerks Stimmung
schen den Kirchenbänken stehend, weiter:                     war alles andere als gut. Wie immer hat-
     „Unser letztes Gebet gilt dir und mir ….         te er das Vieh versorgt und Holz für den alten
                                                      Ofen hergerichtet. Das trübe Licht der alten
     Teure Heimat leb wohl.                           Straßenlaterne schien durch die geschlosse-
     Teure Heimat leb wohl.“                          nen Vorhänge und warf lange Schatten auf die
                                                      Bretter des Holzfußbodens.
   Als der letzte Ton verklungen war, standen
alle Menschen, die sich in der Kirche befanden,          „Du solltest dich umziehen Hinnerk, die
nun vor uns und lobten: „Das habt ihr wun-            Christmesse fängt gleich an.“ Die Bäuerin band
derschön gesungen. Danke“. Auch wir selbst            ihre Schürze ab und schob den Stuten in den
wurden von einem wundersamen, ja hier in              Backofen. Sie legte noch einige Holzscheite
dieser Kirche konnte man wahrhaftig sagen,            nach und schaute zu ihrem Mann hinüber. Hin-
von einem „heiligen Gänsehautgefühl“ über-            nerk seufzte, schob die Zeitung beiseite und
schüttet. Gefangengenommen in dieser Stim-            erhob sich.

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Wir Älteren – Gänsehaut-Momente

   Er warf seiner Frau einen mürrischen Blick       „Komm Hinnerk“, sagte Meta leicht gereizt
zu, während er hinüber in die Schlafkammer        „Die Messe beginnt gleich.“
ging. Meta verstand den Bauern nicht mehr.
Er war zu einem Griesgram geworden, der oft         Doch Hinnerk stand stumm da und starrte
missgelaunt war. Vor einigen Jahren hatte er      zum Wald hinüber. Endlich drehte er sich um
sich heftig mit seinem Bruder gestritten, aber    und sah seine Frau nachdenklich an.
Hinnerk war nun mal ein Hitzkopf. Der Bauer         „Geh schon vor“, sagte er leise „ich komme
war inzwischen aus der Schlafkammer gekom-        nach. Ich habe noch etwas zu erledigen.“
men, setzte sich auf die Ofenbank und zog
seine Stiefel an. Die Bäuerin nahm die Hand-        Der Bauer steckte seine Hände tief in die Ta-
tasche von der Garderobe und öffnete die          schen seines Mantels und zog den Hut in die
schwere Dielentür.                                Stirn. Schnellen Schrittes ging er auf den Wald
                                                  zu. Er spürte den kalten Wind nicht, der ihm
  Stumm gingen sie neben einander her. Auf        die Tränen in die Augen trieb. Sein Blick war
dem Kopfsteinpflaster hatten sich große Pfüt-     starr auf einen unsichtbaren Punkt in der Ferne
zen gebildet. Noch immer war der Himmel ne-       gerichtet. Erst als plötzlich vor ihm eine sch-
belverhangen, und kein einziger Stern war zu      male Brücke aus dem Nichts auftauchte, blieb
sehen. Nur langsam schob sich der Mond hin-       er stehen. Unsicher betrat er die knarrenden
ter einer Wolke hervor und erhellte mit seinem    Holzbohlen, die unter seinem Gewicht leicht
milden Schein die dunkle Nacht. Es war schon      schwankten. Das morsche Geländer ächzte
spät, als Hinnerk und seine Frau schließlich      bei jedem seiner Schritte. Er war diesen Weg
den schmalen Kiesweg zur Kapelle hinauf           schon oft gegangen, aber an eine Brücke,
schritten. Plötzlich blieb der Bauer stehen und   konnte er sich nicht erinnern. Kein Mensch
schaute zum Wald hinüber.                         war weit und breit zu sehen, auch die heller-
                                                  leuchtete Kirche mit ihren kupfernen Türmen

                                                                                               19
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