Neukölln Unlimited Dossier - Bundeszentrale für politische Bildung

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Neukölln Unlimited Dossier - Bundeszentrale für politische Bildung
Dossier
   Neukölln Unlimited

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Neukölln Unlimited Dossier - Bundeszentrale für politische Bildung
Dossier: Neukölln Unlimited (Erstellt am 26.05.2021)                                              2

Einleitung
Die Geschwister Lial, Hassan und Maradona Akkouch wachsen in Berlin-Neukölln auf, ihre Jugend ist
geprägt von der Leidenschaft für Breakdance und Musik. In ihrem Dokumentarfilm "Neukölln Unlimited"
aus dem Jahr 2010 begleiten Agostino Imondi und Dietmar Ratsch die selbstbewussten jungen
Neuköllner und erzählen von ihrem Alltag - einem Alltag, der nicht nur vom großen Traum einer
Tanzkarriere bestimmt wird, sondern auch vom Kampf der Familie für ihr Bleiberecht. Denn seit über
sechzehn Jahren leben die aus dem Libanon stammenden Akkouchs ohne sicheren Aufenthaltsstatus
in Deutschland.
Die bpb veröffentlicht "Neukölln Unlimited" hier ergänzt um Informationen und Hintergrundtexte. Das
Dossier sensibilisiert für wichtige Fragen in den Themenfeldern Migration, Asyl, Bildung und
Jugendkultur.

  (http://www.bpb.de/mediathek/191918/neukoelln-unlimited)

FSK (http://www.fsk.de/AltersstufenKennzeichen): ohne Altersbeschränkung. Dokumentarfilm aus
dem Jahr 2010.

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Inhaltsverzeichnis

 1.        Heimat auf Abruf – eine Filmbesprechung                       4

 2.        Videointerview mit Hassan Akkouch                             8

 3.        Interview mit den Regisseuren von "Neukölln Unlimited"        12

 4.        Zukunftsperspektive "Supertalent"?                            15

 5.        Ortsbesuch auf dem Campus Rütli – ein Rundgang                21

 6.        Zwischen Flucht und Einwanderung                              27

 7.        Meinung: Leben ohne sicheren Aufenthaltstitel                 35

 8.        Migrationspolitik – immer in Bewegung                         41

 9.        "Pro Palestine" – Palästina als Metapher unter Jugendlichen   47

 10.       Hip-Hop und B-Boying – ein kurzer Überblick                   51

 11.       Neukölln Unlimited: Arbeitsblatt und Unterrichtsvorschläge    54

 12.       Redaktion                                                     61

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Heimat auf Abruf – eine
Filmbesprechung
Von Luc-Carolin Ziemann                                                                                          14.8.2014
 Luc-Carolin Ziemann, geb. 1976, hat Kultur-, Medien- und Politikwissenschaften studiert. Sie ist als Kuratorin, Autorin und Dozentin
 tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Dokumentar-, Experimental- und Kurzfilm sowie zeitgenössische Kunst.

Abseits der gängigen Klischees erzählt der Dokumentarfilm "Neukölln Unlimited" vom echten
und keinesfalls alltäglichen Leben dreier Jugendlicher, die um das Bleiberecht ihrer Familie in
Deutschland und um ihr eigenes Leben kämpfen. Mit seinen Ausflügen in die Hip-Hop und
Breakdance-Szene vermittelt er auf authentische Weise die Lebensbedingungen vieler
Jugendlicher aus der zweiten und dritten Migrantengeneration.

Die Geschwister Lial (19), Hassan (18) und Maradona (14) Akkouch sind im multikulturell geprägten
Berliner Bezirk Neukölln groß geworden. Sie haben dort viele Freunde und Bekannte und fühlen sich
in Berlin zu Hause. Doch obwohl die Familie seit fast 18 Jahren in Deutschland lebt und vier der
insgesamt sechs Geschwister hier geboren wurden, wird Ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft
verwehrt. Ihr Aufenthaltsstatus ist prekär. Was genau das bedeutet, weiß die Familie Akkouch
spätestens seit sie im April 2003 in einer Nacht- und Nebelaktion in den Libanon abgeschoben wurde –
ein Land, mit dem zumindest die Kinder keinerlei Verbindung haben. Zwar konnten die Akkouchs nach
Deutschland zurückkehren, aber seitdem leben sie Tag für Tag mit der Angst vor der erneuten
Abschiebung.

Trotzdem scheint es Lial, Hassan und Maradona gelungen zu sein, sich in die deutsche Gesellschaft
integriert zu haben. Alle drei Geschwister sind begabt im Tanz. Sie haben sich als Tänzerin und Tänzer
auch über die Grenzen Berlins hinaus einen Namen gemacht. Breakdance und Hip-Hop sind ihre
Sprache und ihre Leidenschaft – und gleichzeitig ein Ventil, um Druck abzulassen. Lial absolviert zur
Zeit der Filmaufnahmen eine kaufmännische Lehre. Hassan ist dabei, sein Abitur zu machen. Beide
verdienen nebenher Geld als Tänzer in verschiedenen professionellen Ensembles und engagieren
sich außerdem sozial, indem sie andere Jugendliche und Kinder im Breakdance unterrichten. Auch in
der Familie übernehmen sie einen großen Teil der Verantwortung, denn ihre Eltern leben getrennt.
Ihre Mutter ist vollauf mit der Versorgung der kleinen Geschwister beschäftigt und von der
Kommunikation mit den Behörden überfordert.
Der 14-jährige Maradona steht seinen Geschwistern zwar auf der Tanzfläche in nichts nach, hat aber
jenseits des Parketts immer wieder Probleme. Er wird wiederholt von der Schule suspendiert – einmal
wegen Mitführen eines Messers – und bekommt erste Strafanzeigen. Er steht stellvertretend für viele
Jugendliche, denen es schwer fällt, Hierarchien und Autoritäten zu akzeptieren.

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Ein Leben im Ausnahmezustand
Hassan, Lial und Maradona stehen Tag für Tag vor Anforderungen, die nur wenige gleichaltrige
Deutsche meistern müssen. Seit ihrer Geburt führen sie ein Leben im Ausnahmezustand. Ihr
ungesicherter Aufenthaltsstatus in Deutschland führt dazu, dass jedes persönliche Fehlverhalten die
Sicherheit der gesamten Familie gefährden kann. Die Folge wäre eine erneute Abschiebung, vor der
sich alle Familienmitglieder fürchten. Jedes Familienmitglied reagiert darauf auf seine Weise.
Maradona, der gerade mitten in Pubertät steckt, lehnt sich gegen Autoritäten auf. Er bringt sich und
die Familie immer wieder in Schwierigkeiten. Lial und Hassan agieren dagegen extrem
verantwortungsbewusst. Sie versuchen, die Rolle des abwesenden Vaters zu übernehmen und die
Familie finanziell und sozial zu stützen. Dabei geraten sie sogar in ein ernsthaftes Konkurrenzverhältnis
untereinander. Beide wetteifern damit um eine Position, die sie – nicht nur angesichts ihres Alters –
kaum ausfüllen können, die aber für Migrantenkinder der zweiten und dritten Generation typisch ist
[1]: sie übernehmen Verantwortung und eine Mittlerfunktion für die ältere Generation.

