WEIHNACHTSTRÄUME - 2 Euro - Arge für Obdachlose

 
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WEIHNACHTSTRÄUME - 2 Euro - Arge für Obdachlose
Arge für Obdachlose                                   Stra enzeitung von Randgruppen und sozial Benachteiligten

Ausgabe 198 ı DEZ. 2018/JAN. 2019 ı 1 Euro bleibt den VerkäuferInnen ı Achten Sie auf den Verkaufsausweis   2 Euro

                                                                      WEIHNACHTSTRÄUME
IMPRESSUM                        SOLIDARITÄT MIT WOHNUNGSLOSEN MENSCHEN

Die Straßenzeitung Kupfermuckn ist ein Angebot zur
Selbsthilfe für Wohnungslose und für Menschen an oder
unter der Armutsgrenze. Unsere Zeitung versteht sich
als Sprachrohr für Randgruppen und deren Anliegen.
Der Zeitungsverkauf und das Schreiben bringen neben
dem Zuverdienst das Gefühl, gemeinsam etwas ge-
schaffen zu haben. Von Wohnungslosigkeit Betroffene
bilden mit Mitarbeitern des Vereins »Arge für Obdach-
lose« in partnerschaftlichem Verhältnis die Redaktion.

Redaktion
Straßenzeitung Kupfermuckn, Marienstraße 11, 4020
Linz, Tel. 0732/770805-13, kupfermuckn@arge-ob-
dachlose.at, www.kupfermuckn.at

Projektleitung, Koordination, Layout, Fotos:
Heinz Zauner (hz), Chefredakteur
Daniela Warger (dw), Leitung Redaktion
Daniel Egger (de), Redaktion und Vertrieb
Walter Hartl (wh), Layout, Technik

Redakteure: Angela, Anton, Anna Maria, August, Bertl,
Christine, Claudia, Georg, Helmut, Johannes, Manfred
F., Manfred R., Manfred S., Sonja, Ursula, Walter; Freie
Mitarbeiter: Gerald, Margit, Gabi, Erich

Titelfoto (hz): Kupfermuckn-Verkäufer Gerald                     Vorstand des Vereines »Arge für Obdachlose« (von links): Christian Stark, Margot Schiefermair, Johannes Knipp,
Auflage: 50.000 Exemplare
                                                                                         Susanne Lammer, Elisabeth Paulischin, Kurt Rohrhofer. Foto: hz
Bankverbindung und Spendenkonto
Arge Kupfermuckn, Marienstraße 11, 4020 Linz               Liebe Leserinnen, liebe Leser!
IBAN: AT461860000010635860, BIC: VKBLAT2L

Ausgabe in Linz, Wels, Steyr und Vöcklabruck               Der Verein »Arge für Obdachlose« ist jeden Tag mit den Existenzsorgen von Menschen in aku-
Menschen, die in Armut leben und ihren Lebensmittel-       ter Wohnungsnot konfrontiert. Gerade vor Weihnachten häufen sich Fälle, wo wir auch finanzi-
punkt in Oberösterreich haben, können sich Montag bis
Freitag zwischen 8 und 12 Uhr bei den Ausgabestellen
                                                           ell einspringen sollten. Unser Verein feiert heuer sein 35-Jahres-Jubiläum und damit das lang-
melden und erhalten einen Verkäuferausweis. 50 Pro-        jährige Engagement für wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen in Linz
zent des Verkaufspreises verbleiben den Verkäufern.        und Umgebung. Rund 1.200 Menschen finden jedes Jahr Unterstützung durch:
Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel.,
0732/770805-19                                              Hilfe zum Wohnen: Beratung und Wohnbetreuung für Männer im Projekt »Wieder Wohnen«
Soziales Wohnservice Wels, E 37, Salzburgerstraße 46,        und für Frauen im Projekt »Arge SIE«
4600 Wels, Tel. 07242/290663
Verein Wohnen Steyr, B 29, Hessenplatz 3, 4400 Steyr,
                                                            Hilfe zur Beschäftigung: niederschwellige Beschäftigungsangebote im umweltorientierten
Tel. 07252/50 211                                            »Trödlerladen« und bei der Straßenzeitung »Kupfermuckn«
Verein Wohnungslosenhilfe Mosaik, Gmundner Straße           Delogierungsprävention und Wohnungssicherung im Mühlviertel durch das Projekt »REWO
102, 4840 Vöcklabruck, Tel. 07672/75145
                                                             – Regionales Wohnen«
Medieninhaber und Herausgeber
Vorstand des Vereines »Arge für Obdachlose«, Vorsit-       Unsere Projekte werden zwar von der öffentlichen Hand unter Planung der Sozialabteilung des
zende Mag.a Elisabeth Paulischin, Marienstraße 11,
4020 Linz, www.arge-obdachlose.at
                                                           Landes OÖ finanziert, aber für notwendige, individuelle Unterstützung fehlen oft die finanziel-
                                                           len Mittel. Mit dem Hilferuf »Solidarität mit wohnungslosen Menschen« bitten wir Sie daher
                        International                      mit beiliegendem Spendenzahlschein um Unterstützung für Menschen in besonderen Notlagen.
                        Die Kupfermuckn ist Mitglied
                        beim »International Network        Herzlichen Dank allen Spendern, die schon bisher in großzügiger Weise ein Herz für wohnungs-
                        of Street Papers« INSP
                        www.street-papers.com              lose Menschen gezeigt haben. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern der Straßenzeitung
                                                           Kupfermuckn ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein glückliches Neues Jahr 2019.

                                                           Mag.a Elisabeth Paulischin			                                     Prof. Kurt Rohrhofer
                                                           Obfrau                                                            Finanzreferent

                                                           Neu - Ihre Spende an die »Arge für Obdachlose« ist nun steuerlich absetzbar!
                                                           Dazu ist es erforderlich, dass Sie Ihr Geburtsdatum, den vollständigen Namen und Ihre Adresse
                                                           am Zahlschein angeben. Ihr Name muss dabei mit jenem am Meldezettel übereinstimmen! Die
                                                           Daten bezüglich Absetzbarkeit werden von uns dem Finanzamt gemeldet.
2                      12/2018
Überleben am Rande der Armut
Betroffene erzählen vom Leben mit Sozialleistungen

Dann komme ich mir vor wie ein                   Zustand noch ging. Dann nahm das Schicksal        Gesichtern. Für mich ist das eine unerreich-
                                                 seinen Lauf: Frühpension, Ausgleichszulage,       bare Welt. Ich gehe dann wieder zum SOMA-
Wesen von einem anderen Stern                    Sachwalter. Nach langjähriger Obdachlosig-        Markt, wo ich drei mal in der Woche um neun
                                                 keit und verschiedenen Wohnmöglichkeiten          Euro einkaufen kann. Das entspricht einem
Immer am Montag gleich am Morgen gehe ich        habe ich nun eine eigene Wohnung. Miete,          Einkauf von etwa 45 Euro im Supermarkt.
zur Oberbank und hole mir das wöchentliche       Strom und Heizung werden von meinem               Leider wurde ich im Laufe der Jahre in mei-
Geld von meinem Konto, das vom Sachwalter        Konto abgebucht. Von der Kirche bin ich aus-      nem labilen gesundheitlichen Zustand - so-
verwaltet wird. Wenn ich mir die Monatskarte     getreten, weil ich die Kirchensteuer nicht        wohl seelisch als auch körperlich - nikotinab-
für die Linz AG kaufen muss, bleiben mir in      mehr bezahlen konnte. Ich bin dann trotzdem       hängig, was sich natürlich verheerend auf das
dieser Woche nur 80 Euro. Sonst sind es auch     in die Kirche gegangen, halt ohne Steuern da-     wöchentliche Geld auswirkt. Trotzdem gibt es
nur drei mal 90 Euro pro Woche zum Leben.        für bezahlt zu haben. Jeden Montag nach dem       finanzielle Unterstützungen vom Staat wie
Ich habe mich im Leben immer bemüht, alles       Abheben meines Geldes komme ich mir vor           etwa die Aktivpass-Karte, den Kultur-Aus-
richtig zu machen, habe gearbeitet, geheiratet   wie ein Wesen von einem anderen Stern.            weis, Rundfunkgebühren-Befreiung, Wohn-
und Kinder bekommen. Dann hat es halt nicht      Gleich gegenüber die Angebote von Palmers,        beihilfe und monatlich zehn Euro auf das
mehr sein wollen. Ich wurde krank. Es kam zu     die mir schon gefallen würden. Sie sind aber      Wertkartenhandy. Trotzdem werde ich, bis ich
Krankenhausaufenthalten, zur Scheidung und       nicht leistbar. Wenn ich dann weiter gehe, sit-   im Grabe liege, von dieser untersten Ebene
dann auch noch zum Verlust eines Kindes.         zen sie bei einem Kaffee mit Mehlspeise und       nicht mehr wegkommen und werde mir auch
Gearbeitet habe ich, solange es mit meinem       unterhalten sich mit zufriedenen fröhlichen       bis dahin immer wie von einem anderen Stern
                                                                                                                       12/2018                 3
ckiert und konnten es anfangs nicht glauben.
                                                                                                               Ja mehr steht mir aufgrund des Einkommens
                                                                                                               von Manfred nicht zu. Die Dame vom Magis-
                                                                                                               trat meinte jedoch noch, ich solle mir doch
                                                                                                               wenigstens eine geringfügige Arbeit suchen.
                                                                                                               Wer nimmt mich denn mit all meinen körper-
                                                                                                               lichen Einschränkungen nach meiner Krebser-
                                                                                                               krankung? Freilich würden wir mehr Geld
                                                                                                               zum Leben haben, aber ehrlich: Ich schaffe es
                                                                                                               nicht, am normalen Arbeitsmarkt zu hackeln.
                                                                                                               Und um ein Taschengeld von zwei oder drei
                                                                                                               Euro in der Stunde gehe ich auch nicht arbei-
                                                                                                               ten, denn die werden mir sofort wieder abge-
                                                                                                               zogen. Es gehört eine andere Regelung her,
                                                                                                               doch so wie unsere Politiker reden, werde ich
                                                                                                               so was nicht mehr erleben. Ich möchte eine
                                                                                                               von den Herrschaften, die das gesetzlich fest-
                                                                                                               legen, sehen, wenn sie mit so wenig Geld
                                                                                                               auskommen muss, wie wir jetzt. Sonja (Min­
                                                                                                               destsicherung)

