Geschäftsbericht 2018 2016 - Spital Thurgau AG

 
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Geschäftsbericht 2018 2016 - Spital Thurgau AG
Kantonsspital Frauenfeld
              Kantonsspital Münsterlingen
              Psychiatrische Dienste Thurgau
              Klinik St. Katharinental

              Geschäftsbericht
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Geschäftsbericht 2018 2016 - Spital Thurgau AG
E DITORIAL
Nichts ist so beständig wie der Wandel                                                         1

S PI TA L T H U R GAU
Organe der Spital Thurgau                                                                      2
Starke Ergebnisse – Anteil der Altersmedizin nimmt stetig zu                                   3
Ältere Patienten im Akutspital                                                                 7
Demenz, Delir, Fragilität usw.: Betagte Menschen sind oft auch psychiatrisch belastet         13
Postakute Behandlung von ­Betagten: Rehabilitation und Langzeitpflege                         17
Demenzsensibles Bauen in der Spital Thurgau                                                   21

DA S JA H R 2 018 I N Z A H L E N
Lagebericht                                                                                   25
Bilanz                                                                                        27
Erfolgsrechnung                                                                               28
Geldflussrechnung                                                                             29
5-Jahres-Übersicht                                                                            30
Anhang zur Jahresrechnung                                                                     31
Antrag über die Verwendung des Bilanzgewinnes                                                 31
Erläuterungen zur Jahresrechnung                                                              32
Bericht der Revisionsstelle                                                                   38
Patientenstatistiken                                                                          40
Qualitätsbericht                                                                              46
Personalstatistiken                                                                           52
Top-Geschäftsjahr 2018 für die thurmed Gruppe                                                 55

FAC H KO M PE T E N Z E N D E R S TA N D O R T E
Kantonsspital Frauenfeld, Kantonsspital Münsterlingen                                         60
Klinik St. Katharinental, Psychiatrische Dienste Thurgau                                      61
Zentrale Medizinische Dienste, Zentrale Dienste und Eigenständige, nahestehende Unternehmen   62

Hinweis zu den Portraitbildern:
Die abgebildeten Personen sind Patienten der Spital Thurgau und
­haben sich für diesen Geschäftsbericht ablichten lassen.
 Die Anordnung der Fotos ist nicht textbezogen, der Zusammenhang
 zu den jeweiligen Beiträgen ist nicht gegeben.

Geschlechtsneutrale Bezeichnungen
Wenn auf diesen Seiten die weibliche Form nicht der männlichen
Form beigestellt ist, so ist der Grund dafür allein die bessere Lesbarkeit.
Wo sinnvoll, ist selbstverständlich immer auch die weibliche Form
gemeint.
Geschäftsbericht 2018 2016 - Spital Thurgau AG


Nichts ist so beständig
wie der Wandel

Von lic. iur. Carlo Parolari, Verwaltungsratspräsident Spital Thurgau

D
        as Berichtsjahr 2018 konnte in wirtschaft-         Ich freue mich, dass im diesjährigen Geschäfts-
        licher Hinsicht mit einem starken Ergebnis         bericht das Thema «Alter» aufgegriffen und aus
        abgeschlossen werden. Es war aber auch             verschiedenen Blickwinkeln des Spitalalltags be-
geprägt von grossen Infrastrukturvorhaben und              trachtet wird. Von der Geburt bis zur Palliative
vom Stabwechsel im Präsidium des Verwaltungs-              Care am Lebensende – unsere Mitarbeitenden
rats der Spital Thurgau und der thurmed AG.                behandeln, pflegen und begleiten die uns anver-
                                                           trauten Menschen in allen Stadien eines Lebens-
Die Gründung der Spital Thurgau im Herbst 1999,            zyklus – jeden Tag, rund um die Uhr. Es ist mir ein
mit der die Kantonsspitäler Frauenfeld und Müns-           Anliegen, unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
terlingen, die Psychiatrischen Dienste Thurgau             tern herzlich für ihren unermüdlichen und fürsorg-
und die Klinik St. Katharinental in einer einzigen,        lichen Einsatz im Dienste unserer Patientinnen und
privatrechtlich organisierten Gesellschaft zusam-          Patienten zu danken. Mein besonderer Dank rich-
mengefasst wurden, war eine schweizerische Pi-             tet sich an die Mitglieder der Geschäftsleitung
oniertat. Von der ersten Stunde an war Robert              und an den CEO, Dr. Marc Kohler. Ihnen allen
Fürer massgebend an der Gründung und dem                   verdanken wir, dass unsere Unternehmensgruppe
Aufbau der neuen Strukturen beteiligt, zunächst            heute zu den führenden des Landes gehört.
als Projektleiter, ab 2004 als Präsident des Verwal-
tungsrats der Spital Thurgau und später der gan-           Nicht nur das Alter der uns anvertrauten Patien-
zen thurmed Gruppe. Dass unser Unternehmen                 tinnen und Patienten ist ein zentraler Aspekt – das
heute zu den erfolgreichsten, innovativsten und            Thema «Alter» beschäftigt uns auch im Zusam-
organisatorisch wegweisenden Spitalgruppen der             menhang mit der Personalentwicklung und den
Schweiz zählt, ist zu einem grossen Teil Robert ­Fürer     Nachfolgeplanungen sowie bezüglich der bauli-
zu verdanken. Für seine äusserst kompetent ge-             chen und technischen Infrastruktur. Nach den
leistete Arbeit in den letzten rund 20 Jahren für          Projekten 3i und Pathologie in Münsterlingen for-
die Spital Thurgau, die thurmed Gruppe und alle            dert uns aktuell insbesondere die Grossbaustelle
Mitarbeitenden, sei ihm auch an dieser Stelle              «Horizont» in Frauenfeld. Daneben investieren wir
nochmals ganz herzlich gedankt. Am 15. Novem-              in zahlreichen kleineren Ausbau- und Sanierungs-
ber 2018 durfte ich von ihm ein bestens aufgestell-        projekten jährlich rund 10 Mio. Franken. Ein sehr
tes und wirtschaftlich sehr erfolgreiches Unterneh-        gelungenes Beispiel war letztes Jahr die Renova-
men übernehmen.                                            tion des Verwalterhauses in St. Katharinental. Ex-
                                                           zellente Leistungen benötigen optimale Rahmen-
                                                           bedingungen – daran arbeiten wir.                ❚

1
Geschäftsbericht 2018 2016 - Spital Thurgau AG
SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2018

Organe der Spital Thurgau

                                        ➔ ➔V E R WA LT U N G S R AT
                                           (von links nach rechts)
                                           Dr. med. Bruno Haug
                                           Prof. Dr. oec. Urs Brügger
                                           Prof. Dr. oec. Michèle Sutter-Rüdisser
                                           Prof. Dr. med. Markus von Flüe
                                           Christa Thorner-Dreher
                                           lic. iur. Robert Fürer, Präsident (bis 15.11.2018)
                                           Dr. oec. Anna-Katharina Klöckner, Vizepräsidentin
                                           lic. iur. Carlo Parolari, Präsident (ab 16.11.2018)

                                        ➔ ➔G E S C H Ä F T S L E I T U N G
                                           (hintere Reihe, von links nach rechts)
                                           Dr. oec. publ. Peter Heri, MPH, CFO
                                           Norbert Vetterli, Spitaldirektor Kantonsspital Frauenfeld /
                                           Verwaltungs­d irektor Klinik St. Katharinental
                                           PD Dr. med. Dipl. Psych. Dipl. Soz. Gerhard Dammann, MBA,
                                           Spitaldirektor Psychiatrische Dienste Thurgau
                                           Agnes König, Pflegedirektorin Kantonsspital Münsterlingen
                                           Dr. sc. techn. Marc Kohler, CEO
                                           PD Dr. med. Thomas Neff, Ärztlicher Direktor Kantonsspital Münsterlingen
                                           (vordere Reihe, von links nach rechts)
                                           Dr. oec. publ. Christian Schatzmann, CIO
                                           PD Dr. med. Stefan Duewell, Ärztlicher Direktor Kantonsspital Frauenfeld
                                           Stephan Kunz, MBA, Spitaldirektor Kantonsspital Münsterlingen /­
                                           Verwaltungsdirektor Psychiatrische Dienste Thurgau