Tatsächlich haben sie kaum eine andere Wahl, denn für sie gibt es keine andere Heimat als
Deutschland. Den Libanon kennen sie nur von wenigen Besuchen, statt Arabisch sprechen sie Deutsch
mit Berliner Akzent. Wer von Ihnen fordert, sich zu integrieren, der übersieht, dass sie längst Teil dieser
Gesellschaft sind. Dies wird nicht zuletzt dadurch unterstrichen, wenn das Filmteam die Geschwister
im Jugendzentrum beim Training zeigt. Hier sind sie wichtige Bezugspersonen für die Jüngeren, die
ihnen mit Respekt begegnen. Noch deutlicher wird die Diskrepanz zwischen ihrer prekären rechtlichen
Lage und ihrer guten sozialen Verankerung bei ihren umjubelten Auftritten. Plötzlich sind sie, die Tage
vorher noch als Bittsteller in der Asylbehörde mit bangem Herzen auf die Verlängerung ihrer
Aufenthaltsgenehmigung gewartet haben, die umjubelten Stars auf dem roten Teppich. Trotzdem
warten sie noch immer darauf, endlich das sogenannte "Kartoffelfest" feiern zu können, bei dem die
Erteilung der deutschen Staatsbürgerschaft mit einem (vermeintlich typisch deutschen) Menü voller
Kartoffelspeisen gefeiert wird.

Wie man ein Lebensgefühl durch filmische Mittel transportiert
Für Lial, Hassan und Maradona ist das Tanzen ein zentraler Aspekt ihres Lebens. Nur die
Tanzengagements ermöglichen es Ihnen, die Familie neben Schule und Ausbildung so weit finanziell
zu unterstützen, dass sie wieder einige Zeit länger geduldet werden. Auf der Bühne werden die
Geschwister sichtbar, obwohl ihnen die Gesellschaft am liebsten gar keinen Platz einräumen will. Das
Tanzen gibt ihnen die Kraft zum Durchhalten und die Energie, jeden Tag wieder aufzustehen. Und
ganz nebenbei sorgen Hip-Hop und Breakdance dafür, dass auch der Film selbst einen gehörigen
Energieschub bekommt.

Mehrfach werden Breakdance-Battles dokumentiert, bei denen Hassan und Maradona allein oder im
Team gegen andere Tänzer antreten. Bei diesen Wettkämpfen gilt es, den oder die Kontrahenten durch
die eigene Darbietung zu übertrumpfen, sei es durch die Choreographie, das akrobatische Können,
aber auch durch geschickt gesetzte Überlegenheitsgesten. Nicht von ungefähr erscheinen die Battles
in "Neukölln Unlimited" wie eine Metapher für den alltäglichen Kampf der Akkouch-Geschwister um
die Anerkennung durch die deutsche Gesellschaft.

Die Kamera bleibt immer nah an den Hauptpersonen, wird teilweise auch direkt zum Gesprächspartner.
Dadurch werden die Zuschauer unmittelbar angesprochen und eingebunden. Nur selten kommt ein
Stativ zum Einsatz, normalerweise wird aus der Hand bzw. von der Schulter gedreht, was dem Film
eine gewisse Dynamik verleiht, in manchen Szenen aber auch ein wenig an ein Home-Movie erinnert.
Dieser Effekt dürfte gewollt sein, gelingt es den Regisseuren doch auf diese Weise, die Zuschauenden
ganz ohne Berührungsängste in den Neuköllner Haushalt der Familie mitzunehmen. Damit schaffen
sie einen seltenen Einblick in eine vermeintliche Parallelwelt, die bei näherer Betrachtung genauso
funktioniert wie die eigene: alle treffen sich in der Küche, keiner will freiwillig staubsaugen und wenn
Maradona bei "Deutschland sucht den Superstar" auftritt, klebt die ganze Familie vorm Fernseher.

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Die Regisseure Agostino Imondi und Dietmar Ratsch setzen im Verlauf des Films weitere künstlerische
Akzente, die genau auf den Grundton den Films abgestimmt sind. So illustrieren sie die teilweise
traumatischen Erinnerungen der Protagonisten an die Abschiebung mit zurückhaltenden
Animationssequenzen in einem farblich reduzierten Graffiti-Stil, um für die Zuschauerinnen und
Zuschauer erfahrbar und begreiflich zu machen, was die Kamera nicht dokumentieren konnte. Mit
Hilfe der Animationssequenzen und Hassans eindrücklicher Worte gelingt es, spürbar zu machen, was
eine Abschiebung tatsächlich bedeutet. Da die Graffitikunst eng an die Hip-Hop- und Breakdance-
Kultur angekoppelt ist, lag der Rückgriff darauf nahe.

Für die Filmmusik ließen sich die Komponisten nicht nur von vom Hip-Hop inspirieren, sondern auch
von traditionellen Sounds aus dem Mittleren Osten. Dieser eklektische Mix spiegelt das "Leben
zwischen den Kulturen” wieder, das Lial, Hassan und Maradona täglich führen. Ihr Neuköllner Alltag
wird so auch akustisch erlebbar. Weitere Songs, die im Film zu hören sind, wurden von den
Protagonisten selbst geschrieben und gesungen. In Hassans Texten wird das Lebensgefühl vieler
Jugendlicher mit Migrationshintergrund klar und unverblümt in Worte gefasst – er thematisiert aber
auch auf subjektive Weise politisch kontroverse Themen wie den Nahostkonflikt.

Perspektivwechsel – verschiedene Blickwinkel auf den Alltag
In jeder Szene von "Neukölln Unlimited" wird spürbar, dass zwischen den Filmemachern und der
Familie Akkouch ein enges, fast familiäres Verhältnis besteht. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die
Regisseure großen Wert darauf gelegt haben, erst zu drehen, nachdem die Familie Vertrauen zu ihnen
aufgebaut hatte. Bis alle Familienmitglieder einverstanden waren, vergingen Monate der
Überzeugungsarbeit. Die Regisseure Agostino Imondi und Dietmar Ratsch wussten, dass ein
persönlicher Dokumentarfilm wie dieser nur entstehen kann, wenn alle Mitwirkenden ihnen vertrauen.
Gleichzeitig scheint es für die Regisseure ein andauernder Balance-Akt, trotz der Nähe auch Abstand
zu wahren, denn nur aus einer gewissen Distanz heraus kann eine filmische Perspektive entstehen,
in der die Kamera das Geschehen beobachtet, statt selbst zum Protagonisten zu werden.

In "Neukölln Unlimited" bekommt man als Zuschauer leicht das Gefühl, dass das Filmteam im Alltag
einfach mitgelaufen ist. Klassische Interviews finden sich kaum. Dafür wird die Innenperspektive immer
wieder durch Blicke von außen ergänzt, zum Beispiel in Form der öffentlichen Tanz-Auftritte oder durch
Hassans Diskussion mit dem damaligen Berliner Innensenator Erhart Körting (SPD). Gerade wenn
man die drei Geschwister vorher bei häuslichen Kabbeleien über den Abwasch erlebt hat, fügt ihr
selbstsicheres und bestimmtes Auftreten auf der Bühne und im öffentlichen Leben diesem
Persönlichkeitsbild eine wichtige Facette hinzu.

Ganz bewusst haben die beiden Regisseure keine Experten-Interviews in den Film integriert. Sie
wollten ein komplexes, persönliches Portrait der drei Akkouch-Geschwister drehen und keine
themenbasierte Dokumentation erstellen. Im Mittelpunkt stehen deshalb immer Lial, Hassan und
Maradona mit ihren ganz persönlichen Hoffnungen, Wünschen und Sorgen. Natürlich spielt die Frage
der Integration im Film trotzdem eine große Rolle, aber das liegt weniger daran, dass das Thema von
den Filmemachern in den Mittelpunkt gerückt wird, sondern dass der unsichere Aufenthaltsstatus das
Leben der Familie Akkouch im Alltag ganz entscheidend prägt.

