Pro 4 | 2019 Christliches Medienmagazin - François Ozon - pro Medienmagazin

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Pro 4 | 2019 Christliches Medienmagazin - François Ozon - pro Medienmagazin
pro    Christliches Medienmagazin
                                                              4 | 2019
                                                       pro-medienmagazin.de

François Ozon             Gunnar Engels            Jan Klassen
          Regisseur                Pastor er-                 Buschpilot
          übt Kritik an            zählt tausen-              will Menschen
          Missstän-                den Social-                in entlegenen
          den bei der              Media-Fans                 Regionen
          Kirche                   von Jesus                  helfen
Pro 4 | 2019 Christliches Medienmagazin - François Ozon - pro Medienmagazin
EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser,
Sommer, Sonne, Strand – viele von uns konnten oder können
sich in diesen Wochen einen Urlaub leisten. Oder anderweitig
schöne Seiten des Lebens genießen. Leider trifft das nicht auf
alle Menschen zu. Vielen mangelt es am Nötigsten – und damit
muss nicht nur Nahrung oder frisches Trinkwasser gemeint
sein. Millionen Menschen fehlt es an der Freiheit, ihren Glau-
ben und ihre Überzeugungen ungehindert leben zu können.
Deswegen sind wir in dieser Ausgabe von pro der Frage nach-
                                                                                                                          42
gegangen, wie sich die Öffentlichkeit für verfolgte Christen
einsetzt. Religionsfreiheit wird weltweit zunehmend beschnit-
                                        ten. Erfreulich ist, wenn
                                        prominente Politiker
                                        wie Tony Blair fordern:
                                        Dieses elementare Men-
                                        schenrecht muss Top-
                                        Priorität haben!

                                      Aber bei unseren Re-
cherchen begegnet uns auch buchstäblich Wundervolles:
                                                                                                                          31
Zwei Christen haben uns bewegende Geschichten erzählt. Un-
ser Redakteur Johannes Blöcher-Weil hat sie aufgeschrieben.
Manches, was diese Betroffenen erzählen, klingt unglaublich:        Kurzmeldungen                                           4
Da springt ein Ex-Drogendealer dem Tod mehrfach von der             Leserbriefe                                            21
Schippe, da verschwinden Beweise auf unerklärliche Weise –
und ist es nicht auch immer wieder ein Wunder, wenn sich ein        P OLI T I K
Mensch für ein Leben mit Jesus entscheidet?                         Titel: Die Verfolgten
                                                                    Was tut die Politik gegen Christenverfolgung?           6
Auch die Influencerin Lisa, die pro-Redakteurin Swanhild            Wo Christsein schwierig ist
Zacharias getroffen hat, hat uns Faszinierendes berichtet: Sie      Ein Ex-Drogenboss und der siebte Christ
litt an einer unheilbaren Krankheit – die plötzlich nicht mehr      Turkmenistans berichten                                 9
da war. Rational erklärbar ist so etwas nicht. Als christliche      „Niemand muss verrecken“
Journalisten stellt uns das vor eine Herausforderung: Natürlich     Ein Gespräch mit Palliativmediziner Thomas Sitte       12
recherchieren wir unsere Geschichten bestmöglich. Natürlich
prüfen wir Fakten. Natürlich fragen wir nach. Und ja, wir glau-     M ED I EN
ben an den lebendigen Gott, der manchmal wunderbar ein-             Ein Dorfpfarrer auf YouTube-Mission
greift. Wir lesen in der Bibel an etlichen Stellen, wie Jesus Un-   Pastor Gunnar Engel                               16
fassbares vollbringt. Im Johannesevangelium, Kapitel 5, heilt       Für Gott auf YouTube
der Sohn Gottes am Teich von Betesda spontan einen Men-             Christfluencerin Lisa                             18
schen: weil er Hilfe braucht. Jesus vermehrt Nahrungsmittel,        „Der Katholizismus braucht eine echte Revolution“
weckt sogar Verstorbene von den Toten auf – dabei geht es ihm       Regisseur François Ozon und Schauspieler
nie um spektakuläre Show, sondern allein darum, dass Men-           Melvil Poupaud im Interview                       22
schen in Not, Verzweiflung und Schuld die Herrlichkeit Gottes
und Befreiung real erleben.

Wir haben uns entschlossen, den Menschen, die uns in glaub-
würdiger Weise unglaubliche Geschichten erzählt haben, zu
glauben. Da, wo weitere Recherche nicht möglich ist, weil die
Menschen sich ihre Erlebnisse selbst nur durch die Allmacht
Gottes erklären konnten, haben wir das Wunderbare stehenge-         Bleiben Sie jede Woche auf dem Laufenden! Unser pdf-
lassen. Lesen Sie selbst.                                           Magazin proKOMPAKT liefert Ihnen jeden Donnerstag die
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Ihr Christoph Irion

2 pro | Christliches Medienmagazin                                                                                      4 | 2019
Pro 4 | 2019 Christliches Medienmagazin - François Ozon - pro Medienmagazin
INHALT | IMPRESSUM

                                                                   24

                                       Gloria Gaynor: Disco-
                              45       Sängerin verehrt Jesus
                                                                                                                                               32

  Kino, Kirche und die Brücke dazwischen                                   Perlen im Internet
  Warum Pastor Eckart Bruchner das Kino liebt                       24     Matthias Clausen erklärt, warum Verkündigung heute
  Gott der Schwachen                                                       besonders punktgenau sein muss                   36
  Ein Impuls von Benjamin Piel                                      26     „Gott will, dass ich Buschpilot bin“
  Die „Immerdabei-Bibel“                                                   Zu Gast beim Trainingscamp
  Wie eine App Konfirmanden biblische                                      für angehende Buschpiloten                       38
  Inhalte schmackhaft machen soll                                   28     Christ und Krieg
                                                                           Martin Niemöller: Marine-Soldat,
  PÄDAGOGIK                                                                KZ-Häftling, Pfarrer                             42
  Soll ich Jesus wirklich
  mehr lieben als meine Kinder?                                            KU LT U R
  Eine Kolumne von Vierfach-Vater Daniel Böcking                    30     Gloria Gaynor predigt Evangelium mit Gospelmusik
                                                                           Disco-Queen liebt Jesus                          45
  GESELLSCHA FT                                                            Musik, Bücher und mehr
  Christen von Nationalmannschaft ausgeschlossen                           Neuerscheinungen kurz rezensiert                 46
  Eine Kolumne von Wolfram Weimer                31
  Müssen Christen Bio kaufen?
  Ein Besuch beim einst
  größten Fleischfabrikanten Europas             32

  I MPR ESSUM

  Herausgeber Christliche Medieninitiative pro e.V.                      Lesertelefon (0 64 41) 5 66 77 77 | Adressverwaltung (0 64 41) 5 66 77 52
  Charlotte-Bamberg-Straße 2 | 35578 Wetzlar                             Anzeigen Telefon (0 64 41) 5 66 77 67 | anzeigen@pro-medienmagazin.de
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  Vorsitzender Michael Voß | Geschäftsführer Christoph Irion             Satz/Layout Christliche Medieninitiative pro e.V.
  Redaktion Martina Blatt, Dr. Johannes Blöcher-Weil, Nicolai Franz,     Druck L.N. Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien, Geldern
  Daniel Frick, Elisabeth Hausen, Anna Lutz, Michael Müller, Stefanie    Bankverbindung Volksbank Mittelhessen eG | Kto.-Nr. 40983201, BLZ 513 900 00
  Ramsperger (Redaktionsleitung), Norbert Schäfer, Jörn Schumacher,      | IBAN DE73 5139 0000 0040 9832 01, BIC VBMHDE5F
  Jonathan Steinert, Swanhild Zacharias                                  Beilage Israelnetz Magazin (16 Seiten)
  E-Mail info@pro-medienmagazin.de | kompakt@pro-medienmagazin.de        Titelfoto Luis Galvez

4 | 2019                                                                                               pro | Christliches Medienmagazin 3
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MELDUNGEN

Ebola-Überlebender geht als
Missionsarzt nach Sambia
Der Arzt Kent Brantly hatte sich 2014 bei der Behandlung von Ebola-Patienten
in Liberia mit dem hochansteckenden Ebola-Virus infiziert. Der Mediziner des
christlichen Hilfswerkes „Samaritan’s Purse“ war lebensbedrohlich erkrankt
und musste zur Behandlung in die USA ausgeflogen werden. Den Ärzten einer
speziellen Isolierstation gelang es, sein Leben zu retten. Brantly schreibt es
Gott zu, dass er wieder gesund wurde. Jetzt will Brantly auf den Kontinent zu-
rückkehren und im Mukinge Mission Hospital in Sambia als Arzt arbeiten. In

