Glossar der Neuen deutschen Medienmacher

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Glossar der Neuen deutschen Medienmacher
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Glossar          der Neuen deutschen Medienmacher
                 der Neuen deutschen Medienmacher
Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland
Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland

Stand 1. September 2017
Stand 1. September 2017
Inhaltsverzeichnis

                                                                                                   Wozu Formulierungshilfen? 5

                                                                                                   Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«? 6

                                                                                                   Migration 14

                                                                                                   Kriminalitätsberichterstattung 19

                                                                                                   Minderheiten

                                                                                                      Musliminnen und Muslime 24

                                                                                                      Jüdinnen und Juden 33

                                                                                                      Sinti, Sintize, Romnja und Roma 41

                                                                                                   Flucht und Asyl 47

                                                                                                   Index 57
Impressum

© 2017, 6. Auflage, September 2017

Herausgeber       Neue deutsche Medienmacher e.V., Potsdamer Straße 99, 10785 Berlin
Redaktion         Konstantina Vassiliou-Enz, Ferda Ataman, Alice Lanzke,
                  Sina Laubenstein, Shion Kumai
Layout            Nadja Fernandes, Grafik et cetera

Die Neuen deutschen Medienmacher sind ein gemeinnütziger Verein. Wir engagieren uns
bundesweit mit zahlreichen Projekten für mehr inhaltliche und personelle Vielfalt in den Medien.
Wir freuen uns über die Unterstützung unserer Arbeit durch eine Mitgliedschaft, eine Spende
oder aktive Mitarbeit. Infos unter www.neuemedienmacher.de

Das Glossar der Neuen deutschen Medienmacher ist für Medienschaffende kostenfrei erhältlich.
Die Inhalte werden von den NdM ehrenamtlich erstellt.
Danke                                                                                    Wozu Formulierungshilfen?
Die Neuen deutschen Medienmacher danken allen beteiligten Wissenschaftler*innen,         Als Journalist*innen1 arbeiten wir jeden Tag mit unserem Handwerkszeug, der
Expert*innen und Fachjournalist*innen sehr herzlich für ihre Hilfsbereitschaft und die   Sprache. Unsere Berichte sollten möglichst wertfrei, korrekt und präzise die
fachliche Unterstützung bei der Erstellung des Glossars.                                 Sachverhalte wiedergeben. Nicht selten passiert es aber, dass Wörter wie »Ein-
                                                                                         wanderer«, »Zuwanderer« und »Migrant« im selben Text nebeneinander ver-
                                                                                         wendet werden, in der Annahme, sie würden alle dasselbe bedeuten. Worin sich
Unser Dank geht an:                                                                      diese Begriffe unterscheiden und bei welchen weiteren Themen ungenau for-
                                                                                         muliert wird, erläutern wir in diesem Glossar. Die Alternativen, die wir dazu an-
Fatih Abay, Prof. Dr. Handan Aksünger, Prof. Dr. Iman Attia, Thomas Baumann,             bieten, sind als Vorschläge zu verstehen und sollen als Hilfestellung für die tägliche
Anna Brausam, Claudia Dantschke, Merfin Demir, Christina Dinar,                          Redaktionsarbeit dienen. Wir stellen sie gern zur Diskussion und freuen uns über
Prof. Dr. Naika Foroutan, Sana Shah, Amelie Hoffmann, Gilda Horvath,                     eine Einladung zum Redaktionsgespräch, zur Blatt- oder Sendungskritik – von
Anetta Kahane, Bernd Knopf, Thomas Krüppner, Robert Lüdecke,                             Kolleg*in zu Kolleg*in.
Yassin Musharbash, Prof. Dr. Werner Nell, Miltiadis Oulios, Timo Reinfrank,
Jan Riebe, Jana Sauer, Dr. Susanne Schmidt, Ulrich Werner Schulze,                       2013 sind auf Initiative der »Neuen deutschen Medienmacher« bundesweite
Dr. Yasemin Shooman, Prof. Dr. Riem Spielhaus, Dr. Stefan Vogt, Irene Wachtel,           Vertreter*innen von Medien, Wissenschaft und Verwaltung beim Bundesamt
Melek Yildiz und viele andere!                                                           für Migration und Flüchtlinge zusammengekommen und haben Begriffe disku-
                                                                                         tiert und Definitionen abgeglichen. Die Empfehlungen für das Glossar bauen
                                                                                         auf diesen und vielen weiteren Diskussionen auf. Mit Hilfe zahlreicher Wissen-
                                                                                         schaftler*innen, Fachleute und Praktiker*innen haben Journalist*innen aus dem
                                                                                         Netzwerk der NdM die Inhalte des Glossars in ehrenamtlicher Arbeit erstellt.
                                                                                         Sie sind unser Beitrag zu einer laufenden Debatte und sicher nicht abschließend.
                                                                                         Um die Inhalte regelmäßig zu aktualisieren und zu erweitern, gibt es online ein
                                                                                         Web-Glossar und eine Glossar-App sowie weitere neue Druckauflagen dieser
                                                                                         Broschüre.
Die vorliegende Auflage des NdM-Glossars wurde im Rahmen des
Projekts »No Hate Speech Movement Deutschland« gedruckt.                                 Bitte informieren Sie sich unter www.glossar.neuemedienmacher.de.
                                                                                         Selbstverständlich freuen wir uns über Ihre Vorschläge, Hinweise und Kritik:
                                                                                         geschaeftsstelle@neuemedienmacher.de.

                                                                                         1 Obwohl es in den Medien bislang (noch) kaum gängige Praxis ist, gendern wir im NdM-Glossar
                                                                                         mit Sternchen *. Aus Gründen der Auffindbarkeit und der Übertragung in die Online-Fassung des
                                                                                         Glossars verzichten wir allerdings bei den erläuterten Suchbegriffen darauf.

     4                                                                                                                                                                              5
Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«?

Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«?                                                         gerschaft. Als Synonym für ||Einwande-             || Biodeutsche _ wurde vor einigen Jahren
                                                                                                rer ist er dagegen falsch, da die meisten          von »Migrationshintergründler*innen«
Die deutsche Gesellschaft hat sich verändert, sie ist bunter geworden. Das sollte               ||Migranten und ihre Nachkommen                    als Gegenentwurf mit scherzhaft-pro-
sich in der Berichterstattung wiederfinden. Gleichzeitig müssen Journalist*innen                keine Ausländer*innen mehr sind,                   vokantem Unterton in die Debatte ge-
oft vereinfachen, um komplizierte Sachverhalte für Mediennutzer*innen kurz                      sondern ||Deutsche. Grundsätzlich                  bracht und wird inzwischen aus Man-
und verständlich darzustellen. Manchmal führt das zu einem Dilemma: Wie be-                     verortet »Ausländer« Menschen im                   gel an Alternativen mitunter ernsthaft
schreibe ich die Gruppe, der jemand zugehört? Wie beschreibe ich die Anderen?                   Ausland und klingt nicht nach jeman-               verwendet. Viele so Bezeichnete leh-
Und wo ist diese Trennung wirklich nötig?                                                       dem, der*die den Lebensmittelpunkt                 nen ihn ab, weil in ihm die Vorstellung
    Zunächst ist es sinnvoll, die Protagonist*innen zu fragen, wie sie sich selbst              in Deutschland hat.                                von Genetik mitschwingt. Das Gegen-
nennen würden. Das ist allerdings nicht immer möglich. Zudem kann man bei der                                                                      teil wären Synthetik-Deutsche – also
Beschreibung von Gruppen nicht davon ausgehen, dass alle dieselbe Präferenz                     || Ausländischer Mitbürger _ wird seit             wieder eine Zuordnung in echte und
haben.                                                                                          den 1970er Jahren als meistens wohl-               nicht echte Deutsche. Allerdings: als
    Bei einer allgemeinen Bezeichnung für Einwanderer*innen und ihre Nach-                      meinende, jedoch widersprüchliche                  Kürzel für Biografisch-Deutsche mög-
kommen läuft man Gefahr, das Bild einer homogenen Gruppe zu erzeugen.                           Bezeichnung für Menschen verwendet,                lich, wenn einmal die ausgeschriebene
Menschen mit Migrationsgeschichte sind jedoch keineswegs homogen: Aussied-                      die seit vielen Jahren hier leben und vo-          Form verwendet wird.
ler*innen haben in der Regel mit Geflüchteten aus dem Libanon so wenig ge-                      raussichtlich bleiben werden. Soll die
meinsam wie kemalistische Türk*innen mit kurdischen Feminist*innen. Dennoch                     nicht-deutsche Staatsbürgerschaft be-              || Bundesrepublikaner _ kann als Be-
ist es in der Berichterstattung manchmal nötig, eine Gruppe pauschal zu benen-                  tont werden, ist ausländische*r Bürger*in          zeichnung für alle Bürgerinnen und
nen. Die vorliegenden Erläuterungen dienen der Präzisierung von Begriffen und                   passender, da bei »Mit-Bürger*in« ein              Bürger in der Bundesrepublik Deutsch-
bieten praktische Vorschläge für die differenzierte Bezeichnung von Minder-                     unnötiges »Othering« stattfindet, d.h.             land verwendet werden, denn auch
heiten, der Mehrheit und natürlich auch von beiden.                                             ein*e Mitbürger*in ist damit scheinbar             diejenigen ohne ||deutsche Staatsan-
                                                                                                anders als ein*e Bürger*in.                        gehörigkeit haben sich für ein Leben in
                                                                                                                                                   der Bundesrepublik entschieden.
|| Afrodeutsche _ ist eine häufige Selbst-     eingewandert sind. Allochthone ist das           || Ausländer mit deutschem Pass _
bezeichnung von Schwarzen Menschen             Gegenteil von ||Autochthone.                     taucht erstaunlicherweise immer wie-               || Copyright-Deutsche _ beschreibt
in Deutschland. Um Missverständnissen                                                           der auf, ist sachlich falsch und als dis-          ||Herkunftsdeutsche und betont, dass
vorzubeugen: Längst nicht alle, die sich       || Aufnahmegesellschaft _ wird häufig            kriminierender Widerspruch zu sehen.               eingebürgerte Deutsche häufig nicht
so bezeichnen, haben familiäre Bezüge          als Synonym für IIDeutsche ohne Migra-           Vermutlich ist damit Deutsche*r mit                als originär bzw. original deutsch wahr-
zu Afrika – sie können auch aus den            tionshintergrund    verwendet, wirkt             Einwanderungsgeschichte oder Migra-                genommen werden. Der Ausdruck
USA, anderen europäischen Ländern              dabei jedoch ausgrenzend, da Einge-              tionshintergrund gemeint.                          Copyright-Deutsche stammt von Paul
und überall herstammen (siehe auch             wanderte und ihre Nachkommen auch zu                                                                Mecheril, Prof. für Migrationspäda-
||Schwarze Deutsche).                          den Aufnehmenden gehören. Wenn                   || Autochthone Deutsche _ autochthon               gogik (siehe auch ||Standarddeutsche).
                                               er verwendet wird, wäre der klären-              kommt aus dem Griechischen und be-
|| Allochthone _ (griech.) wird in den         de Zusatz multikulturelle Aufnahme-              deutet sinngemäß eingeboren, altein-               || Deutsche _ steht für ||deutsche
Sozialwissenschaften als Bezeichnung           gesellschaft sinnvoll, damit deutlich            gesessen. Autochthone Deutsche könnte              Staatsangehörige (siehe Kap. 3 Migra-
von Menschen oder Gruppen mit ge-              wird: Es sind die über 82 Millionen1             dazu dienen, ||Deutsche ohne Migra-                tion). Als Adjektiv oder Substantiv
bietsfremder Herkunft verwendet.               Bürger*innen in Deutschland gemeint.             tionshintergrund zu beschreiben, hat               sollte der Begriff nicht dazu dienen,
In den Niederlanden wird der Begriff                                                            allerdings als kaum bekanntes Fremd-               eine ethnische Zugehörigkeit und da-
zur Beschreibung von Menschen ver-             || Ausländer _ bezeichnet Einwoh-                wort wenig Aussicht, sich durchzuset-              mit nur die ||herkunftsdeutsche Bevöl-
wendet, die selbst oder deren Eltern           ner*innen ohne deutsche Staatsbür-               zen (siehe auch ||Allochthone).                    kerung zu beschreiben. Denn: Jede*r

6                                            || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff   || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff                                          7
Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«?                                                                                                             Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«?

fünfte Deutsche stammt aus einer              || Drittstaatsangehörige _ wird in der           Zeit historisch belastet und sollte nur            öfter der »Integrationsverweigerer«
Einwandererfamilie. Darüber hinaus            Fachsprache verwendet, um Men-                   mit einer entsprechenden geschichtli-              auf. Daran wird deutlich, dass Einwan-
erhalten in Deutschland geborene Kin-         schen zu beschreiben, die keine Staats-          chen Einordnung verwendet werden.                  der*innen oft eine willentliche und ak-
der von ||Ausländern seit dem Jahr 2000       angehörigkeit eines EU-Landes haben.             Als Alternative eignen sich ausländi-              tive Abgrenzung unterstellt wird, was
in der Regel automatisch die deutsche         Solange es rechtliche Unterscheidun-             scher Arbeitnehmer, Arbeitseinwanderer,            jedoch nur sehr selten der Fall ist. Stu-
Staatsbürgerschaft.                           gen für diese Gruppen gibt, ist der Be-          Arbeitsmigrant, migrantischer Arbeiter             dien verweisen eher auf einen Mangel
                                              griff unvermeidbar. Beispiel: ||Deutsche         oder auch arbeitsmarktbezogener Ein-               an Chancengleichheit und fehlende oder
|| Deutsche ohne Migrationshintergrund _      haben allgemeines Wahlrecht, EU-                 wanderer/Zuwanderer (Fachsprache),                 erschwerte Möglichkeiten zur Partizi-
ist zwar sperrig, aber zur Unterschei-        Bürger*innen können in Deutschland               siehe auch ||Gastarbeiter.                         pation.
dung durchaus geeignet, zumal er              bei Kommunalwahlen abstimmen,
denselben Zusatz verwendet, der zur           Drittstaatsangehörige dürfen in beiden           || Gastarbeiter _ wurden arbeitsmarkt-             || Kanaken _ (polynesisch »Kanaka« =
Definition von ||Menschen mit Migrati-        Fällen nicht mitwählen.                          bezogene Einwanderer genannt, die seit             Mensch) ist ein Schimpfwort, wird
onshintergrund dient.                                                                          den 1950er Jahren durch bilaterale Ver-            jedoch manchmal (mit sarkastischem
                                              || Einheimische _ erzeugt ein schiefes           träge zur Anwerbung von Arbeitskräf-               Unterton) als Selbstzuschreibung ver-
|| Deutsch-Türken usw. _ ist eine Mög-        Bild, weil viele Eingewanderte und ihre          ten aus dem Ausland kamen. Im Wort                 wendet. Wenn Protagonist*innen sie
lichkeit die Internationalität von Men-       Kinder hier längst heimisch sind. Es             »Gast« schwang mit, dass die ||Einwan-             für sich selbst verwenden, kann die
schen zu beschreiben. Dabei ist es aller-     weckt die Assoziation von fremdlän-              derer nicht bleiben sollten. Der Begriff           Selbstbezeichnung in Medienberich-
dings sinnvoll, ihren Lebensmittelpunkt       dischen ||Migranten. In einem lockeren           ist inzwischen veraltet, wird manch-               ten übernommen werden, sollte aber
zu betonen, also Turko-Deutsche statt         Kontext könnte es mit dem Gegensatz              mal aber noch zur Selbstbezeichnung                als solche erkennbar sein.
Deutsch-Türken, Greco-Deutsche statt          verwendet werden: Einheimische und               gebraucht, z.B. als »Gastarbeiterkind«.
Deutsch-Griechen, Spanisch-Deutsche,          Mehrheimische.                                   Die wissenschaftliche Literatur ist                || Kinder nichtdeutscher Herkunftsspra-
Polnisch-Deutsche usw. Denn: Bei Wort-                                                         dazu übergegangen, ihn mit dem Zu-                 che (»ndH«) _ ist ein abstrakter Fach-
zusammensetzungen im Deutschen                || Einwanderer _ sind Menschen, die              satz »sogenannte Gastarbeiter« zu ver-             begriff, der vor allem im Bildungsbe-
steht die Hauptbedeutung immer am             nach Deutschland gekommen sind,                  sehen (siehe auch ||Fremdarbeiter).                reich für Schüler*innen verwendet
Ende (z.B. Hausschuh). Übrigens emp-          um dauerhaft zu bleiben. Derzeit ist                                                                wird. Er ist der Versuch, bestimmte
finden sich auch ||Einwanderer ohne           jedoch in diesem Kontext oft fälsch-             || Herkunftsdeutsche _ ist umstritten.             Förderbedürfnisse zu benennen, ohne
deutschen Pass oft als Teil der deut-         lich die Rede von ||Zuwanderern, Men-            Wer allerdings »Deutsche mit türkischer            Kinder einer Herkunftsgruppe zuzu-
schen Gesellschaft, also z.B. als Turko-      schen mit Zuwanderungsgeschichte                 Herkunft« sagt, müsste konsequenter-               ordnen. Leider verbirgt sich dahinter
Deutsche.                                     und ähnlichem.                                   weise auch Deutsche mit deutscher Her-             ein defizitorientierter Blick: In der
                                                                                               kunft, sprich Herkunftsdeutsche sagen.             Schuleingangsuntersuchung wird al-
||   Diverskulturelle   _ abgekürzt           || Einwanderer und ihre Nach-                                                                       lein der Frage nachgegangen, ob das
Dikulturelle, ist eine Alternative zur        kommen _ ist zwar ebenso lang wie                || Integrationsverweigerer _ steht für             Kind als erste Sprache Deutsch gelernt
Bezeichnung von ||Menschen aus                ||Menschen mit Migrationshinter-                 die diffuse Vorstellung, dass ||Einwan-            hat. Genauso geeignet und weniger
Einwandererfamilien. Sie wurde von            grund, aber ein gutes Synonym, weil              derer die deutsche Gesellschaft, ihre              abstrakt: Mehrsprachige Kinder, Kin-
Heidelberger Bürgern mit und ohne Ein-        weniger abstrakt.                                Werte und Gesetze ablehnen würden.                 der nichtdeutscher Muttersprache oder
wanderungsbiografie in Zusammenarbeit                                                          War anfangs noch die Rede von Men-                 Kinder mit internationaler Geschichte.
mit den NdM in einem Workshop beim            || Fremdarbeiter _ ist eine Bezeich-             schen mit »Integrationsbedarf« und
Diversity-Day 2014 entwickelt (siehe          nung für Arbeitsmigranten, die immer             »Integrationsproblemen«, wurden dar-               || Kulturbereicherer _ ist zynisch ge-
auch ||Menschen mit internationaler           noch hin und wieder in Boulevard-                aus später »Integrationsunfähige« und              meint und stammt aus der ||rechtsex-
Geschichte).                                  Medien auftaucht; sie ist seit der NS-           »Integrationsunwillige«, heute taucht              tremen Szene. Der Begriff bezeichnet

