I-SHARE REPORT I: FORMEN, STEUERUNG UND VERBREITUNG DER SHARING ECONOMY IN DEUTSCHLAND - Dezember 2020 - Herausgegeben von Indre Maurer und Achim ...
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Dezember 2020 I-SHARE REPORT I: FORMEN, STEUERUNG UND VERBREITUNG DER SHARING ECONOMY IN DEUTSCHLAND Herausgegeben von Indre Maurer und Achim Oberg i-share Forschungsnetzwerk
Impressum Bitte den Report wie folgt zitieren: Maurer, Indre & Oberg, Achim (2020). Formen, Steuerung und Verbrei- tung der Sharing Economy in Deutschland. i-share Report (Vol. I). Bitte einzelne Kapitel wie im folgenden Beispiel zitieren: Mair, Johanna, & Reischauer, Georg (2020). Viel- falt und Online-Gemeinschaften der Sharing Economy. In: Maurer, Indre & Oberg, Achim: Formen, Steue- rung und Verbreitung der Sharing Economy in Deutschland. i-share Report (Vol. I), Seite 40-48. Forschungsverbund Kontakt Dominika Wruk | L9, 1-2 | 68161 Mannheim Telefon: +49 621 181 2887 | E-Mail: wruk@ifm.uni-mannheim.de Das Projekt i-share wurde im Rahmen des Programms „Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA)“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vom 1.5.2015 bis zum 31.12.2019 gefördert (Förderkennzeichen FKZ01UT1408A-E).
Inhaltsverzeichnis Einleitung und Überblick 4 Indre Maurer und Achim Oberg Verbreitung der Sharing Economy in Deutschland 8 Achim Oberg, Dominika Wruk, Stefan Berwing, Olaf Kellermeier und Tino Schöllhorn Die Sharing Economy als historisches Phänomen 23 Indre Maurer, Philipp Mosmann, Jennifer Klutt und Mark Okraku Steuerung und Kontrolle von Communities in der Sharing Economy 33 Indre Maurer, Philipp Mosmann, Jennifer Klutt und Mark Okraku Vielfalt und Online-Gemeinschaften der Sharing Economy 40 Johanna Mair und Georg Reischauer Die Rolle der Informationstechnologie in der Sharing Economy 49 Alexander Frey, Manuel Trenz, Adeline Frenzel und Daniel Veit i-share Report I - 3
Einleitung und Überblick Indre Maurer und Achim Oberg Im vergangenen Jahrzehnt sind in Deutschland viele Organisationen ge- gründet worden, die der Sharing Economy zugeordnet werden können. Da- bei ist unklar, was solche Sharing Organisationen und ihre neuen Ge- schäftsmodelle ausmacht und welche Auswirkungen diese Organisationen haben. Charakteristika von Sharing Organisationen und ihre Verbreitung in Deutschland zu verstehen, ist eine wichtige Voraussetzung für die Abschät- zung von Auswirkungen der Sharing Economy auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft. Im ersten i-share Report fassen wir deshalb Ergebnisse des i- share Forschungsnetzwerks zusammen, die uns mehr über Besonderheiten und Merkmale von Sharing Organisationen und ihre Verbreitung in Deutschland verraten. Was kennzeichnet Sharing-Economy- Organisationen in Deutschland? Bisher hat sich keine eindeutige Definition der Sharing Economy herausge- bildet. Vielmehr wird die Sharing Economy als „schwammiges“ („fuzzy“) (Plewnia & Guenther, 2018) oder als breites, übergreifendes Konzept („umbrella concept“) beschrieben (Acquier, Daudigeos, & Pinkse, 2017; Schor, 2014), das verschiedene Geschäftsmodelle und Organisationsformen umfasst. Die Frage danach, welche Organisationen Teil der Sharing Economy sind und welche nicht, hat eine intensive und hitzige Debatte in Forschung und Medien in Gang gesetzt (Wruk, Oberg, & Friedrich-Schieback, 2019). Während zum Beispiel Airbnb und Uber für einige als die Aushängeschil- der für erfolgreiche Unternehmen in der Sharing Economy gelten, kritisie- ren andere, dass diese Unternehmen überhaupt als Teil einer Sharing Eco- nomy beschrieben werden, da sie das Teilen ökonomisiert hätten. So wird hinterfragt, ob gewinnorientierte Unternehmen überhaupt dazu gehören oder nur gemeinnützige Organisationen und Initiativen Teil einer „wahren“ Sharing Economy seien (Belk, 2014). Andere Forscher schlagen vor, den Begriff der Sharing Economy auf die Organisationen zu beschränken, die Transaktionen zwischen Privatperso- nen auf Plattformen ermöglichen (Frenken & Schor, 2017). Da die Ideen des Teilens und des gemeinschaftlichen Nutzens eine lange Tradition haben (Schor, 2014), seien gerade die digitalen Plattform das Neue an der Sharing Economy. Unternehmen wie Car2Go, bei denen das Unternehmen selbst i-share Report I - 4
