HOCHSCHULBILDUNG FÜR DIE ARBEITSWELT 4.0 - Hochschul-Bildungs-Report 2020 - Heidelberg University
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Hochschul-Bildungs-Report 2020 HOCHSCHULBILDUNG FÜR DIE ARBEITSWELT 4.0 Jahresbericht 2016 In Kooperation mit:
BERUFLICH-AK ADEMISCHE BILDUNG FÖRDERPROGRAMM CURRICULUM 4.0 CHANCENGERECHTE BILDUNG Der Stifterverband hat zusammen mit der Carl-Zeiss-Stiftung das Förderprogramm QUARTÄRE BILDUNG Curriculum 4.0 aufgesetzt, das die Fortent- wicklung von Studiengängen unterstützt. INTERNATIONALE BILDUNG Ausgezeichnet werden herausragende Konzepte, die aufzeigen, wie Studiengänge den Anforderungen einer digitalen Welt LEHRER-BILDUNG besser entsprechen können, sei es durch neue Studieninhalte oder durch neue Stu- MINT-BILDUNG dien- und Lernformen. Die Reformansätze müssen verbindlich im Lehrplan verankert sein. Die Förderung beträgt insgesamt HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT ONLINE knapp 700.000 Euro und läuft ab Herbst Das Datenportal zum Report bereitet die zentralen 2016 zwei Jahre lang. Ergebnisse, Indikatoren und zahlreiche weitere Daten interaktiv auf. Weitere Informationen: www.hochschulbildungsreport2020.de www.stifterverband.org/curriculum-4-0
INHALT 01 WELCHE HOCHSCHULBILDUNG BRAUCHEN WIR? 03 02 ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0 06 2.1 Acht Thesen zur akademischen Arbeitswelt der Zukunft 10 2.2 Das akademische Kompetenzprof il für die Arbeitswelt 4.0 26 2.3 Perspektiven einer Hochschulbildung 4.0 32 03 INDEXENTWICKLUNG & HANDLUNGSFELDER 48 3.1 Hochschul-Bildungs-Index & Zieldimensionen 50 3.2 Beruf lich-akademische Bildung 51 3.3 Chancengerechte Bildung 53 3.4 Quartäre Bildung 54 3.5 Internationale Bildung 56 3.6 Lehrer-Bildung 58 3.7 MINT-Bildung 60 ANHANG 62 Methodik & Datengrundlage 63 Die Indikatoren im Überblick 67 Quellen & Literaturhinweise 74 IMPRESSUM 78
Ein Hochtechnologieunternehmen wie TRUMPF braucht sowohl gut ausgebildete Facharbeiter und Techniker als auch hoch qualifizierte Ingenieure und Wissenschaftler. Deshalb ist uns wichtig, dass wir die Stärken des weltweit bewunderten deutschen Ausbildungssystems bewahren und gleichzeitig alles dafür tun, dass auch unsere Hochschulen führend bleiben. Und wenn es uns dann noch gelingt, die Durchlässigkeit zwischen beruflicher Ausbildung und Hochschule zu erhöhen, dann kann das unsere Innovationskraft nur stärken. NICOLA LEIBINGER-KAMMÜLLER Vorsitzende der Geschäftsführung, TRUMPF GmbH Co. KG, und Themenbotschafterin des Handlungsfeldes Beruflich-akademische Bildung
WELCHE HOCHSCHULBILDUNG BRAUCHEN WIR? 3 01 WELCHE HOCHSCHUL- BILDUNG BRAUCHEN WIR? Der Hochschul-Bildungs-Report 2020 befasst Digitalisierung und Automatisierung der Arbeits- sich jedes Jahr mit einem Schwerpunktthema, welt in Gänze zu erfassen. Der Report fokussiert das sich aus den sechs Handlungsfeldern der sich stattdessen auf jene Entwicklungslinien, Bildungsinitiative des Stifterverbandes ableitet. welche potenziell besonders große Auswirkungen Das diesjährige Schwerpunktthema ergibt sich auf die Arbeitswelt von Akademikern haben aus dem Handlungsfeld Beruflich-akademische werden. Bildung, das zwei Schnittstellen beleuchtet: die Schnittstelle zwischen beruflicher und akademi- Der Hochschul-Bildungs-Report 2020 richtet scher Bildung sowie die Schnittstelle zwischen damit seinen Blick auf die Zukunft. Er stützt dem Studium und der beruflichen Tätigkeit. Die sich weniger als bisherige Reporte auf die Kernfrage, die für beide Schnittstellen relevant Analyse von statistischen Zahlen, da diese die ist, lautet: Welche Qualifikationen benötigen Entwicklungen der vergangenen Jahre aufzeigen. Hochschulabsolventen, um auf die Arbeitswelt Stattdessen werden stärker Prognosen von vorbereitet zu sein? Forschungsinstituten, Studien über Industrie 4.0 sowie Forschungen über die Digitalisierung und Der diesjährige Report befasst sich mit der Automatisierung der Arbeitswelt herangezogen. Frage, welche Anforderungen die Arbeitswelt der Ergänzend haben Stifterverband und McKinsey Zukunft, die mit der Bezeichnung Arbeitswelt 4.0 eine repräsentative Umfrage unter deutschen charakterisiert wird, an Akademiker stellen wird. Unternehmen durchgeführt und sie zur Arbeits- Dazu haben wir drei Leitfragen formuliert: Wie welt von morgen und den möglichen Konsequen- wird sich die Arbeitswelt für Akademiker ändern? zen für die Hochschulbildung befragt. Welche Kompetenzen sollte ein Studium in Zu- kunft vermitteln? Wie sollte sich das Hochschul- Der zweite Teil des Reports zeigt wie gewohnt die system perspektivisch weiterentwickeln, um diese Entwicklung der 71 Indikatoren des Hochschul- Kompetenzen vermitteln zu können? Diesen drei Bildungs-Indexes auf, der einen Überblick über Fragen ist jeweils ein Abschnitt des Schwerpunkt- die quantitative Entwicklung der Hochschul- kapitels gewidmet. Der Anspruch des Reports ist bildung auf den sechs Handlungsfeldern der es nicht, die derzeit laufende Diskussion über die Bildungsinitiative erlaubt.
UNTERNEHMEN ÜBER DIE ARBEITSWELT 4.0 MEHR FORSCHUNG DIGITALE REVOLUTION VERSCHLAFEN? 64 % der Unternehmen stimmen der 51 Aussage (stark) zu, dass Forschung % in den nächsten zehn Jahren für ihr Unternehmen an Bedeutung gewinnt. der deutschen Unternehmen, also gerade einmal die Hälfte, gehen davon aus, dass der Umgang mit digitalen Kooperationswerkzeugen (deutlich) wichtiger werden wird. WAS IM LEBENSLAUF STEHEN SOLLTE 70 % der Unternehmen sehen Praxiserfahrung als wichtigste Fähigkeit für die Arbeitswelt 4.0 – dicht gefolgt von Fremdsprachen- kenntnissen (63 %) und dem Umgang mit digitalen Technologien (62 %).
