Doktoratsstipendien im Ausland 10 Jahre Marietta-Blau-Stipendium - Nummer 108 | März 2019
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2 Inhalt 03 Jakob Calice Editorial 24 Eva Müllner Frauen in Österreichs Wissenschaft 04 Lucas Zinner Internationale Forschungserfahrungen: 25 Die erste Rektorin der Fachhochschulen geht in Pension | NEU: Bertha von Suttner Privatuniversität Pflichtprogramm für die Karriere St. Pölten 06 Peter Ertl Hin und zurück: Eine nie enden wollende 26 Ursula Panuschka | Petra Siegele ... der OeAD macht wieder Schule! Forschungsreise 08 oead.news im Gespräch mit Barbara Weitgruber 28 Gemeinsam digitale Lernmittel gestalten Ein Stipendium mit Mehrwert – das Marietta- Blau-Stipendium 29 Carina Plandor Das war der Citizen Science Award 2018 10 Michael Schedl Das Marietta-Blau-Stipendium 30 Carina Plandor Citizen Science Award 2019 14 Stefanie Rudig Von Tolkiens Baum bis Mittelerde und wieder zurück 32 Franziska Staber Erasmus+ (2021–2027) 16 Martina Spies Was wäre unsere Welt ohne Spielplätze? 34 Günther Jedliczka Anerkennung für nachhaltiges Bauen 18 Lukas Brunner Extreme Hitzewellen und späte Kälteeinbrüche. Ist das normal? 36 Rita Michlits | Cathrine Seidelberger Hochschulkooperationen regional, national und international 20 Petra Sumasgutner Als Stadtökologin um die Welt 38 KulturKontakt Austria wird mit 1.1.2020 in die OeAD-GmbH integriert 22 Simon Reisenbauer Inklusiver Unterricht in Äthiopien, Thailand und Österreich 39 Veranstaltungskalender 23 Werner Fulterer In besserer Gesellschaft: Der selbstgerechte Blick auf 40 European Forum Alpbach die Anderen
3 Jakob Calice Editorial Internationale Forschungserfahrungen zu sammeln, im Bereich »Young Science«. gehört heute zum absoluten Pflichtprogramm Gleichzeitig waren es zehn einer wissenschaftlichen Karriere. Auslandsaufent- herausfordernde Jahre, weil halte erweitern nicht nur den Horizont, eröffnen sich der OeAD in seiner heu- neue Perspektiven und tragen wesentlich dazu bei, tigen Form erst etablieren neues fachspezifisches Wissen zu erwerben. Häu- und konsolidieren musste. fig wird ein wissenschaftlicher Auslandsaufenthalt Mit der Integration von mittlerweile als eine Grundvoraussetzung für eine KulturKontakt Austria ab fixe Anstellung an einer Universität verlangt. Mit Jänner 2020 wird sich der dem Marietta-Blau-Stipendium für Doktorats- OeAD einmal mehr wei- studierende aus Österreich leistet der OeAD daher terentwickeln. Er weitet einen wichtigen Beitrag für die forschungsbezo- dadurch sein Portfolio im gene Mobilität am Anfang der wissenschaftlichen Schulsektor um zwei zentra- Karriere. Das diesjährige zehnjährige Jubiläum des le Bereiche aus: Einerseits ist © Philipp Monihart, OeAD Stipendienprogramms bietet daher einen guten es eine inhaltliche Verbrei- Anlass, um über seine Wirkung zu reflektieren und terung um die Vermittlung in dieser Ausgabe der oead.news einige Stipendia- von Kunst und Kultur an tinnen und Stipendiaten mit ihren Erfahrungen zu Schulen – ein Bereich der Wort kommen zu lassen. Ihre Berichte lesen Sie auf zentral ist, wenn es darum den Seiten 14 bis 23. geht, Schülerinnen und Nicht nur das Marietta-Blau-Stipendium feiert Schüler mit Kompetenzen heuer sein zehnjähriges Bestehen. Auch der OeAD des 21. Jahrhunderts auszustatten. Und zugleich in seiner heutigen Rechtsform als GmbH des Bun- bedeutet das eine regionale Ausweitung, weil da- des wird 2019 zehn Jahre alt. Es freut mich daher durch mehrere Standorte am Westbalkan und in ganz besonders, dass ich genau zu diesem Zeit- Osteuropa dazukommen, die hochgeschätzte Part- punkt die Leitung des OeAD übernehmen darf. ner/innen in der Entwicklung der Bildungssysteme Denn die Vergangenheit hat gezeigt, wie erfolg- vor Ort sind. reich diese zehn Jahre nicht nur für den OeAD selbst, Der OeAD wird also noch mehr als bisher den auch für seine Wirkungsbereiche gewesen sind. gesamten Wissenschafts- und Bildungsstandort im Das zeigt sich an den sehr guten Bewertungen der Blick haben. Ein Bereich, der sich durch permanen- Programmabwicklung – etwa des Erasmus+ Pro- ten Wandel auszeichnet. Daher werden das sicher- gramms. Und man sieht es auch an dem gewachse- lich nicht die letzten Veränderungen gewesen sein. nen Aufgabengebiet des OeAD, etwa im Bereich der Aber bis dahin wünsche ich Ihnen eine gute Lektüre Nationalen Koordinationsstelle für den Nationalen dieser OeAD-News. Qualifikationsrahmen oder die Schulprogramme Jakob Calice Impressum: Medieninhaber & Herausgeber: OeAD (Österreichische Austauschdienst)-Gesellschaft mit beschränkter Haftung | Austran Agency for International Cooperation in Education and Research (OeAD-GmbH) | 1010 Wien, Ebendorferstraße 7 | T +43 1 534 08-0 | F DW 999 | info@oead.at | www.oead.at | Sitz: Wien | FN 320219 k | Handelsgericht Wien | Chefredaktion und für den Inhalt verantwortlich: Eva Müllner, unter Mitarbeit von Michael Schedl, KIM – Kommunikation, Information, Marketing | Schlussredaktion: Christian Jahn, Rita Michlits, Barbara Sutrich | Mitarbeiter/innen dieser Ausgabe: Lukas Brunner, Jakob Calice, Peter Ertl, Werner Fulterer, Günther Jedliczka, Rita Michlits, Eva Müllner, Ursula Panuschka, Carina Plandor, Simon Reisenbauer, Stefanie Rudig, MichaelSchedl, Cathrine Seidelberger, Petra Siegele, Martina Spies, Franziska Staber, Petra Sumasgutner, Lucas Zinner | Grafisches Konzept: Fineline, erweitert Rita Michlits & Eva Müllner | Layout: Eva Müllner | Coverfoto: © Pixabay | Druck: AV+ASTORIA Druckzentrum GmbH | Finanziert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung | Hinweis: Namentlich gekennzeich- nete Beiträge spiegeln die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider und müssen sich nicht mit der des Herausgebers decken. | P.b.b. | Erscheinungsort Wien | Verlagspostamt 1010 Wien | GZ: 02Z032 994M | Wien, März 2019 OFFENLEGUNG GEMÄSS § 25 MEDIENGESETZ: Unternehmensgegenstand: Unternehmensgegenstand ist die Durchführung von Maßnahmen der europäischen und internationalen Kooperation im Bereich der Wissenschaft und Forschung sowie der Erschließung der Künste, der Hochschulbildung, der Bildung und der Ausbildung (§3. (2) OeAD-Gesetz) | Geschäftsführer: Jakob Calice | Prokurist: Ulrich Hörmann | Mitglieder des Aufsichtsrates: Edeltraud Hanappi-Egger, Hanspeter Huber, Teresa Indjein, Kurt Koleznik, Marlies Krainz Dürr, Harald Malainer, Bernhard Mazegger, Bernhard Muzik, Elmar Pichl, Franz Salchenegger, Barbara Sporn, Eva Weixler | Die OeAD-GmbH steht zu einhundert Prozent im Eigentum des Bundes (§1.(2) OeAD-Gesetz) | Grundlegende Richtung: Information zu Bildungsmobilität & Bildungskooperation – national und international