                                                                                                                                           Foto: Samaritan's Purse
dem christlichen Missionskrankenhaus will er den Armen dienen und Men-
schen in Not helfen.
Brantly hatte wegen seines Engagements gegen die Ebola-Epidemie in West-
afrika und wegen seiner spektakulären Rettung medial Aufmerksamkeit er-
langt. Das Time Magazine kürte ihn und weitere „Ebola-Bekämpfer“ 2014 we-
gen „ihrer unermüdlichen Taten des Mutes und der Barmherzigkeit, [...] für        Der Arzt Kent Brantly überlebte eine Ebola-
                                                                                  Infizierung. Jetzt geht er in die Mission.
das Risiko, das Beharren, das Aufopfern und das Retten“ zu Personen des
Jahres. Davor war Papst Franziskus diese Ehre zuteil geworden, danach der
deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. | norbert schäfer

            62,1 prozent
                                 ... der Mitglieder von Freikirchen stimmen der Aussage zu: „Besuchern unserer Gemeinde
                                 wird auf einladende Weise vermittelt, dass Zweifel und kritische Rückfragen erlaubt und
                                 willkommen sind.“ Nur 16 Prozent der Befragten gaben an, dass dies „überhaupt nicht“
                                 beziehungsweise „eher nicht zutrifft“. Dies ist eines der Ergebnisse des Theologen Philipp
                                 Bartholomä, der eine umfangreiche Studie zu den missionarischen Herausforderungen
                                 von Freikirchen verfasst hat. Bartholomä ist Professor an der Freien Theologischen Hoch-
                                 schule in Gießen und selbst freikirchlicher Pastor. Für seine Studie hat er Verantwortliche
                                 aus 51 freikirchlichen Gemeinden mit Hilfe eines Online-Fragebogens befragt. Insgesamt
                                 wertete er die Antworten von 1.815 Personen aus. Die Befragten sollten etwa angeben, wie
                                 sehr sie der Aussage „In unserer Gemeinde kommen regelmäßig Menschen zum Glauben,
                                 die bisher wenig oder gar keine Berührungspunkte mit Kirche und christlichem Glauben
                                 gehabt haben“ zustimmen. In jungen (34,5 Prozent) und mittelalten Gemeinden (40,2 Pro-
                                 zent) antworten deutlich mehr Befragte mit „trifft eher zu“ oder „trifft voll und ganz zu“
                                 als in Gemeinden mit durchschnittlich älteren Mitgliedern (25,4 Prozent). Von den Be-
                                 fragten hatten 36,4 Prozent in den letzten zwölf Monaten keine einzige Person neu mit der
                                 Gemeinde verknüpft. Mehr als die Hälfte (57,2 Prozent) geben an, im Laufe des Jahres bis
                                 zu fünf Freunde und Bekannte zu Veranstaltungen der Gemeinde mitgebracht zu haben,
                                 nur bei 6,4 Prozent waren es mehr als fünf Personen. | jörn schumacher

4 pro | Christliches Medienmagazin                                                                                              4 | 2019
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Drei Fragen an ...
... Ulrich Kasparick. Der DDR-Bürgerrechtler, Pfarrer und Staatssekretär a. D. hat öffent-
lich kritisiert, dass die Leipziger Philharmoniker den Linken-Politiker Gregor Gysi für die
Rede zu einer Gedenkveranstaltung anlässlich von 30 Jahren Friedlicher Revolution ein-
geladen haben.
pro: Warum haben Sie etwas dagagen, dass Gregor Gysi eine Festrede zum 30. Jah-
restag der Friedlichen Revolution hält?
Ulrich Kasparick: Gysi war ja nun wahrhaftig kein Oppositioneller. Im Gegenteil: Er war
als Vorsitzender der SED ein Träger des Systems. Und in Erinnerung an die Friedliche Re-
volution einen Vertreter des Systems einzuladen, das ist absolut nicht zu rechtfertigen.
Sie waren in den Achtzigerjahren Jugendpfarrer in Jena. Die Kirchen waren in der DDR
eine Art Schutzraum für die freie Meinungsäußerung ...
Das ist in dieser Allgemeinheit eine Legende, die ich aus meiner Erfahrung nicht bestä-
tigen kann. Es waren wenige Kirchenleute, die ihre Räume geöffnet und die sich damals
eingemischt haben. Ich kann mich gut an Diskussionen im Konvent erinnern, wo viele
Kollegen sagten, es sei nicht Aufgabe der Kirche, sich mit den Oppositionellen zu beschäf-
tigen, das sei eine unnötige Provokation dem Staat gegenüber.
Mittlerweile ist der Osten Deutschlands eine der religionsärmsten Regionen Euro-
pas. Hat auch das atheistische DDR-Regime dazu beigetragen?
Ganz sicher. Vor dem Ruhestand war ich einige Jahre Pfarrer in der Uckermark. Da kann

                                                                                                Foto: Ulrich Kasparick
man das bestätigt finden. In vielen Familien gibt es in der vierten Generation schon kei-
nen Kontakt mehr zur Kirche. Insbesondere Margot Honecker hat die Kirche massiv be-
kämpft. Zuvor sind die Menschen wegen Hitler aus der Kirche ausgetreten, zu Honeckers
Zeiten war die Kirche in der deutlichen Minderheit und jetzt, in den 30 Jahren Kapitalis-
mus, haben die Leute andere Sorgen. Das ist eine richtig abgerissene Tradition. Ich habe
das aber immer auch als eine Chance empfunden. Denn wenn man als Pastor mit dem Ge-                                  Ulrich Kasparick, 61, war in den
                                                                                                                     Achtzigerjahren Stadtjugendpfarrer
meindeaufbau bei Null anfangen kann, ist manches einfacher.                                                          in Jena. 1998 zog er für die SPD in den
Vielen Dank für das Gespräch!                                                                                        Bundestag ein und war von 2004 bis
| die fragen stellte jonathan steinert                                                                               2009 Parlamentarischer Staatssekre-
                                                                                                                     tär, zunächst im Bundesministerium
Lesen Sie das ganze Interview online: bit.ly/Kasparick                                                               für Bildung und Forschung, später im
                                                                                                                     Verkehrsministerium.

Facebook löscht Augustinus-
Zitat als Hassrede
Der katholische Journalist Domenico Bettinelli aus Boston hat in seinem Weblog da-
von berichtet, dass Facebook ein Posting mit einem Zitat des christlichen Philosophen
                                                                                                                                                               Foto: bettnet.com/Screenshot pro

Augustinus von Hippo gelöscht hat. Zunächst habe ein Freund von Bettinelli, ein Or-
densbruder, auf seiner Facebook-Seite das Zitat von Augustinus (354–430) gepostet. Es
handelte sich um einen Ausschnitt aus einer Predigt des Kirchenvaters, in der er an-
mahnt, man solle besser auf die eigenen Sünden achten anstatt auf die anderer. Das
Zitat wurde von Facebook immer wieder gelöscht. Anderen Nutzern erging es genau-
so. Facebook begründete dies damit, dass es sich um ein Hass-Posting handele. Die
Antwort des Unternehmens veröffentlichte Bettinelli wiederum auf der Plattform, und
selbst dieses Posting wurde sofort gelöscht. Bettinelli schreibt dazu: „Hasspredigt? Es       Kaum hatte jemand das Augustinus-Zitat
ist genau das Gegenteil!“ Doch auch auf Nachfrage beharrte Facebook darauf, dass das          bei Facebook gepostet, wurde es wieder
Augustinus-Zitat als „Hassrede“ einzustufen sei. | jörn schumacher                            gelöscht. Begründung: „Hate Speech“.

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Pro 4 | 2019 Christliches Medienmagazin - François Ozon - pro Medienmagazin
Sie stehen für viele: In zahlreichen
Ländern können Christen ihren
Glauben nicht frei leben

                Die Verfolgten
                Experten schlagen Alarm: Die Lage der Religionsfreiheit hat sich in
                den vergangenen Jahren verschlechtert. 80 Prozent der Verfolgten
                sind Christen. Die Instrumente der Vereinten Nationen sind stumpf
                geworden, neue Allianzen formieren sich – unter Führung der USA.
                Und Deutschland? | von nicolai franz
                                                                                                 Foto: Bobby Rodriguezz

6 pro | Christliches Medienmagazin                                                    4 | 2019
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POLITIK

