Grenzenlos (un)glücklich - Donau-Universität Krems
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ISSN 1862-4154 Preis: € 5,– Ausgabe 2.16 Grenzenlos (un)glücklich S c h w e r p u n k t: M i g r a t i o n u n d I n t e g r a t i o n H e r a u s f o r d e r u n g e n , d e n e n w i r u n s s t e l l e n m ü ss e n , U n d w a s d i e W i ss e n s c h a f t d a z u s a g t
Upgrade 3 Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, Integration ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Das ist zweifellos ein emotionaler Prozess. Soll Integration gelingen, braucht es unaufgeregte Sachlichkeit. Hier kommt die Wissen- schaft ins Spiel. Ihre Rolle und im Besonderen jene der Univer- sitäten ist es, einen kühlen Kopf zu bewahren, Zahlen bereitzu- stellen, zu analysieren und Lösungen aufzuzeigen. Migration und Integration, Schwerpunkte, zu denen die Donau-Universität Krems eine große Expertise erarbeitet hat, sind Querschnitts- materien, sie berühren zahlreiche Handlungsfelder. Die vorliegende Ausgabe von upgrade greift zahlreiche Handlungsfelder auf: von den Beiträgen des Bildungssystems – jenen der Hochschulen (Seite 25) und jenen der Schulen (Seite 29) über Religionsfragen in Zusammenhang mit Inte Mag. Friedrich grationspolitik (Seite 21) bis zur Rolle Europas und zentralen Faulhammer Fragen nach der Bildung von Identität (Seite 9). Zuwanderung, Rektor der Flucht, Migration, diese gesellschaftlichen Phänomene stehen Donau-Universität Krems unweigerlich auch in Verbindung mit dem Begriff der Grenze. Jene der Staaten, die migrierende Menschen überwinden müs- sen, und auch jene in den Köpfen, die nur zu oft als Hürden zur Integration von Zuwanderinnen und Zuwanderern und bei der Findung von Lösungen erscheinen. Mit diesen Grenzen und manchen Hürden beschäftigt sich die diesmalige Fotostrecke. Integration, so zeigt uns das neue upgrade, ist jedenfalls eine Herausforderung großer Tragweite. Wir alle müssen uns ihr stellen. Daran führt kein Weg vorbei. Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen Alle Ausgaben von upgrade gibt es auch im Internet: Ihr Friedrich Faulhammer www.donau-uni.ac.at/upgrade Foto: Donau-Universität Krems/Reischer upgrade 2/2016
5 /////// _Schwerpunkt_Migration und Integration „… Kriegsflüchtling” Inhalt Schwerpunkt: Migration und Integration 3 Editorial 18 Übersicht-Dossier 48 Alumni-Club 49 Campus News 50 Trends & Termine 7 Kommentar: Was Mark Terkessidis meint 52 Kunst & Kultur Normalfall Einwanderung 53 Buchtipps 54 Vorschau/Impressum 9 Die Summe aller Teile Integration & Identität: eine Annäherung 15 Schwierig, aber machbar Die Migrationsforscherin Gudrun Biffl im Interview 21 Am Scheideweg Integration der Muslime in Europa 25 Anker in der Strömung Die Rolle der österreichischen Hochschulen 29 Schulen als Kraftplätze der Integration Berlin und Bregenz setzen ihren eigenen Kurs 33 System in Gefahr Das Europäische Asylsystem droht zu scheitern Die Bilder stammen 37 Vom Ankommen und Bleiben vom Fotografen Stefan Lösungen der Architektur zur Integration Reichmann. Er besuchte für upgrade Grenz übergänge an Österreichs Süd- und Osträndern. Neues aus der Donau-Universität Krems Reichmann lebt und arbeitet in Wien und Klagenfurt/Celovec. 40 Internationale Kooperationen Seine Arbeiten umfassen Next Generation Sepsis Diagnosis 42 Heiligenkreuz, März 2016 Portrait-, Mode- als auch Landschaftsfotografie Was forschen Sie? „Wirtschaftsflüchtling …” und wurden u.a. für Vogue Italia in der Galeria Hubert Brückl – der personifizierte Sensor Carla Sozzani/Mailand ausgestellt. 46 Alumni-Porträt Konzept und Idee: Die Managerin und Geschäftsführerin Monika Owsianko Stabsstelle Kommuni kation der Donau- Universität Krems. upgrade 2/2016
Meinung 7 /////// _Schwerpunkt_Migration und Integration „… Obergrenze” Normalfall Einwanderung Die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen: Einwanderung ist so normal wie zentral für die Entwicklung der Gesellschaft. Diese braucht die konsequente interkulturelle Öffnung. Kommentar von Mark Terkessidis W er in Schablonen denkt, für den stellen die vielen Ge- flüchteten dieser Tage auch eine ziemliche Erleichterung dar. Die kom plizierte Situation der Einwanderungs die Frage: Sind unser aller Institutionen, Organisationen, Einrichtungen fit für die Vielheit der Gesellschaft? Im Hinblick auf Österreich und Deutsch- land heißt es, die Länder würden sich durch gesellschaft mit ihren unterschiedlichen die Flüchtlinge verändern. Das verkennt Lebensentwürfen und langwierigen Aus aber die Tatsache, dass sie sich längst ver- Mark Terkessidis handlungsprozessen, jetzt endlich scheint ändert haben. Bei den unter Sechsjährigen sie wieder in die alten Kategorien zu passen. in vielen Städten sind die Kinder mit Migra- Dr. Mark Terkessidis publiziert als freier Autor Da gibt es „uns“, die wir immer schon da tionshintergrund bereits in der Mehrheit – und Migrationsforscher in waren, und die Flüchtlinge, die dazukom- der demografische Wandel ist dramatisch. zahlreichen Medien in men. Denen müssen „wir“ schon helfen, aber Einwanderung ist so normal wie zentral für Deutschland und war als in der Masse stellen „sie“ doch eine erheb- die Entwicklung der Gesellschaft. Anstatt Moderator für den West- liche Bedrohung für die Zusammensetzung also im Schulbetrieb unentwegt mit neuen deutschen Rundfunk WDR „unseres“ Volkes dar. In Politik und Öffent- „Quereinsteigern“ zu kämpfen, wäre es sowie als Redakteur der lichkeit suchen viele die Lösung in einer Art sinnvoller, den „Quereinsteiger“ als Normal Zeitschrift „Spex“ tätig. Anknüpfend an sein Buch Neudefinition der Nation: „Wir“ brauchen fall zu betrachten und die Bildungs ein „Interkultur“, entwirft Mark eine „Obergrenze“, und wer sich „bei uns“ richtungen entsprechend auszustatten. Terkessidis in seiner jüngs- nicht einfügt, der wird abgeschoben. Dazu braucht es auch eine Veränderung des ten Publikation „Kollabora- In diesem Sinne erlebt man eine Renais- Personals. Wer heute den Grad der Vermi- tion“ (Suhrkamp 2015) eine sance der herkömmlichen Vorstellungen schung in einem urbanen Klassenzimmer Philosophie der positiven von Integration. Diesmal wird man sie nicht beobachtet, dem wird das Lehrerzimmer Kollaboration, die beim versäumen, wird gesagt. Tatsächlich schei- wie eine Parallelgesellschaft vorkommen. wütenden und suchenden Individuum ansetzt. nen die Geflüchteten eindeutige, zumal Für die Bildungseinrichtungen, die Verwal- Der studierte Psychologe sprachliche Defizite aufzuweisen. Doch tung, die Polizei etc. gilt: Es braucht eine lebt in Berlin und Köln. sich auf die Defizite zu konzentrieren und konsequente interkulturelle Öffnung. Rechnitz, März 2016 sie separierend in Sondermaßnahmen zu Das bedeutet im Übrigen keineswegs, „Richtwert…” kompensieren, das hat schon in der Ver dass die Gesellschaft von ihren Grund gangenheit nicht funktioniert, sondern die werten abrücken sollte. Aber diese Werte Ungleichheiten perpetuiert. Insofern ruft können nur dann realisiert werden, wenn das jüngste Migrationsgeschehen nochmals eine gerechte Zugehörigkeit für alle dazu auf, endlich die Perspektive zu ä ndern. gewährl eistet ist. Die einfachen Lösungen Anstatt an überkommenen Normvorstellun- dagegen, sie spalten die Gesellschaft dauer- Foto: Privat gen festzuhalten, wie ein Österreicher oder haft in „wir“ und „sie“. Doch die Uhr lässt eine Deutsche beschaffen sein sollen, lautet sich nicht zurückdrehen. upgrade 2/2016