NEUE ANFORDERUNGEN 71 % der Unternehmen gehen davon aus, dass überfachliche Kompetenzen wichtiger werden. Es folgen: speziali- siertes Wissen (54 %), methodische Kompetenzen (43 %) und Grundlagen- fachwissen (32 %). FIRMA ALS AKADE- MISCHER LERNORT KEINE REVOLUTION IM HÖRSAAL 50 % 28 % der Unternehmen sprechen der Unternehmen geben an, dass ihr eigenes Unternehmen als Lernort im Studium wichtiger werden wird. sich dafür aus, dass klassische Vorlesungen durch Online- formate ersetzt werden. Quelle: Unternehmensumfrage, McKinsey/Stifterverband
6 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016 02 ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0 Durch Megatrends wie Digitalisierung und Auto- Veränderungen in den technischen Umgebungen matisierung verändern sich die Arbeitswelt und gehen mit einem gesellschaftlichen Wandel und unsere Art zu arbeiten. Diese Trends sind nicht neuen individuellen Wertvorstellungen einher, neu. Neu sind aber die Radikalität, mit der sich die sich ebenfalls auf die Arbeitswelt auswirken. der Wandel vollzieht, und die Breite, in der fast Insbesondere der jungen Generation sind Work- alle Bereiche der Arbeitswelt – auch die Wissens- Life-Balance, persönliche Weiterentwicklung arbeit – betroffen sind. Der Wandel erfolgt oft und -bildung sowie Arbeitsformen wichtig, die schnell und grundlegend: Produktions- und Lo- sich nach den eigenen Lebensentwürfen richten. gistikketten sowie Produkte und Dienstleistungen Selbstständiges, eigenverantwortliches und fle- verändern sich. Innovationszyklen werden kürzer. xibel gestaltbares Arbeiten jenseits und innerhalb Digitalisierung und Technisierung verändern von Institutionengrenzen spielen hierbei eine aber auch grundlegend bislang technikferne, bedeutende Rolle. wissensintensive Berufsbilder, wie zum Beispiel im Journalismus, in der Jurisprudenz, in der Bildung oder in der Verwaltung. HOCHSCHUL ABSOLVENTEN WERDEN CHANGE AGENTS Bestehende Arbeitsformen und Tätigkeiten Die Veränderung der Arbeitswelt ist ein Prozess, werden durch neue Technologien und die fort- der in manchen Bereichen eher einer Evolution schreitende Digitalisierung und Automatisierung (zum Beispiel durch die fortschreitende Automa- einem besonderen Wandel unterliegen: Sie tisierung) und in manchen eher einer Revolution werden durch neue Formen und Möglichkeiten (durch Industrie 4.0 und Digitalisierung) gleicht. der Mensch-Maschine-Interaktion unterstützt, Was uns jedoch wirklich erwarten wird, ist noch ergänzt, neu gedacht oder womöglich sogar nicht klar: Diese Unsicherheit kommt in vielen ersetzt werden. Darüber hinaus werden beste- sehr unterschiedlichen Theorien und Hypothesen hende Arbeitsformen und Tätigkeiten durch über die Arbeitswelt der Zukunft zum Ausdruck. Digitalisierung und Automatisierung auf ein neues Einige von ihnen greift dieser Report auf und Niveau gehoben. Neu ist, dass die Technik nicht beschreibt sie näher. mehr nur manuelle Tätigkeiten ergänzt oder ersetzt, sondern zunehmend analytisch-intellek- Die rasanten Entwicklungen des Arbeitsmarktes tuelle Aufgaben übernimmt oder unterstützt. hinsichtlich Digitalisierung und Automatisierung
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0 7 erfordern das Schritthalten der Hochschulbil- Interaktion zunimmt (These 1). Einige akademische dung, um den neuen Anforderungen gerecht Routinetätigkeiten werden vollständig digitalisiert werden zu können. Umgekehrt gilt aber auch: Je (These 2). Durch den Wegfall von Routinetätig- stärker die zukünftigen Hochschulabsolventen di- keiten und die zunehmende Digitalisierung der gitale Kompetenzen besitzen, desto mehr werden gesamten Arbeitswelt werden die Tätigkeiten sie auch die Arbeitswelt in diese Richtung prägen. komplexer und das Niveau steigt: Forschungsba- Hochschulabsolventen können selbst chance sierte Tätigkeiten durchdringen die Arbeitswelt agents der Digitalisierung der Arbeitswelt werden und akademische Qualifikationen werden immer und diese gestalten oder sie werden mangels digi- häufiger benötigt; neue, digitalisierte Berufsbilder taler Fähigkeiten die Entwicklung eher bremsen. entstehen (Thesen 3 und 4). Durch neue Techno- logien verschmelzen berufliche und akademische Tätigkeitsfelder, beruflich Qualifizierte benötigen VERÄNDERUNGEN AM ARBEITSMARKT mehr akademische Qualifikationen, Akademiker UND FOLGEN FÜR AK ADEMIKER mehr anwendungsorientiertes Wissen (These 5). Wie sollen die Hochschulen die Studierenden also Für beruflich Qualifizierte wie für akademisch auf die Arbeitswelt der Zukunft vorbereiten? Der Qualifizierte nimmt die Bedeutung von akademi- Hochschul-Bildungs-Report 2020 geht dieser scher Weiterbildung während der Berufstätigkeit Frage mit dem diesjährigen Schwerpunkt im Rah- zu (These 6). Die Arbeitnehmer bestimmen ihre men des Handlungsfeldes Beruflich-akademische Arbeitswelt und ihre Bildungspfade stärker als Bildung nach. Im Fokus stehen die Arbeitswelt bisher selbst: Selbstständiges und kooperatives 4.0 und ihre Rückwirkungen auf die Hochschul- Arbeiten gewinnten in und außerhalb von Unter- bildung. In acht Thesen versucht der Report, sich nehmen an Bedeutung (These 7). Die Generation diesem Thema zu nähern. Die Thesen beschreiben, junger Akademiker wird mit ihren veränderten wie akademische Tätigkeiten zunehmend digital Wertvorstellungen und mit ihrer digitalen Affinität unterstützt werden und die Mensch-Maschine- die Arbeitswelt verändern (These 8). ACHT THESEN ZUR AKADEMISCHEN ARBEITSWELT DER ZUKUNFT 1. THESE Das Arbeiten mit digitalen Technologien 5. THESE Immer mehr beruflich Qualifizierte wird zum festen Bestandteil des akademischen benötigen akademische Qualifikationen, immer Kompetenzprofils. mehr Akademiker benötigen berufliches Wissen. 2. THESE In der Arbeitswelt 4.0 fallen Routine- 6. THESE Lernen prägt das neue Arbeiten und tätigkeiten weg und werden durch komplexere Arbeiten prägt das neue Lernen. akademische Tätigkeiten ersetzt. 7. THESE In der Arbeitswelt 4.0 trifft höhere 3. THESE Mit dem Siegeszug von Big Data Eigenverantwortung auf neue Formen der Kollek- durchdringen forschungsbasierte Tätigkeiten tivarbeit. die Arbeitswelt und institutionelle Grenzen der Forschung werden durchlässig. 8. THESE Die Generation junger Akademiker verändert die Arbeitswelt. 4. THESE Die Nachfrage nach akademischen Qualifikationen steigt und für Akademiker entste- hen neue, durch Mensch-Maschine-Interaktion und Digitalisierung geprägte Berufsbilder.
