Glossar der Neuen deutschen Medienmacher
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Glossar Glossar der Neuen deutschen Medienmacher der Neuen deutschen Medienmacher Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland Stand 1. September 2017 Stand 1. September 2017
Inhaltsverzeichnis Wozu Formulierungshilfen? 5 Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«? 6 Migration 14 Kriminalitätsberichterstattung 19 Minderheiten Musliminnen und Muslime 24 Jüdinnen und Juden 33 Sinti, Sintize, Romnja und Roma 41 Flucht und Asyl 47 Index 57 Impressum © 2017, 6. Auflage, September 2017 Herausgeber Neue deutsche Medienmacher e.V., Potsdamer Straße 99, 10785 Berlin Redaktion Konstantina Vassiliou-Enz, Ferda Ataman, Alice Lanzke, Sina Laubenstein, Shion Kumai Layout Nadja Fernandes, Grafik et cetera Die Neuen deutschen Medienmacher sind ein gemeinnütziger Verein. Wir engagieren uns bundesweit mit zahlreichen Projekten für mehr inhaltliche und personelle Vielfalt in den Medien. Wir freuen uns über die Unterstützung unserer Arbeit durch eine Mitgliedschaft, eine Spende oder aktive Mitarbeit. Infos unter www.neuemedienmacher.de Das Glossar der Neuen deutschen Medienmacher ist für Medienschaffende kostenfrei erhältlich. Die Inhalte werden von den NdM ehrenamtlich erstellt.
Danke Wozu Formulierungshilfen? Die Neuen deutschen Medienmacher danken allen beteiligten Wissenschaftler*innen, Als Journalist*innen1 arbeiten wir jeden Tag mit unserem Handwerkszeug, der Expert*innen und Fachjournalist*innen sehr herzlich für ihre Hilfsbereitschaft und die Sprache. Unsere Berichte sollten möglichst wertfrei, korrekt und präzise die fachliche Unterstützung bei der Erstellung des Glossars. Sachverhalte wiedergeben. Nicht selten passiert es aber, dass Wörter wie »Ein- wanderer«, »Zuwanderer« und »Migrant« im selben Text nebeneinander ver- wendet werden, in der Annahme, sie würden alle dasselbe bedeuten. Worin sich Unser Dank geht an: diese Begriffe unterscheiden und bei welchen weiteren Themen ungenau for- muliert wird, erläutern wir in diesem Glossar. Die Alternativen, die wir dazu an- Fatih Abay, Prof. Dr. Handan Aksünger, Prof. Dr. Iman Attia, Thomas Baumann, bieten, sind als Vorschläge zu verstehen und sollen als Hilfestellung für die tägliche Anna Brausam, Claudia Dantschke, Merfin Demir, Christina Dinar, Redaktionsarbeit dienen. Wir stellen sie gern zur Diskussion und freuen uns über Prof. Dr. Naika Foroutan, Sana Shah, Amelie Hoffmann, Gilda Horvath, eine Einladung zum Redaktionsgespräch, zur Blatt- oder Sendungskritik – von Anetta Kahane, Bernd Knopf, Thomas Krüppner, Robert Lüdecke, Kolleg*in zu Kolleg*in. Yassin Musharbash, Prof. Dr. Werner Nell, Miltiadis Oulios, Timo Reinfrank, Jan Riebe, Jana Sauer, Dr. Susanne Schmidt, Ulrich Werner Schulze, 2013 sind auf Initiative der »Neuen deutschen Medienmacher« bundesweite Dr. Yasemin Shooman, Prof. Dr. Riem Spielhaus, Dr. Stefan Vogt, Irene Wachtel, Vertreter*innen von Medien, Wissenschaft und Verwaltung beim Bundesamt Melek Yildiz und viele andere! für Migration und Flüchtlinge zusammengekommen und haben Begriffe disku- tiert und Definitionen abgeglichen. Die Empfehlungen für das Glossar bauen auf diesen und vielen weiteren Diskussionen auf. Mit Hilfe zahlreicher Wissen- schaftler*innen, Fachleute und Praktiker*innen haben Journalist*innen aus dem Netzwerk der NdM die Inhalte des Glossars in ehrenamtlicher Arbeit erstellt. Sie sind unser Beitrag zu einer laufenden Debatte und sicher nicht abschließend. Um die Inhalte regelmäßig zu aktualisieren und zu erweitern, gibt es online ein Web-Glossar und eine Glossar-App sowie weitere neue Druckauflagen dieser Broschüre. Die vorliegende Auflage des NdM-Glossars wurde im Rahmen des Projekts »No Hate Speech Movement Deutschland« gedruckt. Bitte informieren Sie sich unter www.glossar.neuemedienmacher.de. Selbstverständlich freuen wir uns über Ihre Vorschläge, Hinweise und Kritik: geschaeftsstelle@neuemedienmacher.de. 1 Obwohl es in den Medien bislang (noch) kaum gängige Praxis ist, gendern wir im NdM-Glossar mit Sternchen *. Aus Gründen der Auffindbarkeit und der Übertragung in die Online-Fassung des Glossars verzichten wir allerdings bei den erläuterten Suchbegriffen darauf. 4 5
Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«? Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«? gerschaft. Als Synonym für ||Einwande- || Biodeutsche _ wurde vor einigen Jahren rer ist er dagegen falsch, da die meisten von »Migrationshintergründler*innen« Die deutsche Gesellschaft hat sich verändert, sie ist bunter geworden. Das sollte ||Migranten und ihre Nachkommen als Gegenentwurf mit scherzhaft-pro- sich in der Berichterstattung wiederfinden. Gleichzeitig müssen Journalist*innen keine Ausländer*innen mehr sind, vokantem Unterton in die Debatte ge- oft vereinfachen, um komplizierte Sachverhalte für Mediennutzer*innen kurz sondern ||Deutsche. Grundsätzlich bracht und wird inzwischen aus Man- und verständlich darzustellen. Manchmal führt das zu einem Dilemma: Wie be- verortet »Ausländer« Menschen im gel an Alternativen mitunter ernsthaft schreibe ich die Gruppe, der jemand zugehört? Wie beschreibe ich die Anderen? Ausland und klingt nicht nach jeman- verwendet. Viele so Bezeichnete leh- Und wo ist diese Trennung wirklich nötig? dem, der*die den Lebensmittelpunkt nen ihn ab, weil in ihm die Vorstellung Zunächst ist es sinnvoll, die Protagonist*innen zu fragen, wie sie sich selbst in Deutschland hat. von Genetik mitschwingt. Das Gegen- nennen würden. Das ist allerdings nicht immer möglich. Zudem kann man bei der teil wären Synthetik-Deutsche – also Beschreibung von Gruppen nicht davon ausgehen, dass alle dieselbe Präferenz || Ausländischer Mitbürger _ wird seit wieder eine Zuordnung in echte und haben. den 1970er Jahren als meistens wohl- nicht echte Deutsche. Allerdings: als Bei einer allgemeinen Bezeichnung für Einwanderer*innen und ihre Nach- meinende, jedoch widersprüchliche Kürzel für Biografisch-Deutsche mög- kommen läuft man Gefahr, das Bild einer homogenen Gruppe zu erzeugen. Bezeichnung für Menschen verwendet, lich, wenn einmal die ausgeschriebene Menschen mit Migrationsgeschichte sind jedoch keineswegs homogen: Aussied- die seit vielen Jahren hier leben und vo- Form verwendet wird. ler*innen haben in der Regel mit Geflüchteten aus dem Libanon so wenig ge- raussichtlich bleiben werden. Soll die meinsam wie kemalistische Türk*innen mit kurdischen Feminist*innen. Dennoch nicht-deutsche Staatsbürgerschaft be- || Bundesrepublikaner _ kann als Be- ist es in der Berichterstattung manchmal nötig, eine Gruppe pauschal zu benen- tont werden, ist ausländische*r Bürger*in zeichnung für alle Bürgerinnen und nen. Die vorliegenden Erläuterungen dienen der Präzisierung von Begriffen und passender, da bei »Mit-Bürger*in« ein Bürger in der Bundesrepublik Deutsch- bieten praktische Vorschläge für die differenzierte Bezeichnung von Minder- unnötiges »Othering« stattfindet, d.h. land verwendet