Geschäftsbericht 2016 2014 - Spital Thurgau AG
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Kantonsspital Frauenfeld Kantonsspital Münsterlingen Psychiatrische Dienste Thurgau Klinik St. Katharinental Geschäftsbericht 2014 2016 2015 2017 2018 2019 2020
E ditorial Langfristig planen und umsichtig handeln 1 S pi ta l T h u r gau Organe der Spital Thurgau 2 Sehr erfolgreiches Jahr mit vielen Optimierungen 3 Vom Glück, einen entzündeten Blinddarm gehabt zu haben 7 Vielleicht wäre ich eine S childkröte: schnell, schlau und zäh 11 Alle kochen mit Wasser. Wie daraus mehr wird, will gelernt sein – am Herd und im Leben. 15 Ein ungewöhnlicher Lebenslauf? 19 Medizininformatiker vernetzen, was Medizinern und Kranken nützt 23 Die Berufslehre ist auch eine L ebenslehre 27 DA S JA H R 2 016 I N Z A H L E N Lagebericht 31 Bilanz 33 Erfolgsrechnung 34 Geldflussrechnung 35 5-Jahres-Übersicht 36 Anhang zur Jahresrechnung 37 Antrag über die Verwendung des Bilanzgewinnes 37 Erläuterungen zur Jahresrechnung 38 Bericht der Revisionsstelle 44 Patientenstatistiken 46 Qualitätsbericht 51 Personalstatistiken 56 Ergänzende Informationen zur thurmed-Gruppe 59 Fac hko mpetenzen de r S ta nd o r te Kantonsspital Frauenfeld, Kantonsspital Münsterlingen 64 Klinik St. Katharinental, Psychiatrische Dienste Thurgau 65 Zentrale Medizinische Dienste, Zentrale Dienste und Eigenständige, nahestehende Unternehmen 66 Geschlechtsneutrale Bezeichnungen Wenn auf diesen Seiten die weibliche Form nicht der männlichen Form beigestellt ist, so ist der Grund dafür allein die bessere Lesbarkeit. Wo sinnvoll, ist selbstverständlich immer auch die weibliche Form gemeint.
Langfristig planen und umsichtig handeln von lic. iur. Robert Fürer, Verwaltungsratspräsident Spital Thurgau I m Berichtsjahr 2016 wurde der Verwaltungs- vom guten Geist, der in allen Häusern herrscht. rat der Spital Thurgau, der personell identisch Nach den Sommerferien haben sie dann ihre ist mit dem Verwaltungsrat der thurmed AG, Tätigkeit aufgenommen. Sie sind zwischenzeit- verjüngt. Prof. Dr. med. Hans Wagner und dipl. lich gut integriert und so in der Lage, mit ihrem ing. Roland Eberle erklärten Ende 2015 im Hin- Wissen und ihrer Erfahrung zu den Entscheidun- blick auf die Generalversammlung vom 13. Ap- gen massgeblich beizutragen. Ich bedanke ril 2016 ihren Rücktritt. Die Herren wurden im mich bei allen Mitgliedern des Verwaltungsrates Rahmen der August-Klausur gebührend verab- für die wertvolle Mitarbeit. schiedet. Ich möchte es aber nicht unterlassen, Ihnen an dieser Stelle nochmals meinen herzli- Neben den jährlich wiederkehrenden Geschäf- chen Dank für die jahrelange und wertvolle Ar- ten (Jahresrechnung, Geschäftsbericht, Rah- beit auszusprechen. menkontrakt, IKS-Bericht, Risikobericht, Tarife, Budget) widmete sich der Verwaltungsrat neben Der Regierungsrat des Kantons Thurgau hat in diversen Projekten wie Kriseninterventionszent- seiner Eigenschaft als Vertreter des Aktionariats rum (KIZ) und Geriatrie vor allem auch baulichen an ihrer Stelle drei markante Persönlichkeiten Fragen. Für das grösste Projekt der Thurgauer zugewählt: Prof. Dr. med. Markus von Flüh, Leiter Spitalgeschichte, den Neubau in Frauenfeld der Chirurgischen Klinik am St. Claraspital in Ba- (Projekt Horizont), verabschiedete er ein Re- sel, Dr. med. Bruno Haug, Hausarzt und als sol- porting, das fortschreitend und stufengerecht cher Verwaltungsratspräsident des Medizini- Bericht erstattet, ob und wie das im Jahr 2011 schen Zentrums Arbon AG, und lic. iur. Carlo festgelegte Kostendach von Fr. 277,8 Mio. ein- Parolari, Rechtsanwalt und ehemaliger Stadt- gehalten werden kann. präsident von Frauenfeld. Es ist mir ein Anliegen, allen unseren Mitarbeite- Am 20. Juni erfolgte die Einführung der neuen rinnen und Mitarbeitern herzlich für ihre wertvol- Verwaltungsratsmitglieder mit Besuchen im Kan- le Arbeit zu danken. Mein besonderer Dank tonsspital Frauenfeld, im Kantonsspital Münster- richtet sich an die Mitglieder der Geschäftslei- lingen, bei den Psychiatrischen Diensten Thur- tung. Sie sind die Zugpferde. Ihnen verdanken gau, in der Klinik St. Katharinental und auf der wir in erster Linie, dass sich unsere Unterneh- Geschäftsstelle der Spital Thurgau in Frauenfeld. mensgruppe qualitativ und ökonomisch zu den Die neuen Verwaltungsräte zeigten sich beein- führenden Einrichtungen unseres Landes zählen druckt vom Zustand unserer Einrichtungen und darf. ❚ 1
SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2016 Organe der Spital Thurgau ➔ ➔V e r wa lt u ngs r at (von links nach rechts) Dr. med. Bruno Haug Prof. Dr. oec. Urs Brügger Prof. Dr. oec. Michèle Sutter-Rüdisser Prof. Dr. med. Markus von Flüe Christa Thorner-Dreher lic. iur. Robert Fürer, Präsident Dr. oec. Anna-Katharina Klöckner, Vizepräsidentin lic. iur. Carlo Parolari ➔ ➔G es c h ä fts l e i t u ng (von links nach rechts) Dr. med. Adrian Forster, Spitaldirektor Klinik St. Katharinental Dr. oec. publ. Peter Heri, MPH, CFO Agnes König, Pflegedirektorin Kantonsspital Münsterlingen PD Dr. med. Dipl. Psych. Dipl. Soz. Gerhard Dammann, MBA, Spitald irektor Psychiatrische Dienste Thurgau Dr. sc. techn. Marc Kohler, CEO Dr. oec. publ. Christian Schatzmann, CIO Norbert Vetterli, Spitaldirektor Kantonsspital Frauenfeld/ Verwaltungsd irektor Klinik St. Katharinental PD Dr. med. Thomas Neff, Ärztlicher Direktor Kantonsspital Münsterlingen PD Dr. med. Stefan Duewell, Ärztlicher Direktor Kantonsspital Frauenfeld Stephan Kunz, MBA, Spitaldirektor Kantonsspital Münsterlingen/ Verwaltungsdirektor Psychiatrische Dienste Thurgau 2
