Hogan Lovells Kartellrechts-Radar - Sommer 2020 - Was Sie auf dem Schirm haben sollten

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Hogan Lovells Kartellrechts-Radar - Sommer 2020 - Was Sie auf dem Schirm haben sollten
Hogan Lovells
Kartellrechts-Radar
Sommer 2020
– Was Sie auf dem Schirm haben sollten

Fokus COVID-19                                       die kollektive Planung der Milcherzeugung gestat-
                                                     tet. Die Kommission kündigte allerdings an, die
Entwicklungen im Kartell- und Beihilfe-              Verbraucherpreise genau zu beobachten, um zu
recht                                                starke Verwerfungen frühzeitig zu unterbinden.

Nach wie vor bestimmt die COVID-19-Pande-            In Deutschland hatte das „Gesetz zur Abmilderung
mie nicht nur das politische und wirtschaftliche     der Folgen der COVID-19-Pandemie im Wettbe-
Geschehen, sondern auch das Kartell- und Bei-        werbsrecht für den Bereich der Selbstverwaltungs-
hilferecht. Bereits im letzten Kartellrechtsra-      organisationen der gewerblichen Wirtschaft“ die
dar wurden die seinerzeitigen Maßnahmen der          Prüffristen des Bundeskartellamts („BKartA“)
Kommission zur Bekämpfung der durch die Pan-         für zwischen dem 1. März und dem 31. Mai 2020
demie ausgelösten Wirtschaftskrise vorgestellt.      angemeldete Zusammenschlüsse um einen (Phase
Seit her sind sowohl auf europäischer als auch auf   I) bzw. zwei (Phase II) Monate verlängert. Für seit
nationalstaatlicher Ebene weitere Maßnahmen zur      dem 1. Juni 2020 angemeldete Zusammenschlüs-
Bekämpfung der Auswirkungen der Pandemie auf         se gelten wieder die normalen Prüffristen.
den Weg gebracht worden. Einen umfassenden           Außerdem hat das BKartA den Verband der Auto-
Überblick bietet auch unser COVID-19 Topic           mobilindustrie („VDA“) bei der Erarbeitung kar-
Center.                                              tellrechtlicher Rahmenbedingungen für Maßnah-
Kartellrecht                                         men zur Bewältigung der Pandemiefolgen unter-
                                                     stützt (Pressemitteilung). Das BKartA hat mit
Nachdem die Europäische Kommission
                                                     dem VDA Maßnahmen erörtert, welche zum einen
(„Kom mission“) bereits am 8. April 2020 den
                                                     Rahmenbedingungen für die Wiederaufnahme
Befristeten Rahmen zur Beurteilung von krisen-
                                                     der Automobilproduktion und zum anderen ein
bedingten Kooperationen im Zusammenhang mit
                                                     Modell für die Restrukturierung von Zulieferun-
der COVID-19-Pandemie erlassen hat (Kartell-
                                                     ternehmen enthalten. Das BKartA hat im Rahmen
rechtsradar Frühling 2020), sind zwischenzeit-
                                                     seines Aufgreifermessens entschieden, von einer
lich weitere Maßnahmen zur Stützung bestimmter
                                                     vertieften kartellrechtlichen Prüfung abzusehen.
Wirtschaftssektoren ergriffen worden.
So gilt seit dem 7. Juli 2020 ein Paket von Son-     Beihilferecht
dermaßnahmen der Kommission zur Stützung             Eine besondere Rolle in der Bewältigung der Fol-
des Weinsektors. Die Sondermaßnahmen gestat-         gen der Pandemie spielt das Beihilferecht. Viele
ten es Weinproduzenten für einen Zeitraum von        Mitgliedsstaaten haben sich in den letzten Mona-
zunächst maximal sechs Monaten, Marktmaßnah-         ten entschieden, die heimische Wirtschaft durch
men zur Stabilisierung des Weinsektors zu organi-    finanzielle Zuwendungen zu stützen und die Aus-
sieren. Dazu gehören unter anderem die gemein-       wirkungen der Pandemie auf besonders betrof-
same Absatzförderung, Lagerung oder Planung          fene Branchen abzumildern. Der Rechtsrah-
der Produktion. Teil des Pakets sind auch beihil-    men für Beihilfen im Zusammenhang mit der
ferechtliche Maßnahmen, die Mitgliedsstaaten         COVID- 19-Pandemie ist das sog. Temporary Fra-
finanzielle Hilfen für den Weinsektor gestatten.     mework der Europäischen Kommission (hier-
                                                     zu bereits Kartellrechtsradar Frühling 2020).
