Wunsch Stationäre Versorgung: und - Heft 4 / 2018 Das Magazin der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung - MDS

 
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Heft 4 / 2018 Das Magazin der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung

                                   Stationäre
                                  Versorgung:

                                 Wunsch
                                       und …
Wunsch Stationäre Versorgung: und - Heft 4 / 2018 Das Magazin der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung - MDS
ak tuell

      Liebe Leserin, lieber Leser,                  Aktuell
wer hierzulande ins Krankenhaus kommt und sta-      Die Gute Frage Gespräche am OP-Tisch – wer
                                                    sagt was ? 1
tionär behandelt werden muss, der sollte sich auf   Kurznachrichten 3
eines verlassen können – dass er die bestmögliche   Auch das noch Schädliche Schlipse 32

medizinische Versorgung erhält, eine Versorgung
nach hohen Qualitätsmaßstäben, gerecht und          Titelthema
finan­zierbar.                                      Stationäre Versorgung: Wunsch und Wirklichkeit 5
    Ist das nur ein frommer Wunsch oder gelebte     Qualität kommt von Qual 6
                                                    Gleicher Preis für gleiche Leistung 8
Wirklichkeit? Wo setzen die Pläne der Gesund-       Fallpauschalen: Rechnet sich das? 10

                                                                                                                 mdk forum Heft 4 /2018
heitspolitik an? Warum bemängelt der Sachver-       Aufgaben des MDK Den Blick auf Qualität und
                                                    Kosten 12
ständigenrat im Gesundheitswesen Über-, Unter-      »Nicht nur Dekoration zwischen Arzt und
und Fehlversorgung im Krankenhaus? Rechnet          Vanillepudding« 14
                                                    Damit Beatmung kein Dauerzustand bleibt 16
sich das System der Fallpauschalen? Und welche      Urteil des Bundesverfassungsgerichts Fixiert statt frei 18
Aufgaben übernimmt der mdk jetzt und künftig
in den Kliniken? Der aktuelle Schwerpunkt ver-
sucht eine Annäherung an das umfassende Thema
                                                    Wissen & Standpunkte
                                                    Pflegekräfte aus der Ferne 20
der stationären Versorgung.                         Gesundheitskompetenz Lesen und Schreiben fördern –
    Daneben berichten wir über die Situation von    der Gesundheit zuliebe 22

Patientinnen und Patienten, die dauerhaft beatmet
werden müssen. Wir stellen ein Modellprojekt vor,   Gesundheit & Pflege
bei dem Pflegekräfte aus Vietnam angeworben         Mehr Wohnvielfalt im Alter 24
werden, um Menschen in Deutschland zu pflegen.      Healing Architecture Mit allen Sinnen gesunden 26

Und wir blicken zurück in die Medizingeschichte
– erzählen in dieser und in weiteren Ausgaben       Weitblick
­unseres Magazins, wie historische Entdeckungen     Neue Heimat – ein Haus für Senioren in
 auch heute noch die Gesundheitsversorgung prä-     Armenien 28

 gen. Den Auftakt bildet ein Beitrag zur künst­
 lichen Befruchtung.                                Gestern & Heute
    Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest     Ein Baby aus dem Labor 30
 und viel Gesundheit und Glück fürs neue Jahr.
                Ihr Dr. Ulf Sengebusch
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die gute frage
                                                                                                                                                            1

                                                    Gespräche am
                                                    OP -Tisch – wer
                                                      sagt was ?
mdk forum Heft 4 /2018

                         Während ein Blinddarm womöglich unkompliziert in 20 Minuten raus ist, gibt es Operationen,
                         die sich über den ganzen Tag hinziehen können. Was geschieht, während der Patient schlafend
                         auf dem Operationstisch liegt? Worüber unterhalten sich Operateure und OP-Team? Dr. Jörg-
                         Andreas Rüggeberg, Vizepräsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen e. V., erzählt.

                            Was passiert eigentlich bei einer Standard-                     Wie kann man sich die Atmosphäre im O P
                            Operation: Wie viele Menschen sind in der Regel im              vorstellen? Wovon hängt sie ab?
                            Operationssaal? Wie sieht das übliche OP-Team aus?
                            Und wer übernimmt welche Aufgabe?                                Am besten lässt sich das mit dem Begriff steril verbinden.
                                                                                         Soll ja auch so sein, denn das Wichtigste ist die Vermeidung
                             Das ist in Abhängigkeit des Eingriffs durchaus unter­       von Infektionen. Das bedingt dann die entsprechende »Ver­
                         schiedlich. Klar braucht es immer den Operateur und in der      kleidung« der Handelnden, aber auch bestimmte Bewe­
                         Regel auch eine Assistenz am Tisch sowie einen Anästhe­         gungsmuster und nicht zuletzt auch eine gewisse Schweig­
                         sisten bei Narkoseeingriffen. Beide Teams brauchen jeder        samkeit. Ansonsten ist es ein technikdominierter Arbeits­
                         mindestens eine op-Pflegekraft zum Instrumentieren und          platz, der zunächst etwas abweisend wirkt, aber in dem Mo­
                         ganz wichtig einen sogenannten Springer, der von außen an­      ment, da der Patient in die Mitte des Raums gebracht wird,
                         reicht. Je größer der Eingriff und vor allem je technisch hö­   urplötzlich einen Fokus bekommt, auf den sich alles konzen­
                         her gerüstet braucht es weitere Assistenzen am Tisch, Tech­     triert.
                         niker für Herz-Lungen-Maschinen, zur Bedienung von Robo­
                         tern, von intraoperativen Bildgebungen wie Röntgen oder            Wenn sich eine Operation über Stunden hinzieht,
                         mrt. Also von einer Skatrunde bis zu einer Fußballmann­            der Gesundheitszustand des Patienten stabil ist und
                         schaft inklusive Bank ist die Bandbreite ziemlich groß.            die Situation es zulässt, redet man dann auch schon
                                                                                            mal über Wetter, Weltpolitik und Wochenende?
                            Bei einer Operation ist doch jeder Schritt genau                Darf gelacht und über Privates geredet werden?
                            festgelegt. Muss man da so konzentriert sein, dass
                            man – wenn überhaupt – nur über die OP und das,                  Eins vorweg: Unter dem Gesichtspunkt der Minderung
                            was mit ihr im Zusammenhang steht, spricht? Oder             des Infektionsrisikos sollte möglichst wenig gesprochen
                            gibt es die berühmten Ein-Wort-Anweisungen                   werden, jedenfalls nicht direkt in die offene Operationswun­
                            »Tupfer! Skalpell! Schere!« nur im Film?                     de hinein. Aber ein Schweigegebot gibt es deswegen nicht. Je
                                                                                         nachdem wird also schon über Dinge außerhalb der eigent­
                             Weil die Menschen verschieden sind, sind auch Opera­        lichen Operation gesprochen. Das hat gar nicht mal was mit
                         tionen individuell unterschiedlich. Deshalb ist volle Konzen­   der Dauer einer Operation zu tun. Es gibt immer Phasen, in
                         tration extrem wichtig, um auf Abweichungen vom geplan­         denen eher Routinetätigkeiten ohne großes Risiko anfallen.
                         ten Vorgehen adäquat und vorausschauend reagieren zu            Da kann dann schon auch das letzte Bundesligaspiel Thema
                         können. Bei uns ist es wie im Cockpit eines Flugzeugs: Meist    sein. Wie schon gesagt, wir sind durchaus vergleichbar mit
                         ist es undramatisch, aber es muss immer die Bereitschaft da     Piloten, die auch nicht permanent den Steuerknüppel um­
                         sein, auf einen plötzlichen Notfall sofort zu reagieren. Es     klammern, aber jederzeit für Notfallsituationen gerüstet
                         bleibt schon Raum für private Gespräche.                        sind. Aus eigenem Erleben kann ich sagen, dass meine Nar­
                             Ein Wort noch zu dem Image des Chirurgen im Film: Ein       koseärztin viel geredet hat. Sobald sie still wurde, wusste ich,
                         gutes Team braucht keine Anweisungen, da alle Beteiligten       dass es ein Problem gab, und konnte selber reagieren.
                         ­wissen, was gebraucht wird.
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die gute frage
2
       Stichwort »Patient hört mit«: Eine besondere                    ist, nämlich eine unverzichtbare Hilfe. Es gelten also wie im
       Situation ist es doch bestimmt, wenn Patienten                  wirklichen Leben auch die Grundsätze der Höflichkeit, auch
       nicht unter Vollnarkose operiert werden und mehr                wenn die gegenseitige freundschaftliche Verunglimpfung
       oder weniger alles mitbekommen, was um sie                      zwischen op-Team und Anästhesie nach außen grenzwertig
       herum passiert. Gibt es »Verhaltensregeln« für                  erscheint. Beide Partner nehmen das aber nicht ernst und
       solche Fälle?                                                   nutzen so etwas auch zum Stressabbau.
                                                                            Nicht vergessen darf man im Übrigen, dass im op auch
       Grundsätzlich sollte man sich so verhalten, als würde der       Ausbildung stattfindet, die naturgemäß ein Mindestmaß an
    Patient bei vollem Bewusstsein alles mitbekommen. Das ist          Kommunikation erfordert.
    wie im sonstigen Leben eine Grundprämisse, bei der es keine
    besonderen Verhaltensregeln geben muss. Wenn ich aller­               In den U S A haben Psychologen untersucht, ob und
    dings höre, was im öffentlichen Raum, zum Beispiel in Groß­           wie Konflikte in Operationssälen ausgetragen
    raumwagen der Bahn so alles ohne jede Diskretion am Handy             werden. Sie fanden heraus, dass Konflikte nur einen
    besprochen wird, frage ich mich, ob das nicht ein allgemei­           Bruchteil der Kommunikation ausmachen. Wenn,