4 Lucas Zinner Internationale Forschungserfahrungen: Pflichtprogramm für die Karriere Die internationale Vernetzung in der Doktorand/innen- ausbildung ist besonders wichtig. Lucas Zinner Die stetig zunehmende Internationalisierung im vereinbarungen stattfinden, sondern vielmehr der leitet die Abteilung Forschungs- Hochschulbereich schafft gerade für den wissen- Logik wissenschaftlicher Kooperationen folgen und service und Nachwuchsförderung schaftlichen Nachwuchs neue Chancen und Vortei- oft von den Doktorand/innen selbst, idealerweise der Universität Wien. Nach einer le, bringt aber auch neue Herausforderungen mit unterstützt von ihren Betreuer/innen organisiert Dissertation in Mathematik, drei sich. Dazu konstatieren Bhandari & Blumenthal werden. Umso wichtiger wäre es, mehr Forschung Jahren Postdoc in Österreich und (2009), dass die internationale akademische zu den tatsächlichen Erfahrungen mit Auslands- Schweden und einer zweijährigen Mobilität jener Aspekt der Internationalisierung ist, aufenthalten von Doktorand/innen durchzuführen Tätigkeit im FWF war er ab 2004 der sich am stärksten in Bezug auf seinen Umfang und Daten verfügbar zu haben, die den Impact sol- an der Universität Wien mit dem und seine Auswirkung bemerkbar macht. Mobilität cher Mobilitäten auf künftige Karrierewege aufzei- Aufbau einer zentralen Einheit für ist im Wissenschaftsbetrieb freilich nichts Neues. gen, um die verbreitet positiven Assoziationen, die Forschungsdienstleistungen und Studierende und Wissenschaftler/innen sind seit in der Regel anekdotischen Charakter haben, mit Technologietransfer beschäftigt. Jahren, ja seit Jahrhunderten mobil. Wie Musselin harten Daten abzugleichen. Eine Studie (Kyvik et Er war am Reorganisationsprozess (2004, S. 55) schreibt: »Die akademische Mobilität al, 1999) aus Norwegen aus dem Jahr 1999 zeigte, der Doktorand/innenausbildung hat in Europa eine lange Tradition, die mit der Grün- dass die Vorteile im Zusammenhang mit solchen in Europa und an der Universität dung der europäischen Universitäten im Mittelalter Aufenthalten bei weitem überwiegen. Schwierig- Wien beteiligt und baute dort begann« (eigene Übersetzung). Das Aufkommen keiten wie Verzögerungen bei der Arbeit an der 2008 das Doktorand/innen- der Globalisierung, gemeinsam mit dem Bologna- Dissertation, schlechte Einbettung in die ausländi- zentrum auf. Im Jahr 2017 prozess in Europa und den damit verbundenen schen Institutionen oder familiäre und soziale Pro- gründete er die PRIDE Network Politiken haben aber die Nachfrage nach und die bleme sollten aber nicht ausgeblendet werden. Um Association for Professionals in Bedeutung der Mobilität von Studierenden wesent- Mobilitätshindernisse abzubauen (vgl. dazu Netz et Doctoral Education und ist aktuell lich verstärkt. Speziell auf Bachelor- und Master- al, 2017) und Nachteile abzufedern, braucht es auf Vorsitzender des Vorstands. ebene kann Europa stolz auf sein Erasmus-Pro- Ebene der Institutionen sowohl bei den sendenden gramm sein. Seit 1987 konnten mehr als vier Mio. als auch empfangenden Einrichtungen mehr Unter- Studierende dank Erasmus international akademi- stützung in der Vorbereitung und Planung, Durch- sche Erfahrungen sammeln können. führung und wohl auch in der Nachbereitung der Dass internationale Vernetzung auch beson- Mobilität. ders in der Doktorandenausbildung wichtig ist, sei Um Auslandserfahrungen aber für viele Dokto- es durch Forschungsaktivitäten in internationalen rand/innen in Österreich überhaupt erst zu ermögli- Konsortien, in Form von Doppel- und Joint-Degree- chen, braucht es Förderagenturen und Programme Programmen oder selbstorganisierten Forschungs- wie das Marietta-Blau-Stipendium des OeAD, wel- aufenthalten im Ausland, ist auch in den Principles ches junge Wissenschaftler/innen auch finanziell bei for Innovative Doctoral Training (EU, 2011) festge- längeren Aufenthalten an einer ausländischen Uni- schrieben. Als anerkanntes Referenzdokument hat versität oder bei internationalen Forschungsaktivi- dieses für Ministerien, Fördereinrichtungen und täten unterstützt und damit erst die Basis für eine Universitäten gleichermaßen Bedeutung. erfolgreiche Mobilität schafft. Ein zweiter positiver Zahlen zu den Mobilitäten im Doktorat, aber Effekt des Stipendiums ist auch sein kompetitiver auch Studien zu den Vor- und Nachteilen, die mit Charakter, bringt doch das Stellen von Anträgen den längeren Aufenthalten an einer ausländischen wertvolle Erfahrungen und erfolgreiche Bewerbun- Universität im Rahmen des Doktorats verbun- gen Pluspunkte für die weitere Karriere. den sind, sind weniger leicht greifbar. Dies hängt Die internationale Mobilität bringt auf unter- sicher damit zusammen, dass derartige Mobilitäten schiedlichsten Ebenen vielfältige Vorteile. Auf indi- weniger mithilfe festgeschriebener Kooperations- vidueller Ebene kann sie dazu beitragen, dass Dokto-
5 10 Jahre Marietta-Blau-Stipendium Lucas Zinner: »Leider gibt es kaum Forschung zu den tatsächlichen Erfah- rungen mit Auslandsaufenthalten von © Jan Botha Doktorand/innen, um den Impact solcher Mobilitäten – mit allen Pros und Contras – auf künftige Karrierewege aufzuzeigen.« rand/innen dank ihrer internationalen Vernetzung Methoden oder aktuellen Forschungsansätzen, die in ihrer Wettbewerbsfähigkeit in der Forschung und die zu ihren Heimatinstitutionen zurückkehrenden für ihre jeweiligen Karrieren gestärkt werden. Dies Doktorand/innen mitbringen. Aus nationaler Per- bestätigt beispielhaft Gerlinde Steininger, Dokto- spektive leistet die akademische Mobilität »einen randin an der Universität Wien, die dank eines Mari- wichtigen Beitrag zur Internationalisierung und etta-Blau-Stipendiums des OeAD am International zur Stärkung des Wissenschafts-, Forschungs- und Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) der Wirtschaftsstandorts Österreich«, wie im Gesamt- Justus-Liebig-Universität Gießen forschte, in einem österreichischen Universitätsentwicklungsplan Interview mit dem Doktorand/innenzentrum der 2019–2024 (S. 33) nachzulesen ist. Aber auch in der Universität Wien, wenn sie sagt: »Ich habe auf sehr transnationalen Wissenschaftspolitik nimmt die in- vielfältige Weise von meinem Aufenthalt in Gießen ternationale Mobilität eine Schlüsselrolle ein, weil profitiert. […] Wertvoll war für mich insbesondere sie Wissenstransfers zwischen Volkswirtschaften auch das Feedback der Expert/innen und promo- befördert und damit deren Innovationsfähigkeit vierenden Kolleg/innen zu meinem Projekt. Der stärkt. Aufenthalt war nicht nur der Weiterentwicklung Das Marietta-Blau-Stipendium des OeAD erfüllt Um Auslandserfahrun- meines Projekts förderlich, sondern auch meiner somit aus unterschiedlichsten Betrachtungswin- gen für Doktorand/innen persönlichen Entwicklung als Wissenschaftlerin – keln eine wichtige Rolle, auf Individualebene für in Österreich überhaupt ein Doktoratsstudium umfasst weitaus mehr als das den wissenschaftlichen Nachwuchs, auf strukturel- Verfassen einer Dissertation.