Hogan Lovells Kartellrechts-Radar - Sommer 2020 - Was Sie auf dem Schirm haben sollten
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Hogan Lovells Kartellrechts-Radar Sommer 2020 – Was Sie auf dem Schirm haben sollten Fokus COVID-19 die kollektive Planung der Milcherzeugung gestat- tet. Die Kommission kündigte allerdings an, die Entwicklungen im Kartell- und Beihilfe- Verbraucherpreise genau zu beobachten, um zu recht starke Verwerfungen frühzeitig zu unterbinden. Nach wie vor bestimmt die COVID-19-Pande- In Deutschland hatte das „Gesetz zur Abmilderung mie nicht nur das politische und wirtschaftliche der Folgen der COVID-19-Pandemie im Wettbe- Geschehen, sondern auch das Kartell- und Bei- werbsrecht für den Bereich der Selbstverwaltungs- hilferecht. Bereits im letzten Kartellrechtsra- organisationen der gewerblichen Wirtschaft“ die dar wurden die seinerzeitigen Maßnahmen der Prüffristen des Bundeskartellamts („BKartA“) Kommission zur Bekämpfung der durch die Pan- für zwischen dem 1. März und dem 31. Mai 2020 demie ausgelösten Wirtschaftskrise vorgestellt. angemeldete Zusammenschlüsse um einen (Phase Seit her sind sowohl auf europäischer als auch auf I) bzw. zwei (Phase II) Monate verlängert. Für seit nationalstaatlicher Ebene weitere Maßnahmen zur dem 1. Juni 2020 angemeldete Zusammenschlüs- Bekämpfung der Auswirkungen der Pandemie auf se gelten wieder die normalen Prüffristen. den Weg gebracht worden. Einen umfassenden Außerdem hat das BKartA den Verband der Auto- Überblick bietet auch unser COVID-19 Topic mobilindustrie („VDA“) bei der Erarbeitung kar- Center. tellrechtlicher Rahmenbedingungen für Maßnah- Kartellrecht men zur Bewältigung der Pandemiefolgen unter- stützt (Pressemitteilung). Das BKartA hat mit Nachdem die Europäische Kommission dem VDA Maßnahmen erörtert, welche zum einen („Kom mission“) bereits am 8. April 2020 den Rahmenbedingungen für die Wiederaufnahme Befristeten Rahmen zur Beurteilung von krisen- der Automobilproduktion und zum anderen ein bedingten Kooperationen im Zusammenhang mit Modell für die Restrukturierung von Zulieferun- der COVID-19-Pandemie erlassen hat (Kartell- ternehmen enthalten. Das BKartA hat im Rahmen rechtsradar Frühling 2020), sind zwischenzeit- seines Aufgreifermessens entschieden, von einer lich weitere Maßnahmen zur Stützung bestimmter vertieften kartellrechtlichen Prüfung abzusehen. Wirtschaftssektoren ergriffen worden. So gilt seit dem 7. Juli 2020 ein Paket von Son- Beihilferecht dermaßnahmen der Kommission zur Stützung Eine besondere Rolle in der Bewältigung der Fol- des Weinsektors. Die Sondermaßnahmen gestat- gen der Pandemie spielt das Beihilferecht. Viele ten es Weinproduzenten für einen Zeitraum von Mitgliedsstaaten haben sich in den letzten Mona- zunächst maximal sechs Monaten, Marktmaßnah- ten entschieden, die heimische Wirtschaft durch men zur Stabilisierung des Weinsektors zu organi- finanzielle Zuwendungen zu stützen und die Aus- sieren. Dazu gehören unter anderem die gemein- wirkungen der Pandemie auf besonders betrof- same Absatzförderung, Lagerung oder Planung fene Branchen abzumildern. Der Rechtsrah- der Produktion. Teil des Pakets sind auch beihil- men für Beihilfen im Zusammenhang mit der ferechtliche Maßnahmen, die Mitgliedsstaaten COVID- 19-Pandemie ist das sog. Temporary Fra- finanzielle Hilfen für den Weinsektor gestatten. mework der Europäischen Kommission (hier- zu bereits Kartellrechtsradar Frühling 2020). Zudem hat die Kommission am 4. Mai 2020 ein Die ses wurde zwischenzeitlich mehrfach ange- Paket mit Sondermaßnahmen für die Agrar- und passt. Ernährungswirtschaft bekanntgegeben. Auch hier sollen temporär Abweichungen vom Kartellverbot möglich sein. Beispielsweise wird im Milchsektor 1