E
      rster November 2018, eine kleine christliche Gemeinde           Mali und Burkina Faso ins Chaos, seit langem schon Länder wie
      in Luoning in der chinesischen Provinz Henan. 30 Regie-         die Zentralafrikanische Republik, Ägypten und Nigeria.“ Im ver-
      rungsbeamte kommen zum Kontrollbesuch. Die Zehn Ge-             gangenen Jahr seien dort mehr Christen ermordet und Kirchen
bote hängen an der Wand. „Du sollst keine Götter neben mir            zerstört worden als im Vorjahr. Staaten wie Nordkorea, Afgha-
haben“, heißt das erste. „Das muss entfernt werden“, sagt einer       nistan, Somalia und Libyen belegen nach wie vor die vorderen
der Beamten. Der Pastor und die Gemeindemitglieder protestie-         Plätze des Weltverfolgungsindexes.
ren, doch es hilft nichts. „Xi Jingping ist gegen diese Aussage.        Was tut die Politik dagegen? Und macht sie genug? In der Re-
Wer wagt es, nicht zu kooperieren? Wer widerspricht, kämpft           gel stellen Journalisten oder Hilfswerke diese Frage. 2018 war
gegen dieses Land!“ Die Beamten entfernen das erste Gebot. Die        es in Großbritannien jedoch umgekehrt. Außenminister Jeremy
Regierung mache ihnen das Leben schwer, klagen die Christen           Hunt bat die anglikanische Kirche um eine umfassende Unter-
laut dem Magazin Bitter Winter, das über Religionsfreiheit und        suchung zur Lage der Religionsfreiheit. Außerdem wollte Hunt
Menschennrechte in China berichtet.                                   wissen, ob die britische Politik mit den richtigen Mitteln und
  „Seit der Kulturrevolution Chinas unter Mao Tse-tung hat die        intensiv genug gegen die Verfolgung von Christen vorgeht. Phi-
Kirche in China dieses Ausmaß an Verfolgung nicht mehr er-            lip Mounstephen, Bischof von Truro, übernahm die Federfüh-
lebt“, schreibt Markus Rode, Geschäftsführer des christlichen         rung. Im Juli 2019 legte er den Abschlussbericht vor. Auch er
Hilfswerks Open Doors, darauf in einem Gastbeitrag für pro. Die       kam zu dem Schluss, dass sich die Lage verfolgter Christen ver-
Kommunistische Partei Chinas habe im vergangenen Jahr eine            schlechtert habe. 80 Prozent der religiös verfolgten Menschen
eigens überarbeitete Bibel eingeführt, „sozialistische Kernwer-       seien Christen. Der Bericht gab einige bemerkenswerte Emp-
te“ sollten nun in allen Kirchen Chinas gelehrt werden.               fehlungen ab: Die Regierung solle in Ländern mit muslimischer
  Wenn China in den Schlagzeilen ist, dann entweder wegen             Mehrheitsbevölkerung ausschließlich christlichen Organisati-
der Aufstände in Hongkong, wegen des Handelskriegs mit den            onen Geld geben. „Unterstützen Sie keine Regierungen oder in-
USA oder wegen der neuen digitalen Totalüberwachung, mit              ternationale Organisationen in diesen Ländern mit finanziellen
der der Staat seine Bürger permanent durchleuchtet. Dass die          Mitteln in dem Glauben, sie würden Christen helfen.“ Örtliche
kommunistische Führung in Peking Christen brutal bekämpft,            Botschaftsmitarbeiter sollten ein „tiefgehendes Wissen der Re-
geht dabei oft unter. „China ist ein Staat, der alles kontrollieren   ligionsgeschichte, Verfolgung und religiöser Kultur“ des Landes
will und der alles, was er nicht kontrollieren kann, unterdrü-        erhalten, in dem sie arbeiten.
ckt – auch die Religion“, sagt Christof Sauer gegenüber pro. Er
hat an der Freien Theologischen Hochschule Gießen den Lehr-
stuhl für Religionsfreiheit und die Erforschung der Christenver-        So stehen die Deutschen
folgung inne, den ersten seiner Art. Alleine wegen der schieren         zur Religionsfreiheit
Größe der Länder würden die meisten Christen weltweit in Chi-
na und Indien verfolgt. In China unterdrücke der Staat, in In-            West                         28 %
dien hinduistische Nationalisten. Selbsternannte „Kuhwäch-
                                                                          Ost                                         42 %
ter“ machten Jagd auf alle, die sie verdächtigen, den ihnen hei-
ligen Tieren etwas angetan zu haben. Meist fielen Muslime oder          „Öffentlich für seinen Glauben zu werben,
Christen dem Lynchmob zum Opfer. Von mehr als 30 Todesop-               sollte verboten sein.“
fern seit 2010 ist die Rede.
  Weltweit hat sich Lage der Religionsfreiheit und besonders            Das Recht zur Mission ist Bestandteil der Religionsfreiheit.
der verfolgten Christen weiter verschlechtert. Experten für Re-         Manche Deutsche wünschen es sich anders.
                                                                        Quelle: Religionsmonitor, Bertelsmann-Stiftung 2019
ligionsfreiheit schlagen indes Alarm: Im Juli 2019 legte das re-
nommierte amerikanische Pew-Institut eine Vergleichsstudie
vor, nach der die Religionsfreiheit seit 2007 weltweit eingebüßt      Im Klartext: Oftmals hat das diplomatische Personal keine Ah-
hat. Schränkten 2007 noch 40 Regierungen wie die chinesische          nung von Religion und zieht daher falsche Schlüsse auf die
die Religionsfreiheit ein, waren es 2017 52 Länder. 2007 zähl-        Lage der Religionsfreiheit.
te das Institut 39 Länder, in denen der Druck auf die freie Re-         Christof Sauer unterstreicht diese Forderung. „Das Grundpro-
ligionsausübung von der Gesellschaft ausgeht, zehn Jahre spä-         blem ist, dass das diplomatische Personal in religiösen Fragen
ter waren es 56 Länder. Alleine diese Feststellung bedeute al-        unmusikalisch ist.“ Immer wieder komme es zu „haarsträu-
lerdings noch nicht, dass tatsächlich mehr Menschen wegen             benden Fehleinschätzungen“. Nur weil jemand Gottesdienst fei-
ihres Glaubens verfolgt würden, sagt Sauer, aber es lebten mehr       ern könne, heiße dies noch lange nicht, dass in dem Land auch
Christen in Ländern, in denen sie verfolgt und bedrängt werden        Religionsfreiheit herrsche.
könnten.                                                                Das Menschenrecht der Religionsfreiheit geht in der Tat viel
  „Von Verbesserung kann keine Rede sein“, sagt auch Markus           weiter. Es garantiert, dass alle Menschen weltweit ihren Glau-
Rode. „Aufgeheizt durch religiös-nationalistische Gruppen wie         ben nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern auch in der Öf-
in Indien, Laos und vielen islamischen Ländern, nehmen Ge-            fentlichkeit leben dürfen und dass jeder das Recht hat, sich
walt und Feindseligkeiten gegen Christen auch durch die Beein-        für eine Religion zu entscheiden, sie zu wechseln oder auch zu
flussung immer größerer Bevölkerungsgruppen zu.“ Dort dür-            gar keiner Religion zu gehören. Alle Mitgliedsstaaten der Ver-
fe nur ein einziger Glaube gelten, Anhänger anderer Religionen        einten Nationen haben sich verpflichtet, dieses Menschenrecht
hätten keinen Platz. „In Afrika stürzen extremistisch-islamische      zu achten. Gleichzeitig sind es häufig islamisch geprägte Län-
Gruppen durch die Verbreitung von Hass und Gewalt nun auch            der wie Saudi-Arabien, die die Religionsfreiheit massiv ein-