die Fahrzeuge zur Verfügung stellt, oder Coworking Spaces, die das ge- meinschaftliche Nutzen von Büroarbeitsplätzen organisieren, wären in die- sem Verständnis nicht Teil der Sharing Economy. Ein Ziel des i-share Projektes ist es, ein breites und tiefes Verständnis der Vielfalt an Organisationen in der Sharing Economy zu erhalten. Vor dem Hintergrund einer fehlenden geteilten Definition, haben wir uns bei i-share für eine breite und inklusive Arbeitsdefinition der Sharing Economy ent- schieden, die verschiedene bisherige Definitionen umfasst. SHARING ECONOMY IN I-SHARE Die Sharing Economy umfasst Organisationen, deren Modelle auf Praktiken des Teilens, Tauschens, Vermietens oder gemeinsamen Nutzens von Produkten und Räumen oder der Bereitstellung von Arbeitskraft und Dienstleistungen beruhen. Dies erfolgt über Online-Plattformen oder physische Infrastrukturen (Offline Mo- delle). Diese Arbeitsdefinition greift eine breite Vielfalt von Modellen wie Über- nachtungsplattformen, Carsharing-Anbietern, Vermiet- und Verleihplattfor- men für Gebrauchsgüter, Plattformen zur Vermittlung von Dienstleistun- gen, Coworking Spaces, Gemeinschaftsgärten und Foodsharing-Initiativen auf. Dieses breite Verständnis stellt sicher, dass wir potenziell relevante Aspekte des neuen Phänomens nicht frühzeitig aus dem Fokus nehmen. Welche dieser Sharing Modelle wo in Deutschland zu finden sind, be- schreiben wir in Kapitel 2. Dafür berichten wir über Ergebnisse aus der Kartierung von Sharing Organisationen in Deutschland und stellen den dar- aus entstandenen i-share Atlas vor. Danach greifen wir die Frage auf, wie neu die Ideen und Modelle, auf denen Sharing Organisationen beruhen, tat- sächlich sind. Die gemeinschaftliche Nutzung und der gemeinschaftliche Besitz von Dingen sind keine komplett neuen Ideen und Praktiken, sondern haben in der Vergangenheit Maschinenringe, Genossenschaften oder All- menden hervorgebracht. Solche „alten“ Formen des Teilens und gemeinsa- men Nutzens und ihre Gemeinsamkeiten mit neuen Modellen in der Sha- ring Economy werden in Kapitel 3 vorgestellt. Was sind Besonderheiten von Sharing Organisationen? In der Sharing Economy werden unterschiedlichste ökonomische Transakti- onen abgewickelt: Sowohl monetäre als auch nicht-monetäre Transaktionen gehören dazu (z.B. Airbnb versus Couchsurfing); bei einigen Transaktionen findet ein Eigentumswechsel statt (z.B. Foodsharing), bei anderen nicht (z.B. Bikesharing); einige motivieren die Nutzer durch wirtschaftliche (z.B. Carsharing), andere durch soziale Anreize (z.B. Community Gärten); viele werden durch Internetplattformen unterstützt, manche Transaktionen finden sogar nur online statt (z.B. Teilen von Musik), andere bauen eine physische i-share Report I - 5
Infrastruktur auf (z.B. Coworking-Spaces), um das Teilen, Tauschen oder gemeinsam Nutzen zu organisieren. Wir wollen verstehen und systematisch erfassen, mit welchen sozialen, formalen und technischen Mechanismen Sharing-Economy-Organisationen koordiniert und gesteuert werden (For- schungsverbund i-share 2019). Dafür haben wir Koordinations- und Steue- rungsmechanismen von Sharing Organisationen untersucht und erfasst, mit welchen Mitteln sie ihre Community aus Anbietern und Nutzern motivieren und koordinieren. Diese Ergebnisse werden in Kapitel 4 dargestellt. COMMUNITY IN I-SHARE Zur Community einer Sharing Organisation zählen alle