8 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016 UNTERNEHMENSBEFRAGUNG: WIE SIEHT DIE ARBEITSWELT DER ZUKUNFT AUS? ERGEBNISSE EINER REPRÄSENTATIVEN mithilfe neuer Produktionsverfahren und -tech- BEFRAGUNG VON 303 UNTERNEHMEN IN nologien hergestellt werden (siehe Abbildung 1). DEUTSCHL AND Dafür benötigen die Unternehmen das entspre- Wie schätzen Unternehmen die Arbeitswelt der chende Wissen: 84 Prozent der Firmen geben an, Zukunft ein? Welche Kompetenzen werden Akade- dass Forschung in ihrem Unternehmen wichtiger miker für diese Arbeitswelt benötigen? Welche werden wird. 58 Prozent stimmen (eher) zu, Konsequenzen ziehen die Unternehmen daraus dass sie intensiver mit Hochschulen zusammen- für die Hochschulbildung der Zukunft? Das waren arbeiten werden. Die Hochschulabsolventen die Leitfragen einer repräsentativen Umfrage, können sich darauf einstellen, dass bisherige für die das Meinungsforschungsinstitut Innofact administrative Tätigkeiten stärker automatisiert im Auftrag von Stifterverband und McKinsey im ablaufen und dass ganz neue Berufe entstehen. November 2015 insgesamt 303 Unternehmen aller Nur eine Minderheit der Unternehmen geht Branchen mit mehr als 20 Mitarbeitern befragt hat. allerdings davon aus, dass einzelne akademische Berufe vollständig automatisiert und Akademiker Die Arbeitswelt der Zukunft ist nach Auffassung durch Maschinen ersetzt werden. Nur 17 Prozent der befragten Unternehmen stark von neuen der Unternehmen stimmen dieser These (stark) Produkten und Dienstleistungen getrieben, die zu, gerade einmal weitere 22 Prozent signali- ABBILDUNG 1: BERUFE, PRODUKTE UND PRODUKTION WERDEN SICH STARK VERÄNDERN Eher Zustimmung Werte 4, 5 und 6 auf einer sechsstufigen Skala, 2015 (in Prozent), Fragestellung: Insbesondere in Bezug auf die Digitalisierung, wie wird sich die Arbeitswelt in Ihrem Unternehmen in den nächsten zehn Jahren verändern? Zustimmung Starke Zustimmung 22 14 3 Akademische Berufe werden automatisiert und Akademiker durch Maschinen ersetzt 39 30 31 14 Administrative Tätigkeiten werden automatisiert ablaufen 75 20 33 31 Forschung wird wichtiger 84 21 27 10 Die Zusammenarbeit zwischen meinem Unternehmen und Hochschulen wird intensiver 58 19 32 31 Neue Berufe werden entstehen 82 19 42 24 Neue Produkte werden entstehen und setzen neues Wissen in der internen Produktentwicklung voraus 85 19 39 26 Neue Produktionsverfahren und -technologien werden sich etablieren und die Produktionstätigkeit weiter verändern 84 19 37 33 Die Zusammenarbeit zwischen Teams wird wichtiger 89 34 24 5 Institutionelle Grenzen zu anderen Unternehmen werden verschwimmen 63 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Quelle: Unternehmensumfrage, McKinsey/Stifterverband
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0 9 sieren eine schwache Zustimmung. Eine große Gegenteil feststellen, dass die Arbeitswelt 4.0 Einigkeit herrscht unter Unternehmen hingegen in der befragten Gruppe der Unternehmen mit in Hinsicht auf die Bedeutung der Teamarbeit: mehr als 20 Mitarbeitern noch nicht angekom- Fast neun von zehn Unternehmen sind davon men ist: Klassische EDV-Anwendungen wie Word überzeugt, dass die Zusammenarbeit zwischen oder PowerPoint werden nach Einschätzung Teams in der Arbeitswelt der Zukunft wichtiger der Unternehmen ebenso wichtiger werden werden wird. wie neue, digitale Kooperationswerkzeuge oder mobile Anwendungen. 79 Prozent der Unterneh- Der Umgang mit digitalen Werkzeugen wird zu men stimmen überein, dass E-Mail und digitales einer Schlüsselkompetenz in der Arbeitswelt Kalendermanagement an Bedeutung gewinnen 4.0 (siehe Abbildung 2). Bei allen neun digitalen werden. Neue digitale Werkzeuge treten zu den Werkzeugen, die in der Erhebung abgefragt klassischen hinzu, sie ersetzen sie (zunächst) wurden, äußerten jeweils mehr als 60 Prozent nicht. An diesen Ergebnissen zeigt sich exemp- der Unternehmen, dass der Umgang mit ih- larisch, dass Hochschulbildung und Arbeitswelt nen in Zukunft (eher) wichtiger werde. Dabei kommunizierende Röhren sind: Digitale Arbeits- lässt sich nicht erkennen, dass die deutschen formen können sich in der Arbeitswelt nur dann Unternehmen in der Breite schon auf neue breitflächig durchsetzen, wenn die Arbeitnehmer Anwendungen setzen würden. Es lässt sich im entsprechende digitale Fähigkeiten besitzen. ABBILDUNG 2: DIGITALE WERK ZEUGE WERDEN FL ÄCHENDECKEND WICHTIGER Eher Zustimmung Zustimmung Werte 4, 5 und 6 auf einer sechsstufigen Skala, 2015 (in Prozent), Fragestellung: Bitte geben Sie an, inwiefern die folgenden digitalen Werkzeuge zukünftig im Arbeitsalltag in Ihrem Unternehmen wichtiger werden. Starke Zustimmung 23 28 27 E-Mail und digitales Kalendermanagement (z. B. Outlook) 78 14 23 31 Textverarbeitungsprogramme (z. B. Word) 68 13 27 25 Präsentationsprogramme (z. B. PowerPoint) 65 13 28 29 Einfache Datenverarbeitungsprogramme (z. B. Excel) 70 20 28 27 Programme zur Analyse von großen Datenmengen 75 17 27 24 Digitale Kooperationswerkzeuge (z. B. GoogleDocs, Dropbox etc.) 68 19 31 26 Selbstorganisation über digitale Tools 76 12 24 27 Social Media (z. B. Facebook, Twitter, Xing, LinkedIn, Blogs etc.) 63 22 29 22 Mobile Apps 73 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Quelle: Unternehmensumfrage, McKinsey/Stifterverband
10 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016 2.1 Acht Thesen zur akademischen Arbeitswelt der Zukunft » Das Tempo und die Qualität der Veränderun- » Hochschulen haben eine Schlüsselrolle, Aka- gen in der Arbeitswelt werden von den Quali- demiker auf das digitale Erwerbsleben vorzu- fikationen der Akademiker bei ihrem Start ins bereiten und sie über ihr gesamtes Arbeits- Erwerbsleben abhängen. leben hinweg akademisch weiterzubilden. 1. These: Das Arbeiten mit digitalen Technologien wird zum festen Bestandteil des akademischen Kompetenzprofils. Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch Wenn künftig bestimmte Tätigkeiten in nahezu und wird Wissensarbeit zunehmend unterstüt- allen akademischen Berufen durch digitale zen oder übernehmen. Zu den Tätigkeiten, die Technologien unterstützt werden, benötigen Computer heute schon übernehmen können, Akademiker mehr und tiefer gehende digitale zählen beispielsweise einfaches Lesen und Kompetenzen als bisher. Dies bestätigt auch die Schreiben, Rechnen oder das Lösen (einfacher) von Stifterverband und McKinsey durchgeführte Probleme. Die Arbeitswelt der Zukunft wird sich Umfrage unter deutschen Unternehmen. Die dadurch auszeichnen, dass nicht mehr nur die große Mehrheit der Befragten geht davon Kommunikation digitalisiert wird, sondern dass aus, dass digitale Werkzeuge zunehmend an die Arbeitswelt in allen Berufsfeldern stärker Bedeutung gewinnen. Das gilt beispielsweise für durch die digital gestützte Sammlung, Analyse, Programme zur Analyse großer Datenmengen Aufbereitung, automatische Verknüpfung und und digitale Kooperationswerkzeuge (siehe Ab- Bereitstellung von Daten bestimmt wird. Das bildung 2, Seite 9). zeigt sich bereits jetzt in vielen Berufsfeldern (siehe Abbildung 3 und 4). Grundlegende analytische Tätigkeiten werden zunehmend automatisiert (wie das Sichten von » Viele Managementtätigkeiten, zum Beispiel Bewerbungsunterlagen bei der Personalrekrutie- im Personalbereich, lassen sich durch digitale rung). Akademische Tätigkeiten werden sich hin Technologien unterstützen. Dazu gehört zu Konzeption, Kontrolle und Bewertung von au- beispielsweise das Erfassen, Analysieren, Ver- tomatisierten Analysen verlagern (also im Fall des gleichen und Aufbereiten von Bewerbungs- Personalers auf das Konzept für das automatisier- unterlagen oder auch die Identifizierung von te Sichten von Bewerbungen, die Kontrolle des Weiterbildungsbedarfen von Mitarbeitern. Ergebnisses und dessen Bewertung). Fähigkeiten » Journalistische Tätigkeiten werden durch wie Selbstorganisation, kreatives Nachdenken Programme gestützt, die Informationen zusam- und Arbeiten, (komplexe) grundlegende Prob- menstellen, automatisch Texte verfassen und sie lemlösung und das kritische Hinterfragen und für die Veröffentlichung aufbereiten. Recher- Bewerten von Informationen werden wichtiger chetools unterstützen mit Big-Data-Analysen (OECD 2013). Für die akademische Ausbildung auch investigative journalistische Tätigkeiten. bedeutet dies, dass digitale Fähigkeiten eine neue » Juristische Tätigkeiten lassen sich durch Querschnittskompetenz in der Arbeitswelt 4.0 Programme unterstützen, die relevante Daten darstellen, in der in allen Bereichen mehr statisti- für einen Fall aggregieren, aus Datenbanken sche Kompetenzen, der Umgang mit der digitalen extrahieren und darauf basierend juristische Analyse großer Datenmengen und die kritische Beurteilungen vornehmen. Beurteilung der Ergebnisse benötigt werden. » Pädagogische Tätigkeiten werden sich zu- Überfachliche Qualifikationen werden wichtiger. nehmend durch den Einsatz neuer Medien im Unterricht, das gemeinsame Erarbeiten von Unterrichtseinheiten und durch digitale Admi- nistration verändern.