8                                           || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff   || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff                                          9
Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«?                                                                                                               Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«?

||Menschen aus Einwandererfamilien. Er          Synonym für ||Deutsche ohne Einwan-              und ihre Nachkommen zu beschreiben,                || Neue Deutsche _ taucht immer häu-
soll die radikale Ablehnung einer Be-           derungskontext.                                  ging die Formulierung auch in die Um-              figer auf und wird unterschiedlich
reicherung Deutschlands durch ||Men-                                                             gangssprache ein (siehe auch ||Einbür-             verwendet: Manche gebrauchen den
schen aus Einwandererfamilien ausdrü-           || Menschen aus Einwandererfamilien _            gerung und ||Doppelte Staatsbürger-                Begriff synonym für ||Menschen mit
cken. Seit einiger Zeit findet sich der         ist zwar sperrig, umschreibt aber tref-          schaft). Inzwischen wird der Begriff               Migrationshintergrund. Als Selbstbe-
Begriff auch öfter in der Mitte der Ge-         fend, was gemeint ist, ohne Menschen             von manchen als stigmatisierend emp-               zeichnung von ||Menschen aus Einwan-
sellschaft.                                     eine vermeintliche Einwanderungser-              funden, weil damit mittlerweile vor al-            dererfamilien soll er den Anspruch auf
                                                fahrung zuzusprechen.                            lem (muslimische) »Problemgruppen«                 Zugehörigkeit deutlich machen. Der
|| Leitkultur _ wurde als Begriff von                                                            assoziiert werden. Eine gute Alternati-            Begriff kann aber auch für eine Hal-
dem Göttinger Politologen Bassam                || Menschen mit internationaler Ge-              ve: ||Menschen aus Einwandererfamilien.            tung stehen statt für eine herkunfts-
Tibi geprägt, dessen Vorstellung zu-            schichte _ ist eine weitere Alternativ-                                                             bezogene Kategorisierung: Zu den
folge sich ||Migranten in heterogenen           formulierung, die im Workshop »Was               || Migranten _ werden vom Statistischen            Neuen Deutschen zählen dann alle Men-
Einwanderungsgesellschaften         den         heißt hier Migrationshintergrund?«               Bundesamt als Menschen definiert, die              schen (mit und ohne Migrationshinter-
herrschenden kulturellen Normen                 beim Diversity-Day 2014 von Hei-                 nicht auf dem Gebiet der heutigen Bun-             grund), die positiv zur Pluralisierung
anzupassen hätten, ohne die eigene              delberger Bürgern mit und ohne Migra-            desrepublik, sondern im Ausland gebo-              der Gesellschaft stehen.
Kultur aufgeben zu müssen. Tibis Be-            tionshintergrund in Zusammenarbeit               ren sind. Rund die Hälfte davon sind
zeichnung wurde 2000 vom damaligen              mit den NdM entwickelt wurde; der                ||Deutsche, die andere Hälfte hat eine             || Passdeutsche _ wird teils nicht in ab-
CDU-Generalsekretär Friedrich Merz              Begriff berücksichtigt, dass nicht alle          ausländische Staatsangehörigkeit. Im               wertender Absicht verwendet, aber
übernommen, der bemängelte, es gebe             Menschen mit ihren Familien einge-               Diskurs wird dieser Begriff häufig irr-            man sollte wissen, dass der Begriff aus
keine deutsche Leitkultur mehr. In der          wandert sind.                                    tümlich als Synonym für ||Menschen mit             dem Vokabular von ||Rechtsextremen
folgenden Diskussion ging es aller-                                                              Migrationshintergrund verwendet.                   stammt und zum Beispiel in Texten
dings weniger um gemeinsame Werte               || Menschen mit Migrationshintergrund                                                               der NPD verwendet wird: Dort gibt es
als vielmehr um einen Katalog dessen,           (MH) _ sind nach statistischer Definition        || Migrationsvordergrund _ eine meist              ||Deutsche und »Passdeutsche« (also
was ||Einwanderer respektieren sollten,         • in Deutschland lebende Aus-                    augenzwinkernd gemeinte Selbst-                    Möchtegerndeutsche, nicht richtige
wollten sie in Deutschland leben. Der              länder*innen,                                 bezeichnung von Menschen, deren                    Deutsche). Letztere sollen damit als
Begriff kursiert teils in ||rechtsextre-        • eingebürgerte Deutsche, die                    ||Migrationshintergrund sichtbar ist.              »undeutsch« abgewertet werden.
men Kreisen, ist jedoch im Zuge der                nach 1949 in die Bundesrepublik
aktuellen Asyldebatte als Schlagwort               eingewandert sind                             || Mischling _ ist als Bezeichnung dem             || Rasse _ ist eigentlich seit dem Na-
auch wieder häufiger in der bürgerli-           • sowie in Deutschland geborene                  Tierreich entlehnt und beruht auf der              tionalsozialismus (»Rassengesetze«)
chen Mitte anzutreffen.                            Kinder mit deutschem Pass, bei                Rassentheorie. Ist die Information re-             ein Unwort in Deutschland, das im
                                                   denen sich der Migrations-                    levant, kann die Herkunft der Eltern               Sprachgebrauch nicht mehr üblich ist.
|| Mehrheitsgesellschaft _ ist ein gängiger        hintergrund von mindestens                    konkret benannt werden.                            Dennoch existiert es noch in zahlrei-
Begriff, der missverständlich ist. Eigent-         einem Elternteil ableitet.                                                                       chen Gesetzestexten wie dem Grund-
lich müsste es heißen: Mehrheitsbevölke-        Zunächst wurde »Personen mit Migra-              || Neubürger _ klingt nach soeben ein-             gesetz (»Niemand darf wegen ... seiner
rung, also die von knapp 64 Millionen1          tionshintergrund« in der Verwaltungs-            gewandert, daher ist der Begriff zwar              Rasse ... benachteiligt oder bevorzugt
||Deutschen ohne Migrationshintergrund.         und Wissenschaftssprache verwendet.              als abwechslungsreiches Synonym für                werden.«). In der Berichterstattung
In einem faktischen Einwanderungs-              Doch als durch Einbürgerungen und                ||Einwanderer durchaus sinnvoll. Als               taucht es zudem auf, wenn zum Bei-
land funktionieren Bezeichnungen wie            das neue Staatsangehörigkeitsrecht               Synonym für Eingebürgerte ist er eher              spiel Rassismus-Debatten aus den USA
»die deutsche Gesellschaft« oder »die           von 2000 der Begriff ||Ausländer nicht           verwirrend, da er keine Verwurzelung               wiedergegeben werden. Doch Begriffe
Gesellschaft in Deutschland« nicht als          mehr funktionierte, um ||Einwanderer             in Deutschland vermuten lässt.                     wie »Rassenunruhen« (race oder eth-

10                                            || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff   || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff                                         11
Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«?                                                                                                                Wer sind »wir«, wer sind »die Anderen«?