werden, denn auch heiten, der Mehrheit und natürlich auch von beiden. ein*e Mitbürger*in ist damit scheinbar diejenigen ohne ||deutsche Staatsan- anders als ein*e Bürger*in. gehörigkeit haben sich für ein Leben in der Bundesrepublik entschieden. || Afrodeutsche _ ist eine häufige Selbst- eingewandert sind. Allochthone ist das || Ausländer mit deutschem Pass _ bezeichnung von Schwarzen Menschen Gegenteil von ||Autochthone. taucht erstaunlicherweise immer wie- || Copyright-Deutsche _ beschreibt in Deutschland. Um Missverständnissen der auf, ist sachlich falsch und als dis- ||Herkunftsdeutsche und betont, dass vorzubeugen: Längst nicht alle, die sich || Aufnahmegesellschaft _ wird häufig kriminierender Widerspruch zu sehen. eingebürgerte Deutsche häufig nicht so bezeichnen, haben familiäre Bezüge als Synonym für IIDeutsche ohne Migra- Vermutlich ist damit Deutsche*r mit als originär bzw. original deutsch wahr- zu Afrika – sie können auch aus den tionshintergrund verwendet, wirkt Einwanderungsgeschichte oder Migra- genommen werden. Der Ausdruck USA, anderen europäischen Ländern dabei jedoch ausgrenzend, da Einge- tionshintergrund gemeint. Copyright-Deutsche stammt von Paul und überall herstammen (siehe auch wanderte und ihre Nachkommen auch zu Mecheril, Prof. für Migrationspäda- ||Schwarze Deutsche). den Aufnehmenden gehören. Wenn || Autochthone Deutsche _ autochthon gogik (siehe auch ||Standarddeutsche). er verwendet wird, wäre der klären- kommt aus dem Griechischen und be- || Allochthone _ (griech.) wird in den de Zusatz multikulturelle Aufnahme- deutet sinngemäß eingeboren, altein- || Deutsche _ steht für ||deutsche Sozialwissenschaften als Bezeichnung gesellschaft sinnvoll, damit deutlich gesessen. Autochthone Deutsche könnte Staatsangehörige (siehe Kap. 3 Migra- von Menschen oder Gruppen mit ge- wird: Es sind die über 82 Millionen1 dazu dienen, ||Deutsche ohne Migra- tion). Als Adjektiv oder Substantiv bietsfremder Herkunft verwendet. Bürger*innen in Deutschland gemeint. tionshintergrund zu beschreiben, hat sollte der Begriff nicht dazu dienen, In den Niederlanden wird der Begriff allerdings als kaum bekanntes Fremd- eine ethnische Zugehörigkeit und da- zur Beschreibung von Menschen ver- || Ausländer _ bezeichnet Einwoh- wort wenig Aussicht, sich durchzuset- mit nur die ||herkunftsdeutsche Bevöl- wendet, die selbst oder deren Eltern ner*innen ohne deutsche Staatsbür- zen (siehe auch ||Allochthone). kerung zu beschreiben. Denn: Jede*r 6 || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff 7
Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«? Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«? fünfte Deutsche stammt aus einer || Drittstaatsangehörige _ wird in der Zeit historisch belastet und sollte nur öfter der »Integrationsverweigerer« Einwandererfamilie. Darüber hinaus Fachsprache verwendet, um Men- mit einer entsprechenden geschichtli- auf. Daran wird deutlich, dass Einwan- erhalten in Deutschland geborene Kin- schen zu beschreiben, die keine Staats- chen Einordnung verwendet werden. der*innen oft eine willentliche und ak- der von ||Ausländern seit dem Jahr 2000 angehörigkeit eines EU-Landes haben. Als Alternative eignen sich ausländi- tive Abgrenzung unterstellt wird, was in der Regel automatisch die deutsche Solange es rechtliche Unterscheidun- scher Arbeitnehmer, Arbeitseinwanderer, jedoch nur sehr selten der Fall ist. Stu- Staatsbürgerschaft. gen für diese Gruppen gibt, ist der Be- Arbeitsmigrant, migrantischer Arbeiter dien verweisen eher auf einen Mangel griff unvermeidbar. Beispiel: ||Deutsche oder auch arbeitsmarktbezogener Ein- an Chancengleichheit und fehlende oder || Deutsche ohne Migrationshintergrund _ haben allgemeines Wahlrecht, EU- wanderer/Zuwanderer (Fachsprache), erschwerte Möglichkeiten zur Partizi- ist zwar sperrig, aber zur Unterschei- Bürger*innen können in Deutschland siehe auch ||Gastarbeiter. pation. dung durchaus geeignet, zumal er bei Kommunalwahlen abstimmen, denselben Zusatz verwendet, der zur Drittstaatsangehörige dürfen in beiden || Gastarbeiter _ wurden arbeitsmarkt- || Kanaken _ (polynesisch »Kanaka« = Definition von ||Menschen mit Migrati- Fällen nicht mitwählen. bezogene Einwanderer genannt, die seit Mensch) ist ein Schimpfwort, wird onshintergrund dient. den 1950er Jahren durch bilaterale Ver- jedoch manchmal (mit sarkastischem || Einheimische _ erzeugt ein schiefes träge zur Anwerbung von Arbeitskräf- Unterton) als Selbstzuschreibung ver- || Deutsch-Türken usw. _ ist eine Mög- Bild, weil viele Eingewanderte und ihre ten aus dem Ausland kamen. Im Wort wendet. Wenn Protagonist*innen sie lichkeit die Internationalität von Men- Kinder hier längst heimisch sind. Es »Gast« schwang mit, dass die ||Einwan- für sich selbst verwenden, kann die schen zu beschreiben. Dabei ist es aller- weckt die Assoziation von fremdlän- derer nicht bleiben sollten. Der Begriff Selbstbezeichnung in Medienberich- dings sinnvoll, ihren Lebensmittelpunkt dischen ||Migranten. In einem lockeren ist inzwischen veraltet, wird manch- ten übernommen werden, sollte aber zu betonen, also Turko-Deutsche statt Kontext könnte es mit dem Gegensatz mal aber noch zur Selbstbezeichnung als solche erkennbar sein. Deutsch-Türken, Greco-Deutsche statt verwendet werden: Einheimische und gebraucht, z.B. als »Gastarbeiterkind«. Deutsch-Griechen, Spanisch-Deutsche, Mehrheimische. Die wissenschaftliche Literatur ist || Kinder nichtdeutscher Herkunftsspra- Polnisch-Deutsche usw. Denn: Bei Wort- dazu übergegangen, ihn mit dem Zu- che (»ndH«) _ ist ein abstrakter Fach- zusammensetzungen im Deutschen || Einwanderer _ sind Menschen, die satz »sogenannte Gastarbeiter« zu ver- begriff, der vor allem im Bildungsbe- steht die Hauptbedeutung immer am nach Deutschland gekommen sind, sehen (siehe auch ||Fremdarbeiter). reich für Schüler*innen verwendet Ende (z.B. Hausschuh). Übrigens emp- um dauerhaft zu bleiben. Derzeit ist wird. Er ist der Versuch, bestimmte finden sich auch ||Einwanderer ohne jedoch in diesem Kontext oft fälsch- || Herkunftsdeutsche _ ist umstritten. Förderbedürfnisse zu benennen, ohne deutschen Pass oft als Teil der deut- lich die Rede von ||Zuwanderern, Men- Wer allerdings »Deutsche mit türkischer Kinder einer Herkunftsgruppe zuzu- schen Gesellschaft, also z.B. als Turko- schen mit Zuwanderungsgeschichte Herkunft« sagt, müsste konsequenter- ordnen. Leider verbirgt sich dahinter Deutsche. und ähnlichem. weise auch Deutsche mit deutscher Her- ein defizitorientierter Blick: In der kunft, sprich Herkunftsdeutsche sagen. Schuleingangsuntersuchung wird al- || Diverskulturelle _ abgekürzt || Einwanderer und ihre Nach- lein der Frage nachgegangen, ob das Dikulturelle, ist eine Alternative zur kommen _ ist zwar ebenso lang wie || Integrationsverweigerer _ steht für Kind als erste Sprache Deutsch gelernt Bezeichnung von ||Menschen aus ||Menschen mit Migrationshinter- die diffuse Vorstellung, dass ||Einwan- hat. Genauso geeignet und weniger Einwandererfamilien. Sie wurde von grund, aber ein gutes Synonym, weil derer die deutsche Gesellschaft, ihre abstrakt: Mehrsprachige Kinder, Kin- Heidelberger Bürgern mit und ohne Ein- weniger abstrakt. Werte und Gesetze ablehnen würden. der nichtdeutscher Muttersprache oder wanderungsbiografie in Zusammenarbeit War anfangs noch die Rede von Men- Kinder mit internationaler Geschichte. mit den NdM in einem Workshop beim || Fremdarbeiter _ ist eine Bezeich- schen mit »Integrationsbedarf« und Diversity-Day 2014 entwickelt (siehe nung für Arbeitsmigranten, die immer »Integrationsproblemen«, wurden dar- || Kulturbereicherer _ ist zynisch ge- auch ||Menschen mit internationaler noch hin und wieder in Boulevard- aus später »Integrationsunfähige« und meint und stammt aus der ||rechtsex- Geschichte). Medien auftaucht; sie ist seit der NS- »Integrationsunwillige«, heute taucht tremen Szene. Der Begriff bezeichnet 8 || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff 9
Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«? Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«? ||Menschen aus Einwandererfamilien. Er Synonym für ||Deutsche ohne Einwan- und ihre Nachkommen zu beschreiben, || Neue Deutsche _ taucht immer häu- soll die radikale Ablehnung einer Be- derungskontext. ging die Formulierung auch in die Um- figer auf und wird unterschiedlich reicherung Deutschlands durch ||Men- gangssprache ein (siehe auch ||Einbür- verwendet: Manche gebrauchen den schen aus Einwandererfamilien ausdrü- || Menschen aus Einwandererfamilien _ gerung und ||Doppelte Staatsbürger- Begriff synonym für ||Menschen mit cken. Seit einiger Zeit findet sich der ist zwar sperrig, umschreibt aber tref- schaft). Inzwischen wird der Begriff Migrationshintergrund. Als Selbstbe- Begriff auch öfter in der Mitte der Ge- fend, was gemeint ist, ohne Menschen von manchen als stigmatisierend emp- zeichnung von ||Menschen aus Einwan- sellschaft. eine vermeintliche Einwanderungser- funden, weil damit mittlerweile vor al- dererfamilien soll er den Anspruch auf fahrung zuzusprechen. lem (muslimische) »Problemgruppen« Zugehörigkeit deutlich machen. Der || Leitkultur _ wurde als Begriff von assoziiert werden. Eine gute Alternati- Begriff kann aber auch für eine Hal- dem Göttinger Politologen Bassam || Menschen mit internationaler Ge- ve: ||Menschen aus Einwandererfamilien. tung stehen statt für eine herkunfts- Tibi geprägt, dessen Vorstellung zu- schichte _ ist eine weitere Alternativ- bezogene Kategorisierung: Zu den folge sich ||Migranten in heterogenen formulierung, die im Workshop »Was || Migranten _ werden vom Statistischen Neuen Deutschen zählen dann alle Men- Einwanderungsgesellschaften den heißt hier Migrationshintergrund?« Bundesamt als Menschen definiert, die schen (mit und ohne Migrationshinter- herrschenden kulturellen Normen beim Diversity-Day 2014 von Hei- nicht auf dem Gebiet der heutigen Bun- grund), die positiv zur Pluralisierung anzupassen hätten, ohne die eigene delberger Bürgern mit und ohne Migra- desrepublik, sondern im Ausland gebo- der Gesellschaft stehen. Kultur aufgeben zu müssen. Tibis Be- tionshintergrund in Zusammenarbeit ren sind. Rund die Hälfte davon sind zeichnung wurde 2000 vom damaligen mit den NdM entwickelt wurde; der ||Deutsche, die andere Hälfte hat eine || Passdeutsche _ wird teils nicht in ab- CDU-Generalsekretär Friedrich Merz Begriff berücksichtigt, dass nicht alle ausländische Staatsangehörigkeit. Im wertender Absicht verwendet, aber übernommen, der bemängelte, es gebe Menschen mit ihren Familien einge- Diskurs wird dieser Begriff häufig irr- man sollte wissen, dass der Begriff aus keine deutsche Leitkultur mehr. In der wandert sind. tümlich als Synonym für ||Menschen mit dem Vokabular von ||Rechtsextremen folgenden Diskussion ging es aller- Migrationshintergrund verwendet. stammt und zum Beispiel in Texten dings weniger um gemeinsame Werte || Menschen mit Migrationshintergrund der NPD verwendet wird: Dort gibt es als vielmehr um einen Katalog dessen, (MH) _ sind nach statistischer Definition || Migrationsvordergrund _ eine meist ||Deutsche und »Passdeutsche« (also was ||Einwanderer respektieren sollten, • in Deutschland lebende Aus- augenzwinkernd gemeinte Selbst- Möchtegerndeutsche, nicht richtige wollten sie in Deutschland leben. Der länder*innen, bezeichnung von Menschen, deren Deutsche). Letztere sollen damit als Begriff kursiert teils in ||rechtsextre- • eingebürgerte Deutsche, die ||Migrationshintergrund sichtbar ist. »undeutsch« abgewertet werden. men Kreisen, ist jedoch im Zuge der nach 1949 in die Bundesrepublik aktuellen Asyldebatte als Schlagwort eingewandert sind || Mischling _ ist als Bezeichnung dem || Rasse _ ist eigentlich seit dem Na- auch wieder häufiger in der bürgerli- • sowie in Deutschland geborene Tierreich entlehnt und beruht auf der tionalsozialismus (»Rassengesetze«) chen Mitte anzutreffen. Kinder mit deutschem Pass, bei Rassentheorie. Ist die Information re- ein Unwort in Deutschland, das im denen sich der Migrations- levant, kann die Herkunft der Eltern Sprachgebrauch nicht mehr üblich ist. || Mehrheitsgesellschaft _ ist ein gängiger hintergrund von mindestens konkret benannt werden. Dennoch existiert es noch in zahlrei- Begriff, der missverständlich ist. Eigent- einem Elternteil ableitet. chen Gesetzestexten wie dem Grund- lich müsste es heißen: Mehrheitsbevölke- Zunächst wurde »Personen mit Migra- || Neubürger _ klingt nach soeben ein- gesetz (»Niemand darf wegen ... seiner rung, also die von knapp 64 Millionen1 tionshintergrund« in der Verwaltungs- gewandert, daher ist der Begriff zwar Rasse ... benachteiligt oder bevorzugt ||Deutschen ohne Migrationshintergrund. und Wissenschaftssprache verwendet. als abwechslungsreiches Synonym für werden.«). In der Berichterstattung In einem faktischen Einwanderungs- Doch als durch Einbürgerungen und ||Einwanderer durchaus sinnvoll. Als taucht es zudem auf, wenn zum Bei- land funktionieren Bezeichnungen wie das neue Staatsangehörigkeitsrecht Synonym für Eingebürgerte ist er eher spiel Rassismus-Debatten aus den USA »die deutsche Gesellschaft« oder »die von 2000 der Begriff ||Ausländer nicht verwirrend, da er keine Verwurzelung wiedergegeben werden. Doch Begriffe Gesellschaft in Deutschland« nicht als mehr funktionierte, um ||Einwanderer in Deutschland vermuten lässt. wie »Rassenunruhen« (race oder eth- 10 || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff 11
Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«? Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«? nic riots) oder »Rassenbeziehungen« People of Color (PoC, Singular: Person bung »südländisches Aussehen« häufig um zu verdeutlichen, dass es sich nicht (race relations) sollten nicht unreflek- of Color), siehe auch ||Weiße Deutsche noch zu finden. Hier stellt sich die Fra- um eine Beschreibung von Äußerlich- tiert wortwörtlich übersetzt werden, und ||Schwarze Deutsche. ge: Was genau ist gemeint? Geografisch keiten handelt (siehe auch IISchwarze, da der Begriff »race« in den USA an- ist der Begriff unspezifisch und veror- IISchwarze Deutsche). ders als im Deutschen »Ethnizität« || Schwarze Deutsche _ In Deutschland tet Menschen außerhalb von Deutsch- oder »Herkunft« meint. Alternativen leben mehrere hunderttausend Schwarze land, obwohl sie hier geboren und auf- || Wir _ kann missverständlich wirken, wären, neben Rassismus-Debatten, auch Deutsche. Dabei handelt es sich nicht um gewachsen sein könnten. Der Begriff wenn beispielsweise von »wir Deut- Unruhen wegen Rassismus-Vorwurf etc. die Beschreibung einer Hautfarbe, son- »Südländer« wird vor allem noch in schen« die Rede ist, aber nur Deutsche (siehe auch ||Rassismus) dern um eine politische Selbstbezeich- ||rechtsextremen Medien verwendet. ohne IIMigrationshintergrund gemeint nung (die allerdings nichts mit der CDU sind. Journalist*innen sind gut beraten, II Rechtspopulist _ hat sich als Beschrei- zu tun hat). Begriffe wie »Farbige« oder || Türkischstämmige (Bürger*innen)_ sich Gedanken zu machen, wen sie mit bung für Vertreter*innen rassistischer »Dunkelhäutige« lehnen viele ab. Die In- ersetzt oftmals die früher gängige der Formulierung »wir« meinen. Als Protestparteien durchgesetzt. In der itiative »der braune mob e.V.« schreibt: Bezeichnung »Türken« und berück- Alternative kann Mehrheitsbevölkerung Forschung ist umstritten, ob es sich »Es geht nicht um »biologische« Eigen- sichtigt, dass fast die Hälfte davon passender sein (siehe auch ||Mehrheits- bei Rechtspopulismus um eine Ideo- schaften, sondern gesellschaftspolitische inzwischen deutsche Staatsbürger*in- gesellschaft, ||Aufnahmegesellschaft). logie handelt oder um einen Politikstil Zugehörigkeiten.« Um das deutlich zu nen sind. Korrekter ist allerdings die von Parteien der radikalen Rechten. Fest machen, plädieren sie und andere dafür, Bezeichnung türkeistämmige Menschen, || Zuwanderer _ sind zunächst einmal steht: Rechtspopulist*innen arbeiten die Zuschreibungen Schwarz und Weiß da viele Einwanderer(kinder) aus der alle Menschen, die nach Deutschland mit Gegensätzen, die von einem »reinen groß zu schreiben (siehe auch ||Schwarze Türkei Kurd*innen oder Angehörige ziehen. Statistisch zählen dazu auch Volk« und einer »korrupten (politischen) ||Weiße Deutsche und ||Afrodeutsche) anderer Minderheiten sind und sich diejenigen, die nach kurzer Zeit wie- Elite« ausgehen und mit einem Nationa- nicht als »türkisch« verstehen. der fortziehen (Abwander*innen). Die lismus, bei dem IIAusländer, IIPeople of || Secondos/Secondas _ ist in der Absicht zu bleiben ist bei Zuwan- Color und IIGeflüchtete als Eindringlinge Schweiz die gängige Selbstbezeich- || Weiße Deutsche _ Der Begriff er- der*innen nicht unbedingt gegeben. und Bedrohung dargestellt werden. Im nung von ||Menschen aus Einwande- scheint oft in Debatten um ||Rassismus Sprachlich unterstreicht die Vorsilbe Gegensatz zu Rechtsextremisten treten rerfamilien, die ab der zweiten Gene- und wird häufig mit dem Argument »zu« eher die Nicht-Zugehörigkeit. Vertreter*innen des Rechtspopulismus ration in der Schweiz leben. Singular: kritisiert, er rufe einen unpassenden Menschen, die eine längere Zeit hier zuweilen als vermeintliche Hüter*innen Secondo (m), Seconda (f). Hautfarbendiskurs hervor. Das ist je- leben, sind schlicht IIEinwanderer (sie- der demokratischen Ordnung auf. doch ein Missverständnis: Tatsächlich he ||Einwanderungsgesellschaft versus || Standard-Deutsche _ beschreibt wird der Begriff weiß in der internatio- ||Zuwanderungsgesellschaft). || Schwarze _ »Wenn es um Rassismus, Deutsche ohne Migrationshintergrund nalen Rassismusdebatte als Gegensatz unterschiedliche Erfahrungen und und macht aufmerksam auf eine zu People of Color (PoC) verwendet und 1 Bevölkerungsstand des Mikrozensus Sozialisationen geht, ist der politisch Norm-Vorstellung, von der Deutsche nicht für die Beschreibung der Haut- des Bundesinstituts für Bevölke- korrekte Begriff Schwarze. In allen an- mit ||Migrationshintergrund vermeint- farbe genutzt. Der Begriff soll eine ge- rungsforschung (Stand: Sept. 2016): deren Fällen gibt es aber meistens gar lich abweichen. Der Begriff wurde sellschaftspolitische (Macht-) Position https://www.destatis.de/DE/Publi- keinen Grund, dazu zu sagen, ob eine durch den Migrationspädagogen Paul und Norm hervorheben. Dabei müssen kationen/Thematisch/Bevoelkerung/ Person Schwarz oder Weiß ist.« (zitiert Mecheril in die Debatte eingebracht2 sich weiße Menschen nicht selbst als MigrationIntegration/Migrationshin- von www.derbraunemob.info). Far- (siehe auch ||Copyright-Deutsche). weiß oder privilegiert fühlen. Allerdings tergrund2010220157004.pdf bige/ farbig ist ein kolonialistischer ist die Formulierung nicht selbsterklä- 2 Mecheril, Paul and Thomas Teo (1997, Begriff und negativ konnotiert. Eine || Südländer _ ist ein aus der Mode ge- rend. In der Wissenschaft wird Weiß Hrsg.), Psychologie und Rassismus, Alternative ist die Selbstbezeichnung kommener Begriff, aber in der Beschrei- oft kursiv und/oder groß geschrieben, Hamburg 12 || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff 13
Migration Migration || Displaced Persons (DPs) _ engl. für Türk*innen, Greco-Deutsche, statt Vertriebene. Die UN bezeichnen Per- Deutsch-Griech*innen, Hispanisch- Debatten um das Einwanderungsland Deutschland haben in den vergange- sonen als displaced people, die wegen Deutsche, Russlanddeutsche, Polnisch- nen Jahren zugenommen. Die Begriffe wandeln sich im Laufe der Zeit: So war bewaffneter Auseinandersetzungen, Deutsche etc. (siehe ||Deutsch-Türken). »Migration« ursprünglich ein Wort aus der Zoologie (Meyers Konversations- Menschenrechtsverletzungen, natür- lexikon, 1906). Heute erfährt man fast täglich Neues über »die Migranten«. In licher oder menschlich verursachter || Einbürgerung _ ist der Prozess zur vielen Fällen geht es dabei aber um einzelne Minderheitengruppen, die unter Katastrophen gezwungen wurden, ih- Erlangung der deutschen Staatsbür- diesem Begriff zusammengefasst werden (siehe auch Wer sind »wir«, wer sind ren Heimatort zu verlassen, aber keine gerschaft. Unterschieden wird zwi- »die Anderen«?, S. 6). Hier gilt es, in der Berichterstattung genau hinzusehen, international anerkannte Staatsgrenze schen Anspruchseinbürgerung und von wem die Rede ist und welche Wirkung pauschale Zuschreibungen haben überschritten haben; im Sinne der UN Ermessenseinbürgerung. Anspruch auf können. sind DPs Binnenflüchtlinge. Als histo- eine Einbürgerung hat, wer die gesetz- rischer Begriff in der deutschen Ge- lichen Voraussetzungen dafür erfüllt schichte bezieht er sich vor allem auf (z.B. mindestens acht Jahre Aufent- || Armutszuwanderer _ wird derzeit als der Sowjetunion unter den Folgen des ehemalige KZ-Häftlinge, Kriegsgefan- halt, Lebensunterhaltssicherung ohne (abfällige) Bezeichnung für Men- Zweiten Weltkrieges gelitten haben gene und Zwangsarbeiter*innen nach Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II). schen