« Studien legen nahe, ler Ebene für den Wissensstandort. In diesem Sinne erst zu ermöglichen, dass internationale Mobilität oft auch mit einer sind dem Programm mehr Mittel und mehr Nach- braucht es Förderagen- Erhöhung der wissenschaftlichen Produktivität ein- frage zu wünschen, um mehr Doktorand/innen turen und Programme hergehen (vgl. IDEA Consult, 2013). International internationale Forschungserfahrungen zu ermög- wie das Marietta-Blau- engagierte Doktorand/innen reifen als Persönlich- lichen und Österreichs Universitäten durch deren Stipendium des OeAD. keiten und bekommen dank ihrer Erfahrung eine Erfahrungen reicher zu machen. globale Perspektive zur Produktion, zum Austausch und zum Transfer von Wissen. Zusätzlich bereichert die akademische Mobilität die persönlichen Erfah- Bhandari, R., & Blumenthal, P. (2009): Global student mobili- rungen der Doktorand/innen, indem sie interkul- ty: Moving towards brain exchange. Higher education on the turelles Bewusstsein und ein tieferes Verständnis move: New developments in global mobility, S. 1–14 für das akademische Arbeitsumfeld entwickeln. IDEA Consult et al. (2013): Support for continued data coll- Auch gilt die physische internationale Mobilität als ection and analysis concerning mobility patterns and career Katalysator für den individuellen beruflichen Erfolg. paths of researchers. Final report MORE2, Brüssel Wegen dieser möglichen Vorteile braucht es Pro- Kyvik, S., Karseth, B., & Blume, S. (1999): International mo- gramme wie das Marietta-Blau-Stipendium, damit bility among Nordic doctoral students. Higher Education, zukünftige Forscher/innen bereits in ihrer wissen- 38(4), S. 379–400 schaftlichen Qualifizierungsphase, also dem Dokto- Musselin, C. (2004): Towards a European academic labour rat, Auslandserfahrung sammeln. Auf institutionel- market? Some lessons drawn from empirical studies on aca- ler Ebene erhalten die Universitäten nicht nur durch demic mobility. Higher Education, 48(1), S. 55–78 die internationale Mobilität ihrer Doktorand/- Netz, N., Schirmer, H., für Hochschul, D. Z., & Laube, L. (2017): innen globale Bekanntheit und neue akademische Internationale Mobilität von wissenschaftlichem Nachwuchs Kooperationspartner, sondern profitieren auch von (Begleitstudie B6). Studien im Rahmen des Bundesberichts international vergleichenden Perspektiven, neuen Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017
6 Peter Ertl Hin und zurück: Eine nie enden wollende Forschungsreise »Meine Auslandsaufenthalte haben mich als Mensch verändert und als Forscher geprägt.« Peter Ertl Als ich mich nach meinem Diplomstudium in doch so, dass meine Auslandsaufenthalte mich als studierte Lebensmittel- und Wien auf den bevorstehenden Wechsel nach Mensch verändert und als Forscher geprägt haben. Biotechnologie an der Universität Kanada vorbereitete, um an einem internationalen Sich ständig mit den Besten messen zu müssen, für Bodenkultur Wien, absolvierte Ph.D.-Programm teilzunehmen, ahnte ich noch ein soziales und wissenschaftliches Netzwerk von sein Doktorat in Chemie an der nicht, dass mich dieser Entschluss über den Zeit- Grund auf aufzubauen, Geduld und Arbeitswillen University of Waterloo, Kanada raum von 20 Jahren an vier Universitäten in vier aufzubringen sowie kulturelle bzw. sprachliche und verbrachte mehrere Jahre Ländern und durch drei Kontinente führen sollte. Toleranz zu üben, hat mich sicher offener, wettbe- als Postdoc an der University of Ich erinnere mich noch gut an die Freude, das werbsorientierter und kommunikationsfreudiger California in Berkeley. Nach dem rigide Aufnahmeverfahren der kanadischen Uni- gemacht. Meine erworbene globale Kompetenz Aufbau eines Biotech-Start Up- versität positiv abgeschlossen zu haben, aber auch und Netzwerkfähigkeiten haben sich durchaus Unternehmens kehrte Ertl 2005 an die Unsicherheit, ob ich die zusätzliche finanziel- positiv auf meine Forschungskarriere ausgewirkt nach Österreich zurück, wo er le Belastung und die akademischen sowie sozialen und zu einer besseren Positionierung im interna- als Senior Scientist am Austrian Herausforderungen bestehen werde. Damit meine tionalen wissenschaftlichen Arbeitsumfeld geführt. Institute of Technology Lab-on- ich sowohl den Verlust der sozialen und finanziellen Ich spüre heute noch eine gewisse Rastlosigkeit a-Chip-Systeme entwickelte. Sicherheit als auch die auf Konkurrenz basierende und den Wunsch nach weiteren Forschungsaufent- Wissenschaftliche Aufenthalte an nordamerikanische Forschungsstruktur, in der halten sowie ein Interesse an Interdisziplinarität, der UC Berkeley, Nanyang Tech- ein Studienabbruch ein reales Szenario darstellte. was sich mittlerweile zum Innovationsmotor mei- nological University in Singapur Ohne ein zweijähriges Doktoratsstipendium vom ner Forschungstätigkeiten entwickelt. und am Medical Center UC San Ministerium hätte ich wohl den Sprung über den Da akademische und industrielle Forschung Francisco sowie eine Habilitation Atlantik nicht gewagt, um mich in einem vierjäh- immer »globalisierter« wird und wissenschaftliche im Fachbereich Nanobiotech- rigen Doktoratsprogramm zu bewähren. Rückbli- Kooperation sich zusehends in transnationalen nologie folgten. Sein Fachgebiet ckend kann ich feststellen, dass wir an Österreichs Netzwerken organisiert, müssen heimische For- an der Technischen Universität Hochschulen eine sehr gute und fundamentale scher/innen zukünftig einen noch höheren Grad Wien umfasst die Entwicklung Ausbildung genießen, die jungen Forscher/innen an Flexibilität und Mobilität zeigen. Das bedeutet, von Lab-on-a-Chip-Technologien definitiv das Rüstzeug mitgibt, um in Europa, dass Akademiker/innen viel früher in ihrer Karri- für die Biowissenschaften. Ertl ist Asien und Nordamerika erfolgreich zu sein. Im ere global gültige Kompetenzen erlangen sowie Mitglied von Ascina (www.ascina. Zuge meiner Forschungsaufenthalte konnte ich ein internationales Netzwerk aufbauen müssen, at), dem Netzwerk österreichischer viele junge österreichische Wissenschaftler/innen um sich an transnationalen Forschungsaktivitäten Wissenschaftler/innen in den USA, kennenlernen, die sich in der amerikanischen For- beteiligen zu können. Eine erhöhte Aufmerksam- Kanada und Mexiko. schungsszene sehr erfolgreichen