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Geschäftsbericht 2018 2016 - Spital Thurgau AG
Starke Ergebnisse –
Anteil der Altersmedizin
nimmt stetig zu

von Dr. sc. techn. Marc Kohler, CEO Spital Thurgau

D
        as Geschäftsjahr 2018 der Spital Thurgau         relangem, schleichendem Rückgang erstmals
        wurde – wie erwartet – stark geprägt durch       ganz leicht ausgebaut werden (neu 14,8%). Am-
        wesentliche Veränderungen in den Rah-            bulant stiegen die effektiven Fallzahlen (Patien-
menbedingungen, namentlich bei der ambulan-              tinnen und Patienten) um ca. 9%, durch die er-
ten Leistungsabgeltung, wo die Tarife (TARMED)           wähnte Reduktion des TARMED resultierte ein
gegenüber den Vorjahren deutlich sanken. Dank            absolutes Taxpunktwachstum von rund 4,7%. Fast
guter, vorausschauender Projektarbeit in den Vor-        alle Bereiche haben dazu signifikant beigetragen.
jahren und konsequenter Umsetzung der dann               Diese Wachstumszahlen 2018 sind im Querver-
beschlossenen Massnahmen gelang es, die Ne-              gleich aller öffentlichen Schweizer Spitäler eher
gativeffekte zu minimieren. Zusammen mit einer           hoch und ausgesprochen erfreulich.
kleineren, aber erfreulichen Nachfragesteigerung
bei den medizinischen Angeboten und weiteren             Sie unterstreichen die hohe Akzeptanz der Spital
Dienstleistungen in der auch dieses Jahr erneut          Thurgau bei der Bevölkerung sowie die gute Qua-
überdurchschnittlich guten Qualität sowie um-            lität der Leistungen. Letztere bleibt der Schlüssel-
sichtiger Führung und zahlreichen Optimierungen          faktor für die starke und nachhaltige Positionie-
gelang es, das Geschäftsjahr 2018 fast überall auf       rung der Spital Thurgau. Fast überall wurden bei
Top-Niveau abzuschliessen. Das ausgewiesene              externen, unabhängigen Messungen erneut
Ergebnis beträgt Fr. 6,867 Mio.                          ­bessere und im Schweizer Quervergleich sehr er-
                                                          freuliche Werte gemessen und publiziert, z. B. zu
Nach dem Nachfrage-Rückgang nach stationä-               verschiedenen Parametern der Patientenzufrie-
ren Leistungen im Vorjahr setzte sich dieser Trend       denheit (ANQ), aber auch zu direkt relevanten
auch 2018 über alle Schweizer Spitäler gesehen           Ergebnis-Messungen, i.e. outcome in diversen
fort (ca. –1,5%). In der Spital Thurgau hingegen         Kliniken und medizinischen Angeboten der Akut-
stiegen die stationären Kennwerte leicht an (ins-        häuser, in der Rehabilitation und in der Psychiatrie
gesamt +1,9%, aufgeteilt in +1,9% Akutmedizin,           (was uns speziell freut, weil das bei unserem Pa­
+2,6% Klinik St. Katharinental, +1,1% Psychiatrie). In   tientenmix besonders schwierig ist). Die Kosten­
erster Linie stammt dieses gute Wachstum aus den         seite wuchs leicht unterproportional, obwohl auch
Thurgauer Fällen (+1,8%), aber auch bei den aus-         2018 deutlich in die Mitarbeitenden investiert wer-
serkantonalen Patientinnen und Patienten gelang          den konnte (Anzahl Mitarbeitende). In Anbetracht
ein im heutigen Umfeld sehr ansprechender Zu-            der üblicherweise schwer zu findenden Spezia­
wachs (+2,6%). Erfreulicherweise konnte dabei            listen und starken Führungskräften ist es nach wie
auch der Anteil an Zusatzversicherten nach jah-          vor ermutigend, wie wichtige Positionen bei den

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Geschäftsbericht 2018 2016 - Spital Thurgau AG
SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2018

               Kaderärzten ­(viele Fachdisziplinen), in der Pflege   schluss 2019/2020). Die grösste Herausforderung
               (Expertinnen und Experten) und in den administ-       bleibt aber das Projekt Horizont (Neu- und Umbau
               rativen Bereichen fachlich und menschlich hoch-       im Kantonsspital Frauenfeld), das 2018 deutlich
               wertig besetzt werden konnten. Offensichtlich         vorangekommen ist. Wir rechnen mit dem Bezug
               geniesst die Spital Thurgau auch bei ausgewie­        des Neubauteils im ersten Quartal 2020, danach
              senen «Könnern» in der Gesundheitsbranche viel         folgen noch die Um- und Rückbauarbeiten. Es
               Akzeptanz, Glaube in die Expertise und Vertrauen      läuft insgesamt ziemlich genau nach Plan.
               in die Zukunft. Die Sachkostenentwicklung ist
               beim medizinischen Bedarf leider nach wie vor         Altersmedizin wird immer wichtiger
               heikel – da schlägt der medizinische Fortschritt      Bezogen auf die Pflegetage ist der Anteil der über
               bei den Verbrauchsmaterialien und den Medika-         70-jährigen Patientinnen und Patienten in der S­ pital
               menten (speziell in der Onkologie) besorgniserre-     Thurgau in den letzten 5 Jahren deutlich weiter
               gend durch. Wenn die Spital Thurgau aber an der       angestiegen (2013: 37,7%, 2018: 42,7%). Diese Ent-
              ­Spitze der medizinischen Versorgung mithalten will,   wicklung ist typisch für öffentliche Zentrumsspitäler
              dann muss sie diesen Weg mitgehen – auch bei           mit breitem Leistungsauftrag und folgerichtig auch
              den Investitionen. Das ist auch im Berichtsjahr der    einer breiten Nachfrage nach medizinischen Leis-
              Fall gewesen, sowohl in der Medizintechnik, spe-       tungen für ältere Menschen (Geriatrie und Pallia-
              ziell aber auch bei Bauprojekten.                      tivmedizin, Polymorbidität, Notfälle usw.). Heute
                                                                     bietet jede Klinik der Spital Thurgau ein wichtiges
              Die Bautätigkeit der thurmed Immobilien AG             und umfangreicheres Angebot in der Altersmedi-
              (TIAG), welche alle Immobilien besitzt und für die     zin, welches spezifisch auf die typischen Erkrankun-
              Spital Thurgau (und ihre Schwestergesellschaften)      gen und Bedürfnisse von betagten Patientinnen
              plant, baut, unterhält und betreibt, forderte auch     und Patienten ausgerichtet ist. Wir zeigen ein paar
              die Nutzer (Kliniken, Fachbereiche, Spezialange-       davon in diesem Jahresbericht etwas detaillierter
              bote) erneut stark. Das Projekt PathoE3 (Neubau        auf.
              der Pathologie im KSM), das neue Bewohnerhaus
              im Pflegeheim St. Katharinental und der Umbau          Der steigende Anteil in der Altersmedizin verän-
              für die Innere Medizin im Klostergebäude Kan-          dert die Herausforderungen in der Spital Thurgau
              tonsspital Münsterlingen (Onkologie, Zytostatika-      seit Jahren, da sie medizinisch meist komplexer
              Labor) und die laufenden Umbauten für die Häu-         und anspruchsvoller sind (viele parallele Erkran-
              ser U und K in der Psychiatrischen Klinik wurden       kungen, allgemein eher fragiler und dadurch
              abgeschlossen oder sind auf gutem Weg (Ab-             auch weniger rasch rekonvaleszent). Das spüren