Personen, die das Funktio- nieren der Sharing Organisation ermöglichen: die BetreiberInnen der Organisation, die MitarbeiterInnen oder ehrenamtlichen HelferInnen, die NutzerInnen und Anbie- terInnen, die über die Sharing Plattform Produkte oder Dienstleistungen nachfragen und bereitstellen. Mit ihren Geschäftsmodellen verändert die Sharing Economy wie wir kon- sumieren, produzieren und arbeiten. So sind es häufig Selbständige oder Privatpersonen, die die eigentlichen Leistungen und Produkte anbieten, während Sharing Organisationen als Vermittler fungieren, ohne dass sie selbst die notwendigen Ressourcen und Produkte vorhalten. Damit verwi- schen in einigen Modellen vormals etablierte Grenzen zwischen Konsu- menten und Produzenten, zwischen Arbeit und Freizeit oder zwischen pri- vatem und öffentlichem Eigentum. Ein besonderer Fokus in Kapitel 5 liegt auf Online-Communities, deren Management Sharing Organisationen vor ganz eigene Herausforderungen stellt. Welchen Beitrag Informationstech- nologie bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle von Sharing Organi- sationen leistet, wird abschließend in Kapitel 6. WEITERFÜHRENDE LESEEMPFEHLUNGEN Wruk, D., Oberg, A., & Maurer, I. (2019). Perspectives on the Sharing Economy. Newcastle: Cambridge Scholars Publishing. Maurer, I., Mair, J., & Oberg, A. (Eds.). (2020). Theorizing the Sharing Economy: Variety and Trajectories of New Forms of Organizing. Research in the Sociology of Organizations, Vol. 66, Emerald Publishing Limited. i-share Report I - 6
Literatur Acquier, A., Daudigeos, T. & Pinkse, J. (2017). Promises and paradoxes of the sharing economy: An organizing framework. Technological Forecasting and Social Change, 125, 1–10. Belk, R. (2014). Sharing versus pseudo-sharing in Web 2.0. Anthropologist, 18(1), 7–23. Frenken, K. & Schor, J. (2017). Putting the sharing economy into perspective. Environmental Innovation and Societal Transitions, 23, 3– 10. Forschungsverbund i-share (2019). Wie Deutschland von der Vielfalt der Sharing Economy profitieren kann. Policy Brief des i-share Projektes. Berlin. Plewnia, F. & Guenther, E. (2018). Mapping the sharing economy for sustainability research. Management Decision, 56(3), 570–583. Schor, J. (2014). Debating the sharing economy. Journal of Self- Governance & Management Economics, 4(3), 7. Wruk, D., Oberg, A. & Friedrich-Schieback, M. (2019). Quantifying the sharing economy: An approach for measuring the ecological, social, and economic effects. GAIA-Ecological Perspectives for Science and Society, 28(1), 184–189. i-share Report I - 7
Verbreitung der Sharing Economy in Deutschland Achim Oberg, Dominika Wruk, Stefan Berwing, Olaf Kellermeier und Tino Schöllhorn Forschungsteams ifm Universität Mannheim und Plattform GmbH Die Sharing Economy wird häufig als urbanes Phänomen beschrieben (Co- hen, 2016; Davidson & Infranca, 2015; Sundararajan, 2014). In größeren Städten sei die kritische Masse an potenziellen NutzerInnen ausreichend groß und die geographische Distanz zwischen ihnen hinreichend klein, so dass Modelle zum gemeinsamen Nutzen, Tauschen oder Vermieten hier be- sonders effizient und effektiv umsetzbar seien. Gleichzeitig haben alte For- men des gemeinschaftlichen Nutzens und Besitzens in ländlichen Gebieten eine lange Tradition: Allmenden, Genossenschaften oder Maschinenringe wurden von der ländlichen Bevölkerung ins Leben gerufen mit dem Ziel, den Aufwand auf alle Beteiligten zu verteilen und so Anschaffungen und andere Aktivitäten überhaupt erst möglich und wirtschaftlich tragbar zu machen. Es stellt sich die Frage, welche Sharing Organisationen es wo in Deutschland gibt. Genauer gefragt: In welchen Bereichen sind Sharing Or- ganisationen in Deutschland tätig? Ist die Sharing Economy ein rein urba- nes Phänomen? Diesen Fragen nachzugehen ist ein Ziel des