Integration und Identität 9 /////// _Schwerpunkt_Migration und Integration „… technische Sperre” Die Summe aller Teile Was bedeutet die Flüchtlingsbewegung für die österreichische und europäische Identität? Was können Politik und Gesellschaft über Wertekurse hinaus tun? Eine Annäherung. Von Katharina Schmidt ernot Blümel hat offenbar und Frau sind in Österreich gleichgestellt ins Schwarze getroffen. und jeder Mensch hat das Recht, sein Leben Anfang des Jahres schlug selbstbestimmt zu gestalten.“ Das Interes- der neue Wiener ÖVP-Ob- sante dabei: Weder aus den anderen Parteien mann eine Art „Wertefor- noch aus den Medien oder auf dem sonst so mel“ vor, die Schüler vor empörungsbereiten Kurznachrichtendienst dem Unterrichtsbeginn ge- Twitter musste sich Blümel das zu erwar- Pamhagen, März 2016 meinsam rezitieren sollten. tende Ausmaß an Häme anhören. „Zaun …” Den an den US-amerikani- Die wohlwollende Rezeption derartiger schen Treueschwur „Pledge Ideen in der Öffentlichkeit ist Ausdruck of Allegiance“ angelehnten Text dazu lieferte eines neugewonnenen Problembewusst- er auch gleich mit: „Ich bekenne mich zur seins in Österreich, aber auch in der Euro Republik Österreich und ihrer Verfassung päi schen Union als Ganzem: Vor dem und achte die österreichischen Gesetze und Hinterg rund der Flüchtlingsbewegung aus Grundwerte – um unsere Freiheit und ein Erdteilen, mit denen es keine gemeinsame friedliches Miteinander zu sichern! Mann Geschichte, Sprache, Kultur oder upgrade 2/2016
10 Integration und Identität 11 radition gibt, wird die Frage nach dem T Amalgam, das die Gesellschaft zusammen- Rituale in Europa wie zum Beispiel die Eu- ropahymne stärker zu betonen. Allerdings wohl kaum jemand. „Wenn die Durchset- zung und Umsetzung der europäischen „Wir haben alle hält, wieder neu gestellt. Gibt es so etwas wie eine österreichische Identität? Wie wird dürfe man mit Blick auf die jüngere Ge- schichte der europäischen Staaten auch Beschlüsse nicht funktioniert, weil manche Staaten blockieren, dann eskaliert das wechselnde sich diese durch die Flüchtlingsbewegung verändern? Und was bedeutet das für den nicht zu stark in das nationalstaatliche Gehabe zurückfallen. „Stolz auf Europa zu Problem und es kann sein, dass wir zum ersten Mal eine Krise nicht gestärkt in der Identitäten.“ sozialen Zusammenhalt? Nun sind die USA, die ihre Schüler auf die Flagge und die sein, das fehlt den Europäern. Sie sind stolz auf ihre Nationalstaaten. Die Identität ist Gemeinschaft, sondern geschwächt ver lassen“, sagt Karas. Heinz Fassmann Andre Gingrich Univ.-Prof. Dr. Andre „eine Nation unter Gott“ einschwören, aber im Umbruch – vielleicht sollten wir Den Rückfall in die Betonung des Natio- Gingrich ist Professor für sicherlich kein Vorbild, wenn es um das und auch die Politik die Überlegung anstel- nalen erklärt er für Österreich auch histo- Kultur- und Sozialanthropo- sozialstaatliche Selbstverständnis geht, aber len, wie man zu einer stärker vom National- risch: Nach den Erfahrungen des Monarchie- logie der Universität Wien eines versteht man dort nur zu gut: in einer staat losgelösten Identität finden kann“, Zerfalls, des Ständestaats und der beiden und leitet das Institut für pluralistischen Einwanderungsgesellschaft meint der Experte. Weltkriege sei es das Hauptanliegen vieler im Kindergarten, an Kopftüchern oder dem Sozialanthropologie der ein Gefühl des Zusammenhalts, einen Österreicher, repräsentiert durch Politik Bau von Minaretten abarbeitet. ÖAW. Er forscht unter Nationalstolz, zu erzeugen. und Sozialpartnerschaft, gewesen, über die Muss sich hier aber nicht auch die Auf- anderem zu Identitäts In Vielfalt geeint konzepten und war Leiter Braucht es in Österreich, in der Europäi- Parteigrenzen, Religionen und Erfahrungen nahmegesellschaft selbst an der Nase neh- des Forschungsschwer- schen Union also eine neue rituelle Formel Diese Identität existiert bereits, sagt Othmar hinweg die „Identität in der Zusammen men? Kann man in einem Land, in dem punktes Wittgenstein für den Zusammenhalt nach US-amerikani- Karas, ÖVP-Delegationsleiter im Europäi- arbeit“ und in der Bildung einer von Frauen je nach Rechnung zwischen 20 und 2000 zum Thema. schem Vorbild? „Das ist ein bisschen über- schen Parlament. Deren Grundlage ist für Deutschland losgelösten Nation zu finden. 40 Prozent weniger verdienen als Männer trieben, man braucht nicht so weit zu gehen“, ihn das europäische Motto, „In Vielfalt ge- Das Problem: „Die österreichische politi- und die Anhebung der minimalen Väterbe- sagt Heinz Fassmann von der Uni Wien. Er eint“. „Wenn wir im Stande sind, die Vielfalt sche Identität ist für viele die Nation und teiligung an der Babykarenz auf 20 Prozent hält es durchaus für sinnvoll, die einenden zu einen, dann ist die Vielfalt unsere Stärke, nicht, ein Teil Europas zu sein. Das merken als Erfolg gefeiert wird, von echter Gleich- doch dazu braucht es die Toleranz – Respekt wir in der Krise, weil wir dann sehr schnell berechtigung der Geschlechter reden? im Umgang miteinander“, sagt er. Diese die nationale Karte gegen den Rest der Welt Knasmüller sieht auch in der österreichi- Identität der Union auch als Rechts- und ausspielen.“ Abgesehen von dieser politisch- schen Gesellschaft Handlungsbedarf: „Mit „Wenn wir im Wertegemeinschaft stehe nun, in der Flücht- lingskrise, „nach außen wie nach innen auf historischen Dimension ist für ihn die österreichische Identität in der kulturellen erhobenem Zeigefinger zu sagen: ‚Lebt unsere Werte‘, obwohl wir sie selbst nicht Othmar Karas Stande sind, die dem Prüfstand“. Während die EU von ande- ren Staaten die Einhaltung der Menschen- Identifikation zu sehen. kennen, das geht nicht.“ In diesem Zusam- menhang sieht sie noch ein weiteres Prob- Mag. Othmar Karas, M.B.L.-HSG ist seit 1999 Vielfalt zu einen, rechte, der Demokratie, der internationalen Beschlüsse und den Verzicht auf Nationalis- Werte versus Folklore lem: „Wir verlangen von Zuwanderern, dass sie unsere Werte annehmen und auf unser ÖVP-Abgeordneter zum Europäischen Parlament. dann ist die Vielfalt mus einfordere, tue man sich derzeit schwer, diese Grundlagen selbst mit Leben zu er Fassmann sieht das ein wenig anders. „Es Land stolz sind, dabei haben wir selbst oft ein Problem damit, auf unsere Heimat stolz Der Politikwissenschafter studierte außerdem unsere Stärke, doch füllen. gibt nicht die österreichische Identität“, zu sein.“ Europäisches und inter Denn im Angesicht von steigender sagt er, „wir haben alle wechselnde Identi- Das mag einerseits an der Vergangen- nationales Wirtschafts- recht in St. Gallen. Seit dazu braucht es die Arbeits losigkeit, zunehmenden Vertei- lungskämpfen und inszenierter politischer täten, die je nach Kontext aktiviert werden.