                                                                                                                                       mdk forum Heft 4 /2018
    nes Problem der privaten Zurückhaltung ist.                           dann seien es eher die Männer, die zu Zank neigen,
                                                                          und häufig gingen die Streitigkeiten von der Person
       Zum Schmunzeln: Wollte schon mal ein Patient                       mit dem höheren Status aus. Lassen sich diese
       mitreden? Gibt es eine Anekdote?                                   Ergebnisse Ihrer Erfahrung nach auf deutsche
                                                                          Operationssäle übertragen?
        Anekdoten gibt es sicher. Bei mir persönlich ist es eher
    so, dass ich bei Eingriffen in örtlicher Betäubung mit den Pati­       Wir haben meist gar keine Zeit im op, um uns großartig
    enten ganz gerne über Privates spreche, um sie ein wenig von       zu zanken. Immer steht der Patient im Mittelpunkt, und wie
    ihren Ängsten abzulenken.                                          schon gesagt, immer hat auch der Operateur die Endverant­
                                                                       wortung. Wenn es mal unterschiedliche Meinungen geben
       An vielen Arbeitsplätzen, an denen mehrere                      sollte, so werden diese hinterher diskutiert. Im Extremfall,
       Menschen gemeinsam in einem Raum arbeiten,                      und das dann auch im Interesse des Patienten, übernimmt
       gehören diese derselben Hierarchie-Ebene an. Im                 der Erfahrenere den Eingriff, wenn der Operateur nicht wei­
       O P ist das anders. Wirkt sich das auch auf die                 terkommt. Das geschieht ohne laute Worte, weil alle wissen,
       Kommunikation aus?                                              dass es immer und ausschließlich um das Wohl des Patien­
                                                                       ten geht.
         Ist so gar nicht zutreffend. Jedem im op ist klar, dass ein
    gutes Ergebnis nur im Team möglich ist. Natürlich gibt es             Die Fragen stellte Dorothee Buschhaus.
    ­einen Endverantwortlichen, der andererseits gut beraten ist,
     die Anwesenheit weiterer Personen als das zu werten, was sie

                                Dr. Jörg-Andreas Rüggeberg
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                              Pflegepersonal-Stärkungsgesetz                 Neue MDK-Qualitätsprüfung                       Pflegende Angehörige
                              tritt zum 1. Januar in Kraft                   ab Ende 2019                                2,5 Millionen Menschen (darunter rund
                         Der Deutsche Bundestag hat am 9. Novem-         Der Gesetzgeber hat mit dem Pflegeper­          1,65 Millionen Frauen) pflegen Angehörige
                         ber das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz          sonal-Stärkungsgesetz auch beschlossen,         zu Hause. Laut dem Pflegereport 2018 der
                         (PpSG) beschlossen und damit das Sofort-        dass ab Oktober 2019 das von Wissen-            Barmer sind 185 000 von ihnen kurz davor,
                         programm Pflege umgesetzt. Ab 2019 sollen       schaftlern im Auftrag des Pflegequalitäts-      die Betreuung einzustellen. Die meisten
                         13 000 zusätzliche Stellen in der stationären   ausschusses entwickelte neue System der         wollen nur mit mehr Hilfe weiterpflegen,
                         Altenpflege geschaffen werden. Auch in          Qualitätsprüfung und -darstellung für die       knapp ein Prozent will dies auf keinen Fall
                         Krankenhäusern ist geplant, Pflegepersonal      vollstationäre Altenpflege umzusetzen ist.      länger tun. Nach einer repräsentativen
                         aufzustocken und zu refinanzieren. Die          Pflegeheime sind dann verpflichtet,             Befragung von mehr als 1900 pflegenden
                         Kosten für die Stellen in Pflegeheimen, die     sogenannte Ergebnisindikatoren für ihre         Angehörigen wünschen sich fast 60 %
mdk forum Heft 4 /2018

                         auf 700 Millionen Euro jährlich geschätzt       Bewohnerinnen und Bewohner zu erheben           weniger Bürokratie bei der Beantragung von
                         werden, sollen über einen laufenden Zu­         und an eine noch zu schaffende Daten­           Leistungen. Nur ein Drittel der pflegenden
                         schuss von der gesetzlichen Krankenver­         auswertungsstelle zu übermitteln. Die           Angehörigen geht arbeiten, jeder Vierte
                         sicherung und durch einen Zuschuss der          MDK-Qualitätsprüferinnen und -prüfer            aber hat seine Arbeit wegen der Pflege
                         privaten Krankenversicherung getragen           werden die Versorgungsqualität in Heimen        reduziert oder ganz aufgeben müssen.
                         werden.                                         ab 1. November 2019 nach einem grund­           Bei 85 % der Befragten bestimmt die Pflege
                              Darüber hinaus wurden auch neue            legend neuen Verfahren prüfen. Der MDK          tagtäglich das Leben. Die Hälfte von ihnen
                         Leistungen für pflegebedürftige Menschen        muss die Regelprüfung in Zukunft einen          kümmert sich mehr als zwölf Stunden
                         und ihre Angehörigen beschlossen. So            Tag vorher anmelden. Für teilstationäre         täglich um die pflegebedürftige Person.
                         erhalten Angehörige einen leichteren            Einrichtungen und ambulante Dienste             Infos auch unter www.barmer.de
                         Zugang zu medizinischen Rehabilitations-        ändert sich an der bisherigen Qualitätsprü-
                         leistungen. Die pflegebedürftige Person         fung noch nichts, da die damit verbundenen          Operationen im Krankenhaus
                         kann dann gleichzeitig in die Reha-Einrich-     wissenschaftlichen Vorarbeiten noch nicht       38 % (7,1 Millionen) der insgesamt 18,9 Mil-
                         tung aufgenommen und dort betreut               abgeschlossen sind. Der MDS hat zur neuen       lionen Patientinnen und Patienten in
                         werden. Soll der Pflegebedürftige anderwei-     Pflegequalitätsprüfung einen ersten             allgemeinen Krankenhäusern sind 2017
                         tig untergebracht werden, so ist von den        Fragen- und Antwortenkatalog erarbeitet,        auch operiert worden. Laut Angaben des
                         Kranken- und Pflegekassen die Betreuung         der unter www.mds-ev.de abrufbar ist.           Statistischen Bundesamtes (Destatis) hat
                         zu organisieren. Pflegebedürftige ab                                                            sich dieser Wert gegenüber 2016 nicht
                         Pflegegrad 3 und Menschen mit Behinde-                Terminservice- und                        verändert. Gut die Hälfte der Patienten war
                         rungen erhalten künftig einfache Taxifahr-            Versorgungsgesetz                         60 Jahre und älter. Die meisten Operationen
                         ten zu einer ambulanten Behandlung − die        Mit dem Ziel, die Versorgung zu verbessern      in dieser Altersgruppe betrafen Eingriffe am
                         Fahrten gelten mit der ärztlichen Verord-       und eine schnellere Vergabe von Arztter­        Darm (261 300), gefolgt von endoskopischen
                         nung als genehmigt.                             minen für gesetzlich Krankenversicherte         Operationen an den Gallengängen (209 100)
                              Mit dem PpSG werden auch Neurege-          zu erreichen, hat das Bundeskabinett den        und Implantationen einer Endoprothese am
                         lungen für die gesetzliche Krankenversiche-     Entwurf des Terminservice- und Versor-          Hüftgelenk (199 300).
                         rung geschaffen, so zum Beispiel auch für       gungsgesetzes (TSVG) auf den Weg                    Bei Frauen zwischen 15 und 44 Jahren
                         die Abrechnungsprüfungen, die Kranken-          gebracht. Der Gesetzentwurf sieht unter         waren Operationen im Zusammenhang mit
                         kassen beim MDK beauftragen können.             ­anderem vor, die Aufgaben der Termin­          Entbindungen am häufigsten (349 700).
                         Für sie gelten ab Januar kürzere Fristen:        servicestellen deutlich zu erweitern und       Bei Männern in dieser Altersgruppe wurde
                         Rückleistungsansprüche von Krankenkas-           das Mindestsprechstundenangebot der            mehrheitlich ein Eingriff an der Nasen­
                         sen gegenüber den Krankenhäusern ver­            niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zu        muschel vorgenommen (62 800). Bei
                         jähren dann bereits nach zwei und nicht          erhöhen. In unterversorgten Gebieten           Kindern bis 14 Jahren gehörten das Ein-
                         mehr nach vier Jahren.                           müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen      schneiden des Trommelfells zur Eröffnung
                                                                          künftig eigene Praxen eröffnen oder            der Paukenhöhle (34 500) sowie die
                                                                          Versorgungs­alternativen anbieten. Außer-      Entfernung der Rachenmandeln (34 100) zu
                                                                          dem werden die Krankenkassen verpflich-        den häufigsten chirurgischen Eingriffen.
                                                                          tet, spätestens ab 2021 elektronische
                                                                          Patientenakten für ihre Versicherten
                                                                          anzubieten. Das Gesetz soll voraussichtlich
                                                                          zum 1. April 2019 in Kraft treten und ist im
                                                                          Bundesrat nicht zustimmungspflichtig.
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        Informationspflicht bei Befunden                 Tattoos entfernen                              Fiktiv genehmigte Operation
    Ärzte müssen ihre Patienten über bedroh­        Mit Lasertechnik Tätowierungen oder                 auf Kosten der Krankenkasse
    liche Befunde informieren. Das gilt auch        Permanent-Make-up entfernen dürfen in          Entscheidet eine Krankenkasse nicht
    dann, wenn der Behandlungsvertrag               Deutschland in Zukunft nur noch Ärztinnen      zeitgerecht über einen Antrag auf Haut-
    beendet wurde und der Patient lange nicht       und Ärzte und nicht mehr wie bisher auch       straffungsoperation und lehnt sie es ab, im
    mehr in der Praxis war, hat der Bundes­         private Kosmetikstudios. Nach einer            Nachhinein die fiktiv genehmigte Leistung
    gerichtshof (bgh) entschieden (Az. VI           Entscheidung des Bundesrats im Oktober         für ihren Versicherten zu übernehmen,
    ZR 285 /17).                                    2018 sollen alle approbierten Ärzte berech-    muss sie dem Versicherten die entstande-
        Im konkreten Fall verlangte ein Mann        tigt sein, sofern sie über die entsprechende   nen Kosten erstatten. Das gilt auch dann,
    Schmerzensgeld und Schadensersatz von           Fachkunde verfügen. Die Neuregelung soll       wenn der Versicherte sich die entsprechen-
    seiner Hausärztin. Sie hatte ihn wegen          Ende 2020 in Kraft treten. Der Regierungs-     de Leistung im Ausland selbst beschafft hat,