                                                                                                               Als ich obdachlos war, war
                                                                                                               es noch viel schwieriger
                    200.000 Österreicher sind von Altersarmut betroffen. Foto: hz                              In früheren Jahren hätte ich mir niemals ge-
                                                                                                               dacht, dass ich einmal von der Mindestpen-
vorkommen, weil ich ja an dem ganzen Ge-                   Arge für Obdachlose endlich wieder eine             sion leben muss. Aber was soll´s? Jammern
schehen rundherum nicht teilhaben kann. Dju­               Wohnung bekommen. Weil ich mein Leben               hilft nun ja auch nichts mehr. Trotzdem spüre
rica (Pension)                                             nun alleine bestreite, bekomme ich nun die          ich es jeden Tag, was es heißt, mit wenig Geld
                                                           Mindestsicherung. Dank dieser finanziellen          auskommen zu müssen. Aber ich habe es ge-
                                                           Unterstützung kann ich mir nun wieder eine          schafft. Sieben Jahre habe ich nun in einer
Und irgendwann bekam ich nur                                                                                   Wohngemeinschaft gelebt. Seit wenigen Wo-
                                                           Wohnung leisten. Nun hoffe ich, dass ich bald
noch das Existenz-Minimum                                  die Pension bekomme. Es ist alles oftmals           chen kann ich mir jetzt nun mit meiner Partne-
                                                           ziemlich mühsam. Anna Maria (Mindest­               rin eine eigene Wohnung leisten. Der Unter-
Früher habe ich immer gearbeitet und dachte                sicherung)                                          schied zu früher: Ich hatte Fixkosten von 245
mir, dass ich niemals im Leben von einer                                                                       Euro, die jetzt leider auf 590 Euro angestiegen
staatlichen Unterstützung abhängig sein                                                                        sind. Diese setzen sich folgendermaßen zu-
werde. Doch es kam dann anders, als ich                    Wir hatten nicht mit den                            sammen: Für die Miete muss ich 485 Euro, für
dachte. Ich war bereits Mutter von zwei lieben             Richtsätzen gerechnet                               den Strom 30 Euro und für die Wärme 75
Kindern und stand mit beiden Beinen noch im                                                                    Euro bezahlen. Mein Einkommen beträgt 863
Leben. Ich hatte eine Arbeit, die mir Freude               Erst vor ein paar Jahren erfuhr ich, dass ich       Euro. Da bleiben halt so über den Daumen
bereitete. Doch dann wurde in der Firma Per-               von der Mindestsicherung leben muss. »Das           gepeilt 263 Euro zum Leben übrig. Und dann
sonal abgebaut. Etwas später wurde der Be-                 kann ja nur besser sein als früher die Sozial-      muss ich für das Kabelfernsehen LIWEST -
trieb dann sogar eingestellt. Privat ging zu               hilfe«, dachte ich mir damals. Das war es dann      die biligste Variante - auch alle zwei Monate
dieser Zeit auch alles den Bach hinunter. Mein             ja auch. In den letzten Jahren hatte ich einiger-   bezahlen. Eine eigene Wohnung ist aber trotz-
Mann und ich ließen uns scheiden. Im Laufe                 maßen ein gutes Auskommen mit meinem                dem etwas anderes, als in einer Wohngemein-
der Jahre bekam ich dann noch drei weitere                 Einkommen. Freilich hätte es mehr sein kön-         schaft mit fünf Bewohnern leben zu müssen.
Kinder und schöpfte so mein Arbeitslosengeld               nen und ich musste ordentliche Abstriche ma-        Ich bereue es nicht, diesen Schritt gegangen
und den Notstand aus. Als ich das Alter für die            chen. Doch ich bekam meinen Lebensunter-            zu sein. Da ich schon einmal obdachlos war
Pension erreicht hatte, wurde mir mitgeteilt,              halt ganz gut hin. Als Manfred und ich dann         und ohne Geld dagestanden bin, kann ich
dass mir noch zwei Jahre fehlen würden. Also               beschlossen, in eine eigene Wohnung zu zie-         mich nun wirklich zufrieden schätzen. Das
musste ich mich wohl oder übel mit der Not-                hen, war uns klar, dass es weniger werden           war damals sehr schlimm. Heute habe ich im-
standshilfe zufrieden geben. Als ich dann vor-             wird. Wir hatten kein Problem damit. Doch           merhin ein Dach über meinem Kopf. Alleine
übergehend bei meinem Ex-Mann einziehen                    wir hatten nicht mit den Richtsätzen gerechnet      dafür bin ich schon heilfroh. Lebensmittel ein-
durfte, wurde mir nur noch das Existenzmini-               und wie das berechnet wird. Endlich in der          kaufen muss ich ja auch nicht die teuersten,
mum ausbezahlt. Diese massive Kürzung                      Wohnung angekommen, erfüllte ich meine              und auf Urlaub muss ich auch nicht jedes Jahr
setzte mir ordentlich zu. Dem Staat jedoch                 Pflicht und ging zu meiner Sachbearbeiterin,        fahren. Das tat ich früher auch nicht. Nun aber
war die Sorge um mich ziemlich egal. Es war                um zu erfahren, was ich denn nun zukünftig          kann ich mir einmal im Jahr einen Billig-Ur-
ein langer Weg in Abhängigkeit und mit vielen              zu erwarten hätte. Nicht einmal 300 Euro im         laub leisten. Kritisch wird es halt nur, wenn
Ängsten um meine Existenz. Nun habe ich                    Monat werden mir nun jedes Monat überwie-           der Kühlschrank oder der E-Herd kaputt ge-
über das Projekt »ARGE SIE« des Vereins                    sen, keine zehn Euro am Tag. Wir waren scho-        hen. Da müsste ich einige Monate warten, bis
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die doppelte Pension kommt. Wenn man von          reiche aufgeteilt. Es wurde dann alles besser.   Hand gedrückt. Das sind die kleinen Freuden
Armut betroffen ist, ist das Leben wirklich       Doch leider blieb es bei mir ein ständiger       des Lebens. Zum Überleben bleiben mir
nicht einfach. Es gibt aber noch Ärmere. Man­     Kampf ums Überleben. Wenn man Miete,             knapp 180 Euro. Da muss man schon ein we-
fred R. (I-Pension)                               Strom und Heizkosten zahlen muss, bleibt         nig jonglieren und hin und wieder die Euros
                                                  nicht viel zum Überleben. Neue Dinge wie         zweimal umdrehen. Meine Überlebensstrate-
Doch leider blieb es bei mir                      Kleidung oder Schuhe kann man sich kaum          gie: Zwei Mal pro Woche zum SOMA in der
                                                  leisten. Gott sei Dank habe ich liebe Freunde,   Wienerstraße einkaufen gehen - da darf man
ein Kampf ums Überleben                           die mir mit Sachgeschenken helfen. Seit ei-      drei Mal pro Woche um je 39 Euro einkaufen
                                                  nem Jahr habe ich die Mindestpension. Trotz-     gehen. Dafür bekommt man aber schon ganz
Ich lebte einige Jahre mit der Mindestsiche-      dem geht sich ein Urlaub nicht aus. Es ist       schön viel - zwei volle Einkaufstaschen und
rung, doch meine Probleme fingen schon frü-       schon leichter, dass ich nun Rechnungen be-      noch einen gefüllten Trolley. Mittagessen
her an. Ich bekam nur mehr Jobs in Callcen-       zahlen kann, die sich immer wieder ansam-        gehe ich auch regelmäßig ins Vinzenzstüberl.
tern, da ich wegen meiner Kinder nie so etwas     meln. Die Wohnbeihilfe wird weniger, da die-     Und wenn das Geld schon vor Ende des Mo-
wie eine Karriere aufbauen konnte. Irgend-        ses Geld eingerechnet wird. Danke, liebe Poli-   nats aus ist, gehe ich zu den Elisabethinen in
wann war ich dann auch zu alt für meinen Job      tiker, für eure tollen, bürgerfreundlichen Ge-   Linz zur »Armenausspeisung«. Da gibt es im-
in der Computerbranche. Doch dann kam ich         setze, die viele in die Armut treiben. Wir be-   mer etwas Warmes, ohne dass man es bezah-
in ein Callcenter, in dem ich im freien Dienst-   zahlen Milliarden für die EU, unsinnige Pro-     len müsste. An den Wochenenden koche ich
vertrag so viele Stunden machen konnte, dass      jekte und enorme Gehälter für Leute, die uns     mir immer selber etwas. Meine Wohnkosten
es ganz gut ging. Leider ging die Firma nach      bescheißen. Da muss natürlich irgendwo ein-      sind mit 245 Euro Miete zum Glück gering.
zwei Jahren pleite, und ich stand wieder ohne     gespart werden. Und wo geht es am besten?        Ich wohne in einer Wohngemeinschaft des
Job da. Und auch ohne Arbeitslose, denn da-       Bei den Menschen, die täglich ums Überleben      Sozialvereins B37 mit mobiler Wohnbetreu-
mals war man nur kranken- und pensionsver-        kämpfen und sich nichts sagen trauen, weil sie   ung. Ich wäre froh, wenn ich endlich eine I-
sichert. Ich suchte verzweifelt nach einer        für jeden Cent dankbar sind. Die Inflation       Pension bekommen würde. All meine bisheri-
neuen Arbeit, doch es funktionierte einfach       steigt seit dem Euro stetig an, ebenso wie die   gen Bewerbungen waren erfolglos, bis auf
nicht. In dieser Zeit verbrauchte ich alle Re-    Mieten, Strom und alles andere. Nur Gehälter,    zwei Vorstellungsgespräche, die aber auch zu
serven und stand plötzlich mit einem Miet-        Pensionen und Hilfen wie die Mindestsiche-       meinem Nachteil endeten. Ich blicke aber op-
Rückstand da. Einige Freunde sagten mir           rung kaum. Deshalb wird die Armut in unse-       timistisch in die Zukunft. Eine kleine leistbare
schon am Beginn, ich soll zum Sozialamt ge-       rem so reichen Land immer größer. Ich wün-       Wohnung mit circa 40 m2 und vielleicht noch
hen. Ich aber war zu stolz, denn ich wollte ja    sche mir, dass sich die Verantwortlichen ein-    einen kleinen Balkon wäre derzeit mein größ-
kein Sozialfall sein. Nach drei Monaten ging      fach nur mal schämen, darüber nachdenken         ter Wunsch. Markus (Notstandshilfe)
ich dann den steinigen Weg. Ich musste eine       und die Misere vielleicht doch noch zum Gu-
Menge Unterlagen bringen und beweisen,            ten ändern. Angela (Mindestpension)
dass ich von nirgendwo Geld bekam. Ich war
                                                                                                   Mein Einkommen beträgt
viele Stunden umsonst im Rathaus, bis ich                                                          jetzt 547,60 Euro
endlich Hilfe bekam. Dann wurde mir monat-
                                                  Wenn das Geld zu früh aus ist,
liche Hilfe zugesichert, aber als Arbeitssu-      gehe ich zur Armenausspeisung                    Seit 2003 habe ich die Invaliditätspension.
chende musste ich monatlich zehn Bewerbung                                                         Doch seit ich verheirtat bin, bekomme ich
zusätzlich zu denen zehn bringen. Gott sei        Aufgrund meiner Alkoholerkrankung, die           weniger. Als mein Mann noch gearbeitet hat,
Dank blieb mir das bald erspart, denn ich be-     schon sehr früh in meinem Leben begonnen         blieben mir 416 Euro zum Leben. Ich habe
kam wieder einen Job. Doch - ähnlich wie in       hatte, konnte ich nach meinem langjährigen       davon die Miete bezahlt. Von meinem Mann
den Callcentern - waren die Jobs in diesen        Entzug keinen passenden Job mehr finden. Ich     bekam ich im Monat 200 Euro Unterhalt.
Firmen meist nicht von langer Dauer. Auch         bin nun 40 Jahre alt und lebe von der Not-       Mein Mann hat jetzt auch die Invaliditätspen-
meine Gesundheit (psychisch und physisch)         standshilfe und dem Geld, welches ich vom        sion. Da ich weniger habe, bekomme ich seit
ließ mich zeitweise im Stich und ich musste       Kupfermuckn-Verkauf und fürs Stiegenhaus-        ein paar Wochen die Ausgleichszulage. Mein
öfters wieder aufs Sozialamt betteln gehen.       Reinigen bekomme. Einige Stammkunden             Einkommen beträgt jetzt 547,60 Euro. Die
Dann kam die Mindestsicherung. Die bezie-         sind mir sehr wohlgesonnen. Letztens hat mir     Miete beträgt 507 Euro mit Betriebskosten.
henden Menschen wurden auf ihre Wohnbe-           ein Kunde sogar einen neuen Schlafsack in die    Mein Mann bezahlt Strom, Heizung und die