aus Südosteuropa verwendet, (und die) noch Jahrzehnte nach Kriegs- dem Zweiten Weltkrieg (siehe auch Sind nicht alle Voraussetzungen gege- teils auch als Synonym für ||Roma, die ende aufgrund ihrer Volkszugehörig- II Heimatlose Flüchtlinge). ben, kann eine Einbürgerungsbehörde im Zuge der EU-Freizügigkeit nach keit massiv verfolgt« wurden. In der trotzdem die deutsche Staatsbürger- Deutschland kommen. Die große Bundesrepublik können sie die »Sta- || Doppelte Staatsangehörigkeit _ Das schaft vergeben, wenn z.B. ein öffent- Mehrheit der Menschen, die seit 2007 tusdeutscheneigenschaft« bekommen, Fachwort dafür ist Mehrstaatigkeit liches Interesse an der ||Einbürgerung aus den neuen EU-Beitrittsländern werden damit ||deutschen Staatsange- und beschreibt den Besitz von zwei besteht (bspw. bei Profi-Sportler*in- eingewandert sind, geht jedoch einer hörigen gleichgestellt und sind keine oder mehr Staatsangehörigkeiten. nen) und einige Mindestanforderun- Arbeit nach oder studiert. Es handelt ||Ausländer (siehe auch ||Vertriebene). Dazu kommt es z.B., wenn ein Kind gen erfüllt sind (siehe auch ||doppel- sich daher überwiegend um eine – für nach dem Abstammungsprinzip au- te Staatsbürgerschaft und IIdeutsche Deutschland profitable – Arbeitszu- || Deutsche Staatsangehörigkeit _ er- tomatisch die unterschiedlichen Staatsangehörigkeit). wanderung bzw. Arbeitseinwanderung. werben Menschen mit der Geburt ent- Staatsangehörigkeiten beider Eltern- Auch problematisch: Bei »Armuts- weder nach dem Abstammungsprin- teile erhält. Bei ||Einbürgerungen in || Einwanderungsgesellschaft _ be- migration« schwingt die Sorge mit, zip, wenn sie also als Kind deutscher Deutschland soll Mehrstaatigkeit ver- schreibt Deutschland als Einwande- Deutschland sei vor allem von einer Eltern geboren werden, oder seit 2000 mieden werden, es gibt allerdings viele rungsland. Die Menschen kommen, um Einwanderung in die Sozialsysteme auch nach dem Geburtsortprinzip. Das Ausnahmen: z.B. für EU-Bürger*innen, dauerhaft hier zu leben. Sie werden und betroffen. heißt auch Kinder, deren Eltern keine Schweizer*innen, US-Amerikaner*in- sind Teil der Bevölkerung. Im Gegen- deutsche Staatsangehörigkeit besit- nen, Argentinier*innen etc. Seit 2000 satz dazu betont die Bezeichnung »Zu- || Aussiedler/Spätaussiedler _ sind deut- zen, erhalten seither in der Regel die erhalten auch in Deutschland gebo- wanderungsgesellschaft« die temporä- sche »Volkszugehörige« und mit etwa deutsche Staatsbürgerschaft, wenn rene Kinder von ||Ausländern neben re Dauer des Zuzugs. Die Absicht zu 4,5 Millionen Menschen die größte sie in Deutschland geboren sind (siehe der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern bleiben ist bei ||Zuwanderern nicht un- Einwanderergruppe in der Bundesre- ||doppelte Staatsangehörigkeit, ||Options- die deutsche (siehe ||Optionspflicht). bedingt gegeben, siehe auch Kapitel 1 publik. Laut Definition des Innenmi- pflicht). Unter bestimmten Vorausset- Um Menschen mit doppelter Staatsbür- Wer sind »wir«, wer sind die »Anderen«? nisteriums handelt es sich bei ihnen zungen (u.a. achtjähriger Aufenthalt) gerschaft zu benennen, ist es sinnvoll, um »Personen deutscher Herkunft, kann man deutsche*r Staatsbürger*in ihren Lebensmittelpunkt zu betonen, || Gescheiterte Integration _ wird häu- die in Ost- und Südosteuropa sowie in werden durch ||Einbürgerung. also z.B. Turko-Deutsche, statt Deutsch- fig als Ursache für Jugendkriminalität 14 || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff 15
Migration Migration und andere Probleme genannt. Dabei Alternativen sind binationale oder ggf. Klaus J. Bade: »Parallelgesellschaften scheen. Dahinter steckt häufig eine – wird oft unterstellt, dass zum Beispiel interreligiöse Ehe. im klassischen Sinne gibt es in völkisch-nationalistische – Vorstellung, Verstöße gegen Gesetze und Normen Deutschland gar nicht. Dafür müssten in der als nicht deutsch empfunde- begangen werden, weil die deutsche || Optionspflicht _ Seit 2000 erhalten mehrere Punkte zusammenkommen: ne Menschen und ihre Kultur eine Gesellschaftsordnung abgelehnt und in Deutschland geborene Kinder von eine monokulturelle Identität, ein frei- Gefahr für die »deutsche Identität«, stattdessen einer vermeintlich archai- ||Ausländern neben der ausländischen williger und bewusster sozialer Rück- das »Volk« oder die innere Sicherheit schen Einwandererkultur mit eigenen Staatsangehörigkeit in der Regel auch zug auch in Siedlung und Lebensalltag, Deutschlands sind. Dass die Bundes- Regeln gefolgt wird. Meist sind jedoch die deutsche. Dabei wurde jedoch für eine weitgehende wirtschaftliche Ab- republik bspw. wirtschaftlich von Ein- andere Ursachen zu finden wie man- die Kinder von ||Drittstaatsangehörigen grenzung, eine Doppelung der Insti- wanderung profitiert und sie sich auch gelnde Chancengleichheit, soziale Be- die Optionspflicht eingeführt: Zwi- tutionen des Staates. Bei uns sind die aus demografischen Gründen positiv nachteiligung etc. Für einen hohen An- schen dem 18. und dem 23. Geburtstag Einwandererviertel meist ethnisch ge- auswirkt, wird dabei ausgeblendet. teil von Einwander*innen in manchen mussten sie sich für eine der beiden mischt, der Rückzug ist sozial bedingt, Stadtteilen etwa ist oft eher der Woh- Staatsangehörigkeiten entscheiden. eine Doppelung von Institutionen || Vertriebene _ sind deutsche Staats- nungsmarkt ursächlich als ein Hang zu Mit der Reform des Staatsangehörig- fehlt.« angehörige oder sog. deutsche innerethnischen Nachbarschaften. keitsgesetzes von 2014 entfällt dieser »Volkszugehörige« (jur. Bezeichnung, Entscheidungszwang für diejenigen || Postmigrantisch _ stammt aus der Kul- Bundesvertriebenengesetz) und ihre || Integration _ ist ein Begriff, der oft jungen Leute mit ||doppelter Staatsan- turszene und wurde in Deutschland Nachkommen, die ihren Wohnsitz im Zusammenhang mit ||Migranten gehörigkeit, die mindestens acht Jahre von der Kulturschaffenden Shermin im Zusammenhang mit dem Zwei- fällt und als Bringschuld der Einwan- in Deutschland gelebt haben oder Langhoff eingeführt. Postmigrantisch ten Weltkrieg verloren haben. Auch der*innen gemeint ist. Wissenschaft- sechs Jahre hier zur Schule gingen oder steht für den Prozess, die Gesell- ||Aussiedler gelten gesetzlich als Ver- ler*innen dagegen verwenden ihn, einen Schul- oder Berufsabschluss in schaft nach erfolgter Einwanderung triebene. Vertriebene, Aussiedler*innen um gesellschaftliche Strukturen und Deutschland gemacht haben. Es bleibt mitzugestalten. Wird Deutschland als oder Spätaussiedler*innen haben ei- Sachverhalte zu beschreiben, wie also kompliziert. ||Einwanderungsgesellschaft akzeptiert, nen rechtlichen Anspruch darauf, aus Teilhabe und Zugang zu Arbeit, Bil- werden Kategorien wie ||deutsch / Ländern des ehemaligen Ostblocks in dung oder Wohnen. In diesem Sinn || Parallelgesellschaft _ ist ein Schlag- nicht-deutsch bedeutungslos; in einer Deutschland aufgenommen zu wer- ist bspw. von Integrationspolitik oder