nic riots) oder »Rassenbeziehungen«            People of Color (PoC, Singular: Person           bung »südländisches Aussehen« häufig               um zu verdeutlichen, dass es sich nicht
(race relations) sollten nicht unreflek-       of Color), siehe auch ||Weiße Deutsche           noch zu finden. Hier stellt sich die Fra-          um eine Beschreibung von Äußerlich-
tiert wortwörtlich übersetzt werden,           und ||Schwarze Deutsche.                         ge: Was genau ist gemeint? Geografisch             keiten handelt (siehe auch IISchwarze,
da der Begriff »race« in den USA an-                                                            ist der Begriff unspezifisch und veror-            IISchwarze Deutsche).
ders als im Deutschen »Ethnizität«             || Schwarze Deutsche _ In Deutschland            tet Menschen außerhalb von Deutsch-
oder »Herkunft« meint. Alternativen            leben mehrere hunderttausend Schwarze            land, obwohl sie hier geboren und auf-             || Wir _ kann missverständlich wirken,
wären, neben Rassismus-Debatten, auch          Deutsche. Dabei handelt es sich nicht um         gewachsen sein könnten. Der Begriff                wenn beispielsweise von »wir Deut-
Unruhen wegen Rassismus-Vorwurf etc.           die Beschreibung einer Hautfarbe, son-           »Südländer« wird vor allem noch in                 schen« die Rede ist, aber nur Deutsche
(siehe auch ||Rassismus)                       dern um eine politische Selbstbezeich-           ||rechtsextremen Medien verwendet.                 ohne IIMigrationshintergrund gemeint
                                               nung (die allerdings nichts mit der CDU                                                             sind. Journalist*innen sind gut beraten,
II Rechtspopulist _ hat sich als Beschrei-     zu tun hat). Begriffe wie »Farbige« oder         || Türkischstämmige (Bürger*innen)_                sich Gedanken zu machen, wen sie mit
bung für Vertreter*innen rassistischer         »Dunkelhäutige« lehnen viele ab. Die In-         ersetzt oftmals die früher gängige                 der Formulierung »wir« meinen. Als
Protestparteien durchgesetzt. In der           itiative »der braune mob e.V.« schreibt:         Bezeichnung »Türken« und berück-                   Alternative kann Mehrheitsbevölkerung
Forschung ist umstritten, ob es sich           »Es geht nicht um »biologische« Eigen-           sichtigt, dass fast die Hälfte davon               passender sein (siehe auch ||Mehrheits-
bei Rechtspopulismus um eine Ideo-             schaften, sondern gesellschaftspolitische        inzwischen deutsche Staatsbürger*in-               gesellschaft, ||Aufnahmegesellschaft).
logie handelt oder um einen Politikstil        Zugehörigkeiten.« Um das deutlich zu             nen sind. Korrekter ist allerdings die
von Parteien der radikalen Rechten. Fest       machen, plädieren sie und andere dafür,          Bezeichnung türkeistämmige Menschen,               || Zuwanderer _ sind zunächst einmal
steht: Rechtspopulist*innen arbeiten           die Zuschreibungen Schwarz und Weiß              da viele Einwanderer(kinder) aus der               alle Menschen, die nach Deutschland
mit Gegensätzen, die von einem »reinen         groß zu schreiben (siehe auch ||Schwarze         Türkei Kurd*innen oder Angehörige                  ziehen. Statistisch zählen dazu auch
Volk« und einer »korrupten (politischen)       ||Weiße Deutsche und ||Afrodeutsche)             anderer Minderheiten sind und sich                 diejenigen, die nach kurzer Zeit wie-
Elite« ausgehen und mit einem Nationa-                                                          nicht als »türkisch« verstehen.                    der fortziehen (Abwander*innen). Die
lismus, bei dem IIAusländer, IIPeople of       || Secondos/Secondas _ ist in der                                                                   Absicht zu bleiben ist bei Zuwan-
Color und IIGeflüchtete als Eindringlinge      Schweiz die gängige Selbstbezeich-               || Weiße Deutsche _ Der Begriff er-                der*innen nicht unbedingt gegeben.
und Bedrohung dargestellt werden. Im           nung von ||Menschen aus Einwande-                scheint oft in Debatten um ||Rassismus             Sprachlich unterstreicht die Vorsilbe
Gegensatz zu Rechtsextremisten treten          rerfamilien, die ab der zweiten Gene-            und wird häufig mit dem Argument                   »zu« eher die Nicht-Zugehörigkeit.
Vertreter*innen des Rechtspopulismus           ration in der Schweiz leben. Singular:           kritisiert, er rufe einen unpassenden              Menschen, die eine längere Zeit hier
zuweilen als vermeintliche Hüter*innen         Secondo (m), Seconda (f).                        Hautfarbendiskurs hervor. Das ist je-              leben, sind schlicht IIEinwanderer (sie-
der demokratischen Ordnung auf.                                                                 doch ein Missverständnis: Tatsächlich              he ||Einwanderungsgesellschaft versus
                                               || Standard-Deutsche _ beschreibt                wird der Begriff weiß in der internatio-           ||Zuwanderungsgesellschaft).
|| Schwarze _ »Wenn es um Rassismus,           Deutsche ohne Migrationshintergrund              nalen Rassismusdebatte als Gegensatz
unterschiedliche Erfahrungen und               und macht aufmerksam auf eine                    zu People of Color (PoC) verwendet und             1    Bevölkerungsstand des Mikrozensus
Sozialisationen geht, ist der politisch        Norm-Vorstellung, von der Deutsche               nicht für die Beschreibung der Haut-                    des Bundesinstituts für Bevölke-
korrekte Begriff Schwarze. In allen an-        mit ||Migrationshintergrund vermeint-            farbe genutzt. Der Begriff soll eine ge-                rungsforschung (Stand: Sept. 2016):
deren Fällen gibt es aber meistens gar         lich abweichen. Der Begriff wurde                sellschaftspolitische (Macht-) Position                 https://www.destatis.de/DE/Publi-
keinen Grund, dazu zu sagen, ob eine           durch den Migrationspädagogen Paul               und Norm hervorheben. Dabei müssen                      kationen/Thematisch/Bevoelkerung/
Person Schwarz oder Weiß ist.« (zitiert        Mecheril in die Debatte eingebracht2             sich weiße Menschen nicht selbst als                    MigrationIntegration/Migrationshin-
von www.derbraunemob.info). Far-               (siehe auch ||Copyright-Deutsche).               weiß oder privilegiert fühlen. Allerdings               tergrund2010220157004.pdf
bige/ farbig ist ein kolonialistischer                                                          ist die Formulierung nicht selbsterklä-            2    Mecheril, Paul and Thomas Teo (1997,
Begriff und negativ konnotiert. Eine           || Südländer _ ist ein aus der Mode ge-          rend. In der Wissenschaft wird Weiß                     Hrsg.), Psychologie und Rassismus,
Alternative ist die Selbstbezeichnung          kommener Begriff, aber in der Beschrei-          oft kursiv und/oder groß geschrieben,                   Hamburg

12                                           || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff   || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff                                           13
Migration