“ Ähnlich definiert Susanne Knasmüller vom heit Österreichs und der Angst vor der Rückkehr des Nationalismus liegen. Für 2013 ist er Ehrenprofessor der Donau-Universität Toleranz – Respekt Hilflosigkeit, die Flüchtlingsbewegung zu managen, kriecht der Nationalismus wie- Integrationsministerium den Begriff: „Aus Integrationssicht ist die Identität Öster- den Sozialanthropologen Andre Gingrich, Universität Wien und Akademie der Wis- Krems. Fotos: Othmar Karas © Suzy Stöckl; Andre Gingrich © ISA der ÖAW im Umgang der aus seinen Löchern. Ein Land nach dem a nderen zieht Zäune hoch, das Schen- reichs die Summe aller Lebensentwürfe der Menschen, die in Österreich beheimatet senschaften, hat es andererseits auch mit Kommunikation zu tun. Die Identifikation miteinander.“ gen-Abkommen und damit die Reisefrei- heit sind außer Kraft gesetzt, es geht nicht sind, mit einem ‚unverrückbaren Werte kanon‘ als dessen Fundament.“ Damit meine mit Österreich als Nation geschehe einer- seits im „Bottom-up-Verfahren“ von selbst mehr um europäische Solidarität in der sie „nicht Pünktlichkeit, Trachten oder – zum Beispiel, indem man plötzlich einen Othmar Karas Flüchtlingsfrage, sondern darum, wem es Schnitzel-Essen, sondern Rechtsstaatlich- Stolz auf die Fußball-Nationalmannschaft gelingt, mehr Druck auf die anderen Mit- keit, die Gleichberechtigung zwischen entwickle. Dazu gebe es auch einige Auf- gliedstaaten auszuüben. Ohne Rücksicht Mann und Frau, Demokratie und Meinungs- gaben, die „Top-Down“ zu erledigen wären. auf den Schaden, den die europäische freiheit.“ Der Rest ist für Knasmüller Folk- Das Integrationsministerium hat es mit Identität n ehmen könnte, werden zugunsten lore: Auch ein Muslim oder ein Hindu einer Kampagne unter dem Motto #stolz eines „Dominoeffekts“ entlang der Flucht- könne stolzer Österreicher sein, „ohne dass drauf versucht – laut Knasmüller hat die routen längst überwunden geglaubte er das Martinsfest feiert oder bei den Gold- Aktion auch gezeigt, wie schwer sich die Grenzen reaktiviert – zum Beispiel jene hauben ist“. Diese Einstellung ist Ausdruck Österreicher mit dem Nationalstolz tun. symbolträchtige am Brenner. Ja, die Union eines neuen, pluralistischeren Österreich- „Man kann aber stolz sein auf Meinungs- ist in einer ernsthaften Krise, das bezweifelt bilds, das sich nicht mehr am Nikolo-Besuch freiheit, Demokratie, den Rechtsstaat; upgrade 2 /2016 upgrade 2/2016
12 Integration und IdentiTät 13 darauf, dass ich mit 31 Jahren als Frau eine Abteilung leite“, sagt sie. Gingrich mahnt 2015, dass diese früher aber oft nur für wenige Wochen im Land geblieben seien, „Man weiß ters müssen Wohnsegregation verhindert, Deutschkurse angeboten und den geflüch- angesichts der aktuellen Flüchtlingsbe wegung indes mehr Selbstbewusstsein ein: um dann weiterzuziehen. „Natürlich war Österreich schon immer ein Asylland“, sagt mittlerweile, dass teten Kindern und Jugendlichen Zugang zur Bildung gewährt werden. „Die Aufgabe In allen Krisen seit 1945 – zum Beispiel Ungarn, Polen, Bosnien – habe Österreich Fassmann, „aber jetzt kommen Menschen, die zu einem Großteil bleiben werden und Nichtstun und des Staates ist es auch, Positivbeispiele vor den Vorhang zu holen und einerseits der Heinz Fassmann „alle zehn Jahre bis zu 100.000 Flüchtlinge aufgenommen“. Das Land sei aber nicht in eine andere Sozialisation im Hintergrund haben.“ Integrationsprozesse Mehrheitsgesellschaft zu zeigen, dass es funktionieren kann, andererseits den Zu- durch Zufall Univ.-Prof. Dr. Heinz der Lage, selbstbewusst mit diesen Erfah- Diese syrische, afghanische oder iraki- wandererkindern, die oft unter Identitäts- Fassmann ist Vizerektor rungswerten umzugehen, und leide unter sche Sozialisation prallt nun auf die öster- konflikten leiden, Vorbilder zur Verfügung für Forschung und Inter nationales der Universität Wien. Der 60-jährige einem „strukturellen Minderwertigkeits- komplex“, der Angst bei der Überlegung reichische oder europäische Sozialisation. Der gläubige Islam trifft auf den säkularen wenig zielführend zu stellen, an denen sie sich orientieren können“, sagt Knasmüller, die genau das mit Professor für Angewandte Geografie, Raumforschung erzeuge, wie Österreich die Flüchtlings- zahlen bewältigen könne. Katholizismus, die strenge Geschlechter- trennung auf die aufgeklärte Freizügigkeit. sind.“ Schulbesuchen von Role-Models im Rahmen des Projekts Zusammen:Österreich versucht. und Raumordnung ist Migrationsexperte Fassmann meint dazu, Die Zeit, als sich nur die politisch ganz Alles in allem stellt dieser Prozess sowohl seit 2010 Vorsitzender dass zwar in den europäischen Krisen rechts Stehenden gefragt haben, ob das gut Heinz Fassmann die Asylwerber als auch die autochthone des Expertenrats für nach 1945 immer annähernd so viele Men- gehen kann, ist längst vorbei. Die Eskalati- Bevölkerung vor enorme Herausforderun- Integration im BMEIA. schen nach Österreich geflüchtet seien wie onsspirale der europäischen Angst vor den gen, darin sind sich alle Experten einig. Fremden, die da kommen, dreht sich mit Was am Ende herauskommt – und vor allem, jedem Ereignis von Paris bis Köln ein Stück wann dieses Ende erreicht ist –, das wird weiter. Für Knasmüllers Arbeit ist das ein erst die Zukunft zeigen. Karas zitiert dazu Problem: „Integration kann nur funktionie- den deutschen Bundespräsidenten Joachim Fotos: Susanne Knasmueller © BMEIA; Heinz Fassmann © Uni Wien ren, wenn beide Seiten der Gesellschaft Gauck bei der 25-Jahr-Feier zur Wiederver „Man muss seine mitmachen. Und das ist aktuell sehr schwierig, weil die Menschen große Ängste rungskursen eine Basis der österreichischen einigung Deutschlands, dass nun – a nders als bei BRD und DDR – zusammenwachsen Susanne Knasmüller eigene Identität und Sorgen haben, ob Österreich diese Flüchtlingswelle auch schafft. Ängste sind Identität kennen. Wer den Kurs verweigert, muss mit Kürzungen der Mindestsicherung müsse, was nicht zusammengehöre. „Das heißt, die Wiedervereinigung Deutsch- MMag. Dr. Susanne nicht ablegen, um natürlich immer ein Integrationshemmnis, denn man kann nicht gleichzeitig Angst ha- rechnen. „Es braucht ein klares Bekenntnis des Zuwanderers zu unseren Werten, die lands ist um einiges einfacher. Und mit der ist man noch nicht fertig“, meint der eine neue reifen Knasmüller ist Leiterin ben und offen sein für Neues.“ Die Bedürf- die Basis unseres Zusammenlebens bilden, Parlamentarier. Soviel zur Gesellschaft. In der Abteilung Integrations nisse der Mehrheitsgesellschaft seien auch dann kann das Leben in Österreich los Sachen persönlicher Identität weckt zu lassen. koordination im BMEIA, im Integrationsprozess genauso wichtig wie gehen“, betont Knasmüller. Für die Identifi- K nasmüller mehr Hoffnungen: „Man muss Katharina Schmidt ist die für die inhaltliche Innenpolitik-Redakteurin Umsetzung der öster die des Migranten, sagt sie. Auch Gingrich kation mit dem Asylland braucht es aber seine eigene Identität nicht ablegen, um Man kann auch bei der „Wiener Zeitung“ reichischen Integra sieht in der Integration einen „reziproken mehr als nur einen Wertekurs. Und auch eine neue reifen zu lassen. Man kann auch und Autorin. tionsstrategie zuständig Prozess des Gebens und Nehmens, bei dem hier ist die Politik gefordert. Es geht um Werte in seine Identität aufnehmen, ohne Sie studiert Migrations ist. Sie absolvierte die Studien der Rechts Werte in seine die Bringschuld der Hereinkommenden schon eine etwas größere ist“. einen raschen Zugang zum Arbeitsmarkt mit Hilfe zusätzlicher Qualifikationen. Wei- seine Wurzeln dabei zu vergessen.