                                                                                                                        12/2018                  5
leme noch nicht ahnte, war, dass ich bereits an
                                                                                                            Parkinson litt. Nach dem beruflichen Aus wie-
                                                                                                            derholte sich das gewohnte Bild. AMS und
                                                                                                            Kontrolltermine wechselten sich ab. Es kam
                                                                                                            alles ganz anders. Statt einer Arbeitsstelle be-
                                                                                                            kam ich im Jänner 2016 den Antrag auf Pen-
                                                                                                            sion und einen Arzttermin. Beim zweiten Ter-
                                                                                                            min wurde mir aufgrund meiner unheilbaren
                                                                                                            Erkrankung die I-Pension bewilligt. Diese ist
                                                                                                            um einiges geringer als mein letzter Verdienst
                                                                                                            nach insgesamt 38 Jahren Berufstätigkeit. Von
                                                                                                            der Arbeit in die Pension war neben der Um-
                                                                                                            stellung auch finanziell ein starker Einschnitt.
                                                                                                            2017 bekam ich eine Reha bewilligt mit 230
                                                                                                            Euro Selbstbehalt. 2018 ist finanziell nichts
                                                                                                            besser geworden. Im Gegenteil. Gesundheit-
                                                                                                            lich bin ich teilweise von Dauerschmerzen
                                                                                                            geplagt. Mein Antrag auf Reha wurde drei
                                                                                                            Mal abgelehnt. Ohne Begründung! Wie soll
                                                                                                            das in Zukunft weiter gehen? Wie lange kann
                                                                                                            dieses Pensionssystem noch funktionieren?
                                                                                                            Ich habe keine Ahnung und das ist in meinem
                                                                                                            Fall vielleicht auch besser so. Körperlich und
                                                                                                            gesundheitlich bin ich sozusagen »im Arsch«
                                                                                                            und finanziell ist meine Situation vergleichbar
                 Viele Menschen sind auf Sozialmärkte und Tafeln angewiesen. Foto: hz                       mit einer Pleite. Walter (I-Pensionist)