Zudem hat die Kommission am 4. Mai 2020 ein
                                                     Die ses wurde zwischenzeitlich mehrfach ange-
Paket mit Sondermaßnahmen für die Agrar- und
                                                     passt.
Ernährungswirtschaft bekanntgegeben. Auch hier
sollen temporär Abweichungen vom Kartellverbot
möglich sein. Beispielsweise wird im Milchsektor

                                                                                                           1
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    Am 13. Mai 2020 wurde der Anwendungsbereich
    des Temporary Frameworks auf die Gewährung
    von Rekapitalisierungsmaßnahmen mit nachran-                Take away
    gigem Fremdkapital erweitert. Am 2. Juli 2020          Zwar finden die Wettbewerbsregeln in der
    wurde der Anwendungsbereich auf kleine und             COVID-19-Pandemie weiter Anwendung,
    Kleinstunternehmen, darunter explizit Startups,        die Wettbewerbsbehörden sind bei not-
    ausgeweitet. Ausgenommen sind weiterhin Unter-         wendigen Rettungsmaßnahmen jedoch di-
    nehmen, die Gegenstand eines Insolvenzverfah-          alogbereit.
    rens sind oder bereits Rettungsbeihilfen erhalten
    haben.
    Unter dem Temporary Framework sind bereits
    verschiedene Rettungsmaßnahmen genehmigt
                                                        Fokus Wettbewerbspoli-
    worden. Ein prominentes Beispiel ist die Rettung    tik
    der Lufthansa. Die Bundesrepublik Deutschland
    hat insgesamt EUR 9 Mrd. zur Verfügung gestellt,    New Competition Tool: Kommission will
    um den angeschlagenen Luftfahrtkonzern vor der      mehr Befugnisse
    Insolvenz zu bewahren. Ähnlich umfassende Ret-      Die Kommission beabsichtigt die Einführung
    tungspakete hat der französische Staat zugunsten    eines neuen kartellrechtlichen Interventionsins-
    von Air France (EUR 7 Mrd.) und Renault (EUR        truments und hat hierzu eine öffentliche Konsul-
    5 Mrd.) geschnürt. Große Rettungspakete gab         tation eingeleitet. Das sog. New Competition Tool
    es auch in den Niederlanden (EUR 3,4 Mrd. für       soll Schutzlücken im bestehenden kartellrechtli-
    KLM) und Portugal (EUR 1,2 Mrd. für TAP).           chen Instrumentarium schließen. Hierzu soll die
                                                        Kommission die Möglichkeit erhalten, in Situati-
    Eine neuere Entwicklung ist, dass COVID- 19
                                                        onen einzuschreiten, in denen zwar ein struktu-
    Hilfsprogramme teilweise nicht auf das Tempora-
                                                        relles Wettbewerbsproblem identifiziert werden
    ry Framework gestützt werden, sondern von der
                                                        kann, eine kartellbehördliche Intervention man-
    Kommission nach Art. 107 Abs. 2 lit. b) AEUV als
                                                        gels eines Verstoßes gegen das Missbrauchs- oder
    Katastrophenbeihilfe genehmigt werden. Anders
                                                        Kartellverbot nach bisheriger Rechtslage jedoch
    als unter dem Temporary Framework sind bei
                                                        nicht möglich ist.