“ Einheit in der Vielfalt eben – the European way. management an der Donau-Universität Krems. Identität aufnehmen, wissenschaften und der Psychologie an der Universität Innsbruck. ohne seine Aus Fehlern gelernt ANZEIGE Wurzeln dabei zu Früher – zum Beispiel bei der Gastarbeiter- wanderung – hat die Politik das nicht er- vergessen.“ kannt. Die Idee war, dass die Menschen ohnehin wieder in ihre Heimat zurückge- Susanne Knasmüller hen würden und daher keine Integrations- maßnahmen notwendig seien. Mit all den Umfassendes steuerliches bekannten Auswirkungen auf Schulsystem, Wohnungssektor und Gesellschaft. „Man weiß mittlerweile, dass Nichtstun und In tegrationsprozesse durch Zufall wenig zielführend sind“, sagt Fassmann dazu. Spezialwissen für die Daher lernen Asylberechtigte seit Februar in verpflichtenden Werte- und Orientie- Immobilienbranche auf 0,021m2. Jetzt kostenlos die Broschüre bestellen und profitieren: upgrade 2 /2016 service@tpa-horwath.com oder unter www.tpa-horwath.at upgrade 2/2016
Interview 15 /////// _Schwerpunkt_Migration und Integration „… Willkommenskultur” Schwierig, aber machbar Die Migrationsforscherin Gudrun Biffl von der Donau-Universität Krems im Interview über die Chancen der Asylwerber auf Integration. Von Katharina Schmidt upgrade: Neulich in einer Kaserne bei bewegung managen, übersehen aber, dass Spielfeld: Innen- und Verteidigungsminister alle Menschen mitgenommen werden wollen. stehen auf einem Mannschaftswagen des Es sind ja derzeit alle unzufrieden: Mit den Bundesheers und beobachten Polizei und Flüchtlingen wird nicht geredet, sie kennen Heer dabei, wie sie gemeinsam ein „Druck sich nicht aus. Und mit den Gemeinden aus gleichsszenario“ für den Asyl-Ernstfall wird auch nicht auf gleicher Augenhöhe an der Grenze proben. Die Optik ist wohl geredet. Das Problem sind auch die unter- ganz bewusst beängstigend martialisch. Ist schiedlichen gesetzlichen Regelungen – in unsere Solidarität mit Asylwerbern am Ende? manchen Bundesländern können Flüchtlinge Gudrun Biffl: Das glaube ich schon, zu- ja nicht in Privatquartieren untergebracht mindest auf der Makroebene. In Orten, wo werden. es große Asylwerberheime gibt, oder auch in den Städten, bestehen schon Ängste der ... was aber für die Integration sehr viel Politik. Überall dort, wo sich die Asylwer- sinnvoller wäre als Massenquartiere. ber nicht willkommen fühlen, gehen sie Biffl: Ja, aber auch zeitkonsumierender, weil weg und ziehen in die Städte. Und dort ent- man mit den Menschen reden muss. stehen dann Slums – viel schneller als er- Interkulturelle Kommunikation ist sehr wartet. Aber das Beispiel Oberösterreich schwierig: Die Menschen wissen nichts St. Margarethen, März 2016 zeigt, dass in kleinen Gemeinden, wo Asyl- voneinander. Es wird unterschätzt, dass man „Festung Europa …” werber aufgenommen werden und eine da wesentlich mehr Zeit aufwenden muss als gute Begleitung stattfindet, die FPÖ sogar bei der Aufnahme von Touristen. Man muss an Bedeutung verliert. hier auch bei den Einrichtungen des Gemeinwesens ansetzen. Denn es ist nicht Es geht also darum, dass eine Integration damit getan, dass man einer Nichtregie- stattfinden kann? rungsorganisation die Aufgabe übergibt und Biffl: Ja, und vor allem um Kommunikation. die stecken die Asylwerber irgendwo in ein Wir achten nur darauf, dass wir die Flucht- großes Heim hinein und kümmern sich upgrade 2/2016
16 Interview 17 Spätestens seit dem chaotischen Sommer Aufteilung. Das Ziel sollte sein, dass Flücht- fen zu arbeiten – zum Beispiel beim Ein- Univ.-Prof. Mag. Dr. und Herbst 2015, als Traiskirchen aus allen linge nicht vorzugsweise in Städte ziehen, kaufen oder Kochen. Auch Theaterpädago- Gudrun Biffl leitet seit Nähten geplatzt ist, haben sich weite Teile weil die dortige Anonymität einer Ghettoi- gik ist sehr sinnvoll. Es braucht nicht einmal 2008 das Department für Migration und der Zivilgesellschaft für die Asylsuchenden sierung Vorschub leistet. In ländlichen oder unbedingt Sprachlehrer, sondern einfach Globalisierung an der eingesetzt, sie versorgt, ihnen Deutschkurse, kleinstädtischen Regionen ist es oft leichter, innovative Menschen. Donau-Universität Krems. Schlafplätze, Fürsorge angeboten. Ist das individuelle Unterstützung zu organisieren Davor war die Ökonomin Poli tikversagen oder Ausdruck einer Soli- und die interkulturellen Kontakte zu för- Ein Hebel zur Integration, der seit Februar mehr als drei Jahrzehnte darisierung mit Flüchtlingen? dern. Menschen sollten in diesen Regionen anläuft, ist die Kürzung der Mindestsiche- lang am Wirtschaftsfor- schungsinstitut tätig, Biffl: Die offensichtliche amtliche Überfor- drei bis fünf Jahre bleiben. Dann können sie rung, wenn man keine Wertekurse besucht. unter anderem mit den derung hat sicherlich dazu beigetragen, gezielt auf- oder umgeschult werden und in Eine sinnvolle Maßnahme? Schwerpunkten Arbeits- dass die Zivilgesellschaft aktiviert worden den Arbeitsmarkt eintreten. In dieser Zeit Biffl: Familienbeihilfe und Mindestsiche- markt, Bildung, Migra ist. Ausgangspunkt war, dass die Verwal- muss es möglich sein, die Flüchtlinge so lo- rung sind ein wichtiges Thema. Es ist die tionen und Gender. tung keine Ressourcen dazu hat, die Erst- kal zu verankern, dass sie den Mittelpunkt Frage, ob man nicht zum Beispiel die Fami- Sie ist Mitglied in zahlrei- chen Beratungsgremien, aufnahmestellen selbst zu verwalten. Daher ihres Lebens dort haben. Die Ghettoisierung lienbeihilfe durch Sachleistungen – zum darunter dem Expertenrat hat sie die Aufgaben dort an Einrichtungen in den Städten – in Schweden zum Beispiel Beispiel einen Kinderbetreuungsscheck – für Integration des BMEIA vergeben, die profitorientiert arbeiten. Wenn in Malmö oder Stockholm – kommt dadurch ersetzen will. Ich stelle diese Idee, die es ja und der Wiener Zuwan- es ein Business ist, dann können Menschen zustande, dass Flüchtlinge, die in den zuge- auch schon einmal in Bezug auf die österrei- derungskommission. zur „Ware“ werden. Das Gegenmodell dazu wiesenen Regionen nicht Fuß fassen konn- chischen Kinder gab, in den Raum. Denn ist die Gemeinwesenarbeit, die aber erst ten, in die Städte ziehen, wo es ihnen aber das kann durchaus auch eine integrations- erlernt werden muss. auch oft schwerfällt, eine Arbeit zu finden. fördernde Maßnahme sein. Die Mindest sicherung würde ich nicht reduzieren, aller- Waren die Bilder vom Sommer und Herbst Welche Hebel muss die Politik ansetzen, dings sehr wohl Bedingungen daran nicht aber auch ein bewusstes Signal der Po- damit es möglichst rasch zur Integration in knüpfen. Ich mag den Begriff Werte in die- litik in Richtung Herkunftsländer: „Bei uns den Arbeitsmarkt kommt? sem Zusammenhang nicht so gerne, denn ist kein Platz, hier gibt es keine Versorgung“? Biffl: Es braucht ein funktionierendes