                                                                                                                                                   mdk forum Heft 4 /2018
    Schmerzen im Bein an einen Facharzt             entwurf der Strahlenschutzverordnung sah       urteilte das Bundessozialgericht (A z. B 1
    überwiesen. Es schloss sich eine op im          ursprünglich vor, dass künftig nur Derma­      KR 1 /18 R).
    Krankenhaus an, bei der eine Geschwulst in      tologen und plastische Chirurgen Tattoos            Im konkreten Fall hatte ein Patient bei
    der Kniekehle entfernt wurde. Dass die          per Laser entfernen sollten. Der Bundesrat     seiner Krankenkasse beantragt, ihn nach
    Geschwulst ein bösartiger Tumor war, teilte     erweiterte diesen Kreis jedoch. Schätzun-      massiver Gewichtsabnahme mit einer
    die Klinik ausschließlich der Hausärztin mit,   gen zufolge ist jeder vierte Deutsche          Hautstraffungsoperation an Brust und
    nicht dem Facharzt. Die Hausärztin sprach       tätowiert. Jeder Zehnte ist angeblich          Bauch zu versorgen. Die Kasse entschied
    den Mann eineinhalb Jahre später darauf         unzufrieden mit seinem Tattoo. 1,2 Millio-     nicht zeitgerecht. In diesen Fällen gilt die
    an, als dieser nach langer Zeit in anderer      nen Menschen, so mutmaßen Experten,            Leistung als fiktiv genehmigt. Der Kläger
    Sache wieder zu ihr kam. Er benötigte           nehmen jedes Jahr eine Laser­behandlung        ließ sich daraufhin privat in einer Klinik in
    danach weitere Krankenhausaufenthalte           zur Tattoo-Entfernung in Anspruch.             der Türkei operieren und zahlte hierfür 4200
    und Operationen.                                                                               Euro. Doch die Kasse verweigerte die
        Nachdem das Oberlandesgericht (OLG)             Online-Portal zur                          Übernahme der Kosten. Der Versicherte
    Düsseldorf die Klage des Patienten                  Gesundheitsförderung                       klagte zunächst beim Sozialgericht Gießen.
    abgewiesen hatte, urteilte der BGH anders.      Das GKV-Bündnis für Gesundheit, eine           Dieses wies die Klage ab, auch die Berufung
    Dem Arztbrief, der nur an die Hausärztin        gemeinsame Initiative der gesetzlichen         beim Hessischen Landessozialgericht wurde
    ging, habe die Frau unschwer entnehmen          Krankenkassen zur Weiterentwicklung und        abgelehnt. Zu Unrecht, wie das Bundesso­
    können, dass die Klinik sie irrtümlicher­       Umsetzung von Gesundheitsförderung und         zialgericht (bsg) entschieden hat: Der
    weise für die behandelnde Ärztin hielt.         Prävention in Lebenswelten, informiert ab      Kläger habe sich die beantragte Operation
    Gerade in ihrer koordinierenden Funktion        sofort auch online über seine Aktivitäten      privatärztlich selbst verschaffen dürfen,
    als Hausärztin hätte sie laut Urteil die        und Schwerpunkte. Unter www.gkv-buend-         weil die beklagte Krankenkasse die fingierte
    Information weitergeben müssen. Das OLG         nis.de erhalten insbesondere Fachkräfte aus    Genehmigung missachtet und die OP nicht
    Düsseldorf muss den Fall nun neu verhan-        Kitas, Schulen oder kommunalen Lebens-         gewährt habe. Der Patient sei nicht ver-
    deln und entscheiden.                           welten konkrete Praxishilfen und Informa­      pflichtet gewesen, sich die fiktiv genehmigte
                                                    tionen rund um das Engagement der              Leistung nur in Deutschland zu verschaffen.
        Ärztemonitor 2018                           gesetzlichen Krankenkassen für gesunde         Auch habe er die Bedingungen einer
    90 % der Ärztinnen und Ärzte sowie 97 %         Lebenswelten.                                  Auslandsversorgung zu Lasten der gesetz­
    der Psychotherapeutinnen und Psycho­                                                           lichen Krankenver­sicherung bei der
    therapeuten sind mit ihrer Arbeit zufrieden.        Niedrige Lebenserwartung                   selbstbeschafften Operation in der Türkei
    Das ist ein zentrales Ergebnis des Ärzte­       Wer heute in Deutschland geboren wird,         nicht einhalten müssen.
    monitors 2018. Dabei wurden im Auftrag          erreicht ein durchschnittliches Alter von           Bei einer rechtswidrigen Leistungsab-
    der Kassenärztlichen Bundesvereinigung          80,6 Jahren – und ist somit am jüngsten im     lehnung fehle ein innerer Grund, den Kreis
    und des NAV-Virchow-Bundes rund 11 000          Vergleich zu allen 22 Ländern der WHO-­        der Leistungserbringer entsprechend
    niedergelassene Vertragsärzte und Vertrags-     Region Westeuropa. Das sagen aktuelle          einzuschränken, so das BSG. Auch Ärzte im
    psychotherapeuten zu ihrer Arbeitssituation     Zahlen der WHO-Studie Global Burden of         Ausland würden grundsätzlich die Gewähr
    befragt. 57 % der Befragten bemängelten,        Disease 2017. Für Frauen und Männer            für eine ordnungsgemäße Leistungserfül-
    dass sie zu wenig Zeit für die Patienten zur    zusammen betrug die Lebenserwartung            lung bieten, denn auch sie unterlägen
    Verfügung hätten. Gleichzeitig habe der         nach den Zahlen der Weltgesundheits­           Sorgfalts- und Schadensersatzpflichten.
    Zeitaufwand für Verwaltungstätigkeiten          organisation im Jahr 2017 in Westeuropa im
    nach der Sprechstunde zugenommen. Auch          Durchschnitt 81,9 Jahre. Seit 2005 hat sie
    seien immer mehr Ärzte angestellt. Viele        um fast zwei Jahre zugenommen, in
    von ihnen wünschten sich eine bessere           Deutschland stagnierte sie in den vergange-
    Work-Life-­Balance und arbeiteten daher in      nen zehn Jahren weitgehend. Am längsten
    Teilzeit. Jeder vierte Arzt gab an, schon       leben in Europa Männer in der Schweiz mit
    einmal körperlich angegriffen oder physisch     82,1 Jahren und Frauen in Spanien mit
    bedroht worden zu sein.                         85,8 Jahren.
Wunsch Stationäre Versorgung: und - Heft 4 / 2018 Das Magazin der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung - MDS
Stationäre Versorgung:
Wunsch und Wirklichkeit
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                                         Qualität kommt von Qual