durchsetzen. Ob- keit gegenüber diesen internationalen akademi- wohl der Weg zu einer Dissertation in Nordamerika schen Trends ist schon seit Jahren in Österreich in vielen Aspekten unterschiedlich ist, bin ich fest erkennbar, da sich Universitäten, Fördergeber und davon überzeugt, dass das Niveau in Österreich Ministerien intensiv mit einer Verbesserung der durchaus vergleichbar ist. Ob die Dissertation an Rahmenbedingungen auseinandersetzen, damit einer renommierten ausländischen Universität junge Forscher/innen erfolgreich international ar- letztendlich die Qualität meiner Forschungsarbei- beiten können. Neben einer finanziellen Absiche- ten an der Technischen Universität Wien verbessert rung eines Forschungsaufenthalts für Nachwuchs- hat, möchte ich daher nicht kommentieren, da ich wissenschaftler/innen mittels Förderprogramme großartige wissenschaftliche Leistungen bei mei- benötigen wir, meiner Meinung nach, weitere An- nen Kolleg/innen hier in Österreich sehe. Es ist aber reize, um die Mobilität unserer Diplomand/innen,
7 10 Jahre Marietta-Blau-Stipendium »Es gibt zweifelsohne ein mangelndes Bewusstsein, dass fachbezogene Auslands- aufenthalte und postgraduale Studien wichtige Grundsteine für einen erfolg- reichen Berufseinstieg und eine wissen- © ertl schaftliche Kariere darstellen.« Dissertant/innen und Postdocs zu erhöhen. Dass nötige Wissen über die potenziellen Vorteile von finanzielle Aspekte nur eine untergeordnete Rol- Auslandsaufenthalten und internationalen Netz- le spielen, ist besonders an der geringen Zahl von werken. Um die Internationalisierungswilligkeit Studierenden aus den MINT-Fächer ersichtlich, die unserer Studierenden und Nachwuchswissen- sich für einen Auslandsaufenthalt interessieren und schaftler/innen zu forcieren, muss es einen breiten »Um die Internationali- sich für ein Auslandsstipendium bewerben. Ähnli- Dialog mit allen an Internationalisierung interes- sierungswilligkeit ches wird auch an der Technischen Universität Wien sierten Personen von akademischen Institutionen beobachtet, wo die Zahl der Outgoing-Erasmus- und Industrievertreter/innen geben, da offensicht- unserer Studierenden studierenden im einstelligen Prozentbereich liegt lich Förderprogramme alleine nicht ausreichen. und Nachwuchswissen- und der Anteil der Incoming-Erasmusstudierenden Aus meiner Sicht ist die gesellschaftliche Erwar- schaftler/innen zu forcie- mittlerweile massiv überwiegt. Diese Schieflage tungshaltung an Studierende, sich international zu ren, muss es einen breiten deutet einerseits auf ein gutes Ausbildungsniveau profilieren, noch viel zu gering. Den Studierenden Dialog mit allen an in Österreich hin und andererseits auf fehlende werden die positiven Langzeitfolgen eines Aus- Internationalisierung Anreize für Studierende, einen Auslandsaufenthalt landsaufenthalts zu wenig vermittelt. Fairerweise während des Studiums zu planen. Offensichtlich muss ich abschließend auch anerkennen, dass es Interessierten aus sind sich unsere Studierenden über die vielfältigen seitens der Lehrenden, Eltern und Studierenden Forschung und Industrie Vorteile eines Auslandsaufenthalts nicht bewusst kaum ein Interesse bzw. Raum gibt, um über das geben.« oder sehen diesen als unnötige Zusatzbelastung, Thema Internationalisierung, Forschungsaufent- die zu einer potenziellen Verzögerung ihres Studi- halte und akademische Mobilität zu diskutieren. ums führen könnte. In vielen Gesprächen mit mei- Um das Verhalten von Studierenden maßgeblich nen Studierenden wurden mir auch die logistische zu verändern, benötigt es neben Richtlinien, För- Organisation des Auslandsaufenthalts und fami- derprogrammen und Bewusstseinsbildung auch liäre Hindernisse bzw. partnerschaftliche Beziehun- greifbare Anreize, die z. B. Studienabschluss, Be- gen als Hinderungsgrund genannt. Möchte man rufseinstieg und Karriereschritt vereinfachen. den Anteil der mobilen Studierenden in Österreich erhöhen, so müssen die Maßnahmen in den tech- nischen Fächern weitreichender als z. B. die Verbes- serung der finanziellen Ausstattung sein. Es gibt zweifelsohne ein mangelndes Bewusstsein, dass fachbezogene Auslandsaufenthalte und postgra- duale Studien wichtige Grundsteine für einen er- folgreichen Berufseinstieg und eine wissenschaft- liche Kariere darstellen. Tatsache ist aber auch, dass Absolvent/innen von MINT-Fächer für den beruflichen Einstieg noch © Gianmaria Gava | OeAD keine Auslandserfahrungen benötigen, wie sich aus den Berufseinstiegschancen leicht erklären lässt. Hier fehlt neben dem beruflichen Druck, da es offensichtlich zurzeit ein adäquates Angebot an qualitativen technischen Stellen gibt, auch das
8 oead.news im Gespräch mit Barbara Weitgruber Ein Stipendium mit Mehrwert Das Marietta-Blau-Stipendium ist ein Beitrag zum Europäischen Forschungsraum. Interview: Eva Müllner oead.news: Seit zehn Jahren vergibt der OeAD im Auf- trag des BMBWF das Marietta-Blau-Stipendium. Sind Sie mit der Entwicklung des Stipendiums zufrieden? Werden die Förderziele des Programms erreicht? Barbara Weitgruber: Das Programm wurde – wie auch die stabilen Bewerbungszahlen zeigen – sehr gut angenommen. Und die Qualität der Anträge »Die Attraktivität von ist erfreulich hoch – das bestätigen uns die groß- teils hervorragenden Bewertungen der Projekte im Auslandsaufenthalten Rahmen der Fachgutachten. Die Abschlussberichte während des Studi- zeigen ganz klar, dass diese gezielten Auslandsauf- ums ist generell unge- enthalte einen deutlichen Mehrwert nicht nur für brochen«, sagt Mag. die Dissertation selbst, sondern auch hinsichtlich © OeAD | APA-Fotoservice, Scjedl Barbara Weitgruber MA, Vernetzung und Anbahnung von wissenschaftli- Leiterin der Sektion chen Kooperationen bringen. Im Beobachtungs- zeitraum von zehn Jahren konnten wir auch sehen, Wissenschaftliche dass das Marietta-Blau-Stipendium dazu beigetra- Forschung und inter- gen hat, zeitliche und denkerische Freiräume zu nationale Angelegen- schaffen, die im Forschungsalltag oft nur einge- heiten im BMBWF. schränkt verfügbar sind. Schließlich hat sich auch gezeigt, dass sich für viele unserer Marietta-Blau-Stipendiatinnen und nicht übersehen, dass ein nicht unbeträchtlicher -Stipendiaten aufgrund ihres Stipendienaufent- Teil der Doktoratsstudierenden an österreichischen halts Angebote für anschließende Forschungs- Universitäten aus dem Ausland kommt – d. h. sie bzw. Lehrtätigkeiten ergeben haben. Der Wert des sind schon durch ihre Entscheidung, an einer öster- Stipendiums reicht demnach weit über das Dok- reichischen Universität ein Doktoratsstudium zu toratsstudium hinaus, in vielen Fällen in Richtung absolvieren, mobil