2 Hogan Lovells Am 13. Mai 2020 wurde der Anwendungsbereich des Temporary Frameworks auf die Gewährung von Rekapitalisierungsmaßnahmen mit nachran- Take away gigem Fremdkapital erweitert. Am 2. Juli 2020 Zwar finden die Wettbewerbsregeln in der wurde der Anwendungsbereich auf kleine und COVID-19-Pandemie weiter Anwendung, Kleinstunternehmen, darunter explizit Startups, die Wettbewerbsbehörden sind bei not- ausgeweitet. Ausgenommen sind weiterhin Unter- wendigen Rettungsmaßnahmen jedoch di- nehmen, die Gegenstand eines Insolvenzverfah- alogbereit. rens sind oder bereits Rettungsbeihilfen erhalten haben. Unter dem Temporary Framework sind bereits verschiedene Rettungsmaßnahmen genehmigt Fokus Wettbewerbspoli- worden. Ein prominentes Beispiel ist die Rettung tik der Lufthansa. Die Bundesrepublik Deutschland hat insgesamt EUR 9 Mrd. zur Verfügung gestellt, New Competition Tool: Kommission will um den angeschlagenen Luftfahrtkonzern vor der mehr Befugnisse Insolvenz zu bewahren. Ähnlich umfassende Ret- Die Kommission beabsichtigt die Einführung tungspakete hat der französische Staat zugunsten eines neuen kartellrechtlichen Interventionsins- von Air France (EUR 7 Mrd.) und Renault (EUR truments und hat hierzu eine öffentliche Konsul- 5 Mrd.) geschnürt. Große Rettungspakete gab tation eingeleitet. Das sog. New Competition Tool es auch in den Niederlanden (EUR 3,4 Mrd. für soll Schutzlücken im bestehenden kartellrechtli- KLM) und Portugal (EUR 1,2 Mrd. für TAP). chen Instrumentarium schließen. Hierzu soll die Kommission die Möglichkeit erhalten, in Situati- Eine neuere Entwicklung ist, dass COVID- 19 onen einzuschreiten, in denen zwar ein struktu- Hilfsprogramme teilweise nicht auf das Tempora- relles Wettbewerbsproblem identifiziert werden ry Framework gestützt werden, sondern von der kann, eine kartellbehördliche Intervention man- Kommission nach Art. 107 Abs. 2 lit. b) AEUV als gels eines Verstoßes gegen das Missbrauchs- oder Katastrophenbeihilfe genehmigt werden. Anders Kartellverbot nach bisheriger Rechtslage jedoch als unter dem Temporary Framework sind bei nicht möglich ist. Entscheidungen nach Abs. 2 lit. b) keine Auflagen der Kommission möglich. Soweit die Tatbestands- Die Bedeutung der Initiative der Kommission lässt voraussetzungen für Katastrophenbeihilfen vor- sich kaum überbewerten. Die Einführung des New liegen, ist die Kommission in ihrer Entscheidung Competition Tool wäre ein wettbewerbspolitischer gebunden. Die Bundesregierung hat auf dieser Paradigmenwechsel. Das Europäische Kartellrecht Grundlage jüngst ein Hilfsprogramm mit einem sieht aktuell eine Marktstrukturkontrolle nur in Umfang von EUR 6 Mrd. für den öffentlichen Per- Situationen des externen Unternehmenswachs- sonennahverkehr angemeldet. Die Vereinbarkeit tums vor: Unternehmenszusammenschlüsse, die des Hilfsprogramms mit dem Binnenmarkt wurde sich nachteilig auf die Marktstruktur auswirken, am 7. August 2020 von der Kommission bestätigt können auf Grundlage der Fusionskontrollverord- (Pressemitteilung). nung untersagt werden. Daneben kann die Kom- mission mit den Instrumenten der Verhaltens- Als eine weitere Konsequenz der Pandemie hat die kontrolle tatsächlich wettbewerbsbeschränkende Kommission aufgrund der derzeit außergewöhn- Verhaltensweisen ex post sanktionieren. Das New lich hohen Arbeitsbelastung die Überarbeitung Competition Tool würde die bislang klare Trenn- verschiedener Rechtsakte verschoben: Die Leit- linie zwischen Marktstruktur- und Verhaltens- linien für Umweltschutzbeihilfen, die Leitlinien kontrolle durchbrechen und der Kommission eine für Regionalbeihilfen und die Leitlinien zur ETS- umfassende Befugnis zur Marktregulierung ver- Richtlinie bleiben bis zum 31. Dezember 2021 in schaffen. Kraft. Die Geltung der Verordnung für De-mini- mis-Beihilfen und der Gruppenfreistellungsver- ordnung (VO (EU) Nr. 651/2014) wurde bis Ende 2023 verlängert.