wort, das Anfang der 2000er Jahre im postmigrantischen Gesellschaft müs- den. In der Bundesrepublik bekommen Integrationsprojekten die Rede. In der Zusammenhang mit der Integrations- sen sich ||Deutsche ohne Migrationshin- sie in der Regel automatisch die sog. Berichterstattung ist oft von »geschei- debatte um ||Muslime in Deutschland tergrund auch eingliedern. Es gilt, die Statusdeutscheneigenschaft und sind terter« oder »gelungener Integration« populär wurde. Der Begriff ist inhalt- zuvor herrschenden (Miss-) Verhält- somit keine ||Ausländer. die Rede; ebenso wie bei der Über- lich diffus und nicht konkret definiert. nisse gemeinsam neu zu verhandeln. tragung auf Personen (IIIntegrations- Er konstruiert ein Bild homogener Hinweis: Postmigrantisch ist nur als Ad- || Willkommenskultur _ ist zur Stan- verweigerer) werden gesellschaftliche Minderheiten, die sich räumlich, sozial jektiv zu verwenden. dardvokabel in der Asyldebatte ge- Probleme dadurch individualisiert und und kulturell von der Mehrheitsbevölke- worden. Gemeint ist meistens das kulturalisiert. Alternativen: Teilhabe, rung abschotten. Ihnen wird »Integra- || Überfremdung _ ist ein politisches Mitgefühl der vielen Ehrenamtlichen, Chancengleichheit. tionsunwilligkeit« unterstellt, ohne zu Schlagwort, das oft von ||Rechtsextre- die sich für ||Geflüchtete engagieren berücksichtigen, dass für ||Integration men, heute teils auch von etablierten Po- und damit eine Willkommenskultur || Mischehe _ beruht als Begriff auf der die gesamte Gesellschaft verantwort- litiker*innen verwendet wird. Es dient schaffen. Vorher war Willkommens- Rassentheorie und wurde vor allem im lich ist (siehe auch IIgescheiterte Inte- meist als Argument gegen die multi- kultur eher ein politisches Leitbild für Zuge der »Rassenhygiene« zur Zeit des gration). In einem Interview mit Spie- kulturelle Gesellschaft in Deutschland, die multikulturelle Aufnahmegesellschaft Nationalsozialismus verwendet. Gute gel Online1 kritisierte der Historiker z.B. in Debatten um den Bau von Mo- im Kontext der Integrationsdebatte. 16 || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff 17
Migration Kritisiert wird der Begriff z.B. vom Me- Kriminalitätsberichterstattung1 dienwissenschaftler Alexander Kissler, der darauf verweist, dass sich das Wort Die Berichterstattung über Straftaten nimmt in den meisten Medien viel Raum »Willkommen« nur auf den kurzen ein. Dabei herrscht immer noch das Vorurteil, Menschen aus Einwandererfamili- Vorgang des Kommens beziehe, also en würden häufiger straffällig als biografisch Deutsche und ihre Herkunft oder keinen sich verstetigenden Zustand die ihrer Eltern hätten ursächlich damit zu tun. Bei Aussagen über Kriminalität bezeichnen könne (siehe auch ||Ein- unter bestimmten Gruppen besteht stets die Gefahr einer unzulässigen Pauscha- wanderungsgesellschaft, ||Aufnahmege- lisierung und entsprechender Fehlschlüsse. Die folgenden Erläuterungen und sellschaft). Empfehlungen sollen dazu beitragen, differenziert über Straftaten zu berichten. || Xenophilie _ ist das Gegenteil von ||Xenophobie und beschreibt eine || Ausländerhass, Fremdenfeindlichkeit _ werden, so wie bspw. konkret von Neigung für fremde Dinge oder Men- sind als Synonyme für ||Rassismus und Korruption die Rede ist, wenn es um schen. Beides setzt eine Kategorisie- rassistische Tatmotive ungenau, da es sel- entsprechende Strafbestände in Poli- rung in »fremd« und »nicht fremd« ten um tatsächliche Fremde wie etwa tik, Wirtschaft, Gesellschaft, öffentli- voraus. Tourist*innen geht. Von der vermeint- cher Verwaltung usw. geht. lichen »Ausländerfeindlichkeit« sind || Xenophobie _ (griech. xeno, fremd) oft deutsche Staatsangehörige betrof- || Banden _ wird in der Kriminalitäts- bezeichnet die ablehnende Haltung fen. Werden Ausländerhass oder Frem- berichterstattung häufig als Schlag- gegenüber einer Gruppe, die als denfeindlichkeit als Motive genannt, wort verwendet, um mit dem Zusatz fremd wahrgenommen wird, aber gibt das die Perspektive der Täter*in- »aus Südosteuropa« einen Hinweis nicht automatisch fremd sein muss, nen wieder. Präziser ist es, die Motive, auf ||Roma zu implizieren. Der Begriff wie zum Beispiel Schwarze Deutsche Straftaten oder Gesinnungen als rassis- ist negativ konnotiert und sollte nur oder deutsche Muslime. Xenophobie tisch, rassistisch motiviert, rechtsextrem dann verwendet werden, wenn er ju- ist eine Form der gruppenbezogenen oder neonazistisch zu bezeichnen (siehe ristisch angebracht ist. So definiert Menschenfeindlichkeit (siehe auch ||Hassverbrechen, Hasskriminalität). der Bundesgerichtshof eine Bande als ||Fremdenfeindlichkeit, ||Rassismus). »Zusammenschluss von mindestens || Ausländerkriminalität _ sollte nicht drei Personen, die sich mit dem Wil- als eine Bezeichnung für alle Strafta- len verbunden haben, künftig für eine 1 Vgl. »Zuwanderung wird als Bedro- ten verwendet werden, die von ||Aus- gewisse Dauer mehrere selbständige, hung empfunden«: Interview mit ländern begangen werden, sondern im Einzelnen noch ungewisse Diebes- Klaus J. Bade mit Spiegel Online vom als Oberbegriff für Verstöße gegen oder Raubtaten zu begehen«. 24.11.2014 http://www.spiegel.de/kul- Asylgesetze, Visavergehen und an- tur/gesellschaft/leitkultur-debatte-zu- dere Straftaten, die nur von Auslän- || Blutrache _ bezeichnet ausschließlich wanderung-wird-als-bedrohung-emp- der*innen begangen werden können. schwere Gewalttaten oder Morde zur funden-a-329285-druck.html Alle anderen Straftaten sollten allge- Vergeltung der Tötung von Familien- mein unter Kriminalität eingeordnet mitgliedern. Mitunter wird Blutrache werden – schließlich gibt es auch keine zur Beschreibung anderer Straftaten »Deutschenkriminalität«. Ebenso kön- verwendet, die von ||Einwanderern oder nen Straftaten im speziellen benannt deren Nachkommen begangen werden. 18 || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff 19
Kriminalitätsberichterstattung Kriminalitätsberichterstattung Dabei handelt es sich in vielen Fällen Begriff »Extremismus« umstritten, die als ungleichwertig beurteilt wird. lichen Ehre, kann man der Idee der schlicht um Rache oder Racheakte. weil beide voraussetzen, dass es eine In der Fachsprache ist als Motiv für Istanbuler Initiative »Kadın Cinayet- unpolitische Mitte der Gesellschaft Hasskriminalität von gruppenbezogener lerini Durduracagız« folgen: Die Frau- || Clan _ gehört zu den Begriffen, die gibt und vermeintlich abgegrenzt da- Menschenfeindlichkeit die Rede. enrechtlerinnen plädieren für den Be- ebenso wie die Schlagworte »Großfa- von einen linken und rechten Rand, griff Frauenmord als Synonym, da er die milie« oder »Sippe« auch ohne einen denen undemokratische, verfassungs- || Ideologien der Ungleichwertigkeit _ Betroffenen und die Tat in den Fokus Hinweis auf Staatsangehörigkeit oder feindliche und totalitäre Gruppen sind Weltanschauungen, in denen die rückt. Allerdings zählen zu den Opfern Herkunft implizieren, dass es in einem oder Personen