    Entscheidungen nach Abs. 2 lit. b) keine Auflagen
    der Kommission möglich. Soweit die Tatbestands-     Die Bedeutung der Initiative der Kommission lässt
    voraussetzungen für Katastrophenbeihilfen vor-      sich kaum überbewerten. Die Einführung des New
    liegen, ist die Kommission in ihrer Entscheidung    Competition Tool wäre ein wettbewerbspolitischer
    gebunden. Die Bundesregierung hat auf dieser        Paradigmenwechsel. Das Europäische Kartellrecht
    Grundlage jüngst ein Hilfsprogramm mit einem        sieht aktuell eine Marktstrukturkontrolle nur in
    Umfang von EUR 6 Mrd. für den öffentlichen Per-     Situationen des externen Unternehmenswachs-
    sonennahverkehr angemeldet. Die Vereinbarkeit       tums vor: Unternehmenszusammenschlüsse, die
    des Hilfsprogramms mit dem Binnenmarkt wurde        sich nachteilig auf die Marktstruktur auswirken,
    am 7. August 2020 von der Kommission bestätigt      können auf Grundlage der Fusionskontrollverord-
    (Pressemitteilung).                                 nung untersagt werden. Daneben kann die Kom-
                                                        mission mit den Instrumenten der Verhaltens-
    Als eine weitere Konsequenz der Pandemie hat die
                                                        kontrolle tatsächlich wettbewerbsbeschränkende
    Kommission aufgrund der derzeit außergewöhn-
                                                        Verhaltensweisen ex post sanktionieren. Das New
    lich hohen Arbeitsbelastung die Überarbeitung
                                                        Competition Tool würde die bislang klare Trenn-
    verschiedener Rechtsakte verschoben: Die Leit-
                                                        linie zwischen Marktstruktur- und Verhaltens-
    linien für Umweltschutzbeihilfen, die Leitlinien
                                                        kontrolle durchbrechen und der Kommission eine
    für Regionalbeihilfen und die Leitlinien zur ETS-
                                                        umfassende Befugnis zur Marktregulierung ver-
    Richtlinie bleiben bis zum 31. Dezember 2021 in
                                                        schaffen.
    Kraft. Die Geltung der Verordnung für De-mini-
    mis-Beihilfen und der Gruppenfreistellungsver-
    ordnung (VO (EU) Nr. 651/2014) wurde bis Ende
    2023 verlängert.
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    In ihrem Konsultationspapier (abrufbar hier)
    erwägt die Kommission Eingriffsbefugnisse in
    zwei Konstellationen struktureller Wettbewerbs-               Take away
    probleme:                                                In vielen Jurisdiktionen wird derzeit die
    •   Strukturelle Risiken für den Wettbewerb: Die         Ausweitung der Befugnisse von Kartellbe-
        Kommission wünscht sich Eingriffsbefugnis-           hörden diskutiert. In der Regel soll so der
        se in Situationen, in denen Risiken für den          Marktmacht von digitalen Plattformen be-
        aktuell noch funktionsfähigen Wettbewerb             gegnet werden. Das Besondere an der In-
        auf einem Markt bestehen. Erfasst wären ins-         itiative der Kommission ist, dass sie nicht
        besondere Plattformmärkte, die vor einem             auf einen bestimmten Sektor beschränkt
        „Tipping“ stehen. Die Kommission strebt eine         ist.
        Möglichkeit zur frühzeitigen Intervention an,
        um die Entstehung von übermächtigen Markt-
        akteuren mit Gatekeeper-Position verhindern
        zu können.
                                                          Fokus Missbrauchsver-
    •   Struktureller Mangel an Wettbewerb: Ein-          bot
        griffsmöglichkeiten sollen auch im Hinblick       BGH hat keine Zweifel an Rechtmäßigkeit
        auf Märkte bestehen, auf denen es aufgrund
                                                          der Facebook-Entscheidung des BKartA
        struktureller Besonderheiten bereits aktuell zu
                                                          Der Bundesgerichtshof („BGH“) hat mit Entschei-
        einem Marktversagen kommt. Ein denkbarer
                                                          dung vom 23. Juni 2020 (KVR 69/19) den viel
        Anwendungsfall sind oligopolistisch gepräg-
                                                          beachteten Facebook-Beschluss des OLG Düssel-
        te Märkte, auf denen es zu impliziter Kollusion
                                                          dorf aufgehoben und den Eilantrag Facebooks auf
        kommt, die nicht unter dem Kartellverbot zu
                                                          Anordnung der aufschiebenden Wirkung abge-
        beanstanden ist.