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POLITIK

schränken. Uwe Heimowski, Politikbeauftragter der Deut-             fe oder ob die Initiative bewusst global denke. Die Worte Pom-
schen Evangelischen Allianz, berichtet von einem denkwür-           peos am Ende der Tagung geben ihm Anlass zur Hoffnung. Der
digen Auftritt eines Mitarbeiters der saudi-arabischen Bot-         Außenminister sprach nicht nur über „first freedom“ der ameri-
schaft im Stephanus­kreis. Das Gesprächsforum von 88 Abge-          kanischen Verfassung, sondern gerade über die Verfolgten welt-
ordneten der Unionsfraktion im Bundestag setzt sich für Reli-       weit, über die Bahai im Iran, die muslimischen Rohingya in My-
gionsfreiheit und gegen Christenverfolgung ein. Der Botschaf-       anmar und die Christen in China. Sauer hofft darauf, dass die
ter habe mit Überzeugung davon gesprochen, dass in seinem           USA ihre Partner als Gleichberechtigte sehen.
Land Religions­freiheit herrsche. Verschiedene Kirchenvertreter        Auf der Konferenz hatte der ehemalige britische Premier Tony
widersprachen, ihre Anhänger würden in Saudi-Arabien massiv         Blair gefordert, dass das Thema Religionsfreiheit die Top-Prio-
in ihren Rechten eingeschränkt. „Dann sagte er, da es sich bei      rität für westliche Regierungen bekommen müsse, anstatt, wie
diesen Gruppen nicht um Religionsgemeinschaft handle, gibt          im Moment, „zwischen Platz 2 und 3“ dahinzudümpeln.
es auch keine religiöse Verfolgung“, erinnert sich Heimowski.          In Deutschland ist das Thema noch lange nicht auf Platz 1
„Laut Verfassung ist nur der Islam als Religion anerkannt.“         der politischen Agenda angekommen. Doch immerhin hat die
   Wer sich auf diese Begebenheit einen Reim machen will, muss      Union durchgesetzt, dass die Bundesregierung mit dem Abge-
in ein Dokument schauen, das die Organisation der Islamischen       ordneten Markus Grübel einen Beauftragten für weltweite Re-
Konferenz 1990 verabschiedet hat: Die Kairoer Erklärung der         ligionsfreiheit erhalten hat. Die Stelle ist allerdings nicht beim
Menschenrechte im Islam. Bis heute haben 55 von 57 Mitglieds-       SPD-geführten Außenministerium, sondern beim – weniger ein-
staaten den Text unterzeichnet. Was sich anhört wie ein Be-         flussreichen – CDU-geführten Ministerium für Entwicklungszu-
kenntnis zu universalen Grundwerten, ist in Wahrheit ein Ge-        sammenarbeit angesiedelt. Die Evangelische Allianz begrüßt
genprogramm zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrech-             diesen Schritt, den sie zuvor jahrelang gefordert hatte. Auch
te der Vereinten Nationen. Der wichtigste Unterschied: In der       Grübel hatte auf der Konferenz in den USA gesprochen – aller-
Kairoer Erklärung steht die Scharia über allen anderen Rechten.     dings auf Deutsch. „Das Interesse in Deutschland an Religions-
Konkret bedeutet das unter anderem, dass Muslime ihre Religi-       und Weltanschauungsfreiheit ist noch nicht groß genug“, sagte
on nicht verlassen dürfen, denn die Scharia verbietet dies. Die     er. „Wenn Unrecht nicht im unmittelbaren Umfeld geschieht, ist
Religionsfreiheit wird dadurch zu einem Schutz der Religion,        es leicht, wegzusehen und sich auf anderes zu konzentrieren.
und das ist nach Auffassung der Verfasser der Islam. Ein offener    Zu wenigen Menschen ist bewusst, dass die Einschränkung von
Widerspruch zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.           Religionsfreiheit auch Verletzungen anderer Menschenrechte
   Im Juni 2018 trat US-Außenminister Mike Pompeo vor die Mi-       nach sich zieht und mit ihnen einhergeht.“
krofone, um eine Entscheidung von großer Tragweite zu ver-             Im Moment ist sein Büro mit einem Bericht beschäftigt, den
künden. Pompeo zitierte zunächst seinen Boss, Präsident Do-         die Bundesregierung dem Bundestag wohl noch in diesem Jahr
nald Trump. Er hatte vor der UN-Generalversammlung gesagt:          vorlegen könnte. Uwe Heimowski von der Evangelischen Alli-
„Es ist eine massiver Quelle der Peinlichkeit für die Vereinten     anz hofft, dass durch den Bericht und die folgende Debabtte al-
Nationen, dass einige Regierungen mit einer ungeheuerlichen         len Abgeordneten klar wird, wie wichtig Religionsfreiheit und
Menschenrechtsbilanz im UN-Menschenrechtsrat sitzen.“ Einst         Christenverfolgung im Besonderen sind. Jedes Jahr schickt die
sei der Rat eine gute Idee gewesen. Heute sei er eine „schamlose    Allianz jedem Mitglied des Bundestages eine Ausgabe des Jahr-
Heuchelei“. Ganz unrecht hatte der Chefdiplomat damit nicht,        buchs „Verfolgung und Diskriminierung von Christen“. Heraus-
saßen mit China, Kuba und Afghanistan doch einige Länder            geber sind neben der Allianz die Internationale Gesellschaft für
mit am Tisch, die regelmäßig massive Menschenrechtsverlet-          Menschenrechte (IGFM) und das Internationale Institut für Re-
zungen begehen. Gerügt werden sie dafür selten. Während etwa        ligionsfreiheit. Open Doors hofft, dass vor allem die Verfolgung
Nordkorea und der Iran nur je vier Mal vom Menschenrechtsrat        von Konvertiten in Grübels Bericht ausreichend Erwähnung fin-
verurteilt wurden, geschah es bei Israel gleich 61 Mal. Saudi-      det. Bislang sei dieser Aspekt vernachlässigt worden.
Arabien, eines der repressivsten Länder der Erde, hatte zeitwei-       Als Volker Kauder noch Vorsitzender der Unionsfraktion war,
se gar den Vorsitz des Menschenrechtsrates inne – für viele eine    sei das Thema in der Bundespolitik noch präsenter gewesen,
Farce. Die USA zogen sich deshalb aus dem Rat zurück.               sagt Rode. Kauder, der nun als einfacher Abgeordneter immer
   Ein Jahr später hatte Pompeo eine neue Botschaft. Das Au-        noch dieselben Kontakte, aber mehr Zeit hat, setze sich aller-
ßenministerium hatte etwa 1.000 Teilnehmer unterschiedlichen        dings weiterhin für verfolgte Christen ein. „Kauder gibt jetzt
Glaubens und aus vielen verschiedenen Nationen mehrere Tage         richtig Gas“, sagt auch Heimowski. Laut einem Bericht der Bild-
versammelt, um über Religionsfreiheit zu sprechen. Zum Ab-          Zeitung legte Kauder sich sogar mit Innenminister Horst See-
schluss der Konferenz kündigte Pompeo an: „Wir werden die           hofer (CSU) an, um zu erreichen, dass keine christlichen Konver-
Internationale Allianz für Religionsfreiheit gründen.“ Gleichge-    titen mehr in den Iran abgeschoben werden – bislang ohne Er-
sinnte Länder könnten sich der Allianz anschließen. Eine glo-       folg: „Ich werde in dieser für viele Christen existenziellen Frage
bale Initiative unter amerikanischer Führung – eine gute Idee?      nicht lockerlassen und nach der Sommerpause den Bundesin-
   Christof Sauer sieht sie ambivalent. „Einerseits ist es bewun-   nenminister Horst Seehofer bitten, sich dafür einzusetzen.“
dernswert, dieses weltweit größte und repräsentativste Tref-        Trotzdem kritisiert Open Doors, dass Religionsfreiheit in der Re-
fen zum Thema Religionsfreiheit auf politischer Ebene zu ins­       gierungsspitze noch nicht den Stellenwert hat, den sie verdient.
titutionalisieren.“ Dadurch erhalte das Thema ein viel größe-       Um die Bundeskanzlerin sei es zum Thema seit der Flüchtlings-
res Gewicht. Außerdem sei es gut, dass es Konkurrenz zu den         krise still geworden. Und bei Jeremy Hunts deutschem Amtskol-
UN gebe. Die Frage sei, welche Rhetorik die USA wählten, ob es      legen im Außenministerium? „Von Herrn Maas haben wir zum
am Ende auf das Trump-Programm „America First“ hinauslau-           Thema Christenverfolgung leider noch nichts gehört.“

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POLITIK

     Wo Christsein schwierig ist                                                                  Turkmenistan
                                                                                                  Auf dem aktuellen Weltverfolgungs-
     Chito war Drogenboss in Mexiko, Batyr wuchs im armen Staat                                   index liegt Turkmenistan auf Rang
     Turkmenistan auf. Beide finden auf unterschiedlichen Wegen                                   23. In dem Land ist es verboten, den
                                                                                                  Islam zu verlassen. Von den knapp
     zum christlichen Glauben – und beide haben es Jahre später                                   sechs Millionen Einwohnern sind
     noch schwer, diesen öffentlich zu bekennen. pro hat beide                                    etwa 70.000 Christen. Laut Open
     getroffen und nahezu unglaubliche Geschichten erfahren. |                                    Doors geht die staatliche Verfolgung
     von johannes blöcher-weil                                                                    von der Polizei, den Geheimdiens-
                                                                                                  ten und örtlichen Behörden aus, die
                                                                                                  religiöse Aktivitäten überwachen
                                                                                                  und regelmäßig Gottesdienste auf-
                                                  In der Depression zu Jesus                      suchen. Staatliche Behörden führen
                                                  gefunden                                        häufig Razzien bei nichtregistrier-
                                                                                                  ten Gemeinden durch. Die islamisch
                                                  Bis zu seinem 17. Lebensjahr hat Batyr          geprägte Gesellschaft insgesamt
                                                  noch nie etwas von Jesus gehört. Gott           macht das Leben für Christen musli-
                                                  kommt in seinen Gedanken vor, aber der          mischer Herkunft besonders schwer.
                                                  junge Turkmene will auch ein guter Kom-         Es kommt vor, dass sogar die Got-
                                                  munist sein. Das politische System be-          tesdienste der Russisch-Orthodoxen
                                                  antwortet allerdings seine Lebensfragen         und Armenisch-Apostolischen Kir-
Foto: OpenDoors