                                                                                                                                         mdk forum Heft 4 /2018
    Aus Sicht vieler Kliniken ist die Debatte um Qualitätssicherungsmaßnahmen vor allem ein
    Instru­ment, Standorte in Bedrängnis zu bringen. Entsprechend verhärtet sind bei dem Thema
    inzwischen die Fronten, die Selbstverwaltung gerät an ihre Grenzen. Immerhin: Die Quali­täts­
    offensive Kran­ken­haus kommt voran, wenn auch nur schleppend.

     vor langeweile fürchtet sich Prof. Dr. Elisabeth Pott, seit      Euro im Jahr 1991 auf knapp 88 Milliarden Euro in 2016. Kri­
     Juli unparteiisches Mitglied des Gemein­samen Bundesaus­         tiker des deutschen Kliniksystems sehen diese deutlich stei­
      schusses (g-ba), nicht. »Die Herausforderungen beim Aus­        genden Zahlen nicht in einem wirk­lichen medizinischen Be­
     bau der sektoren­übergreifenden Qualitätssicherung«, sagt        darf begründet, sondern vor allem im Anliegen der Betreiber,
      sie, »sind weiterhin so umfangreich und komplex, dass der       möglichst viele Fälle und damit Zuweisungen zu generieren.
     g-ba in der laufenden Legislaturperiode sehr gut damit be­       In der Folge werde zu viel operiert, und viel zu selten ambu­
      schäftigt ist«. Qualitätssicherung (qs) ist ihr Thema. Es       lant. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammen­arbeit
      nimmt in der Gesundheitspolitik der zurück­liegenden Jahre      und Entwicklung (oecd) etwa konstatierte 2014 einen im in­
     immer mehr Raum ein, entsprechend steigt die Frequenz der        ternationalen Vergleich niedrigen Stand ambulanter Opera­
     Arbeitsauf­träge an den g-ba. Vor allem die Kliniken stehen      tionen in Deutschland.
      dabei im Mittelpunkt. Doch hinter der Qualitätsdebatte
                           steht häufig eine viel grundsätzlichere        Erst einmal wird es teurer
Zu viele Kliniken, zu      Fragestellung: Gibt es in Deutschland
viele Behandlungen,        zu viele Kliniken, die für unzureichende        Das für die Kliniklandschaft prägendste Gesetzesprojekt
       zu hohe Kosten      Leistungen zu viel Geld bekommen?           der vergangenen Jahre war zweifelsohne das Krankenhaus­
                           Entsprechend reserviert reagiert man        strukturgesetz (khsg), das 2016 auf den Weg gebracht wurde
      daher bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (dkg)            und den g-ba beauftragte, die sogenannte »Qualitätsoffensi­
     ­inzwischen auf Qualitätsdebatten, während die Kassen­ärzt­       ve Krankenhaus« umzusetzen. Doch auch das khsg führte
      liche Bundesvereinigung (kbv) und der Spitzenverband der         zunächst erst einmal zu steigenden Kosten. Laut Berech­
      Gesetzlichen Krankenversiche­rungen (gkv-sv) immer ener­         nungen des Bundesgesundheits­minis­teriums fallen dieses
      gischer auf Strukturreformen drängen. Diese drei Akteure im     Jahr 2,2 Milliarden Euro zusätzlich an, nächstes Jahr 2,4 Milli­
     g-ba zusammenzubringen dürfte zu den »Herausforderun­             arden und 2020 sogar 2,5 Milliarden Euro. 90 % davon tragen
      gen« gehören, von denen Elisabeth Pott spricht.                  die gkv-Beitragszahler. Allerdings erhoffe man sich auch, so
                                                                       heißt es im Gesetz, eine Verringerung von Eingriffen, was die
        Mehr Behandlungen in weniger Kliniken                          Kostensteigerung etwas dämpfen könnte. Doch bis davon et­
                                                                       was zu spüren ist, dürfte es noch dauern.
        Die Kliniken haben in der Debatte einen wichtigen Punkt:           Einen Großteil der Aufgaben hat der g-ba bereits umge­
    Sie werden seit den frühen 90er Jahren kontinuierlich weni­        setzt. So liegen die Indikatoren für Quali­täts­abschläge und
    ger, aktuell gibt es 1942. Auch die Verweildauer ist seitdem      -zuschläge vor, die aber noch auf Anwendung warten. Und
    um etwa die Hälfte gesunken, auf mittlerweile 7,3 Tage. Al­        auch den ersten Bericht über die Ergebnisse von planungs­
    lerdings ist die Zahl der Krankenhausbehandlungen laut Sta­        relevanten Qualitätsindi­katoren hat der g-ba Ende Oktober
    tistischem Bundesamt seit 1991 um mehr als 30 % auf aktuell        veröffentlicht. »Es bleibt nun abzuwarten, wie die Lan­
    19,4 Millionen gestiegen. Doch schlägt sich die sinkende           desplanungs­behörden mit diesen Ergebnissen umgehen«,
    Zahl der Kliniken nicht in Einsparungen nieder. Laut Berech­       meint Elisabeth Pott. Soll heißen: Die Länder müssten dann
    nungen des Ersatzkassenverbandes stiegen die Kosten für            auch den Mut haben, schlechte Häuser vom Netz zu nehmen,
    die stationäre Versorgung von umgerechnet 37 Milliarden            mit dem Risiko, Kommunen (und Wähler) damit in helle Auf­
Wunsch Stationäre Versorgung: und - Heft 4 / 2018 Das Magazin der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung - MDS
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                         regung zu versetzen. Bislang gibt es Qualitätsergebnisse nur      Besonderen Handlungsbedarf gibt es demnach unter an­
                         für gynäkologische Opera­tionen, Geburtshilfe und Mamma­          derem in der Ge­burts­hilfe, bei Hüftendoprothesen und vor
                         chirurgie, aufbereitet in Form von schwer verdaulichen Ex­        allem auch bei der Dekubitusprophylaxe. Die Deutsche Kran­
                         cel-Tabellen. Das zum g-ba gehörende Institut für Quali­tät       kenhausgesellschaft (dkg) schloss aus dem Bericht, der nur
                         und Transparenz im Gesundheitswesen (iqtig) werde aber,           in 168 von 271 Indikationen keinen Handlungsbedarf kon­
                         so Pott, in Kürze beauf­tragt, ein »Qualitätsportal zu entwi­     statierte, indes, dass die Kliniken eine »herausragende Qua­
                         ckeln«, bei dem »besonderes Augenmerk auf allgemeinver­           lität« ab­lieferten.
                         ständliche Informationen« gelegt werde.
                                                                                              Gute Aussichten?
                            Regional statt sektoral
                                                                                               Mehr Qualität, mehr Personal und bessere Arbeitsbedin­
                              Ein grundsätzliches Problem für die Qualitätssicherung       gungen – auch mit dem Pflegepersonal-Stär­       kungsgesetz
                         sieht Prof. Dr. Matthias Schrappe in der Trennung des ambu­       (ppsg) soll künftig vieles besser werden. Es ver­spricht eine
mdk forum Heft 4 /2018