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Geschäftsbericht 2018 2016 - Spital Thurgau AG


die Mitarbeitenden direkt. Der Anteil an Fällen mit      technik (Ausrüstung und Verbrauchsmaterialien).
Demenz-Einschränkungen ist in diesem Segment             Das ist auch für das Geschäftsjahr 2019 so ange-
zudem deutlich höher, was zusätzliche Anforde-           kündigt. Selbstverständlich sollen die medizinische
rungen an die Bau-Gestaltung der Spitäler stellt.        Qualität und die Services trotzdem möglichst un-
Durch den höheren Aufwand bei meist gleichem,            vermindert auf dem heutigen, hohen Niveau blei-
d.h. durchschnittlichem Tarif nach SwissDRG sind         ben. Neubauten und gezielte medizinische Inves-
Patientinnen und Patienten der Altersmedizin             titionen, aber auch der weiter optimierte Einsatz
finan­ziell weniger attraktiv. Das heisst, der Patien-   unserer Mitarbeitenden (Effizienz) standen des-
tenmix wird mit zunehmendem Altersdurchschnitt           halb schon 2018 im Vordergrund, und dieses Ziel
für die finanzielle Führung des Spitals schwieriger.     hat auch 2019 Priorität. Diese strategische Aus-
Als Zentrumsspital kann die Spital Thurgau aber          richtung, die konsequente und sorgfältige Umset-
nicht aussuchen – die meisten Fälle kommen so-           zung und nicht zuletzt die sehr erfreulichen Ergeb-
wieso als Notfälle. Schön und für unsere Mitarbei-       nisse der letzten Jahre in der thurmed Gruppe
tenden wertvoll ist hingegen: Alterspatienten sind       wurden bereits 2018 in der Branche sehr wohl
tendenziell dankbarer für gute Leistungen und            wahrgenommen und anerkannt – speziell ausser-
sorgfältige Betreuung, und sie sagen das auch.           halb des Kantons Thurgau. Deshalb wollen, ja
Die portraitierten Beispiele in diesem Geschäfts-        müssen wir kontinuierlich in die Zukunft der Spital-
bericht sind daher typisch. Wir gehen davon aus,         versorgung der Region investieren, und wir kön-
dass der Trend zu steigender Zahl an anspruchs-          nen es auch – inhaltlich, organisatorisch wie finan­
vollen Fällen der Altersmedizin auch in den nächs-       ziell. Und wir sind überzeugt, dass wir so auch in
ten Jahren weitergeht. Deshalb richten wir die           Zukunft gute Ergebnisse abliefern werden.
medizinischen Angebote, die Fort- und Weiterbil-
dung der Mitarbeitenden, die Um- und Neubau-             Allen Mitarbeitenden der Spital Thurgau wie auch
ten sowie die internen Prozesse (medizinische            den unterstützenden Behörden und allen Fach­
Pfade in D ­ iagnostik und Behandlung) immer stär-       gre­mien danken wir ganz herzlich für ihren uner-
ker auf diese wichtige Patientengruppe aus.              müdlichen Einsatz und ihre ausserordentlich kom-
                                                         petenten Leistungen im Geschäftsjahr 2018.  ❚
Ausblick
Die grossen Herausforderungen im Schweizer
­Spitalwesen bleiben und werden noch härter –
 meist via Tarifreduktionen für gleiche Leistungen
 bei gleichzeitig höheren Kosten für die Medizin-

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Geschäftsbericht 2018 2016 - Spital Thurgau AG
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Geschäftsbericht 2018 2016 - Spital Thurgau AG


Ältere Patienten im Akutspital

von Prof. Dr. med. Markus Röthlin, Chefarzt Chirurgie Kantonsspital Münsterlingen,
Dr. med. Jacques Schaefer, Leitender Arzt Akutgeriatrie Spital Thurgau,
und Prof. Dr. med. Ralf Zettl, Chefarzt Orthopädie & Traumatologie Kantonsspital Frauenfeld

Ä
         ltere Patienten stellen ganz besondere          Die rechtzeitige Identifikation eines geriatrischen
         Anforderungen an die Behandlungspro-            Risikoprofils ermöglicht eine frühzeitige Einleitung
         zesse, die Ausbildungen und Fähigkeiten         geeigneter medizinischer, pflegerischer, thera-
aller medizinisch tätigen Mitarbeitenden und             peutischer oder sozialmedizinischer Massnahmen
auch betreffend Zusatzaufgaben wie z. B. Sozial-         und damit eine effektive und signifikante Verbes-
dienste, Transporte, bauliche Voraussetzungen            serung der Prognose betagter Patienten. Seit M ­ itte
usw. Im Akutspital, wo sehr viele Leistungen in          2015 bietet die Spital Thurgau diese meist ambu-
relativ kurzer Zeit erbracht werden müssen, sind         lante Dienstleistung mit stetig wachsender Nach-
die resultierenden Herausforderungen besonders           frage an. Interviewt man die dort behandelten
gross – medizinisch wie organisatorisch. Dies gilt       Patienten nach ihren Zielvorstellungen, äussern
besonders für die Notaufnahme. In der Literatur          sie in erster Linie den Wunsch, selbstständig zu
gilt heute: Der Anteil für über 75-jährige Notfall-      bleiben und wieder nach Hause zurückkehren zu
patienten liegt zwischen 12 und 21%. In der Spital       können. Zugleich wollen sie, dass sie möglichst nur
Thurgau liegt dieser Anteil schon heute am obe-          so wenig wie nötig, oder am besten gar nicht, auf
ren Ende dieser Spanne.                                  pflegerische Unterstützung angewiesen sind.

Was charakterisiert ältere Patienten                     Diese gesellschaftlichen Veränderungen wirken
aus der Sicht des Spitals?                               sich auf alle Bereiche und alle Standorte der ­Spital
Ältere Patienten sind im Regelfall multimorbide,         Thurgau aus. Hier sollen ein paar wesentliche
weisen eine höhere Erkrankungsschwere auf und            ­A spekte aus dem Bereich Akutmedizin näher
benötigen deshalb mehr Ressourcen. Der Zugang             ­beleuchtet werden. Dabei sollte nicht verschwie-
zu ambulanten Versorgungsstrukturen ist ihnen              gen werden, dass mit dem Trend, immer ältere
aufgrund der komplexen sozialen Lebenssituation            Menschen komplex zu behandeln und/oder zu
häufig erschwert. Vielfach leiden sie an einem             operieren, ganz zwangsläufig die Rate der Kom-
oder mehreren geriatrischen Syndromen wie Im-              plikationen ansteigt.
mobilität, mit oder ohne Stürze, akuten oder chro-
nischen kognitiven Einschränkungen, psychischen          Geriatrie und Innere Medizin
Erkrankungen wie Depressionen oder Angststö-             Unter den geriatrischen «Riesen», die in ganz be-
rungen oder Urininkontinenz. Bleiben diese geria­        sonderer Weise für Patient, Angehörige wie auch
trischen Syndrome unerkannt, kommt es in der             Spital – speziell in den Kliniken für Innere Medizin
Folge nicht selten zu weiter zunehmenden funk­           und Geriatrie – und behandelnde Mitarbeiter eine
tionellen Einschränkungen bis hin zu einer erhöh-        Herausforderung darstellt, ist das Delir zu nennen.
ten Mortalität.                                          Dabei handelt es sich typischerweise um eine

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Geschäftsbericht 2018 2016 - Spital Thurgau AG
SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2018