die Asylwerber haben ja auch Werte, die wir Biffl: Natürlich, es ist auch notwendig, Schnittstellenmanagement: In Österreich nicht abwerten wollen. Daher: Die Mindest- gegenzusteuern. Aus Befragungen in den fehlen in manchen Regionen Arbeitskräfte sicherung an Orientierungskurse zu knüp- Herkunftsländern wissen wir, dass dort den in dem einen Bereich, in anderen in einem fen ist sinnvoll. In einem späteren Stadium Menschen gesagt wird, in Österreich wür- anderen Bereich. Wenn ich also eine Inte des Aufenthalts – wenn nach dem neuen den Milch und Honig fließen nach dem gration in den Arbeitsmarkt haben will, Asylgesetz nach drei oder fünf Jahren die Motto: „Dort gibt es Geld, auch wenn du muss ich schauen, welche Qualifikationen Fluchtgründe noch einmal geprüft werden „Wenn es ein nichts arbeitest“. In Österreich wird erwar- tet, dass sich die Menschen um sich selbst die Zuwanderer haben, und sie regional so aufteilen, dass sie als Ergänzung gesehen – macht es Sinn, den Aufenthaltstitel an In- tegrationsbemühungen zu knüpfen. Diese Business ist, dann kümmern, sich selbst organisieren. Das ist zu den Menschen, die herkommen, meist werden. Die Zeit rennt, es braucht schnell Kompetenzchecks und Aufschulungen. Bindung ist eine integrative Maßnahme nach dem Motto: Du bekommst jetzt Min- können Menschen nicht durchgedrungen. Natürlich wäre es von Vorteil, wenn der Asylantrag im Aus- In Sachen Bildungszugang scheint man aus destsicherung, aber wenn du dich nicht be- mühst, wird später dein Aufenthaltsstatuts zur ‚Ware‘ land, bei einem Hotspot, nach einheitlichen EU-Standards und mit guter Qualität erfol- den Fehlern der Gastarbeiterintegration gelernt zu haben und ist jetzt um bessere nicht verlängert. Denn wenn man sich an die Mindestsicherung gewöhnt, kann man werden.“ gen könnte. Und dann würde von dort aus die Zuteilung auf diverse EU-Länder statt- Integration der Kinder von Anfang an bemüht. Was muss man hier tun? zwar auf Subsistenzniveau überleben, aber Aufstiegschancen in der Gesellschaft kann finden, wobei eventuell schon vorhandene Biffl: Die Schulen haben zwar Geld bekom- man so nicht wahrnehmen. nicht weiter um die Umgebung. Die Bürger- ethnische Communities aus dem Herkunfts- men, aber so schnell spezialisierte Lehrer meister sind frustriert, weil die NGOs nicht land bevorzugte Zuwanderungsregionen zu bekommen ist extrem schwierig. Daher Abschließend eine kleine Zukunftsprognose: (immer) mit ihnen reden und den Prozess sein könnten. Aber da das bis dato nicht halte ich fürs Erste eine Bündelung der Kin- Ist es schaffbar, die Menschen zu integrieren, der Integration in der Gemeinde nicht funktioniert, will man mit Grenzkontrollen der in gemeinsamen Klassen für gar nicht die ja einen völlig anderen kulturellen (immer) vereinfachen. Bei den NGOs be in Österreich, etwa in Spielfeld, neue Reali- so schlecht. Der Spracherwerb ist aber von Hintergrund mitbringen? stehen wiederum Ressentiments gegen „die täten schaffen. Dann könnte daraus viel- vielen Faktoren abhängig: Wie gut kann ich Biffl: Es ist schon schwierig, weil es auf die da oben“, die als „unmenschlich“ wahr leicht ein Hotspot im Inland entstehen. meine eigene Sprache? Kann ich mein Relationen ankommt. Es wird sich aber auch Foto: Andrea Reischer genommen werden. Aber es ist wichtig, zu Wissen in die andere Sprache umsetzen? unsere Kultur verändern. Wichtig ist sicher- erkennen, dass überall Menschen sitzen, Aber ist denn die Bildung von Communities Wir haben im Rahmen eines Projekts fest- zustellen, dass es in den großen Städten jeder hat so seine Zwänge. Man muss im sinnvoll für die Integration? gestellt, dass es innovative Lehr- und Lern- nicht zu Ausgrenzung und Segregation Grunde immer neu anfangen und die Kom- Biffl: Im Vorfeld geht es um eine Länder- methoden braucht. Am sinnvollsten ist es, kommt, das muss strategisch angelegt munikation mit dem Anderen suchen. quote und dort wieder um eine regionale einfach im Alltag an den einzelnen Begrif- werden. Dann aber ist es machbar. upgrade 2 /2016 upgrade 2/2016
18 Übersicht - Dossier www.donau-uni.ac.at/mig 19 Jugend Sicherheit Analyse der Bildungs- Asylfragen unter und Berufsplanung von Sicherheitsaspekten migrantischer Jugend, diskutieren, Daten zum Jugendkultur erforschen Gesundheit Menschenhandel gewinnen, Schnittstellen managen Religion und Kultur ➤ Jugendliche mit Einbinden der Dimension Erwerb in die Themen Arbeit Migrationshintergrund in Gesundheit und Pension ➤ EU-Projekt gegen Islamforschung im der Lehre – Strukturen, Migration unter Berücksichtigung Arbeitsmarktanalysen Trafficking (Menschenhandel) europäischen Kontext; Barrieren, Potentiale von Zuwanderung unter Migrations- und Religionsdialog der Integrationsgesichts abrahamitischen und punkten; Anerkennung weiteren Religionen; und Integration im Ausland erworbener die Religionslandschaft ➤ Das Verständnis von Qualifikationen in Niederösterreich Sucht von Migranteninnen (Know-how für die Aus und Migranten in Österreich arbeitung des Berufs- und Implikationen für die anerkennungsgesetzes) Schwerpunkt an der Donau-Universität Krems. Von Arbeit bis Wohnen, von Präventionsarbeit ➤ Studie Muslimische ➤ Lehrgang Migrant Health: Gesundheitsfragen bis Religion: Praktikable Integrationskonzepte brauchen Vielfalt in Niederösterreich Addressing New Challenges eine systemische Sicht. An der Donau-Universität Krems hat das Department ➤ Lehrgang Neo-Sala in Europe für Migration und Globalisierung unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. Gudrun fistischer Islamismus. ➤ OECD-SOPEMI-Report Biffl eine starke Expertise aufgebaut. In Zusammenarbeit mit weiteren Grundlagen – Analyse – „Migration and Labour Departments an der Universität, mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut Prävention Integration in Austria“ ECO Austria und mit dem Österreichischen Institut für Internationale Politik ➤ Lehrgang Migrations OIIP bündelt es starke Kompetenzen. management Das Department forscht, berät und lehrt im Dreieck Migration, Integration, Globalisierung Sicherheit. „Wir stoßen Innovation in der Migrations- und Integrations politik an und pilotieren sie. Wir denken über wissenschaftliche Disziplinen hinweg und verbinden die Wissenschaft mit der Praxis. Integration betrachten wir im doppelten Sinn: Integration von Wohnen Europa als Vehikel von Zuwanderern und im Sinne des Brückenbauens zwischen Institutionen.