                         lanten und stationären Sektors. Für Schrappe, der an der Uni      bessere Personalaus­stattung und besse­
                         Köln unter anderem das Thema Patienten­sicherheit lehrt           re Arbeitsbedingungen in der Kranken- Mehr Qualität
                         und Mitglied des Sachverständigenrats Gesundheit war, gilt        und Altenpflege und zielt damit auf die     für Patienten
                         es vielmehr, »die Qualität der regional organisierten Versor­     Behebung des Fachkräftemangels und
                         gung zum Mittelpunkt zu machen«, zum Beispiel in Ärztenet­        die Qualitäts­ver­besserung der pflegerischen Versorgung. Die
                         zen. »Hier spielt die Musik der zukünftigen Versorgungsstruk­     Verbesserung der Pflege am Krankenbett für Patienten und
                         turen. Die Qualitäts­frage muss hier ihren Schwerpunkt set­       Pflegende ist ein richtiges und wichtiges Anliegen des Geset­
                         zen.« qs sei in Deutschland noch immer viel zu »tech­nisch        zes, findet auch der gkv-Spitzenverband. Allerdings würden
                         angelegt«. Statt Endergebnisse wie Mortalität und Komplika­       zentrale Probleme der stationären Versorgung damit nicht
                         tionsraten zu er­heben, sollte patientenorientiert gemessen       angegangen. Dazu zählen aus Sicht des gkv-sv eine nicht
                         werden – ob also etwa kontinuierliche Arzt-Patienten-Kon­         funktionierende Krankenhaus­     planung, die ungenügende
                                                takte stattfänden oder Arztbriefe zeitig   Investitionsfinanzierung der Länder sowie die im internatio­
                           Mehr Personal        genug verschickt würden. »Qualitäts­       nalen Vergleich sehr hohen stationären Verweildauern und
                             für die Pflege     sicherung richtet sich aus historischen    Fallzahlen. Der gkv-sv betont, dass der spürbare Mangel an
                                                Gründen viel zu sehr auf die operative     Pflegekräften im Kontrast zu der Tatsache stehe, dass die
                         Akutmedizin«, beklagt Schrappe.                                   Zahl der Beschäftigten in der Krankenpflege in Deutschland
                              Tatsächlich gibt es erst seit 2016 im Qualitätsreport des    weit über dem eu-Durchschnitt liege, sowohl was das Ver­
                         iqtig ein sektorenübergreifendes qs-Ver­fahren, und zwar          hältnis an der Bevölkerung als auch die Wachstumsrate be­
                         im Bereich der Herzkatheter. 2017 kam ein zweites hinzu,          trifft.
                         hier geht es um die Vermeidung nosokomialer Infektionen.              Um sich dem eu-Schnitt anzunähern – wo es fast aus­
                         Der Report für das Jahr 2017 wurde gerade veröffentlicht, für     nahmslos mehr Pflegekräfte pro Klinikpatient gibt und
                         eine Trendfeststellung bei der sektorenübergreifenden qs          durchgehend weniger Krankenhausbetten pro Einwohner –,
                         ist es deshalb noch viel zu früh.                                 kommt man hierzulande an einer deutlichen Ausdünnung
                              Von der Qualität der stationären Versorgung – hier gibt es   der Kliniklandschaft nicht vorbei. Das würde wohl nicht nur
                         24 qs-Verfahren – zeigt der Bericht ein durch­wachsenes Bild:     den Beitragszahlern nützen, sondern auch den Patienten.

                                                                                                                    Thomas Trappe ist Journalist und Buchautor.
                                                                                                                    Einer seiner Themenschwerpunkte ist die
                                                                                                                    Gesundheitspolitik.
                                                                                                                    trappe.tt@gmail.com
Wunsch Stationäre Versorgung: und - Heft 4 / 2018 Das Magazin der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung - MDS
S t a t i o n ä r e V e r so r g u n g : W u n s c h & W i r k l i c h k e i t
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                               Gleicher Preis für gleiche Leistung

                                                                                                                                    mdk forum Heft 4 /2018
    780 Seiten umfasst das Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwick-
    lung im Gesundheitswesen mit dem Titel »Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversor-
    gung«. Der Befund: Nach wie vor gibt es sowohl Unter-, Über- als auch Fehlversorgung in der
    medizinischen Versorgung.

    zu den altfällen gehört die Integrierte Versorgung, die             Rechenexempel Fallpauschalen
    die Sachverständigen seit gut 20 Jahren anmahnen. Die Fort­
    schritte seien minimal, beklagen sie. Noch immer gebe es             Deutliche Worte findet der svr auch für das Fallpauscha­
    ­eine unsichtbare hohe Mauer zwischen Kliniken und Praxen.       lensystem. Die Gutachter kritisieren falsche Anreize zur
    Ihr Vorschlag: Krankenhäuser, Krankenkassen und Ärzte            Mengenausweitung. Ihr Vorschlag: Kleine Kliniken auf dem
    sollten sich auf einen Katalog ambulanter Leistungen eini­       Land sollten mit Pauschalen für die Vorhaltung bedarfsnot­
    gen, die, unabhängig vom Ort des Eingriffs, ambulant und         wendiger Leistungen und Uniklinken für die Vorhaltung
    stationär gleich vergütet werden. Um die Verluste der Klini­     hoch spezialisierter Medizin honoriert werden. Vor mengen-
    ken klein zu halten, sollten die »Preise« anfangs über dem       anfälligen Operationen, die für Kliniken besonders attraktiv
    Einheitlichen Bewertungsmaßstab (ebm) liegen.                    sind, sollte immer erst die Zweitmeinung eines anderen Arz­
                                                                     tes eingeholt werden.
       Zu wenig Kooperation, zu viele Kliniken                           Das Gutachten widmet sich außerdem der Notfallversor­
                                                                     gung, die auch nach Ansicht des svr nicht bedarfsgerecht or­
        Enttäuscht äußern sich die Gutachter auch über den           ganisiert ist. Ihr Vorschlag: eine bundeseinheitliche Ruf­
    ­ ustand der 2012 eingeführten Ambulanten Spezialfachärzt­
    Z                                                                nummer und eine »Notfallversorgung aus einer Hand« mit
    lichen Versorgung (asv), die die sektorenübergreifende Ko­       Integrierten Leitstellen und Integrierten Notfallzentren an
    operation von Klinikärzten und niedergelassenen Fachärz­         ausgewählten Krankenhäusern, die gemeinsam von Kassen­
    ten im Bereich schwerer und seltener Erkrankungen exem­          ärztlicher Vereinigung und Krankenhaus getragen werden.
    plarisch voranbringen sollte. Sie kritisieren bürokratische
    Antragsverfahren und eine negative Grundstimmung bei
    Arzt- und Klinik-Verbänden, die dazu geführt habe, dass es
    nach wie vor keine asv-Gebührenordnung gibt und bislang
    nur acht der ursprünglich geplanten 25 Krankheiten vom Ge­
    meinsamen Bundesausschuss definiert wurden. Das Fazit
    des Gutachtens: »Gut konzipiert, aber schlecht umgesetzt.«
        Unverdrossen hält der Sachverständigenrat (svr) außer­
    dem an seinem Urteil fest, dass es zu viele Krankenhäuser
    gibt. Die Idee der Gutachter: Der Strukturfonds, der 2015 ein­
    geführt wurde, sollte die Schließung kleiner Häuser mit Still­
    legungsprämien forcieren. Die Finanzierung des Struktur­
    fonds will der svr komplett dem Steuerzahler übertragen. An­
    stelle des Gesundheitsfonds soll sich der Bund, zusätzlich zu
    den Ländern, beteiligen und im Gegenzug Mitsprache bei
    der Krankenhausplanung bekommen. Anstelle der Länder,
    die ohnehin säumige Zahler sind, sollen die Krankenkassen
    die Betriebs- und Investitionskosten übernehmen.
S t a t i o n ä r e V e r so r g u n g : W u n s c h & W i r k l i c h k e i t
                                                                                                                                                                                       9
                         Inter view mit Prof. Dr. Ferdinand M. Gerlach,     zwischen Berlin und Brandenburg) und bei der              forum Sie fordern vom Gesetzgeber
                         Vorsitzender des Sachverständigenrats zur           hoch spezialisierten Versorgung (etwa bei           neue Spielregeln für die sektorenübergreifen-
                         Begutachtung der Entwicklung im Gesund-            Transplantationen oder Zentren für seltene           de Versorgung, die so gestaltet sind, dass nie-
                         heitswesen                                         ­Erkrankungen) wäre mehr Abstimmung für              dergelassene Ärzte und Kliniken die Zusam-
                                                                             ­alle Beteiligten ein Vorteil.                      menarbeit nicht mehr blockieren können. Wie
                              forum Hätten Sie etwas gegen die fol-                forum Auch die Krankenkassen sollen           müssen diese Regeln aussehen?
                         gende saloppe Zusammenfassung (eines                bei der Klinikfinanzierung (Investitionen)               Gerlach Am Beispiel der Ambulanten
                         Teils) des SVR-Gutachtens: Es gibt noch im-         mehr Verantwortung und mehr Macht (über             Spezialfachärztlichen Versorgung konnte man
                          mer zu viele Krankenhäuser. Außerdem wird          Einzelverträge) bekommen. Erwarten Sie da-          beobachten, wie es nicht funktioniert. Hier
                         zu oft einzig aus Kostengründen operiert. Die        durch rigorosere Schließungen?                     haben sich die Selbstverwaltungspartner, zum
                          Konkurrenz zwischen Praxen und Kliniken                  Gerlach Wir schlagen – statt der jetzt,       Teil aus Angst vor der eigenen Courage, ge-
                          blockiert zudem jegliche Reformen.                  durch zu niedrige Investitionsquoten, bereits      genseitig blockiert. Wenn jetzt aber zum Bei-
                              Ferdinand M. Gerlach Das ist sehr              bestehenden »schleichenden« Monistik – eine         spiel ein Katalog von ambulant erbring­baren
                          pointiert formuliert, aber im Kern durchaus       »differenzierte Monistik« vor, bei der Kran-         Leistungen mit festen Hybridpreisen definiert
mdk forum Heft 4 /2018