              plötzlich einsetzende Kognitions- und Verhaltens-       höhtem Sturzrisiko, Malnutrition und Sarkopenie,
              störung, die durch einen fluktuierenden Symptom-        häufig vorliegende sensorische Defizite (Hör- und
              verlauf mit Phasen von gesteigertem, aber auch          Sehverminderung), sein eingeschränktes Selbsthil-
              reduziertem Antrieb charakterisiert ist, bei dem        fevermögen (Selbsthilfedefizit) sowie die zumeist
              der Betroffene unter einer beeinträchtigten Auf-        bestehende Polymedikation und etwaige Vor­
              merksamkeits- und Bewusstseinslage leidet, von          operationen müssen bei der Planung, der Durch­
              hyperalert bis kaum erweckbar. Der Patient im-          führung und der Nachbetreuung berücksichtigt
              poniert durch ein ängstlich-erregtes Auftreten,         werden. Dabei stellen Patienten aus Pflege­insti­tu­
              kann aber ebenso stumm-depressiv wirken, ag-            tionen infolge ihrer Defizite im Bereich von Mobili-
              gressiv-übergriffig oder passiv-duldsam. Wichtig        tät und Kognition sowie der häufig vorliegenden
              ist es in jedem Fall, die teils sehr unterschiedliche   Gebrechlichkeit bis hin zur Pflegebedürftigkeit
              Symptomatik dieses Syndroms zu erkennen und             meist eine Hochrisiko-Gruppe dar.
              nach möglichen Auslösern zu forschen. Beruhi-
              gende Medikamente oder – ebenso wichtig –               Konsequenterweise ist heute, speziell aber in
              nicht medikamentöse Massnahmen, die idealer-            ­Zukunft, ein Umdenken in der (Bauch-)Chirurgie
              weise schon vor Auftreten eines Delirs Anwendung         unbedingt nötig und in der Spital Thurgau auch
              finden, helfen dabei. Ganz generell benötigen            im Gange. Ein erster Schritt sollte darin bestehen,
              diese Menschen deutlich höhere pflegerische,             dass alle Ärzte der Behandlungskette künftig d­ arin
              therapeutische, kommunikative und sozialmedi-            zusammenarbeiten müssen, bei älteren Patienten
              zinische Behandlungsqualitäten, welche auf eine          frühzeitig die Diagnose und/oder die Operations-
              wesentliche Ressource angewiesen sind: Zeit! Ge-         indikation zu stellen, um notfallmässige operative
              nau dieser Faktor Zeit ist es aber, den ein moder-       Eingriffe möglichst vermeiden zu können. Ist die
              nes Spital heutzutage ökonomisch unter Druck             Indikation für eine Operation einmal gestellt, müs-
              setzt und damit die gewünschte Behandlungs-              sen die Patienten im Rahmen einer gesamtheitli-
              qualität bedroht.                                        chen Abklärung unter Einbezug von Anästhesis-
                                                                       ten, Geriatern bzw. Internisten, gegebenenfalls
              Chirurgie, speziell Bauchchirurgie                       auch Ernährungsberatung und Physiotherapie,
              Der geriatrische Patient fordert sowohl im prä- als      für den Eingriff vorbereitet werden. Die Erwartun-
              auch postoperativen Management wie auch der              gen eines betagten Patienten an das Ergebnis
              Operation selbst eine besondere Herangehens-             einer Operation unterscheiden sich häufig von
              weise. Vor allem seine Vor- und Begleiterkrankun-        denen eines jungen Menschen, was im präope-
              gen, inklusive demenzieller Syndrome wie oben            rativen Aufklärungsgespräch in Erfahrung ge-
              beschrieben, aber auch Mobilitätsdefizite mit er-        bracht und das entsprechende Operationsziel an

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 diesen Vorstellungen ausgerichtet sein sollte. Bei-   speziellen Narkosetechniken konnte bei den
 spielsweise geben die Betroffenen häufig an, lie-     ­Patienten eine relevante Reduktion von Kompli­
 ber an den Folgen einer Komplikation sterben zu        ka­tionen wie Lungenembolien, Herzinfarkten und
 wollen, als die selbstständige Lebensführung auf-      Pneumonien und damit eine klare Verbesserung
 geben zu müssen. Derartige Erwartungen und             ihrer Prognose erreicht werden.
 Aussagen sollten im Therapieplan berücksichtigt
 und besprochen werden. Ein nächster wichtiger         Alterstraumatologie
 Schritt ist die bestmögliche physische Vorberei-      Eine Subspezialisierung, die sich in den letzten
 tung des Patienten auf seine Operation, die soge­     20 Jahren aus der Orthopädie bzw. Traumatologie
 nannte «Prähabilitation». Diese umfasst ein auf       entwickelt hat und die uns zunehmend heraus-
 den Patienten individuell angepasstes, im besten      fordert, ist die sogenannte Geronto- oder Alters-
 Fall durch Physiotherapie angeleitetes, mildes        traumatologie: Unfallchirurgie beim alten Men-
 körperliches Training, die Einnahme immun­            schen bedeutet fast immer Mehraufwand und
 modulierender Zusatzernährung, eine akribische        benötigt eine eigene, ganz spezielle Aufmerksam-
 Zucker­ e instellung, Nikotinabstinenz sowie ein      keit. Auch die Nomenklatur hat sich geändert,
 Medi­kamenten-Check-up zur Verringerung einer         man spricht z. B. von Fragilitätsfrakturen und ent-
­bestehenden Polymedikation.                           wickelt neue Klassifikationen.

Die häufigsten Bauchoperationen im Alter sind          Mittlerweile ist die Wirbelkörperfraktur der häufigs-
die Leistenbruchoperationen, gefolgt von Dick-         te Knochenbruch des alten Menschen. Becken-
darmoperationen, zumeist wegen Darmtumoren,            brüche, die man noch vor 20 Jahren als Hoch­
sowie Gallenblasenentfernungen wegen Stein­            rasanzverletzungen des jungen Menschen kann-
leiden. Während die Leistenbrüche mit einem            te, sind jetzt alltägliche Verletzungen des betag-
vergleichsweise kleinen Aufwand für Chirurg und        ten Patienten. Oberstes Behandlungsziel ist immer,
Patient behoben (saniert) und Gallenblasen prak-       die grösstmögliche Selbstständigkeit beim Pa­
tisch immer laparoskopisch, also minimal invasiv       tienten wieder zu erreichen, im Regelfall also des-
entfernt werden können, stellen die Dickdarm-          sen Rückkehr in die häusliche Umgebung. Die
operationen eine Herausforderung für die Patien-       Entwicklung moderner Operationsverfahren, ins-
ten dieser Altersgruppe dar. Durch die Einführung      besondere der minimalinvasiven Operationstech-
der ERAS-Nachbehandlung (Enhanced Re­covery            niken, aber auch neue Implantate und endopro-
After Surgery), mit baldigem Beginn einer post-        thetische Verfahren haben einen wesentlichen
operativen Ernährung, früher Mobilisation, be-         Beitrag dazu leisten können. Osteoporotischer
grenzter perioperativer Flüssigkeitszufuhr sowie       Knochen heilt zwar auch, er benötigt dazu aber

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wesentlich mehr Zeit – die der geriatrische Patient   ge Rückkehr der Patienten in die Selbstständigkeit
nicht hat. Durch Immobilität oder Ruhigstellung,      zu erreichen.
im schlimmsten Fall Bettlägerigkeit, verschlechtern
sich Osteoporose und Sarkopenie, so dass die          Die Spital Thurgau will sich klar die nötige Zeit neh-
Rückkehr zu den Alltagsaktivitäten gefährdet ist.     men, um die erwartete Qualität für die Patientin-
Es muss also immer ein Zustand angestrebt wer-        nen und Patienten auch sorgfältig zu erbringen.
den, in dem eine sofortige Mobilität mit Vollbelas­   Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der geriat-
tung möglich ist. Die Einführung winkelstabiler       rischen Versorgung ist eine neue, spezialisierte
Implantate, zementaugmentierter Operationsver-        ambulante Versorgungsstruktur, das Assessment-
fahren und Frakturprothetik an Schulter-, Ellenbo-    und Triage-Zentrum Geriatrie (ATZ). Dieses operiert
gen-, Hüft- und Kniegelenk ermöglicht dies in         in erster Linie am Standort Münsterlingen, steht
vielen Fällen.                                        aber allen Gesundheitsbetrieben inner- und aus-
                                                      serhalb der Spital Thurgau als Ansprech- und Be-
Konsequenzen für Spital und Gesellschaft              ratungspartner für ärztlich-pflegerische Fragen
Der Behandlungsprozess für betagte Menschen           rund um betagte Menschen zur Verfügung.
erfordert immer ein Teamwork: Von der Aufnahme
über die Akutversorung und der Rehabilitation bis     Alle (berechtigten) Erwartungen betagter Men-
zur Rückkehr nach Hause braucht es neben dem          schen umzusetzen und weiterzuentwickeln, erfor-
Chirurgen oder Traumatologen den Anästhesisten        dert nicht nur Forschungsanstrengungen, sondern
und meistens die ärztlichen Spezialisten aus Inne-    stellt auch Ansprüche an die Gesundheits-Politik.
rer Medizin/Geriatrie, Neurologie und Psychiatrie     Die Aufwendungen für ältere Menschen sind meist
sowie der Rehabilitationsmedizin. Eine früh begin-    deutlich höher als für jüngere, was heute höchs-
nende rehabilitativ orientierte Behandlung be­        tens teilweise durch die Tarifsysteme abgedeckt
nötigt zudem den Einsatz von Physio- und Ergo-        wird. Gleichzeitig können aber durch den Erhalt
therapie, während der Sozialdienst vor und            der Selbstständigkeit von älteren Patienten be­
­während der gesamten Behandlung ein wich-            ziehungsweise die Vermeidung ihrer Pflegebe­
 tiger Ansprechpartner ist. Zusammen mit den          dürftigkeit für die Gesellschaft und das Gesund-
 Hausärzten wird durch Standardprozeduren ein         heitswesen über viele Jahre weitreichende Kosten
 individuell abgestimmter Behandlungsalgorith-        ­erspart werden. Das stärkt auch die soziale Part­
 mus ent­wickelt mit dem Ziel, durch einen mög-        ner­­schaft über die Generationen.             ❚
 lichst kurzen Spitalaufenthalt mit einer nachge-
 schalteten geriatrischen Rehabilitation die baldi-