3 Hogan Lovells In ihrem Konsultationspapier (abrufbar hier) erwägt die Kommission Eingriffsbefugnisse in zwei Konstellationen struktureller Wettbewerbs- Take away probleme: In vielen Jurisdiktionen wird derzeit die • Strukturelle Risiken für den Wettbewerb: Die Ausweitung der Befugnisse von Kartellbe- Kommission wünscht sich Eingriffsbefugnis- hörden diskutiert. In der Regel soll so der se in Situationen, in denen Risiken für den Marktmacht von digitalen Plattformen be- aktuell noch funktionsfähigen Wettbewerb gegnet werden. Das Besondere an der In- auf einem Markt bestehen. Erfasst wären ins- itiative der Kommission ist, dass sie nicht besondere Plattformmärkte, die vor einem auf einen bestimmten Sektor beschränkt „Tipping“ stehen. Die Kommission strebt eine ist. Möglichkeit zur frühzeitigen Intervention an, um die Entstehung von übermächtigen Markt- akteuren mit Gatekeeper-Position verhindern zu können. Fokus Missbrauchsver- • Struktureller Mangel an Wettbewerb: Ein- bot griffsmöglichkeiten sollen auch im Hinblick BGH hat keine Zweifel an Rechtmäßigkeit auf Märkte bestehen, auf denen es aufgrund der Facebook-Entscheidung des BKartA struktureller Besonderheiten bereits aktuell zu Der Bundesgerichtshof („BGH“) hat mit Entschei- einem Marktversagen kommt. Ein denkbarer dung vom 23. Juni 2020 (KVR 69/19) den viel Anwendungsfall sind oligopolistisch gepräg- beachteten Facebook-Beschluss des OLG Düssel- te Märkte, auf denen es zu impliziter Kollusion dorf aufgehoben und den Eilantrag Facebooks auf kommt, die nicht unter dem Kartellverbot zu Anordnung der aufschiebenden Wirkung abge- beanstanden ist. lehnt. Die Karlsruher Richter haben keine ernst- Der Anwendungsbereich des New Competiti- haften Zweifel, dass die Datensammelpraxis von on Tool soll dabei – anders als § 19a GWB-E im Facebook als Missbrauch von Marktmacht gegen Referentenentwurf der 10. GWB-Novelle nicht Kartellrecht verstößt (Pressemitteilung des BGH). auf einen bestimmten Wirtschaftssektor wie z.B. Die Verbotsentscheidung des BKartA darf mithin digitale Plattformen beschränkt sein. vollzogen werden. Auf Rechtsfolgenseite soll die Kommission unter Hintergrund dem New Competition Tool die Befugnis erhal- Das BKartA hat im Jahr 2016 Ermittlungen gegen ten, Abhilfemaßnahmen struktureller oder verhal- Facebook eingeleitet. Das Unternehmen ließ eine tensbezogener Art anzuordnen. Anders als unter Nutzung seines sozialen Netzwerks nur unter der dem Kartell- oder Missbrauchsverbot wird sie kei- Voraussetzung zu, dass es auch außerhalb der ne Verstöße feststellen und mit Bußgeldern sank- Facebook-Seite nutzerbezogene Daten sammeln tionieren können. Ebenfalls sollen Entscheidun- und dem jeweiligen Facebook-Konto zuordnen gen der Kommission nicht zur Grundlage von Fol- darf. Diese Praxis erachtete das BKartA für kar- low-on-Schadensersatzansprüchen gemacht wer- tellrechtswidrig und untersagte Facebook 2019 die den können. Auch wenn die Befugnisse der Kom- Verwendung entsprechender Nutzungsbedingun- mission somit voraussichtlich eingeschränkt sein gen. werden, ist zu bedenken, dass auch die denkba- ren Abhilfemaßnahmen struktureller und verhal- Gegen die Entscheidung des BKartA legte Face- tensbezogener Art, die im äußersten Fall auch Ent- book Beschwerde in der Hauptsache beim OLG flechtungen umfassen könnten, für die betroffenen Düsseldorf ein. Die Entscheidung steht noch Unternehmen äußerst einschneidend sein können. aus. Daneben hat das Unternehmen ein Verfah- ren im einstweiligen Rechtsschutz angestrengt, Das New Competition Tool soll auf die Art. 103 das vor dem OLG Düsseldorf erfolgreich war. Das und 114 AEUV gestützt werden. Es bedarf der OLG Düsseldorf hatte ernstliche Zweifel an der Zustimmung des Rats und des Europäischen Par- Rechtmäßigkeit der Verfügung des BKartA. Der laments. Das Gesetzgebungsverfahren dürfte potentielle Datenschutzrechtsverstoß weise kei- durchaus kontrovers werden. Die öffentliche Kon- nen ausreichenden wettbewerblichen Bezug auf. sultation läuft bis zum 8. September 2020.