geworden. internationale wissenschaftliche Karriere. Es gibt viele Faktoren, die die Mobilität erschweren – persönliche, familiäre, finanzielle oead.news: Was die Auslandsmobilität der österrei- oder auch strukturelle. Um zusätzlich zum finan- chischen Studierenden und Forscher/innen betrifft, ziellen Aspekt das Mobilwerden im Rahmen eines gibt es sicher noch Luft nach oben. Was muss getan Marietta-Blau-Stipendiums zu erleichtern, ist das werden, um die Attraktivität eines Auslandsaufent- Stipendium flexibel gestaltet, sodass die Konsu- halts für Doktoratsstudierende zu steigern? mation z. B. zeitlich aufgeteilt werden und so best- Barbara Weitgruber: Die Attraktivität von Aus- möglich in das Doktoratsstudium bzw. in die un- landsaufenthalten während des Studiums ist ge- terschiedlichen Lebensrealitäten integriert werden nerell ungebrochen, das zeigen die beeindrucken- kann und mit möglichen beruflichen Verpflichtun- den und noch immer wachsenden Zahlen von gen kompatibel bleibt. Erasmus+, sowohl hinsichtlich der Partizipation als auch des Budgets. Wer sich um ein Marietta-Blau- oead.news: Viele Doktorand/innen – und das sehen wir Stipendium bewirbt, war in der Regel bereits mit auch bei den Marietta-Blau-Stipendiat/innen – finden Erasmus bzw. Erasmus+ mobil. Zudem darf man nach dem Studium keine weiterführende Postdoc-
9 Nachhaltige Entwicklung und Bildung © Bonnie Henders | MorgueFile Stelle an österreichischen Universitäten. Einige neh- schungsquote von 3,19 Prozent im Jahr 2018 Karrieren von Forscher/- men Postdoc-Stellen im Ausland an, andere verlassen liegen wir nicht nur über den in der EU bis 2020 an- innen sind davon nach dem Doktorat die akademische Community. gestrebten drei Prozent, sondern nach Schweden geprägt, an unter- Welche Maßnahmen wären notwendig, um österrei- auf dem zweiten Platz in der EU. schiedlichen Hochschul- chische Absolvent/innen mit ihrer Auslandserfahrung Was Karriereperspektiven in Österreich betrifft, an den heimischen Universitäten zu halten? möchte ich vor allem auf die Weiterentwicklung der und Forschungsein- Barbara Weitgruber: Seit Inkrafttreten des Karrieremodelle an den Universitäten und der Ös- richtungen im In- und Lissabon-Vertrags 2009 ist der Europäische For- terreichischen Akademie der Wissenschaften, den Ausland Erfahrungen schungsraum (EFR) ein vertragliches Ziel der Eu- Auf- und Ausbau der IST Austria sowie die Steige- zu sammeln. ropäischen Union, festgelegt im Artikel 179 Ab- rung des Budgets für die Universitäten im Rahmen satz 1 AEUV. Die Europäische Kommission und die der Leistungsvereinbarungen von 2019–2021 und Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, zur Verwirk- die dadurch in Lehre und Forschung entstehenden lichung dieses Europäischen Forschungsraums Perspektiven hinweisen. beizutragen. Eine wichtige Säule des EFR ist die Freizügigkeit von Forschenden, wodurch ein of- oead.news: Es gibt seitens der österreichischen fener Arbeitsmarkt für Forschende entsteht. Kar- Universitäten und außeruniversitärer Forschungs- rieren von Forschenden sind davon geprägt, an einrichtungen großteils eigene Stipendien und unterschiedlichen Hochschul- und Forschungs- Förderungen für Doktorand/innen. Welche Bedeutung einrichtungen im In- und Ausland Erfahrungen zu hat daher ein für alle Disziplinen offenes Stipendium sammeln. Wichtig ist, dass es im Sinne von Brain wie Marietta Blau? Circulation ein ausgewogenes Verhältnis von ab- Barbara Weitgruber: Als wir das Programm konzi- und zuwandernden Forschenden gibt. Darüber pierten, holten wir auch Feedback der Universitä- hinaus stehen Forschenden vielseitige Perspek- ten ein. Diese bestätigten unsere Wahrnehmung, tiven offen – Karrieren in Wissenschaft und For- dass es zu der Zeit eine Förderlücke im Bereich schung, universitär und außeruniversitär, in Unter- der Outgoing-Mobilität für Doktoratsstudierende nehmen oder als Gründerinnen und Gründer. gab. Selbstverständlich beobachten wir weiterhin die Entwicklungen an den Universitäten sowie oead.news: Manche Stimmen meinen, Österreich die Angebote der Fördergeber – national und investiere zu wenig in Forschung und sehen wenig europäisch – im Sinne eines möglichst optimalen Karriereperspektiven für Jungwissenschaftler/innen. Systems der Unterstützung von Doktorandinnen Sehen Sie das auch so und was kann diese Situation und Doktoranden. Die Förderung internationa- verbessern? ler Mobilität während eines Doktoratsstudiums Barbara Weitgruber: Ganz im Gegenteil – Öster- in Österreich hat sich jedenfalls als attraktiv und reich investiert sehr viel in F&E – mit einer For- relevant erwiesen.
10 Michael Schedl Das Marietta-Blau-Stipendium Das OeAD-Stipendium für österreichische Doktorats- studierende feiert das zehnjährige Bestehen. die einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten aus 10 Jahre Marietta-Blau-Stipendium diversen Informationsveranstaltungen, aus Tele- fonaten und Beratungsgesprächen bzw. durch ihre Vor zehn Jahren im Herbst 2009 wurde zum ersten Mal das Marietta-Blau-Stipendium schriftlichen Antragsunterlagen und fiebern daher durch den damaligen Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, Dr. Johannes dementsprechend mit. Beeindruckend sind jedes Hahn, ausgeschrieben. Das Programm feiert damit heuer sein zehnjähriges Bestehen, Mal die hervorragenden Dissertationskonzepte neben dem Ministerium und den Universitäten war der OeAD von Anfang an in die österreichischer Doktoratsstudierender, vor allem Konzipierung des Programms eingebunden und ist seit damals mit der administrativen die Bandbreite der Forschungsvorhaben und die Abwicklung beauftragt. Beim ersten Einreichtermin für das Stipendium am 1. Februar spannenden Forschungsthemen begeistern. 2010 gingen bereits 19 Anträge über die OeAD-Online-Einreichung ein. Neun Stipen- dien wurden von dieser ersten Runde für Auslandsaufenthalte im Studienjahr Internationale und fachliche Vernetzung 2010/11 vergeben. 19 Antragsrunden und zehn Jahre später blicken wir auf ein erfolgreiches und gut ange- Das Marietta-Blau-Stipendium ist ein vom nommenes Stipendienprogramm zurück. 