                          richtig.                                           kenkassen kollektiv kontrahieren würden. Ein-       würde, die unabhängig vom Ort der Leistungs-
                              forum Was tun? Sie wollen die Schlie-         zelverträge mit über 100 zum Teil sehr klei-         erbringung gleich hoch sind, würden wir mit
                          ßung kleinerer Häuser über den Strukturfonds       nen Krankenkassen sind weder sinnvoll noch          größeren Schritten vorankommen. Andere
                          forcieren. Was sagen Sie zu dem Einwurf von        praktikabel. Wir erwarten, dass – zusammen          Regelungsbereiche wie eine integrierte Be-
                         DKG-Präsident Gaß, es gebe zwar regionale           mit einer an Qualitäts- und Zugänglichkeits-        darfsplanung benötigen mehr Zeit und Ener-
                         Überkapazitäten, aber immer mehr Patienten?         kriterien orientierten Rahmenplanung – dann         gie.
                              Gerlach Vorweg, kleinere Krankenhäu-            eine Konzentration auf leistungsstarke Klini-           forum War die Einführung der Fallpau-
                          ser im ländlichen Raum wollen wir, soweit          ken erfolgen würde und kleine, nicht bedarfs-       schalen ein Fehler?
                          diese bedarfsnotwendig sind, keineswegs            notwendige Kliniken geschlossen oder umge-               Gerlach Nein. Ihre heutige Ausgestal-
                          schließen. Es geht um nicht bedarfsnotwen-        wandelt werden können.                               tung erfordert allerdings dringend Korrektu-
                          dige Krankenhäuser. Diese liegen zumeist in              forum Nordrhein-Westfalen hat bereits         ren. Die DRGs haben zu mehr Transparenz ge-
                          Ballungszentren und haben oft eine geringe          angekündigt, dass man die Aufgabe der Da-          führt, sind inzwischen aber von einem eigent-
                          Betriebsgröße. Für die Qualität der Versor-         seinsvorsorge nicht abgeben werde. Haben           lich beabsichtigten Pauschalsystem zu einem
                         gung wäre ein Abbau von zweifellos vorhan-         Sie Signale aus anderen Ländern?                     umfassenden Einzelleistungssystem mit zu
                          denen Überkapazitäten und eine Konzentra-                Gerlach Diesen Reflex nehmen wir auch         starken Mengenanreizen geworden. Von 2003
                          tion auf Zentren mit hoher Expertise besser.       in anderen Ländern wahr. Wobei wir die Vor-         bis heute hat sich ihre Zahl auf aktuell 1292
                         Auch im internationalen Vergleich wird deut-        haltung notwendiger, aber im DRG-System             DRG s fast verdoppelt. Das DRG-System muss
                          lich, dass Deutschland zu viele Klinken hat, in    nicht wirtschaftlich erbringbarer Angebote          also neu ausgerichtet und in seinem zu ho-
                          denen, bezogen auf die Bevölkerung, sehr           beziehungsweise eine Daseinsvorsorge, etwa          hen Gewicht für die Klinikfinanzierung stär-
                         ­viele, zum Teil auch unnötige Eingriffe ausge-     im Rahmen der Notfallversorgung, sehr ge-           ker begrenzt werden.
                          führt werden.                                      nau im Blick haben und hier keinen Wider-
                              forum Was versprechen Sie sich von ei-          spruch zu unseren Vorschlägen erkennen
                          ner stärkeren Rolle des Bundes bei der Kran-       können.
                          kenhausplanung?                                          forum Die Integrierte Versorgung ist ein
                              Gerlach Der Bund könnte eine koordi-           Dauerbrenner. Sie ist erwünscht, aber wird
                          nierende Rolle einnehmen. Insbesondere in          nicht umgesetzt. Ist die ewige Blockade nicht
                          bundeslandübergreifenden Regionen (etwa             ermüdend?
                                                                                   Gerlach Ja, in der Tat geht es hier viel zu
                                                                             langsam voran. Es ist aber erfreulich, dass die
                                                                             negativen Folgen der strikten sektoralen Tren-
                                                                             nung in Deutschland zunehmend erkannt
                                                                            werden und die Politik gegensteuern will.
                                                                             Mehrere Vereinbarungen im Koalitionsvertrag
                                                                              der Bundesregierung, unter anderem die Ein-
                                                                              setzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe,
                                                                            zielen auf eine Überwindung der Mauer zwi-
                                                                              schen den Sektoren. Es gibt also noch Hoff-
                                                                             nung.

                                                                                                                                         Gabi Stief hat viele Jahre als Hauptstadt-
                                                                                                                                         korrespondentin für die Hannoversche
                                                                                                                                         Allgemeine Zeitung geschrieben und arbeitet
                                                                                                                                         als freie Journalistin in Hannover.
                                                                                                                                         gabi-stief@gmx.de
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                                Fallpauschalen: Rechnet sich das?

                                                                                                                                             mdk forum Heft 4 /2018
     Lege artis – nach den Regeln der ärztlichen Kunst mögen Mediziner praktizieren. Von den Re-
     geln der Marktwirtschaft ist nicht die Rede. Zunehmend wächst aber der Vorwurf, Behandlun-
     gen im Krankenhaus orientieren sich eher an ökonomischen Anreizen als am Patientenwohl.
     Großen Anteil daran habe das DRG-System.

                                                                       Lag die durchschnittliche Verweildauer eines Krankenhaus­
                                                                       aufenthaltes 2005 noch bei 8,6 Tagen, ist das Niveau mehr als
                                                                       10 Jahre später in 2017 auf 7,3 Tage gesunken, meldet das
                                                                       Statistische Bundesamt. Allerdings gehe diese Entwicklung
                                                                       nicht ursächlich auf das drg-System zurück, so die langjäh­
                                                                       rige Forschungsgruppe um Prof. Dr. Norbert Roeder von der
                                                                       Uniklinik Münster. Die Verkürzung der Verweildauern wurde
                                                                       laut seinen Analysen mehr durch den medizinischen Fort­
                                                                       schritt als durch die Fallpauschalen getrieben und habe
                                                                       schon vor 2004 begonnen. Allgemein sprechen die Experten
                                                                       der drg-Research-Gruppe dem System aber zu, es sei besser
                                                                       als sein Ruf. Die beobachtende Begleitforschung hat bis heute
                                                                       keine Hinweise ergeben, dass die Fallpauschalen die Qualität
                                                                       der Versorgung in relevanten Punkten verschlechtert hat.

     leistungen im krankenhaus werden hierzulande seit                    Ökonomisierung der Medizin?
     fast 15 Jahren als Fallpauschalen und Zusatzentgelte vergü­
     tet. Die Krankenkassen zahlen nicht mehr pro Tag für beleg­          Die mit den Fallpauschalen auf die Krankenhäuser über­
     te Betten, sondern nur noch für Leistungspakete – Fallgrup­       tragene Kostenverantwortung wird jedoch zunehmend mo­
     pen, die sich aus einzelnen Diagnosen und Leistungsschlüs­        niert. In der öffentlichen Diskussion manifestiert sich der
     seln nach dem System der Diagnosis Related Groups (DRG s)         Eindruck, Wettbewerb und Kosteneffizienz stünden über
     zusammensetzen. Damit wird die Behandlung jeder Krank­            dem Patientenwohl. Dies stützt eine qualitative Studie der
     heit genormt. Die diagnosebasierte Eingruppierung beruht          Universität Bremen aus dem vergangenen Jahr. Eine Befra­
     auf der Erkenntnis, dass 80 % aller Krankheiten vergleichbar      gung in deutschen Krankenhäusern ergab, dass mitunter un­
     therapiert werden.                                                nötige Eingriffe empfohlen werden. Patienten würden ohne
                                                                       medizinischen Grund im Krankenhaus behandelt. In Inter­
        DRG-System besser als sein Ruf ?                               views und Diskussionen gaben die befragten Ärzte und Kli­
                                                                       nikgeschäftsführer an, dass Entscheidungen über Aufnah­
         Das drg-System ist prospektiv. Es legt die Vergütungshö­      me, Behandlungsart und Entlassung eines Patienten ohne
     he fest, bevor die Leistung erbracht wird. Damit liegt das Kos­   Kostendruck häufig anders ausfallen würden. Hieraus erklä­
     tenrisiko bei den Krankenhäusern. Das schafft den Anreiz,         ren sich womöglich auch medizinisch nicht begründbare Zu­
     die Kosten der Behandlung so gering wie möglich zu halten,        nahmen bestimmter Operationen oder fragwürdige regiona­
     zum Beispiel über eine möglichst kurze Verweildauer. Tages­
     gleiche Pflegesätze verleiteten vor Einführung der Fallpau­
                                                                                              Mandy Paraskewopulos-Ostwald ist Referentin
     schalen zu möglichst langen Aufenthalten und führten im                                  Fachbereich Personal / Recht / Kommunikation
     internationalen Vergleich zu extrem langen Verweildauern.                                beim MDK Sachsen-Anhalt.
                                                                                              mandy.paraskewopulos@mdk-san.de
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                                                                                                                                                                     11
                         le Versorgungsunterschiede bei einzelnen Leistungen. Die                  Zeit für ein neues System?
                         Entfernung der Gaumenmandeln bei Kindern und Jugendli­
                         chen beispielsweise ist die häufigste Leistung der hno-Ab­                 Jüngst eröffnete der Leiter des Instituts für das Entgelt­
                         teilungen in Deutschland. Die vollstationäre Operation wird            system im Krankenhaus (inek) Frank Heimig seine Ausfüh­
                         je nach Wohnort unterschiedlich oft durchgeführt. Der Fak­             rungen zur g-drg Weiterentwicklung 2019 mit den Worten:
                         tencheck Mandeloperation der Bertelsmann Stiftung 2013                 »Kritisieren Sie das drg-System, solange Sie es noch haben.«
                         hat Unterschiede bei den op-Zahlen bis zum Achtfachen                  Schließlich hat die Große Koalition mit der Ausgliederung
                         festgestellt. Die verfügbaren Daten lassen es jedoch bisher            der Pflegekosten aus den Fallpauschalen jüngst erheblich
                         nicht zu, solche Versorgungsunterschiede in einen direkten             ins System eingegriffen. Ausreichend sei das nicht, so der
                         Zusammenhang mit dem drg-System zu bringen. Varianzen                  Marburger Bund. Die gewerkschaftliche, gesundheits- und
                         können auch durch fehlende Leitlinien oder bestehende Ver­             berufspolitische Interessenvertretung aller angestellten und
                         sorgungsstrukturen bedingt sein. Einigkeit findet sich in al­          beamteten Ärzte in Deutschland fordert aktuell eine grund­
                         len Diskussionen um die aktuelle Vergütungssystematik                  legende Reform der Fallpauschalenvergütung, denn der be­
                         aber darüber, dass die Schere zwischen Über- und Unterver­             triebswirtschaftliche Druck fördere schlechte Arbeitsbedin­
mdk forum Heft 4 /2018