                                                          lehnt. Die Karlsruher Richter haben keine ernst-
    Der Anwendungsbereich des New Competiti-              haften Zweifel, dass die Datensammelpraxis von
    on Tool soll dabei – anders als § 19a GWB-E im        Facebook als Missbrauch von Marktmacht gegen
    Referentenentwurf der 10. GWB-Novelle nicht           Kartellrecht verstößt (Pressemitteilung des BGH).
    auf einen bestimmten Wirtschaftssektor wie z.B.       Die Verbotsentscheidung des BKartA darf mithin
    digitale Plattformen beschränkt sein.                 vollzogen werden.
    Auf Rechtsfolgenseite soll die Kommission unter       Hintergrund
    dem New Competition Tool die Befugnis erhal-
                                                          Das BKartA hat im Jahr 2016 Ermittlungen gegen
    ten, Abhilfemaßnahmen struktureller oder verhal-
                                                          Facebook eingeleitet. Das Unternehmen ließ eine
    tensbezogener Art anzuordnen. Anders als unter
                                                          Nutzung seines sozialen Netzwerks nur unter der
    dem Kartell- oder Missbrauchsverbot wird sie kei-
                                                          Voraussetzung zu, dass es auch außerhalb der
    ne Verstöße feststellen und mit Bußgeldern sank-
                                                          Facebook-Seite nutzerbezogene Daten sammeln
    tionieren können. Ebenfalls sollen Entscheidun-
                                                          und dem jeweiligen Facebook-Konto zuordnen
    gen der Kommission nicht zur Grundlage von Fol-
                                                          darf. Diese Praxis erachtete das BKartA für kar-
    low-on-Schadensersatzansprüchen gemacht wer-
                                                          tellrechtswidrig und untersagte Facebook 2019 die
    den können. Auch wenn die Befugnisse der Kom-
                                                          Verwendung entsprechender Nutzungsbedingun-
    mission somit voraussichtlich eingeschränkt sein
                                                          gen.
    werden, ist zu bedenken, dass auch die denkba-
    ren Abhilfemaßnahmen struktureller und verhal-        Gegen die Entscheidung des BKartA legte Face-
    tensbezogener Art, die im äußersten Fall auch Ent-    book Beschwerde in der Hauptsache beim OLG
    flechtungen umfassen könnten, für die betroffenen     Düsseldorf ein. Die Entscheidung steht noch
    Unternehmen äußerst einschneidend sein können.        aus. Daneben hat das Unternehmen ein Verfah-
                                                          ren im einstweiligen Rechtsschutz angestrengt,
    Das New Competition Tool soll auf die Art. 103
                                                          das vor dem OLG Düsseldorf erfolgreich war. Das
    und 114 AEUV gestützt werden. Es bedarf der
                                                          OLG Düsseldorf hatte ernstliche Zweifel an der
    Zustimmung des Rats und des Europäischen Par-
                                                          Rechtmäßigkeit der Verfügung des BKartA. Der
    laments. Das Gesetzgebungsverfahren dürfte
                                                          potentielle Datenschutzrechtsverstoß weise kei-
    durchaus kontrovers werden. Die öffentliche Kon-
                                                          nen ausreichenden wettbewerblichen Bezug auf.
    sultation läuft bis zum 8. September 2020.
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    Die Datensammelpraxis von Facebook habe kei-          lung von Facebook auf dem Werbemarkt sei dabei
    ne wettbewerbsschädliche Wirkung und verstoße         unerheblich, da die für einen Marktmachtmiss-
    daher auch nicht gegen das Missbrauchsverbot.         brauch erforderliche Beeinträchtigung des Wett-
                                                          bewerbs nicht auf dem beherrschten Markt eintre-
    Die Entscheidung des BGH                              ten muss, sondern auch auf einem Drittmarkt ein-
    Dem trat der BGH nun entgegen. Der Bundesge-          treten kann.
    richtshof hat keine ernsthaften Zweifel am Vorlie-
    gen eines verbotenen Marktmachtmissbrauchs.