325 Personen konnten mit dem Stipendienpro- österreichischen Bundesministerium für Bildung, gramm einen Forschungsaufenthalt im Rahmen des Doktoratsstudium absolvieren, ins- Wissenschaft und Forschung finanziertes Stipen- gesamt hat die OeAD-GmbH über 3.000 Stipendienmonate ausbezahlt und administriert. dienprogramm. Ziel der Förderung ist es, Dokto- In den nachfolgenden Artikeln wollen wir die Bedeutung dieses Outgoing-Programms ratsstudierende österreichischer Universitäten bei für österreichische Doktoratsstudierende hervorheben, aber vor allem unsere Marietta- längeren Forschungsvorhaben im Ausland zu un- Blau-Stipendiatinnen und -Stipendiaten mit ihren Berichten zu den Aufenthalten in den terstützen, ihre Dissertationsvorhaben zu verbes- Mittelpunkt stellen (siehe S. 20–29). sern und die eigenen wissenschaftlichen Interes- sen zu steigern. Die Doktoratsstudierenden sollen dabei erste Erfahrungen in einem internationalen Michael Schedl Jedes Jahr um Weihnachten und kurz vor dem Som- Forschungsumfeld sammeln können und dadurch ist stv. Leiter des Zentrums für merbeginn herrscht ein nervöses Treiben im War- auch ihre Berufschancen optimieren. Von der Internationale Kooperation und tebereich des 3. Stocks im OeAD-Haus. Es ist der internationalen und fachlichen Vernetzung der Mobilität bei der OeAD-GmbH halbjährliche Höhepunkt der Auswahlphase für das Doktorandinnen und Doktoranden im Ausland und u. a. für das Marietta-Blau- Marietta-Blau-Stipendium, angespannt warten profitieren in weiterer Folge auch ihre Institute an Stipendium zuständig. die einzelnen Kandidaten und Kandidatinnen auf den österreichischen Heimatuniversitäten. Welt- ihre Stipendieninterviews. Alle Antragstellerinnen weite Forschungsnetzwerke und Partnerschaften und Antragsteller, deren Anträge die bisherigen können so von den Universitäten initiiert, ausge- formalen und fachlichen Prüfungen erfolgreich baut und verstärkt werden. Das Programm feiert bestanden haben, werden zu zwanzigminütigen heuer sein zehnjähriges Bestehen, die OeAD-GmbH Einzelgesprächen mit einer Kommission einge- war von Anfang an in die Konzipierung des Pro- laden, bei denen sie ihr Thema nochmals kurz gramms eingebunden und ist mit der administra- vorstellen und Fragen zu ihrem beantragten Aus- tiven Abwicklung beauftragt. landsvorhaben beantworten. Dieser letzte Schritt Um die strategischen Ziele zu erreichen, bietet der Auswahlphase jeder Antragsrunde ist auch das Stipendium bei einer Aufenthaltsdauer zwi- für uns im OeAD – in unserer Rolle als Administ- schen sechs und zwölf Monaten den Studierenden ratoren und Moderatoren der Interviews – jedes größtmögliche Flexibilität. Die Bewerbung steht Mal ein Höhepunkt unserer Arbeit. Wir kennen allen PhD-Studierenden an österreichischen
11 10 Jahre Marietta-Blau-Stipendium Marietta Blau, Pionierin der Kernphysik Marietta Blau (1894–1970) studierte an der Universität Wien Physik und Mathema- tik. Bis 1938 arbeitete sie als freie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Österreichi- schen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und absolvierte Forschungsaufenthalte in Deutschland und Frankreich. Als sie vor dem Nationalsozialismus flüchten musste, ging sie zunächst nach Oslo. Albert Einstein vermittelte sie wenig später an die Technische Hochschule in Mexiko-Stadt, von wo sie 1944 in die USA übersiedelte. 1960 kehrte Marietta Blau nach Wien zurück und erhielt 1962 den Erwin-Schrödinger-Preis. Ihr ganzes © Eva Conners | TU Wien Leben widmete diese hochbegabte österreichische Wissenschaftlerin der Spitzenforschung, in Summe wurde sie dreimal für den Nobelpreis vorgeschlagen. Durch dieses Stipendien- programm soll Marietta Blau für ihre herausragenden wissenschaftlichen Verdienste und Leistungen geehrt werden. akkreditierten Hochschulen mit Doktoratsstudium offen und hat keine Schwerpunktsetzung bezüg- lich Studienfächer. Weiters können die Ziel- bzw. Gastinstitutionen im Ausland frei gewählt und dem Forschungsvorhaben entsprechend ausge- © CC BY-NC-ND 4.0 sucht werden, bzw. kann das Stipendium zudem auch für Feldarbeit im Ausland genutzt werden, Am 8. November 2004 wurde an der Fassade des Gymnasiums Rahlgasse in 1060 Wien eine Gedenk- eine Anbindung an eine Gastuniversität ist dabei tafel enthüllt. Sie erinnert an die jüdische Physikerin nicht zwingend vorgeschrieben. Auch muss sich Marietta Blau, die an diesem Gymnasium maturierte. der Aufenthalt nicht an bestehenden Partnerver- trägen der Heimatuniversitäten orientieren und kann auf mehrere Zielinstitutionen bzw. Gastlän- der aufgeteilt werden. Das Stipendienkontingent ist offen: Es gibt keine fixe Zuerkennungsquote, Im 22. Gemeindebezirk in Wien wurde eine Gasse das Auswahlverfahren orientiert sich an der Quali- nach Marietta Blau benannt, 2004 wurde eine Erläu- tät der jeweiligen Anträge. In der Regel konnten in terungstafel dazu angebracht. Die Tafel ehrt Blau als der Vergangenheit mit dem vorhandenen Budget Physikerin, lässt jedoch ihre Verfolgung aus antisemi- alle als sehr gut bzw. ausgezeichnet eingestuften tischen Gründen und Vertreibung ins Exil während des nationalsozialistischen Regimes unerwähnt. Als Anträge auch gefördert werden. Die Förderquo- Jüdin musste Marietta Blau mit dem Einmarsch der © Eva Müllner te hat sich in den letzten Studienjahren bei ca. 45 deutschen Truppen Österreich und das Radium- Prozent eingependelt, im laufenden Studienjahr institut, in dem sie fünfzehn Jahre lang gearbeitet 2018/19 wurden von 92 Anträgen 41 Vorhaben als hatte, im März 1938 verlassen. förderwürdig eingestuft. 21+34+46+35+46+34+30+38+41 Anzahl der zuerkannten Stipendien pro Studienjahr 46 46 38 41 34 35 34 30 21 2010/2011 2011/2012 2012/2013 2013/2014 2014/2015 2015/2016 2016/2017 2017/2018 2018/2019
12 Zahlen und Fakten. Das Marietta-Blau-Stipendium 2009–2019 (Quelle: OeAD, Stand 2018) Anzahl der zuerkannten Stipendien: 325 Anzahl der zuerkannten Stipendienmonate: 3.030 (252 Jahre) Ausbezahlte Fördersumme bisher: über 3.800.000 Euro Marietta-Blau-Stipendium – Key Facts Zielgruppe: exzellente Doktorandinnen und Doktoranden österreichischer Universitäten Förderart: Auslandsstipendium Zielländer: weltweit Dauer: sechs bis zwölf Monate Stipendienbeitrag: bis zu 1.500 Euro pro Monat Kontingent: offen Einreichtermine: zwei Einreichtermine pro Jahr Antragsstellung und Ausschreibung: www.grants.at Weitere Informationen: www.oead.at/marietta-blau Nach Fachbereichen Top zehn Universitäten Geisteswissenschaften 148 Universität Wien 152 Sozialwissenschaften 57 Universität Innsbruck 41 Universität Graz 30 Naturwissenschaften 47 Technische Universität Wien 19 Technische Wissenschaften 42 Medizinische Universität Wien 11 Humanmedizin, Universität für Bodenkultur Wien 11 Gesundheitswissenschaften 20 Medizinische Universität Graz 10 Kunst 9 Akademie der bildenden Künste Wien 9 Johannes Kepler Universität Linz 9 Agrarwissenschaften, Veterinärmedizin 2 Universität Salzburg 7