Migration                                                                                      || Displaced Persons (DPs) _ engl. für             Türk*innen,      Greco-Deutsche,   statt
                                                                                               Vertriebene. Die UN bezeichnen Per-                Deutsch-Griech*innen,        Hispanisch-
Debatten um das Einwanderungsland Deutschland haben in den vergange-                           sonen als displaced people, die wegen              Deutsche, Russlanddeutsche, Polnisch-
nen Jahren zugenommen. Die Begriffe wandeln sich im Laufe der Zeit: So war                     bewaffneter Auseinandersetzungen,                  Deutsche etc. (siehe ||Deutsch-Türken).
»Migration« ursprünglich ein Wort aus der Zoologie (Meyers Konversations-                      Menschenrechtsverletzungen, natür-
lexikon, 1906). Heute erfährt man fast täglich Neues über »die Migranten«. In                  licher oder menschlich verursachter                || Einbürgerung _ ist der Prozess zur
vielen Fällen geht es dabei aber um einzelne Minderheitengruppen, die unter                    Katastrophen gezwungen wurden, ih-                 Erlangung der deutschen Staatsbür-
diesem Begriff zusammengefasst werden (siehe auch Wer sind »wir«, wer sind                     ren Heimatort zu verlassen, aber keine             gerschaft. Unterschieden wird zwi-
»die Anderen«?, S. 6). Hier gilt es, in der Berichterstattung genau hinzusehen,                international anerkannte Staatsgrenze              schen Anspruchseinbürgerung und
von wem die Rede ist und welche Wirkung pauschale Zuschreibungen haben                         überschritten haben; im Sinne der UN               Ermessenseinbürgerung. Anspruch auf
können.                                                                                        sind DPs Binnenflüchtlinge. Als histo-             eine Einbürgerung hat, wer die gesetz-
                                                                                               rischer Begriff in der deutschen Ge-               lichen Voraussetzungen dafür erfüllt
                                                                                               schichte bezieht er sich vor allem auf             (z.B. mindestens acht Jahre Aufent-
|| Armutszuwanderer _ wird derzeit als        der Sowjetunion unter den Folgen des             ehemalige KZ-Häftlinge, Kriegsgefan-               halt, Lebensunterhaltssicherung ohne
(abfällige) Bezeichnung für Men-              Zweiten Weltkrieges gelitten haben               gene und Zwangsarbeiter*innen nach                 Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II).
schen aus Südosteuropa verwendet,             (und die) noch Jahrzehnte nach Kriegs-           dem Zweiten Weltkrieg (siehe auch                  Sind nicht alle Voraussetzungen gege-
teils auch als Synonym für ||Roma, die        ende aufgrund ihrer Volkszugehörig-              II Heimatlose Flüchtlinge).                        ben, kann eine Einbürgerungsbehörde
im Zuge der EU-Freizügigkeit nach             keit massiv verfolgt« wurden. In der                                                                trotzdem die deutsche Staatsbürger-
Deutschland kommen. Die große                 Bundesrepublik können sie die »Sta-              || Doppelte Staatsangehörigkeit _ Das              schaft vergeben, wenn z.B. ein öffent-
Mehrheit der Menschen, die seit 2007          tusdeutscheneigenschaft« bekommen,               Fachwort dafür ist Mehrstaatigkeit                 liches Interesse an der ||Einbürgerung
aus den neuen EU-Beitrittsländern             werden damit ||deutschen Staatsange-             und beschreibt den Besitz von zwei                 besteht (bspw. bei Profi-Sportler*in-
eingewandert sind, geht jedoch einer          hörigen gleichgestellt und sind keine            oder mehr Staatsangehörigkeiten.                   nen) und einige Mindestanforderun-
Arbeit nach oder studiert. Es handelt         ||Ausländer (siehe auch ||Vertriebene).          Dazu kommt es z.B., wenn ein Kind                  gen erfüllt sind (siehe auch ||doppel-
sich daher überwiegend um eine – für                                                           nach dem Abstammungsprinzip au-                    te Staatsbürgerschaft und IIdeutsche
Deutschland profitable – Arbeitszu-           || Deutsche Staatsangehörigkeit _ er-            tomatisch      die    unterschiedlichen            Staatsangehörigkeit).
wanderung bzw. Arbeitseinwanderung.           werben Menschen mit der Geburt ent-              Staatsangehörigkeiten beider Eltern-
Auch problematisch: Bei »Armuts-              weder nach dem Abstammungsprin-                  teile erhält. Bei ||Einbürgerungen in              || Einwanderungsgesellschaft _ be-
migration« schwingt die Sorge mit,            zip, wenn sie also als Kind deutscher            Deutschland soll Mehrstaatigkeit ver-              schreibt Deutschland als Einwande-
Deutschland sei vor allem von einer           Eltern geboren werden, oder seit 2000            mieden werden, es gibt allerdings viele            rungsland. Die Menschen kommen, um
Einwanderung in die Sozialsysteme             auch nach dem Geburtsortprinzip. Das             Ausnahmen: z.B. für EU-Bürger*innen,               dauerhaft hier zu leben. Sie werden und
betroffen.                                    heißt auch Kinder, deren Eltern keine            Schweizer*innen, US-Amerikaner*in-                 sind Teil der Bevölkerung. Im Gegen-
                                              deutsche Staatsangehörigkeit besit-              nen, Argentinier*innen etc. Seit 2000              satz dazu betont die Bezeichnung »Zu-
|| Aussiedler/Spätaussiedler _ sind deut-     zen, erhalten seither in der Regel die           erhalten auch in Deutschland gebo-                 wanderungsgesellschaft« die temporä-
sche »Volkszugehörige« und mit etwa           deutsche Staatsbürgerschaft, wenn                rene Kinder von ||Ausländern neben                 re Dauer des Zuzugs. Die Absicht zu
4,5 Millionen Menschen die größte             sie in Deutschland geboren sind (siehe           der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern               bleiben ist bei ||Zuwanderern nicht un-
Einwanderergruppe in der Bundesre-            ||doppelte Staatsangehörigkeit, ||Options-       die deutsche (siehe ||Optionspflicht).             bedingt gegeben, siehe auch Kapitel 1
publik. Laut Definition des Innenmi-          pflicht). Unter bestimmten Vorausset-            Um Menschen mit doppelter Staatsbür-               Wer sind »wir«, wer sind die »Anderen«?
nisteriums handelt es sich bei ihnen          zungen (u.a. achtjähriger Aufenthalt)            gerschaft zu benennen, ist es sinnvoll,
um »Personen deutscher Herkunft,              kann man deutsche*r Staatsbürger*in              ihren Lebensmittelpunkt zu betonen,                || Gescheiterte Integration _ wird häu-
die in Ost- und Südosteuropa sowie in         werden durch ||Einbürgerung.                     also z.B. Turko-Deutsche, statt Deutsch-           fig als Ursache für Jugendkriminalität

14                                          || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff   || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff                                        15
Migration                                                                                                                                                                       Migration

und andere Probleme genannt. Dabei            Alternativen sind binationale oder ggf.          Klaus J. Bade: »Parallelgesellschaften             scheen. Dahinter steckt häufig eine –
wird oft unterstellt, dass zum Beispiel       interreligiöse Ehe.                              im klassischen Sinne gibt es in                    völkisch-nationalistische – Vorstellung,
Verstöße gegen Gesetze und Normen                                                              Deutschland gar nicht. Dafür müssten               in der als nicht deutsch empfunde-
begangen werden, weil die deutsche            || Optionspflicht _ Seit 2000 erhalten           mehrere Punkte zusammenkommen:                     ne Menschen und ihre Kultur eine
Gesellschaftsordnung abgelehnt und            in Deutschland geborene Kinder von               eine monokulturelle Identität, ein frei-           Gefahr für die »deutsche Identität«,
stattdessen einer vermeintlich archai-        ||Ausländern neben der ausländischen             williger und bewusster sozialer Rück-              das »Volk« oder die innere Sicherheit
schen Einwandererkultur mit eigenen           Staatsangehörigkeit in der Regel auch            zug auch in Siedlung und Lebensalltag,             Deutschlands sind. Dass die Bundes-
Regeln gefolgt wird. Meist sind jedoch        die deutsche. Dabei wurde jedoch für             eine weitgehende wirtschaftliche Ab-               republik bspw. wirtschaftlich von Ein-
andere Ursachen zu finden wie man-            die Kinder von ||Drittstaatsangehörigen          grenzung, eine Doppelung der Insti-                wanderung profitiert und sie sich auch
gelnde Chancengleichheit, soziale Be-         die Optionspflicht eingeführt: Zwi-              tutionen des Staates. Bei uns sind die             aus demografischen Gründen positiv
nachteiligung etc. Für einen hohen An-        schen dem 18. und dem 23. Geburtstag             Einwandererviertel meist ethnisch ge-              auswirkt, wird dabei ausgeblendet.
teil von Einwander*innen in manchen           mussten sie sich für eine der beiden             mischt, der Rückzug ist sozial bedingt,
Stadtteilen etwa ist oft eher der Woh-        Staatsangehörigkeiten entscheiden.               eine Doppelung von Institutionen                   || Vertriebene _ sind deutsche Staats-
nungsmarkt ursächlich als ein Hang zu         Mit der Reform des Staatsangehörig-              fehlt.«                                            angehörige oder sog. deutsche
innerethnischen Nachbarschaften.              keitsgesetzes von 2014 entfällt dieser                                                              »Volkszugehörige« (jur. Bezeichnung,
                                              Entscheidungszwang für diejenigen                || Postmigrantisch _ stammt aus der Kul-           Bundesvertriebenengesetz) und ihre
|| Integration _ ist ein Begriff, der oft     jungen Leute mit ||doppelter Staatsan-           turszene und wurde in Deutschland                  Nachkommen, die ihren Wohnsitz
im Zusammenhang mit ||Migranten               gehörigkeit, die mindestens acht Jahre           von der Kulturschaffenden Shermin                  im Zusammenhang mit dem Zwei-
fällt und als Bringschuld der Einwan-         in Deutschland gelebt haben oder                 Langhoff eingeführt. Postmigrantisch               ten Weltkrieg verloren haben. Auch
der*innen gemeint ist. Wissenschaft-          sechs Jahre hier zur Schule gingen oder          steht für den Prozess, die Gesell-                 ||Aussiedler gelten gesetzlich als Ver-
ler*innen dagegen verwenden ihn,              einen Schul- oder Berufsabschluss in             schaft nach erfolgter Einwanderung                 triebene. Vertriebene, Aussiedler*innen
um gesellschaftliche Strukturen und           Deutschland gemacht haben. Es bleibt             mitzugestalten. Wird Deutschland als               oder Spätaussiedler*innen haben ei-
Sachverhalte zu beschreiben, wie              also kompliziert.                                ||Einwanderungsgesellschaft akzeptiert,            nen rechtlichen Anspruch darauf, aus
Teilhabe und Zugang zu Arbeit, Bil-                                                            werden Kategorien wie ||deutsch /                  Ländern des ehemaligen Ostblocks in
dung oder Wohnen. In diesem Sinn              || Parallelgesellschaft _ ist ein Schlag-        nicht-deutsch bedeutungslos; in einer              Deutschland aufgenommen zu wer-
ist bspw. von Integrationspolitik oder        wort, das Anfang der 2000er Jahre im             postmigrantischen Gesellschaft müs-                den. In der Bundesrepublik bekommen
Integrationsprojekten die Rede. In der        Zusammenhang mit der Integrations-               sen sich ||Deutsche ohne Migrationshin-            sie in der Regel automatisch die sog.
Berichterstattung ist oft von »geschei-       debatte um ||Muslime in Deutschland              tergrund auch eingliedern. Es gilt, die            Statusdeutscheneigenschaft und sind
terter« oder »gelungener Integration«         populär wurde. Der Begriff ist inhalt-           zuvor herrschenden (Miss-) Verhält-                somit keine ||Ausländer.
die Rede; ebenso wie bei der Über-            lich diffus und nicht konkret definiert.         nisse gemeinsam neu zu verhandeln.
tragung auf Personen (IIIntegrations-         Er konstruiert ein Bild homogener                Hinweis: Postmigrantisch ist nur als Ad-           || Willkommenskultur _ ist zur Stan-
verweigerer) werden gesellschaftliche         Minderheiten, die sich räumlich, sozial          jektiv zu verwenden.                               dardvokabel in der Asyldebatte ge-
Probleme dadurch individualisiert und         und kulturell von der Mehrheitsbevölke-                                                             worden. Gemeint ist meistens das
kulturalisiert. Alternativen: Teilhabe,       rung abschotten. Ihnen wird »Integra-            || Überfremdung _ ist ein politisches              Mitgefühl der vielen Ehrenamtlichen,
Chancengleichheit.                            tionsunwilligkeit« unterstellt, ohne zu          Schlagwort, das oft von ||Rechtsextre-             die sich für ||Geflüchtete engagieren
                                              berücksichtigen, dass für ||Integration          men, heute teils auch von etablierten Po-          und damit eine Willkommenskultur
|| Mischehe _ beruht als Begriff auf der      die gesamte Gesellschaft verantwort-             litiker*innen verwendet wird. Es dient             schaffen. Vorher war Willkommens-
Rassentheorie und wurde vor allem im          lich ist (siehe auch IIgescheiterte Inte-        meist als Argument gegen die multi-                kultur eher ein politisches Leitbild für
Zuge der »Rassenhygiene« zur Zeit des         gration). In einem Interview mit Spie-           kulturelle Gesellschaft in Deutschland,            die multikulturelle Aufnahmegesellschaft
Nationalsozialismus verwendet. Gute           gel Online1 kritisierte der Historiker           z.B. in Debatten um den Bau von Mo-                im Kontext der Integrationsdebatte.