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Die Grenzen der Authentizität
Jeder Film kann nur einen begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit beleuchten, zeigen und darstellen.
Häufig steht während der Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm noch nicht endgültig fest, welcher
Ausschnitt dies sein wird. Erst im Prozess der Montage wird entschieden, welche Geschichte zum
roten Faden wird. Im Fall von "Neukölln Unlimited" wurden schließlich aus den 160 Stunden Material
vor allem Szenen ausgesucht, in denen es um den Kampf der Geschwister um ein unbefristetes
Bleiberecht für ihre Familie geht. Da nicht alle Behörden eine Drehgenehmigung erteilten, behalf sich
das Filmteam stellenweise damit, dass die Geschwister sich gegenseitig die Behördenkorrespondenz
vorlesen. Auch wenn es ohne die Dreharbeiten sicher nicht zu dieser Szene gekommen wäre, fügt sie
sich doch in die Gesamtdramaturgie ein. Da die Akkouch-Geschwister die Anwesenheit des Filmteams
ohnehin immer wieder thematisieren, erscheint es auch nur folgenrichtig, dass sie die komplexen
Forderungen der Behörden bewusst gemeinsam vor der Kamera diskutieren.

Die lange Drehzeit von drei Jahren macht es unmöglich, alle Wendepunkte im Leben der drei
Geschwister mit der Kamera zu begleiten. Vor allem gibt es bei Maradonas Entwicklung einige spürbare
Sprünge und es bleibt relativ offen, wann und vor allem warum er sich vom trotzigen Teenie mit Macho-
Allüren zum gläubigen Moslem gewandelt hat, der deutlich ruhiger und gesetzter auftritt. Letztlich sind
diese Sprünge aber zu verschmerzen, offenbaren sie doch vor allem, dass bei den Akkouch-
Geschwistern eine spürbare Entwicklung stattgefunden hat.

An der prekären rechtlichen Situation der Familie hat sich allerdings bis heute nur wenig geändert.
Einzig Lial, die in der Zwischenzeit ein Kind bekommen hat und gerade ihre Ausbildung abschließt, ist
durch ihre Heirat (mit einem Deutschen) nun vor Abschiebung relativ sicher geschützt. Alle anderen
Familienmitglieder kämpfen weiterhin um einen sicheren Aufenthaltsstatus. Hassan, der inzwischen
an der Münchner Schauspielschule studiert und in seit dem Ende der Dreharbeiten zu "Neukölln
Unlimited" in vielen Filmen als Schauspieler aufgetreten ist, will demnächst eine
Niederlassungserlaubnis beantragen. So wird die Familie Akkouch auch 2014 noch kein
abschließendes "Kartoffelfest" feiern können und Deutschland weiterhin nur als Heimat auf Abruf
erleben.

Fußnoten

1.    Vgl. u.a. Vera Ahamer: Unsichtbare Spracharbeit. Jugendliche Migranten als Laiendolmetscher.
      Integration durch "Community Interpreting", Bielefeld 2012. Auszug online abrufbar unter: http://
      www.transcript-verlag.de/media/pdf/5986930ebf2a6b71416faaf9523c8158.pdf (http://www.transcript-
      verlag.de/media/pdf/5986930ebf2a6b71416faaf9523c8158.pdf) (Stand Juli 2014)

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Videointerview mit Hassan Akkouch
Von Johannes Zerbst                                                                                                 29.8.2014
 geb. 1977, ist Diplompolitologe (FU-Berlin), hat als Videojournalist volontiert und in dieser Funktion für die Nachrichtenagentur dapd,
 Onlinemedien und Fernsehsender gearbeitet, als freier Redakteur hat er dieses Online-Dossier konzipiert

Der Protagonist aus "Neukölln Unlimited" im Gespräch über den Dokumentarfilm, über eine
Jugend mit unsicherem Aufenthaltsstatus und darüber, wie es ihm und seiner Familie in den
Jahren seit dem Abschluss der Dreharbeiten ergangen ist.

Hassan Akkouch über die Zeit nach "Neukölln Unlimited" (© bpb / Video-Zusammenschnitt in gekürzter Fassung)
(http://www.bpb.de/mediathek/191001/interview-mit-hassan-akkouch)

Der Dokumentarfilm "Neukölln Unlimited" ist im Jahr 2010 erschienen und hat viel
Aufmerksamkeit bekommen. Wie ist es Dir und deiner Familie seitdem ergangen?

Ich studiere gerade "Schauspiel" an der Otto-Falkenberg-Schule in München, die zu den
Kammerspielen in München gehört. Seit 2011 arbeite ich schon als Schauspieler, davor habe ich nur
getanzt. Dann habe ich mich entschieden, dass ich mich weiterentwickeln möchte. Vor allem wollte
ich mehr lesen und freier sein. Irgendwie bin ich ein Glückskind. Es kommt mir so vor, als ob fast alles,
was ich in die Hände nehme klappt oder eine positive Ausstrahlung hat. Ja, irgendwie läuft es immer
gut. Man muss nur weitermachen. Manchmal gibt es "Kleinigkeiten", wie zum Beispiel den
Aufenthaltsstatus. Das nervt!

Ist denn dein Aufenthaltsstatus inzwischen sicher?

Ich kann jetzt, nachdem ich fünf Jahre durchgängig gearbeitet habe, einen unbefristeten
Aufenthaltstitel, eine sogenannte "Niederlassungserlaubnis" beantragen. Auch bin ich sehr
optimistisch, was meine Familie angeht. Bei Maradona, meinem jüngeren Bruder, schwankt es gerade

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noch ein bisschen. Er macht zwar gerade eine Ausbildung als Rettungssanitäter beziehungsweise
Rettungsassistent, aber wenn er diese Ausbildung nicht erfolgreich abschließt, wird er wohl
abgeschoben.

Spielt Tanz noch eine Rolle für Dich und deine Geschwister?

Meine Geschwister tanzen mittlerweile nicht mehr so viel wie früher. Mein Bruder Hamudi, den man
auch kurz im Film sieht, ist ein sehr guter Tänzer. Auch Maradona tanzt immer noch. Aber meine
Schwestern Atura, die jetzt 22 Jahre ist, und Lial tanzen nicht mehr. Lial hat geheiratet und einen Sohn
bekommen. Ich glaube, der ist 6 Monate alt. Durch die Schwangerschaft hatte sie ihre Ausbildung
gewechselt und musste sie um 6 Monate verlängern. Aber es geht ihr gut, sie ist glücklich mit ihrem
Mann und ihrer Familie. Ich denke ihr Status ist durch die Ausbildung sicher. Außerdem ist ihr Mann
Deutscher!

Wie geht es eurer Mutter?

Also meine Mutter hat ihre Krankheit besiegt und arbeitet seit längerem bei "Burger King" und verdient
dort ihr Geld um über die Runden zu kommen, unabhängig vom Staat zu sein und einen geregelten
Aufenthaltsstatus zu haben, den sie auch hat. Solange sie arbeitet, hat Sie den auch. Meine Mutter
hat nie aufgegeben und wenn meine Mutter nie aufgibt, wie kann ich dann aufgeben! Das habe ich
immer so gesehen. Meine Mutter hat ja immer weiter gemacht. Und damals, als wir noch Kinder waren,
haben wir das gar nicht verstanden. Aber sie wusste, wie schwierig die Situation ist und hat
weitergemacht.

Was war damals so schwierig? Musstet ihr mit Abschiebung rechnen?

Wir waren sehr lange geduldet, zwölf Jahre insgesamt. 2002 bekam meine Familie bzw. meine Mutter
dann einen Aufenthaltsstatus. Die Voraussetzungen waren, dass sie eine kleinere Wohnung sucht,
die weniger Miete kostet. Außerdem, dass sie arbeitet, 2200 Euro netto verdient und dass mein kleiner
Bruder in den Kindergarten geht, damit sie arbeiten gehen kann. Sie hat alles erfüllt außer die 2200
Euro netto, die konnte sie leider nicht verdienen. Dadurch wurde ihr der Pass von den Behörden
entzogen und wir wurden als Familie abgeschoben.