Sehr erfolgreiches Jahr mit vielen Optimierungen von Dr. sc. techn. Marc Kohler, CEO Spital Thurgau D er Hauptakzent der thurmed-Gruppe im ambulant, sind in den letzten Jahren immer kon- Geschäftsjahr 2016 lag in der weiteren stant geblieben oder sogar leicht gesunken, Konsolidierung und Optimierung des Er- obwohl die Kosten im Gesundheitswesen durch reichten – speziell nach der Übernahme der den medizinischen Fortschritt und neue gesetz- Immobilien vom Kanton und der Ausgliederung liche Anforderungen deutlich überproportional der Spitalpharmazie Thurgau ein Jahr zuvor. steigen. Privatspitäler mit ihrem hohen Anteil an Hohe Qualität, Patientensicherheit, Freundlich- Zusatzversicherten und meist elektiven Eingrif- keit unserer Mitarbeitenden im Umgang mit fen, die dadurch mehrheitlich in der Normalar- Patientinnen, Patienten und Angehörigen sowie beitszeit vorgenommen werden können, haben gezielte Prozess-Optimierungen und weitere deshalb heute deutlich günstigere Rahmenbe- Effizienzsteigerungen in der Leistungserbringung dingungen als die öffentlichen Spitäler. Umge- waren zwar keine besonders spektakulären kehrt erbringt die Spital Thurgau ihre Leistungen Ziele – sie sind aber im heutigen Umfeld für die mehr und mehr am Abend, in der Nacht und an Zukunfts-Positionierung und Chancen eines den Wochenenden, und dies bei einem Anteil Spitals unumgänglich. So ist es gelungen, auch an Allgemeinversicherten von ca. 85 %. Damit das Jahr 2016 in allen Bereichen qualitativ er- wir richtig verstanden sind: Aus Sicht der Ge- freulich positiv und auch finanziell erfolgreich samtversorgung ist es sicher besser, wenn die mit einem Jahresergebnis von Fr. 4,795 Mio. ab- schwierigen, oft komplexen und weniger belieb- zuschliessen. ten Aufgaben bei der Spital Thurgau erbracht werden – und wir machen das gerne und gut, Die Rahmenbedingungen im Schweizer Ge- für alle Patientinnen und Patienten, 24 Stunden sundheitswesen werden – speziell für die öffent- pro Tag und 365 Tage im Jahr. lichen Spitäler – laufend anspruchsvoller. Die Erwartungen an Spitzenqualität und optimalen Diese Tendenzen im Schweizer Spitalwesen for- Service steigen immer weiter an, das Verständ- dern alle öffentlichen Spitäler sehr, einerseits nis und die Toleranz nehmen umgekehrt auch durch die Mixverschiebung hin zu finanziell we- bei medizinisch und organisatorisch sehr an- niger attraktiven Fällen, mehr aber noch durch spruchsvollen Situationen weiter ab. Diese Her- die heute immer schwieriger und teurer zu be- ausforderungen sind bei Allgemeinversicherten wältigenden Nacht- und Wochenenddienste, besonders gross, weil da auch die finanziellen die – gerade bei jüngeren Mitarbeitenden – Rahmenbedingungen sehr stark unter Druck wenig beliebt sind und die Personalrekrutierung sind: Die entsprechenden Tarife, stationär wie alles andere als erleichtern. Aber wir wollen 3
SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2016 nicht jammern: die Spital Thurgau ist und bleibt der thurmed-Gruppe, die auch hier Vorbildcha- medizinisch fortschrittlich und sehr hochwertig, rakter übernehmen soll, will und es auch tut. Es findet im Vergleich zu anderen Spitälern in der ist im heutigen Umfeld des Schweizer Gesund- Region nach wie vor schon fast erstaunlich gut heitswesens schon eine besondere Herausforde- die notwendigen, kompetenten und motivierten rung, sämtliche Neubauten eigenständig zu Mitarbeitenden und die Fluktuationsrate bleibt bauen, zu finanzieren (Kreditbeschaffung) und im Quervergleich zu anderen Spitälern eher tief. auch aus dem laufenden Betrieb zu refinanzieren Ganz wichtig ist uns auch, dass die Spital Thur- (Amortisation und nachhaltiger Unterhalt), i.e. gau – dank regelmässigen und nachhaltigen das eigenständige Tragen des gesamten unter- Effizienzverbesserungen – auch finanziell erfolg- nehmerischen Risikos – mit gleichzeitiger Erfül- reich und stabil bleibt. Dieses positive Image und lung aller Auflagen und Verpflichtungen eines die damit verbundenen Entwicklungschancen öffentlichen Spitals. sind bei potentiellen Mitarbeitenden in der Re- gion sehr wohl bekannt, geschätzt und bilden Ein weiterer und ganz wesentlicher Grund für damit eine wesentliche Basis für eine positive das Image und die Zukunftssicherung ist auch Weiterentwicklung der Spital Thurgau. die Aus- und Weiterbildung in der Spital Thurgau. Wir bieten heute rund 400 Aus- und Weiterbil- Ein wesentlicher Grund zur positiven Gesamtein- dungsstellen in verschiedensten Berufen an – schätzung ist auch, dass die Spital Thurgau wei- von Assistenzärzten über zahlreiche Berufsbilder ter stark in die Zukunft investieren kann und dies in der Pflege bis zu mannigfaltigen weiteren, auch gut sichtbar tut: Die aussergewöhnlich schweizerisch anerkannten Berufsausbildungen wichtigen und sehr aufwändigen Bauprojekte in der Hotellerie, im Technischen Dienst, in der (3i im KSM, Horizont im KSF) und die zahlreichen Informatik und in vielen administrativen Berei- weiteren grösseren Bauvorhaben (Pathologie, chen. Viele Absolventinnen und Absolventen OPI in der Psychiatrie, etc.) forderten und belas- bleiben danach mindestens einige Jahre in der teten die Kaderpersonen der Spital Thurgau und Spital Thurgau – andere gehen zu zahlreichen der thurmed Immobilien AG auch 2016 stark. weiteren Gesundheitsinstitutionen in der Region, Zudem sind zahlreiche Auflagen zur Sicherheit, die weniger Ausbildungsplätze anbieten. Auch Ökologie (Energieeffizienz), und Nachhaltigkeit hier übernimmt die Spital Thurgau somit eine klar der Bauten, welche teilweise deutlich über die überproportionale Rolle im Sinne der gesamten Anforderungen für andere Spitäler hinausgehen, regionalen Versorgung. Weil diese Aus- und Wei- nicht nur Auflage, sondern auch explizit Strategie terbildung intern einen so hohen Stellenwert 4
geniesst, möchten wir einige Betroffene, speziell strategischen Stärkung und Weiterentwicklung auch ganz junge Lehrlinge, in diesem Geschäfts- des Unternehmens mit Blick auf die kommenden bericht porträtieren und so auch diesen wichti- Jahre. Da gibt es bereits einige Ideen und auch gen Leistungsaspekt der Spital Thurgau in der erste Ansätze, denn die gute Gesundheitsver- Öffentlichkeit breiter bekannt machen. sorgung im Kanton Thurgau und darüber hinaus Die Spital Thurgau hat diese grossen und wirklich ist unser Kernanliegen – für alle Versicherten und nicht einfachen Anforderungen im Jahr 2016 gut rund um die Uhr. Dabei forderten die laufenden gemeistert und steht insgesamt anerkannt als Grossprojekte und zahlreichen weiteren Bauvor- medizinisch hochwertig und sehr kompetent haben an allen Standorten ganz besonders. aufgestellt, finanziell solide, strategisch breit ab- Aber: Wir wollen in die Zukunft der Spitalversor- gestützt und mit positivem Image da. Die Immo- gung in der Region investieren, und wir können bilienübertragung per 1.1.2015 mit all ihren sehr es auch aus eigener Kraft – inhaltlich, organisa- anspruchsvollen Facetten in der Umsetzung ist torisch und finanziell. Das hat sich nicht nur in «verdaut» und im Routinebetrieb bereits ziemlich der Branche herumgesprochen, aber da hören gut eingespielt. Die starke Performance spiegelt wir es besonders und immer deutlicher, und da- sich auch in den Zahlen 2016: Die Zahl der be- rauf sind wir auch ein wenig stolz. handelten stationären Patientinnen und Patien- ten stieg in den beiden Akuthäusern um 3,0 %, Mit unserer kompetenten und erfahrenen Füh- in der Rehabilitation um 8.4 % und in der Psych- rungscrew nehmen wir die zukünftigen