16                                          || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff   || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff                                        17
Migration

Kritisiert wird der Begriff z.B. vom Me-                                                          Kriminalitätsberichterstattung1
dienwissenschaftler Alexander Kissler,
der darauf verweist, dass sich das Wort                                                           Die Berichterstattung über Straftaten nimmt in den meisten Medien viel Raum
»Willkommen« nur auf den kurzen                                                                   ein. Dabei herrscht immer noch das Vorurteil, Menschen aus Einwandererfamili-
Vorgang des Kommens beziehe, also                                                                 en würden häufiger straffällig als biografisch Deutsche und ihre Herkunft oder
keinen sich verstetigenden Zustand                                                                die ihrer Eltern hätten ursächlich damit zu tun. Bei Aussagen über Kriminalität
bezeichnen könne (siehe auch ||Ein-                                                               unter bestimmten Gruppen besteht stets die Gefahr einer unzulässigen Pauscha-
wanderungsgesellschaft, ||Aufnahmege-                                                             lisierung und entsprechender Fehlschlüsse. Die folgenden Erläuterungen und
sellschaft).                                                                                      Empfehlungen sollen dazu beitragen, differenziert über Straftaten zu berichten.

|| Xenophilie _ ist das Gegenteil von
||Xenophobie und beschreibt eine                                                                  || Ausländerhass, Fremdenfeindlichkeit _           werden, so wie bspw. konkret von
Neigung für fremde Dinge oder Men-                                                                sind als Synonyme für ||Rassismus und              Korruption die Rede ist, wenn es um
schen. Beides setzt eine Kategorisie-                                                             rassistische Tatmotive ungenau, da es sel-         entsprechende Strafbestände in Poli-
rung in »fremd« und »nicht fremd«                                                                 ten um tatsächliche Fremde wie etwa                tik, Wirtschaft, Gesellschaft, öffentli-
voraus.                                                                                           Tourist*innen geht. Von der vermeint-              cher Verwaltung usw. geht.
                                                                                                  lichen »Ausländerfeindlichkeit« sind
|| Xenophobie _ (griech. xeno, fremd)                                                             oft deutsche Staatsangehörige betrof-              || Banden _ wird in der Kriminalitäts-
bezeichnet die ablehnende Haltung                                                                 fen. Werden Ausländerhass oder Frem-               berichterstattung häufig als Schlag-
gegenüber einer Gruppe, die als                                                                   denfeindlichkeit als Motive genannt,               wort verwendet, um mit dem Zusatz
fremd wahrgenommen wird, aber                                                                     gibt das die Perspektive der Täter*in-             »aus Südosteuropa« einen Hinweis
nicht automatisch fremd sein muss,                                                                nen wieder. Präziser ist es, die Motive,           auf ||Roma zu implizieren. Der Begriff
wie zum Beispiel Schwarze Deutsche                                                                Straftaten oder Gesinnungen als rassis-            ist negativ konnotiert und sollte nur
oder deutsche Muslime. Xenophobie                                                                 tisch, rassistisch motiviert, rechtsextrem         dann verwendet werden, wenn er ju-
ist eine Form der gruppenbezogenen                                                                oder neonazistisch zu bezeichnen (siehe            ristisch angebracht ist. So definiert
Menschenfeindlichkeit      (siehe     auch                                                        ||Hassverbrechen, Hasskriminalität).               der Bundesgerichtshof eine Bande als
||Fremdenfeindlichkeit, ||Rassismus).                                                                                                                »Zusammenschluss von mindestens
                                                                                                  || Ausländerkriminalität _ sollte nicht            drei Personen, die sich mit dem Wil-
                                                                                                  als eine Bezeichnung für alle Strafta-             len verbunden haben, künftig für eine
1    Vgl. »Zuwanderung wird als Bedro-                                                            ten verwendet werden, die von ||Aus-               gewisse Dauer mehrere selbständige,
     hung empfunden«: Interview mit                                                               ländern begangen werden, sondern                   im Einzelnen noch ungewisse Diebes-
     Klaus J. Bade mit Spiegel Online vom                                                         als Oberbegriff für Verstöße gegen                 oder Raubtaten zu begehen«.
     24.11.2014 http://www.spiegel.de/kul-                                                        Asylgesetze, Visavergehen und an-
     tur/gesellschaft/leitkultur-debatte-zu-                                                      dere Straftaten, die nur von Auslän-               || Blutrache _ bezeichnet ausschließlich
     wanderung-wird-als-bedrohung-emp-                                                            der*innen begangen werden können.                  schwere Gewalttaten oder Morde zur
     funden-a-329285-druck.html                                                                   Alle anderen Straftaten sollten allge-             Vergeltung der Tötung von Familien-
                                                                                                  mein unter Kriminalität eingeordnet                mitgliedern. Mitunter wird Blutrache
                                                                                                  werden – schließlich gibt es auch keine            zur Beschreibung anderer Straftaten
                                                                                                  »Deutschenkriminalität«. Ebenso kön-               verwendet, die von ||Einwanderern oder
                                                                                                  nen Straftaten im speziellen benannt               deren Nachkommen begangen werden.

18                                             || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff   || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff                                        19
Kriminalitätsberichterstattung                                                                                                                               Kriminalitätsberichterstattung