i-share Projektes. Dafür wurden bestehende Sharing Organisationen, die in Deutschland aktiv sind, identifi- ziert und kartiert. Eine solche Kartierung hat einen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen. Die Kartierung von Sharing Organisationen ist eine wichtige Voraussetzung für die qualitative und quantitative empirische Forschung im Rahmen des i-share Projektes, denn bisher existierte keine Datenbank, in der Sharing Organisationen systematisch erfasst und katego- risiert sind. Sharing Organisationen können wiederum von einer höheren Sichtbarkeit profitieren und mehr über vergleichbare und über ganz andere Sharing Modelle erfahren. (Potenzielle) NutzerInnen von Sharing Organi- sationen bekommen eine Übersicht der Angebote in ihrer Nähe. ZENTRALE ERGEBNISSE • Über 2.500 Sharing Organisationen wurden bisher im i-share Atlas erfasst • Sharing Organisationen können 17 Aktivitätsbereichen zugeordnet werden • Seit 2008 Gründungsboom in der Sharing Economy zu beobachten • Verdichtung auf große Städte und Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte zu sehen, aber Sharing Organisationen auch in ländlichen Gebieten vorhan- den i-share Report I - 8
Vorgehen Um einen Überblick über die Sharing Economy zu gewinnen, wurde auf der Projektseite der i-share Atlas angelegt (www.i-share-economy.org/at- las), der Sharing Organisationen in Deutschland zusammenträgt. Darin werden Sharing Organisationen mit Kurzprofilen erfasst, verlinkt und the- matisch gruppiert. Sharing Organisationen wurden auf drei Wegen identifi- ziert: • Sharing Organisationen wurden mittels Internetrecherchen gefunden. Hierfür konnten etablierte Branchenverzeichnisse und Blogs nach Hin- weisen auf Sharing Organisationen durchsucht werden. Auch eine Stichwortsuche (z.B. Sharing Economy, Coworking, Carsharing) in bestehenden Online-Suchportalen wurde durchgeführt. • Ein Web-Crawler wurde herangezogen, um weitere Organisationen zu identifizieren. Der Internet-Crawler erfasst alle Verlinkungen zwi- schen Webseiten. Kennt man also ein erstes Set an Sharing Organisati- onen, relevanten Medien und Blogs, können über die Verlinkungs- strukturen weitere Organisationen gefunden werden, die potenziell Teil der Sharing Economy sind. • Drittens wurde ein Selbstregistrierungstool entwickelt, so dass Orga- nisationen sich auch selbst eintragen können. Grundsätzliche Eigen- schaften (z.B. Adresse, Rechtsform, Ansprechperson) werden während der Selbstregistrierung von den Sharing Organisationen selbst ange- legt. Darüber hinaus können sie Angaben dazu machen, in welchem Bereich sie aktiv sind (z.B. Mobilität und Transport) und wo ihre Leis- tungen verfügbar sind bzw. welche Reichweite sie haben (z.B. Stadt- teil, Stadt, bundesweit). Eine individuelle Beschreibung der Organisa- tionen sowie ein Logo vervollständigen das Profil der Organisationen. Der i-share Atlas Mit diesem Vorgehen konnten bisher über 2.500 Sharing-Organisationen in den i-share Atlas aufgenommen werden. Jede von uns gefundene Sha- ring-Organisation wurde mit einer individuellen E-Mail dazu eingeladen, ihr Profil im i-share Atlas zu vervollständigen und eine Kurzbeschreibung und ein Logo zu ergänzen. Sharing Organisationen, deren Vertreter sich selbst oder auf diese Einladung hin registriert haben, sind öffentlich auf der Karte und als Liste sichtbar (https://www.i-share-economy.org/atlas/fertig- gestellte-profile). Zu den erfassten Informationen gehören, neben der für die Kartierung notwendigen Adresse, ein Ansprechpartner mit Kontaktda- ten, die Rechtsform und das Gründungsjahr der Organisationen sowie eine Kategorisierung in Aktivitätsbereiche. i-share Report I - 9