4 Hogan Lovells Die Datensammelpraxis von Facebook habe kei- lung von Facebook auf dem Werbemarkt sei dabei ne wettbewerbsschädliche Wirkung und verstoße unerheblich, da die für einen Marktmachtmiss- daher auch nicht gegen das Missbrauchsverbot. brauch erforderliche Beeinträchtigung des Wett- bewerbs nicht auf dem beherrschten Markt eintre- Die Entscheidung des BGH ten muss, sondern auch auf einem Drittmarkt ein- Dem trat der BGH nun entgegen. Der Bundesge- treten kann. richtshof hat keine ernsthaften Zweifel am Vorlie- gen eines verbotenen Marktmachtmissbrauchs. Insbesondere liege ein hinreichender wettbewerb- Take away licher Bezug vor. Der BGH hat sich bereits im einstweili- In den Augen des BGH kann die datenschutz- gen Rechtschutz auffällig klar positioniert. rechtliche Beurteilung der Nutzungsbedingun- Es wäre überraschend, wenn der BGH von gen dahinstehen. Der BGH begründet die Kartell- seiner Auffassung im Hauptsacheverfah- rechtswidrigkeit der Nutzungsbedingungen allein ren abweicht. Wie der selbstbewusste Küh- mit wettbewerblichen Erwägungen. Die Nutzungs- nen-Senat des OLG Düsseldorf im Haupt- bedingungen seien missbräuchlich und verstießen sacheverfahren reagiert, ist mit Spannung gegen § 19 Abs. 1 GWB, da sie Facebook-Nutzern zu erwarten. keine Wahlmöglichkeit lassen, • ob sie das Netzwerk mit einer intensiven Per- sonalisierung verwenden wollen, die auch mit einem Zugriff auf die allgemeine Internetnut- Fokus Fusionskontrolle zung („Off-Facebook“) verbunden ist, oder EuG hebt Untersagungsentscheidung der • ob sie sich nur mit einer eingeschränkten Per- Kommission im Fall Hutchison/Telefonica sonalisierung einverstanden erklären wollen, auf die nur auf Daten beruht, die sie in dem sozia- Ende Mai 2020 hat das Gericht der Europäischen len Netzwerk selbst preisgeben. Union („EuG“) die Untersagungsentscheidung Unter Berücksichtigung der starken Wechselhür- der Kommission im Fall Hutchison/Telefonica den, welche für die Nutzer des marktbeherrschen- aufgehoben (Rs. T-399/16). Der Vorgang ist histo- den sozialen Netzwerks bestehen, bewertet der risch. Zum ersten Mal seit 18 Jahren hob das EuG BGH die fehlende Wahlmöglichkeit als kartell- eine fusionskontrollrechtliche Untersagungsent- rechtlich relevante Ausbeutung der Nutzer. Diese scheidung auf. Ausbeutung sei auch auf die marktbeherrschende Dem Streit lag ein Zusammenschlussvorhaben im Stellung von Facebook zurückzuführen. Bei intak- britischen Mobilfunksektor zugrunde. Der Hong- tem Wettbewerb auf dem Markt für soziale Netz- konger Konzern CK Hutchison wollte O2 UK von werke wären datensparsamere Alternativangebo- Telefonica übernehmen. Beide Unternehmen te zu erwarten. Auf ein solches Alternativangebot kamen auf dem britischen Mobilfunkmarkt über könnten Nutzer ausweichen, für die der Umfang ihre Töchter auf einen gemeinsamen Marktanteil der Datenpreisgabe ein wesentliches Entschei- von ca. 40 Prozent. Nach Vollzug des Vorhabens dungskriterium ist. hätten mit Vodafone und Everything Everywhere Die Nutzungsbedingungen wirken sich in den nur noch zwei Wettbewerber bestanden. Augen des BGH zudem negativ auf den Wettbe- Die Kommission untersagte den Four-to-three- werb aus. Bei dem Zugang zu Daten handele es Zusammenschluss, da sie Preissteigerungen und sich nicht nur auf dem Werbemarkt, sondern auch eine Reduzierung der Auswahlmöglichkeiten für auf dem Markt für