Heraus- iatrie um 6,2 %. Ambulant wurde formell ein An- forderungen gerne weiter an und sind über- stieg von rund 7,6 % erzielt, allerdings nach Min- zeugt, auch in den kommenden Jahren diese derungen durch rechnungstechnisch neu ge- hohe Qualität, Sicherheit und ähnlich gute fi- forderte Umklassierungen in der Psychiatrie im nanzielle Ergebnisse zu erzielen. Die Leistungen Umfang von gut 2 %. Diese Leistungszahlen führ- verdienen allen Respekt – denn nur mit so qua- ten, zusammen mit dem bereits erwähnten und lifizierten und überdurchschnittlich motivierten seit Jahren in der Spital Thurgau gelebten Kos- Mitarbeitenden waren diese erfreulichen Ergeb- tenbewusstsein, zum sehr erfreulichen Jahreser- nisse überhaupt erst möglich! Allen Mitarbeiten- gebnis von Fr. 4,795 Mio. den der Spital Thurgau, wie auch den unterstüt- zenden Behörden und allen Fachgremien, dan- Ausblick ken wir ganz herzlich für ihren enormen Einsatz Das Geschäftsjahr 2016 stand erneut im Zeichen und ihre kompetenten Leistungen im Geschäfts- von Qualität, Sicherheit und Effizienz sowie der jahr 2016. ❚ 5
Vom Glück, einen entzündeten Blinddarm gehabt zu haben S ie könnte in einem Werbefilm für Diplo- nicht nur ihr weiterer Berufsweg gesetzt, sondern mierte Pflegefachfrauen HF auftreten, auch der Ort ihrer Ausbildung: Völlig klar, das denn Sabrina Mettler, die im Spital Müns- Spital Münsterlingen musste es sein. Im August terlingen ihr drittes Studienjahr absolviert, glüht 2014 schloss sie ihre erste Lehre, jene als MPA, vor Begeisterung, wenn sie von ihrem zukünfti- ab; im folgenden Monat stieg sie gleich in die gen Beruf erzählt. Nichts, gar nichts würde sie nächste, die dreijährige Ausbildung zur Diplo- am Ausbildungsaufbau ändern. mierten Pflegefachfrau HF ein. Mit ihrer medizi- nischen Vorbildung waren die Voraussetzungen Schon in der Sekundarschule in Erlen lernte sie für die Aufnahme gegeben. Im neuen Umfeld lieber für die naturwissenschaftlichen Fächer als musste sie ihren Platz erst finden, musste sich im für den Sprachunterricht. Nach der Schnupper- Vergleich zu den Mitstudierenden einordnen. Es lehre in einer Arztpraxis war klar, dass sie einen fiel ihr nicht ganz leicht zu merken, dass ihre Mit- medizin-nahen Beruf erlernen wird. Gedacht, studierenden mit Ausweis für Fachangestellte getan. 16 Jahre alt war Sabrina Mettler und im Gesundheit (FaGe) ihr auf den Gebieten der ersten Lehrjahr als Medizinische Praxisassistentin kommunikativen Grundsätze und der Körper- MPA, als sie mit einer Blinddarmentzündung ins pflege überlegen waren. Seit ihrer Schulzeit war Spital Münsterlingen eingeliefert wurde. Schmer- sie sich gewohnt zur Spitze der Klasse zu gehö- zen hin oder her, sie war fasziniert von der Arbeit ren. «Daher verunsicherte mich dieses Defizit. der Pflegenden, stellte ihnen 100 Fragen und Zum Glück macht es mir nichts aus, mich zum wollte immer noch mehr wissen. Sie staunte über Lernen hinzusetzen. Das Ungleichgewicht war deren Wissen, war angetan von ihrem Umgang damit schnell aufgeholt.» In anderen Fachge- mit den Patientinnen und Patienten und unter- bieten wiederum hatte Sabrina Mettler die Nase einander. Als sie nach zwei Tagen das Spital vorne: Sie hatte Erfahrungen in der Triage, wuss- wieder verlassen konnte, war sie gar etwas trau- te besser, welche Symptome auf welches Krank- rig. Das will ich auch lernen, so möchte ich auch heitsbild hinweisen könnten. Röntgenaufnah- arbeiten, entschied sie, als sie mit ihren Sieben- men waren ihr vertraut, sie konnte mit Laborwer- sachen nach Hause ging. «Mein Erstberuf war ten etwas anfangen und hatte kaufmännische kein Fehler auf dem Weg zu meinem jetzigen als Erfahrungen sammeln können im Verkehr mit Diplomierte Pflegefachfrau HF. Ich bin im Ge- Kassen und Dienststellen. genteil froh, dass ich dadurch wie durch ein anderes Fenster aufs Gesundheitswesen schau- Vor allem zu Beginn ihrer HF-Ausbildung spürte en konnte.» Seit ihrer Blinddarmoperation war sie den physischen und psychischen Druck, «an 7
SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2016 dem ich – zugegeben – manchmal selbst schuld dreimonatige Praktikum auf der Intensivstation war». Dennoch hat sie nie, nicht einen Augen- an. Eine Ehre, die ab dem zweiten Studienjahr blick, daran gedacht, wieder zurück in eine bloss einer angehenden Pflegefachperson HF Arztpraxis zu gehen. Der eine Grund ist sicher, zukommt. «Die Intensivstation war bis jetzt der dass sie merkte, dass sie als MPA für den Rest strengste Ausbildungsort, weil ich physisch und ihrer Tage in einer Arztpraxis arbeiten würde, psychisch keine Sekunde nachlassen durfte. In ohne Möglichkeit für Weiterbildungen, die ihr so der ersten Woche sank ich abends jeweils total wichtig sind. Sie wäre sich schnell wie auf ein erschöpft ins Bett.» Trotzdem oder deshalb war Abstellgeleis geschoben vorgekommen. Ein wei- die Zeit auf dieser Station lehrreich, nicht zuletzt, terer Grund ist, dass sie mit Inhalt und Aufbau weil das Team immer für sie da war. Der letzte des Studiums äusserst zufrieden ist. Die eine Hälf- praktische Ausbildungsort wird in der Urologie/ te der Ausbildung findet in den verschiedenen Gynäkologie sein. Praktikumsbetrieben auf unterschiedlichen Sta- tionen statt, die andere an der Höheren Fach- Überall fühlte sie sich von ihren Vorgesetzten auf- schule Pflege. Davon sind zehn Prozent für Lern- und angenommen, nicht nur als Studentin, son- stunden im Lernlabor vorgesehen. Für die fünf dern auch als Mensch. «Sie helfen mir, mich nicht schulischen, theoretischen Module fährt Sabrina zu überfordern, schauen stattdessen, dass ich Mettler jeweils nach Weinfelden ans «Bildungs- mit mir selbst geduldig bin.» Auch eine Gipfel- zentrum für Gesundheit und Soziales. Tertiär stürmerin muss lernen, dass der Weg zum höchs- bildung. Höhere Fachschule Pflege» (so der ten Punkt aus einzelnen Schritten besteht. Die vollständige Titel). Diese Wochen gehören nicht 21-jährige Frau meint keineswegs, sie könne zu den Höhepunkten ihrer Ausbildung. So not- schon alles und erreiche das Ziel im abgekürzten wendig die Theorie, so klar bevorzugt sie die Verfahren. Es ist der Zwang zur Perfektion, der Praxis. Wenn es nur mehr praktische Übungen sie nicht ruhen lässt. Ehrgeizig wie sie ist – sie mag gäbe, seufzt sie, «die zusätzlichen Stunden könn- dieses Wort zwar nicht, steht dann aber doch ten auch auf freiwilliger Basis angeboten wer- dazu – saugt sie Neues auf wie ein Schwamm. den». «Meine Erwartungen an Förderung und Forde- rung wurden bis jetzt auf jeder Abteilung erfüllt. Im ersten Ausbildungsjahr arbeitete sie auf der Mit den Berufsbildnerinnen auf den verschiede- Chirurgie, im zweiten war sie auf der Inneren nen Stationen, die ich als Coachs verstehe, hat- Medizin. Und weil sie sich dort so geschickt an- te ich durchwegs Glück. Ganz besonders gut stellte, bot man ihr im dritten Lehrjahr das aufgehoben fühlte ich mich auf der Inneren 8