    Insbesondere liege ein hinreichender wettbewerb-              Take away
    licher Bezug vor.
                                                             Der BGH hat sich bereits im einstweili-
    In den Augen des BGH kann die datenschutz-               gen Rechtschutz auffällig klar positioniert.
    rechtliche Beurteilung der Nutzungsbedingun-             Es wäre überraschend, wenn der BGH von
    gen dahinstehen. Der BGH begründet die Kartell-          seiner Auffassung im Hauptsacheverfah-
    rechtswidrigkeit der Nutzungsbedingungen allein          ren abweicht. Wie der selbstbewusste Küh-
    mit wettbewerblichen Erwägungen. Die Nutzungs-           nen-Senat des OLG Düsseldorf im Haupt-
    bedingungen seien missbräuchlich und verstießen          sacheverfahren reagiert, ist mit Spannung
    gegen § 19 Abs. 1 GWB, da sie Facebook-Nutzern           zu erwarten.
    keine Wahlmöglichkeit lassen,
    •   ob sie das Netzwerk mit einer intensiven Per-
        sonalisierung verwenden wollen, die auch mit
        einem Zugriff auf die allgemeine Internetnut-
                                                          Fokus Fusionskontrolle
        zung („Off-Facebook“) verbunden ist, oder         EuG hebt Untersagungsentscheidung der
    •   ob sie sich nur mit einer eingeschränkten Per-    Kommission im Fall Hutchison/Telefonica
        sonalisierung einverstanden erklären wollen,      auf
        die nur auf Daten beruht, die sie in dem sozia-   Ende Mai 2020 hat das Gericht der Europäischen
        len Netzwerk selbst preisgeben.                   Union („EuG“) die Untersagungsentscheidung
    Unter Berücksichtigung der starken Wechselhür-        der Kommission im Fall Hutchison/Telefonica
    den, welche für die Nutzer des marktbeherrschen-      aufgehoben (Rs. T-399/16). Der Vorgang ist histo-
    den sozialen Netzwerks bestehen, bewertet der         risch. Zum ersten Mal seit 18 Jahren hob das EuG
    BGH die fehlende Wahlmöglichkeit als kartell-         eine fusionskontrollrechtliche Untersagungsent-
    rechtlich relevante Ausbeutung der Nutzer. Diese      scheidung auf.
    Ausbeutung sei auch auf die marktbeherrschende        Dem Streit lag ein Zusammenschlussvorhaben im
    Stellung von Facebook zurückzuführen. Bei intak-      britischen Mobilfunksektor zugrunde. Der Hong-
    tem Wettbewerb auf dem Markt für soziale Netz-        konger Konzern CK Hutchison wollte O2 UK von
    werke wären datensparsamere Alternativangebo-         Telefonica übernehmen. Beide Unternehmen
    te zu erwarten. Auf ein solches Alternativangebot     kamen auf dem britischen Mobilfunkmarkt über
    könnten Nutzer ausweichen, für die der Umfang         ihre Töchter auf einen gemeinsamen Marktanteil
    der Datenpreisgabe ein wesentliches Entschei-         von ca. 40 Prozent. Nach Vollzug des Vorhabens
    dungskriterium ist.                                   hätten mit Vodafone und Everything Everywhere
    Die Nutzungsbedingungen wirken sich in den            nur noch zwei Wettbewerber bestanden.