“ Migrations- und Integra- Raum unter sozialen Bildung tionspolitik nützen; die Das Ziel: den Wirtschaftsstandort Österreich stärken, Lebensqualität sichern. Aspekten analysieren, die Dimensionen Grundlagen Dimension der Globali- sierung mitdenken Wohnen und Zusam- Innovation im Bildungs- menleben verknüpfen; Statistisches Monitoring system anstoßen; Wissen & Austausch Migrationsaspekte in von Migration und nach- Konzepte für integrierte Mit einer Vielzahl an Büchern, Buch- Regionalforschung haltige Migrationspoli- Schulstandorte mit und Schriftenreihen sowie Studien integrieren tik; Kosten und Nutzen einem hohen Anteil und Periodischen Expertisen wie der Fluchtmigration von migrantischer den OECD-SOPEMI-Berichten zur Jugend als Unterstüt- erheben; Integrations Migrationsbeobachtung hält das politik mit integriertem zung von Kommunen Department für Migration und ➤ EU-Projekt Building Regionalmanagement und Eltern Globalisierung seine Expertise fest. Die jährliche Summer School – Inclusive Urban Communities kombinieren; Effekte der Dialogforum bringt seit 2009 ➤ Lehrgang Diversität und Willkommenskultur für Diskussionsformate: Vertreterinnen und Vertreter aus Wohnmanagement Wirtschaft und Gesell- die Reihe Globalisierungs Wissenschaft, Politik und Praxis zu schaft analysieren und forum (Bild) sowie ➤ Der Einfluss sozialer Themen der Migrations- und prognostizieren die Globe.Lounge Netzwerke auf die Bildungs- Foto: Dialogforum, Donau-Universität Krems Integrationspolitik zusammen. ➤ Lehrgang und Berufsentscheidungen Interkulturelles Management von Jugendlichen mit in der Europäischen Union Vielfältiges Lehrangebot Migrationshintergrund in ➤ Machbarkeitsstudie Wien und Vorarlberg Neben seinen zehn Weiterbildungsprogrammen zum Thema Migration – Integration zu einem Zuwanderungs ➤ Lehrgang hat die Donau-Universität Krems das PhD-Studium „Migration Studies“ eingerichtet. Provokationspädagogik konzept für Österreich ●Legende: ● –––––––––––––––––– ➤ Lehrgänge Migrations ➤ Forschungsbeispiel management; Integrative ➤ Lehrbeispiel Regionalentwicklung für Kommunen, Gemeinden und Regionen upgrade 2/2016 upgrade 2/2016
Integration der Muslime 21 /////// _Schwerpunkt_Migration und Integration „… besorgte Bürger” Am Scheideweg Zu keiner anderen Zeit stand der Islam so sehr im Mittelpunkt von Rechts- und Sicherheitsfragen wie jetzt. Für eine gelungene Integration der Muslime in Europa sind noch weit mehr Anstrengungen nötig. Von Mazdak Raki ontasser war 18 Jahre alt, als so stark einknicken zu lassen? Welcher es um ihn geschehen war. staatliche Rahmen wäre vonnöten? Und wie Der aufgeweckte Bursche viele Spielarten des Islam gibt es? Diese mit der Eins in Mathe ent- Fragen scheinen alle zu interessieren, Eliten schied sich, in eine Welt ab- ebenso wie überforderte Bürger. Denn die zutauchen, die er als gerecht Bedeutung des Islam in Österreich wird empfand: von seiner Lieb- sich weiterhin vergrößern. Laut dem Wiener lingsstraße im Brüsseler Institut für Islamische Studien ist die Anzahl Problembezirk Molenbeek in den bewaff- von Menschen aus Ländern mit islamischem neten Kampf, irgendwo im Palästinenser- Glauben im Zeitraum 2001 bis 2012 um gut Gebiet. „Damals war ich der festen Über- 69 Prozent auf 573.876 Personen gestiegen. zeugung, dass ich das Richtige mache, auch Und sie wird weiter steigen. wenn alles dagegen sprach“, sagt er heute. Aufgewachsen in einer moderaten Familie, Neue gesetzliche Stellung des Islam Mureck, März 2016 empfand er trotzdem eine große Leere in in Österreich „Gutmenschen …” sich, im letzten Moment konnte ihn seine Mutter noch ausfindig machen und ihn vor Vor diesem Hintergrund ändert sich das diesem freien Fall bewahren. Verhältnis zwischen Staat und Islam im Ein Beispiel der Extreme, das seit Jahren besonderen Maße. Im März 2015 trat etwa eine Debatte um Islam und Integration aus- das neue Islamgesetz in Kraft, es stellte die löst. Welches Verhältnis sollte ein souverä- gesetzliche Lage der Muslime in Österreich ner Staat wie Österreich zum Islam pflegen, auf neue Beine. „Es soll den Erfordernissen um Menschen wie Montasser gar nicht erst einer seit den 1980er Jahren stark upgrade 2/2016
22 Integration der Muslime 23 „Die großen ewachsenen muslimischen Bevölkerung g fest. Einen weiteren beunruhigenden Höhe- besteht die Gefahr, denn auf der anderen gerecht werden“, sagt Ernst Fürlinger, Leiter punkt erfuhr das Thema durch islam- und Seite finden sich einige muslimische Gemeinden des Zentrums für Religion und Globali fremdenfeindliche Bewegungen und Par- Jugendliche, die sich trotz religiösem sierung an der Donau-Universität Krems. teien in Europa, die durch einen breit Pluralismus kaum dazugehörig fühlen. repräsentieren nur Jahrelang schon stand die Islamische Glau- definierten Deutungsrahmen über Flucht- Hier gilt es klare Signale zu setzen, der bensgemeinschaft (IGGiÖ) im regen Kon- migration in der gesellschaftlichen Mitte Staat müsse sich eindeutig positionieren einen Bruchteil Richard Potz takt mit den zuständigen Expertengruppen; Gehör fanden. „Über soziale Medien wurden und durch Begegnung, öffentliche Aufklä- Ernst Fürlinger so wurden etwa Bereiche wie muslimische übelmeinende Gerüchte, Hassparolen oder rung und Diskussion der Radikalisierung Univ.-Prof. Dr. Richard Dr. Ernst Fürlinger ist der Muslime.“ Seelsorge im Krankenhaus, in Gefängnis- islamfeindliche Ideologie in großer Schnel- entgegensteuern, resümiert Potz. Potz studierte Rechts Leiter des Zentrums sen und beim Bundesheer sowie islamische ligkeit und Massivität verbreitet“, kritisiert wissenschaften an der Religion und Globalisie- Feiertage und die rechtliche Handhabung Fürlinger. Wie könnte man dem entgegen- rung an der Donau-Univer- Aladin El-Mafaalani Universität Wien und ist Wer spricht emeritierter Professor am an islamischen Friedhöfen neu gedacht. wirken? „Eine langfristige Sachpolitik in der sität Krems und forscht für Muslime? Institut für Rechtsphilo „Ich sehe das neue Islamgesetz als Verstär- Flüchtlingsfrage, die auf EU-Ebene ansetzt, zu Themen rund um den sophie, Religions- und kung der rechtlichen Inklusion der Muslime muss noch viel stärker gegenüber der Eine weitere Variable sei die Repräsentanz interreligiösen Dialog und Kulturrecht. Seine und des Schutzes der Religionsfreiheit“, Bevölkerung aktiv kommuniziert werden, einer Gruppe. Wer spricht für die Muslime? Islam sowie Interkulturali Forschungsschwerpunkte tät. Fürlinger studierte fügt Fürlinger hinzu. „Ein besonders wich- um so die grassierende „moral panic“ zu In der islamischen Welt gebe es nur wenige sind u. a. Religions- und katholische Fachtheologie tiger Schritt war die Verankerung der islami- dämpfen“, betont Fürlinger. Länder, die eine vollständige Trennung Kulturrecht und Rechtsfra- in Salzburg. gen zum Islam in Europa. schen Theologie in Form mehrerer Profes- zwischen Staat und Religion vollzogen suren an der Universität Wien“, erklärt der haben, wie sie insbesondere im Christen- Staat und Religion Religionswissenschafter. tum besteht, erklärt Aladin El-Mafaalani, im Wandel Das Islamgesetz wäre eine positive Nach- Professor für Politikwissenschaft und Poli- Radikalisierung aus richt über die Einbeziehung und Emanzi- „In den letzten 15 – 20 Jahren hat sich das tische Soziologie an der Fachhochschule dem Internet pation der Muslime gewesen. Aber: „Wie oft Verhältnis Staat – Religion verändert“, unter- Münster. in politisch-emotionalen Debatten wurden streicht auch Richard Potz, Experte für Reli- Gleichzeitig aber seien Religionsgemein- Für die Islamwissenschafterin Riem Spiel- die Ebenen der globalen Konflikte und die gionsrecht. Der Hauptgrund dafür sei die schaften im deutschsprachigen Raum immer haus fängt die Radikalisierung junger Belange österreichischer Muslime miteinan- Pluralisierung der österreichischen Reli daran interessiert, große Organisationen zu Menschen nicht unbedingt in der Moschee Aladin der vermengt“, stellt der Religionsexperte gionslandschaft. Einerseits steigt die Zahl gründen, wobei es aber keine Tradition des an: „Vielmehr kommt der Anstoß offenbar El-Mafaalani Riem Spielhaus der Konfessionslosen stetig an, andererseits Sich-Organisierens gebe. Demnach würden häufig über das Internet und setzt sich in Dr. Riem Spielhaus forscht Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani wirkt sich die neue Zuwanderung aus – da- die großen muslimischen Verbände einen kleinen radikalen Gruppierungen, soge- derzeit am Erlanger studierte Politikwissen- bei steht zweifellos der Islam im Vorder- selektiven Ausschnitt der Muslime darstel- nannten Splittergruppen, die von den „Ein besonders Zentrum für Islam und schaft, Soziologie und grund. Diese Pluralisierung führte zu neuen len. „Die großen Gemeinden repräsentieren größeren Gemeinden gemieden werden, Wirtschaftswissenschaft Recht in Europa (EZIRE). Herausforderungen auch für das bestehen- nur einen Bruchteil der Muslime. Wahr- fort.