Bevor wir den Aufenthaltsstatus hatten, hatten wir auch keine Pässe. Die hatte meine Mutter nicht
beantragt, damit wir nicht abgeschoben werden konnten. Aber nachdem wir das Angebot bekommen
haben, dass wir einen Aufenthaltsstatus von den Behörden kriegen können, hat meine Mutter einen
Pass besorgt und wir haben den Aufenthalt bekommen. Ein Jahr später konnten Sie uns dann
abschieben.

Wie hast Du das empfunden als Jugendlicher?

Schwierig zu beschreiben, aber es war eine sehr komische Situation. Damals hat es mich sehr wütend
gemacht. Über die Behörden habe ich mich gefragt, ob sie nach Menschlichkeit oder einfach nach
dem Gesetz handeln? Und ob diese Gesetze menschlich sind oder nicht? Darum geht es nämlich!
Meiner Meinung nach ist es ganz oft so, dass sie nicht menschlich sind, was das angeht. Denn wenn
eine Familie zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahre hier lebt, dann kann man Sie doch nicht einfach
abschieben! Also ich sag es einmal so, es gibt zwar die Gesetzte, aber die sind für mich noch nicht
ausgereift und funktionieren nicht komplett einwandfrei.

Was bedeutet es, ohne sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland aufzuwachsen?

Wenn man noch Kind ist, weiß man gar nicht, dass es noch etwas anderes gibt außer Berlin oder
seinem Bezirk - den Spielplatz wo man jeden Tag hingeht. Aber, wenn man älter wird, fällt es einem
dann auf, man sieht es im Fernsehen. Außerdem versteht man, was andere Leute sagen, und es fällt

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dann auf, dass man eigentlich die ganze Zeit nur "da" ist. Unter der "Residenzpflicht" versteht man,
dass man seine Stadt nicht verlassen darf. So ist es zumindest in Berlin. Wenn man "geduldet" ist,
gibt es zusätzlich noch die Einschränkung, dass man kein Konto eröffnen darf und keinen Handyvertrag
abschließen kann. Es ist überhaupt unmöglich Verträge abzuschließen, da man ja eh nur eine
sechsmonatige Aufenthaltsgenehmigung gewährt bekommt.
Durch die Duldung ist man meistens sechs Monate hier in Deutschland gesichert. Danach weiß man
oft nicht, ob man hier bleiben kann oder nicht, deswegen geben dir die Vertragspartner keinen Vertrag.
Man fühlt sich vor allem benachteiligt. Man kann nicht das machen, was die anderen machen, man
kann nicht das erleben, was die anderen erleben, man kann ja nicht einfach einmal raus aus der Stadt!
Das einzige was ich dreizehn Jahre lang besonderes gesehen habe, war das Schwimmbad – wir sind
ja nie rausgekommen! Das schränkt auf jeden Fall ein und für mich verschärft es auch die Situation.
Das lädt sich auf und irgendwann platzt man fast! Wenn man nichts anderes sieht, als die gleichen
Gesichter jeden Tag und die gleichen Häuser und die gleichen Lehrer und die gleichen Menschen,
dann kann das sehr belastend wirken. Und dann 18 Jahre lang! Da gibt es bestimmt Menschen, die
18 Jahre lang geduldet wurden und - wie zum Beispiel Maradona – erst mit 18 einen richtigen
Aufenthaltsstatus bekommen haben. Erst dann haben sie die Möglichkeit etwas heraus zu kommen.
Aber bis dahin hat man schon sehr viel im Leben verpasst! Sehr viel an Möglichkeiten, an Inspirationen
und an Freiheiten!

Fühlst Du dich inzwischen in Deutschland "angekommen"?

Hassan Akkouch im Interview am 18.06.2014 (© bpb)

Meiner Meinung nach kann man hier zwar ankommen, aber man ist nicht ganz da. Denn was bedeutet
es schon: Ich bin Deutscher oder ich bin Libanese? Denn "Ich fühle mich Deutsch" gibt es ja nicht, es
gibt dieses Gefühl nicht. Ich kann mich traurig fühlen, ich kann mich fröhlich fühlen, ich kann mich
sicher fühlen. Aber "Deutsch" kann ich mich nicht fühlen, es ist nur eine Frage der Zugehörigkeit, ich
kann mich dazugehörig fühlen oder nicht. Je nachdem fühle ich mich deutsch oder libanesisch. Ich
fühle mich weder in dieser Gesellschaft zugehörig, noch fühle ich mich in der in der libanesischen
Gesellschaft zugehörig.

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Identifizierst Du dich als "Deutscher", "Libanese", Neuköllner" oder etwas anderes?

Ich persönlich bin kein große Fan von Nationalitäten. Ich bin Libanese oder Deutscher oder sowas.
Wenn ich mich mit etwas identifizieren kann, würde ich als erstes sagen, dass ich Berliner bin und als
nächstes wäre ich Künstler.

Bestimmt die Sorge um den Aufenthaltsstatus heute noch deinen Alltag?

Also es bestimmt nicht den gesamten Alltag. Aber es ist so, dass wenn wir einen Termin haben und
uns darauf vorbereiten müssen, wir alle angespannt sind. Dann denkt man: Was wird jetzt passieren?
Oder: Was soll man machen? Die Zeit vor und nach den Terminen ist immer halt anstrengend,
manchmal hat man Albträume oder schläft schlecht und so weiter. Das alles gibt es auf jeden Fall.

Wie findest Du es, wenn sich junge Menschen heute "Neukölln Unlimited" anschauen?

Ich finde es gut, dass die Bundeszentrale für politische Bildung sich dafür interessiert, den Fall weiter
zu bearbeiten und damit dann Leute, vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, aufzuklären.
Vielleicht zeig es Menschen auch, die einen ähnlichen Fall haben, dass sie nicht alleine sind. Denn
man kann immer etwas dagegen machen. Es gibt Möglichkeiten und auch Gesetze, die einem die
Chance geben können, dass Recht auf ein Leben hier zu sichern. Das finde ich gut und deswegen
haben wir den Film hauptsächlich auch gemacht: Nicht nur um meiner Familie zu helfen, sondern auch
um anderen Familien zu helfen. Vielleicht ändert sich politisch ja etwas!

Das Videointerview führte und produzierte Johannes Zerbst.

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Interview mit den Regisseuren von
"Neukölln Unlimited"
Von Johannes Zerbst                                                                                                 8.10.2014
 geb. 1977, ist Diplompolitologe (FU-Berlin), hat als Videojournalist volontiert und in dieser Funktion für die Nachrichtenagentur dapd,
 Onlinemedien und Fernsehsender gearbeitet, als freier Redakteur hat er dieses Online-Dossier konzipiert

Ein Gespräch mit Agostino Imondi und Dietmar Ratsch über die Ideen hinter dem Film und über
Vorurteile bezüglich Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Berlin-Neukölln.

Wie ist die Idee zu "Neukölln Unlimited" entstanden?

Agostino Imondi:
Das war im Jahr 2006, während der ganzen Debatte um die Rütli-Schule, hier in Berlin-Neukölln. Ich
wollte etwas über diese ganze Integrationsgeschichte machen und wurde eingeladen, bei einem
Jugendclub ein "Breakdance-Battle" zu begleiten. Und da habe ich dann den Maradona kennengelernt,
damals war er 12 Jahre alt. Er ist mir sofort ins Auge geschossen. Ich wurde sofort aufmerksam, weil
er auch die Aufmerksamkeit des ganzen Jugendclubs gewonnen hatte. Er hatte damals bei dem
Breakdance-Battle getanzt und war wirklich ein sehr guter Tänzer. Ich habe ihn gefragt, ob er Interesse
hätte, bei einem Film mitzumachen, da meinte er ganz spontan "Ja". Und dann habe ich auch seinen
Bruder Hassan kennengelernt und danach auch die ganze Familie. Und peu à peu hat sich dann der
Wille durchgesetzt, einen Film über die Familie zu machen.