Liwest-Rechnung. Monatlich bekommen wir                    zu finden. Außerdem bin ich schon in einem
28 Euro Wohnbeihilfe. Jede Woche habe ich                  Alter, in dem es schwierig ist, in irgendeiner
                                                                                                            Ich kann mit 150 Euro
selber 70 Euro zur Verfügung. Davon werden                 Branche noch willkommen geheißen zu wer-         im Monat überleben
Lebensmittel, Hygieneartikel, Katzenfutter                 den. Meine AMS-Betreuerin ist sehr nett und
und Zigaretten gekauft. Wenn mein Mann die                 informiert mich immer bestens. Jetzt bin ich     Im Sommer hatte Sozialministerin Beate Har-
Rechnungen bezahlt hat, dann macht er einen                seit einiger Zeit bereits im Notstand und weiß   tinger-Klein die Anregung zur Diskussion ge-
Großeinkauf. Einmal im Monat fahren wir zu                 nicht, wie es weiter geht, da die Regierung      geben, dass man mit einer Minimalsumme
den Kindern nach Schärding. Die Karte für                  diese soziale Finanzspritze abschaffen und in    von 150 Euro im Monat leben kann. Es stellt
den Zug kostet 34 Euro für uns beide. Claudia              die Mindestsicherung umwandeln will. Wir         sich hiermit die Frage, ob man wirklich mit
(I-Pension)                                                werden sehen, wie es zukünftig weiter geht,      dieser geringen Summe im Monat leben kann.
                                                           und wie ich die letzten fünf Jahre bis zu mei-   Nun meine Antwort darauf lautet: »Ja, man
                                                           ner Pension überstehen werde. Um die I-Pen-      kann.« Denn das beste Beispiel dafür bin
Wenn man im Alter                                                                                           nämlich ich. Als ich vor ein paar Jahren von
                                                           sion zu bekommen, müsste ich wohl mit dem
plötzlich krank wird ...                                   Kopf unterm Arm aufkreuzen. Helmut (Not­         der »WieWo« eine Übergangswohnung be-
                                                           standshilfe)                                     kam, hatte ich genau sage und schreibe 150
Im Alter von 15 Jahren spielte ich mit dem                                                                  Euro. Mit diesem Betrag kam ich in diesem
Gedanken, gleich nach der Schule arbeiten zu                                                                Monat gerade über die Runden. Wichtig ist zu
gehen und danach später in die wohlverdiente               Körperlich und gesundheitlich                    erwähnen, dass ich dieses Geld nur für Le-
Pension. An ein Arbeitslosengeld oder Not-                 ziemlich »im Arsch«                              bensmittel ausgab, da ich in diesem Monat
standshilfe hatte ich nie gedacht. Doch es                                                                  noch keine Miete zu entrichten hatte. Und ich
kommt immer anders, als man denkt. Als ich                 17. September 1979 – mein erster Arbeitstag.     konnte mir natürlich keine Extra-Ausgaben
auf Saison war, ging ich zwar auch in der                  Bis 2001 war ich im Landesdienst als »Büro-      leisten, wie zum Beispiel einen Installateur
Zwischen-Saison arbeiten, aber ich musste                  hengst« tätig. Dann kam der Wechsel in die       oder einen Elektriker. Das ist absolut nicht
auch öfters »Stempeln« gehen, wie man frü-                 Privatwirtschaft. Zwei Jahre lebte und arbei-    drinnen! Zu erwähnen ist natürlich auch, dass
her zur Arbeitslosen sagte. Also fiel ich unge-            tete ich in Wien. Wieder zurück in Linz, hatte   ich mir absolut keinen Luxus leisten konnte
wollt in den Topf, wo man nichts tut. Natür-               ich keine Chance auf einen Job. Ich bezog        wie zum Beispiel »Shoppen« oder »Ins-Kino
lich freute ich mich wieder auf den Winter, als            Arbeitslosengeld vom AMS. Jobs und AMS           -Gehen«. Und von einem Besuch im Gastgar-
es wieder losging mit der Arbeit. Und am                   wechselten sich von da an öfter ab. Schluss      ten konnte ich nur träumen. Ich musste mir
Ende meiner beruflichen Karriere hatte ich                 damit, mir reichte diese Ungewissheit! Ich       diesen Monat den Gürtel wirklich sehr eng
dann sogar noch einen schönen Job bei der                  machte den Taxilenkerschein und begann da-       schnallen. Aber das wichtigste war, ich kam
Linz-AG. Es kam dann jedoch, wie es kom-                   nach meine Arbeit als Taxler bis vor zwei        durch. Heute geht es mir finanziell schon et-
men musste, wenn man im Alter plötzlich                    Jahren, ohne dazwischen wieder Arbeitslosen-     was besser und ich kann mir schon etwas leis-
krank wird. Da ich wegen meiner Krankheit                  geld beantragen zu müssen. Das Einkommen         ten, wenn ich mir etwas kaufen will. Aber
mit keinem Staub mehr in Berührung kom-                    lag je nach Umsatz bei bis zu 2.500 Euro         diese entbehrungsreiche Zeit möchte ich nicht
men darf, ist es schwer, einen geeigneten Job              Netto. Was ich trotz gesundheitlicher Prob-      missen. Erich (Prekäres Arbeitsverhältnis)
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Retten wir die Notstandshilfe!
Interview mit Josef Pürmayr, Sozialplattform Oberösterreich