“ Große muslimische Organisationen an der Ruhr-Universität wichtiger Schritt war Ihre Schwerpunkte be handeln muslimische de Religionsrecht. „Es spielen aber nicht scheinlich sind 80 Prozent der Muslime in würden deshalb den Fokus ihrer Arbeit mit Bochum. Er ist Professor Minderheiten, das nur integrationspolitische Fragestellungen, Deutschland gar nicht organisiert“, stellt Kindern und Jugendlichen auf die Vermitt- für Politikwissenschaft islamische Gemeinde leben und die Religions- die Verankerung sondern auch sicherheitspolitische Über legungen europaweit in das Religionsrecht El-Mafaalani klar. Manche junge Muslime würden sich des- lung reli giöser Werte und ein islamisches Grundverständnis legen. Zahlreiche Vorur- an der Fachhochschule Münster mit den Schwer- der islamischen praxis von Muslimen. punkten Bildungsfor- hinein“, wirft Potz ein. Der Staat werde sich halb lieber mit Gleichaltrigen treffen und teile würden viele Menschen haben, die der Sie studierte Islamwissen- schung, Migrationsfor- in manchen religionsrechtlichen Bereichen auf Deutsch kommunizieren, als verstreut sogenannten Generation 9/11 angehören. Theologie in Form schaften an der Hum- schung und Sozialpolitik. boldt-Universität zu Berlin. zwangsläufig neue Strategien überlegen in ethnisch aufgeteilten Gemeinden zu sein. Damit sind vor allem die heute 25-Jährigen müssen. Genau das können radikale Randgruppen gemeint, die durch die internationalen mehrerer Profes- Dem vorausgehend, hätten sich ebenso die Akzente in der Wahrnehmung von liefern: Sie ziehen junge Menschen durch ihre Andersartigkeit an, weil sie ihre pop- Medien nur Negatives über den Islam rezi- piert haben. „Der Islam als Religion des suren an der Fotos: Riem Spielhaus: Privat; Aladin El-Mafaalani: Privat M igranten in den letzten 30 Jahren deut- kulturellen Inhalte über soziale Medien Terrors und der Gewalt wiederholt sich in lich verschoben. Während die religiöse anbieten, erklärt El-Mafaalani. „Wenn Rand- den K öpfen fortlaufend, Aspekte wie Nächs- Universität Wien.“ Dimension vor Jahrzehnten kaum wahrge- nommen wurde, kam es insbesondere seit ständigkeit zu einer Erfahrung junger Mus- lime wird, dann kann das zu weitreichenden tenliebe, Spiritualität, Befriedung der Seele kommen in der Medienberichterstattung Richard Potz dem 11. September 2001 zu einer auffälli- gen Wende, welche in der Literatur als Problemen führen, denn junge Menschen wollen dazugehören und streben nach kaum vor“, moniert die Islamwissenschafte- rin. Gleichzeitig bestehe in den Gemeinden „Religionisierung“ bezeichnet werde, führt A nerkennung“, sagt der Politologe. Anfällig ein Bedarf an Professionalisierung und Potz aus. Daher: „Menschen aus Ländern für diesen Radikalismus seien dann eben nachhaltigen Strukturen, um gesellschaft mit islamischer Tradition wurden nicht jene jungen Menschen, die durch die liche Aufgaben wie die langwierige Arbeit mehr ethnisch oder national – als Türken, Gesellschaft und die Medien ausschließlich mit Jugendlichen oder auch mit Flüchtlingen Ägypter, Iraker –, sondern pauschal als auf ihre vage, religiöse Zugehörigkeit als umsetzen zu können, damit Fälle wie jene Muslime wahrgenommen.“ Genau hierin „Moslem“ reduziert werden. von Montasser gar nicht mehr vorkommen. upgrade 2 /2016 upgrade 2/2016
die rolle der hochschulen 25 /////// _Schwerpunkt_Migration und Integration „… unbegrenztes Schutzrecht” Anker in der Strömung Wissenschaft ist ohne Migration und Integration undenkbar. Doch welche Rolle kommt den österreichischen Universitäten und Fachhochschulen im aktuellen Flüchtlingsdiskurs zu? von David Rennert n der Wissenschaft gleichen wir alle wortung“ (Reclam 2011) auf den Punkt nur den Kindern, die am Rande des bringt: „Die scientific community, die Wissens hie und da einen Kiesel Gemeinschaft der Wissenschaftlerinnen aufheben, während sich der weite und Wissenschaftler, ist global, sie kennt Ozean des Unbekannten vor unse- keine nationalen, ethnischen, kulturellen ren Augen erstreckt“, schrieb Isaac Grenzen.“ Newton im 17. Jahrhundert. Die Metapher passt noch immer. Territoriale Schranken Globale Grenzenlosigkeit oder ein Grenzmanagement kennt dieser Ozean des Unbekannten nicht, genauso Was die Institutionen der Wissenschaft an- Spielfeld, März 2016 wenig der menschliche Drang zur Erkennt- geht, ist diese globale Grenzenlosigkeit weit „Asyl auf Zeit…” nis, dem Newton durch seine Beiträge zur fortgeschritten – und hat gewissermaßen wissenschaftlichen Methodik einen Dienst Tradition. Der Begriff „Universität“ ist der für die Ewigkeit erwies. „universitas magistrorum et scolarium“ ent- Wenn heute die Grenzen der Wissen- lehnt, der mittelalterlichen „Gemeinschaft schaft diskutiert werden, sind damit auch der Lehrenden und Lernenden“. Und diese selten nationale oder territoriale gemeint. war, trotz des jahrhundertelangen Aus- Denn, wie es der deutsche Philosoph Julian schlusses großer Bevölkerungsgruppen, Nida-Rümelin in seinem Traktat „Verant- seit jeher von Migration und Internatio- upgrade 2/2016