Wieviel Überzeugungsarbeit war da nötig?

Agostino Imondi:
Das war eigentlich leicht. Als wir die Familie kennengelernt haben, bekam sie gerade eine
Negativbescheinigung von der Ausländerbehörde. Die sollten wieder in den Libanon abgeschoben
werden, aber es lief noch eine Duldung. Sie haben in dem Film auch eine Gelegenheit gesehen, auf
ihre Situation aufmerksam zu machen, deswegen haben Sie unser Projekt unterstützt.

Dietmar Ratsch:
Noch ergänzend: Ich hatte schon das Gefühl, dass wir ein bisschen spät dran waren, weil die Familie
vorher schon in einigen Medien unterwegs gewesen ist. Die waren schon auch ein bisschen müde
von dieser ganzen Kampagne, die dann letztendlich für sie persönlich gar nichts gebracht hatte.
Deshalb musste Agostino Imondi erstmal Überzeugungsarbeit leisten, warum gerade wir beide jetzt
diesen Film ins Kino bringen und die Geschichte neu erzählen sollen. Da waren einige Besuche nötig,
um Vertrauen aufzubauen und ihnen klarzumachen, dass das nicht nur an einem Drehtag funktioniert
- so wie es die anderen Teams 2006 gemacht haben - sondern dass wir mit ihnen mindestens ein bis
zwei Jahre unterwegs sind.

Agostino Imondi:
Das stimmt. Maradona und Lial und auch Hassan haben von Anfang an das Projekt unterstützt. Aber
bei ihrer Mutter war Überzeugungsarbeit nötig. Ich glaube, sie hat dann letztlich ihren Kindern zuliebe
mitgemacht.

Dietmar Ratsch:

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Dossier: Neukölln Unlimited (Erstellt am 26.05.2021)                                                13

Es war okay, als sie gemerkt hat, dass die Kinder auch Spaß daran haben und wir da irgendwie
weiterkommen mit ihnen. Wie wir sie beobachtet und mit ihnen gesprochen haben, das hat dann auch
der ganzen Familie im Endeffekt geholfen. Viel schwieriger fand ich es, die Förderer und die Sender
zu überzeugen, dass der Film gemacht wird.

Was war das Problem? Hatten die Förderer denn andere Erwartungen an "Neukölln Unlimited"?

Dietmar Ratsch:
So ein Film muss ja auch finanziert werden und die Redakteure müssen da mitspielen. Und es war
erstmal gar nicht so einfach, eine Geschichte zu entwickeln, die ein positives Bild dieser Neuköllner
Integrationssituation widerspiegelt. Eigentlich war es von den allgemeinen Medien gewünscht, auch
vom rbb, dass man genau in diese Schiene mit der Rütli-Schule einspringt. Und das jetzt wirklich ein
positives Beispiel kam, war anfangs gar nicht deren Linie.

Wie entsteht eine solche Geschichte, gibt es da vorher ein klares Drehbuch, oder wird erstmal
ganz viel beobachtet und dann das Skript entwickelt?

Agostino Imondi:
Das ergibt sich mit der Zeit. Man hat schon eine gewisse Idee im Kopf, was man eigentlich machen
möchte, aber Pläne werden auch weggeschnitten, wenn es sich ergibt, dass die Familie und die
einzelnen Geschichten ganz andere Wege gehen. Und dann muss das Skript, das Drehbuch, das es
beim Dokumentarfilm gibt, immer wieder umgeschrieben werden. Man muss sich auch immer wieder
herantasten. Es ist keine festgeschriebene Geschichte, die man sich hier ausdenkt, das sind echte
Geschichten. Und im echten Leben ändert sich ja immer wieder etwas. Wir haben dreieinhalb Jahre
gedreht und es kamen immer wieder neue Schienen auf, die wir dann auch verfolgt haben, zum Beispiel
Maradona Auftritt bei der Show "Das Supertalent".

Dreieinhalb Jahre Drehen, wieviel Material entsteht denn dabei?

Dietmar Ratsch:
Das sind ja Projekte der Langzeitbeobachtung und teilweise auch auf Video gedreht. Angefangen
haben wir noch, auf Kassetten zu drehen, später haben wir dann auf Speicherkarten gedreht in HD.
Das ist immer so ein Drehverhältnis zwischen 1 zu 100 und 1 zu 150, es können dann locker 150 bis
200 Stunden Filmmaterial entstehen.

Nach welchen Kriterien wird das Material gesichtet?

Dietmar Ratsch:
Es wird ja dauernd gedreht, beobachtend gedreht. An einem Tag wird zum Beispiel vier Stunden
gedreht, aber mit dem Wissen, das 97 Prozent rausfliegen. Weil man hofft, dass dann in der
Drehsituation etwas Spontanes, etwas Situatives passiert, sodass man einen möglichst authentischen
Eindruck vermittelt. Und deshalb lässt man oftmals laufen, laufen, laufen. Weil das ja nicht sehr viel
kostet. Aber in der Auswertung und im Schnitt dauert das nachher sehr lange. Dadurch entstehen so
große Drehverhältnisse. Bei diesem Film finden wir, dass es dann auch fast irgendwie szenisch oder
authentisch rüberkommt - sodass manche meinen, es sei eher ein Spielfilm als ein Dokumentarfilm.

Haben die Protagonisten Einfluss auf den Schnitt nehmen können?

Agostino Imondi:
Also mitgeredet im Sinne von was reindarf und was nicht haben Sie nicht. Wir haben ihnen von Anfang
an klargemacht, dass sie sich den Rohschnitt anschauen können, bevor der Film irgendwo gezeigt
wird, dass Sie zuerst einmal den Film sehen, damit Sie auch sehen können, dass Sie da nicht falsch

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repräsentiert werden, dass Sie nicht irgendwie bloßgestellt werden. Das haben wir dann auch gemacht
und sie haben - die Mutter vor allem - uns dann den Segen gegeben, dass wir vom Rohschnitt aus
mit dem Feinschnitt weitermachen können.

Der Rütli-Campus war auch einer der Drehorte, das Thema "Rütli-Schule" war damals in den
Medien sehr präsent. Inwiefern ist "Neukölln Unlimited" denn auch eine Antwort auf Klischees,
die es um Jugendliche im "Problemkiez" oder an "Problemschulen" gibt?

Agostino Imondi:
Also damals als der Film entstand, war das genau die Grundidee, dass es eben auch eine andere
Seite von dieser Problematik gibt und diese Problematik oft von den großen Medien aufgebauscht und
eigentlich ein sehr verzerrtes Bild gezeigt wurde. Es wurden sehr viele Vorurteile aufgebracht - als ob
alle Türken oder Araber hier "Schmarotzer" sind, oder "Jugendkriminelle". Ich wollte zeigen, dass die
Realität eigentlich ganz anders aussieht. Natürlich gibt es viele Probleme, aber wir haben den Fokus
auf die große Mehrheit der Leute gelegt, die eben nicht in den Medien repräsentiert werden. Aber in
den Köpfen mancher Leute scheint diese andere Realität nicht zu existieren. Das sind die Leute die
wir auch erreichen wollten.

Freut es Sie, wenn sich junge Menschen den Film auch heute noch ansehen?