                                                  nicht. Auch mit dem Islam beschäftigt           chen überwacht werden. Das Dru-
                                                  er sich intensiv: „Es war ja die Religion       cken oder die Einfuhr christlicher
                                                  meiner Vorfahren. Ein Turkmene wird als         Schriften ist eingeschränkt.
                                                  Moslem geboren und stirbt als Moslem.“
                                                    Christ zu werden ist das größtmögliche
                                                  Verbrechen für einen Turkmenen. Ba-
                                                  tyr wagt den Schritt. „Schließlich gibt es

 D
            as Auto rast mit 100 Stunden-         bei Jesus Christus das ewige Leben. Im Is-    Freunden Hunderte Turkmenen Chris-
            kilometern über die Straßen           lam kannst du dir nie sicher sein, ob du      ten. Die Regierung beobachtet die Ent-
            Turkmenis­ tans. Darin sitzt Pa-      errettet und erlöst bist.“ Mitten in einer    wicklung argwöhnisch – und beginnt die
     stor Batyr mit drei Freunden. Sie wollen     schwierigen Lebensphase erzählt ihm           Christen zu schikanieren. „Wir hatten aus
     Bibeln verteilen und den Menschen von        sein Nachbar die befreiende Botschaft         ihrer Sicht die Religion der Feinde in der
     Gott erzählen. In dem asiatischen Land,      von Jesus. 1993 kommt er zum christ-          westlichen Welt angenommen. Die Re-
     das früher zur Sowjetunion gehörte, ist      lichen Glauben.                               gierung hatte Angst, dass der Feind uns
     das gefährlich. Wer von Jesus erzählt,         Ihn fesselt die Liebe, die von Jesus aus-   bald wieder beherrscht“, erklärt Batyr.
     kann im Gefängnis landen.                    geht: „Dass jemand für deine Schuld           Deswegen beginnt sie damit, Pastoren zu
                                                                                                verhaften und zu foltern.
                                                                                                  Im Jahr 2000 lässt sie ihn verhaften und
                                                                                                seine Familie enteignen. Anderen Chris-
     „Meine Bekehrung war das                                                                   ten stellt der Staat den Strom ab und
                                                                                                kappt die Gasleitung. Batyr erinnert sich:
     größtmögliche Verbrechen.“                                                                 „Am schlimmsten war es, wenn Chris-
                                                                                                ten starben und sie keinen Platz auf dem
                                                                                                Friedhof zur Beisetzung bekamen.“ Es
                                                                                                gibt sechs christliche Familien in seinem
     Plötzlich platzen zwei Autoreifen. Das       stirbt, gibt es sonst nirgends.“ Batyr        Dorf. Deren Kinder werden in der Schule
     Auto überschlägt sich mehrmals. Die Bi-      möchte anderen Menschen von dem er-           gezwungen, in der Aula christliche Lieder
     beln, die sie dabei haben, liegen auf der    zählen, was ihn fasziniert. „Bis dahin gab    zu singen – unter dem Hohn und Spott
     Straße. Batyrs Freunde und er selbst blei-   es in Turkmenistan wenige Christen und        aller Anwesenden. Batyr lässt sich nicht
     ben unverletzt. Was er anschließend er-      keine Gemeinden“, erzählt er. Heute sind      einschüchtern. Er möchte Menschen für
     lebt, ist unmenschlich. Im Nachhinein        es gerade einmal insgesamt acht protes­       Jesus begeistern. Die Gemeinden wach-
     vermutet er, dass die turkmenische Re-       tantische, katholische und orthodoxe Ge-      sen – allerdings nur kurz. Die Regierung
     gierung das Auto manipuliert und den         meinden im ganzen Land.                       versucht, Batyr aus dem Verkehr zu zie-
     Unfall herbeigeführt hat, um seine Akti-       Binnen kurzer Zeit werden durch die         hen. Der Tag, nachdem sie seine Ver-
     vitäten zu stoppen.                          Missionstätigkeiten von Batyr und seinen      teilaktion der Bibeln jäh stoppte, ist der

     4 | 2019                                                                                    pro | Christliches Medienmagazin 9
Pro 4 | 2019 Christliches Medienmagazin - François Ozon - pro Medienmagazin
POLITIK

seiner Verhaftung. Er weiß, dass ihm kei-             Tritt nach Jesus gerufen, um das zu been-
ne rosige Zukunft bevorsteht. „Viele Tiere            den. Er soll mich aus dieser Tortur befrei-
in Europa werden besser behandelt als                 en.“
Häftlinge in Turkmenistan.“
                                                      Seine Frau erkannte ihn nicht
„Sie haben mich getreten wie                          wieder
einen Fußball“
                                                      Verstehen konnte er nicht, warum dies
Batyr wird geschlagen, gefoltert und mal-             mit ihm geschah. Er war weder ein Ver-
trätiert, wie es in brutalen Hollywood-               brecher noch ein Drogendealer. Nicht
Streifen gezeigt wird. Zeitweise treten               einmal Mafia-Mitglieder folterten sie so,
neun kräftige Offiziere ihn wie einen Fuß-            meint Batyr zu wissen. Um die Tortur zu
ball – nächtelang. Seine Hände sind nach              beenden, verleugnet er Gott: „Sie haben
hinten gefesselt, damit er die Tritte und             mich zerbrochen.“ Er kommt frei – und
Schläge nicht abwehren kann. Die Hand-                predigt weiter.
schellen sind so eingestellt, dass jede Be-           Seine Frau erkennt ihn bei seiner Rück-
wegung höllische Schmerzen verursacht.                kehr kaum wieder: Sein Gesicht ist ge-

                                                                                                                              C
Damit wollen die Gefängnisaufseher den                schwollen. Er hat überall blaue Flecken                                        hito hat mit Drogen gehandelt, mit
Menschen brechen. Er soll ihnen wich-                 und kann kaum normal laufen. Warum                                             menschlichen Organen und mit
tige Information zur christlichen Szene               kommt sein allmächtiger Gott nicht zu                                          Menschen selbst. Er hat junge Leu-
geben und Gott leugnen. Die Männer to-                Hilfe und schickt seine Engel, um die Pei-                              te entführt, getötet und ihre Organe ver-
ben sich aus, bis sie genug haben. Dann               niger zu stoppen? Übersieht ihn Gott?                                   kauft. Vor allem aber hat er Kokain, Hero-
verlassen sie die Zelle, um eine Zigaret-               Eine schnelle Antwort findet er nicht.                                in und Marihuana aus Mexiko in die USA
te zu rauchen. Das wiederholt sich einige             In der Rückschau sagt er: „Gott war in                                  geschmuggelt und schmuggeln lassen.
Wochen jeden Abend. Tagsüber werden                   dieser Zeit neben mir.“ Auch Paulus sei                                   Wer mit Drogen handelt, hat Macht:
die Häftlinge verhört, abends beginnt                 im Gefängnis wegen seines Glaubens ge-                                  „Die Polizei schützt und respektiert dich,
die Tortur. Am schlimmsten ist es, wenn               foltert worden. Auch dies habe Gott zuge-                               weil sie Angst hat“, gibt Chito einen Ein-
die Häftlinge die Fragen nicht zur Zufrie-            lassen.                                                                 blick in sein früheres Leben. Er war An-
denheit der Gefängnismitarbeiter beant-                 Heute glaubt Batyr, dass sein Stolz                                   führer eines Clans. Der Drogenhandel
worten. Manchmal setzen seine Peiniger                und sein Egoismus die größten Hinder-                                   brachte ihm Geld, viel Geld, für Frauen,
ihm eine Gasmaske auf. Dann stoppen                   nisse seines Lebens waren. „Ich muss-                                   schnelle Autos und Luxus jeglicher Art.
sie die Sauerstoffzufuhr, bis er bewusst-             te erfahren, wie schwach ich wirklich                                   Aber es bringt ihn bis heute in Situati-
los ist. Auch mit einem elektrischen Stuhl            war. Wenn ich schwach bin, bin ich stark                                onen, in denen er um sein Leben fürch-
und Stromstößen, die sie durch den Kör-               durch Gott.“ Diese Lektion hat er für sich                              ten muss.
per jagen, versuchen sie ihr Ziel zu errei-           gelernt. Seit 26 Jahren ist er inzwischen                                 Sein Leben ändert sich grundlegend,
chen. Batyr hat dies erlebt: „Es war so do-           Christ. In dieser Zeit hat er immer wieder                              als der amerikanische Geheimdienst FBI
siert, dass Gefangene es gerade noch aus-             erfahren, „dass Jesus mir Dinge zumutet,                                ihn vor über 30 Jahren bei einer Schmug-
halten konnten.“ Der Pastor soll Chris­tus            damit Er groß wird. Das tut weh und ist                                 gel-Tour überführt. Zuvor hat das FBI ver-
verleugnen und aufhören, von ihm zu                   schmerzhaft, aber wenn es nötig ist, ist                                deckte Ermittler eingesetzt, um Drogen
predigen. „Ich habe bei jedem Schrei und              es eben nötig“, sagt der siebte turkme-                                 zu kaufen und an konspirativen Treffen
                                                      nische Christ.                                                          teilzunehmen.
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                                                                                                                              Willens
                                                                                                                              Das FBI filmt die Übergabe der Drogen.
                        Bibelhüllen                                                                                           Die Bilder identifizieren Chito eindeutig.
                                                                                                                              Eine Zusammenarbeit mit dem FBI lehnt