»Es sind überwiegend Menschen, die schon           ist. Sie liegt also zwischen Arbeitslosengeld-
lange gearbeitet und eingezahlt haben, die         bezug und Mindestsicherung. Wenn die Not-
bei Abschaffung der Notstandshilfe um die          standshilfe ersatzlos abgeschafft wird, werden
Früchte ihres Arbeitslebens gebracht wür-          die arbeitslosen Personen also nach Ende des
den,« meint Josef Pürmayr, Geschäftsfüh-           Arbeitslosengeld-Bezuges direkt in die Min-
rer der Sozialplattform OÖ, beim Inter-            destsicherung verschoben. Derzeit gibt es in
view zur schwarzblauen Umgestaltung des            Österreich ungefähr 160.000 Menschen, die
sozialen Sicherungssystems.                        Notstandshilfe beziehen. Zu 60 Prozent sind
                                                   es Männer, die Hälfte ist älter als 45 Jahre und
Was leistet der Sozialstaat zur Existenzsiche­     fast 80 Prozent haben die österreichische
rung für Menschen die auf die Solidarität der      Staatsbürgerschaft. Es sind also Menschen,
Gesellschaft angewiesen sind?                      die überwiegend schon lange gearbeitet und
Jeder Mensch ist im Laufe seines Lebens Situ-      eingezahlt haben, und die bei Abschaffung der
ationen ausgesetzt, in denen er Hilfe benötigt.    Notstandshilfe um die Früchte ihres Arbeitsle-
Der Sozialstaat unterstützt bei Belastungen in     bens gebracht werden. Denn bevor Mindestsi-        lich. Das ist eine deutliche Verschlechterung
bestimmten Lebenslagen wie beispielsweise          cherung bezogen werden kann, muss ein vor-         gegenüber dem jetzigen Stand in Oberöster-
Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit, Behinde-       handenes Vermögen bis auf einen Rest von           reich (921,30 Euro monatlich).
rung und Pflegebedürftigkeit. Er bietet Geld-      ungefähr 4.300 Euro aufgebraucht werden.
und Sachleistungen von der Geburt bis ins          Die Pläne der Bundesregierung bedeuten auch        Es wird hier immer wieder das deutsche Mo­
hohe Alter. Der Sozialstaat ist ein solidari-      eine große finanzielle Belastung für die Län-      dell von »Harz IV« als Beispiel genannt.
sches Systems. Das zeigt sich darin, dass in       der und Gemeinden. Denn die Notstandshilfe         Mit dem Gesetz Hartz IV wurde die Arbeitslo-
bestimmten Phasen die Menschen eher ins            wird aus Bundesmitteln bezahlt, die Mindest-       senhilfe abgeschafft. Die Arbeitslosenhilfe
System einzahlen und in anderen Phasen eher        sicherung aber von den Ländern und Gemein-         war in Deutschland das, was die Notstands-
Leistungen aus dem System bekommen. Vom            den. Bei Abschaffung der Notstandshilfe gibt       hilfe in Österreich – noch – ist. Mit der ge-
Sozialstaat profitieren damit alle Menschen in     es für Oberösterreich schon Berechnungen:          planten Abschaffung der Notstandshilfe erhal-
Österreich. Grundsätzlich kann gesagt wer-         ungefähr 69 Millionen Euro Mehrbelastung           ten wir ein Hartz IV auf österreichisch. Hartz
den, dass der Sozialstaat bei der Verteilung der   durch zusätzliche Mindestsicherung, und das        IV wird zurecht als abschreckendes Beispiel
Einkommen gut ausgleicht. Das zeigt die Ver-       jährlich. Der Landeshauptmann und die Bür-         genannt. In Deutschland liegt die Armutsge-
teilung der Haushaltseinkommen bevor und           germeister und Bürgermeisterinnen werden           fährdungsquote von arbeitslosen Personen bei
nachdem der Sozialstaat gewirkt hat. Durch         tief in die Tasche greifen müssen.                 71 Prozent, in Österreich bei 47 Prozent.
diese Wirkung werden ungefähr zehn Prozent                                                            Während in Deutschland mehr als 15 Prozent
der Einkommen des wohlhabenden Drittels            Gleichzeitig soll die Mindestsicherung öster­      der Arbeitslosen mehr als vier Jahre einen Job
zum einkommensschwächeren Drittel umver-           reichweit neu geregelt werden. Welche kon­         suchen, sind dies in Österreich nur etwas über
teilt. Es ist ein Ausgleich dafür, dass viele      kreten Auswirkungen wären hier zu erwarten?        fünf Prozent. In Deutschland sind mittlerweile
Menschen nicht in der Lage sind, ein ausrei-       Der Informationsstand hier ist aus dem Som-        zwei Drittel der Arbeitslosen im Hartz IV-
chendes Einkommen zu erzielen. Arbeitslo-          mer 2018, neuere Informationen habe ich bis-       System. Nur etwa zwölf Prozent schaffen
sengeld, Notstandshilfe, Mindestsicherung          her nicht. Die Bundesregierung plant einen         nachhaltig den Ausstieg in stabile Jobs, der
und das Pensionssystem tragen hier wesent-         Grundbetrag von monatlich maximal 563              Rest bleibt in schwierigen Lebensverhältnis-
lich bei. Dennoch sind in Österreich 323.000       Euro für eine alleinstehende Person. Für Kin-      sen – arbeitslos oder beschäftigt in Ein-Euro-
Menschen einkommensarm. Sie können sich            der soll es Zuschläge geben, für Alleinerzie-      Jobs. Kurz gesagt: Hartz IV ist ein giganti-
Dinge nicht leisten, die in Österreich eigent-     hende sollen diese Zuschläge höher ausfallen       sches Förderinstrument für den Niedriglohn-
lich selbstverständlich sind. Besonders betrof-    als für Gemeinsamerziehende. Dieser Grund-         bereich in Deutschland – Stichwort Ein-Euro-
fen sind Alleinerziehende, kinderreiche Fami-      betrag kann durch einen »Arbeitsqualifizie-        Jobs - zu Lasten der weniger Leistungsfähigen
lien und Langzeitarbeitslose.                      rungsbonus« in der Höhe von 300 Euro mo-           in der Gesellschaft. Ihre Lebensbedingungen
                                                   natlich aufgestockt werden. Für diesen Bonus       und Zukunftschancen haben sich durch Hartz
Welche konkreten Auswirkungen hätte die an­        sind ein österreichischer Pflichtschulabschluss    IV deutlich verschlechtert. Mit dem Erhalt der
gekündigte Abschaffung der Notstandshilfe?         oder Sprachkenntnisse in Deutsch oder Eng-         Notstandshilfe können nachteilige Auswir-
Die Notstandshilfe kann bezogen werden,            lisch erforderlich. Eine alleinstehende Person     kungen wie jene von Hartz IV vermieden wer-
wenn der Arbeitslosengeldbezug ausgelaufen         kommt also bestenfalls auf 863 Euro monat-         den. Daher: Retten wir die Notstandshilfe! hz
                                                                                                                          12/2018                 7
Spielsucht führt zum Ruin
Das erste Mal gewinnt man                        oder Wettbüro bestimmt alles Geld im Auto-          miert sind, dass sie den Spieleinsatz behalten.
                                                 maten landet und auch dort bleibt. Man ver-         Ab und zu bekam man einen kleinen Gewinn
bestimmt eine höhere Summe                       liert und verliert und hofft, dass sich das Blatt   ausbezahlt, damit man auch ja Motivation hat,
                                                 wendet. Der Spielsüchtige glaubt, er gewinnt        weiterzuspielen. Und je mehr man in so einen
Als Betroffene möchte ich über das Glücks-       ja doch wieder und erinnert sich immer wie-         Automaten reinschmeißt, desto weniger kann
spiel schreiben. Es ist eine schlimme Sucht.     der an das schöne Gefühl. Ich habe das erste        man mit dem Glücksspiel aufhören, weil man
Man kann, nachdem man das einmal erlebt          Mal mit 15 Jahren mit dem Automatenspiel            daran glaubt, das verlorene Geld wieder zu-
hat, nicht wieder aufhören, sondern man will     begonnen. Damals gab es ein paar Lokale, in         rückgewinnen zu können. Aber das war nie
das Glücksgefühl immer wieder erleben. Die       denen Pokerautomaten standen. Und mein da-          der Fall. Fast immer verliert man den Rest
Wettbüros oder Casinos sind spezialisiert dar-   maliger Freund und ich haben jeden Tag Geld         auch noch. Aber sobald man wieder ein biss-
auf, Leute zu erkennen, die das erste Mal da     aufgetrieben, um zu spielen. Wir sind in ver-       chen Geld zu Verfügung hat glaubt man wie-
sind und sich im Glücksspiel versuchen. Das      schiedene Lokale gegangen und haben viel            der: »Jetzt gewinne ich es zurück.« Total be-
erste Mal gewinnt man bestimmt eine höhere       Geld verloren. Danach haben wir immer alles         scheuert, aber es war so. Wir drehten uns die
Summe, damit man dieses Glücksgefühl er-         verkauft, was wir hatten, um wieder Geld in         ganze Zeit im Teufelskreis. Bis ich eines Ta-
lebt und immer wieder nach diesem Gefühl         den Automaten reinschmeißen zu können.              ges darauf kam, wie das System des Automa-
trachtet, eben danach süchtig wird. Damit die    Obwohl wir ja nicht dumm waren und wuss-            ten funktioniert. Und ab diesem Moment ha-
Leute wieder und wieder kommen, obwohl           ten, dass wir ja nie einen echten Gewinn erzie-     ben wir nur noch gewonnen. Es war auf ein-
schon bei den nächsten Besuchen im Casino        len könnten, da die Automaten so program-           mal so leicht. Weil ich kam darauf, dass man
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jedes Mal, wenn man drückt, ganz kurz die
nächsten drei Runden sehen kann. Ich sah,
welche Karten kommen werden und musste
nur noch die richtigen Karten nehmen. Aber
da der Vorgang extrem schnell ablief, musste
ich noch zwei Leute mit mir spielen lassen.
Einer blickte auf die ersten Karten, der zweite
merkte sich die zweite Reihe und der dritte
Spieler konzentrierte sich auf die dritte Reihe.
Jetzt mussten sie mir nur noch sagen, welche
Karten kommen werden, und ich setzte es zu-
sammen. In dieser Zeit waren wir reich. Ich
habe quasi das System geknackt. In dieser
Zeit haben wir nur noch gewonnen. Wir hatten
über 2.000 Euro jeden Tag. Wir besuchten alle
Automaten, die wir zur Verfügung hatten. Da-
mals funktionierten alle nach demselben Prin-
zip. Wir müssten nur zu dritt bleiben und spie-
len. Wir gewannen überall. Es ging sehr lang
gut. Wir lebten wie Könige und konnten so
viel Geld ausgeben, wie wir gewannen. Ich
war jeden Tag shoppen. Ich kaufte mir all das,
was ich immer wollte. Also ich glaube, dass
ich zu jener Zeit die einzige Teenagerin mit so
viel Geld war. Wir haben mit der Zeit nicht
nur in Steyr gespielt, sondern auch in Linz.
Dort haben wir Automaten gesucht und ge-
spielt. Das Problem fing erst an, als der Bru-
der meines Freundes das auch auf eigene
Faust machte und diesen Trick weitererzählte,
andere Leute mitnahm und sie gemeinsam              nutzlose Dinge ausgegeben. Also liebe Men-       zahlen. So verlor ich meine Wohnung und
spielten. Auf jeden Fall haben sich natürlich       schen da draußen, lasst euch nicht verarschen    stürzte in eine schwere psychische Krise.
auch die Chefs von den Lokalen gefragt, wa-         von den Glücksspielen und den Casinos und        Schließlich landete ich in der Psychiatrie.
rum alle gewinnen, da die ständig auszahlen         Wettbüros. Es ist alles ein Schwindel. Autorin   Dort begann ich eine Therapie. Am Anfang
mussten. Natürlich sind sie schnell draufge-        der Redaktion bekannt                            wurde ich öfter rückfällig. Nach zwei Jahren
kommen, dass das System geändert werden                                                              habe ich es dann geschafft. Das war im Jahr
muss. Und als wir eines Tages hinkamen, wa-                                                          2016. Ich spiele immer noch gerne am Com-
ren alle Automaten ausgewechselt. Ach ich
                                                    In einer Woche verlor ich
                                                                                                     puter, aber nicht mehr um Geld, sondern da-
wusste, dass das passieren würde, weil die          in Wettbüros 2.500 Euro                          rum, wer der beste Spieler ist. Heute denke ich
Automatenbetreiber mussten jeden Gewinn                                                              oft, wie naiv und blöd ich früher war. Jetzt
direkt auszahlen. Und als dann immer mehr           In meiner Jugend begann ich in Wettcafes mit     schaffe ich es sogar, etwas für besondere An-
Leute kamen, die gewannen, war es kein              Wetten auf Hunderennen. Dort kann man sich       lässe zu sparen. Zoran
Wunder, dass sie die Automaten ausgewech-           das Rennen mit den anderen Spielern an-
selt haben. Auf jeden Fall hatte ich alles ge-      schauen und das fand ich sehr spannend. In
wonnen was ich je gewinnen konnte und spä-          einer Nacht habe ich dadurch oft 200 Euro
                                                                                                     Erst da bemerkte ich, dass
ter hörte ich auf zu spielen, weil es nicht inte-   verspielt. Mitunter verspielte ich in einem      das Spiel es nicht wert war
ressant war, nur zu verlieren. Ich möchte je-       Monat 1.500 Euro. Ab und zu gewinnt man
dem raten, das nicht auszuprobieren, weil die       auch etwas, dann ist man der Held und die        Ich war spielsüchtig. Es war ein tolles Gefühl,
sind echt spezialisiert darauf, Leute zu beein-     Frauen liegen einem zu Füßen. Letztendlich       wenn man etwas gewann. Was man am An-
flussen und ihnen alles aus der Tasche zu zie-      habe ich aber oft mein ganzes Geld verspielt.    fang noch nicht weiß, ist, dass man schnell
hen. Ein Teufelskreis. Letztendlich sind alle       Gleich nach der Arbeit machte ich mich auf       dreimal so viel verliert. Ich brauchte lange
Spieler schlecht gelaunt. Aber sie können           den Weg dorthin. Das ging zwei Jahre so da-      Zeit, bis ich das kapiert hatte, dass man davon
nicht mehr aufhören, weil sie das Glücksge-         hin. Daneben begann ich zu Hause mit diver-      echt nichts hat, und dass man alles verliert.
fühl im Spiel gefunden haben und sie die            sen Computerspielen: Poker, Win2day und          Erst, als ich pleite war, mir der Strom abge-
ganze Zeit auf der Suche danach sind. Auf je-       andere Spiele. Ziemlich schnell war ich dann     dreht wurde und ich dann bald keine Wohnung
den Fall habe ich daraus gelernt, dass man im       auch noch so richtig computersüchtig. Beim       mehr hatte, schwor ich mir, es endgültig zu
Geld kein Glück finden kann, obwohl es da-          Poker zahlt man mit einer Pay-Save-Card mit      lassen. Denn erst da bemerkte ich, dass das
mals schon toll war, alles kaufen zu können,        dem Limit von 100 Euro pro Einsatz. In einer     Spiel es nicht wert war. Ich fasste den Ent-
was ich wollte. Aber als ich alles hatte, wusste    Woche verlor ich 2.500 Euro. Ich konnte ein-     schluss, nie wieder einen Spielautomaten zu
ich gar nicht, wofür ich das gewonnene Geld         fach nicht die Finger davon lassen. Mein         besuchen. Doch dann bekam ich per Post ei-
noch ausgeben sollte. Dann haben mein               Bankkonto war immer bis zur Grenze überzo-       nen Gutschein, der mir erlaubte, gratis zu
Freund und ich das Geld wahllos für sinnlose,       gen, die Miete konnte ich so nicht mehr be-      spielen. Ich schnappte mir den Gratis-Gut-
                                                                                                                         12/2018                  9
abends zu Hause, lese, schreibe, male oder
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                                                                                                                 kurs sowie meine teilweise bedingte, befris-
                                                                                                                 tete Sachwalterschaft habe ich heuer im Früh-
                                                                                                                 jahr nach langen sieben Jahren beendet. Sozu-
                                                                                                                 sagen schuldenfrei kann ich mich zukünftig
                                                                                                                 meiner Tätigkeit als Redakteur der Obdachlo-
                                                                                                                 senzeitung Kupfermuckn, der ich viel zu ver-
                                                                                                                 danken habe, wieder mehr widmen. Mein
                                                                                                                 Weg war hart und steinig, aber ich glaube, es
                                                                                                                 geschafft zu haben. Georg