                         sorgung durch erlösorientierte Fehlanreize weiter aufklappt.           gungen und den Abbau von Personal zulasten der Patienten­
                             Die Wahl des Behandlungsverfahrens nach ökonomi­                   versorgung. Eine gänzliche Abwendung von Fallpauschalen
                         schen und nicht nach medizinischen Kriterien spielt nach               lehnt ein Großteil der Akteure im Gesundheitswesen aller­
                         Einschätzung vieler Experten auch in der Geburtshilfe eine             dings ab. Der gkv-Spitzenverband beispielsweise sieht eher
                         große Rolle. Vereinfacht gesagt gilt: Je komplizierter eine Ge­        die Krankenhausplanung und Investitionsfinanzierung kri­
                         burt desto höher die Vergütung. Eine komplikationslose na­             tisch. Klar scheint bei aller Diskussion lediglich eines: Frei
                         türliche Entbindung ist wirtschaftlich nicht unbedingt das             von Fehlanreizen ist kein Vergütungssystem. Bleibt also die
                         beste Los einer Klinik. Unweigerlich drängt sich der Ver­              Frage nach einer Alternative, die vor allem jenen zugute­
                         dacht auf, dass der Anstieg von operativen Eingriffen in der           kommt, die es zu schützen gilt: den Patienten.
                         Geburtshilfe kein Zufall ist. Jede dritte Frau in Deutschland
                         bringt ihr Kind mittlerweile per Kaiserschnitt zur Welt.

                         Prof. Dr. Reinhard Busse, Professor für Management                         Wo müsste eine Reform ansetzen?
                         im Gesundheitswesen an der TU Berlin                                       Wir sollten unsere Krankenhausversorgung komplett neu aus-
                                                                                                richten. Orientierungspunkte sind für mich: Bettenabbau um 40 %,
                              oran krankt die stationäre Versorgung
                             W                                                                  aber alle Betten in vernünftig ausgestatteten Krankenhäusern, Re-
                             in Deutschland?                                                    duktion der Fallzahlen um 30 %, Verbesserung der Personal-Patien-
                             Zuallererst krankt sie an der hohen Krankenhaus- und Betten-       ten-Relation um 50 % und damit eine spürbare Qualitätsverbesse-
                         dichte, die mit vielen kleinsten und kleinen Krankenhäusern und        rung (de facto ein Beibehalten des heutigen klinischen Personals,
                         häufig unzureichender medizintechnischer und personeller Aus-          aber für weniger Patienten bzw. Patiententage). Wenn das zu radi-
                         stattung zu steigenden Fallzahlen und drei zusammenhängenden           kal klingt: Wir würden uns gerade mal in Richtung heutiger EU15-
                         Problemen führt: zu viele Patienten, die oft in personell und tech-    Schnitt bewegen. Schweden, Norwegen, Spanien oder Dänemark
                         nisch nicht adäquat ausgestatteten Krankenhäusern behandelt            hätten immer noch weniger Fälle und eine bessere Pflegekraft-Pa-
                         werden, wobei das Betreuungsverhältnis Personal pro Patient sehr       tienten-Relation. Auch das Gegenargument, dass dies die Versor-
                         niedrig ist. Zwar ist inzwischen bekannt, dass Deutschland beson-      gung auf dem Land gefährden würde, zieht nicht: Viele der zu
                         ders viele akute Krankenhausbetten hat, weniger bekannt ist aller-     schließenden Krankenhäuser sind in Ballungszentren.
                         dings, dass der Bettenabbau in der Vergangenheit bei uns weniger
                         stark war als anderswo. Dadurch hat sich der Abstand zum EU15-              rauchen wir (dafür) ein neues
                                                                                                    B
                         Mittelwert von + 45 % auf + 65 % vergrößert. 2017 verfügten von den        Finanzierungssystem?
                         1329 akuten Plan-Krankenhäusern 61 % über keine Koronarangio-              Jedes Vergütungssystem hat Vor- und Nachteile, insofern er-
                         graphie, 31 % über keinen Computer-Tomographen und 19 % hatten         scheint eine komplette Umstellung nicht zielführend. Aber es gibt
                         kein einziges Intensivbett. Wie Patienten in diesen Häusern diag-      viele änderungsbedürftige Punkte. Zum Beispiel ist es für Kranken-
                         nostiziert und therapiert werden, bleibt ein Rätsel. Diskutiert wer-   häuser finanziell zu attraktiv, Patienten aus den Notaufnahmen
                         den sollte auch, warum steigende Fallzahlen (+ 30 % in 20 Jahren)      stationär aufzunehmen – die Notaufnahmen sollten also über Bud-
                         aufgrund von Demografie, neuen Behandlungsmethoden und Pa­             gets finanziert werden. Und für Kurzlieger bräuchten wir 24- oder
                         tientenerwartungen für gerechtfertigt gehalten werden, obwohl sie      48-Stunden-Beobachtungs-DRGs mit Relativ­gewichten von zum
                         im gleichen Zeitraum im EU15-Schnitt konstant geblieben sind (in       Beispiel 0,1 und 0,2. Eine weitergehende stationäre Behandlung
                         Dänemark sind sie sogar um 30 % gesunken). Die hierzulande nied-       müsste dann der MDK regelhaft über­prüfen.
                         rige Personalausstattung pro Patient, insbesondere beim Pflege-
                         personal, wird vor allem durch die hohen Fallzahlen erklärt, wäh-
                         rend wir pro Kopf der Bevölkerung mehr Pflegekräfte im Kranken-
                         haus haben als zum Beispiel die Niederlande.
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                                                                                                      Aufgaben des MDK

                                Den Blick auf Qualität und Kosten

                                                                                                                                        mdk forum Heft 4 /2018
      Bei der Krankenhausversorgung hat der MDK zwei Aufgaben, die sich zu widersprechen schei-
      nen: Er prüft Rechnungen hinsichtlich einer korrekten Abrechnung und er kontrolliert Qualität.
      Bei fehlender Systemkenntnis könnte man vermuten, dass damit bestenfalls die beste Behand-
      lungsqualität fürs wenigste Geld erreicht werden soll. Doch diese Rechnung geht nicht auf.