11
Demenz, Delir, Fragilität usw.:
Betagte Menschen sind oft auch
psychiatrisch belastet
von Dr. med. Martin Peterson, Leitender Arzt Konsil- & Liaisondienst Alterspsychiatrie,
Dr. biol. hum. Ralf-Peter Gebhardt, Klinikleiter Ambulante Erwachsenenpsychiatrie,
und PD Dr. med. Dipl. Psych. Gerhard Dammann, Spitaldirektor Psychiatrische Dienste Thurgau

A
         lte Menschen haben leider zunehmend            siliarisch im Seniorenheim aufsuche und die bereits
         oft auch psychiatrische oder neurolo-          vereinbarten Termine in der Memory Clinic da-
         gisch-psychiatrische Diagnosen – häufig        nach allenfalls wieder streiche. Bei dem folgenden
auch in Kombination mit rein geriatrischen oder         Besuch im Heim traf er eine sehr freundliche,
sonstigen akuten Krankheitsbildern. Kompliziert         ­r üstige Frau an. Es gehe ihr sehr gut im Heim, alle
werden sie durch viele soziale Faktoren, weil alte       würden sich liebevoll um sie kümmern. Umso mehr
Menschen in der heutigen Gesellschaft nicht              irritiere sie dieser Besuch. Mehrmals fragte sie: «Wer
mehr (ausschliesslich) zu Hause im gewohnten             hat Sie geschickt? Ich bin doch nicht verrückt!»
Umfeld getragen und betreut werden können. Da            Arzt und Patientin sprachen dann über das Älter-
kommen diverse wertvolle und spezifische An­             werden und die Möglichkeit, Hilfe in Anspruch zu
gebote der Psychiatrischen Dienste Thurgau ins           nehmen, wenn man nicht mehr alles selbst erledi-
Spiel – natürlich in medizinisch bewährter und           gen kann. «Mein Sohn kümmert sich um meine
lange erprobter Absprache und Kombination mit            Finanzen. Und wenn er das nicht mehr machen
den Akuthäusern und der Rehabilitation in der            will, dann frage ich halt bei der Pro Senectute
Spital Thurgau.                                          nach.» Bei der Patientin bestanden offensichtlich
                                                         kognitive Defizite, insgesamt schien es ihr aber gut
Eine interne Zuweisung von Frau Dr. Nibal Ackl,          zu gehen. In Anbetracht der Vorgeschichte – mitt-
therapeutische Leitung der Memory Clinic: «Frau          lerweile war auch bekannt, dass die KESB einge-
S. hat eine beginnende Demenz bei Alzheimer-             schaltet worden war, da sich die Kinder über die
krankheit. Sie ist bezüglich Entscheidung, wer ihre      Versorgung der Mutter stritten – wurde eine voll-
Finanzen regeln soll, urteilsfähig.» Die 92-jährige      ständige Demenzabklärung in der Memory Clinic
Patientin Frau S. wurde vor zwei Monaten in der          zum Wohle der Patientin als sinnvoll beurteilt. Eine
Memory Clinic zur Demenzabklärung angemel-               ambulante Therapie half ihr weiter, die familien-
det. Laut dem zuweisenden Hausarzt gäbe es               internen Probleme blieben allerdings.
Konflikte in der Familie, und die Überprüfung der
Kognition sei in diesem Zusammenhang sehr wich-         Eine andere, leider typische mögliche Facette
tig. Bei hochbetagten Patienten fragen sich unse-       des Altwerdens: Frau Dr. Corinna Stöckel, thera-
re Spezialisten zuerst immer, ob eine ausführliche      peutische Leiterin der Alterstagesklinik (ATK) in
Demenzabklärung über 2–3 Termine mit Neuro-             Weinfelden, sagt: «Herr M. ist aus der Tagesklinik
psychologischer Testung, körperlicher Untersu-          ausgetreten, es geht ihm gut.» Herr M., 62 Jahre
chung, zerebraler Bildgebung und Labor zumutbar         alt, ein schwieriger Fall. Vor über einem Jahr wur-
und sinnvoll ist. In diesem Fall wurde zuerst verein-   de er auf der Station für Akutpsychiatrie im höhe-
bart, dass Dr. Peterson die Patientin zunächst kon-     ren Lebensalter aufgenommen. Er war schwer

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SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2018

              depressiv und wollte nicht mehr leben. Die weite-       begleitete ihn und seine Ehefrau seit Diagnose-
              re Behandlung war eine lange Odyssee. Nach              stellung zu Hause. Leider war die Demenz uner-
              ausreichender Stabilisierung führte er die Behand-      wartet rasch fortschreitend. In enger Zusammen-
              lung auf der Station für Psychotherapie im höhe-        arbeit mit Hausarzt und Spitex hat sich Frau ­Kessler
              ren Lebensalter fort. Nach einer erneuten suizida-      intensiv um das Ehepaar gekümmert und die
              len Krise, die auf der Station bewältigt werden         Versorgung der sich rasch ändernden Bedürfnis-
              konnte, war er im Verlauf schliesslich so weit, dass    se angepasst. Die Aufnahme auf der Station für
              er seine Behandlung in der Alterstagesklinik fort-      Neurokognitive Störungen war leider nicht zu ver-
              setzen konnte. In enger Vernetzung mit unserem          meiden. Frau L. hatte grosse Angst, weshalb wir
              aufsuchend arbeitenden Team Intensive Case              im Vorfeld mit dem Leitenden Arzt des Assess-
              Management (ICM) und dem ambulant tätigen               ment- und Triage-Zentrums (ATZ) Kontakt aufnah-
              Psychiater wurde Herr M. begleitet. Eine erneute        men und auch eine eventuelle Behandlung in der
              suizidale Krise folgte, Herr M. wurde wieder auf        Geriatrie des Kantonsspitals Münsterlingen disku-
              die Akutstation verlegt. Zum Glück trat er freiwillig   tierten. Dies war aufgrund einer akuten Eigen- und
              ein und man konnte ihm die sonst erforderlich           Fremdgefährdung beim bestehenden Delir letzt-
              gewesene fürsorgerische Unterbringung gegen             endlich nicht möglich. Frau L. und ihr Mann muss-
              seine Willen ersparen. Herr M. war ein Risikopatient    ten sich also auf die Psychiatrische Klinik Münster-
              und das Thema Suizidalität stand ganz oben im           lingen einlassen – die Bedenken von Frau L.
              Behandlungsplan. Die anschliessende Behand-             ­konnten während der Behandlung zum Glück
              lung in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen         entkräftet werden. Der in den Gesprächen zwi-
              und danach in der Alterstagesklinik war dann             schen Ehefrau, Patient und Teammitgliedern of-
              geprägt von deutlichen Fortschritten. Das ganze          fene Umgang mit den Ängsten und Vorurteilen
              Team freute sich und war deutlich erleichtert und        gegenüber der Psychiatrie konnte die Hemm-
              auch mit etwas Stolz über die integrierte Leistung       schwelle nehmen.
              der Teams im Altersbereich erfüllt.
                                                                      Natürlich gibt es nicht nur Erfolgsgeschichten. Es
              Ein weiteres Beispiel kam von Simone Kessler, De-       gibt immer wieder Fälle, die traurig machen, frus-
              menzberatung in Weinfelden: «Herr L. wurde ges-         trierende Gefühle aufkommen lassen und Fragen
              tern auf der Station für Neurokognitive Störungen       hinterlassen. So geht es allen Kollegen im Alters-
              aufgenommen. Er hat ein Delir, ich habs der Ehe-        bereich. Alt werden ist nun mal nicht immer schön
              frau gut erklären können.» Bei Herrn L. wurde letz-     und einfach – und es gibt sehr viele schwierige
              tes Jahr in der Memory Clinic eine Demenz bei           und komplexe Facetten davon. Deshalb ist der
              Alzheimerkrankheit diagnostiziert. Frau Kessler         regelmässige Austausch im Kompetenzbereich

14


Alter, der ja alle stationären und ambulanten             morbiden Patienten, die eine alterspsychiatrische
­alterspsychiatrischen Angebote in sich vereint,          Behandlung brauchen. Dazu ist sicher weiter eine
 so wichtig. So kann eine qualitativ hochwertige          gute Zusammenarbeit mit der Geriatrie und den
 ­a lterspsychiatrische Behandlungs- und Versor-          Hausärzten nötig, aber Netzwerkarbeit ist ja unser
  gungskette sichergestellt werden, in der Spital         täglich Brot und spezielles Können. Und natürlich
  Thurgau zusätzlich intern systematisch integriert       muss das Angebot weiterhin interdisziplinär sein,
  mit der Akutmedizin und der Rehabilitation. Das         die guten Erfahrungen mit der psychiatrischen
  ist schon fast einzigartig in der Schweiz, sehr wert-   Pflege im Konsiliar- und Liaisondienst lassen da
  voll und inzwischen auch breit anerkannt.               keine Zweifel aufkommen.