Agostino Imondi:
Als Filmemacher freut es mich natürlich schon, anderseits wäre es mir aber lieber wenn Filme wie
"Neukölln Unlimited" nicht mehr nötig wären, weil unsere Gesellschaft einen Wandel in der Mentalität
vollzogen hat. Das wäre schön. In den letzten Jahren haben wir in Deutschland zwar große Schritte
nach vorne gemacht, aber es gibt immer noch viel zu tun in Sachen Akzeptanz und beim Abbauen
von Vorurteilen. Es scheint mir auch als hätte sich der Fokus nun von den türkisch- oder
arabischstämmigen Menschen auf die Sinti- und Roma-Communities verschoben. Wenn ich
Schlagzeilen wie "Sozialtourismus" und ähnliches lese, wird mir schon mulmig - vor allem wenn man
sich daran erinnert, dass vor Jahrzehnten neben den Juden auch die Sinti und Roma verfolgt wurden
aufgrund von Vorurteilen, die heute immer noch bestehen. Aus diesem Grund betrachte ich Filme wie
"Neukölln Unlimited" immer noch als sehr wichtig, solange solche Vorurteile existieren.

Für welche Themen der politischen Bildung könnte oder sollte "Neukölln Unlimited"
sensibilisieren?

Dietmar Ratsch:
Also auf jeden Fall für mehr Toleranz, ein differenzierteres Hingucken, nicht jeden Asylbewerber über
einen Kamm zu scheren oder zu pauschalisieren, sondern um genau hinzugucken. Mut dem Einzelnen
zu geben, dass er, wenn er etwas will, es auch erreichen kann, das als positives Beispiel zu sehen!

Agostino Imondi:
Und es geht auch um "Self-Empowerment", wie man auf Englisch sagt. Dass man, wenn man selber
keine Perspektiven vom Umfeld bekommt, daran arbeiten kann, sich selber welche zu schaffen. Ich
glaube, dass ist auch die positive Botschaft, die dieser Film rüberbringt.

Das Interview führte Johannes Zerbst.

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Zukunftsperspektive "Supertalent"?
Bildungschancen von Migranten in Deutschland
Von Heiner Barz, Meral Cerci                                                                                  9.10.2014
 Prof. Dr. Heiner Barz, geb. 1957, ist Professor für Erziehungswissenschaften und Leiter der Abteilung für Bildungsforschung und
 Bildungsmanagement der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Von Barz ist u.a. erschienen: Heiner Barz (Hg.), Migration und
 Bildung. Sozialwissenschaftliche und integrationspolitische Perspektiven. Düsseldorf 2011 (Düsseldorf University Press).

 Meral Cerci, M.A., berät und forscht seit 2005 zu den Themen Kulturelle Vielfalt und Audience Development, u. a. im Auftrag der
 Kulturabteilung des Landes Nordrhein-Westfalen. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Lebenswelt- und Milieuforschung.
 Sie ist Lehrbeauftragte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Schlechte Noten, drohende Klassenwiederholung, Suspendierung von der Schule - der damals
15-jährige Maradona Akkouch hat in dem Dokumentarfilm "Neukölln Unlimited" mit massiven
Schulproblemen zu kämpfen. Nach zahlreichen schulischen Rückschlägen und negativen
Erfahrungen mit seinen Lehrerinnen und Lehrern stellt er den Sinn von schulischem
Engagement in Frage und hofft auf einen Sieg bei der Fernsehshow "Das Supertalent".

Der junge Neuköllner mit libanesischen Wurzeln steht mit diesem Problem nicht allein. Kinder und
Jugendliche mit Migrationshintergrund zählen in Deutschland statistisch zu den sogenannten
Bildungsverlierern. Spätestens seit dem Hilferuf der "Rütli-Schule" im Jahr 2006 gilt Neukölln
bundesweit als Synonym für dramatische Schulprobleme. Sehen wir zunächst auf die Tatsachen in
diesem Berliner Bezirk: Dort haben 42 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund[1], damit
liegt der Anteil deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 20 Prozent[2]. Bei den Schülerinnen und
Schülern des Bezirks sind es sogar insgesamt 67 Prozent mit nichtdeutscher Herkunftssprache[3].
Ein Vergleich mit der Zusammensetzung der Schülerschaft in Berlin insgesamt zeigt die besonderen
Herausforderungen, vor die die Schulen in Neukölln gestellt sind. Während in Berlin im Durchschnitt
30 Prozent der Schüler der 8. Klasse nichtdeutscher Herkunft sind, liegt der Anteil in Neukölln in der
Mittelstufe (Klasse 7-10) mit 68 Prozent mehr als doppelt so hoch.

Dabei variiert der Migrantenanteil zwischen den Neuköllner Schulen erheblich: während an zwei
Gymnasien mehr als 80 Prozent der Oberstufenschüler nichtdeutscher Herkunft sind, liegt der Anteil
an einer Schule nur bei 27 Prozent. Man kann das als deutliche Hinweise für "schulische Segregation"
lesen, d.h. für die Entmischung der Schülerschaft mit und ohne Migrationshintergrund in Berlin
Neukölln.

Eine Analyse des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2013) hat
Segregation schon in den Neuköllner Grundschulen nachgewiesen. Ursächlich dafür ist in erster Linie
die wohnräumliche Trennung der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund, zusätzlich wirken
sich die elterliche Schulwahl und – im Falle der weiterführenden Schulen – ungleiche Chancen bei
Bildungsübergängen verschärfend aus.

Die inzwischen auch für Gymnasien in Neukölln berichteten vergleichsweise hohen Quoten von
Schülern mit Migrationshintergrund könnten leicht ein falsches Bild vermitteln. Man muss sie vor dem
Hintergrund einer jahrzehntelangen bildungspolitischen Vernachlässigung der Schülerinnen und
Schüler mit Zuwanderungsgeschichte sehen, wo beispielsweise Gymnasialkarrieren eher selten
waren. Es wird dann deutlich, dass inzwischen einiges getan wurde – insbesondere nach dem
sprichwörtlichen PISA-Schock Anfang der 2000er Jahre, der die Aufmerksamkeit auf die große Kluft

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zwischen Bildungsgewinnern und Bildungsverlierern gelenkt hat. Die Ganztagsschuloffensive oder die
frühe Sprachstandsdiagnostik und verbesserte Sprachförderung sind zu nennen oder auch die
verstärkten Mobilisierungsbemühungen durch gemeinnützige Stiftungen und ehrenamtliches
Engagement in Mentoren- und Elternbildungsprogrammen. Auch die vielen Initiativen und Aktionen
im Bereich der kulturellen Bildung mit Tanz-, Musik- und Theaterarbeit dürften dazu beigetragen haben,
dass mehr Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund als früher eine erfolgreiche
Bildungskarriere absolvieren können. Menschen mit Migrationshintergrund haben sich inzwischen viel
stärker in die Bildungsarbeit eingebracht und in Elternvereinen oder Lehrernetzwerken mit
Migrationshintergrund organisiert. Die sichtbarste Spitze dieses Engagements sind vielleicht die
inzwischen über 20 deutsch-türkischen Schulen in privater Trägerschaft, die von Anhängern des
türkischen Islamgelehrten Fethullah Gülen gegründet wurden. Diese Schulen sind nicht unstrittig,
leisten aber nach dem Eindruck vieler Politiker von Rita Süßmuth bis Heinz Buschkowsky durch ein
überzeugendes Schulkonzept einen wichtigen Beitrag zur Integration. Auch Neukölln profitiert mit der
Tüdesb-Grundschule vom neuen bürgerschaftlichen Engagement türkischer Unternehmer und vieler
Privatpersonen, die mit ihren Spenden gemäß dem Gülen-Motto "Baut Schulen statt Moscheen" diese
Schulen unterstützen.

Schulprojekt in einem sozialen Brennpunkt mit besonderen Förderprogrammen. Hier: Eine muslimische Schülerin
während des Deutschunterrichts. Aachen, Nordrhein-Westfalen, Deutschland (© picture-alliance, Gudrun Petersen)

Es ist also Bewegung in die Bildungslandschaft gekommen. Das war auch bitter nötig. Denn nicht erst
seit dem Pisa-Schock zeigen Bildungsstudien in Deutschland Jahr für Jahr ein alarmierendes Bild:
Über sämtliche Etappen der Bildungsbiografie erstreckt sich die Benachteiligung von jungen Migranten
im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.