13 10 Jahre Marietta-Blau-Stipendium Marietta-Blau-Stipendiatinnen und -Stipendiaten und ihre häufigsten Zielländer – Schweden – Kanada – Russische Föderation – UK – Dänemark – Niederlande – USA – Deutschland – China – Japan – Frankreich – Korea Republik – Schweiz – Ungarn – Indien – Spanien – Italien – Serbien – Mexiko – Thailand – Costa Rica – Libanon – Indonesien – Israel – Ecuador – Brasilien – Kenia – Australien – Chile – Mosambik – Neuseeland – Argentinien – Madagaskar – Südafrika Rückmeldung unserer OeAD-Stipendiat/innen Nach Beendigung des jeweiligen Stipendienaufenthalts werden alle Stipendiat/innen eingeladen, anonym Feedback zu ihrem Aufenthalt und zur Betreuung seitens der OeAD-GmbH im Rahmen einer Online- Umfrage zu geben. »Ohne diesen Aufenthalt und das Stipendium wäre es mir finanziell und logistisch kaum möglich gewesen, meine Feldforschung in Ecuador durchzuführen. Ich wirkte an einer interdisziplinären Forscher/innengrup- »Das Marietta-Blau-Stipendium ist weiblich« pe mit, hatte mir diese Mitarbeit jedoch selbst organisiert. Auch meine 63+37+ Aufenthalte im Amazonasgebiet organisierte ich eigenständig. Ich glaube aber, dass meine Arbeit hier einen Sonderfall darstellt, weil ich weniger universitär verankert war, sondern viel mehr im Feld geforscht habe. Ich bin dankbar über die Möglichkeit, meine Forschung durch das Stipendi- um so gestalten zu können, wie ich sie für optimal halte und habe einen reichen Erfahrungsschatz gewonnen.« »Die Entscheidung, mich für das Marietta-Blau-Stipendium zu bewerben, war definitiv richtig und jede Mühe im Bewerbungsprozess wert. Durch 205 weiblich 63 % den Austausch mit anderen Forscher/innen konnte ich meine Arbeit und 120 männlich 37 % die Methoden aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und verbessern. Durch das Stipendium konnte ich das Ziel der Optimierung meiner Disser- tation erreichen. Außerdem konnte ich nicht nur fachlich und beruflich, sondern auch persönlich meine Kompetenzen erweitern. Ich kann jedem Doktoranden und jeder Doktorandin einen Forschungsaufenthalt (über das Marietta-Blau-Stipendium) nur wärmstens empfehlen.«
14 Stefanie Rudig Von Tolkiens Baum bis Mittelerde und wieder zurück »Das Marietta-Blau-Stipendium ermöglichte mir Forschungs- aufenthalte an der Universität Oxford und an der Victoria University of Wellington in Neuseeland.« Stefanie Rudig Am Anfang war die Neugierde. Nach einem kurzen netzten Welt mit günstigem Flugverkehr, E-Mail- studierte ab 2004 Anglistik und Ausflug in die Rechtswissenschaften hatte ich mit Kontakt und Internettelefonie nicht mit den Er- Amerikanistik, ab 2006 Romanis- achtzehn das Privileg, aber auch den Mut, meine fahrungen vergleichen, die Emigrantinnen vor 150 tik an der Universität Innsbruck. Studien ausschließlich aufgrund meiner Interes- Jahren gemacht haben. Schon allein die Schiffs- 2012 erlangte sie einen Masterti- sen auszuwählen, ohne mir dabei den Kopf über überfahrt nach Ozeanien dauerte mehrere Monate tel an der University of Oxford. Ihr die spätere berufliche Vermarktung zu zerbrechen. und kostete zahlreiche Menschenleben aufgrund Doktoratsstudium der Literatur- In meinem Umfeld stießen meine beiden philolo- von Krankheiten oder Bränden an Bord sowie und Kulturwissenschaft an der gischen Diplomstudien (Anglistik & Amerikanistik Schiffsbrüchen, vor allem in der Tasmanischen See Philologisch-Kulturwissenschaftli- und Romanistik) allerdings auf Unverständnis. Wie zwischen Australien und Neuseeland. Ein span- chen Fakultät schloss sie 2015 ab. so oft in meinem beruflichen Werdegang entschied nender thematischer Kontext war gefunden, nun Neben ihrer wissenschaftlichen der Zufall. Nach Abschluss meines ersten Studiums stellte sich die Frage nach geeigneten Rahmenbe- Tätigkeit sammelte sie zahlreiche wurde mir eine Karenzvertretung am Institut für dingungen, um eine Dissertation zu verfassen, die Berufserfahrungen im In- und Anglistik an der Universität Innsbruck angeboten. internationalen Standards entsprach. Ausland. In ihrer Dissertation Überraschend schnell wechselte ich die Seiten von Als Fremdsprachenphilologie erlaubt ein Anglis- widmet sich Rudig den literari- Studentin zu Lektorin. Das einzige »Problem« war tikstudium im deutschsprachigen Raum meist nicht, schen Werken von Migrantinnen die Dissertationsvereinbarung, die die Stelle mit in die nötige Tiefe zu gehen, um mit Doktorand/in- im 19. Jahrhundert. Seit 2018 ist sich brachte. Ein Doktoratsstudium war nie geplant nen aus dem angloamerikanischen Raum mithalten Stefanie Rudig Hochschullektorin gewesen. Welches Thema würde mich begeistern, zu können. Aus diesem Grund erschien mir ein ein- am MCI (Management Center sodass ich mich über längere Zeit intensiv damit jähriges, spezialisiertes Masterstudium im Ausland Innsbruck). beschäftigen konnte? Konnte ich in meiner Diszip- die ideale Lösung und Vorbereitung für mein Dokto- lin einen brauchbaren Beitrag für die Wissenschaft rat. Da man sich die Ziele bekanntlich hoch stecken leisten? soll, bewarb ich mich an der Universität Oxford und Im Zuge der Vorbereitungen für mein Prose- erhielt eine positive Studienplatzzusage. Daraufhin minar über viktorianische Literatur und Kultur folgte das bereicherndste Jahr meines Lebens. Vom entdeckte ich einen Fachaufsatz über alleinstehen- ersten bis zum letzten Tag ging ich ganz beseelt in de Frauen, die in der Mitte des neunzehnten Jahr- der Bodleian Library ein und aus. Ständig kam mir hunderts von Großbritannien nach Australien und der Gedanke, dass ich womöglich auf dem gleichen Bundespräsident Heinz Fischer mit Neuseeland auswanderten. Ich war sofort gefesselt Platz saß, wo schon Literaturgigant/innen wie Jo- Sub-auspiciis-Doktorin Stefanie Rudig, 2016. von der Thematik und fasziniert von diesen wa- nathan Swift, Percy Bysshe Shelley, C.S. Lewis oder gemutigen Frauen, die alles Be- V.S. Naipaul lernten. Wenn ich meine morgendli- kannte hinter sich ließen, um ein chen Runden durch die Christchurch Meadows lief, neues Leben am anderen Ende sinnierte ich, ob Lewis Carroll wohl hier die Idee zu der Welt zu beginnen. Nachdem Alice im Wunderland entwickelte. Gleich nebenan ich selbst mehrere Auslandsauf- im botanischen Garten erblickte ich den berühmten enthalte erlebt hatte (u. a. als Baum, dem nachgesagt wird, dass er J.R.R. Tolkien Erasmusstudentin in Wales, UK als Inspiration für die fiktiven Wesen der »Ents« in und als Austauschstudentin in seiner Herr-der-Ringe-Trilogie diente. Ich persönlich © Universität Innsbruck Indiana, USA), wusste ich, wie ging gerne in den Gärten vom Magdalen College prägend es ist, im Ausland zu spazieren, um die Menschen beim Bootfahren, dem leben. Natürlich lässt sich eine typischen »punting«, zu beobachten und konnte Weltenwanderung in unserer mir gut die Eskapaden von Oscar Wilde in seinem heutigen globalisierten, ver- College vorstellen.