Aktivitätsbereiche von Sharing Organisationen in Deutschland Unsere Recherchen haben ergeben, dass Sharing Organisationen in Deutschland in 17 verschiedenen Bereichen aktiv sind. Dazu gehören ne- ben häufig in den Medien diskutierten Online Modellen wie Übernach- tungsplattformen oder Ridesharing-Diensten auch Offline Modelle, zu de- nen Gemeinschaftsgärten oder Repair Cafés zählen. Die etwa 2.500 Sharing Organisationen verteilen sich dabei nicht gleichmä- ßig auf die Aktivitätsbereiche (siehe Abbildung 2-1). Stattdessen gibt es eine große Anzahl von Organisationen mit Offline Modellen wie Commu- nity Gärten, Reparaturwerkstätten, Coworking Spaces, gemeinschaftliche Wohnprojekte oder Tauschringe. Dagegen sind deutlich weniger Sharing Organisationen zu finden, die ein Online Modell betreiben. Ein Grund für die ungleiche Verteilung ist die geographische Reichweite der Sharing Or- ganisationen. ABSCHÄTZUNG DER GESAMTGRÖßE DER SHARING ECONOMY Wir gehen nicht davon aus, dass wir alle in Deutschland aktiven Sharing Organisa- tionen gefunden und kartiert haben. Zur Abschätzung der Gesamtheit an Sharing Organisationen in Deutschland haben wir eine noch detailliertere Recherche von Sharing Organisationen in Mannheim und Umgebung durchgeführt. Das Ergebnis der vertieften Recherche war, dass wir eine Sharing Organisation je 20.000 Ein- wohner gefunden haben. Auf Basis der Gesamtbevölkerung lässt sich damit verein- facht abschätzen, dass es mindestens 4.000 Sharing Organisationen in Deutsch- land gibt. Unserer Schätzung nach ist es damit bisher gelungen, etwa 60 Prozent der Sharing Organisationen in Deutschland zu erfassen. Organisationen mit Offline Modellen benötigen eine physische Infrastruk- tur in Form von Räumen, Flächen und Geräten, die gemeinschaftlich ge- nutzt werden, um Leistungen und Produkte auszutauschen. Sie sind deshalb zumeist in einzelnen Gemeinden oder Stadtteilen aktiv. Hingegen haben Sharing Organisationen mit Online Modellen wie etwa Vermittlungsplatt- formen für Dienstleistungen, Tausch- und Second-Hand-Plattformen oder Angebote im Mobilitätsbereich ein größeres Einzugsgebiet und sind in mehreren Städten, einer größeren Region oder gar deutschlandweit oder darüber hinaus verfügbar. In der Folge sind weniger dieser Sharing Organi- sationen vorhanden, da sie über Stadtgrenzen hinweg miteinander im Wett- bewerb um dieselben KundInnen stehen können. i-share Report I - 10
VERTEILUNG VON SHARING ORGANISATIONEN AUF AKTIVITÄTSBEREICHE Abbildung 2-1: Verteilung von Sharing Organisationen. Trotz der vielfältigen Anwendungsbereiche (siehe Tabelle 2-1) gibt es Ge- meinsamkeiten bei den Geschäftsmodellen von Sharing Organisationen (Wruk et al., 2019). Unter Sharing Organisationen in den verschiedenen Aktivitätsbereichen konnten zwei grundsätzliche Kategorien von Ge- schäftsmodellen identifiziert werden: Grassroots-Initiativen und plattform- basierte Organisationen. Grassroots umfassen typischerweise gemeinnützig motivierte Initiativen, die mithilfe eines lokalen Teams eine physische Infrastruktur zum Teilen, Tauschen oder gemeinsam Nutzen aufbauen und betreiben. Damit verfol- gen Grassroots-Initiativen typischerweise insbesondere soziale Ziele wie die Stärkung des sozialen Zusammenhalts in einer Nachbarschaft. Platt- form-basierte Organisationen stellen Online-Plattformen bereit, über die Transaktionen angestoßen, abgewickelt und abgesichert werden. Sie adres- sieren im Kern häufig ökonomische Ziele, wie die Schaffung von Kosten- vorteilen für NutzerInnen. i-share Report I - 11