                                                                                                                 Ich realisierte lange nicht, dass
                                                                                                                 ich um echtes Geld spielte
                                                                                                                 Bei mir hatte die Spielsucht genauso angefan-
                                                                                                                 gen wie bei jedem anderen. Ein Wunder ist
                                                                                                                 nur, dass ich diese Sucht - im Vergleich zu
                                                                                                                 meinen anderen Belastungen - ziemlich
                                                                                                                 schnell wieder los wurde. Bei mir dauerte die
                                                                                                                 Spielsucht gottseidank nur ein paar Jahre. Ich
                                                                                                                 war damals 21 Jahre alt und in einer Clique,
                                                                                                                 die eigentlich immer etwas Neues ausprobie-
           Georg ist es gelungen, sich von der Spielsucht zu befreien. Foto: gestellte Szene, privat
                                                                                                                 ren wollte. Also kamen wir auf die Idee, ein-
                                                                                                                 fach mal so mitten unter der Woche nach Linz
schein und spielte. Und schon war ich wieder                    geriet ich in den Strudel abwärts. Falsche       ins Jackpot-Casino zu fahren. Tja und da ich
im selben Teufelskreis. Dass es sich hier um                    Freunde, zerbrochene Liebschaften und der        wusste, dass ich bei Roulette immer die besten
eine Masche handelte, um mich als Spiel-                        wachsende Widerstand gegen meine Allüren         Chancen habe, spielte ich ein paar Stunden
Kunden zurück zu gewinnen, war mir damals                       taten das ihrige dazu bei. Jobwechsel und        lang, jedoch nicht an einem Tisch, sondern an
nicht bewusst. Ich fiel wieder drauf hinein und                 letztendlich das Glücksspiel und der Alkohol     einem Automaten. Ich habe mir vorgenom-
verspielte mein Geld am Automaten. Die                          vollendeten den Crash. Schuld waren alle an-     men, nicht mehr als 50 Euro zu verspielen,
Sucht ist ein Teufelskreis. Sucht ist Sucht und                 deren, nur nicht ich. Arbeitslosigkeit und die   obwohl mir dieser Betrag zu dieser Zeit auch
bleibt auch Sucht. Wir müssen versuchen,                        daraus entstandenen Schulden, Delogierungen      nicht sonderlich weh getan hätte, hätte ich ihn
Menschen in jeder Hinsicht zu warnen. Man                       und das wachsende Gefühl, doch selbst an         verloren. Aber ich hatte ein System. Unbeein-
muss so etwas ganz ganz ernst nehmen. Weil                      meiner Situation maßgeblich beteiligt zu sein,   druckt von dem, was längere Zeit nicht ge-
das auch ein sehr ernstes Thema ist. Man ver-                   stürzten mich in tiefe Hoffnungslosigkeit.       kommen war, von den 50/50 Chancen, also
liert das ganze Leben wegen der Spielsucht.                     Und wie schwer der Weg zurück in die Nor-        schwarz 1 bis 18, gerade oder ungerade - war-
Ich hoffe, ihr habt aus meinen Erfahrungen                      malität des Lebens sich gestaltet, erlebte ich   tete ich immer und setzte danach genau auf
etwas dazu gelernt. Danke für eure Unterstüt-                   mit großer Intensität. Ohne Selbstvertrauen zu   das Gegenteil. Meine Freunde hatten schon
zung! Ich hoffe, dass euch meine Geschichte                     sein, total verunsichert, ohne Bleibe, ohne      nach einer halben Stunde kein Geld mehr. Als
inspiriert hat. Man darf niemals aufgeben. Die                  Geld, ohne Freunde und sich wiederholende        wir nach circa zwei Stunden das Casino ver-
Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Autor der                  Rückschläge setzten auch meiner Gesundheit       ließen, hatte ich mehr als 200 Euro Gewinn
Redaktion bekannt                                               zu. Nun hatte ich aber schon die Altersgrenze    gemacht. Das Komische war, erst zu diesem
                                                                überschritten. Meine Bewerbungen wurden          Zeitpunkt realisierte ich, dass es sich dabei um
                                                                negativ oder großteils gar nicht mehr beant-     richtiges Geld handelte. Geld, für das man
Der Alkohol und das Glücks­-                                    wortet. Mit Jobs bei Leasing-Unternehmen         normalerweise arbeiten ging. Es schockierte
spiel sind nun passé                                            und letztendlich als Taxilenker hielt ich mich   mich richtig und alle anderen meinten natür-
                                                                mehr schlecht als recht über Wasser. Meine       lich: »Anfängerglück«. Tja hätte ich doch zu
In geordneten Familienverhältnissen aufge-                      Schulden erreichten durch Verzinsung und         diesem Zeitpunkt auf diese weisen Leute ge-
wachsen, erhob sich in mir im Laufe der Jahre                   Gebühren astronomische Höhen. Kranken-           hört. Denn da ich ja noch jung und dumm war,
immer mehr die Stimme des Protests gegen                        hausaufenthalte, Operationen sowie Thera-        ging ich auch die nächsten drei Tage alleine
das Establishment gewisser Verwandter, ge-                      pien trugen letztendlich dazu bei, dass mein     ins Casino, um mir selbst zu beweisen, dass
gen Pädagogen und Lehrer, gegen ungerechte                      Ansuchen um eine Frühpension eines Tages         mein System funktionierte. Also alles in allem
Unternehmer oder Menschen, die von sich                         endlich gewährt wurde. Nach zwei Delogie-        habe ich in diesen drei Tagen 800 Euro ver-
annahmen, über allen Dingen zu stehen. Ich                      rungen wurde ich sesshaft, in einer kleinen      spielt inklusive der 200 Euro, die ich am ers-
setzte mich stets für Schwächere ein, egal ob                   Genossenschaftswohnung zu günstiger Miete.       ten Tag dort gewonnen hatte. Ich betrat seither
in der Schule, im Beruf oder sonstwo. So ent-                   Ich lebe noch heute dort. Vom ehemaligen         zwar kein Casino mehr, jedoch war ich von
wickelte ich mich irgendwie zum Außenseiter,                    Freundeskreis beziehungsweise früheren           der Glücksspielsucht in die Online-Spielsucht
der sich unverstanden fühlte und seiner wach-                   Saufkumpanen habe ich mich gelöst. Der Al-       abgerutscht. Das ist aber eine andere Ge-
senden Aggression nicht Herr wurde. In mei-                     kohol, das Glücksspiel oder regelmäßige Lo-      schichte. Written by J.J. (Steyr) // Grafik
ner wirren Phantasie, etwas Besseres zu sein,                   kalbesuche sind passé. Ich beschäftige mich      Seite 8: wh, Foto Seite 9: hz
10                    12/2018
Fast das Leben verspielt
Psychotherapeut Karlheinz Staudinger spricht über das Tabu-Thema »Glücksspielsucht«