15 10 Jahre Marietta-Blau-Stipendium Mein Aufenthalt an der Victoria © Stefanie Rudig University of Wellington in Neusee- land war für mein Forschungsprojekt zum Thema Migrantinnen im 19. Jahrhundert unerlässlich. Oxford war für mich wie ein Traum, insbeson- bezweckte mein Aufenthalt genau, worum es in dere im akademischen Sinne. Der Austausch mit diesem Stipendium geht: die inhaltliche und me- führenden Akademiker/innen lieferte permanente thodische Optimierung der Doktoratsarbeit, die intellektuelle Stimulation, die im Normalfall beim internationale Vernetzung des wissenschaftlichen gemeinsamen Mittagessen mit Kommilitonen im Nachwuchses sowie wertvolle Auslandserfahrung College weitergeführt wurde. Außerdem wurde für die berufliche Zukunft. man mit Ressourcen verwöhnt. Zum Beispiel durfte In meinem Fall stückelte ich das Marietta-Blau- Oxford war für mich wie ich mir in der Bibliothek das First Folio von Shake- Stipendium und bezog die zweite Hälfte für einen ein Traum, insbesondere speare ausleihen und konnte es kaum fassen, ein weiteren Forschungsaufenthalt, diesmal an der im akademischen Sinne. knapp 400 Jahre altes Buch in den Händen zu hal- Victoria University of Wellington in Neuseelands ten. Unter solchen Umständen konnte ich auch be- Hauptstadt. Da ich den geografischen Fokus auf trächtliche Fortschritte mit meinem Dissertations- Neuseeland gelegt und mit meinem Dissertations- vorhaben machen. Durch Stöbern in den Schätzen thema tatsächlich eine kaum erforschte Nische ge- der Bodleian Library war es mir möglich, bereits ein funden hatte, hielt ich einen längeren Aufenthalt vorläufiges Textkorpus an Primärtexten für meine dort für unerlässlich. Dank meiner Kontakte in Dissertation zu erstellen. Ich war mir sicher, inno- Oxford bekam ich die Betreuungszusage einer Pro- vative Forschung betreiben zu können. In einigen fessorin, die zu den sehr wenigen Forscher/innen der Romane aus dem neunzehnten Jahrhundert, gehört, die spezifisch zu meinem Forschungspro- die ich analysieren wollte, waren nämlich noch jekt arbeiten. Hätte ich diese Reise nach Neusee- nicht einmal die Buchseiten aufgeschnitten. Ich land nicht unternommen, bin ich überzeugt, dass erinnere mich, zirka drei Stunden in der Bibliothek meine Dissertation nicht die nötige Relevanz und nur damit verbracht zu haben, lediglich ein Drittel Aktualität in Bezug auf den Forschungsstand hätte der Seiten eines Buches mit einem Papiermesser aufweisen können. Für die persönliche Bereiche- aufzuschneiden. Am allermeisten profitierte aber rung, die mir mehrere Monate im wunderschönen meine eigene Forschung von der Gelegenheit, mit Neuseeland beschert haben, fehlt hier leider der renommierten Literaturwissenschaftler/innen, Platz, um ins Detail zu gehen. Historiker/innen und Soziolog/innen mein Disser- In aller Kürze möchte ich noch über meinen tationsprojekt besprechen zu können. Die Be- weiteren Weg berichten. Ich konnte das Dokto- treuerin meiner Masterarbeit, Professorin Elleke ratsstudium mit einer Promotion sub auspiciis Boehmer, eine Expertin für postkoloniale Lite- praesidentis abschließen. Im Anschluss folgte eine raturen und Migrationsforschung, verhalf mir berufliche Selbstfindungsreise: Vom Europäischen maßgeblich, meinen Forschungsschwerpunkt für Parlament in Straßburg über eine Stelle als Execu- meine Doktorarbeit zu definieren. Sie half mir des tive Assistant in der Privatwirtschaft (überbezahlt Weiteren, erste Kontakte für zukünftige Koopera- und intellektuell unterfordert), darauffolgend als tionen in Neuseeland zu knüpfen. Flüchtlingsbetreuerin (unterbezahlt und emoti- So traumhaft das alles klingen mag, so uto- onal überfordert) bis zum European University pisch wäre mein Studien- und Forschungsauf- Institute in Florenz als postdoktorale Forschung- enthalt in Oxford ohne finanzielle Unterstützung sassistentin und schließlich zurück in die Heimat gewesen. Konkret für die Zeit, die ich explizit mei- als Hochschullektorin führte mich meine weitere nem Dissertationsprojekt widmete, konnte ich das berufliche Reise. Grundlegend für den Beginn die- Marietta-Blau-Stipendium des Österreichischen ser Reise war ein Stipendium, das den Namen einer Austauschdienstes beziehen. Meiner Ansicht nach wissenschaftlichen Pionierin trägt: Marietta Blau.
16 Martina Spies Was wäre unsere Welt ohne Spielplätze? Ein Projekt über gebaute Lebensräume und ihren Einfluss auf soziale und kulturelle Besonderheiten. Martina Spies Ich erinnere mich gut, als ich als kleines Kind ge- Stipendiums erhielt ich die einmalige Gelegenheit, ist promovierte Architektin, meinsam mit meinem Vater in unserem Garten ei- erstmals in die Welt der komplexesten infor- Baumeisterin und Aktivistin. nen Spielplatz samt Baumhaus baute. Damit wurde mellen Siedlungen der Welt einzutauchen: Das 2013 gründete sie mit ihrem Vater mir eine Welt eröffnet, die prägend für meine wei- Forschungsgebiet für meine Doktorarbeit war die Organisation Anukruti (www. tere berufliche Laufbahn wurde. Seit meiner Kind- Dharavi und lag mitten in der Megacity Mumbai. anukruti.org), welche Spielplätze heit war ich interessiert an Schaukeln, Spielplätzen Wesentlich für meine Feldforschung vor Ort auf urbanen Brachflächen inner- und sozialen Räumen, und an der Verbesserung der war der ethnografische und stadtsoziologische For- halb von Slums in der Megacity Lebensumstände durch die Kraft einer (sozialen) schungsansatz: Die Bewohner/innen selbst wurden Mumbai baut. Zwischen 2013 Architektur. als Hauptakteur/innen und Architekt/innen ihrer und 2016 war Martina Spies als Ich wurde nicht nur Baumeisterin wie mein gebauten Umwelt wahrgenommen, ihre Lebens- Forschungsleiterin des KEF-Pro- Vater, sondern auch Architektin und engagierte welten wurden durch eine Vielzahl von Gesprä- jektes »Ground Up – A Dwellers’s Aktivistin. Während meines Marietta-Blau- chen vor Ort rekonstruiert. Denn die dort lebenden Focused Design Tool for Upgrading Menschen planen, bauen und Living Space« in Dharavi, Mumbai verändern ihre Häuser selbst tätig. Momentan arbeitet Spies und aus eigener Kraft, und zwar am vom KEF geförderten For- gänzlich ohne unterstützende schungsprojekt »The Culture and Maßnahmen der Regierung. Sie Development of Children’s Play. gestalten ihre bauliche Umwelt The socio-cultural influences of nach ihren Bedürfnissen, je- playgrounds on the development weils entsprechend der zur Ver- of children and communities fügung stehenden Mittel und with case studies in Mumbai« als der räumlichen Gegebenheiten. Forschungsleiterin. Innovativ an meiner Dis- Von Oktober 2012 bis September sertation »Plätze und Identitä- 2013 war sie mit einem Marietta- ten« und am von KEF geförder- Blau-Stipendium am RIZVI College ten Projekts »Ground Up – A of Architecture Mumbai, Indien. Dweller´s Focused Design Tool for Dharavi, Mumbai« ist, dass der gebaute Lebensraum und die unmittelbare Umgebung insbesondere der Kinder und der weiblichen Bevölkerung unter Berücksichtigung ihrer sozia- len und kulturellen Besonder- heiten und unterschiedlichen Lebensgrundlagen untersucht wurde. Denn das Stadtviertel lässt sich mit Aufmaßplänen und demografischen Daten al- Martina Spies möchte mit ihrem leine nicht erfassen. Mittels der Verein Anukruti in Mumbais Zoom-In-Methode haben wir informellen Siedlungen weitere Spielplätze, sogenannte in einer Untersuchung sorgfäl- »Stadtblumen«, errichten. tig ausgewählter räumlicher
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