Medizin, so sehr, dass ich nach meinem Ab- Sie strahlt, wenn sie von ihrem künftigen Berufs- schluss im Sommer 2017 wieder dorthin zurück- alltag erzählt. Wie schön, innerbetrieblich mehr kehren möchte. Gäbe es eine Fee, von der ich Verantwortung übernehmen zu können und einen Wunsch frei hätte, dann müsste sie mir Lernende anzuleiten. Welche Freude, wenn ihre diesen Traum erfüllen.» Ihre Begeisterung ist mitt- Meinung im Team bei einem Fachgespräch ein lerweile auf ihre jüngere Schwester überge- Gewicht hat und sie für die Ärzte eine unver- sprungen. Auch sie will diplomierte Pflegefach- zichtbare Fachfrau sein kann. Wenn’s nur mor- frau HF werden – im Spital Münsterlingen. Wo gen schon so weit wäre. Andere denken nach denn sonst? Sie ist im ersten Studienjahr. einer Abschlussprüfung an eine grosse Reise. Nicht so Sabrina Mettler. Schon eher kommt ihr Wenn sie in ihrem Kollegenkreis von ihrem Beruf eine nächste Weiterbildung in den Sinn, zum erzählt, begegnet sie oftmals Vorurteilen. Sie Beispiel ein Nachdiplomstudium Intensivpflege hört Sätze wie: «Da machst du doch nichts an- oder eines in Notfallpflege. Auch einen Ausland- deres, als den Alten und Kranken das Füdli put- einsatz könnte sie sich vorstellen. In einem Kri- zen.» Oder dann wird ihr kopfschüttelnd entgeg- sengebiet oder in einem gewöhnlichen Akutspi- net, dass ein Beruf mit Nacht- und Sonntags- tal? Sie zuckt mit der Schulter. Das steht noch in dienst unmöglich toll sein könne. Sabrina Mettler den Sternen. lächelt auch jetzt, so als ob sie sagen wollte: «Wenn diese Leute wüssten …» In einer Mischung Sabrina Mettler, Jahrgang 1995, ist in Erlen auf- aus Aufklärung über die Fakten und aus Lobes- gewachsen, wo sie alle Schulen durchlaufen hat hymne stellt sie jeweils klar: «Ich kann mir keinen und heute noch bei den Eltern lebt. Die Lehre Beruf vorstellen, in dem ich mehr Wertschätzung als Medizinische Praxisassistentin MPA hat sie in erfahren würde. Patientinnen und Patienten wie Weinfelden gemacht. Gleich nach diesem Ab- auch die Angehörigen sagen uns immer wieder: schluss kam sie 2014 für die Ausbildung zur dip- Wie gut, dass ihr diese Arbeit macht; wie froh lomierten Pflegefachfrau HF ans Spital Münster- sind wir, dass es euch gibt.» Die Frage, ob sie lingen. – Zur Erholung macht sie Aerobic oder anderen zu diesem Beruf raten würde, braucht leitet die Jugendr iege in Erlen. ❚ man ihr gar nicht mehr zu stellen. «Uns braucht es. Das ist das Schönste und Wichtigste. Mehr muss ich nicht sagen.» Und ungefragt fügt sie an: «Eine Lehre in der Spital Thurgau kann ich vorbehaltlos empfehlen.» 9
▲▲ Leandra Kretz, Kauffrau in Ausbildung
Vielleicht wäre ich eine Schildkröte: schnell, schlau und zäh Z wölf verschiedene Bereiche in drei Jahren: Leandra Kretz sorg-, aber auch ahnungslos an Das bietet eine KV-Lehre in der Spital Thur- die Prüfung und bestand. Was es nämlich mit gau. Gestartet ist Leandra Kretz in der der Berufsmaturität auf sich hat, die ein eidge- Telefonzentrale, die letzte Abteilung, die Cont- nössisch anerkannter Abschluss ist, der berufli- rolling-Stelle, kennt sie noch nicht. Schon fast che Kenntnisse mit vertieftem Allgemeinwissen am Ende ihrer Ausbildung weiss sie: Das Kan- verbindet, war ihr damals keineswegs klar. Heu- tonsspital Frauenfeld würde sie wieder als Lehr- te, wo sie weiss, dass sie damit nicht nur einen stelle wählen. besonderen Berufsabschluss erlangt, sondern sich auch die Qualifikation für den Zugang zu Ursprünglich liebäugelte Leandra Kretz mit einer jeder Fachhochschule holt, ist sie froh, den Rat Lehre als Medizinische Praxisassistentin. Aber befolgt und die Chance gepackt zu haben. «Ob welche Aufstiegschancen habe ich danach?, ich die Leistungen bis zum Schluss bringen wer- fragte sie sich. Obwohl damals erst vierzehn, de, ist für mich keine Frage des Könnens, sondern kannte sie sich schon gut genug, um zu wissen, eine des Fleisses. Und diesen Fleiss bringe ich dass sie sich fordern wollte. Wie sonst konnte sie auf.» herausfinden, was in ihr steckt? Der Hinweis ihrer Mutter, dass sie mit einer kaufmännischen Lehre Ihren ersten Arbeitstag als KV-Lehrling hatte sie im Kantonsspital Frauenfeld ganz nah am Medi- auf der Reception, wo nebst dem Empfangs- zinischen wäre und am Schluss eine Grundaus- schalter auch die Telefonzentrale ist. Seither hat bildung hätte, mit der ihr nachher 100 Türen sie das Spital mit all seinen administrativen Ab- offen stünden, überzeugte sie. Leandra Kretz teilungen und Unterabteilungen kennengelernt. schnupperte an verschiedenen Orten Büroluft, Die Liste der Bereiche, in denen sie bisher gear- aber nirgends gefiel es ihr so gut wie am Kan- beitet hat, liest sich wie ein What-is-what in der tonsspital Frauenfeld. Scheu, zurückhaltend und Verwaltung. Tätigkeiten, die in einer Klinik – oft abwartend startete sie im August 2014. im Schatten des Medizinischen – zuverlässig und speditiv besorgt werden wollen. Sie reichen von Ihre Berufsbildnerin hatte ihr geraten, neben der der Reception bis zur Hotellerie, von der Patien- ordentlichen KV-Lehre auch den Besuch der Be- tenaufnahme zum Personaldienst, von der zen- rufsmittelschule BMS in Betracht zu ziehen. Da tralen Beschaffung zum Finanz- und Rechnungs- das Wort Schule bei ihr noch nie einen Abwehr- wesen, Bereiche im Hintergrund, aber im Vor- reflex hervorgerufen hatte und sie schon in der dergrund entscheidend. Ganz kurz bloss bereu- Sekundarschule eine gute Schülerin war, ging te es die junge Frau aus Müllheim, dass sie, 11
SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2016 ausser an der Reception und bei der Patienten- schätzung: Was gefällt mir warum, wo liegen aufnahme, während ihrer Lehre kaum Kontakt meine Stärken, was bereitet mir weshalb Mühe mit fremden Menschen, insbesondere mit Pati- und was interessiert mich weniger. Dies heraus- enten und Patientinnen, hat. «Vielleicht hätte zufinden finde ich nicht nur spannend, sondern mich der Kontakt mit ihnen emotional überfor- wichtig, auch im Hinblick auf meinen künftigen dert; denn viele bringen ja eine traurige Ge- Berufsweg.» Dass bei zwölf verschiedenen Ar- schichte mit. Ich bin mir nicht sicher, ob ich da- beitsbereichen das Eine oder Andere bloss in mit zurechtgekommen wäre.» groben Zügen vermittelt und nur der Spur nach verstanden werden kann, ist eine Tatsache. Wenn sich die 18-Jährige in der Schule mit ihren Selbstbewusst sagt sie: «Ich weiss ja, was ich kann Kolleginnen und Kollegen vergleicht, wird ihr klar, und wo ich Lücken habe.» welch anregende Lehrstelle sie hat: Zur Ausbildung gehören nicht nur die Arbeit im «Wir lernen innerhalb von drei Jahren zwölf Betrieb, sondern auch die Unterrichtsstunden ganz unterschiedliche Abteilungen kennen.» am Bildungszentrum Weinfelden. In den ersten Leandra Kretz zwei Lehrjahren sind es zwei Tage pro Woche, im dritten noch einer. In der Schule ist sie mit Alle Lehrlinge durchlaufen alle administrativen allen anderen KV-Lehrlingen zusammen, die, Bereiche des Betriebs, begegnen Dutzenden verteilt über den Kanton und die Unternehmen, von Mitarbeitenden und Vorgesetzten, erfassen alle das gleiche Ziel haben: die Lehrabschluss- das Spezifische jeder Abteilung und sehen im- prüfung im Sommer 2017. Da Leandra Kretz die mer klarer, was womit zusammenhängt. Sie fin- Variante mit Berufsmittelschule BMS gewählt hat, det es richtig, dass alle Lehrlinge über den glei- bleiben es für sie bis zum Schluss wöchentlich chen Kamm geschert werden, dass es weder zwei Unterrichtstage. Ausser den Stunden in Wunschbereiche noch eine Wunschaufenthalts- Weinfelden kommen über die drei Jahre verteilt dauer gibt. Länger als vier Monate sind die Azu- noch acht überbetriebliche Kurse hinzu, die in bi nirgends eingeteilt. Freilich gefällt es ihr nicht Zürich stattfinden. überall gleich gut, aber auch das will gelernt sein: ausharren. Bei manchen Arbeiten und Ab- Nicht nur in der Schule hat sie immer wieder teilungen weiss sie ja auch erst im Nachhinein, Prüfungen abzulegen. Über die drei Lehrjahre was dahintersteckt. «Es geht nicht nur ums An- verteilt werden die Lehrlinge sechsmal in soge- häufen von Wissen, sondern auch um Selbstein- nannten Arbeits- und Lernsituationen geprüft, 12
ob sie Abläufe richtig verstanden und Zusam- berin sei? «Manchmal wäre ich froh, ich wäre menhänge erkannt haben. Auch die soziale eine …», pariert sie die Frage. Von den Lehrlings- Kompetenz wird beurteilt: Wie verhalten sie sich betreuenden erwartet sie zuerst und vor allem im Kontakt mit Kunden, Patienten, Mitarbeiten- Loyalität und Verständnis dafür, dass es für junge den und Vorgesetzten. Die Praxisbildnerinnen Menschen auch ein Leben ausserhalb des Be- testen das Auffassungsvermögen und beurteilen triebes gibt. «Das hat mit Wohlwollen zu tun, das die Motivation der jungen Menschen. Daran bei Bedarf tatkräftige Hilfe einschliesst.» Die letz- liegt es bei Leandra Kretz nicht. «Meine Motiva- te Abteilung, auf der sie noch nicht gearbeitet tion wird vor allem angestachelt durch den In- hat, ist das Controlling. Mehr, als dass es mit Kos- halt einer Arbeit, dann aber auch durch die tenstellen zu tun hat, weiss sie nicht. «Ein weisses Menschen um mich.» Nachdem sie fast am Blatt halt», sagt sie und zuckt mit der Schulter. Schluss ihres Ausbildungsparcours angelangt ist, Kein Zweifel, sie wird sich auch dort, wo es um scheint ihr die Patientenaufnahme eine der bes- Themen wie Wirtschaftlichkeit, Rentabilität und ten Abteilungen, obwohl sie sich lieber nicht mit Budgetverwaltung geht, zurechtfinden. Wäre traurigen Lebensgeschichten auseinandersetzt. sie ein Tier, sie wäre eine Schildkröte: schlau, zäh Auch die Abteilung Zentrale Beschaffung mit und schnell. Und einen Panzer hat die Schildkrö- dem intensiven Kundenkontakt gefiel ihr, «ob- te auch. Nicht nur zum Schutz, sondern auch, wohl ich im Grund lieber in Ruhe und für mich um ihre Ruhe zu haben. Was Leandra Kretz nicht einer Arbeit nachgehe». Sie macht eine Pause braucht, ist ein Rudel, um sich wohl zu fühlen. und sagt wie zu sich selbst: «Vielleicht habe ich mich verändert oder falsch eingeschätzt.» Leandra Kretz, Jahrgang 1998, wuchs in Müll- heim auf, besuchte dort die Schulen, zuletzt die Dass sie ihre KV-Lehre wieder am Kantonsspital Sekundarschule Niveau E (= erweiterte Anfor Frauenfeld machen würde, steht für sie fest. derung). Ins Kantonsspital Frauenfeld ist sie im Müsste sie für angehende Lehrlinge Ratschläge August 2014 als KV-Lehrling mit Berufsmaturität aufschreiben, stünde auf dem Blatt: Hausauf eingetreten und wird im Sommer 2017 ihre Lehr- gaben machen, zuhören, mitdenken und ver- abschlussprüfung ablegen. – Leandra Kretz stehen wollen. «Man tut sich selbst den grössten wohnt bei ihren Eltern in Müllheim-Dorf. In ihrer Dienst, wenn man sich eigenverantwortlich, das Freizeit liest sie Fiction-Bücher. Gut möglich, dass heisst erwachsen, benimmt. Das kann schon neben ihr ein echter English Tea steht, für den heissen, dass man auch mal über seinen eige- sie immer zu haben ist. ❚ nen Schatten springen muss.» Ob sie eine Stre- 13
▲▲ Moritz Berges, Koch in Ausbildung
Alle kochen mit Wasser. Wie daraus mehr wird, will gelernt sein – am Herd und im Leben. M oritz Berges ist im ersten Lehrjahr zum in der Spitalküche in Münsterlingen einsteigen. Koch mit eidgenössischem Fähigkeits- Das war kein Zurück-auf-Feld-1 wegen schlech- zeugnis. In der Grossküche in Müns- ter Arbeitshaltung. Es fühlte sich im Gegenteil an terlingen ist er am richtigen Ort. Diese Einsicht wie eine Befreiung. Das kam so: Kurz nach dem hat auch mit seinem gebrochenen Fuss zu tun. Beginn der Lehre brach sich Moritz Berges beim Sport den Fuss und durfte in der Folge drei Mo- Am Schluss des Gesprächs sagt Moritz Berges: «Im nate nicht arbeiten. Wenn er von jenen Tagen, Leben gibt es keine Abkürzungen.» Ob der Satz Wochen und Monaten erzählt, die er zumeist von ihm stammt oder ob er ihn irgendwo gelesen tagträumend zu Hause verbrachte und unge- oder gehört hat, ist nicht entscheidend. Entschei- nutzt an sich vorbeistreichen liess, scheint ihn dend ist, dass der knapp 17-Jährige offenbar he- heute ein unangenehmes Gefühl oder so etwas rausgefunden hat – hat herausfinden müssen? –, wie Reue zu beschleichen. «Ich hätte mit dieser dass Abkürzungen bisweilen in eine Sackgasse vielen freien Zeit etwas anfangen sollen, zum führen und dann erst recht zu einer Zickzackfahrt Beispiel für die Schule lernen. Aber ich war taub werden. Jetzt, so scheint es, ist Moritz Berges auf für alle guten Ratschläge von links und rechts. dem richtigen Weg. Ein aufgestellter junger Mann So bin ich: Was ich nicht selbst will, dazu überre- in weisser Jacke, weisser Hose, um den Hals ein det mich niemand.» Vielleicht kann man aus der hellgrünes, geknotetes Tuch, auf dem Kopf sitzt Rückschau