Akzente für das Jahr 2019                                 Im Zuge der Umsetzung des Geriatrie- und De-
Das kommende Jahr wird im Altersbereich der               menzkonzeptes des Kantons Thurgau von 2016,
Psychiatrischen Dienste Thurgau mit Spannung              welches inzwischen schon Vorbildcharakter für
erwartet. Im Sommer wird das Haus K fertig sein,          viele Kantone hat, sehen wir eine zunehmende
und die Umzüge der Station für Neurokognitive             Verbesserung der Versorgung der Menschen mit
Störungen und der Station für Psychotherapie im           Demenz und deren Angehörigen im Kanton. Aber
höheren Lebensalter werden erfolgen. Ein High-            die Alterspsychiatrie kümmert sich ja nicht nur um
light wird sicherlich der Garten des Hauses K sein.       die Menschen mit Demenz, auch im Alter gibt es
Dieser wird den Menschen mit Demenz frei zu-              Angsterkrankungen, Depressionen, Schizophreni-
gänglich sein und dementsprechende Vorausset-             en oder Abhängigkeitserkrankungen. Das Fach-
zungen bieten. Rundwege werden bei der Orien-             wissen über diese anderen Erkrankungen ist in
tierung helfen und gleichzeitig eine wichtige             den Alters- und Pflegeheimen leider nicht selten
Eingrenzung vor dem Weglaufen bieten. Ange-               unzureichend, was zu Unsicherheiten, Ängsten
hörige haben dann auch die Möglichkeit, Zeit mit          und Ablehnung gegenüber den betroffenen
ihren Müttern, Vätern, Partnern u. a. in einer ent-       Menschen führen kann. Hier besteht eine grosse
spannten Atmosphäre ausserhalb der Station zu             gesellschaftliche Herausforderung und ein Auf-
verbringen.                                               trag für eine gut integrierte, breit abgestützte
                                                          Spitalgruppe wie die Spital Thurgau, und dort
Natürlich gilt auch bei der Psychiatrie soweit wie        ­speziell für die Alterspsychiatrie.             ❚
möglich: ambulant vor stationär. Deshalb soll z. B.
auch das aufsuchende Angebot weiter ausge-
baut werden. Das ist und bleibt eine grosse Her-
ausforderung, gerade bei hochbetagten multi-

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▲▲ Dies ist der Beispieltext für eine Bildlegende.
   Sie läuft immer nur über zwei Zeilen.


Postakute Behandlung
von B
    ­ etagten: Rehabilitation
und Langzeitpflege

von Ulrike Beckmann, Pflegedirektorin, und Ruth Alfert, Bereichsleiterin Pflege Klinik St. Katharinental

N
         ach der geriatrischen Abklärung im                 Assessment, koordinierte interdisziplinäre Team­
         A ssessment- und Triage-Zentrum, der
         ­                                                  arbeit, Einbezug des sozialen Umfelds, Austritts­
         möglichst ambulanten weiterführenden               planung) im Kontext der Rehabilitation an».
Behandlung beim Hausarzt und/oder dem statio­
nären Aufenthalt im Spital, welche in den vorher-           Die Behandlung und Betreuung der geriatrischen
gehenden Artikeln beschrieben wurden, folgt sehr            Patienten findet primär bei komplexeren und
oft ein weiteres, ganz wichtiges Element in der             auch anspruchsvollen Fällen statt, wo eine signi-
Behandlungskette von betagten Patientinnen und              fikante Verbesserung der oben genannten Ziele
Patienten: die geriatrische Rehabilitation. Eben-           absehbar erreicht werden kann. Beim Eintritt, re-
falls wichtige weiterführende Glieder, dann auch            spektive bereits in den vorbehandelnden Kliniken
mit längerer Betreuungsdauer, sind die Pflegehei-           der Spital Thurgau, werden mittels eines struktu-
me. Die Spital Thurgau ist in allen zentralen Teilen        rierten geriatrischen Assessments Fähigkeiten und
der gesamten möglichen und auch w    ­ irkungs­vollen       Einschränkungen in Kognition, Mobilität, Emotion
Behandlungskette mit eigenen Angeboten prä-                 und Ernährungszustand und die soziale Situation
sent und kennt somit auch die Krankengeschich-              erhoben und dann gezielt therapiert – es geht
te, die wichtigen persönlichen ­Aspekte und das             deshalb nicht nur um eine spezifische Bearbeitung
Umfeld sowie die sinnvollen Behandlungsschritte             eines Problems, sondern um die gleichzeitige Ver-
und Prognosen vieler Patientinnen und Patienten             besserung des Allgemeinzustandes und die Befä-
aus der Region sehr genau.                                  higung, das Leben soweit möglich wieder selbst-
                                                            ständig und zu Hause weiterführen zu können.
Die geriatrische Rehabilitation ist ein relativ neu
anerkanntes Instrument in der Behandlung von                Belastbarkeit, Ausdauer und die Sicherung der
älteren Patientinnen und Patienten. Gemäss H+,              kognitiven Fähigkeiten sind zentrale Ziele und er-
dem Branchenverband der Spitäler, befasst sie               fordern unter Umständen einen behutsamen Auf-
sich «mit dem Bearbeiten von Behinderung und                bau. Dazu sind ganz verschiedene gut koordinier-
Funktionsfähigkeit auf den von der WHO erarbei-             te Fachleute im Team nötig: Facharzt Geriatrie,
teten Grundlagen und Klassifizierungen (ICF) im             Therapeutischer Dienst inkl. Ergotherapie, Pflege-
Hinblick auf die Rückgewinnung, Stabilisierung              dienst, Sozialberatung, Psychologischer/Psychia-
und (Wieder-)Befähigung zur möglichst selbststän-           trischer Dienst, Logopädie, Ernährungsberatung
digen Lebensführung geriatrischer Patienten. Sta-           und allenfalls weitere.
tionäre geriatrische Rehabilitation ist ein Teil der
geriatrischen Medizin. Sie wendet die spezifischen          In der Regel beträgt die Aufenthaltsdauer der
geriatrischen Prozesse (insbesondere geriatrisches          Patienten in der geriatrischen Rehabilitation drei