Schrill klingende, in bunten Farben blin-
kende Geldspielgeräte versprechen vieler-
orts satte Gewinne. Mit wenigen Münzen
Einsatz winkt bei Automaten der vermeint-
liche Jackpot. Was als harmloser Zeitver-
treib und Nervenkitzel beginnt, kann je-
doch schnell süchtig machen. Pathologi-
sches Glücksspiel endet in den meisten Fäl-
len in einer privaten und sozialen Katastro-
phe. Karlheinz Staudinger, Psychothera-
peut an der Ambulanz für Spielsucht der
pro mente OÖ, spricht über die Hinter-
gründe dieser Krankheit.

Über die Zahl der Spielsüchtigen und ihre be-
vorzugten Spiele gibt es eine Status-quo-Er-
hebung aus dem Jahr 2011. Demnach haben in
Österreich rund ein Prozent der Bevölkerung       Spielsucht ist Männerdomäne                      einem sozialen und finanziellen Ruin. Das Fa-
Probleme mit dem Glücksspiel. Die größte                                                           tale: Die selbstzerstörerische Spielmanie
Suchtgefahr geht dieser Studie zufolge von        Betroffen von dieser Glücksspielsucht sind       bringt oft noch weitere Begleiterkrankungen
den Spielautomaten aus. Der Suchtexperte          vor allem Männer. Der Prototyp des Spielers      mit sich, die Menschen schlimmstenfalls so-
und Psychotherapeut Karlheinz Staudinger          ist »männlich, zwischen 18 und 35 Jahre alt,     gar in den Suizid treiben können.
bestätigt diese Tatsache.                         arbeitslos und hat einen Pflichtschul-Ab-
                                                  schluss«. Suchtexperte Staudinger findet da-     Ambulante professionelle Hilfe
Gefährlicher Reiz des Automatenspiels             für eine einfache Erklärung: »Männer sind
                                                  wesentlich risikofreudiger als Frauen. Ar-       Ohne professionelle Hilfe kommen manche
Die technisch hoch komplexen Geräte - einar-      beitslose haben viel Zeit zum Spielen.« Viele    oft gar nicht aus dem Teufelskreis heraus.
mige Banditen und ähnliche Automaten - ver-       unterschiedliche Faktoren können das Risiko      »Meist dauert es viele Jahre, bis die Betroffe-
sprechen mit ihren akustischen und visuellen      spielsüchtig zu werden beeinflussen: »Wächst     nen sich ihre Sucht überhaupt eingestehen«,
Reizen besonders rasch Gewinn auszuwerfen.        man in einem sozialen Umfeld auf, in dem         sagt der Suchtexperte. »Im Schnitt stehen die
»Die schnelle Abfolge von Spielen mit rasan-      viel Glücksspiel betrieben wird, so ist die      Klienten der Spielsuchtambulanz Linz am Be-
ten Gewinn- und Verlustentscheidungen in-         Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch die Nach-     ginn der Behandlung mit bereits 40.000 Euro
nerhalb weniger Sekunden verstärken durch         kommen sich diesem Spiel zuwenden und            in der Kreide.« Es gibt aber Hilfe. Vor Ort
die hohe Ereignisfrequenz die Gefahr, süchtig     süchtig werden«, konstatiert Staudinger. Aber    bietet die Einrichtung kostenlose Psychothe-
zu werden«, erklärt Staudinger. Am Beginn         auch psychische Erkrankungen wie Ängste,         rapie an. In einem Erstgespräch stellt der Psy-
des Leidensweges steht meistens ein »Big-         Depressionen oder narzisstische Persönlich-      chotherapeut fest, wie stark die Sucht der Kli-
Win« (Großer Gewinn, Anm.). Dann folgt der        keitsstörungen würden maßgeblich die Hal-        enten bereits ausgeprägt ist. Oftmals braucht
Absturz. Dieser wiederum animiert dazu, wei-      tung zu Glücksspielen beeinflussen.              es - parallel zur psychotherapeutischen Be-
terzuspielen, um die Verluste dadurch wettzu-                                                      gleitung, die in Einzel- und Gruppentherapien
machen. Das Glückshormon Dopamin, wel-            Aus Spiel wird Ernst                             stattfindet - zusätzlich die Hilfe der Schuld-
ches dabei ausgeschüttet wird, ist für die Ent-                                                    nerberatung. Je nach Schwere der Sucht wird
wicklung der Sucht ganz besonders gefähr-         Die dramatischen Folgen einer pathologi-         auch an stationäre Kliniken weitervermittelt.
lich. Die Spieler sind nämlich überzeugt, das     schen Spielsucht liegen auf der Hand: »Viele     Die Spielsucht-Ambulanz ist im Linzer »Neu-
System der Automaten durchschaut zu haben.        Klienten«, erzählt der Therapeut, »haben alles   romed Campus« des Kepler Universitäsklini-
Sie erliegen quasi der Illusion, sie könnten      verspielt.« Neben wertvoller Lebenszeit, die     kums angesiedelt. Termine können unter der
dieses kontrollieren. Am Ende bleiben die er-     vergeudet wurde, stehen Glücksspiel-Abhän-       Telefonnummer 05 / 05 768 087 / 39 571
hofften Gewinne meistens aus.                     gige am Zeitpunkt der Hilfesuche meist vor       vereinbart werden. Foto und Text: dw
                                                                                                                      12/2018                  11
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                          Mag.a Eva Schobesberger
                          Bildungsstadträtin
Weihnachtswünsche
und Neujahrsvorsätze
»Was wünschst du dir?«, fragten wir die Schreiber und Verkäufer der Kupfermuckn. »Ge-
sundheit« sagt ein jeder. Kommt man aber ins Gespräch, ist es oft der Wunsch nach Be-
ziehung oder das Zusammensein mit der Familie, die nicht mehr intakt ist. Denn »Woh-
nungslosigkeit ist Beziehungslosigkeit«. Natürlich darf man auch von Romy Schneider
oder einer Kreuzfahrt träumen. Was uns von der Kupfermuckn freut, ist die Solidarität
unserer Leser, die unsere Arbeit unterstützen. Aber wir merken auch den Wind der Ent­
solidarisierung in der Gesellschaft gegenüber denjenigen, die auf die Unterstützung des
Sozialstaates angewiesen sind. Es sind Arbeitslose, Obdachlose oder Flüchtlinge, welche
die Kupfermuckn verkaufen, damit sie irgendwie über die Runden kommen. Und es sind
Menschen mit persönlichen Schicksalen: Das wollen wir immer wieder aufzeigen. (hz)