sagen, dass ihm das Faulenzen letzt- schräg-keck eine Haube aus Vlies. Seinen Klei- lich sogar zur Einsicht verholfen hat, dass aus dern nach zu schliessen, war er eben noch in dem Nichts-Tun nichts werden kann, dass ein Brei einer Küche zugange. Moritz Berges ist Lernender nie besser sein kann als der Koch. im 1. Lehrjahr mit dem Ziel, im Sommer 2019 die Lehrabschlussprüfung als Koch mit eidgenössi- In jenen Wochen war Moritz Berges froh, dass schem Fähigkeitsausweis (EFZ) abzulegen. sein Chef Christoph Lisser, Leiter Küchenbetriebe Kantonsspital und Psychiatrische Klinik, und die So klar dieses Ziel heute vor ihm liegt, so ungewiss Lehrlingsbetreuerin nicht dauernd auf ihm her- und konturlos, wie hinter einer Wand von Unsi- um hackten, dass sie ihm im Gegenteil Verständ- cherheiten verborgen, kam ihm nicht nur seine nis entgegenbrachten. Möglicherweise sahen Kochlehre, sondern auch seine Zukunft vor. Im seine Vorgesetzten, dass da ausser dem gebro- Mai letzten Jahres hob sich dieser graue Schlei- chenen Fuss auch noch etwas anderes erstarken er: Nach den Sommerferien, so entschied er sich, musste. Doch nach den drei Monaten mit dem werde ich ein zweites Mal in mein erstes Lehrjahr unfallbedingten Arbeitsausfall konnten sie trotz 15
SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2016 Rücksichtnahme nicht einfach zur Tagesordnung sein als in einem kleinen Restaurant mit bloss übergehen. Sie stellten Berges vor die Wahl, ob wenigen Personen. Es ist ihm nach wie vor wich- er «mit Vollgas, aber auch mit Plackerei» (Berges) tig, dass er bei einer Meinungsverschiedenheit das Verpasste aufarbeiten will oder ob er es vor- jemanden hat, der ihn versteht, der sich mit ihm zieht, mit der dreijährigen Grundausbildung solidarisiert, weil diese Person nachvollziehen nochmals neu zu starten. «Ich wusste, dass mei- kann, was da schiefgelaufen sein könnte. Seine ne Vorgesetzten hinter mir stehen werden, egal Rechnung ging auf: wie mein Entscheid ausfallen wird. Jeder ande- re Betrieb hätte ziemlich sicher über mich be- «Hier weisst du, was du hast: menschlich und stimmt. Hier aber liess man mir die Wahl. Eine fachlich gute Vorgesetzte. Sie fordern dich grosszügige Haltung», sagt er anerkennend. Am zwar zünftig, wissen aber auch, wie man eine Leistungswillen, am Interesse und an der Aus- Sache vermittelt und was sie verlangen kön- dauer, wie sie von Lernenden gefordert werden, nen und müssen. So nimmt man Kritik auch zweifelten die Ausbildner offenbar nicht. Sie wur- einfacher an.» den nicht enttäuscht. Mit vollen Segeln stieg Moritz Berges Moritz Berges letzten Sommer wieder ins erste Lehrjahr ein. Das spricht sowohl für die Lehrstel- Abends, wenn er nach langen Arbeitsstunden le wie für den jungen Mann. nach Hause fährt, durchströmt ihn oft ein Gefühl von satter Zufriedenheit, «weil ich sehe, dass ich Dass Moritz Berges heute in der Ausbildung zum etwas erreicht habe». Koch EFZ ist, geht nicht auf seinen Herzens- wunsch zurück. Schon eher: Ja, warum eigent- Begeistert erzählt er von seinem Berufsalltag. Er lich nicht Koch? Die geografische Nähe zu sei- habe schon an allen drei Stationen – kalte Kü- nen beiden Wohnorten, beim Vater in Illighau- che, Produktion warme Küche und Patisserie – sen und bei der Mutter in Klarsreuti, sprach für gearbeitet. Auf die Fleisch- und Fischgerichte, die Lehrstelle in der grössten Küche der Spital die im nächsten Jahr auf dem Lehrplan stehen, Thurgau, jener auf dem Gelände der Psychiatrie freut er sich. «Bis jetzt gefiel es mir am besten bei in Münsterlingen. Dass seine Mutter als Leiterin der Produktion fürs Personalrestaurant, weil ich Medizinische Diagnostik am selben Spital tätig dort sofort mitbekomme, ob geschätzt wird, was ist, mag seinen Entscheid mit beeinflusst haben. ich gekocht habe.» Ganz besonders geniesst er In einem Grossbetrieb, so rechnete sich Moritz es, wenn er zwischen zwölf und ein Uhr mittags Berges aus, werde er wohl besser aufgehoben allein in der Küche ist. Nicht dass es dann aus- 16
gesprochen gemächlich zu und her ginge, im Das Tagträumerische hat Moritz Berges nicht Gegenteil; aber in dieser Stunde spürt er so rich- ganz abgelegt. Früher war es oft eine (Abwehr-) tig: Jetzt kommt es auf mich an. Reaktion auf die Realität, mit der er nicht zu rande kam. Älter geworden, kann er heute mit Sein Lieblingsgericht zum Zubereiten ist die Och- Unabänderlichem besser umgehen. Sein Rück- senschwanzsuppe. Moritz Berges lächelt gnädig, zugsort ist die Musik. Ganz allein sitzt er vor sei- als sein Gegenüber zusammenfasst, wie diese nem PC und sampelt Klänge, Rhythmen, Songs. Suppe zu kochen ist. Er weiss es besser. Er be- «Keine bestimmte Stilrichtung. Einfach das, was schreibt, wie von der anfänglich rötlich-schwar- mich herunterholt und beruhigt oder wegträgt. zen Brühe alles abgeschöpft und die Flüssigkeit Es gibt Tage, da bin ich am liebsten mit mir al- danach sorgfältig geseiht wird, «damit eine lein.» goldgelbe, klare Suppe bleibt, in der gar nichts mehr schwimmen darf». Sein kritisch kontrollie- Moritz Berges, Jahrgang 2000, wuchs im Kem- render Blick zur Gesprächspartnerin kann bloss mental auf, wo er auch die Schulen besuchte. eines heissen, was er aber nicht laut zu sagen 2015 begann er in der Grossküche des Kantons- wagt: Das würden Sie nie hinkriegen. spitals Münsterlingen eine Lehre als Koch. Nach einem längeren durch einen Unfall bedingten Von der Schulverdrossenheit nach der dritten Unterbruch entschied er sich, im August noch Sekundarklasse ist nichts mehr geblieben. Auf einmal ins erste Lehrjahr einzusteigen. – Moritz den wöchentlichen Unterrichtstag am Gewerb- Berges wohnt je hälftig bei seiner Mutter in Klars- lichen Bildungszentrum in Weinfelden freut er reuti und bei seinem Vater in Illighausen. Zieht sich sogar. Am liebsten ist ihm die Berufskunde; es ihn in seiner Freizeit weder zu den Kollegen auch der allgemein bildende Unterricht (ABU) noch nach draussen, überlässt er sich selbstver- gefalle ihm. Moritz Berges redet sogar davon, gessen der Musik, die er an seinem PC sampelt. dass er nach der Lehrabschlussprüfung die Be- ❚ rufsmittelschule besuchen will, um anschliessend an einer Fachhochschule studieren zu können. Doch schön der Reihe nach: erst das zweite und das dritte Lehrjahr und dann die Lehrabschluss- prüfung. Ob der Eindruck täuscht, dass dieser junge Mann in seinen Träumen manchmal schneller marschiert, als die Musik spielt? 17
▲▲ Dr. med. Maria Schröder, Assistenzärztin ▲▲ Dies ist der Beispieltext für eine Bildlegende. Sie läuft immer nur über zwei Zeilen.