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SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2018

              bis vier Wochen – eine Zeit, in der sich die Patien-    an. Die Spital Thurgau betreibt mit der Langzeit-
              ten nicht selten grundlegende Gedanken über             pflege in der Klinik St. Katharinental – neben der
              ihr weiteres Leben machen müssen. Die Ver-              geriatrischen Rehabilitation für alle Einwohner der
              schlechterung einer chronischen Erkrankung, die         Region Thurgau – ein Pflegeheim für die Region
              Folgen eines Sturzes, einer Operation oder eine         Diessenhofen. Hier ein kleiner Tagesreport aus
              fortschreitende Demenz können die Rückkehr in           dem Leben von Frau B. an diesem schönen und
              die häusliche Umgebung erschweren oder gar              fachlich sehr kompetenten Ort:
              verunmöglichen. Das Zuhause verlassen zu müs-
              sen, ist für viele Patienten eine sehr schwere Ent-     Nach einem Sturz zu Hause mit einer Femurfraktur
              scheidung, vor allem wenn sie unerwartet getrof-        konnte Frau B. nach dem Aufenthalt im Akutspital
              fen werden muss. Familiengespräche mit den              und der anschliessenden Rehabilitation nicht
              Mitarbeitenden der verschiedenen Fachbereiche           mehr nach Hause zurück. Glücklicherweise, und
              des Behandlungsteams sollen dem Patienten und           auch gut darauf vorbereitet, hat Frau B. den
              auch den Angehörigen Ängste und Sorgen neh-             Wechsel von ihrem Zuhause in die Langzeitpflege
              men. Nur so kann sich der Patient bewusst und           angenommen und akzeptiert. Ihren Humor und
              unter Berücksichtigung der aktuellen Situation          ihre positive Einstellung hat sie bewahrt.
              entscheiden.
                                                                      Ihr Tag beginnt morgens gegen 8 Uhr, da sie ger-
              Danach beginnen die Vorbereitungen für die Zeit         ne etwas länger schläft. Sie winkt und begrüsst
              nach der Rehabilitation sowie die Organisation          die Pflegende fröhlich und freut sich auf ihr Früh-
              externer Hilfen, die Suche nach einem Platz in          stück, das sie am liebsten noch im Bett geniesst.
              einem Pflegeheim, die Weiterführung physiothe-          Dabei kann sie direkt auf den Rhein schauen.
              rapeutischer Massnahmen, die Organisation von           Dieser Blick ist für sie so schön, dass sie manchmal
              Hilfsmitteln. Wichtig dabei ist die fortlaufende        ganz versunken die Zeit vergisst.
              ­Information, um den Patienten die Sicherheit zu
               geben, dass für die Zeit nach ihrem Austritt ge-       Nach dem Frühstück unterstützt sie eine Pflege-
               sorgt ist.                                             kraft bei der Körperpflege. Sie unterhält sich in
                                                                      dieser Zeit immer angeregt mit den Pflegenden
              Langzeitabteilung in der Klinik St. Katharinental       über verschiedene Themen und ist für jede Hilfe
              Falls eine Patientin oder ein Patient auch mit gross-   sehr dankbar. Der Höhepunkt ist das Pflegebad
              zügiger Unterstützung durch ambulante Dienste           einmal in der Woche auf einer speziellen Bade-
              wie Spitex nicht mehr zu Hause leben kann, bietet       liege. Im warmen Wasser kann sie sich entspannen
              sich das Pflegeheim als weiteres Glied in der K­ ette   und das geniesst sie sehr. Sie verbringt den restli-

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chen Vormittag bei den Heimbewohnerinnen im            im Gegenteil. Mit ein wenig Rücksichtnahme von
Aufenthaltsraum. Bei trockener Witterung freut sie     beiden Seiten fühlt sie sich nicht allein und hat
sich, wenn eine Pflegeperson mit ihr eine Fahrt        eine Gesprächspartnerin. Jeden Samstag be-
mit ihrem Rollstuhl an der frischen Luft unternimmt.   kommt sie Besuch von ihrem Sohn. An diesem Tag
Da stört sie weder Hitze noch Kälte, sie meint         achtet sie dann ganz besonders auf ihr Äusseres.
dann: «Man muss sich nur richtig anziehen.» So-        Für sie ist es jede Woche wieder ein besonderer
wieso ist sie am liebsten draussen. Dann bleibt sie    Tag.
auch gerne einmal für eine Stunde unter den
grossen Kastanien vor dem Klostergebäude im            Frau B. wählt die Wunschkost immer für eine Wo-
Liegerollstuhl alleine. Verschmitzt und auf ihre       che im Voraus aus. Meistens weiss sie dann nicht
­humorvolle Art sagt sie: «Ihr werdet mich schon       mehr, was sie bestellt hat. Sie sagt dann: «Ist alles
 nicht vergessen.»                                     recht, was kommt.» Gegen 20 Uhr helfen ihr die
                                                       Pflegenden bei der Abendtoilette und lagern Frau
Gegen halb zwölf freut sie sich auf das Mittages-      B. bequem für die Nacht. Oft schläft sie dann mit
sen. Am Nachmittag, nach einem Mittagsschlaf           ihren Kopfhörern und laufendem Fernseher ein.
im Liegerollstuhl, bekommt sie regelmässig Besuch      Die Pflegende im Nachtdienst nimmt ihr die Kopf-
von einer Mitarbeiterin unseres IDEM-Dienstes. Für     hörer ab, stellt den Fernseher aus und löscht das
Frau B. eine Abwechslung, auf die sie sich freut.      Licht, nachdem sie Frau B. umgelagert hat. Frau
Die IDEM-Mitarbeiterin überlegt und entscheidet        B. bemerkt das höchstens noch im Halbschlaf. So
gemeinsam mit Frau B., was sie am liebsten unter-      tankt sie Kraft und sicher auch ihre positive Ein-
nehmen möchte. Auch wenn ihre Möglichkeiten            stellung für den nächsten Tag.
eingeschränkt sind, finden sie immer etwas. Wenn
das Wetter mitmacht, wünscht sie sich einen aus-       Fazit
giebigen Spaziergang am Rhein. Bei schlechtem          Geriatrische Rehabilitation und Pflegeheime sind
Wetter nutzen sie die langen Gänge im St. Katha-       ganz wichtige Teile einer guten und fortschrittli-
rinental zum Spazieren oder sie unterhalten sich       chen geriatrischen Versorgung. Im Kanton Thurgau
am Fenster sitzend. Danach ist Frau B. vom Reden       ist dies gegeben und durch das Geriatrie- und
und der frischen Luft zufrieden und erschöpft.         Demenz-Konzept von 2016 auch politisch gut ver-
Dann ist sie froh, wenn die Pflegenden sie mit dem     ankert. Die Spital Thurgau ist der mit Abstand wich-
Patientenheber auf ihr Bett legen. Daran hat sie       tigste Leistungserbringer für Betagte im Kanton. ❚
sich inzwischen so gewöhnt, dass sie aus Spass
von ihrem täglichen Freiflug spricht. Für sie ist es
kein Problem, in einem Zweibettzimmer zu liegen,

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▲▲ Dies ist der Beispieltext für eine Bildlegende.
   Sie läuft immer nur über zwei Zeilen.


Demenzsensibles Bauen
in der Spital Thurgau

von Norbert Vetterli, Spitaldirektor Kantonsspital Frauenfeld, und Alfons Eder, Geschäftsführer thurmed
Immobilien AG

D
        ie demografische Entwicklung bringt es            • Einbindung in die Gesamtarchitektur
        mit sich, dass sich auch die Anforderun-          • keine stigmatisierende Atmosphäre
        gen an die Räume im Spital und deren              • demenzgerechte Lichtgestaltung
Gestaltung in den letzten Jahren und auch zu-             • adäquate Farbkonzepte mit beruhigender
künftig rasch ändern. Rund die Hälfte aller Spital-         Wirkung
patienten sind heute über 65 Jahre alt und weisen         • einprägsame einfache Signaletik und Orientie-
zunehmend entsprechende kognitive Beeinträch-               rungshilfen
tigungen (rund 40% der Patienten) oder demen-             • konzeptionelle Abstimmung auf Aufenthalts-
zielle Symptome (rund 20% der Patienten) auf.               dauer (Akuthaus, Langzeitpflege) usw.
Diese Entwicklung stellt alle Beteiligten vor be-
sondere Herausforderungen, sowohl in medizini-            Daraus leiten sich unterschiedliche Gestaltungs-
scher als auch pflegerischer Sicht. Aber auch die         prinzipien für die Planung und Umsetzung ab:
Patienten selber, deren Angehörige und das be-            • Patientensicherheit muss gewährleistet sein
handelnde Personal sind gefordert. Es liegt auf              (Hinlauftendenz, Selbstverletzung usw.)
der Hand, dass hier optimierte Gesamtkonzepte             • Berücksichtigung der noch vorhandenen Res-
nötig sind, um die Rahmenbedingungen für alle                sourcen und Kompetenzen der Patienten, um
Beteiligten noch sensibler zu erfassen und zu ver-           die Unabhängigkeit zu erhalten oder gar zu för-
bessern.                                                     dern, ohne jedoch zu überfordern, sowie Schaf-
                                                             fen von Bewegungs- und Beschäftigungsanrei-
Demenzgerechte Planungsgrundsätze, Konzept                   zen für sensorische und geistige Anregungen,
und Umsetzung in der Praxis                                  ohne jedoch zu überfordern (Reizüberflutung)
Seit den 90er-Jahren befassen sich spezialisierte         • grundsätzliche Barrierefreiheit
Planer mit der demenzsensiblen Architektur. Die           • vertraute, überschaubare Gestaltung zur För-
grundlegende Bauweise eines Gebäudes leistet                 derung emotionaler Sicherheit
einen wesentlichen Beitrag für diese optimierten          • Ermöglichen von Blickbeziehungen und sozia-
Gesamtkonzepte. Demenzsensibles Bauen ist                    ler Interaktion, wobei immer die Privatsphäre
aber nicht nur ein Optimieren des Raumlayouts,               gewahrt werden muss
sondern deckt eine breite Palette an unterschied-
lichen Anforderungen ab, welche es zu berück-             Es liegt auf der Hand, dass diese zahlreichen Ein-
sichtigen gilt. Insbesondere, wenn der Bereich            flussgrössen nur mit dem entsprechenden Fach-
einer demenzsensiblen Station in ein Gesamthaus           wissen zu einer schlussendlich guten Lösung zu-
integriert werden muss:                                   sammengeführt werden können. Anhand von