Dabei handelt es sich in vielen Fällen        Begriff »Extremismus« umstritten,                die als ungleichwertig beurteilt wird.             lichen Ehre, kann man der Idee der
schlicht um Rache oder Racheakte.             weil beide voraussetzen, dass es eine            In der Fachsprache ist als Motiv für               Istanbuler Initiative »Kadın Cinayet-
                                              unpolitische Mitte der Gesellschaft              Hasskriminalität von gruppenbezogener              lerini Durduracagız« folgen: Die Frau-
|| Clan _ gehört zu den Begriffen, die        gibt und vermeintlich abgegrenzt da-             Menschenfeindlichkeit die Rede.                    enrechtlerinnen plädieren für den Be-
ebenso wie die Schlagworte »Großfa-           von einen linken und rechten Rand,                                                                  griff Frauenmord als Synonym, da er die
milie« oder »Sippe« auch ohne einen           denen undemokratische, verfassungs-              || Ideologien der Ungleichwertigkeit _             Betroffenen und die Tat in den Fokus
Hinweis auf Staatsangehörigkeit oder          feindliche und totalitäre Gruppen                sind Weltanschauungen, in denen die                rückt. Allerdings zählen zu den Opfern
Herkunft implizieren, dass es in einem        oder Personen angehören. ||Ideologien            Gleichwertigkeit und Gleichberech-                 manchmal auch Männer, die am ver-
Bericht um ||Einwanderer geht. Alterna-       der Ungleichwertigkeit und die Ableh-            tigung aller Menschen grundlegend                  meintlichen »Ehrbruch« beteiligt wa-
tiv kann schlicht von einer (großen) Fa-      nung der Demokratie können jedoch                abgelehnt werden. Ideologien der Un-               ren oder homosexuell sind.
milie oder Verwandtschaft die Rede sein.      in der gesamten Bevölkerung vertreten            gleichwertigkeit sind u.a. ||Rassismus,
                                              sein. Deshalb empfiehlt es sich, in der          ||Antisemitismus, Sexismus, Sozialdar-             || Neonazi _ Kurzform von Neo-Nati-
|| Ehrenmord _ definieren Expert*innen        Berichterstattung z. B. nicht von extre-         winismus, Chauvinismus sowie Homo-                 onalsozialist. Neonazis beziehen sich
für das Bundeskriminalamt so: »Tö-            mistischen, sondern eher von extremen            und Transphobie. Sie können sich in                geistig, politisch sowie in der Symbo-
tungsdelikte, die im Kontext patriar-         Motiven zu sprechen/schreiben oder               ||Hasskriminalität äußern.                         lik und den Aktionsformen auf den
chalisch geprägter Familienverbände           sie besser konkret zu benennen.                                                                     Nationalsozialismus. Die neonazisti-
oder Gesellschaften vorrangig von                                                              || Der Kölner Behrouz F. _ bei der Nen-            sche Szene pflegt das NS-Erbe sowie
Männern an Frauen verübt werden, um           || Der Gesuchte spricht Deutsch mit              nung von Namen oder Alias-Namen                    Traditionen von SA- und SS-Verbän-
die aus Tätersicht verletzte Ehre der         türkischem Akzent _ ist in fast allen Fäl-       in Berichten ist eine Verbindung mit               den. Neonazismus ist die radikalste und
Familie oder des Mannes wiederher-            len eine vage Vermutung. Es ist schwer           dem Wohnort zu empfehlen. Auch                     aggressivste Variante des heutigen
zustellen«2 Teils wird die Bezeichnung        unterscheidbar, ob ein Mensch einen              eine Nennung des Wohnbezirks kann                  ||Rechtsextremismus. Jeder Neonazi ist
jedoch allgemein verwendet, zum Bei-          türkischen, kurdischen, persischen,              sinnvoll sein, weil sie häufig mehr Aus-           rechtsextrem, aber nicht jeder Rechts-
spiel wenn ein türkeistämmiger Mann           berberischen oder anderen Akzent                 sagekraft hat als die Herkunft; es ist             extreme ist Neonazi. Viele Rechtsext-
seine Frau umbringt. In vielen Fällen         hat. Entsprechend kann in Meldungen              oft aufschlussreicher zu erfahren, ob              reme beziehen sich heutzutage nicht
würde die gleiche Tat, begangen in ei-        zur Fahndungshilfe wahrheitsgemäß                Behrouz F. in einem Arbeiterkiez oder              mehr auf den Nationalsozialismus und
nem ||standarddeutschen Umfeld, Fami-         formuliert werden spricht Deutsch mit            Nobelviertel wohnt. Formulierungen                 sind auch nicht mehr an den typischen
lientragödie, Beziehungstat, Eifersuchts-     Akzent oder sprach Deutsch mit einem             wie »der Iraner Behrouz F. aus Köln«               Symbolen der 1990er Jahre zu erken-
drama genannt (alternativ siehe ||Mord        Akzent, der vom Zeugen als türkisch einge-       oder der iranischstämmige Behrouz                  nen (Glatze, Stiefel, Bomberjacke).
im Namen einer vermeintlichen Ehre).          schätzt wurde.                                   F. hingegen machen deutlich, dass                  Rassistische oder rechtsextreme Ideo-
                                                                                               Behrouz F. weder echter Kölner noch                logien können in allen Spektren der
|| Extremismus _ bezeichnet in An-            || Hasskriminalität, Hassverbrechen _            Deutscher ist oder sein kann.                      Gesellschaft herrschen, z.B. bei selbst-
lehnung an die Extremismustheorie             deutsch für Hate-Crime, bezeichnet                                                                  ernannten ||Asylgegnern.
vor allem eine radikale, gewaltsam            Gewalt- und Straftaten, die durch                || Mord im Namen einer vermeintlichen
durchgesetzte politische Haltung.             ||Rassismus (siehe ||Ausländerhass), re-         Ehre _ Mord im Namen eines altherge-               || Opfer _ ist in der Kriminalitätsbe-
Nach Definition von Polizei und Ver-          ligiöse Intoleranz, Trans- oder Homo-            brachten Begriffs von Ehre _ sind reflek-          richterstattung gängig als Bezeichnung
fassungsschutz gelten Bestrebungen            phobie und Ähnlichem motiviert sind.             tierte Alternativen für ||Ehrenmord,               für Betroffene von Diskriminierung
als extremistisch, wenn sie gegen die         Hasskriminalität ist sinnvoll zur Benen-         wenn man sich in der Berichterstat-                oder Gewalt. Mit dem Begriff werden
freiheitlich demokratische Grundord-          nung von Straftaten, wenn die Betrof-            tung vom Motiv des Täters distanzie-               allerdings Eigenschaften wie Hilflo-
nung gerichtet sind. Ebenso wie die           fenen von den Täter*innen als Zugehö-            ren will. Handelt es sich eindeutig um             sigkeit oder Versagen assoziiert. Eine
Bezeichnung »Radikalismus« ist der            rige einer Gruppe angesehen werden,              einen Mord im Namen einer vermeint-                sinnvolle Alternative ist: Betroffene.

20                                          || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff   || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff                                         21
Kriminalitätsberichterstattung                                                                                                                  Kriminalitätsberichterstattung

|| Osteuropäischer Herkunft, arabisch-      einheitliche Ideologie beschreibt, ist           1   Teile der Erläuterungen im Glossar zur
stämmig _ etc. sind meist mutmaßli-         die Bezeichnung Rechtsextremismus                    Kriminalitätsberichterstattung     sind
che Beschreibungen und sollten mit          wissenschaftlich umstritten, weil sie                dem Beitrag entnommen »... denn sie
Bedacht verwendet werden. Grund-            sehr undifferenziert ist. Meist wird                 wissen nicht, was sie tun. Wie Jour-
sätzlich sind in Fahndungshilfen nur        damit das veraltete Bild typischer                   nalismus die Integrationsdebatte be-
Formulierungen zu empfehlen, die            ||Neonazis der 1990er Jahre verbunden,               einflusst«, Konstantina Vassiliou-Enz,
auf Tatsachen beruhen. Auch ist die         mit Glatze, Stiefeln, Bomberjacke –                  in »Vielfältiges Deutschland«, Bertels-
Zuordnung eines Menschen zu gro-            Erkennungszeichen, die in modernen                   mann-Stiftung (Hrsg.), 2014 (www.
ßen Regionen, wie Arabien, Osteuro-         Formen des Rechtsextremismus von                     neuemedienmacher.de/denn-sie-wis-
pa, Asien etc. wenig hilfreich für die      subtileren Codes und Symbolen4 ab-                   sen-nicht-was-sie-tun-wie-journalis-
Fahndung, dafür aber stark verallge-        gelöst wurden. Zudem gibt es in der                  mus-die-integrationsdebatte-beein-
meinernd (siehe ||der Gesuchte spricht      Mitte der Gesellschaft Menschen mit                  flusst/)
Deutsch mit türkischem Akzent).             rechtsextremer und/oder neonazisti-              2   Studie »Ehrenmorde in Deutschland
                                            scher Gesinnung, die längst ohne ste-                1996 bis 2005« von der Kriminologi-
|| Rassismus ist der Prozess, in dem        reotype Zeichen auskommen. Ebenso                    schen Abteilung des Max-Planck-In-
Menschen aufgrund tatsächlicher             können mit dem verallgemeinernden                    stituts im Auftrag des Bundeskrimi-
oder vermeintlicher körperlicher oder       Begriff Rechtsextreme z.B. auch ||Asyl-              nalamts. Interview von 2014 dazu:
kultureller Merkmale (z. B. Hautfarbe,      gegner gemeint sein.                                 http://mediendienst-integration.de/ar-
Herkunft, Sprache, Religion) als homo-                                                           tikel/ehrenmord-studie-kasselt-kein-is-
gene Gruppen konstruiert, negativ be-       || Der türkischstämmige Tatverdächtige               lamrabatt.html
wertet und ausgegrenzt werden. Der          (besser: ||türkeistämmige) _ Grundsätz-          3   Die Erklärung stammt aus dem
klassische Rassismus behauptet eine         lich sollte die Herkunft von Straftä-                Glossar des Informations- und Do-
Ungleichheit und Ungleichwertigkeit         ter*innen oder Verdächtigen nur dann                 kumentationszentrums für Antiras-
von Menschengruppen auf Grundlage           genannt werden, wenn ein Bezug zur                   sismusarbeit e.V.: www.idaev.de/glos-
angeblicher biologischer Unterschie-        Tat besteht und die Information zum                  sar/?qlChar=R
de. Im Kulturrassismus wird die Un-         Verständnis notwendig ist. Gleiches              4   Eine Auswahl dieser Codes und Sym-
gleichheit und Ungleichwertigkeit mit       gilt für »der Türke« oder »der aus der               bole findet sich auf www.dasversteck-
angeblichen Unterschieden zwischen          Türkei stammende« etc. Gibt es kei-                  spiel.de.
den »Kulturen« zu begründen ver-            nen sachlichen Bezug zum Tathergang,             5   Ein sachlicher Bezug zu ethnischen, re-
sucht3 (siehe auch ||Hasskriminalität).     wird durch die explizite Nennung                     ligiösen oder kulturellen Hintergrund
                                            der ethnischen Herkunft von Straftä-                 von Straftäter*innen besteht, wenn
|| Rechtsextremismus _ basiert auf          ter*innen oder Verdächtigen in der                   dieser z. B. bei der Entscheidung in
||Ideologien der Ungleichwertigkeit mit     Nachricht ein vermeintlicher Zusam-                  einem Gerichtsverfahren berücksich-
dem Ziel, diese gewaltsam durchzu-          menhang hergestellt. Zum Vergleich:                  tigt wird. Vgl. auch Pressekodex, Zif-
setzen. Der Rechtsextremismus lehnt         Es ist auch nicht üblich, von deutsch-               fer 12 Diskriminierung, Richtlinie 12.1.
die Freiheit und Gleichwertigkeit aller     stämmigen Täter*innen zu sprechen.5                  (http://www.presserat.de/fileadmin/
Menschen grundsätzlich ab. Weitere                                                               user_upload/Downloads_Dateien/
wesentliche Bestandteile sind Natio-                                                             Pressekodex_Leitsaetze_RL12.1.pdf).
nalismus sowie die Ablehnung von De-
mokratie. Als Oberbegriff, der keine