Anna will mit der Familie feiern                                  Geralds Traumfrau Romy
Nach wirklich schwierigen Zeiten habe ich seit heuer wieder       Ich arbeitete als Kellner überall in Europa. In einem Club in St.
eine leistbare kleine Wohnung erhalten und sie mir schön einge-   Pauli war ich sogar kurze Zeit Geschäftsführer. Wegen Knochen-
richtet. Die Zeit davor war leider wie ein Albtraum und ich       schwundes und Problemen mit dem Alkohol - ich habe mehr
musste viel Gewalt erdulden. Die älteren beiden meiner fünf       getrunken als Frank Sinatra und Harald Juhnke zusammen - lan-
Kinder haben vor 15 Jahren jeden Kontakt zu mir abgebrochen,      dete ich in der Pension und bin von Anfang an bei der Kupfer-
weil sie den damaligen Lebenspartner nicht akzeptiert hatten.     muckn dabei. Da ich bald meinen 70er feiere, ist meine Gesund-
Das kann ich gut verstehen. Heute habe ich mein eigenes Leben     heit und die meiner Katze »Mimi vom Hundegebell« der größte
zurückerhalten und mein größter Wunsch wäre es, zu Weihnach-      Weihnachtswunsch. Romy Schneider war immer meine Traum-
ten alle meine Kinder wieder einmal zusammen zu bringen.          frau. Ich habe sie sogar in Paris in einem Lokal bedient. Sie gab
Sonst bin ich sehr zufrieden mit meiner jetzigen bescheidenen     mir damals ein Foto mit Autogramm. So spare ich wie verrückt
Lebenssituation.                                                  darauf, einmal ihr Grab in Frankreich besuchen zu können.

                                                                                                       12/2018                  13
Johannes durchwandert Europa                                        Bertl, das Kupfermuckn-Urgestein
Vor 13 Jahren verlor ich den Führerschein und meinen Job als        Ich bin quasi seit der Gründung im Jahr 1996 mit dabei. Damals
Fernfahrer. Ich war mein Leben lang immer unterwegs, aber           hatte ich eine schlimme Lebenskrise mit schwerer Krankheit und
plötzlich saß ich in Linz fest und landete auf der Straße. So kam   Trennung. Hätte man mir damals gesagt, dass ich in 22 Jahren
ich zur Kupfermuckn. Das Fernweh ist aber geblieben, und so         noch lebe, dann hätte ich das gar nicht geglaubt. Meine große
begann ich zu Fuß ganz Europa zu durchwandern. Ich hatte            Leidenschaft sind meine Sammlungen von alten Fotos, Häferln,
schon viele schöne Erlebnisse, unter anderem bei meiner Wande-      Ansichtkarten, Uniformen und anderen Dingen. Mit der Min-
rung am Jakobsweg 3.000 Kilometer bis Santiago de Compo-            destsicherung geht sich nur eine kleine Wohnung aus, und das
stela in Spanien. Heuer im Oktober wurde ich am Weg nach            Kellerabteil ist schon mehr als voll. Nun könnte mein Traum von
Griechenland im Kosovo von einer Bande ausgeraubt. Mein             einer Wohnung mit mehr Platz in Erfüllung gehen. Ein Freund
größter Wunsch ist es, im April meine große Wanderung durch         hat ein altes Haus am Land, und wenn ich Glück habe, kann ich
Europa ohne solche Erlebnisse fortsetzen zu können.                 heuer dort schon mit meinen Kindern Weihnachten feiern.

Claudia auf dem Schiff                                              Zoran feiert zweimal Weihnachten
Meinen größten Wunsch habe ich mir dieses Jahr bereits erfüllt,     Ich verkaufe die Kupfermuckn seit vielen Jahren in der Bischof-
indem ich mit meinem Mann in eine neue Genossenschaftswoh-          straße. Seither lebe ich auch in einer kleinen GWG-Wohnung in
nung gezogen bin. Allerdings sind wir noch auf der Warteliste       Urfahr. Ich bin in Serbien geboren und habe dort auch eine zeit-
für eine barrierefreie Wohnung. Da mein Mann an Parkinson           lang gelebt. Ich wünsche mir für die Zukunft den Frieden auf
leidet, wissen wir nicht, wie lange wir noch den Weg in den vier-   Erden. Wer wie ich den Schrecken des Krieges kennt, weiß den
ten Stock ohne Lift schaffen können. Es ist für ihn schon sehr      Frieden zu schätzen. Ich bin jetzt österreischischer Staatsbürger
beschwerlich. Prinzipiell möchte ich Weihnachten wie immer          und gehe immer wählen, weil mir die Demokratie wichtig ist.
gerne mit meinen Kindern und meiner Mutter verbringen. Einer        Ich bin eigentlich recht zufrieden. Was zu meinem Glück noch
meiner größten Wünsche ist noch, irgendwann einmal eine             fehlt, ist eine Frau an meiner Seite. Eigentlich kann ich zwei Mal
Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer zu unternehmen. Solche Fahrten        Weihnachten feiern. Am 24. Dezember und am 7. Jänner, wie
sind allerdings sehr teuer.                                         das in Serbien üblich ist.
14                 12/2017
Sonja wartet auf ihren Sohn                                          Reinhard ist seit Jahren trocken
Ich habe gelernt, dass man auch mit wenigen Dingen Freude            Seit beinahe zwanzig Jahren bin ich als Verkäufer bei der Kup-
haben kann. Nach meinem jahrelangen Leben auf der Straße und         fermuckn tätig. Eine Sozialarbeiterin sprach mich damals an und
in Obdachlosen-Einrichtungen bin ich bescheiden geworden.            meinte, der Verkauf könne meine finanzielle Situation ein wenig
Das Leben hat mich mit meinen knapp 40 Jahren sehr geprägt.          verbessern. Damals lebte ich noch auf der Straße und war alko-
Gesundheit ist für mich eines der wichtigsten Dinge im Leben,        holsüchtig. Dieser Tipp hat meinem Leben eine positive Wende
denn der Krebs hat mich gezeichnet. Den will ich absolut nicht       gegeben. Seit 17 Jahren bin ich trocken und lebe in einer kleinen
mehr haben. Mein größter Wunsch wäre, dass Raphael, mein             Wohnung, die ich mir leisten kann. Durch den Verkauf kann ich
Sohn, wieder Kontakt zu mir aufnimmt. Ich kann diesen Tag            mir ab und zu auch etwas Nettes gönnen. Einen Wunsch hätte ich
kaum erwarten, bis er vor meiner Türe steht und sagt: »Hallo         noch - gesund bleiben. Denn ich möchte die Zeitung auch noch
Mama! Darf ich reinkommen?« Frohe Weihnachten euch allen             weitere zwanzig Jahre unters Volk bringen. Ich brauche diese
und die besten Wünsche für 2019!                                     Kontakte, sonst würde ich vereinsamen.

Walter möchte auf die Route 66                                       Anton träumt vom Fliegen
Ich werde auch heuer Weihnachten wieder mit meiner Frau              Mir ist der Umwelt- und Klimaschutz auf der ganzen Welt ein
Claudia in unserer neuen Wohnung feiern. Am nächsten Tag be-         großes Anliegen. Gerade zu Weihnachten landen immer viele
suchen wir dann meine Schwiegermutter. In mir schlummert             Lebensmittel im Müll. Da soll man beim Einkaufen gut nach-
immer noch ein großer Traum. Ich habe schon in jungen Jahren         denken, wieviel man wirklich braucht. Ich habe auch immer
eine Vorliebe fürs Motorrad-Fahren entdeckt. Seither träume ich,     haltbare Lebensmittel zu Hause. Bei den verderblichen schaue
dass ich mit meiner Frau irgendwann nach Amerika fliege. Dort        ich aber, dass ich nichts wegwerfen muss. Mein Hobby war frü-
würde ich eine Harley Davidson mieten. Und dann würden wir           her das Segelfliegen. Ich hatte sogar den Segelflugschein. Die-
über die bekannte Route 66 fahren, uns befreit fühlen, alles anse-   sen verlor ich nach einem Unfall. Seither kann ich am Linzer
hen und vielleicht sogar im Freien schlafen. Dieser Wunsch wird      Segelflugplatz ab und zu mit anderen Piloten mitfliegen. Ich
aber wohl nur ein Weihnachtsmärchen bleiben. Ich wünsche al-         träume aber noch immer davon, wieder einmal selbst am Steuer
len Lesern und Leserinnen ein frohes Fest!                           sitzen zu können.
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