      krankenhausbehandlungen werden in Deutschland                      In Zahlen – am Beispiel
      seit 2004 mit einer einheitlichen Pauschale für vergleichbare
      Behandlungsfälle vergütet: Jedes Krankenhaus erhält zum             Dass all dies nicht ausreicht, um die korrekte Abrech­
      Beispiel für eine Blinddarmentfernung ohne Komplikatio­         nung von Krankenhausbehandlungen sicherzustellen, son­
      nen denselben Preis (Fallpauschale). Die Höhe dieser Preise /   dern die Überprüfung der Rechnungen durch den mdk not­
      Erlöse wird aus einer großen repräsentativen Stichprobe von     wendig ist, zeigt der Blick in die Zahlen: Im Jahr 2017 hat der
      zurückliegenden Behandlungsfällen und deren dokumen­            mdk insgesamt 2,8 Millionen Einzelfälle aus dem Bereich
      tierten Kosten ermittelt. Diese Erlöse entsprechen daher        Krankenhausleistungen bearbeitet. Dabei geht es überwie­
      nicht dem Wunschdenken der Kostenträger, sondern der Re­        gend um die Überprüfung von Abrechnungen. Aber auch Fra­
      alität in der Leistungserbringung.                              gen danach, ob die stationäre Behandlung eines Patienten
                                                                      überhaupt erforderlich war, ob die Verweildauer angemes­
          Richtig (ab)gerechnet?                                      sen war und ob die Kodierung der gestellten Diagnosen und
                                                                      der erbrachten Leistungen korrekt war, muss der mdk be­
          Welche Fallpauschale im konkreten Fall abgerechnet          antworten. Die Abrechnungsprüfungen zeigen, dass in jeder
      wird, ermitteln die Krankenhäuser über die Verschlüsse­         zweiten geprüften Rechnung Korrekturbedarf gesehen wird.
      lung / Kodierung von Diagnosen und Behandlungsprozedu­          Das reduziert den Rechnungsbetrag um durchschnittlich
      ren. Dabei gelten die Regeln der Fallpauschalenverein­          1000 Euro.
      barung (fpv) und der Deutschen Kodierrichtlinien (dkr).             Korrekturbedarf ergibt sich in der Regel in vier Bereichen:
      Die Einhaltung dieser Regeln schützt die Krankenkassen          Das sind neben fehlerhaften Mengenangaben – zum Beispiel
      und ihre Mitglieder vor ungerechtfertigten Ausgaben und         von Beatmungsstunden oder teuren Medikamenten – auch
                           die Krankenhäuser untereinander vor        unwirtschaftliche Fallführungen. So werden häufig Patien­
     Rechnet sich das?     Vorteilsnahmen von Mitbewerbern auf        ten, bei denen ein kleiner operativer Eingriff durchgeführt
                           dem nicht unkomplizierten Kranken­         werden soll (z. B. op bei Leistenbruch), bereits einen Tag vor
      hausmarkt. Somit müssten alle Seiten ein Interesse an kor­      der op stationär aufgenommen, ohne dass dies medizinisch
      rekten Krankenhausabrechnungen haben. Umso mehr er­             erforderlich ist. Nicht selten werden auch die Kodierricht­
      staunt es, dass die Abrechnungsprüfung von der Kranken­         linien missachtet, insbesondere bei sogenannten konkurrie­
      hausseite immer wieder in Misskredit gebracht und verur­        renden Hauptdiagnosen. Zum Beispiel bei einem Patienten
      teilt wird.                                                     mit Hirnblutung und Kieferbruch: Wurde die Hirnblutung
          Bei der Prüfung der korrekten Abrechnung von Kranken­       per Computertomografie zwar diagnostiziert, war aber klein
      hausleistungen geht es um die Frage, ob die von der Selbst­     und musste nicht behandelt werden, während der Kiefer­
      verwaltung konsentierten Abrechnungsregeln eingehalten          bruch aufwendig operiert wurde, dann ist der Kieferbruch
      werden; es geht nicht um einen Preisfindungsprozess. Die        die Hauptdiagnose, die Hirnblutung die Nebendiagnose.
      Abrechnungsregeln sind bekannt, ebenso das Wirtschaft­          Würden beide Diagnosen bei der Abrechnung vertauscht,
      lichkeitsgebot des §12 sgb v als Verpflichtung für alle am      wäre die Rechnung deutlich höher. Schließlich finden die
      System Beteiligten.                                             mdk-Prüfer viele andere Fehler, zum Beispiel schwere aller­
                                                                      gische Hautreaktionen, die als Verbrennung kodiert werden,
mdk forum Heft 4 /2018
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                         kleine operative Eingriffe, die mit falschem Prozedurenkode     Entwicklung sinnvoller und funktionierender Qualitätssiche­
                         als große Operationen abgerechnet werden, Medikamente,          rungsmaßnahmen beteiligt.
                         die der Patient nie bekam.                                          Die besondere Wertschätzung dieser g-ba-Qualitäts-
                             Die mdk-Prüfungen sollen bundesweit nach gleichen           Richt­linien durch Politik und Gesetzgeber wurde Ende 2015
                         Maßstäben erfolgen. Daher erarbeitet die Sozialmedizini­        durch mehrere Regelungen im Krankenhausstrukturgesetz
                         sche Expertengruppe »Vergütung und Abrechnung« der              (khsg) deutlich. Das Gesetz will die Krankenhausplanung
                         mdk-Gemeinschaft (seg 4) unter anderem Begutachtungs­           und die Vergütung stationärer Leistungen stärker daran bin­
                         anleitungen und -hilfen sowie die öffentlich zugänglichen       den, dass die Kliniken bestimmte Qualitätsanforderungen
                         seg 4-Kodierempfehlungen.                                       erfüllen. Beschlossen wurde, die Kontrollen der Richtlinien
                                                                                         durch den mdk zu fördern und Konsequenzen bei Nichtein­
                            Qualität auf dem Prüfstand                                   haltungen von Qualitätsanforderungen einzuführen.
                                                                                             Qualitätsrichtlinien des g-ba für die Krankenhäuser gibt
                             Auch Qualitätsnormen bedürfen Kontrollen, um ihre           es schon lange. Auch mdk-Prüfungen in Kliniken finden be­
                          durchgängige Einhaltung zu gewährleisten – leider, wobei       reits heute statt, jedoch in unterschiedlicher Intensität in
                          der Begriff der Qualitätsnorm in der Krankenhausbehand­        den Bundesländern und ohne gesetzliche Verpflichtung.
                         lung nicht durchgehend klar definiert ist. Der Anspruch auf     Neu ist, dass die mdk-Qualitätskontrollen zukünftig bun­
                          eine qualitativ hochwertige Krankenbehandlung wird be­         desweit auf einer einheitlichen gesetz­
                         reits in den Berufsordnungen der beteiligten Berufsgruppen      lichen Grundlage durchgeführt werden        Auch Qualität
                         formuliert. Die Erarbeitung von Behandlungsleitlinien dient     können, wenn Krankenhäuser bestimm­ wird geprüft
                          diesem Ziel ebenso wie die vielfältigen Aus-, Fort- und Wei­   te Auffälligkeiten in den Qualitätsas­
                         terbildungsmaßnahmen für Ärztinnen und Ärzte sowie für          pekten aufweisen. Wollen Kliniken bestimmte Behandlun­
                         Pflegende.                                                      gen durchführen, zum Beispiel in der Kinderonkologie, müs­
                             Bestimmte Leistungen dürfen nur dann zu Lasten der          sen sie Mindeststandards zu Anzahl und Qualifikation des
                         ­gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, wenn         Personals sowie technischer Ausstattung erfüllen. Gibt es
                          definierte Qualitätskriterien eingehalten werden. Während      konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sie solche oder andere
                          sich im ambulanten Bereich die Kassenärztlichen Vereini­       Qualitätsanforderungen des g-ba nicht einhalten, kann der
                          gungen um die Einhaltung von Qualitätsnormen kümmern,          mdk von den gesetzlichen Krankenkassen, vom g-ba oder
                         werden nur im Krankenhausbereich die Qualitätskriterien         von Qualitätssicherungsgremien auf Bundes- und Landes­
                          durch die Kostenträger geprüft – konkret durch einen Prüf­     ebene den Auftrag erhalten, zu prüfen.
                          auftrag der Krankenkasse an den mdk.                               Verstößt ein Krankenhaus gegen die Qualitätsvorgaben,
                             Sind Qualitätsnormen in Komplexkodes des Operatio­          müssen Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung ergriffen
                         nen- und Prozedurenschlüssels (ops) definiert, kann ihre        werden. Andernfalls drohen Konsequenzen wie zum Beispiel
                         Einhaltung nicht grundsätzlich geprüft werden, da bis heute     die Minderung der Vergütung.
                          eine gesetz­liche Grundlage dafür fehlt.                           Die mdk-Qualitätskontrollen werden das Aufgabenspek­
                                                                                         trum des mdk auf einem für die Versicherten relevanten Ge­
                            Mit hoher fachlicher Expertise                               biet erweitern. Eine hochwertige Qualität der medizinischen
                                                                                         Versorgung wird nicht weiterhin nur postuliertes Ziel aller
                            Wesentlicher Normgeber für Qualität im deutschen Ge­         Systembeteiligten sein, sondern sich zunehmend auch ge­
                         sundheitswesen ist der Gemeinsame Bundesausschuss (g-ba),       prüft darstellen oder – wo nötig – sanktionieren lassen.
                         der Qualitäts-Richtlinien für alle Leistungsbereiche des Ge­
                         sundheitswesens erarbeitet und beschließt. Die »Bank« der
                         gkv wird hierbei vom Kompetenz-Centrum Qualitätssiche­
                         rung und Qualitätsmanagement (kcq) der mdk-Gemein­
                                                                                                                  Dr. Annette Busley
                         schaft beraten und unterstützt. Somit sind mdk-Experten                                  leitet den Bereich »Medizinische
                         nicht nur an der Kontrolle, sondern auch maßgeblich an der                               Versorgung« beim MDS.
                                                                                                                  a.busley@mds-ev.de
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