                        Lifestyleartikel..
                        Lifestyleartikel. . .                                                                                 er ab. Der Geheimdienst bietet ihm vor
                                                                                                                              der Gerichtsverhandlung zwar die Kron-
                                                                                                                              zeugenregelung an, aber er zieht es vor,
                        Genau für mich.
                                                                                                Foto: pro / Jörn Schumacher

                                                                                                                              ins Gefängnis zu gehen, bevor er ande-
                        Qualität handgemacht in Deutschland seit 1926.                                                        re verrät. Trotz Zeugenschutzprogramm
                                                                                                                              wäre das der sichere Tod gewesen. Hätte
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10 pro | Christliches Medienmagazin                                                                                                                            4 | 2019
POLITIK

hätte, wären ich und meine Familie nicht      Chito vorlagen, wurde er als freier Mann
mehr am Leben“, ist sich Chito sicher. Der    aus dem Gefängnis entlassen.                    Mexiko
damals 25-Jährige geht ins Gefängnis, um                                                      Das Hilfswerk Open Doors unter-
seine Familie zu schützen.                    Ermöglicht Gott einem                           stützt Christen in Mexiko, die wegen
  Eines Tages fragt ein polnischer Geistli-   Drogenhändler ein Wunder?                       ihres Glaubens verfolgt werden. Auf
cher im Gefängnis in El Paso, ob jemand                                                       dem aktuellen Weltverfolgungsin-
Interesse habe, mit ihm die Bibel zu stu-     Mit Gott bringt Chito das Wunder – an-          dex steht Mexiko auf Platz 39. Orga-
dieren. Der Atheist Chito erinnert sich an    ders als seine Frau – nicht in Verbindung:      nisationen wie Open Doors möchten
einen Rat seiner Anwälte: Er solle sich       „Ich war ein Mensch, der unter einem be-        die betroffenen Kirchen und Chris-
im Gefängnis gut benehmen. Deswegen           sonders günstigen Stern lebte.“ Und wa-         ten stärken, damit sie in ihrer Wi-
sagt er dem Geistlichen zu. Um gute Füh-      rum sollte ein Gott einem Drogenhändler,        derstandsfähigkeit und materiellen
rung vorzugaukeln, lässt er sich die Bibel    der Menschen auf seinem Gewissen hat-           Eigenständigkeit wachsen. Außer-
erklären und sogar für sich beten. Wirk-      te, dieses Wunder ermöglichen?                  dem sollen nicht-verfolgte Kirchen
liches Interesse am Glauben hat er nicht:       Chito beschäftigt sich derweil mit Ra-        bei dieser Arbeit helfen. Dazu gehö-
„Die christlichen Spinner amüsierten          chegedanken gegenüber den Personen,             ren Schulungen zu juristischen und
mich.“ Trotzdem predigt er für seine Mit-     die ihn ans FBI verraten hatten. „Ge-           politischen Fragen, um wirksam ge-
häftlinge, ohne wirklich daran zu glau-       danklich hatte ich beide schon oft umge-        gen die Wurzel von Verfolgung auf
ben. Er erzählt auch seiner Frau, dass er     bracht.“ Und dann begegnet er Martha.           allen Ebenen vorzugehen.
die Bibel studiere. Im Gegensatz zu Chito     Sie war früher einmal seine Guerilla-
beschäftigt sie sich daraufhin ernsthaft      Chefin. Von ihr hat Chito gelernt, wie
damit und wird Christin. Sie be­ginnt für     man Bomben baut, Banken überfällt und
Wunder in Chitos Leben zu beten. Eines        Menschen entführt: Jetzt kommt diese
Tages besucht sie ihn und erklärt ihm         Frau zu ihm und will ihn sprechen. Die        Gott: „Ich habe ihnen alles erzählt, was
überglücklich, dass sie die Gewissheit        Guerilla-Gruppe hat sich aufgelöst und        ich erlebt habe. Manche sind zum Glau-
habe, dass er freikomme.                      Martha will von deren Aktivitäten nichts      ben gekommen, andere haben nur zuge-
                                              mehr wissen. „Sie erzählte mir etwas          hört. Aber sie respektieren mich bis heu-
Erdrückende Beweislast                        von der wichtigsten Botschaft der Welt.       te. Sie wissen, dass ich nie mit falschen
                                              Ich dachte an eine Entführung oder eine       Karten gespielt habe.“ Feinde hat er seit-
Chito erscheint absurd, was seine Frau        große Erpressung. Aber sie sagte, ich         her mehr als zuvor. Die Drogen-Bosse mö-
ihm erzählt. Diese betet unentwegt dafür,     solle Jesus in mein Herz aufnehmen.“          gen ihn wegen seiner christlichen Werte
dass Gott durch ein Wunder alle Bewei-        Damals habe er gedacht: „Diese Frau ist       nicht mehr, sagt Chito. Vor wenigen Mo-
se vernichten möge. Bei ihren Besuchen        genauso eine christliche Spinnerin. Als       naten schickte eine verfeindete Gruppe
kann sie darüber nicht offen reden, weil      Kommunistin müsste ihr klar sein, dass        einen Killer zu ihm nach Hause.
die Gespräche aufgezeichnet werden. Die       es Gott nicht gibt.“ Sie erzählt Chito ihre       Hilflos kniet er vor seinem Kontra-
Beweislast an Fotos, Tonmitschnitten          Lebensgeschichte und was Gott in ihrem        henten. Als sein Gegner abdrückt, blo-
und Fingerabdrücken ist erdrückend. Bei       Leben bewirkt habe. Dies macht sie in         ckiert die Waffe. Chito ist sich sicher, dass
der Verhandlung zwei Monate später sol-       den kommenden vier Monaten jedes Wo-          er ein weiteres Wunder mit Gott erlebt. Er
len alle Zeugen aussagen.                     chenende. Martha ist hartnäckig – aber        reißt dem Angreifer die Waffe geistesge-
  Im Gerichtssaal traut Chito seinen Oh-      Chito ist es auch. Er möchte Jesus keinen     genwärtig aus der Hand. Nach einem
ren nicht: „Wir haben jemanden verhaf-        Platz in seinem Leben geben.                  kurzen Kampf überwältigt er ihn: „Gott
tet. Aber der Täter sah ganz anders aus“,                                                   hat verhindert, dass ich sterben muss-
sagen alle Zeugen einmütig. Keiner von        Für Gott unterwegs auf                        te.“ Und weiter: „Ich habe den Tod schon
ihnen hat Chito schon einmal gesehen,         gefährlichem Terrain                          ganz nah erlebt. Ich habe keine Angst da-
herrscht zu Chitos Überraschung Einig-                                                      vor. Nicht, weil ich besonders stark wäre,
keit. Der Richter unterbricht die Sitzung.    Trotzdem lässt er sich darauf ein, dass       sondern weil Jesus in mir wohnt.“
Am Nachmittag will er alle Beweise se-        Martha für ihn betet – und erlebt er-           Dann fügt er fast ein bisschen flap-
hen. Sie werden in einer versiegelten Kis­    neut ein Wunder, wie er heute berichtet:      sig hinzu: „Paulus schreibt in Philipper
te in den Gerichtssaal gebracht.              „Nach dem Gebet war mein ganzer Kör-          1,21, dass Christus sein Leben und Ster-
  Sämtliche Siegel sind intakt. Die Video­    per heiß. Ich begann zu weinen und war        ben sein Gewinn ist. Und wenn wir ster-
aufnahmen werden gezeigt. Auf keiner          sprachlos.“ Dann schläft er ein. Martha       ben müssen, weil wir predigen, dann ist
davon ist Chito zu erkennen. Auch die         und seine Frau wecken ihn nicht. Als er       das halt so. Die Kugel, die meinen Na-
identifizierten Fingerabdrücke sind nicht     aufwacht, hat sich plötzlich alles, woran     men trägt, ist noch nicht erschaffen. Gott
von ihm. Der Richter spricht ihn im Na-       er zuvor glaubte, radikal geändert: „Gott     weiß, was er tut.“ Sorgen macht er sich
men der Vereinigten Staaten frei und ent-     ist real und es gibt ihn. Ich werde ihm       keine. Dafür hat er dem Tod schon zu oft
schuldigt sich bei ihm. Chito kann sich       dienen – von ganzem Herzen.“ Das setzt        in die Augen geschaut. Seitdem er Christ
bis heute nicht erklären, wie das passiert    Chito um. In seinem Milieu. Er erzählt        ist, hat er die Gewissheit, dass nach dem
ist. Da keine Beweise für eine Schuld von     Drogenhändlern und Terroristen von            Tod nicht alles aus ist.