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0 11 ABBILDUNG 3: WIE SICH BERUFSFELDER VERÄNDERN Personaler/-in Journalist/-in Tätigkeitsspektrum Tätigkeitsspektrum » Screenen von Bewerbungsunterlagen/Auswahl von Bewerbern » Aggregieren/analysieren von Daten » Führen von Bewerbungsgesprächen » Schreiben von Artikeln » Onboarding von neuen Mitarbeitern » Auswahl von Grafiken » Talentmanagement/Entwicklung von Mitarbeitern » Schneiden von Videos » Langfristige Personalplanung » Führen von Interviews » Führen von Feedback- und Kündigungsgesprächen » Verfassen von Kommentaren » … » Investigatives Recherchieren » … Tätigkeiten, die durch digitale Technologien gestützt werden können Tätigkeiten, die durch digitale Technologien gestützt werden können » Machine-Learning-Algorithmen scannen Bewerbungsunterlagen » Automatisierte Tracking-Tools screenen, aggregieren und analysieren » Cloudbasierte Plattformen unterstützen bei der Bewerberauswahl Nachrichten, Daten und Fakten (zum Beispiel TalentWise wird erfolgreich in den USA genutzt) » Semantische Softwareprogramme schreiben automatisiert einen » Sprachanalyse-Tools unterstützen bei der Entscheidung Textvorschlag (zum Beispiel Aexea, ein deutsches Unternehmen, für geeignete Bewerber im Bewerbungsgespräch zählt zu den Pionieren dieser Technologien) » Onboarding-Software hilft bei der Einbindung und Einarbeitung » Cloudbasierte Bildverwaltungstools unterstützen bei der passenden neuer Mitarbeiter (zum Beispiel SimpleHR ist bereits seit 2003 auf Bildauswahl dem Markt) » Cloudbasierte Videoplattformen produzieren selbstständig » Onlinetrainings identifizieren Weiterentwicklungsmöglichkeiten von Videoclips Mitarbeitern » Planungssoftware hilft bei langfristiger Personalplanung Quelle: Übergreifend: Buse 2015; Manyika et al. 2015 Quelle: Übergreifend: Matzat 2015; Chui et al. 2015 Für Firmenbeschreibungen: Offizielle Unternehmens-Webseiten Für Firmenbeschreibungen: Offizielle Unternehmens-Webseiten
12 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016 ABBILDUNG 4: WIE SICH BERUFSFELDER VERÄNDERN Richter/-in Lehrer/-in Tätigkeitsspektrum Tätigkeitsspektrum » Lesen/analysieren von Fällen » Unterricht gestalten » Entdecken komplexer Muster » Leistungsfähigkeit diagnostizieren und Leistungen beurteilen » Analysieren von Querverweisen » Schüler und ihre individuelle Entwicklung fördern » Verfassen von Urteilsverkündungen » Schüler und Eltern beraten » Verkünden von Urteilen » Mit Eltern und Kollegen zusammenarbeiten » Diskussionen, beispielsweise mit Geschworenen » Sich fortbilden » … » An Schulentwicklung mitwirken » Erziehungsaufgaben wahrnehmen » … Tätigkeiten, die durch digitale Technologien gestützt werden können Tätigkeiten, die durch digitale Technologien gestützt werden können » Analysetools screenen und aggregieren relevante Daten für einen » Softwarelösungen unterstützen Teamarbeit sowie administrative und Fall (zum Beispiel der EarlyData Analyzer wird weltweit vermarktet) kommunikative Aufgaben in der Schule » Legal-Analytics-Software untersucht Querverweise und Muster » Onlineplattformen bieten Hilfe bei der Erstellung von Onlineunterrichts- durch Zugriff auf verschiedene Datenbanken kursen an (zum Beispiel Versal ist für Lehrer frei zugänglich) » Machine-Learning-Algorithmen extrahieren relevante juristische » E-Learning-Tools unterstützen Lehrer bei der Lerndiagnostik und passen Fakten für den Vorschlag eines Urteils Aufgaben entsprechend an (zum Beispiel NoRedInk findet bereits in vie- len amerikanischen Schulen Anwendung) » Auf Onlineplattformen werden Unterrichtsmaterialien gesucht, erstellt, ausgetauscht und verwaltet Quelle: Übergreifend: Lat 2015; Chui et al. 2015 Quelle: Für heutiges Tätigkeitsprofil: vgl. Ständige Konferenz der Kultusminister 2004 Für Firmenbeschreibungen: Offizielle Unternehmens-Webseiten Für Firmenbeschreibungen: Offizielle Unternehmens-Webseiten
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0 13 2. These: In der Arbeitswelt 4.0 fallen Routinetätigkeiten weg und werden durch komplexere akademische Tätigkeiten ersetzt. Der Automatisierung von menschlichen Tätigkei- von Akademikern entwickeln werden. Es gibt zwei ten, zumindest denen, die einem regelmäßigen Lesarten: Carl B. Frey und Michael A. Osborne Muster folgen, sind unter technologischen Ge- von der Universität Oxford prognostizieren 2013, sichtspunkten immer weniger Grenzen gesetzt. dass ganze Berufsbilder durch Automatisierung Während die Automatisierung in der Vergangen- in den nächsten 10 bis 20 Jahren marginalisiert heit in erster Linie manuelle Arbeit ersetzt hat, werden. Auf Deutschland bezogen übersetzt eine wird es in Zukunft immer häufiger möglich sein, Arbeit der Forschungsabteilung der ING Bank auch intellektuelle Leistungen, also sogenannte (ING Diba 2015) dies in rund 600.000 betroffene Wissensarbeit zu automatisieren (Autor 2015; Akademikerstellen (beispielsweise Routinetätig- Smith/Anderson 2014). Der Begriff Wissens- keiten im Bereich des Rechnungswesens und arbeit beschreibt nach Definition des Instituts Controllings), die wegfallen könnten oder margi- für Wissenstransfer der Universität Bremen die nalisiert würden. intellektuelle Arbeit der qualifizierten Mitarbeiter als eigenständigen Beitrag zum Unternehmens- In der Unternehmensbefragung Arbeitswelt ergebnis gegenüber der materiellen Leistungser- 4.0 von Stifterverband und McKinsey stimmen bringung. Doch auch komplexere Aufgaben, die jedoch nur 39 Prozent der These zu, dass aka- bisher strukturiertes Denken und fortgeschritte- demische Berufe automatisiert und Akademiker ne Problemlösungsfähigkeiten erfordern, lassen durch Maschinen ersetzt werden (siehe Abbil- sich zunehmend automatisieren. Was bedeutet dung 1, Seite 8). Der Großteil rechnet weniger dies für die Quantität akademischer Arbeit? mit dem Verschwinden kompletter Berufsbilder, sondern vielmehr damit, dass nur bestimmte Tä- tigkeiten digitalisiert und durch neue Formen der ARBEITEN AK ADEMIKER KÜNFTIG WENIGER Mensch-Maschine-Interaktion verändert werden. ODER ANDERS? So sagen drei Viertel der befragten Unterneh- Noch ist nicht sicher, wie sich die Automatisierung men, dass administrative Arbeiten zunehmend der Wissensarbeit und ihr Einfluss auf die Berufe automatisiert ablaufen werden (ebenda). ABBILDUNG 5: AUTOMATISIERUNG VON TÄTIGKEITEN NACH BILDUNGSSTUFEN Anteil der Tätigkeiten, die voraussichtlich durch Automatisierung ersetzt werden, nach Bildungsstufen (in Prozent) Erwerbstätige mit ... Was bedeutet dies für deutsche Akademiker? Promotion ~20 ø 27 % Universitäts- / 10,8 Millionen erwerbstätige Akademiker ~30 in Deutschland 2014, davon 8,6 Millionen in Hochschulabschluss Vollzeit und 2,2 Millionen in Teilzeit (übergreifend Fachschul- / ~0,6 Millionen Promovierte) ~35 Berufsakademieabschluss Postsekundärer nicht tertiärer Bereich Durchschnittlich 27 Prozent der Tätig- ~50 (Berufsschulen, die Berufsabschlüsse vermitteln) keiten1 in derzeitigen Akademikerberufen, die wahrscheinlich automatisiert werden können Sekundarbereich II (Gymnasiale Oberstufe, Fachgymnasium) ~55 10 Stunden pro Arbeitswoche könnten rein Sekundarbereich I rechnerisch durchschnittlich pro Akademiker in ~70 (Haupt-/Realschulabschluss, Abendschule) Deutschland durch Automatisierung frei werden, wenn sich der Arbeitsalltag sonst nicht ändert 0 20 40 60 80 100 1 Durchschnittsberechnung anhand der Anzahl von Promovierten und Erwerbstätigen mit akademischem Abschluss und Wahrscheinlichkeiten der ZEW-Studie Quelle: Automatisierungswahrscheinlichkeit: ZEW 2015, Berechnungen für Akademiker: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen
14 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016 BIS ZU 30 PROZENT DER TÄTIGKEITEN VON stärker in die Arbeitswelt einbringen werden AK ADEMIKERN WERDEN ERSETZT (siehe These 8) und sie deshalb einen Teil der Auch eine Studie des Zentrums für Europäische durch Digitalisierung freigewordenen Zeit für Wirtschaftsforschung (ZEW 2015) geht vom Tätigkeiten außerhalb der Arbeit, die Vereinbar- Wegfall einer Vielzahl von Stellen aus. Das ZEW keit von Familie und Beruf und gesellschaftliche prognostiziert, dass zwischen 20 und 30 Prozent Teilhabe nutzen. Andererseits ist anzunehmen, der Tätigkeiten, die Akademiker regelmäßig dass durch den Wegfall von Routinetätigkeiten ausüben, mit hoher Wahrscheinlichkeit automa- das Niveau der Arbeit steigt und das Tätigkeits- tisiert werden können (siehe Abbildung 5). In der spektrum komplexer wird. Ein Akademiker wird Annahme, dass sich der Arbeitsalltag ansonsten mehr Zeit zur Verfügung haben, sich neuen, nicht verändert und man diese Zahlen auf den anspruchsvollen Tätigkeiten zu widmen, wenn Arbeitsalltag deutscher Akademiker überträgt, Routineaufgaben wie beispielsweise Daten- ergibt sich rein rechnerisch, dass rund zehn aggregation, -aufbereitung und -auswertung Stunden in der Arbeitswoche eines Akademikers wegfallen. Dies bedeutet zum Beispiel, dass ein durch Digitalisierung für neue Aufgaben oder Journalist weniger Zeit damit verbringen muss, Freiräume zur Verfügung stehen könnten. Daten aufzubereiten und zu analysieren. Statt- dessen kann er sich verstärkt der investigativen Doch wird diese Zeit von zehn Stunden wirklich Recherche und der Interpretation dieser Daten „freigespielt“ und Arbeit „entdichtet“ (im widmen. Es bedeutet, dass ein Richter durch Vergleich zur Verdichtung der Arbeit in der Ver- Algorithmen aggregierte Daten noch einmal gangenheit)? Es ist einerseits anzunehmen, dass kritisch hinterfragen kann, bevor er sein Urteil junge Akademiker und zukünftige Arbeitnehmer- über einen Fall spricht oder dass eine Personaler generationen ihre vor allem auf Work-Life-Ba- mehr Zeit mit der gezielten Entwicklung der lance ausgerichteten Wertevorstellungen immer Unternehmensmitarbeiter verbringen kann. 3. These: Mit dem Siegeszug von Big Data durchdringen forschungsbasierte Tätigkeiten die Arbeits- welt und institutionelle Grenzen der Forschung werden durchlässig. Big Data und neue Formen der Datenauswertung DIGITALE ANALYSETOOLS VERÄNDERN bieten großes Potenzial für Forschung und Er- FORSCHUNG UND ARBEITSALLTAG kenntnisprozesse. Zum einen lassen sich Theorien Viele Unternehmen können empirische Korrela- wesentlich schneller datengestützt überprüfen, tionen in völlig ungeahntem Maße aufgrund zum anderen lassen sich aus großen Datenmen- eines größeren verfügbaren Datenvolumens gen durch neuartige Verknüpfungen Hypothesen und einer besseren Datenqualität herstellen – und Denkmodelle ableiten (siehe Abbildung 6). In und damit nicht nur den zu beforschenden der Vergangenheit wurden Daten in erster Linie Gegenstand, sondern auch die Art und Weise durch empirische Erhebungen in wissenschaftli- der Forschung selbst weiterentwickeln. Beispiele chen Institutionen gewonnen und analysiert. dafür sind Durch die Digitalisierung hat die Erhebung, » Adaptive Learning: Plattformen wie Knewton Verarbeitung und Analyse von Daten im pri- bieten die Möglichkeit, den Leistungsstand vatwirtschaftlichen Bereich einen enormen von Schülern zu erfassen, zu analysieren und Zuwachs erfahren, der zu Veränderungen des die Fachdidaktik in Hinblick auf Aufgaben Arbeitsalltags und der Geschäftsmodelle führen und Wissensvermittlung entsprechend wird. Für die Forschenden bedeutet dies, dass sie weiterzuentwickeln. Dadurch bieten sich neue Kompetenzen für ihre Forschungstätigkei- neue Möglichkeiten der Lernforschung ten benötigen. Gleichzeitig werden Akademiker jenseits der traditionellen Didaktik an Hoch- auch außerhalb von Wissenschaftseinrichtungen schulen. zunehmend forschungs- beziehungsweise daten- » Online-Gaming: Durch ein Computerspiel, bei basiert arbeiten. dem Spieler Proteine in einer optimalen Weise in eine 3-D-Struktur falten sollten, lösten zum Beispiel Washingtoner Biochemiker innerhalb weniger Tage das Rätsel um die Struktur eines
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0 15 Proteins in der AIDS-Forschung (CBC 2011). Für Hochschulen und Forschungseinrichtungen Online-Games schaffen neue Möglichkeiten werden private Partner immer wichtiger. Schon für citizen science, also eine Form der Wissen- heute gewinnen Kooperationen mittels Daten- schaft, bei der sich Bürger an Forschungspro- spenden an Bedeutung, bei denen Unternehmen jekten beteiligen. Wissenschaftseinrichtungen den Zugang zu Daten- » eHealth-Apps: Anwendungen, die medizini- sätzen zur Verfügung stellen. sche Daten von Menschen mit bestimmten Erkrankungen erfassen, bieten die Möglichkeit, Dass Forschung zum Alltagsgegenstand wird, Therapien zu analysieren und den Nutzern zeigt auch die Entwicklung von Open-Science- medizinische Informationen zu geben. Durch Plattformen. Der Begriff open science (oder die Apps können wertvolle Daten gewonnen offene Wissenschaft) steht für den Gedanken, werden, welche die klinische Forschung ergän- Forschungsergebnisse und -methoden sowie zen und erweitern. Datensätze öffentlich verfügbar und weiter- ABBILDUNG 6: DIGITALE METHODEN REVOLUTIONIEREN DIE FORSCHUNG Mehr als 90 Forschungsgruppen Softwarelösungen screenen Aus mehr als 50 Mio. Forschungs- entwickeln Software für automati- Forschungsarbeiten nach Mustern arbeiten weltweit können so die sierte Hypothesenentwicklung oder Trends vielversprechendsten Forschungs- hypothesen abgeleitet werden Knowledge Integration Toolkit brainSCANr2 IBM Watson Discovery Advisor3 (KnIT) – Kooperation zwischen Uni- » Das Forscherpaar Bradley und » Mit seinem Watson Discovery Ad- versität und IBM1 Jessica Voytek entwickelt an der visor hat IBM im August 2015 eine » In einer retrospektiven Studie am University of California (San Diego) kommerzielle Softwarelösung zur Baylor College of Medicine, Hous- die Software und Datenbank brain- automatisierten Hypothesengene- ton (Texas) validierte Software im SCANr. rierung auf den Markt gebracht. Jahr 2014 durch „Lesen“ von » brainSCANr ist in der Lage, durch » Watson Discovery Advisor screent 186.879 Papers Proteine, die das Screenen von mehr als 20 Millionen interne Unternehmensdaten und/ Protein p53 modifizieren, welches Forschungsarbeiten, Zusammen- oder verlinkt diese mit öffentlichen die Ausbreitung von Krebs hemmen hänge zwischen Gehirnregionen, oder lizenziert Informationen. kann. kognitiven Funktionen, Verhalten » Neue Informationen können aufge- » Dr. Olivier Lichtarge, Direktor des und Krankheiten herzustellen. nommen und gelernt werden. Centers: „Durchschnittlich lesen » Die Software hat so beispielsweise » Daten und Zusammenhänge werden Forscher ein bis fünf Forschungs- neue Forschungsansätze für die bewertet, bevor der Watson Disco- arbeiten an einem guten Tag, aber Migräneforschung identifiziert. very Advisor Empfehlungen gibt. bei 70.000 Papers zu diesem Protein p53 bräuchte ein Forscher dafür 38 Jahre“. 1 Picton 2014; 2 BrainSCANr.com; 3 IBM.com; alle Webseiten aufgerufen am 21. März 2016 Quelle: Übergreifend: The Economist 2014
16 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016 ABBILDUNG 7: WELTWEIT REGISTRIERTE NUTZER AUF DER OPEN-SCIENCE- PL ATTFORM ACADEMIA .EDU 2014 – 2016 (in Millionen) 70 60 60 ~80.000 zusätzliche 50 Registrierungen täglich 3 40 30 ~ 9 Millionen 30 Menschen weltweit arbeiten 20 in der Forschung 1 10 10 0 2014 2 2015 3 2016 4 Quelle: 1 OECD.Stat: FTE in Science, Innovation and Technology (Durchschnittswerte 2010-13); 2 Openscience.org; 3 Academia.edu/hiring; 4 Academia.edu (LinkedIn) verwendbar zu machen. Auf der Onlineplattform Wissensgenerierung. Wenn jedoch abseits der Academia.edu können Forscher beispielsweise klassischen Forschungsorganisationen mit ihren im Open-Science-Format Forschungsarbeiten etablierten Standards der Qualitätssicherung im- und Daten teilen oder den Einfluss ihrer Arbeit mer mehr Forschung betrieben wird, kommt der auf andere Nutzer verfolgen. Das kommt an: Qualitätssicherung von privater Forschung und Academia.edu verzeichnet derzeit über 80.000 dem kritischen Umgang mit Forschungserkennt- Neuregistrierungen pro Tag und rechnet im Jahr nissen eine immer größere Rolle zu. 2016 mit bis zu 60 Millionen registrierten Nutzern (siehe Abbildung 7) – bei nur rund neun Millionen Für die Hochschulbildung bedeutet dies, weniger Menschen, die weltweit in der Forschung tätig lexikalisches Wissen zu vermitteln und stattdessen sind (Brown 2015). forschendes Lehren und Lernen und die Vermitt- lung wissenschaftlicher Methodenkenntnisse zu Die wechselseitige Durchdringung und das Auf- stärken, um fundierten, wissenschaftsgeleiteten weichen institutioneller Grenzen in Forschung Erkenntnisgewinn auch inner- und außerhalb der und Entwicklung bieten große Chancen für die Wissenschaft zu ermöglichen. 4. These: Die Nachfrage nach akademischen Qualifikationen steigt und für Akademiker entstehen neue, durch Mensch-Maschine-Interaktion und Digitalisierung geprägte Berufsbilder. Durch die Verwissenschaftlichung und Digita- Zukunft intensiver mit Hochschulen zusammen- lisierung der Arbeitswelt sind akademische arbeiten zu wollen, so das Ergebnis der Unterneh- Kompetenzen schon heute gefragter denn je. mensbefragung Arbeitswelt 4.0 (siehe Abbildung 84 Prozent der Unternehmen in Deutschland ge- 1, Seite 8). Das Institut für Arbeitsmarkt- und hen davon aus, dass Forschung für sie wichtiger Berufsforschung (IAB) schätzt, dass die Nachfra- wird. 58 Prozent der Unternehmen geben an, in ge nach Akademikern allein durch Industrie 4.0
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0 17 um 15 Prozent bis zum Jahr 2030 steigen wird. Berufsbilder unsere akademische Arbeitswelt Der zusätzliche Bedarf an erwerbstätigen Akade- ergänzen (siehe Abbildung 8). Berufsbilder, die es mikern steigt dadurch um 100.000 auf 800.000 heute noch nicht gibt oder die heute noch unre- Personen. alistisch erscheinen, wie der Big-Data-Mediziner oder der Analyst für alternative Onlinewährun- gen. NEUE BERUFE WANDELN DIE ARBEITSWELT Wegen der Digitalisierung und der neuen Was bedeutet das für die Ausbildung? In Zukunft Technologien der Industrie 4.0 entsteht dieses werden Akademiker noch weniger auf defi- Nachfragewachstum nicht nur in bereits existie- nierte Tätigkeiten vorbereitet werden können. renden Berufen, sondern auch in vielen neuen Neue Berufsfelder entstehen häufig an den akademischen und akademisierten Berufsbildern. Schnittstellen der Disziplinen, insbesondere an In der Unternehmensbefragung Arbeitswelt 4.0 der Schnittstelle zur Informatik (beispielsweise gehen 82 Prozent der deutschen Unternehmen Bioinformatiker, IT-Ingenieure). Interdisziplinäre davon aus, dass sich die Arbeitswelt 4.0 durch Kompetenzen gewinnen daher ebenso an Be- das Entstehen neuer Berufe wandeln wird (siehe deutung, wie die Fähigkeit, sich neues Wissen Abbildung 1, Seite 8). auf Feldern zu erschließen, in denen man nicht ausgebildet wurde. Schon in den vergangenen Jahren sind neue Berufe entstanden, zum Beispiel der Analyst für Informationssicherheit oder der Digitalstratege. In den nächsten 10 bis 20 Jahren werden weitere ABBILDUNG 8: NEUE BERUFE ENTSTEHEN Exemplarische Berufe, Exemplarische Berufe, die in den die es vor zehn Jahren nicht gab 1 nächsten zehn Jahren entstehen werden 2 Datenforscher, IT Analyst für Forscher, der große Alternativwährungen Mengen statistischer Analyst, der Prognosen und Ana- Daten organisieren lysen für alternative, immaterielle und bewerten kann (Online-)Währungen erstellt Digitalstratege Big-Data-Mediziner Experte, der langfristige Arzt, der sich auf die Analyse Ziele für das Unterneh- von Patientendaten und die men in Bezug auf die daraus resultierende Erken- digitale Welt definiert nung von Mustern spezialisiert Analyst für Informationssicherheit Berater für Privatsphäre Experte, der mögliche Sicher- Dienstleister, der seine Kunden heitslücken identifiziert im Bereich Privatsphäre ausbildet und Sicherheitsvorschriften und Maßnahmen zur Stärkung der implementiert Privatsphäre implementiert Quelle: 1 Hubley Luckwaldt 2015; 2 Sparks and Honey 2013; AOL.com 2013