22                                        || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff   || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff                              23
Minderheiten | Musliminnen und Muslime

Minderheiten                                                                                  II Boko Haram _ ist eine radikal-isla-             ne oder äußere Dschihad hingegen be-
                                                                                              mistische Terrormiliz, die 2009 im                 steht in jeder Form der zulässigen Ver-
Musliminnen und Muslime                                                                       Nordosten Nigerias gegründet wur-                  teidigung von IIMuslimen (siehe auch
                                                                                              de. Offiziell trägt die Terrorgruppe               IIPop-Dschihadismus).
Wer genau sind eigentlich »die Muslime«? Und gibt es »den Islam« überhaupt?                   seit 2009 den Namen »Jama‘atu Ahlis
Tatsächlich ist das Themenfeld viel komplexer, als es oft wahrgenommen wird.                  Sunna Lidda‘awati wal-Jihad «, der im              || Dschihadismus, Dschihadist _ wird in
Bereits zur Frage, wie viele Muslim*innen in Deutschland leben, gibt es Differen-             Deutschen »Vereinigung der Sunniten                der Regel im Zusammenhang mit mili-
zen.1 Die offizielle Angabe von 4,4 bis 4,7 Millionen muslimischen Einwohner*in-              für den Ruf zum Islam und für den                  tanten, gewaltbereiten ||Islamisten ver-
nen in Deutschland ist beispielsweise eine Hochrechnung, bei der vor allem nach               Dschihad« bedeutet. Sie wird im Allge-             wendet, deren Ideologie zufolge der
Herkunftsland und nicht nach Religiosität gezählt wird. In jedem Fall aber steht              meinen jedoch weiterhin Boko Haram                 ||Dschihad den bewaffneten Kampf
fest: Die Mehrheit der eingewanderten Menschen in Deutschland kommt nicht                     genannt, was meist übersetzt wird mit              meint, der jedem Muslim vorgeschrie-
aus muslimischen Ländern, sondern aus christlich geprägten.                                   »Westliche Bildung ist verboten«. Ent-             ben sei, solange muslimische Gebiete
    Trotzdem werden Berichte über Integrationsthemen häufig unreflektiert mit                 standen ist sie aus der gleichnamigen              unter Besetzung sind oder »Ungläubi-
der Islamdebatte verknüpft. Geht es um Religionsfragen von Eingewanderten,                    sektenähnlichen Gruppierung, die seit              ge« gegen Muslime kämpfen.
steht ebenfalls meist nur »der Islam« im Fokus. Diese Verengung betrachten                    2002 im Nordosten Nigerias offen als
Kritiker*innen als problematisch. Aus diesen Gründen ist es sinnvoll mit den gän-             eine fundamentalistisch islamistische              || Euro-Muslime _ geht auf den Begriff
gigen Begriffen zum Thema Islam vertraut zu sein.                                             Gemeinschaft operierte. Ziel von Boko              des Euro-Islam zurück, den der Islam-
                                                                                              Haram ist ein islamischer Gottesstaat              wissenschaftler Bassam Tibi 1991 in
                                                                                              nach dem »Recht« der IIScharia zu er-              die wissenschaftliche Diskussion ein-
|| Aleviten _ sind eine eigenständi-         auf die Vorstellung von Muslim*innen             richten; 2014 rief die Miliz in den von            gebracht hat. Der Begriff beschreibt
ge Religionsgemeinschaft, die ihren          als homogener Gruppe, der bestimmte              ihr beherrschten Gebieten im Norden                eine bestimmte säkularisierte Form
Glauben als Yol (mystischer Weg)             (zumeist negative) Eigenschaften zu-             Nigerias ein islamisches Kalifat aus,              des Islam, die sich dadurch herausbil-
bezeichnet. Das Alevitentum hat sich         gewiesen werden und die als nicht zu-            ähnlich wie IIIS kurz zuvor im Nordirak.           den soll, dass in Europa lebende Mus-
aus vorislamischen, schiitischen und         gehörig eingeordnet wird.                                                                           lim*innen Pflichten und Prinzipien des
mystischen Elementen in Anatolien                                                             II Burka _ verhüllt den ganzen Körper,             Islam mit Werten der modernen eu-
entwickelt, so dass unterschiedliche         || Islamische Beschneidung _ von Jun-            den Kopf und das Gesicht; die Augen                ropäischen Kultur kombinieren. Mitt-
Verständnisse darüber existieren. Zahl-      gen (arab. Khitan) wird von vielen               sind von einem Stoffgitter verdeckt;               lerweile gibt es aber auch konserva-
reiche ||türkeistämmige Einwanderer          Muslim*innen als religiöse Pflicht an-           vor allem typisch in Afghanistan und               tivere Auslegungen eines Euro-Islam,
sind bspw. Aleviten, darunter auch viele     gesehen und ist weitgehend etablier-             teils in Pakistan. Burka wird oft falsch           weshalb der Begriff wissenschaftlich
Kurden.                                      te Praxis. Sie wird im Laufe der Kind-           verwendet, wenn eigentlich ein Ge-                 umstritten ist. In der Berichterstat-
                                             heit vor der Pubertät durchgeführt.              sichtsschleier gemeint ist, der die Au-            tung kommt Euro-Muslim vor allem als
|| Antimuslimischer Rassismus _ be-          Mit der Beschneidung werden Jungen               gen freilässt, also ein IINiqab (siehe             Selbstbezeichnung vor.
zeichnet die Diskriminierung von             rituell in der islamischen Gemein-               auch IITschador).
Menschen, die aufgrund ihrer tatsäch-        schaft sozialisiert. In Deutschland ist                                                             II Fatwa _ (arabisch) ist eine Rechts-
lichen oder auch bloß zugeschriebenen        die Beschneidung seit 2012 gesetzlich            || Dschihad _ wird meist mit »Heiliger             auskunft von einer muslimischen Au-
Religionszugehörigkeit als ||Muslime         geregelt; laut § 1631d des BGB ist sie           Krieg« assoziiert, bedeutet zunächst               torität, die auf Anfrage ein religiöses
wahrgenommen werden. Im Vergleich            erlaubt, wenn sie »nach den Regeln               »Anstrengung«, »Mühe« und kann sich                oder rechtliches Problem klärt. Anders
zu den Begriffen ||Islamophobie oder         der ärztlichen Kunst durchgeführt«               auch auf einen inneren Auftrag bezie-              als ein Gerichtsurteil beruht die Fatwa
||Islamfeindlichkeit verweist die Be-        wird (siehe auch ||Beschneidung im               hen, z.B. beim Kampf gegen »das Böse«              auf der persönlichen Interpretation
zeichnung antimuslimischer Rassismus         Kapitel »Jüdinnen und Juden«).                   im Herzen (großer Dschihad). Der klei-             und der jeweiligen islamischen Rechts-

24                                         || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff   || Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff                                        25
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