26 die rolle der hochschulen 27 nalität geprägt. Für die Hochschulen und aber bedeutet das für die österreichischen Als gesellschaftlich relevante Einrich- dafür aus, bei Flüchtlingen „Augenmaß Universitäten des 21. Jahrhunderts sei diese Universitäten und Fachhochschulen kon- tungen hätten sich auch die Fachhochschu- walten zu lassen, aber nicht alle Augen zu- Globalität sogar das zentrale Entwicklungs- kret, während die Rufe nach Grenzzäunen len rasch des Themas angenommen, sagt zudrücken“. Nachsatz: „Die Leute müssen moment, sagt Elmar Pichl, Leiter der Hoch- und Flüchtlingsobergrenzen immer lauter Kurt Koleznik, Generalsekretär der öster- schon das bringen, was man braucht, sonst schulsektion im Bundesministerium für werden? reichischen Fachhochschulkonferenz (FHK). wäre das eine Ungleichbehandlung Inlän- Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Pichl sieht die Hochschulen hier zwei- Er verweist auf unentgeltliche Sprach dern gegenüber.“ Auch Vitouch betont für Elmar Pichl „Dort findet dauernd Migration und Integ- fellos gefordert, sich als Stätten des Wissens kurse, die Bereitstellung von Räumlich die Zulassung an den Universitäten: „Wir ration statt – und als besonders sichtbare mit ihrer Expertise einzubringen. Dabei keiten oder die zeitliche Freistellung von behandeln Flüchtlinge nicht besser – aber Mag. Elmar Pichl ist Leiter Orte sind sie damit Vorbilder für eine welt- würden sich in der aktuellen Situation Mitarbeitern, die sich in der Flüchtlings auch nicht schlechter.“ der Hochschulsektion im offene Gesellschaft.“ zwei grundsätzliche Fragen stellen: ob und hilfe engagieren. Ein koordiniertes Vor Der habilitierte Psychologe Vitouch Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung Doch wie kann das in der Wissenschaft wie Studierende, die aus Krisengebieten gehen nach dem Vorbild der Universitäten nimmt im öffentlichen Diskurs um die und Wirtschaft (BMWFW). so zentrale wie erfolgreiche Konzept der nach Österreich geflüchtet sind, ihr Stu hält er für die FHs aber nicht für zielfüh- Flüchtlinge ein emotionales „Pingpong Der studierte Jurist Internationalität und Offenheit in die dium hier wieder aufnehmen können, und rend. „Die Fachhochschulen sind regional zwischen Euphorie und Panik“ wahr, das (Universität Graz) ist seit Gesellschaft hineingetragen werden? In was in der Zwischenzeit getan werden sehr unterschiedlich von dem Flüchtlings- immer wieder „vom einen Extrem ins andere 2007 in unterschiedlichen Zeiten der Verunsicherung, wie sie in kann, um sie in ihrer schwierigen Situation strom betroffen“, sagt Koleznik. Je nach schwappt“. Bei einem Teil der Menschen Funktionen im Ministe- Österreich seit Beginn der Flüchtlingskrise aufzufangen. Bedarf habe man vor Ort adäquat reagie- führe das zu Angst und Abwehrhaltung rium tätig. vergangenen Sommer herrschen, erscheint ren k önnen. „Wir wollen aber hier nicht vor dem Fremden, gepaart mit der Sorge diese Frage umso dringlicher. Indirekt Geld oder Zeit in die Verwaltung von etwas um die eigene Zukunft. Bei anderen kana- Sinnvolle Angebote werden die Universitäten ja schon in § 1 i nvestieren, sondern eher den einzelnen lisiere sich diese emotionale Energie hin- des Universitätsgesetzes 2002 dazu ange Für Oliver Vitouch, seit Anfang des Jahres Menschen, die in Not sind, direkte Hilfe gegen in einem „positiven, willkommen halten, „verantwortlich zur Lösung der Vizepräsident der Österreichischen Univer- zukommen lassen.“ heißenden Sinn“, wie etwa in der Unter- Probleme des Menschen sowie zur gedeih- sitätenkonferenz uniko, steht fest, dass die Für die Fachhochschulen stelle sich die stützung auf Bahnhöfen oder in anderen lichen Entwicklung der Gesellschaft und Universitäten sehr rasch reagiert haben, „im Situation seit Beginn der Flüchtlingskrise privat und individuell getragenen Hilfs der natürlichen Umwelt beizutragen“. Was Rahmen dessen, was sie am besten können: insgesamt etwas anders dar als für die initiativen. Die große Verunsicherung, wie Kurse anbieten und einem spezifischen Universitäten, sagt Koleznik. Denn an den mit der Situation umzugehen ist, sei in der Oliver Vitouch Segment der Migrantinnen und Migranten FHs gibt es ein anderes Aufnahmeproze- gesamten Debatte aber vom einzelnen Univ.-Prof. Dr. Oliver brauchbare Angebote machen“. Daran ori- dere, zudem ist ein Quereinstieg generell Individuum bis zur politischen Ebene sehr Vitouch ist Rektor der entiert sich auch die Flüchtlingsinitiative nicht möglich – die Studiengänge starten augenfällig. Alpen-Adria-Universität „MORE“, die im Vorjahr von der Österrei- immer erst im Herbst. Dadurch sei es bis- Fest steht: Um eine Atmosphäre zu schaf- „An den Hoch Klagenfurt. Zuvor lehrte der habilitierte Psychologe chischen Universitätenkonferenz (uniko) lang kaum zu Bewerbungen von Flücht fen, in der wissenschaftliche Höchstleistun- unter anderem an der FU initiiert wurde, um Asylsuchenden Perspek lingen gekommen, für den kommenden gen vollbracht werden können, war es für Berlin und der Universität St. Gallen. Seit Jänner schulen und tiven für ein Studium zu eröffnen. „Zunächst geht es darum, zur Integration an und für Herbst sei aber mit einem Anstieg zu rech- nen. „Die Fachhochschulen haben also gut Universitäten immer schon von Bedeutung, sich offen gegenüber Flüchtlingen zu zeigen. 2016 ist Vitouch Vizepräsi- dent der Österreichischen Universitäten findet sich beizutragen, indem man die Menschen mit bereits vorhandenen Strukturen einen Zeit gehabt, sich vorzubereiten.“ Exemplarisch dafür stehen die Le geschichten der letzten drei ge bens bürtigen dauernd Migration Universitätenkonferenz (uniko). sinnvollen Tagesinhalt gibt, einen Anker, Österreicher, die einen Nobelpreis für Zulassung der sie ein Stück weit erdet“, sagt Vitouch. wissenschaftliche Leistungen erhalten und Integration Das umfasse die Einbindung in sportliche und kulturelle Strukturen ebenso wie Maß- mit Augenmaß In der Frage der Zulassung von Flüchtlin- haben: Eric Kandel, Martin Karplus und Walter Kohn. Sie alle wurden einst von den statt – sie sind nahmen zur Verbesserung der Deutsch- kenntnisse. gen zum Studium in Österreich gilt es aber da wie dort, einen Balanceakt zu meistern: Nationalsozialisten zur Flucht aus Wien gezwungen, sie alle wurden von US-ameri- damit Vorbilder für Dann aber müsse man in den Blick neh- men, ob diejenigen, die bereits in ihrem Einerseits sollen sie nicht benachteiligt werden, um ihnen reale Chancen zur Inte- kanischen Universitäten zum Studium zu gelassen. Nur dadurch wurde ihnen jener eine weltoffene Heimatland entsprechende akademische gration zu eröffnen. Anderseits muss der Weg eröffnet, der sie schließlich zur höchs- Fotos: Pichl © OeAD GmbH; Koleznik © FHK Qualifikationen erworben haben, darauf Eindruck vermieden werden, dass Men- ten Auszeichnung ihres Faches führte. Gesellschaft.“ Kurt Koleznik aufbauen können. Konkret werden über schen, die nach Österreich geflüchtet sind, Natürlich ist nicht jeder Flüchtling, der Mag. Kurt Koleznik ist „MORE“ neben Sprachkursen auch Plätze in bei der Hochschulzulassung bevorzugt heute in Österreich um Asyl ansucht, ein Generalsekretär der Österreichischen Fach- Elmar Pichl ausgewählten Lehrveranstaltungen ange boten, die Flüchtlinge auch ohne Studien- behandelt werden gegenüber Studienan- wärtern mit österreichischer Staatsbürger- künftiger Nobelpreisträger. Doch es steht außer Frage, dass eine Willkommenskultur hochschulkonferenz (FHK). Er studierte Philosophie zulassung als außerordentliche Hörer be schaft. Letzteres könnte dazu führen, dass an den Hochschulen nicht nur den Geflüch- und Kunstgeschichte an suchen können. Im Falle einer späteren die ohnehin schon aufgeladene Stimmung teten einen guten Dienst erweisen würde, der Universität Innsbruck Zulassung zu einem ordentlichen Studium gegenüber Flüchtlingen verschärft wird sondern vor allem auch der Wissenschaft. und war Geschäftsführer besteht die Möglichkeit, diese anrechnen und es zu einer zunehmenden Abwehrhal- Und damit letztlich der Gesellschaft, der sie der FH Vorarlberg. zu lassen. tung kommt. Koleznik spricht sich daher verpflichtet sind. upgrade 2/2016 upgrade 2/2016
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