18 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016 5. These: Immer mehr beruflich Qualifizierte benötigen akademische Qualifikationen, immer mehr Akademiker benötigen berufliches Wissen. Durch die digitale Unterstützung und Komple- (Stichwort Employability). Der Bedarf an Perso- mentierung menschlicher Tätigkeiten sowie die nen, die sowohl berufliche als auch akademische Automatisierung der Wissensarbeit verschieben Kompetenzen mitbringen, hat sich erhöht, ent- sich Anforderungsprofile hin zu höherwertigen sprechend sind neue Bildungsangebote wie etwa Tätigkeiten und erfordern vielfältigere Kom- duale Studiengänge entstanden. Darüber hinaus petenzportfolios. Auf diesen Trend reagiert gewinnen in einer sich rasant wandelnden Welt der Bildungsbereich schon heute. Die Zahl der Metakompetenzen eine besondere Bedeutung, Studienanfänger ist in den vergangenen Jahren um universell und flexibel auf neue Anforderungen kontinuierlich gestiegen, gleichzeitig besteht die eingehen zu können. Diese Entwicklung verstärkt Erwartung, dass sich das Studium stärker als bisher sich in der Zukunft, beispielsweise durch neue an den Arbeitsmarktanforderungen ausrichtet Produktionsformen in der Industrie. Die Unter- ABBILDUNG 9: VERSCHMELZUNG BERUFLICHER UND AK ADEMISCHER TÄTIGKEITEN Produktion – heutiges Umfeld Produktion – Industrie 4.0 Führungs- und Entwicklungsebene Integrierte und flexible Produktion und Produktentwicklung Ingenieure (white collar) Aufgaben » Planen » Entscheiden » Koordinieren » Produkte entwickeln Produktionsebene Lineare Produktion Integrierte Leitungs- und Produktionsebene Verschmelzung von akademischen und beruflichen Tätigkeiten (grey collar) Beruflich Ausgebildete (blue collar) Aufgaben Aufgaben » Manuelle Pro- » Produkte entwickeln duktionsarbeit » Koordinieren » Bedienen von » Entscheiden Maschinen » Übergreifendes Steuern/ Überwachen von Maschinen Quelle: Spath et al. 2013; Manpower Group 2013
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0 19 ABBILDUNG 10: DIE AK ADEMISIERUNG VON GESUNDHEITSBERUFEN Anzahl Studierender in Deutschland in Gesundheitsberufen WS 2005/06 und WS 2014/15 Hochschulabschluss notwendig 2005/06 2014/15 80.000 Traditionelle Medizinberufe z. B. Humanmedizin 88.000 Hochschulabschluss nicht erforderlich, aber möglich 9.000 3.000 Gesundheits- 31.000 Nicht ärztliche 10.000 management Heilberufe 3.000 2.0000 Pflege- 11.000 Therapieberufe, 3.000 management z. B. Gesundheits- pädagogik Weitere Gesundheitsberufe mit möglichem Hochschulabschluss Hebammen/ Traditionelle Entbindungspflege1 Pflegeberufe 1 1 Einzelne Studiengänge vorhanden, jedoch bisher ohne relevante Studierendenzahlen Quelle: Für Einschätzung der benötigten Qualifizierung: Wissenschaftsrat 2012, Studierendenzahlen: Statistisches Bundesamt nehmensbefragung Arbeitswelt 4.0 zeigt, dass vier tion in kleinen Stückzahlen, die Individualisierung von fünf Unternehmen davon ausgehen, dass neue der Produktion und die zeitliche Verschränkung Produkte entstehen werden, die neues Wissen in von Produktentwicklung und Produktion ermögli- der internen Produktentwicklung voraussetzen. chen, werden zum Normalfall (siehe Abbildung 9). Genauso viele Unternehmen geben an, dass sich neue Produktionsverfahren und -technologien Für die Mitarbeiter in einem Produktionssystem etablieren werden (siehe Abbildung 2, Seite 9). bedeutet dies, dass sich ihre Aufgaben und An- forderungen ändern und erweitern. Sie müssen Während sich die bisherige Produktion in der sich vermehrt auf neue Aufgaben einstellen und Regel durch Linearität, vorgelagerte Produktent- befähigt werden, Daten zu interpretieren und da- wicklung und eine klare Aufgabentrennung von tenbasierte Entscheidungen zu treffen. Für eine Management und operativer Ebene auszeichnet, in die Produktion integrierte, agile Produktent- sieht Produktion in der Industrie 4.0 anders aus: wicklung benötigen die Produktionsarbeiter ein Vernetzte, intelligente Systeme, IT-gestützte tiefer gehendes Wissen über das Produkt und ein Planung, Steuerung und Kontrolle sowie modulare ganzheitliches Verständnis der Produktionspro- und flexible Produktionssysteme, die die Produk- zesse (Spath et al. 2013).
20 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016 ABBILDUNG 11: MEHR BERUFLICH QUALIFIZIERTE Studierende in Deutschland nach Art ihres Hochschulzugangs, WS 2006/07 und WS 2014/15 (in Millionen) 3,0 2,5 +12% p. a. 0,4 2,0 0,2 1,5 +3% p. a. 2,3 1,0 1,8 Beruflich Qualifizierte und Studierende in Teilzeit-, Weiterbildungs- oder Fernstudium 0,5 Studierende mit Abitur im Vollzeitstudium 0 WS 2006/07 WS 2014/15 Quelle: Statistisches Bundesamt (Sonderauswertung); eigene Berechnungen AK ADEMISIERUNG SCHREITET VORAN mehr Arbeitnehmer für ihre Berufstätigkeit Durch diese Entwicklung verschwimmen anwendungsorientiertes akademisches Wissen zunehmend Laufbahnkorridore im unteren benötigen. akademischen und oberen beruflich ausge- bildeten Bereich. Dies ist beispielsweise im Mit einer steigenden Akademisierung des Ar- Gesundheitswesen ein auffälliges Phänomen, beitsmarktes in der Arbeitswelt 4.0 steigt der Be- in dem heute bereits viele Studiengänge in darf an Studienangeboten für Personen, die sich Bereichen angeboten werden, für die vormals nicht direkt nach dem Abitur immatrikuliert haben eine Ausbildung ausreichend war (siehe Ab- oder ohne Abitur studieren möchten. Gerade der bildung 10). Auch ein BWL-Bachelorabsolvent Anteil Studierender ohne Abitur, aber mit vorhe- mit Schwerpunkt Versicherungswesen oder riger Berufserfahrung, hat sich in Deutschland ein beruflich ausgebildeter Versicherungsfach- seit dem Jahr 2006 bereits verdoppelt (siehe mann können – das ist allerdings nicht ganz Abbildung 11). Für Hochschulen bedeutet dies, neu – im selben Berufsfeld Anstellung finden. dass sie ihre Studiengänge stärker an individuelle Diese Verschmelzung von akademischen und Voraussetzungen und Wissensbestände und indi- beruflichen Tätigkeiten bedeutet, dass immer viduellere Bildungsziele anpassen müssen. 6. These: Lernen prägt das neue Arbeiten und Arbeiten prägt das neue Lernen. Angesichts der sich immer rasanter verändern- ßen wurde, erlebt mit der Arbeitswelt 4.0 eine den Berufsbilder in der Arbeitswelt 4.0 werden Renaissance und neue Intensität. Recurrent lear- kontinuierliches Lernen und Weiterentwicklung ning soll die Schwächen einer Weiterbildungs- ein fester Bestandteil des Berufsalltags. Die praxis beheben, bei der aufeinanderfolgende Diskussion um lebenslanges Lernen, die durch punktuelle Fortbildungen kaum inhaltlich die Organisation für wirtschaftliche Zusammen- aufeinander aufbauen und sich auch der Zusam- arbeit und Entwicklung (OECD) mit recurrent menhang zum Berufsalltag der Teilnehmer häufig learning bereits in den 1970er-Jahren angesto- nicht erschließt.