    Augen des BGH zudem negativ auf den Wettbe-           Die Kommission untersagte den Four-to-three-
    werb aus. Bei dem Zugang zu Daten handele es          Zusammenschluss, da sie Preissteigerungen und
    sich nicht nur auf dem Werbemarkt, sondern auch       eine Reduzierung der Auswahlmöglichkeiten für
    auf dem Markt für soziale Netzwerke um einen          Endkunden befürchtete. Sie stütze die Untersa-
    wichtigen Wettbewerbsparameter. Eine breitere         gungsentscheidung auf sog. nicht-koordinierte
    Datenbasis verstärke die ohnehin schon stark aus-     Effekte. Gegen die Untersagung klagte CK Hutchi-
    geprägten Lock-in-Effekte. Zudem würde die grö-       son und bekam nun vom EuG Recht. Das Gericht
    ßere Datenbasis Facebook Vorteile im Wettbewerb       stellte mehrere Rechts- und Beurteilungsfehler der
    um Werbeverträge verschaffen. Die Marktstel-          Kommission fest. Im Ergebnis hat das Gericht die
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5                                                                                                              Hogan Lovells

    Messlatte für fusionskontrollrechtliche Untersa-     Hintergrund ist es bemerkenswert, dass die Über-
    gungsentscheidungen deutlich angehoben.              nahme von The Meet Group nun in Phase I freige-
                                                         geben wurde.
    Im Ausgangspunkt bestätigt das Gericht, dass
    unter dem SIEC-Test Zusammenschlüsse, die            Das BKartA geht trotz der Marktstärke des Erwer-
    nicht zur Entstehung einer marktbeherrschenden       bers nicht von einer erheblichen Beeinträchtigung
    Stellung führen, aber aufgrund nicht-koordinier-     des Wettbewerbs aus. Das BKartA stellt insoweit
    ter Effekte gleichwohl eine negative Beeinträch-     vor allem auf das dynamische Wachstum des
    tigung des Wettbewerbs erwarten lassen, unter-       Marktes ab, welches durch Marktzutritte (Tinder,
    sagt werden können. Nicht jede Verringerung der      Lovescout24, Facebook Dating) und einen starken
    Wettbewerbsintensität könne jedoch eine Unter-       Wettbewerb gekennzeichnet sei. Zudem sei ein
    sagungsentscheidung tragen.                          hohes Maß an Multi-Homing zu beobachten.
    Das Gericht kritisiert dabei mehrere Aspekte der     Aufgrund der geringen Bedeutung von Fernseh-
    Argumentation der Kommission. Insbesondere sei       werbung für die Gewinnung jüngerer Nutzergrup-
    auf einem konzentrierten Markt nicht jeder Wett-     pen sei keine Behinderung des Wettbewerbs mit
    bewerber automatisch eine „wichtige Wettbe-          Blick auf die starke Stellung von ProSiebenSat.1
    werbskraft“. Für die Einordnung eines Marktak-       Media auf dem Fernsehwerbemarkt zu erwarten.
    teurs als „wichtige Wettbewerbskraft“ sei es nicht
    ausreichend, dass von ihm Wettbewerbsdruck
    ausgeht. Vielmehr muss er aus dem Kreis der übri-             Take away
    gen Wettbewerber hervorstechen. Nach dem zu
                                                            Bei der Prüfung von Zusammenschluss-
    weiten Maßstab der Kommission wäre bei Zusam-
                                                            vorhaben im Bereich von Online-Plattfor-
    menschlussvorhaben in oligopolistischen Märkten
                                                            men kommt es darauf an, ob ein Markt-
    immer vom Wegfall einer wichtigen Wettbewerbs-
                                                            Tipping zu befürchten ist. Ein hoher Grad
    kraft auszugehen, was faktisch zu einem General-
                                                            an Multi-Homing und Marktzutritte sind
    verbot von Zusammenschlüssen führen würde.
                                                            in den Augen des BKartA Argumente ge-
    Auch reiche der Umstand, dass zwei Marktakteure         gen das Risiko eines Kippens des Marktes.
    „nahe Wettbewerber“ in manchen Marktsegmen-
    ten sind, nicht aus, um eine erhebliche Wettbe-
    werbsbeeinträchtigung nachzuweisen.
    Die Kommission hat bereits angekündigt, gegen
                                                         Fokus Kartellschadenser-
    die Entscheidung des Gerichts Rechtsmittel zum       satz
    Europäischen Gerichtshof einzulegen.