angehören. ||Ideologien Gleichwertigkeit und Gleichberech- manchmal auch Männer, die am ver- Bericht um ||Einwanderer geht. Alterna- der Ungleichwertigkeit und die Ableh- tigung aller Menschen grundlegend meintlichen »Ehrbruch« beteiligt wa- tiv kann schlicht von einer (großen) Fa- nung der Demokratie können jedoch abgelehnt werden. Ideologien der Un- ren oder homosexuell sind. milie oder Verwandtschaft die Rede sein. in der gesamten Bevölkerung vertreten gleichwertigkeit sind u.a. ||Rassismus, sein. Deshalb empfiehlt es sich, in der ||Antisemitismus, Sexismus, Sozialdar- || Neonazi _ Kurzform von Neo-Nati- || Ehrenmord _ definieren Expert*innen Berichterstattung z. B. nicht von extre- winismus, Chauvinismus sowie Homo- onalsozialist. Neonazis beziehen sich für das Bundeskriminalamt so: »Tö- mistischen, sondern eher von extremen und Transphobie. Sie können sich in geistig, politisch sowie in der Symbo- tungsdelikte, die im Kontext patriar- Motiven zu sprechen/schreiben oder ||Hasskriminalität äußern. lik und den Aktionsformen auf den chalisch geprägter Familienverbände sie besser konkret zu benennen. Nationalsozialismus. Die neonazisti- oder Gesellschaften vorrangig von || Der Kölner Behrouz F. _ bei der Nen- sche Szene pflegt das NS-Erbe sowie Männern an Frauen verübt werden, um || Der Gesuchte spricht Deutsch mit nung von Namen oder Alias-Namen Traditionen von SA- und SS-Verbän- die aus Tätersicht verletzte Ehre der türkischem Akzent _ ist in fast allen Fäl- in Berichten ist eine Verbindung mit den. Neonazismus ist die radikalste und Familie oder des Mannes wiederher- len eine vage Vermutung. Es ist schwer dem Wohnort zu empfehlen. Auch aggressivste Variante des heutigen zustellen«2 Teils wird die Bezeichnung unterscheidbar, ob ein Mensch einen eine Nennung des Wohnbezirks kann ||Rechtsextremismus. Jeder Neonazi ist jedoch allgemein verwendet, zum Bei- türkischen, kurdischen, persischen, sinnvoll sein, weil sie häufig mehr Aus- rechtsextrem, aber nicht jeder Rechts- spiel wenn ein türkeistämmiger Mann berberischen oder anderen Akzent sagekraft hat als die Herkunft; es ist extreme ist Neonazi. Viele Rechtsext- seine Frau umbringt. In vielen Fällen hat. Entsprechend kann in Meldungen oft aufschlussreicher zu erfahren, ob reme beziehen sich heutzutage nicht würde die gleiche Tat, begangen in ei- zur Fahndungshilfe wahrheitsgemäß Behrouz F. in einem Arbeiterkiez oder mehr auf den Nationalsozialismus und nem ||standarddeutschen Umfeld, Fami- formuliert werden spricht Deutsch mit Nobelviertel wohnt. Formulierungen sind auch nicht mehr an den typischen lientragödie, Beziehungstat, Eifersuchts- Akzent oder sprach Deutsch mit einem wie »der Iraner Behrouz F. aus Köln« Symbolen der 1990er Jahre zu erken- drama genannt (alternativ siehe ||Mord Akzent, der vom Zeugen als türkisch einge- oder der iranischstämmige Behrouz nen (Glatze, Stiefel, Bomberjacke). im Namen einer vermeintlichen Ehre). schätzt wurde. F. hingegen machen deutlich, dass Rassistische oder rechtsextreme Ideo- Behrouz F. weder echter Kölner noch logien können in allen Spektren der || Extremismus _ bezeichnet in An- || Hasskriminalität, Hassverbrechen _ Deutscher ist oder sein kann. Gesellschaft herrschen, z.B. bei selbst- lehnung an die Extremismustheorie deutsch für Hate-Crime, bezeichnet ernannten ||Asylgegnern. vor allem eine radikale, gewaltsam Gewalt- und Straftaten, die durch || Mord im Namen einer vermeintlichen durchgesetzte politische Haltung. ||Rassismus (siehe ||Ausländerhass), re- Ehre _ Mord im Namen eines altherge- || Opfer _ ist in der Kriminalitätsbe- Nach Definition von Polizei und Ver- ligiöse Intoleranz, Trans- oder Homo- brachten Begriffs von Ehre _ sind reflek- richterstattung gängig als Bezeichnung fassungsschutz gelten Bestrebungen phobie und Ähnlichem motiviert sind. tierte Alternativen für ||Ehrenmord, für Betroffene von Diskriminierung als extremistisch, wenn sie gegen die Hasskriminalität ist sinnvoll zur Benen- wenn man sich in der Berichterstat- oder Gewalt. Mit dem Begriff werden freiheitlich demokratische Grundord- nung von Straftaten, wenn die Betrof- tung vom Motiv des Täters distanzie- allerdings Eigenschaften wie Hilflo- nung gerichtet sind. Ebenso wie die fenen von den Täter*innen als Zugehö- ren will. Handelt es sich eindeutig um sigkeit oder Versagen assoziiert. Eine Bezeichnung »Radikalismus« ist der rige einer Gruppe angesehen werden, einen Mord im Namen einer vermeint- sinnvolle Alternative ist: Betroffene. 20 || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff 21
Kriminalitätsberichterstattung Kriminalitätsberichterstattung || Osteuropäischer Herkunft, arabisch- einheitliche Ideologie beschreibt, ist 1 Teile der Erläuterungen im Glossar zur stämmig _ etc. sind meist mutmaßli- die Bezeichnung Rechtsextremismus Kriminalitätsberichterstattung sind che Beschreibungen und sollten mit wissenschaftlich umstritten, weil sie dem Beitrag entnommen »... denn sie Bedacht verwendet werden. Grund- sehr undifferenziert ist. Meist wird wissen nicht, was sie tun. Wie Jour- sätzlich sind in Fahndungshilfen nur damit das veraltete Bild typischer nalismus die Integrationsdebatte be- Formulierungen zu empfehlen, die ||Neonazis der 1990er Jahre verbunden, einflusst«, Konstantina Vassiliou-Enz, auf Tatsachen beruhen. Auch ist die mit Glatze, Stiefeln, Bomberjacke – in »Vielfältiges Deutschland«, Bertels- Zuordnung eines Menschen zu gro- Erkennungszeichen, die in modernen mann-Stiftung (Hrsg.), 2014 (www. ßen Regionen, wie Arabien, Osteuro- Formen des Rechtsextremismus von neuemedienmacher.de/denn-sie-wis- pa, Asien etc. wenig hilfreich für die subtileren Codes und Symbolen4 ab- sen-nicht-was-sie-tun-wie-journalis- Fahndung, dafür aber stark verallge- gelöst wurden. Zudem gibt es in der mus-die-integrationsdebatte-beein- meinernd (siehe ||der Gesuchte spricht Mitte der Gesellschaft Menschen mit flusst/) Deutsch mit türkischem Akzent). rechtsextremer und/oder neonazisti- 2 Studie »Ehrenmorde in Deutschland scher Gesinnung, die längst ohne ste- 1996 bis 2005« von der Kriminologi- || Rassismus ist der Prozess, in dem reotype Zeichen auskommen. Ebenso schen Abteilung des Max-Planck-In- Menschen aufgrund tatsächlicher können mit dem verallgemeinernden stituts im Auftrag des Bundeskrimi- oder vermeintlicher körperlicher oder Begriff Rechtsextreme z.B. auch ||Asyl- nalamts. Interview von 2014 dazu: kultureller Merkmale (z. B. Hautfarbe, gegner gemeint sein. http://mediendienst-integration.de/ar- Herkunft, Sprache, Religion) als homo- tikel/ehrenmord-studie-kasselt-kein-is- gene Gruppen konstruiert, negativ be- || Der türkischstämmige Tatverdächtige lamrabatt.html wertet und ausgegrenzt werden. Der (besser: ||türkeistämmige) _ Grundsätz- 3 Die Erklärung stammt aus dem klassische Rassismus behauptet eine lich sollte die Herkunft von Straftä- Glossar des Informations- und Do- Ungleichheit und Ungleichwertigkeit ter*innen oder Verdächtigen nur dann kumentationszentrums für Antiras- von