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POLITIK

                                                                                                                       Foto: Anastasiia Ostapovych
                                                       Geschäftsmäßige Suizidbeihilfe ist seit einem neu-
                                                       en Gesetz aus dem Jahr 2015 in Deutschland strafbar
                                                       und wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet.
                                                       Demnach lässt sich derjenige etwas zu Schulden
                                                       kommen, der Sterbewilligen wiederholt und absicht-
                                                       lich beim Suizid hilft. In Einzelfällen aber ist die Sui-
                                                       zidbeihilfe straffrei. Das Verbot richtet sich vor allem
                                                       gegen Vereine, die einen sogenannten assistierten
                                                       Suizid anbieten, etwa indem sie einem Schwerkran-
                                                       ken Medikamente besorgen, dieser sie aber selbst
                                                       einnimmt. Einige Ärzte beklagen seit der Neurege-
                                                       lung eine Rechtsunsicherheit. Das Bundesverfas-
                                                       sungsgericht beschäftigt sich derzeit unter anderem
                                                       mit deren Beschwerden. Eine Entscheidung wird im
                                                       Herbst erwartet und könnte dazu führen, dass das
                                                       Gesetz von 2015 kippt.

Tabletten, die Leben beenden
können: Gegen eine organisierte
Suizidbeihilfe macht sich Thomas
Sitte stark

„Niemand muss verrecken“
Das Bundesverfassungsgericht könnte noch in diesem Jahr ein Gesetz kippen, das eine organi-
sierte Sterbehilfe verbietet. Der Palliativmediziner Thomas Sitte warnt vor einer Liberalisierung.
Er ist überzeugt: So gut wie jedes Leid kann gelindert werden. Wer für die Suizidbeihilfe wirbt,
spielt mit der Angst der Menschen. | die fragen stellte anna lutz

12 pro | Christliches Medienmagazin                                                                         4 | 2019
POLITIK

pro: Herr Sitte, im Oktober vor fünf Jahren nahm sich der           Schmerzen kann man sowieso in den Griff bekommen. 99,999
ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter das Leben. In seinem             Prozent dieser ganzen genannten Fälle können wir so behan­
Abschiedsbrief begründete er seinen Suizid damit, dass er           deln, dass das Leid erträglich wird. Nur leider fehlt in manchen
seine Kräfte schwinden sehe und nicht als Pflegefall enden          Krankenhäusern das Handwerkszeug dafür und auch das Wis­
wolle. Was dachten Sie, als Sie von Reiters Tod erfuhren?           sen. Und auch in der Bevölkerung: Über die Möglichkeiten der
Thomas Sitte: Ich fühlte mich schuldig. Denn drei Wochen vor­       Palliativmedizin klärt niemand auf. Wenn alle wüssten, was wir
her saß ich mit ihm gemeinsam auf einem Podium bei einer Ver­       echten Experten wissen, bräuchte es keine Debatte um Sterbehil­
anstaltung zum Thema Suizidbeihilfe. Ich war damals wie heu­        fe. Aber die Realität ist: Im Jahr sterben in Deutschland 900.000
te auch gegen die geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung.        Menschen. Und ein großer Anteil von ihnen leidet massiv.
Reiter sagte, es sei unwürdig, sich zu erschießen, nicht zumut­     Und dann kommen Sie als Palliativmediziner und greifen
bar. Ich entgegnete, dass sich mein Großvater und mein Bru­         ein?
der auch erschossen haben und dass ich einen Suizid mit Me­         Hoffentlich. Vor nicht langer Zeit hatte ich einen Patienten, der
dikamenten nicht als würdigere Todesart empfinde. Obwohl ich        kam zu mir ins Krankenhaus und wollte eigentlich nur eine
beides natürlich nicht gutheiße. Drei Wochen später war Udo         Spritze haben, damit er sterben kann. Er hatte unerträgliche
Reiter tot. Er hatte sich erschossen.                               Schmerzen, seit Monaten zunehmend, und wurde in den letz­
Das klingt, als könnten Sie seinen Suizid nachvollziehen.           ten zwei Wochen in einem Krankenhaus der Maximalversor­
Es ist seine Entscheidung gewesen. Sie kam mir damals aller­        gung behandelt. Und das sogar unter dem Label Palliativver­
dings ein wenig vor wie ein Signal in der Diskussion. So nach       sorgung. Ich habe keine zehn Minuten gebraucht, da waren sei­
dem Motto: Schaut her, so unwürdig muss ich sterben.                ne Schmerzen weg. Seine erste Frage war: Wieso haben die das
Sein Tod fiel mitten in die Debatte um eine neue Sterbehil-         denn nicht vorher gemacht? Sein Sterbewunsch verschwand
feregelung. Ein Gesetz, das Suizidbeihilfe verbietet, wurde         dennoch nicht. Er hatte einfach zu lange gelitten. Er hat Wasser
2015 verabschiedet. Reiter stand auf der Seite der Gegner,          und Nahrung verweigert – und ist einige Tage später dadurch
die sagten: „Mein Tod gehört mir!“ Was haben Sie gegen              gestorben. Ich kenne viele solcher Fälle und leider haben sie ge­
diese Haltung?                                                      meinsam, dass ich viel zu spät dazugerufen wurde. Fälle wie
Ich habe nichts gegen den Satz: „Mein Tod gehört mir!“, wenn        dieser zeigen auch: Niemand muss verrecken.
man dieser Meinung ist. Ich finde aber: Der Staat soll sich nicht   Es fehlt offenbar nicht nur an Aufklärung, sondern auch an
zu viel einmischen. Der Tod gehört jedem Einzelnen. Ich kann        Fachpersonal in Krankenhäusern.
niemanden dazu zwingen, gesund zu leben. Ich kann nie­              Zum einen sorgt die Sterbehilfelobby dafür, dass auch Ärzte in
manden dazu zwingen, sich behandeln zu lassen. Wenn ein             Sorge sind: Es wird der Eindruck erweckt, wer am Ende des Le­
Zeuge Jehovas keine Bluttransfusion möchte, dann ist das sein       bens eines Patienten nicht vorsichtig ist, der macht sich wegen
Recht. Ich würde auch den Suizid oder die Beihilfe dazu nicht       Sterbehilfe strafbar. Dabei zeigt das aktuelle Urteil vom Bundes­
komplett verbieten. Was die wenigsten wissen: Suizidbeihilfe        gerichtshof, dass viel mehr beim Sterben Zulassen erlaubt ist,
ist in Deutschland sogar legal. Viele Medikamente, die zum Tod      als die meisten wissen. Und: Das Wissen um die Möglichkeiten
führen können, sind in Apotheken erhältlich. In Deutschland         der Leidenslinderung ohne ein wesentliches Risiko der Lebens­
wird gezielt von bestimmten Kräften der Eindruck erweckt, al­       verkürzung ist noch nicht so lange vorhanden. Es dauert eben
les sei verboten und man müsse in die Schweiz reisen. Das ist       immer zwei bis drei Jahrzehnte, bis sich in der Ärzteschaft Me­
völliger Blödsinn.                                                  thoden etabliert haben.
Dennoch sind Sie gegen eine organisierte Suizidbeihilfe ...         Was raten Sie Patienten oder Angehörigen von Patienten,
Wir müssen verhindern, dass Menschen sich den Entschluss,           die in einer solchen Situation sind?
eine Selbsttötung zu begehen, zu leicht machen. Egal, in welche     Sie sollen jemanden fragen, der sich auskennt. Und wenn die­
Länder Sie schauen, die Zahlen der sogenannten Brutalsuizide,       ser Experte sagt, man könne nichts tun, dann ist es wahrschein­
also durch Erschießen oder Vergiften etwa, werden durch eine        lich jemand, der sich nicht gut auskennt. Gut informiert sind
organisierte Beihilfe nicht geringer. Aber die Zahl der Selbsttö­   in der Regel die Teams der spezialisierten ambulanten Pallia­
tungen insgesamt nimmt zu.                                          tivversorgung. In Krankenhäusern ist der Zugang zu einer an­
Sie sprechen davon, dass eine Lobby gezielt Angst schüre,           gemessenen Behandlung tendenziell schwieriger als zu Hause,
um eine Liberalisierung der Gesetze herbeizuführen. Was             weil da so viele verschiedene Ärzte und Pfleger beteiligt sind,
und wen meinen Sie damit?                                           auch wegen der Schichtwechsel.
Es gibt da einerseits das sogenannte Right-to-Die-Movement,         Wieso weiß davon kaum jemand?
das gezielt Lobbyarbeit für das Thema macht. Andererseits gibt      Viele meiner Kollegen, die gut arbeiten, haben kein Interesse
es Einzelpersonen, die eine geschäftsmäßige Suizidbeihilfe          daran, auch noch Lobbyarbeit zu machen. Ich finde, da sollten
unterstützten – oft einfach, weil sie schlecht informiert sind.     diejenigen ins Feld kommen, die ein ethisches Interesse daran
Nehmen Sie Peter Hintze ...                                         haben, dass das Thema bekannter wird. Die Kirchen zum Bei­
... den an Krebs erkrankten und 2016 verstorbenen CDU-              spiel. Stellen Sie sich vor, in allen Kirchgemeinden lägen Infor­
Politiker und evangelischen Pastor.                                 mationen zur Palliativmedizin aus. Da könnte doch eine ziem­
Er sprach immer öffentlich vom Qualtod. Von einem stinkenden        lich große Anzahl von Menschen erreicht werden.
Tumor, der einem Patienten aus dem Hals wächst. Von unerträg­       Wo Sie die Kirchen ansprechen ... auch in ihren Reihen gibt
lichen, nicht behandelbaren Schmerzen und von grausamem             es Befürworter einer organisierten Suizidbeihilfe. Etwa Anne
Ersticken. Ich sage Ihnen: Nichts ist medizinisch leichter, als     Schneider, die Ehefrau des ehemaligen Ratsvorsitzenden der
Atemnot zu lindern. Man muss nur wissen, wie man es macht.          Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider.