Schon im Kleinkindalter werden erste Weichen gestellt: 98 Prozent der 3-6-jährigen ohne
Migrationshintergrund besuchen eine Kindertageseinrichtung oder -pflege. Bei Kleinkindern mit
Migrationshintergrund liegt der Anteil mit 85 Prozent deutlich niedriger[4]. Am Übergang zwischen
Grundschule und weiterführender Schule werden Schüler mit Migrationshintergrund, die
überdurchschnittlich häufig aus niedrigen sozialen Schichten kommen, durch die Empfehlung der

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Lehrer benachteiligt und bei gleicher Leistung eher auf eine niedere Schulform empfohlen[5].

Bei den weiterführenden Schulen zeigt sich dementsprechend nach wie vor die Tendenz, dass junge
Migranten an Hauptschulen überproportional und an Gymnasien unterproportional vertreten sind.
Während nur 7 Prozent aller Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund eine Hauptschule
besuchen, sind es mit rund 15 Prozent mehr als doppelt so viele Schüler mit Migrationshintergrund.
Das Gymnasium besuchen rund 48 Prozent der Schüler ohne Migrationshintergrund, bei den jungen
Migranten liegt der Anteil mit 39 Prozent deutlich darunter[6].

Zu den Bildungsverlierern gehören insbesondere diejenigen jungen Menschen, die ohne einen
Hauptschulabschluss das deutsche Schulsystem verlassen. Dies ist der Fall bei 12 Prozent der
ausländischen Schulabgänger. Mit 5 Prozent ist der Anteil der deutschen Abgänger ohne
Schulabschluss deutlich niedriger[7].

Der Berufseintritt ist für junge Migranten erschwert, da sie bei gleichen schulischen Leistungen
schlechtere Chancen haben, zu einem Bewerbungsgespräch für einen Ausbildungsplatz eingeladen
zu werden. Eine Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration
[8] zeigt, dass für eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ein Kandidat mit einem deutschen
Namen durchschnittlich fünf Bewerbungen schreiben muss, ein Bewerber mit einem türkischen Namen
hingegen sieben.

Diese Zutrittsbarrieren zum Ausbildungsmarkt könnten eine Erklärung dafür liefern, warum nur 13
Prozent aller jungen Ausländer eine Ausbildung absolvieren (im Vergleich zu 28 Prozent der jungen
Deutschen). Insgesamt verteilen sich die Auszubildenden auch auf unterschiedliche Bereiche.
Während junge Migranten überproportional im Handwerk und den freien Berufen zu finden sind, wählen
deutsche Jugendliche eher den Sektor Industrie und Handel oder den Öffentlichen Dienst[9].

An den Hochschulen sind Studierende mit Migrationshintergrund mit einer Quote von 23 Prozent
unterproportional vertreten und haben auch schwierigere Startbedingungen als ihre Kommilitonen
ohne Migrationshintergrund. Junge Migranten kommen im Schnitt viermal so häufig aus Elternhäusern
mit niedrigem Bildungsniveau. Zudem haben die Eltern weniger finanzielle Ressourcen, das Studium
zu finanzieren, so dass die Studierenden nicht selten Nebenjobs annehmen müssen. Aufgrund der
erschwerten Rahmenbedingungen wundert es nicht, dass Studierende mit Migrationshintergrund
länger bis zum Studienabschluss brauchen[10] und auch seltener ihr Studium erfolgreich abschließen.
Die Studienerfolgsquote von Deutschen ist erheblich höher als die Studienerfolgsquote von
Bildungsinländern, d.h. Ausländer, die das deutsche Schulsystem durchlaufen haben. Während 76
Prozent der deutschen Studierenden das Studium erfolgreich abschließen, sind es bei den Migranten
nur 55 Prozent[11].

Als Ursachen für die problematischen Bildungschancen werden vielfach die fehlende
Bildungsmotivation der jungen Migrantinnen und Migranten sowie die unzureichende Förderung durch
die Eltern angeführt. Aus der Forschung wissen wir allerdings, dass derartige Zuschreibungen eher
ins Reich der Vorurteile gehören bzw. unzulässige Verallgemeinerungen von medienwirksam
präsentierten Einzelfällen sind. "Die" Migranten als einheitliche gesellschaftliche Gruppe gibt es nicht.

Einen starken Einfluss auf den mangelnden Bildungserfolg von Migranten hat die im Durchschnitt
niedrigere soziale Lage. Weil beispielsweise der Großteil der als "Gastarbeiter" in den 1950er, 1960er
und 1970er Jahren nach Deutschland geholten Migranten aus sehr einfachen, oft ländlichen
Verhältnissen stammte

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Ein Schüler meldet sich im Untericht an einer Grundschule in Aachen, Nordrhein-Westfalen,13.09.2006 (© picture-
alliance, Gudrun Petersen)

und kaum über nennenswerte eigene Bildungserfahrungen verfügte, ist der Migrationsstatus in der
BRD oft mit dem Unterschichtsstatus korreliert. Berücksichtigt man die Schichtzugehörigkeit,
reduzieren sich die migrationsbezogenen Bildungsbenachteiligungen erheblich, wenngleich sie auf
niedrigem Niveau bestehen bleiben. In einzelnen Fällen gibt es Hinweise, dass kulturelle Prägungen
durch das Herkunftsland zusätzlich leistungshemmend wirken, z. B. für die Türkei, Italien oder das
ehemalige Jugoslawien. Die Ursachen dafür sind bisher nicht eindeutig geklärt und könnten in der
mangelnden Kenntnis der Eltern über das deutsche Bildungssystem, der Dominanz der
Herkunftssprache in vielen Familien oder auch in pauschalisierenden Zuschreibungen der Lehrkräfte
sowie institutioneller Diskriminierung an Schulen liegen[12].

Einzelne Herkunftsgruppen weisen deutlich bessere Schulleistungen und Bildungsabschlüsse auf als
der Durchschnitt der Nicht-Migranten. Dies gilt nicht nur für viele aus EU-Staaten zugewanderte
Familien, sondern z.B. auch für Menschen mit vietnamesischen Wurzeln. Aber auch die einst aus den
klassischen Herkunftsländern der "Gastarbeiter" oder als Spätaussiedler nach Deutschland
gekommenen Menschen bilden keine homogene Gruppe. Hier setzt die Studie "Bildung, Migration
und Milieu"[13] an und versucht die unterschiedlichen Lebensweisen und die unterschiedlichen
Alltagskulturen systematisch in den Blick zu nehmen. Im Zentrum der Studie stehen Bildungsmotive
und -erfahrungen von Eltern mit Migrationshintergrund sowie die damit verbundenen
Zukunftshoffnungen und -befürchtungen für ihre Kinder. Nach diesem Ansatz prägen zwei
Hauptdimensionen ein Milieu: Einerseits Wertorientierung/Lebensstil und andererseits die soziale
Lage. (siehe Abbildung)

Je höher ein Milieu in dieser Grafik angesiedelt ist, desto gehobener sind Bildung, Einkommen und
Berufsgruppe; je weiter rechts es positioniert ist, desto moderner ist die Grundorientierung. In den acht
Milieus sind sehr unterschiedliche Bildungsaspirationen und -motive zu finden, vom Motiv des Zur-
Mitte-dazu-gehören-Wollens im adaptiv-bürgerlichen Milieu, über die Wahrung traditioneller Werte im
religiös-verwurzelten Milieu, bis hin zum Bildungsmotiv der Selbstverwirklichung im intellektuell-
kosmopolitischen Milieu. Für die Verbesserung der Bildungschancen von Menschen mit
Zuwanderungsgeschichte dürfte es entscheidend sein, diese Unterschiede in Kampagnen, Projekten

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und Strategien zu berücksichtigen. Wobei ebenso deutlich wird, dass sich gerade bei den jüngeren
und moderneren Milieus – also den im Schaubild eher rechts angesiedelten – der Mitte und der
gehobenen Schichten inzwischen die Unterschiede zwischen "Deutschen" und "Neu-Deutschen" mehr
und mehr verwischen.