                                                         LG Dortmund: Konzernhaftung für Kartell-
                                                         schadensersatzansprüche
            Take away                                    Es ist bislang umstritten, ob Follow-on-Scha-
                                                         densersatzansprüche nur gegen die im Bußgeld-
       Das Gericht hat einen strengen Maßstab
                                                         bescheid genannten, unmittelbar tatbeteiligten
       für die Annahme einer erheblichen Beein-
                                                         Gesellschaften gerichtet werden können, oder dar-
       trächtigung des wirksamen Wettbewerbs
                                                         über hinaus auch andere Konzerngesellschaften
       in oligopolistisch geprägten Märkten eta-
                                                         wie Konzernmütter oder Schwestergesellschaf-
       bliert.
                                                         ten haften. Die Kartellschadensersatzrichtlinie hat
                                                         diese Frage offen gelassen.
    BKartA gibt Zusammenschluss von                      Das LG Dortmund hat sich mit Urteil vom 8. Juli
    Online-Dating-Plattformen frei                       2020 für eine umfassende Konzernhaftung aus-
                                                         gesprochen (8 O 75/19 Kart). Zwar scheiterte die
    Das BKartA hat die Übernahme der The Meet
                                                         streitgegenständliche Durchsetzung von Scha-
    Group Inc., die in Deutschland vor allem die
                                                         densersatzansprüchen gegen ein Mitglied des
    Online-Dating-Plattform Lovoo betreibt, durch
                                                         Sanitärkartells an anderen Umständen. In einem
    ProSiebenSat.1 Media freigegeben.
                                                         Orbiter Dictum führte das LG Dortmund jedoch
    Im Jahr 2016 hatte ProSiebenSat.1 Media bereits      aus, dass nach seiner Auffassung alle zur betroffe-
    die marktführenden Plattformen Parship und Eli-      nen wirtschaftlichen Einheit gehörenden Unter-
    tepartner unter seinem Dach vereint. Vor diesem      nehmen hafteten.
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    In diese Richtung wies zuletzt auch die EuGH-        Gegenstand der Sektoruntersuchung sind zwei
    Rechtsprechung. In Skanska (Rs- C724/17) hat         Produktgruppen:
    der EuGH die Haftung eines Rechtsnachfolgers für
                                                         •   Wearables, d.h. am Körper getragene vernetz-
    Kartellschadensersatzansprüche bejaht und sich
                                                             te Produkte und
    dabei auf das Konzept der wirtschaftlichen Einheit
    gestützt. Inwieweit aus dem Urteil eine umfassen-    •   intelligente Haushaltsgeräte wie zum Beispiel
    de Konzernhaftung abgeleitet werden kann, ist            intelligente Lautsprecher, Beleuchtungssys-
    allerdings umstritten. Das LG Dortmund hat sich          teme, Kühlschränke, Waschmaschinen und
    nun insoweit positioniert. Es geht „auf Grundla-         Fernsehgeräte.
    ge der Entscheidung des EuGH in Sachen Skans-        Die Sektoruntersuchung erstreckt sich auch auf
    ka […] davon aus, dass die kartellrechtliche Zuwi-   Sprachassistenten, mit denen entsprechende
    derhandlung einer einzelnen Konzerngesellschaft      Geräte gesteuert werden können. Zudem erfasst
    vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Ein-        sie digitale Dienstleistungen, die über die Geräte
    heit auch für alle anderen Unternehmensteile         genutzt werden können, wie insbesondere Musik-
    ein Eigenverhalten im haftungsrechtlichen Sin-       und Videostreamingdienste.
    ne darstellt und so […] ausreichend ist, die Haf-
    tungsverantwortlichkeit jedes einzelnen Rechts-      Die Kommission sieht Anhaltspunkte dafür,
    trägers zu begründen.“                               dass bestimmte Marktpraktiken zu strukturellen
                                                         Wettbewerbsverzerrungen führen. Insbesonde-
    Damit stellte sich das LG Dortmund gegen die bis-    re scheint die Behörde zu befürchten, dass markt-
    herige landgerichtliche Rechtsprechung: Das LG       mächtige Akteure mit Gatekeeper-Technologien,
    Mannheim (14 O 117/18 Kart) und das LG Mün-          wie zum Beispiel Sprachassistenten, den Wettbe-
    chen I (37 O 6039/18) lehnten eine Konzernhaf-       werb im Internet der Dinge beeinträchtigen könn-
    tung bislang ab. Der Grundsatz der persönlichen      ten. Ein besonderer Schwerpunkt der Sektorun-
    Verantwortung und das gesellschaftliche Tren-        tersuchung liegt zudem im Bereich der Daten.