soziale Netzwerke um einen Endkunden befürchtete. Sie stütze die Untersa- wichtigen Wettbewerbsparameter. Eine breitere gungsentscheidung auf sog. nicht-koordinierte Datenbasis verstärke die ohnehin schon stark aus- Effekte. Gegen die Untersagung klagte CK Hutchi- geprägten Lock-in-Effekte. Zudem würde die grö- son und bekam nun vom EuG Recht. Das Gericht ßere Datenbasis Facebook Vorteile im Wettbewerb stellte mehrere Rechts- und Beurteilungsfehler der um Werbeverträge verschaffen. Die Marktstel- Kommission fest. Im Ergebnis hat das Gericht die
5 Hogan Lovells Messlatte für fusionskontrollrechtliche Untersa- Hintergrund ist es bemerkenswert, dass die Über- gungsentscheidungen deutlich angehoben. nahme von The Meet Group nun in Phase I freige- geben wurde. Im Ausgangspunkt bestätigt das Gericht, dass unter dem SIEC-Test Zusammenschlüsse, die Das BKartA geht trotz der Marktstärke des Erwer- nicht zur Entstehung einer marktbeherrschenden bers nicht von einer erheblichen Beeinträchtigung Stellung führen, aber aufgrund nicht-koordinier- des Wettbewerbs aus. Das BKartA stellt insoweit ter Effekte gleichwohl eine negative Beeinträch- vor allem auf das dynamische Wachstum des tigung des Wettbewerbs erwarten lassen, unter- Marktes ab, welches durch Marktzutritte (Tinder, sagt werden können. Nicht jede Verringerung der Lovescout24, Facebook Dating) und einen starken Wettbewerbsintensität könne jedoch eine Unter- Wettbewerb gekennzeichnet sei. Zudem sei ein sagungsentscheidung tragen. hohes Maß an Multi-Homing zu beobachten. Das Gericht kritisiert dabei mehrere Aspekte der Aufgrund der geringen Bedeutung von Fernseh- Argumentation der Kommission. Insbesondere sei werbung für die Gewinnung jüngerer Nutzergrup- auf einem konzentrierten Markt nicht jeder Wett- pen sei keine Behinderung des Wettbewerbs mit bewerber automatisch eine „wichtige Wettbe- Blick auf die starke Stellung von ProSiebenSat.1 werbskraft“. Für die Einordnung eines Marktak- Media auf dem Fernsehwerbemarkt zu erwarten. teurs als „wichtige Wettbewerbskraft“ sei es nicht ausreichend, dass von ihm Wettbewerbsdruck ausgeht. Vielmehr muss er aus dem Kreis der übri- Take away gen Wettbewerber hervorstechen. Nach dem zu Bei der Prüfung von Zusammenschluss- weiten Maßstab der Kommission wäre bei Zusam- vorhaben im Bereich von Online-Plattfor- menschlussvorhaben in oligopolistischen Märkten men kommt es darauf an, ob ein Markt- immer vom Wegfall einer wichtigen Wettbewerbs- Tipping zu befürchten ist. Ein hoher Grad kraft auszugehen, was faktisch zu einem General- an Multi-Homing und Marktzutritte sind verbot von Zusammenschlüssen führen würde. in den Augen des BKartA Argumente ge- Auch reiche der Umstand, dass zwei Marktakteure gen das Risiko eines Kippens des Marktes. „nahe Wettbewerber“ in manchen Marktsegmen- ten sind, nicht aus, um eine erhebliche Wettbe- werbsbeeinträchtigung nachzuweisen. Die Kommission hat bereits angekündigt, gegen Fokus Kartellschadenser- die Entscheidung des Gerichts Rechtsmittel zum satz Europäischen Gerichtshof einzulegen. LG Dortmund: Konzernhaftung für Kartell- schadensersatzansprüche Take away Es ist bislang umstritten, ob Follow-on-Scha- densersatzansprüche nur gegen die im Bußgeld- Das Gericht hat einen strengen Maßstab bescheid genannten, unmittelbar tatbeteiligten für die Annahme einer erheblichen Beein- Gesellschaften gerichtet werden