21
SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2018

              zwei ausgesuchten Beispielen soll aufgezeigt wer-      es zu berücksichtigen, dass sich das Erinnerungs-
              den, wie diese Komplexität gelöst wurde.               vermögen oft und/oder hauptsächlich auf weiter
                                                                     zurückliegende Erlebnisse bezieht. Dementspre-
              Begegnungszonen und Aufenthaltsräume                   chend können Wandbilder durchaus aus vergan-
              Ein primäres Ziel während des Akuthausaufenthal-       genen Zeiten stammen, an welche sich die Pa­
              tes ist die rasche Mobilisierung der Patienten,        tienten oftmals noch sehr gut erinnern können.
              schliesslich sollen sie auch soweit nötig und mög-     Aufenthaltsräume sollen als räumlicher Anker-
              lich befähigt werden, ihr Leben möglichst wieder       punkt dienen. Eine möglichst zentrale Lage soll
              zu Hause zu gestalten. Dabei gilt es, die vorhan-      sowohl den Patienten als auch den Pflegekräften
              denen Möglichkeiten des Patienten ebenso zu            helfen, eine gute visuelle und akustische Kontakt-
              berücksichtigen wie auch die allfälligen Einschrän-    aufnahme zu ermöglichen. Kontaktmöglichkeiten
              kungen nach dem erfolgten Eingriff. Insbesonde-        und einfache Kommunikationskanäle sind wesent-
              re bei älteren Patienten gilt ohnehin schon der        liche Elemente für eine gute Aktivität der demen-
              Grundsatz: Use it or lose it! Alle diese Überlegun-    ten Patienten. Aneinander Teilhaben vermittelt
              gen gelten für alle Betriebe und Kliniken der Spital   aber auch Sicherheit und Geborgenheit. Insbe-
              Thurgau, sei es in der Akutmedizin, der Psychiatrie,   sondere in der Langzeitpflege bildet ein allfälliger
              der Rehabilitation oder der Langzeitpflege.            Rückzug der Bewohner in ihr eigenes Zimmer
                                                                     rasch die Basis für eine sich entwickelnde Depres-
              Zu berücksichtigen sind auch die emotionalen           sion. Dem wurde präventiv vorgebeugt, indem
              Ressourcen wie etwa der Wille des Patienten, um        die Wohnzonen der Bewohner im Verwalterhaus
              sich den temporären Einschränkungen zu stellen         der Klinik St. Katharinental auf den grosszügigen
              und die entsprechende Überwindung anzugehen.           Korridor mit einer einladenden Veranda mit Gar-
              Neben den bekannten und unentbehrlichen Hilfs-         tenzugang verlegt wurden.
              mitteln kann mit ansprechenden und spannen-
              den Räumlichkeiten, welche als anzustrebendes          Für die Pflegenden stellt eine vereinfachte Kon-
              «Ausflugsziel» locken, ein wichtiger Beitrag zur       taktaufnahme auch eine gewisse Entlastung dar,
              Bewegung und Beschäftigung geleistet werden.           weil man die zu betreuenden Patienten und Be-
              Interessante Wege, Sitzgelegenheiten, Gegen-           wohner eher im Blickfeld hat, was einem damit
              stände und Objekte für die geistige und manuel-        auch mehr Sicherheit gibt, niemanden zu ver-
              le Aktivierung wie passendes Lesematerial, beru-       nachlässigen oder gar etwas zu übersehen.
              higende Musik, Aquarien usw. bieten das. Je nach
              Alter der Patienten und der Art der Demenz gilt

22


Gestaltung und Orientierung im Patientenzimmer         muss. Auch die tageszeitabhängige Lichtsteuerung
Wichtig in den Zimmern der Patienten und Bewoh-        wurde geprüft, weil hier mögliche Zusammenhän-
ner sind die Einfachheit der Zimmergestaltung und      ge mit dem zirkadianen Rhythmus, welcher die
die notwendige Funktionalität für den Patienten        Vitamin-D-Produktion beeinflusst, vorhanden sind.
und die behandelnden Personen. Zum einen liegt         Aufgrund der ungesicherten wissenschaftlichen
es auf der Hand, dass sämtliche behandlungs-           Belege wurde aber zumindest im Akuthaus nicht
spezifischen Raumfunktionen verfügbar sein müs-        auf diesen Aspekt eingegangen. Es ist durchaus
sen wie Rufknopf, medizinische Anschlüsse usw.         denkbar, dass die Forschung hier in einigen Jahren
Zum andern sollen die dementen Patienten aber          weiter ist. Dann könnten die technischen Installa-
nicht unnötig verwirrt werden oder je nach tech-       tionen dahingehend überprüft werden.
nischer Einrichtung gar eine Selbstverletzung er-
leiden. Trotz der angestrebten Einfachheit, ist aber   Heute wird der Fokus auf klare und einfache
natürlich auch ein gutes Mass an Komfort bereit-       ­O rientierungshilfen gelegt – sei es mit Farben,
zustellen. So ist der mobile Patientenschrank, wie      Pikto­g rammen oder Lichtelementen. Diese sollen
wir ihn im Neubau des Kantonsspitals Frauenfeld         den Patientinnen und Patienten helfen, ihre Selbst-
einführen, ein gutes Beispiel dafür, wie der Patient    ständigkeit bestmöglich zu gewährleisten.
seine mitgeführten Gegenstände, wie Wäsche
und Hygieneartikel, zu sich ans Bett nehmen und        Spital Thurgau hat grosses ­Fachwissen
sich in «vertrauter Nähe» versorgen kann.              Die Spital Thurgau hat sich in den vergangenen
                                                       Jahren hinsichtlich demenzsensibler Bauweise
Bezüglich Patientenführung wird unter anderem          intensiv mit diesem komplexen Thema auseinan-
mit Licht und einer entsprechenden Signaletik gear­    dergesetzt. Die Umsetzung der Langzeitpflege im
beitet. Die Beleuchtungsstärke, der Reflexionsgrad     Verwalterhaus in der Klinik St. Katharinental im 2018
der Oberflächen und auch die Farbtonausprä-            und die Realisierung der Demenzsensiblen Station
gung, um nur wenige Parameter zu nennen, spie-         im Kantonsspital Frauenfeld (Bezug ­Februar 2020)
len eine wichtige Rolle. So ist beispielsweise auf-    erfolgen nach den modernsten Erkenntnissen. Wir
grund der eingeschränkten Sehfähigkeit mehr            sind stolz darauf, dass uns diese Projekte so gut
Lichtstärke notwendig, um den Patienten eine           gelungen sind – trotz engem Budget, hohem Zeit-
ausreichende Orientierungsmöglichkeit zu bieten.       druck und umfangreichen anderweitigen Bau-
Die Sehfähigkeit für Blautöne ist zudem stark ein-     auflagen. Ein grosser Dank dafür gebührt den
geschränkt, sodass zur Kompensation ein höhe­rer       involvierten Projektleitenden, welche dies möglich
Anteil an kalten Lichtfarben eingesetzt werden         gemacht haben.                                     ❚

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