Ein ungewöhnlicher Lebenslauf? M an könnte ihr bisheriges Leben als im klinik St. Katharinental in Diessenhofen tätig ist. Wortsinn ausserordentlich bezeich- Um den Facharzttitel «Allgemeine Innere Medizin nen: Mit 19 Jahren wurde sie Mutter, FMH» zu erlangen, wie sie es vorhat, ist nach dem mit 40 Jahren ist sie Assistenzärztin in der Reha- Staatsexamen eine fünfjährige Weiterbildung bilitationsklinik St. Katharinental, Diessenhofen. vorgeschrieben. Dabei müssen drei auf dem Maria Schröder hat gelernt, dass es für Wichtiges angestrebten Fachgebiet, in ihrem Fall auf der keinen falschen, bloss einen unüblichen Zeit- Inneren Medizin, absolviert werden. Als Fremd- punkt gibt – sofern man ihn nicht verpasst. jahre bezeichnet man dann jene Ausbildungs- jahre, die als Ergänzung aus verschiedenen Spe- Vielleicht hängt in einigen Jahren, wenn sie in zialgebieten ausgewählt werden können. den Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte aufgenommen worden ist und den Titel Dass Maria Schröder, die in Freiburg im Breisgau FMH erhalten hat, an der Türe zu ihrer Praxis ein studiert hat, für ihre Weiterbildung in den Thur- Schild «Fachärztin für Rheumatologie». Eine gau gekommen ist, hat gute Gründe. Fachfrau also für Arthritis, Arthrose und Erkran- kungen des Rückens. Gibt es ausserhalb der Me- «Die Kliniken der Spital Thurgau bieten ein dizin etwas, das sich mit einem menschlichen breites Spektrum an medizinischen Fachbe- Gelenk vergleichen lässt? Maria Schröder stutzt reichen, die zum Teil als A-Spital zugelassen über die eigenartige Frage, findet dann eine sind – also die idealen Voraussetzungen für überraschende Parallele: «Menschliche Bezie- eine Facharzt-Weiterbildung.» hungen sind vergleichbar mit einem Gelenk: So Maria Schröder wie im Körper zwei Knochen aufeinander treffen, um die sich eine Kapsel bildet, treffen auch beim Hierdurch besteht für die Assistenzärzte zum ei- Kontakt von zwei Personen, in der Liebe, der nen die Möglichkeit, gleich mehrere Jahre der Freundschaft oder am Arbeitsplatz, zwei Cha- Weiterbildungszeit zu absolvieren, und zum an- raktere aufeinander. Diese beiden Menschen deren in andere Fachbereiche rotieren zu kön- definieren ihr Verhältnis, sie unterstützen und er- nen. Hierbei kommt das Klinik-Informations gänzen sich, reiben sich, was manchmal weh tut. system KISIM als weiterer Vorteil hinzu. Als die Ab und an gibt es Abnützungserscheinungen.» Spital Thurgau 2011 das KISIM einführte, war sie schweizweit bei den ersten, die damit eine elek- Zurück zu den Fakten, zu Maria Schröder, der tronikbasierte, interdisziplinäre Zusammenarbeit Assistenzärztin, die derzeit an der Rehabilitations- ermöglichten. 19
SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2016 Konkret heisst das, dass von überall her, sei es Als Erstes hat die Assistenzärztin ihre obligato vom Kantonsspital Frauenfeld oder Münsterlin- rischen zwei Jahre A-Spital am Kantonsspital gen, sei es von der Rehaklinik Diessenhofen oder Frauenfeld auf der Inneren Medizin absolviert. von den Psychiatrischen Diensten, auf sämtliche Danach hat sie sich für ein Jahr die Rehabilita- elektronische Daten eines Patientendossiers zu- tionsklinik am Rhein ausgesucht, die unter an- gegriffen werden kann. Dieser Zugang rund um derem auch Patienten mit rheumatologischen die Uhr und rund ums Jahr ist selbstredend pass- Erkrankungen behandelt, wo sie seit Juni 2016 wortgeschützt und ist nur jenen Fachpersonen tätig ist. Sowohl in Frauenfeld wie in Diessen- möglich, die an der aktuellen Behandlung direkt hofen fühlte beziehungsweise fühlt sie sich gut beteiligt sind. Während früher bei Fragen, Un- betreut. klarheiten oder zur Nachforschung ein Wust an Akten hin und her geschickt werden musste und «Ich weiss, dass mir meine Vorgesetzten je- damit möglicherweise wertvolle Zeit verloren derzeit mit Rat und Tat zur Seite stehen. Es ist ging, findet man im KISIM nach wenigen Maus- natürlich das Ziel, dass wir in unseren Ent- klicks alles Wesentliche: heutige und frühere scheiden immer sattelfester werden. Wir müs- Diagnosen und Differentialdiagnosen, die Liste sen lernen, uns und den Fall richtig einzu- der verabreichten Medikamente, neue und alte schätzen, müssen abwägen, wann wir den Laborresultate, Röntgen- und anderen Bilder, Oberarzt dazu bitten oder eine konsiliarische alle aktuellen und abgeschlossenen Therapien Zweitmeinung einholen sollten.» und nicht zuletzt auch administrativ Relevantes. Maria Schröder Der Informationsaustausch ist das eine. Nicht Ob die Rheumatologie tatsächlich ihr berufli- weniger wichtig ist, dass Entscheidungsprozesse cher Schwerpunkt wird, weiss sie noch nicht. Den erleichtert beziehungsweise unterstützt werden. schnurgeraden Weg gab es in ihrem Leben Somit sind auch die Patientinnen und Patienten nicht. Das zu akzeptieren, war nicht immer ein- direkte Nutzniesser von KISIM. Kaum verwunder- fach. Mit 19 Jahren bekam sie eine Tochter. Mit lich, dass sich daher auch die Arztvisiten verän- Mut und Kreativität stellte sie sich der Aufgabe dert haben: Was einst die papierene Kranken- und machte zunächst eine Ausbildung als Phy- geschichte war, ist heute ein Laptop. Effektiv und siotherapeutin und war einige Jahre in diesem effizient. Auch Maria Schröder betont, dass sie Beruf tätig. Danach packte Sie das Medizinstu- bei ihrer Arbeit von den Vorteilen des KISIM täg- dium an. Heute, mehr als 20 Jahre später, mit lich profitiert. knapp 40, ist sie vergleichsweise alt, wenn man 20
ihren beruflichen Werdegang anschaut. Eine zu dizinischen Fachbereichen Ärztinnen gibt, dass alte Assistenzärztin? «Mitnichten», wehrt sie sich, nicht nur Männer das medizinische Umfeld und «mein Alter hat auch Vorteile: Ich bringe Lebens- unser Berufsbild definieren und dominieren.» erfahrung mit, die sowohl im Kontakt mit Patien- tinnen und Patienten als auch bei der Teamar- Maria Schröder, Jahrgang 1977, ist in Villingen- beit geschätzt wird.» Das mag stimmen. Den- Schwenningen (D) aufgewachsen. Sie ist gelern- noch ist unschwer anzunehmen, dass sie für ihr te Physiotherapeutin. Nach fünf Jahren Tätigkeit Medizinstudium noch einmal tief Luft holen in diesem Beruf nahm sie in Freiburg im Breisgau musste, bevor sie sich zu den um teils zehn Jah- das Studium der Humanmedizin auf und legte re jüngeren Mitstudenten in den Hörsaal setzte. 2013 die ärztliche Prüfung (entspricht dem «Ungeplante Dinge können Kräfte freisetzen, Schweizer Staatsexamen) ab. Am Ende des Stu- damit wir mit einer unerwarteten Situation trotz diums arbeitete sie als Unterassistentin am Spital erschwerender Umstände klug umgehen.» Was Münsterlingen. Ihre erste Assistenzarzt-Stelle sie nicht sagt, aber spürbar ist: Ob etwas zu spät nach der ärztlichen Approbation hatte sie im ist, entscheiden in vielen Fällen wir, weniger oft Spital Frauenfeld auf der Inneren Medizin. Aktu- die Fakten. Heute sieht sie in ihrem ungewöhn- ell arbeitet sie als Assistenzärztin in der Rehabi- lichen Lebensweg sogar Vorteile: «Die Frage litationsklinik St. Katharinental in Diessenhofen. ‹Wie vereinbare ich Familie und Beruf?› muss ich Maria Schröder lebt mit ihrem Partner im Zürcher mir nicht stellen.» Maria Schröder kann, ohne Unterland und hat eine 20-jährige Tochter. ❚ zwischen Kinderkrippe und Spital hin und her zu hetzen, 100 Prozent arbeiten. Noch immer wird angenommen, dass eine Frau am Krankenbett zum Pflege-, nicht aber zum Ärzteteam gehört. Junge Ärztinnen werden da- her ab und an gefragt, wann denn der «Herr Doktor» komme. Maria Schröder empfindet die- se Frage nicht als Beleidigung, «auch wenn es irritierend ist, dass man jungen Frauen gewisse Berufsfelder und Kompetenzen nicht zutraut. Es ist jedoch nicht konsequent; denn es wird ge- sellschaftlich ja gewünscht, dass es in allen me- 21
▲▲ Marlon Höppner, Informatiker in Ausbildung ▲▲ Dies ist der Beispieltext für eine Bildlegende. Sie läuft immer nur über zwei Zeilen.