Menschengruppen auf Grundlage genannt werden, wenn ein Bezug zur sismusarbeit e.V.: www.idaev.de/glos- angeblicher biologischer Unterschie- Tat besteht und die Information zum sar/?qlChar=R de. Im Kulturrassismus wird die Un- Verständnis notwendig ist. Gleiches 4 Eine Auswahl dieser Codes und Sym- gleichheit und Ungleichwertigkeit mit gilt für »der Türke« oder »der aus der bole findet sich auf www.dasversteck- angeblichen Unterschieden zwischen Türkei stammende« etc. Gibt es kei- spiel.de. den »Kulturen« zu begründen ver- nen sachlichen Bezug zum Tathergang, 5 Ein sachlicher Bezug zu ethnischen, re- sucht3 (siehe auch ||Hasskriminalität). wird durch die explizite Nennung ligiösen oder kulturellen Hintergrund der ethnischen Herkunft von Straftä- von Straftäter*innen besteht, wenn || Rechtsextremismus _ basiert auf ter*innen oder Verdächtigen in der dieser z. B. bei der Entscheidung in ||Ideologien der Ungleichwertigkeit mit Nachricht ein vermeintlicher Zusam- einem Gerichtsverfahren berücksich- dem Ziel, diese gewaltsam durchzu- menhang hergestellt. Zum Vergleich: tigt wird. Vgl. auch Pressekodex, Zif- setzen. Der Rechtsextremismus lehnt Es ist auch nicht üblich, von deutsch- fer 12 Diskriminierung, Richtlinie 12.1. die Freiheit und Gleichwertigkeit aller stämmigen Täter*innen zu sprechen.5 (http://www.presserat.de/fileadmin/ Menschen grundsätzlich ab. Weitere user_upload/Downloads_Dateien/ wesentliche Bestandteile sind Natio- Pressekodex_Leitsaetze_RL12.1.pdf). nalismus sowie die Ablehnung von De- mokratie. Als Oberbegriff, der keine 22 || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff 23
Minderheiten | Musliminnen und Muslime Minderheiten II Boko Haram _ ist eine radikal-isla- ne oder äußere Dschihad hingegen be- mistische Terrormiliz, die 2009 im steht in jeder Form der zulässigen Ver- Musliminnen und Muslime Nordosten Nigerias gegründet wur- teidigung von IIMuslimen (siehe auch de. Offiziell trägt die Terrorgruppe IIPop-Dschihadismus). Wer genau sind eigentlich »die Muslime«? Und gibt es »den Islam« überhaupt? seit 2009 den Namen »Jama‘atu Ahlis Tatsächlich ist das Themenfeld viel komplexer, als es oft wahrgenommen wird. Sunna Lidda‘awati wal-Jihad «, der im || Dschihadismus, Dschihadist _ wird in Bereits zur Frage, wie viele Muslim*innen in Deutschland leben, gibt es Differen- Deutschen »Vereinigung der Sunniten der Regel im Zusammenhang mit mili- zen.1 Die offizielle Angabe von 4,4 bis 4,7 Millionen muslimischen Einwohner*in- für den Ruf zum Islam und für den tanten, gewaltbereiten ||Islamisten ver- nen in Deutschland ist beispielsweise eine Hochrechnung, bei der vor allem nach Dschihad« bedeutet. Sie wird im Allge- wendet, deren Ideologie zufolge der Herkunftsland und nicht nach Religiosität gezählt wird. In jedem Fall aber steht meinen jedoch weiterhin Boko Haram ||Dschihad den bewaffneten Kampf fest: Die Mehrheit der eingewanderten Menschen in Deutschland kommt nicht genannt, was meist übersetzt wird mit meint, der jedem Muslim vorgeschrie- aus muslimischen Ländern, sondern aus christlich geprägten. »Westliche Bildung ist verboten«. Ent- ben sei, solange muslimische Gebiete Trotzdem werden Berichte über Integrationsthemen häufig unreflektiert mit standen ist sie aus der gleichnamigen unter Besetzung sind oder »Ungläubi- der Islamdebatte verknüpft. Geht es um Religionsfragen von Eingewanderten, sektenähnlichen Gruppierung, die seit ge« gegen Muslime kämpfen. steht ebenfalls meist nur »der Islam« im Fokus. Diese Verengung betrachten 2002 im Nordosten Nigerias offen als Kritiker*innen als problematisch. Aus diesen Gründen ist es sinnvoll mit den gän- eine fundamentalistisch islamistische || Euro-Muslime _ geht auf den Begriff gigen Begriffen zum Thema Islam vertraut zu sein. Gemeinschaft operierte. Ziel von Boko des Euro-Islam zurück, den der Islam- Haram ist ein islamischer Gottesstaat wissenschaftler Bassam Tibi 1991 in nach dem »Recht« der IIScharia zu er- die wissenschaftliche Diskussion ein- || Aleviten _ sind eine eigenständi- auf die Vorstellung von Muslim*innen richten; 2014 rief die Miliz in den von gebracht hat. Der Begriff beschreibt ge Religionsgemeinschaft, die ihren als homogener Gruppe, der bestimmte ihr beherrschten Gebieten im Norden eine bestimmte säkularisierte Form Glauben als Yol (mystischer Weg) (zumeist negative) Eigenschaften zu- Nigerias ein islamisches Kalifat aus, des Islam, die sich dadurch herausbil- bezeichnet. Das Alevitentum hat sich gewiesen werden und die als nicht zu- ähnlich wie IIIS kurz zuvor im Nordirak. den soll, dass in Europa lebende Mus- aus vorislamischen, schiitischen und gehörig eingeordnet wird. lim*innen Pflichten und Prinzipien des mystischen Elementen in Anatolien II Burka _ verhüllt den ganzen Körper, Islam mit Werten der modernen eu- entwickelt, so dass unterschiedliche || Islamische Beschneidung _ von Jun- den Kopf und das Gesicht; die Augen ropäischen Kultur kombinieren. Mitt- Verständnisse darüber existieren. Zahl- gen (arab. Khitan) wird von vielen sind von einem Stoffgitter verdeckt; lerweile gibt es aber auch konserva- reiche ||türkeistämmige Einwanderer Muslim*innen als religiöse Pflicht an- vor allem typisch in Afghanistan und tivere Auslegungen eines Euro-Islam, sind bspw. Aleviten, darunter auch viele gesehen und ist weitgehend etablier- teils in Pakistan. Burka wird oft falsch weshalb der Begriff wissenschaftlich Kurden. te Praxis. Sie wird im Laufe der Kind- verwendet, wenn eigentlich ein Ge- umstritten ist. In der Berichterstat- heit vor der Pubertät durchgeführt. sichtsschleier gemeint ist, der die Au- tung kommt Euro-Muslim vor allem als || Antimuslimischer Rassismus _ be- Mit der Beschneidung werden Jungen gen freilässt, also ein IINiqab (siehe Selbstbezeichnung vor. zeichnet die Diskriminierung von rituell in der islamischen Gemein- auch IITschador). Menschen, die aufgrund ihrer tatsäch- schaft sozialisiert. In Deutschland ist II Fatwa _ (arabisch) ist eine Rechts- lichen oder auch bloß zugeschriebenen die Beschneidung seit 2012 gesetzlich || Dschihad _ wird meist mit »Heiliger auskunft von einer muslimischen Au- Religionszugehörigkeit als ||Muslime geregelt; laut § 1631d des BGB ist sie Krieg« assoziiert, bedeutet zunächst torität, die auf Anfrage ein religiöses wahrgenommen werden. Im Vergleich erlaubt, wenn sie »nach den Regeln »Anstrengung«, »Mühe« und kann sich oder rechtliches Problem klärt. Anders zu den Begriffen ||Islamophobie oder der ärztlichen Kunst durchgeführt« auch auf einen inneren Auftrag bezie- als ein Gerichtsurteil beruht die Fatwa ||Islamfeindlichkeit verweist die Be- wird (siehe auch ||Beschneidung im hen, z.B. beim Kampf gegen »das Böse« auf der persönlichen Interpretation zeichnung antimuslimischer Rassismus Kapitel »Jüdinnen und Juden«). im Herzen (großer Dschihad). Der klei- und der jeweiligen islamischen Rechts- 24 || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff || Begriff mit Erläuterung Empfohlener Begriff 25
Sie können auch lesen