    nungsprinzip stünden einer Zurechnung des kar-       Die Kommission möchte ermitteln, inwieweit
    tellrechtswidrigen Verhaltens im Konzern entge-      Beschränkungen des Zugangs zu und der Inter-
    gen.                                                 operabilität von Daten bestehen und inwieweit es
    Eine abschließende Klärung der Frage ist durch       hierdurch zur Behinderung von Wettbewerbern
    ein laufendes Vorabentscheidungsverfahren            kommt.
    des Europäischen Gerichtshofs zu erwarten            Die Kommission plant einen vorläufigen Bericht
    (Rs.C-882/19 – Sumal).                               mit Ergebnissen der Sektoruntersuchung im Früh-
                                                         jahr 2021 zu Konsultationszwecken zu veröffentli-
                                                         chen. Der Abschlussbericht soll im Sommer 2022
            Take away                                    vorgestellt werden.
       Entgegen der bisherigen landgerichtlichen         BKartA: Sektoruntersuchung E-Mobilität
       Rechtsprechung zeichnet sich eine Kon-
       zernhaftung für Kartellschadensersatzan-          Das BKartA hat Anfang Juli eine Sektoruntersu-
       sprüche ab.                                       chung im Bereich Ladeinfrastruktur für Elektro-
                                                         fahrzeuge eingeleitet (Pressemitteilung). Die Sek-
                                                         toruntersuchung wurde angestoßen, da das Amt
                                                         zunehmend Beschwerden über die Preise und
    Fokus Sektoruntersu-                                 Konditionen an Ladesäulen für Elektrofahrzeuge

    chungen                                              erreichen. Mit dem Verfahren möchte die Behörde
                                                         in der noch frühen Marktphase strukturelle Wett-
    Kommission: Sektoruntersuchung Inter-                bewerbsprobleme identifizieren und somit einen
    net of Things                                        Beitrag zum erfolgreichen Ausbau der zukunfts-
                                                         weisenden Infrastruktur leisten.
    Die Kommission hat eine Sektoruntersuchung im
    Bereich des verbraucherbezogenen Internets der
    Dinge eingeleitet und umfassende Fragebögen an
    etwa 400 Marktakteure versandt.
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7                                                                                                   Hogan Lovells

    Der Ausbau von Ladesäulen unterliegt nicht der
    umfassenden Stromnetz-Regulierung. Das BKar-             Take away
    tA erachtet es daher für wichtig, etwaige Wettbe-   Werden im Rahmen von Sektoruntersu-
    werbsprobleme mittels des Kartellrechts zu adres-   chungen Wettbewerbsprobleme identifi-
    sieren. Für einen funktionsfähigen Wettbewerb       ziert, können Kartellbehörden Verfahren
    seien ein diskriminierungsfreier Zugang zu geeig-   einleiten. Die Sektoruntersuchungen indi-
    neten Standorten und die Ausgestaltung der kon-     zieren demnach mögliche künftige Verfol-
    kreten Nutzungsbedingungen für Ladesäulen von       gungsschwerpunkte.
    Bedeutung.
    Die Sektoruntersuchung Ladeinfrastruktur soll
    in zwei Phasen erfolgen. Zunächst wird der Fort-
    schritt beim Ausbau sowie die aktuelle Praxis von
    Städten und Kommunen im Hinblick auf die Pla-
    nung und Bereitstellung geeigneter Standorte
    ermittelt. Anschließend werden sich die Ermitt-
    lungen auch Fragen des Zugangs von Mobilitäts-
    dienstleistern und Ladekunden widmen.

    Unser deutsches Kartellrechtsteam
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