können, oder dar- trächtigung des wirksamen Wettbewerbs über hinaus auch andere Konzerngesellschaften in oligopolistisch geprägten Märkten eta- wie Konzernmütter oder Schwestergesellschaf- bliert. ten haften. Die Kartellschadensersatzrichtlinie hat diese Frage offen gelassen. BKartA gibt Zusammenschluss von Das LG Dortmund hat sich mit Urteil vom 8. Juli Online-Dating-Plattformen frei 2020 für eine umfassende Konzernhaftung aus- gesprochen (8 O 75/19 Kart). Zwar scheiterte die Das BKartA hat die Übernahme der The Meet streitgegenständliche Durchsetzung von Scha- Group Inc., die in Deutschland vor allem die densersatzansprüchen gegen ein Mitglied des Online-Dating-Plattform Lovoo betreibt, durch Sanitärkartells an anderen Umständen. In einem ProSiebenSat.1 Media freigegeben. Orbiter Dictum führte das LG Dortmund jedoch Im Jahr 2016 hatte ProSiebenSat.1 Media bereits aus, dass nach seiner Auffassung alle zur betroffe- die marktführenden Plattformen Parship und Eli- nen wirtschaftlichen Einheit gehörenden Unter- tepartner unter seinem Dach vereint. Vor diesem nehmen hafteten.
6 Hogan Lovells In diese Richtung wies zuletzt auch die EuGH- Gegenstand der Sektoruntersuchung sind zwei Rechtsprechung. In Skanska (Rs- C724/17) hat Produktgruppen: der EuGH die Haftung eines Rechtsnachfolgers für • Wearables, d.h. am Körper getragene vernetz- Kartellschadensersatzansprüche bejaht und sich te Produkte und dabei auf das Konzept der wirtschaftlichen Einheit gestützt. Inwieweit aus dem Urteil eine umfassen- • intelligente Haushaltsgeräte wie zum Beispiel de Konzernhaftung abgeleitet werden kann, ist intelligente Lautsprecher, Beleuchtungssys- allerdings umstritten. Das LG Dortmund hat sich teme, Kühlschränke, Waschmaschinen und nun insoweit positioniert. Es geht „auf Grundla- Fernsehgeräte. ge der Entscheidung des EuGH in Sachen Skans- Die Sektoruntersuchung erstreckt sich auch auf ka […] davon aus, dass die kartellrechtliche Zuwi- Sprachassistenten, mit denen entsprechende derhandlung einer einzelnen Konzerngesellschaft Geräte gesteuert werden können. Zudem erfasst vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Ein- sie digitale Dienstleistungen, die über die Geräte heit auch für alle anderen Unternehmensteile genutzt werden können, wie insbesondere Musik- ein Eigenverhalten im haftungsrechtlichen Sin- und Videostreamingdienste. ne darstellt und so […] ausreichend ist, die Haf- tungsverantwortlichkeit jedes einzelnen Rechts- Die Kommission sieht Anhaltspunkte dafür, trägers zu begründen.“ dass bestimmte Marktpraktiken zu strukturellen Wettbewerbsverzerrungen führen. Insbesonde- Damit stellte sich das LG Dortmund gegen die bis- re scheint die Behörde zu befürchten, dass markt- herige landgerichtliche Rechtsprechung: Das LG mächtige Akteure mit Gatekeeper-Technologien, Mannheim (14 O 117/18 Kart) und das LG Mün- wie zum Beispiel Sprachassistenten, den Wettbe- chen I (37 O 6039/18) lehnten eine Konzernhaf- werb im Internet der Dinge beeinträchtigen könn- tung bislang ab. Der Grundsatz der persönlichen ten. Ein besonderer Schwerpunkt der Sektorun- Verantwortung und das gesellschaftliche Tren- tersuchung liegt zudem im Bereich der Daten. nungsprinzip stünden einer Zurechnung des kar- Die Kommission möchte ermitteln, inwieweit tellrechtswidrigen Verhaltens im Konzern entge- Beschränkungen des Zugangs zu und der Inter- gen. operabilität