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POLITIK

Anne Schneider war in ihrem Urteil fehlgeleitet. Sie ist eine          cken, also körperlichen Symptomen. Was ist mit denen, die
der vielen, die sich haben verunsichern lassen. Ich habe den           sich davor fürchten, ihre Unabhängigkeit zu verlieren oder
Kontakt zu ihr gesucht, als sie ihre Meinung öffentlich machte,        sogar ihre Würde, weil sie gepflegt, gewaschen, gefüttert
und sie hat selbst zugegeben, dass sie vieles nicht gewusst hat.       werden müssten – und deshalb einen assistierten Suizid
Auch zu der Frage, was in Deutschland legal möglich ist und            wünschen? Was sagen Sie denen?
was nicht.                                                             Das sind für mich die schwierigsten Diagnosen. Es ist wirklich
Der Suizid scheint für Sie ein nachvollziehbarer Ausweg aus            schwer, solchen Menschen Alternativen aufzuzeigen, um wei­
Leid zu sein. Warum dann nicht einen Schritt weiter gehen              terzuleben. Wenn mir ein solcher Patient sagt, dass er so nicht
und die Sterbenden von einem Experten begleiten lassen,                leben möchte, dann akzeptiere ich das. Dennoch würde ich ihn
der im Zweifel verhindern kann, dass etwas schiefgeht?                 nicht töten. Einerseits können die meisten Patienten es noch
Brutalsuizide und Suizidbeihilfe stehen in keinem Zusammen­            selbst tun, wenn sie es wirklich wollen. Andererseits ist es bei
hang. Es erschießen oder vergiften sich nicht deshalb weniger          extrem Pflegebedürftigen ein Leichtes, den Tod schnell herbei­
Menschen, weil eine organisierte Sterbehilfe erlaubt ist. Das ist      zuführen, etwa, indem man die Lebenserhaltung nicht fort­
eine Lüge der Sterbehilfelobby. In der Schweiz gibt es viel mehr       setzt. Nehmen Sie einen Menschen wie Steven Hawking, der für
Suizide als in Deutschland. Die Menschen, die sich selbst das          die Tötung auf Verlangen geworben hat ...
Leben nehmen, sind andere, als jene, die organisierte Sterbe­
hilfe in Anspruch nehmen. Es ist wirklich erschreckend: In Län­
dern, die organisierte Suizidbeihilfe einführen, steigen sogar
auch die Zahlen der Brutalsuizide. Und: Suizide bei Palliativ­
patienten sind extrem selten – viel seltener als in der Normalbe­
völkerung. Dabei hätten sie, wenn sie sich wirklich etwas antun
                                                                          Das Leben zurückzugeben,
wollten, genug Medikamente dazu zur Verfügung.
Kann das nicht zu noch größerem Leid führen, wenn derjeni-
                                                                          ist eine Beleidigung für
ge das Mittel falsch anwendet?
Da sind wir an einem spannenden Punkt: Todsicher ist die Sa­
                                                                          den Schenker.
che nämlich nur dann, wenn der Arzt Sie tötet. Suizidassistenz
kann fehlschlagen. Wenn Sie also die Gesetze mit diesem Argu­
ment so öffnen, dass Beihilfe legal ist, dann müssten Sie konse­
quenterweise auch die Tötung auf Verlangen legalisieren.               Der weltbekannte Astrophysiker litt unter ALS und starb im
Sie sagen, Sie würden einen Patienten bei schlimmem Leid               Jahr 2018.
mild narkotisieren, sodass er schläft. Sie sagen, Sie würden           Der braucht doch keine Suizidbeihilfe und keine Tötung auf
es sogar ihm überlassen, sich mit den eigenen Medikamen-               Verlangen, er muss nur sagen, dass er nicht mehr behandelt
ten umzubringen. Warum dann nicht die Suizidassistenz?                 werden will, und er stirbt. Und wenn er sich vor dem Ersticken
Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Ich weiß, Leiden können          gefürchtet hätte, dann wäre hoffentlich ein Palliativmediziner
wir lindern. Ich weiß, die Patienten haben Angst zu leiden, und        dagewesen, der ihm ein Medikament gibt, dass die Atemnot lin­
kann ihnen sagen: Das müssen Sie nicht. Und ich habe Sorge,            dert. In Deutschland darf niemand dazu gezwungen werden,
dass wir mit der legalen geschäftsmäßigen Beihilfe eine Grenze         eine Behandlung fortzuführen.
überschreiten, die den Suizid zum Normalfall erklärt. Denn es          Sie sprechen jetzt von Patienten, die ihre Entscheidung
ist völlig klar: Wenn ich die Suizidhandlung erleichtere oder so­      noch eigenmächtig treffen und sie kommunizieren können.
gar das anbiete, was die Patienten eigentlich wollen, nämlich,         Was ist mit Demenzkranken zum Beispiel?
dass ich sie töte, dann wird die Nachfrage steigen.                    Vor so einer Krankheit haben die meisten Menschen Angst. Hel­
Ist es in Ihren Augen eine christliche Haltung, die geschäfts-         fen wir einem solchen Patienten aber beim Sterben, dann ist
mäßige Suizidbeihilfe abzulehnen?                                      das keine Beihilfe mehr, sondern eine Tötung ohne Verlangen.
Es ist definitiv eine christliche Haltung, aber sie ist nicht exklu­   Denn jemand, der schwer dement ist, fragt nicht nach Suizid­
siv christlich. Ich denke, andere Religionen, auch Agnostiker          beihilfe. Ich stelle mir dement werden sehr unangenehm vor –
sehen es genauso.                                                      aber dement sein? Wer einmal so schwer erkrankt ist, hat im
Es gibt Christen, die das anders sehen. Anne Schneider und             Grunde kein Problem mehr, weil er nicht merkt, wie es ihm
Peter Hintze haben Sie bereits genannt.                                geht. Wollen wir Dementen ohne sichtbaren Leidensdruck das
Aus der Bibel heraus anders zu argumentieren, halte ich für            Lebensrecht absprechen? Wollen wir schwerst-mehrfachbehin­
sehr schwierig. Aus christlicher Sicht ist uns das Leben gege­         derten Menschen oder solchen mit Down-Syndrom das Lebens­
ben. Und das bedeutet nicht, dass es – so wie Anne Schneider           recht absprechen? Da sind Sie mitten in der Lebenswertdiskus­
sagt – ein Geschenk ist, das ich zurückgeben kann. Wenn ich            sion angekommen. Meine ethische, christliche und medizi­
ein ganz tolles Geschenk von jemandem bekomme, dann ist es             nische Überzeugung ist: Wir dürfen kein Leben medizinisch ver­
doch eine arge Beleidigung für den Schenker, wenn ich es ihm           längern, wenn der Patient nicht einwilligt. Und es reicht nicht
irgendwann wiedergebe. Es beleidigt den Schöpfer. Ich habe             aus, dass dieser Patient einmal zu irgendeinem Zeitpunkt sei­
aber auch in all der Zeit, in der ich jetzt als Palliativmediziner     nes Lebens gesagt hat, dass er das nicht will, sondern wir müs­
arbeite, keinen Fall erlebt, wo das nötig gewesen wäre.                sen jeden Tag neu danach fragen, was der Wille des Patienten
Bisher haben wir nur die Patienten in den Blick genommen,              in diesem Moment ist.
die Angst haben vor Schmerzen oder vor qualvollem Ersti-               Jeder vierte Sterbende in Deutschland hat den Wunsch nach

14 pro | Christliches Medienmagazin                                                                                           4 | 2019
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