ANFORDERUNGEN AN EINE HOCHSCHULBILDUNG 4.0 21 ABBILDUNG 12: WIE WERDEN SICH WEITERBILDUNGS ANGEBOTE IN DEN NÄCHSTEN DREI JAHREN ENTWICKELN? Antworten mit „wird stark zunehmen“ und „wird etwas zunehmen“, 2015 (in Prozent) Weiterbildungsveranstaltungen werden in Form von Blended Learning 1 angeboten 83 Individuelle Vor- und Nachbereitung Modularisierung von Weiterbildungsange- 77 boten, die im Arbeitsalltag angeboten werden Qualifizierungen werden zunehmend als Lernen am Arbeitsplatz und während 74 des Arbeitsprozesses organisiert Deutliche Verkürzung der Präsenzzeiten 71 durch online- und webbasiertes Lernen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1 Blended Learning: Fachbegriff für Lernformate, bei denen Online- und Offlinemethoden in integrierter Weise miteinander verknüpft werden Quelle: Wuppertaler Kreis e. V. Bundesverband betriebliche Weiterbildung 2015 In der Arbeitswelt 4.0 wandeln sich Lernen Ausbildung der Aspekt Arbeit zunehmend in den und Arbeiten zu einem integrierten System mit Lernprozess an Hochschulen integriert. Neue, theoretischen und praktischen Komponenten. erfolgreiche didaktische Konzepte verknüpfen Er- Dies wird vor allem durch alternative Formate und fahrungen an unterschiedlichen Lernorten oder Methoden ermöglicht, die bisher nicht flächen- trainieren akademische Kompetenzen an realen deckend angewendet werden. Dabei gewinnen Fällen aus dem Arbeitsalltag. Beispiele dafür sind: beispielsweise Onlineformate für die flexible Mög- » Problem-based learning: Problemorientierter lichkeit der Weiterbildung an Bedeutung. Mit ihnen Zugang zu Lerninhalten mit dem Ziel, durch wird lebenslanges Lernen möglich, ohne zwingend möglichst authentisch konstruierte Probleme die Arbeit zu unterbrechen. Und auch der Feld- fachliche, soziale, personale und methodische und-Forum-Ansatz, ein Ansatz mit Workshops Kompetenzen zum konkreten Handeln hin zu über einen längeren Zeitraum hinweg, setzt bei- entwickeln (Reich 2003). spielsweise gezielt darauf, in einer Weiterbildung » Service learning/Lernen durch Engagement: theoretisch Erlerntes schnell und agil exemplarisch Methode, um gesellschaftliches Engagement in der Praxis zu üben, um es dann in der Breite der mit fachlichem Lernen zu verbinden. Der operativen Tätigkeiten anzuwenden. Der Ansatz Begriff wurde in den 1960er-Jahren in den integriert damit die Vermittlung von Theorie und USA geprägt. Die Methode wird auch von Praxis. In einer aktuellen Umfrage des Wupperta- deutschen Hochschulen verwendet. Service ler Kreises in Bezug auf berufliche Weiterbildung learning kann in allen Studiengängen einge- geben 74 Prozent der Verbandsunternehmen an, setzt werden und ermöglicht eine problem- dass eine solche Integration in Zukunft (stark) und handlungsorientierte Lehre sowie die zunehmen wird (siehe Abbildung 12). Möglichkeit der Anwendung und Vertiefung wissenschaftlich-theoretischer Inhalte und des Erwerbs von Schlüsselkompetenzen bei LERNFORMATE FÜR DIE VERKNÜPFUNG den Studierenden (Berthold et al. 2010). VON ARBEIT UND LERNEN » Case-based learning: Basierend auf dem Während das Berufsleben durch die Notwendig- Lösen von Problemstellungen, die sich auf keit des kontinuierlichen Lernens bestimmt und Fallstudien aus dem echten (Berufs-)Leben weiterentwickelt wird, wird in der akademischen beziehen, lernen Studierende Inhalte zu
22 HOCHSCHUL-BILDUNGS-REPORT 2020 – JAHRESBERICHT 2016 synthetisieren und zu bewerten und Informa- dual Studierenden in Deutschland ist in den tionen und Konzepte, die sie in der Vorlesung vergangenen Jahren kontinuierlich angestie- gelernt haben, darauf anzuwenden (Stanford gen, dies zeigt auch der Hochschul-Bildungs- University 1994). Index in Kapitel 3.4. Unternehmen investierten » Lernen an zwei Lernorten: Als duales Stu- 2012 rund 950 Millionen Euro in das duale dium wird ein Studium an einer Universität, Studium (Konegen-Grenier/Winde 2012). Fachhochschule, Dualen Hochschule oder Be- rufsakademie bezeichnet, das entweder eine In der digital geprägten Wissensgesellschaft ver- Berufsausbildung integriert oder curricular ändert die Integration von Lernen und Arbeiten verankerte Praxisphasen in einem Unterneh- die Arbeitswelt und akademische Bildungsinsti- men vorsieht. Von klassischen Studiengängen tutionen gleichermaßen. Wie in der Forschung unterscheidet es sich durch einen höheren werden auch in der Bildung institutionelle Praxisbezug. Kennzeichnend sind außerdem Grenzen durchlässiger, Kooperation gewinnt die beiden Lernorte Hochschule und Betrieb. zunehmend an Bedeutung; das Feld der Wissens- Die Anzahl der dualen Studiengänge und der institutionen wird insgesamt heterogener. 7. These: In der Arbeitswelt 4.0 trifft höhere Eigenverantwortung auf neue Formen der Kollektivarbeit. Die Arbeitswelt 4.0 ist geprägt von neuen Firmengründungen für attraktiv. Sie sind dazu Formen der Arbeitsorganisation und -vertei- auch risiko-averser und schätzen ihre eigene lung einerseits und von Veränderungen in Befähigung zum Gründen als schlechter ein (Ih- Wertschöpfungsprozessen andererseits. Die sen et al. 2014). Frauen haben deshalb nur einen klassische Wertschöpfungskette wird abgelöst Anteil von 28,9 Prozent an den Unternehmens- von (fluiden) Wertschöpfungsnetzwerken. gründungen in Deutschland. Disziplinäre und institutionelle Zusammenarbeit nimmt zu, Branchen wachsen zusammen, das Insgesamt hat sich seit dem Jahr 2004 die An- Verhältnis von Produzenten und Konsumenten zahl der Soloselbstständigen in Deutschland um verändert sich (BDI 2015). Politik und Wissen- 45 Prozent auf 1,47 Millionen Menschen 2013 schaft prognostizieren gleichermaßen einen erhöht, Tendenz weiter steigend. Umfragen des rapiden Anstieg von vernetzten und kollektiven Selbstständigen-Netzwerks Upwork deuten dar- Arbeitsformen und einen häufigeren Wechsel auf hin, dass auch die Attraktivität und das bisher zwischen Phasen der Selbstständigkeit und der noch geringe Ansehen der Soloselbstständigkeit abhängigen Beschäftigung. Damit sind nicht sel- in den vergangenen Jahren gewachsen sind ten neue Formen von Beschäftigung verbunden (Elance-oDesk 2014). Der Anstieg der Zahl von (übergreifend siehe BMAS 2015). Soloselbstständigen drückt sich insbesondere in beständig wachsenden Onlineplattformen Diese Entwicklung manifestiert sich schon heute aus, auf denen sie sich organisieren und koope- zum Beispiel im rasanten Anstieg der sogenann- rieren. Nicht nur Netzwerke, die einfachere ten Soloselbstständigkeit. Der Begriff bezeichnet Hilfs- und Handwerkstätigkeiten vermitteln Selbstständige ohne Mitarbeiter. Diese Arbeits- (wie der Fahrdienst Uber oder Helpling, eine form hat bereits in den vergangenen Jahren Vermittlungsplattform für Reinigungskräfte), stark an Bedeutung gewonnen – einerseits unter erleben einen rasanten Zuwachs, sondern auch ökonomischen Zwängen (Stichwort: Schein- Selbstständigen-Plattformen wie Upwork, selbstständigkeit), andererseits durchaus auch deren vermittelte Tätigkeiten hauptsächlich als präferierte Berufsform, denn es zeigt sich, akademisch geprägt sind, wie zum Beispiel dass sich (Solo-)Selbstständige (oder auch Grün- Webentwicklung, journalistische Tätigkeiten der) nicht nur durch höhere Risikobereitschaft, oder Beratung. Das Wachstum zeigt sich sowohl sondern insbesondere durch Innovationsfreu- bei den registrierten Selbstständigen als auch digkeit, Kreativität und starkes Streben nach bei den nutzenden Unternehmen – die Zahl der Selbstverwirklichung auszeichnen. Dabei zeigen globalen Registrierungen hat sich bei Upwork sich deutliche Unterschiede zwischen Frauen seit 2012 mit 14 Millionen mehr als verdoppelt und Männern: Weniger Frauen als Männer halten (siehe Abbildung 13). Mit einem Wachstum von
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