Medizininformatiker vernetzen, was Medizinern und Kranken nützt M arlon Höppners Werbespot für seinen startete er seine vierjährige Lehre. Tag für Tag zukünftigen Beruf des Medizininforma- staunte er aufs Neue, wie umfassend und wich- tikers lautet: «Für Leute, die wissen tig die Medizininformatik insbesondere für die wollen, was hinter den Kulissen eines Spitals Radiologie, aber auch für alle übrigen Abteilun- auch noch klappen muss.» Dass er sich als gen im Spital ist. 1.-Lehrjahr-Stift am richtigen Ort fühlt, hat mit der Vielseitigkeit seines Berufsalltags und den Mittlerweile weiss er Bescheid, was zum Pflich- verständnisvollen Vorgesetzten zu tun. tenheft eines Medizininformatikers gehört: Dieser sorgt dafür, dass die elektronischen Systeme und An sieben Orten und bei vier verschiedenen Be- Geräte tadellos funktionieren, damit die richtige rufsgattungen ging Marlon Höppner schnup- Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort pern. Den einen Lehrbetrieb verliess er am der richtigen Person im richtigen Kontext zur Ver- Abend mit einem Kopfschütteln, den anderen fügung steht. Das dient zum einen der Qualitäts- mit einem Schulterzucken. Immer weniger wuss- sicherung, zum andern steigert die Medizinin- te er, was er denn eigentlich suchte und wollte. formatik auch die Effizienz und Effektivität. Na- Bis zu jenem glücklichen Tag, wie er sagt, an hezu alle Geräte im Spital, die unterschiedlicher dem er im Sprechzimmer von seinem Arzt ganz nicht sein könnten, übertragen ihre Daten elek- beiläufig den Rat bekam, er solle sich doch im tronisch zum hauseigenen Rechner. Vom Blut- Kantonsspital Frauenfeld bei der ICT-Abteilung, zuckerresultat übers Röntgenbild bis zu den ver- Spezialgebiet Medizininformatik, melden. Mar- arbeiteten Videoaufnahmen während der Ope- lon Höppner hatte keine Ahnung, was es mit ration – alles, was in den Akten der Patientinnen diesem Beruf auf sich haben könnte. Da er nichts und Patienten festgehalten soll und für die jetzi- zu verlieren hatte, ging er hin. ge oder eine spätere Behandlung nützlich sein könnte, wird im KISIM, dem Klinik-Informations- «Ich spürte sofort: Hier stimmt für mich alles, system, abgespeichert, vernetzt und archiviert. die Arbeit, die Umgebung, das Team.» Informatiker sind sozusagen die fleissigen Amei- Marlon Höppner sen, zuständig für die spitalinterne Datenauto- bahn. In der Spital Thurgau gibt es sechs hoch- Dass er erst mit dem Beginn seiner Lehre erfassen qualifizierte Medizininformatik-Spezialisten, die wird, was ein Medizininformatiker tut, beunruhig sich ums einwandfreie Funktionieren der gesam- te ihn nicht. Sein Gefühl sagte ihm, dass das die ten medizinischen Elektronik an allen vier Stand- richtige Lehrstelle ist. Im letzten August dann orten der Spital Thurgau kümmern. 23
SPITAL THURGAU, GESCHÄFTSBERICHT 2016 Im Team, dem Marlon Höppner zugeteilt ist, hat Obwohl Marlon Höppner kein Schulmuffel ist, er sich schnell eingelebt. Von seinem direkten hält sich seine Begeisterung für den Unterricht Vorgesetzten, dem IT-Techniker Thomas Heinzler, am Mittwoch, dem Tag mit den allgemeinbil- ist er begeistert. Leicht vornüber geneigt sitzt der denden Fächern, in Grenzen. «Wenn es doch 16-Jährige da, seine Arme fest um den Oberkör- nur ein Mittel gäbe, mit dem ich meine Motiva- per gelegt, als ob er so besser nachdenken tion auch an diesem Tag ankurbeln könnte», könnte. Nach einer Pause sagt er: «Im Vergleich seufzt er. Wie viel lieber sind ihm die Donnersta- mit anderen Lernenden bin ich vielleicht schu- ge und Freitage, wenn es hauptsächlich um den lisch schwächer, da gibt’s nichts schönzureden. berufsspezifischen Unterricht geht. Ein Schmun- Ich habe nicht die besten Noten, stattdessen bin zeln huscht über sein sonst ernstes Gesicht. Noch ich ausgesprochen teamfähig und integra kann er das in der Schule Gelernte nur bedingt tionswillig, was an einem Arbeitsplatz entschei- in seinem Berufsalltag anwenden, einiges ist dend sein kann. Ich gebe im Rahmen meiner noch graue Theorie. Das wird sich schon noch Möglichkeiten das Beste.» ändern, sagt er sich. Am Bildungszentrum für Technik in Frauenfeld, Die meiste Zeit sitzt Marlon Höppner vor dem wo Marlon Höppner drei Tage die Woche zur Computer. Langweilig? «Nein! Im Gegenteil. Schule geht, ist er in seiner Klasse der einzige Da immer mal wieder irgendwo ein Problem Medizininformatiker. Kein Problem. Alles, was auftaucht, ist meine Tätigkeit sogar ausseror- mit Bits und Bytes zu tun hat und ihm in der Schule dentlich abwechslungsreich. Ich weiss am beigebracht wird, bleibt sich für alle Informatiker Morgen nie, wo und woran ich arbeiten werde.» gleich, egal wo sie ihre Lehre machen. Das Mal muss eine Videokonferenz vorbereitet wer- medizinische Spezialwissen wird ihm in seinem den fürs Kolloquium der Ärzte in Frauenfeld mit Lehrbetrieb vermittelt. Bis er seinen Platz bei jenen in Münsterlingen. Dann wieder baut den Informatikerkollegen in der Schule gefun- er eine Festplatte ein oder aus; er konfiguriert den hatte, dauerte es ein Weilchen – anders eine Workstation für einen Arzt, richtet Monitore als an seiner Lehrstelle im Spital. «Das liegt auch und Diktiergeräte ein. Manchmal kauert er unter an mir; ich bin eher scheu und abwartend einem Pult und kontrolliert, ob die Datenströme und brauche Zeit, um Vertrauen zu fassen. Ist vom Sender auch tatsächlich zum richtigen das Eis gebrochen, bin ich danach eine treue Empfänger gelangen. Der Wichtigkeit seiner Seele.» Arbeit ist er sich sichtlich bewusst: 24
Sie können auch lesen