TABELLE 2-1: AKTIVITÄTSBEREICHE VON SHARING ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND Aktivitäts- Kurzbeschreibung bereiche (weitere Details im Glossar) Ein Community Garden ist ein als Garten genutztes Stück Land, das von einer Gruppe von Personen gemeinsam bewirtschaftet wird. In der Regel befinden sich Community Gar- die Grundstücke in städtischen Gebieten und sind öffentlich zugänglich. Ziele dens sind die Produktion gesunder, unbehandelter Lebensmittel, Wissensaustausch sowie häufig auch die Nutzung des Gartens als sozialen Treffpunkt der Commu- nity. Coworking beschreibt eine relativ neue Arbeitsform, bei der sich insbesondere Start-Ups, Freiberufler und Kreative einen gemeinsamen Arbeitsplatz in meist Coworking größeren, offenen Räumen teilen (Coworking Space). Sie profitieren dabei vom Spaces gegenseitigen Austausch sowie von dem vom Betreiber zur Verfügung gestellten Equipment. Crowdfunding–Plattformen ermöglichen die Finanzierung von Projekten, Produk- ten, Startups u.v.m. durch eine Vielzahl von Menschen. Dabei leistet jedes Mit- Crowdfunding glied der Masse (Crowd) nur einen kleinen finanziellen Anteil. Je nach Form fließt und das Geld als Spende oder wird durch eine Gegenleistung vergolten. Beim Crowdlending Crowdlending geben die Unterstützer einen Kredit zu vorab festgelegten Kondi- tionen. Foodsharing oder Shared Food meint allgemein das Teilen von Lebensmitteln. Meist wird mit dem Begriff jedoch die spezifische Praktik des kostenlosen Vertei- Foodsharing und lens von vor dem Wegwerfen geretteten Lebensmitteln an öffentlichen Verteilsta- Mealsharing tionen bezeichnet. Im Falle von zubereiteten Gerichten spricht man auch von Mealsharing. Gemeinschaftliches Wohnen oder Cohousing bezeichnet eine von ihren Bewoh- nern gemeinsam geplante und bewirtschaftete Gemeinschaft aus privaten Woh- Gemeinschaft- nungen und/oder Häusern. Typisch für diese Art des Wohnens sind die allen zu- liches Wohnen gängliche Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen sowie die gegenseitige Un- terstützung im Alltag. MakerSpaces sind eine Form von Gemeinschaftswerkstätten. In den zur Verfü- gung gestellten Räumlichkeiten liegt der Fokus jedoch weniger auf dem Reparie- ren als vielmehr auf der Herstellung neuer Produkte mit Hilfe von modernem MakerSpaces High-Tech-Equipment. Die gemeinschaftliche Nutzung ermöglicht es z.B. kleinen Unternehmen und Einzelpersonen, Prototypen und Kleinserien kostengünstig herzustellen. Viele dieser Werkstätten sind im FabLabs Netzwerk zusammenge- schlossen. i-share Report I - 12
Aktivitäts- Kurzbeschreibung bereiche (weitere Details im Glossar) Hierunter fallen vielfältige Initiativen und Organisationen zur gemeinschaftlichen Nutzung von Fahrzeugen. Die Koordination der Nutzung findet zumeist über eine Online-Plattform statt. Die Initiativen sehen sich als Alternativen oder als nach- Mobilität und haltige Ergänzung zu privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln. Die aktuell am Transport weitesten verbreiteten Formen sind Bikesharing, Carsharing, Carpooling und Ridesharing. Die Begriffe werden hierbei nicht immer einheitlich, teilweise auch synonym benutzt. Eine Übernachtungsplattform ist eine Internetplattform, auf der die NutzerInnen ihr Haus, ihre Wohnung oder eine dortige Schlafmöglichkeit anderen Personen Übernachtungs- für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stellen können. Für die Übernach- plattformen tungsmöglichkeit wird mit Geld oder durch das wechselseitige Bereitstellen der eigenen Wohnung bezahlt. Reparaturwerkstätten sind permanente oder temporäre Angebote, die es Laien erlauben, unter fachkundiger Anleitung und mit bereitgestelltem Werkzeug de- Reparatur- fekte Gebrauchsgegenstände (z.B. Fahrräder) zu reparieren. Diese müssen so- werkstätten mit nicht entsorgt und teuer ersetzt werden. Repair Cafés sind hierbei in be- stimmten zeitlichen Abständen organisierte Treffen unter dem gleichen Motto des do-it-yourself-Reparierens. Swappingplattformen sind Online-Plattformen, über die Güter, die vormals be- reits im Besitz von Personen oder Organisationen waren, geswappt (getauscht) Swappingplatt- werden. Entsprechende Plattformen bieten darüber hinaus häufig auch die Mö- formen glichkeit die Güter zu verschenken, seltener auch zu