von Daten bestehen und inwieweit es Eine abschließende Klärung der Frage ist durch hierdurch zur Behinderung von Wettbewerbern ein laufendes Vorabentscheidungsverfahren kommt. des Europäischen Gerichtshofs zu erwarten Die Kommission plant einen vorläufigen Bericht (Rs.C-882/19 – Sumal). mit Ergebnissen der Sektoruntersuchung im Früh- jahr 2021 zu Konsultationszwecken zu veröffentli- chen. Der Abschlussbericht soll im Sommer 2022 Take away vorgestellt werden. Entgegen der bisherigen landgerichtlichen BKartA: Sektoruntersuchung E-Mobilität Rechtsprechung zeichnet sich eine Kon- zernhaftung für Kartellschadensersatzan- Das BKartA hat Anfang Juli eine Sektoruntersu- sprüche ab. chung im Bereich Ladeinfrastruktur für Elektro- fahrzeuge eingeleitet (Pressemitteilung). Die Sek- toruntersuchung wurde angestoßen, da das Amt zunehmend Beschwerden über die Preise und Fokus Sektoruntersu- Konditionen an Ladesäulen für Elektrofahrzeuge chungen erreichen. Mit dem Verfahren möchte die Behörde in der noch frühen Marktphase strukturelle Wett- Kommission: Sektoruntersuchung Inter- bewerbsprobleme identifizieren und somit einen net of Things Beitrag zum erfolgreichen Ausbau der zukunfts- weisenden Infrastruktur leisten. Die Kommission hat eine Sektoruntersuchung im Bereich des verbraucherbezogenen Internets der Dinge eingeleitet und umfassende Fragebögen an etwa 400 Marktakteure versandt.
7 Hogan Lovells Der Ausbau von Ladesäulen unterliegt nicht der umfassenden Stromnetz-Regulierung. Das BKar- Take away tA erachtet es daher für wichtig, etwaige Wettbe- Werden im Rahmen von Sektoruntersu- werbsprobleme mittels des Kartellrechts zu adres- chungen Wettbewerbsprobleme identifi- sieren. Für einen funktionsfähigen Wettbewerb ziert, können Kartellbehörden Verfahren seien ein diskriminierungsfreier Zugang zu geeig- einleiten. Die Sektoruntersuchungen indi- neten Standorten und die Ausgestaltung der kon- zieren demnach mögliche künftige Verfol- kreten Nutzungsbedingungen für Ladesäulen von gungsschwerpunkte. Bedeutung. Die Sektoruntersuchung Ladeinfrastruktur soll in zwei Phasen erfolgen. Zunächst wird der Fort- schritt beim Ausbau sowie die aktuelle Praxis von Städten und Kommunen im Hinblick auf die Pla- nung und Bereitstellung geeigneter Standorte ermittelt. Anschließend werden sich die Ermitt- lungen auch Fragen des Zugangs von Mobilitäts- dienstleistern und Ladekunden widmen. Unser deutsches Kartellrechtsteam
Ihre Hauptansprechpartner Bleiben Sie auf dem Laufenden! Christian Ritz Engage Partner, München christian.ritz@hoganlovells.com Deutscher Blog Dr. Falk Schöning Deutsche Webseite Partner, Brüssel falk.schoening@hoganlovells.com Dr. Marc Schweda Partner, Hamburg marc.schweda@hoganlovells.com Dr. Martin Sura Praxisgruppenleiter Kartellrecht Partner, Düsseldorf martin.sura@hoganlovells.com Dr. Christoph Wünschmann Partner, München christoph.wuenschmann@hoganlovells.com “Hogan Lovells” oder die “Sozietät” ist eine internationale Anwaltssozietät, zu der Hogan Lovells International LLP und Hogan Lovells US LLP und ihnen nahestehende Gesellschaften gehören. Abbildungen von Personen zeigen aktuelle oder ehemalige Anwälte und Mitarbeiter von Hogan Lovells oder Models, die nicht mit der Sozietät in Verbindung stehen. www.hoganlovells.com © Hogan Lovells 2020. Alle Rechte vorbehalten. 1253397_0820
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