Wesentliches Ergebnis des Forschungsprojekts ist es, dass Eltern mit Migrationshintergrund
milieuübergreifend ein stark ausgeprägtes Bestreben haben, den Kindern im Vergleich zur eigenen
Biografie bessere Startchancen zu bieten. Allerdings unterscheiden sich die konkreten Möglichkeiten
in den einzelnen Milieus erheblich: Während sich im religiös-verwurzelten Milieu die Unterstützung
der Kinder häufig auf die Frage nach den gemachten Hausaufgaben beschränkt, werden im Milieu der
bürgerlichen Mitte sämtliche Möglichkeiten der Unterstützung von der Hausaufgabenbetreuung über
gemeinsames Lernen bis hin zu Begleitung von Klassenfahrten ausgeschöpft. Dem steht gegenüber
ein hedonistisch-subkulturelles Milieu, in dem die Kinder während der Schullaufbahn weitgehend sich
selbst überlassen bleiben und früh lernen müssen, alleine zurechtzukommen. Im intellektuell-
kosmopolitischen Milieu wird kenntnisreich Kritik an der Bildungsbenachteiligung von Migranten geübt:
Eltern werden zu regelrechten "Bildungskämpfern" für die eigenen Kinder, manchmal auch für die von
Freunden und Bekannten. Aufgrund der eigenen hohen Bildung hat dieses Milieu auch am ehesten
die Möglichkeit, den Lehrkräften, von denen Schätzungen zufolge im Jahr 2013 bundesweit nur sieben
Prozent eine Migrationsgeschichte hatten, "auf Augenhöhe" zu begegnen.

Wissen über die milieuspezifischen Bildungsaspirationen der Menschen mit Migrationshintergrund
kann helfen, Bildungsangebote gezielt auf die Erwartungen und Interessen, aber auch die Ängste und
Barrieren von Migranten abzustimmen. Insgesamt sind es nicht die fehlende Bildungsmotivation der
Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund bzw. das mangelnde Bildungsinteresse der Eltern,
sondern vor allem die fehlende interkulturelle Öffnung von Schulen, strukturelle Hürden und auch
Informationsdefizite auf Seiten der Eltern, die dem Bildungserfolg von Migranten im Wege stehen.
Der Film "Neukölln Unlimited" zeigt eindrücklich, welches hohe Engagement junge Migrantinnen und
Migranten mitbringen und mit welchen Hürden sie in Deutschland zu kämpfen haben. Eine zeitgemäße
Schule kann Wege ebnen, damit junge Migranten ihre Träume von einer erfolgreichen Zukunft mit
gesichertem Einkommen für sich und ihre Familien verwirklichen können.

Ausgewählte Literatur
Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.), Bildung in Deutschland 2014. Ein
indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderungen, Bielefeld
2014 (W. Bertelsmann Verlag). Online unter: http://www.bildungsbericht.de/daten2014/bb_2014.pdf
(http://www.bildungsbericht.de/daten2014/bb_2014.pdf) (15.06.2014).

Dies. (Hrsg.), Bildung in Deutschland 2012. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu
Perspektiven des Bildungswesens im demografischen Wandel, Bielefeld 2011 (W. Bertelsmann
Verlag). Online unter: http://www.bildungsbericht.de/zeigen.html?seite=8400 (http://www.bildungsbericht.
de/zeigen.html?seite=8400) (16.07.2014).

Heiner Barz, Meral Cerci und Zeynep Demir, Bildung, Milieu und Migration. Kurzfassung der
Zwischenergebnisse 12/2013, Düsseldorf 2013. Online unter: http://tinyurl.com/bildung-migration
(http://tinyurl.com/bildung-migration) (12.06.2014).

Konferenz der für Integration zuständigen Ministerinnen und Minister/Senatorinnen und Senatoren
des Länder (Hrsg.), Zweiter Bericht zum Integrationsmonitoring der Länder 2011. Teil 1 Ergebnisse,
Berlin 2013. Online unter http://www.berlin.de/imperia/md/content/lb-integration-migration/publikationen/
berichte/bericht_2011_lag_indikatorenentwicklung_monitoring_teil_1_bericht.pdf (http://www.berlin.
de/imperia/md/content/lb-integration-migration/publikationen/berichte/bericht_2011_lag_indikatorene­
ntwicklung_monitoring_teil_1_bericht.pdf) (17.07.2014)

bpb.de
Dossier: Neukölln Unlimited (Erstellt am 26.05.2021)                                                               20

Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (Hrsg.) (2013), Segregation
an deutschen Schulen. Ausmaß, Folgen und Handlungsempfehlungen für bessere Bildungschancen.
Berlin: SVR GmbH.

Ders. (Hrsg.) (2014a), Deutschlands Wandel zum modernen Einwanderungsland. Jahresgutachten
2014 mit Integrationsbaromenter. Berlin: SVR GmbH.

Ders. (Hrsg.) (2014b), Diskriminierung am                   Ausbildungsmarkt.        Ausmaß,      Ursachen      und
Handlungsperspektiven. Berlin: SVR GmbH.

Carsten Wippermann, Bodo Flaig, Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten. In: Aus Politik und
Zeitgeschichte 5/2009, S. 3-11.

Fußnoten

1.    Bezirksamt Neukölln von Berlin, http://www.berlin.de/ba-neukoelln/migrationsbeauftragten/
      bevoelkerungsstruktur.html (http://www.berlin.de/ba-neukoelln/migrationsbeauftragten/bevoelkerungsstruktur.
      html), Abruf am 15.07.2014.
2.    Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/
      Bevoelkerung.html;jsessionid=A50CE4E36B866B28EEB9A4B5DA1C7EBD.cae4 (https://www.
      destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Bevoelkerung.html;jsessionid=
      A50CE4E36B866B28EEB9A4B5DA1C7EBD.cae4), Abruf am 16.07.2014.
3.    BA Neukölln von Berlin, Abt. Bildung, Schule, Kultur und Sport aus "Schülerzahlen-Statistik,
      Erhebungsstand 16.08.2013", Fax vom 16.07.2014; eigene Berechnung. "Schüler nichtdeutscher
      Herkunftssprache sind Schüler, deren Mutter- bzw. Familiensprache nicht Deutsch ist. Die
      Staatsangehörigkeit ist dabei ohne Belang; entscheidend ist die Kommunikationssprache
      innerhalb der Familie." Quelle: http://www.berlin.de/lb/intmig/statistik/aus_bildung/schueler_herkunftssprache.
      html (http://www.berlin.de/lb/intmig/statistik/aus_bildung/schueler_herkunftssprache.html), Abruf
      am 16.07.2014.
4.    Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014:244
5.    Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014a:108.
6.    Ebd.:101.
7.    Konferenz der für Integration zuständigen Ministerinnen und Minister/Senatorinnen und Senatoren
      des Länder (IntMK) 2013:47.
8.    Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014b.
9.    a.a.O.: 52-55.
10.   Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014a:107.
11.   Konferenz der für Integration zuständigen Ministerinnen und Minister/Senatorinnen und Senatoren
      des Länder (IntMK) 2013:51.
12.   Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014a:109.
13.   Das Forschungsprojekt basiert auf dem 2008 vom Heidelberger Sinus Institut entwickelten
      Migranten-Milieumodell (Wippermann/Flaig 2009). Näheres zum Projekt hier: tinyurl.com/bildung-
      migration-milieu (http://tinyurl.com/bildung-migration-milieu)

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