verkaufen. Häufig geswappt werden z.B. Bücher und Kleider. Solidarische Landwirtschaft (kurz Solawi) bezeichnet die Kooperation privater Verbraucher mit einem landwirtschaftlichen Betrieb oder einer Gärtnerei auf loka- Solidarische ler Ebene. Die Verbraucher verpflichten sich zur Zahlung eines jährlich festge- Landwirtschaft setzten Betrages bzw. geben dem Landwirt eine Abnahmegarantie. Dies ver- schafft ihm/ihr Planungssicherheit und den Verbrauchern Transparenz beim Kauf ihrer Nahrungsmittel. Stationäre Einrichtung zum Tausch oder Erwerb von Gütern, die vormals bereits Stationäre im Besitz von Personen oder Organisationen waren. Der Lebenszyklus der Güter Tauschbörse soll durch Weitergabe an andere verlängert und somit die Müllproduktion redu- ziert werden. i-share Report I - 13
Aktivitäts- Kurzbeschreibung bereiche (weitere Details im Glossar) Eine Verleih- oder Vermietplattform ist eine Internetplattform, auf der NutzerIn- Vermietplattfor- nen ihr Eigentum an andere verleihen können. Gegenstände werden kostenlos men und Ver- oder gegen eine Gebühr angeboten. Die Plattformen verstehen sich als nachhal- leihplattformen tigere Alternative zum Neukaufen und wollen nutzbare Dinge einer Gesellschaft für alle verfügbar machen. Plattformbetreiber der Vermittlungsplattformen für Dienstleistungen fragen übli- cherweise selbst weder Dienstleistungen nach, noch bieten sie diese dort an – Vermittlungs- ihre Aufgabe ist die Vermittlung. Die Plattformen ermöglichen ein schnelles An- plattformen für bieten und Vergeben von Aufgaben. Die Dienstleister, meist Eigenständige oder Dienst- Privatpersonen, erhalten mit geringem Aufwand Aufträge, die sie wiederum frei leistungen annehmen oder ablehnen können. Der relativ flexiblen Zeiteinteilung und der Wahl des Arbeitsortes stehen die Gefahr des Lohndumpings und prekärer Arbeit als häufige Kritikpunkte gegenüber. Im Bereich der Versorgung mit grundlegenden Ressourcen wie dem Zugang zu Internet oder Strom schließen sich private NutzerInnen zu einer Gemeinschaft Versorgungs- (oft Genossenschaft) zusammen. Diese „produziert“ die Ressourcen eigenstän- sektor dig und somit unabhängig. Ziele im Bereich der Stromversorgung sind oft Unab- hängigkeit und ein Beitrag zur Energiewende. An lokale Communities gebundene Konzepte des unentgeltlichen Austauschs von Dienstleistungen, Erfahrungen, Wissen und Gegenständen. Bei Zeitbanken Zeitbanken und erhält man für geleistete Hilfe eine Gutschrift auf dem Zeitkonto, was den „Kauf“ lokale von Hilfe aus der Community zu einem späteren Zeitpunkt ermöglicht. In Tausch- Tauschringe ringen werden auch Gegenstände getauscht. Nachbarschaftsplattformen verei- nen oft beide Konzepte. i-share Report I - 14
Gründungen in der Sharing Economy Schaut man sich die Gründungen von Sharing Organisationen über die Zeit an, so sieht man einen Gründungsboom seit 2008. Abbildung 2-2 zeigt, dass davor Ideen und Modelle ausprobiert wurden und erste Gründungen zu beobachten waren. So gab es bereits in den frühen 1990er Jahren Grün- dungen von Car-Sharing-Organisationen; in den späten 1990er Jahren sind viele Zeitbanken und lokale Tauschringe entstanden; gemeinschaftliche Wohnprojekte sind verstärkt in den frühen 2000ern gegründet worden. Dies geschah weitgehend ohne mediales oder gesellschaftliches Interesse für die Sharing Economy als Phänomenbereich. Mit der Finanz- und Wirtschafts- krise 2008 ist die Sharing Economy zunehmend in den Fokus der Aufmerk- samkeit gerückt und hat einen Gründungsboom in Gang gesetzt. GRÜNDUNGEN JE AKTIVITÄTSBEREICH (1990-2015) Abbildung 2-2: Gründungen je Aktivitätsbereich (1990-2015). Dies hat verschiedene Gründe: Für einige wurde die Suche nach neuen Ein- kommensquellen zur wirtschaftlichen Notwendigkeit. Modelle, die es er- laubten, die eigene Wohnung, das eigene Auto oder andere Besitztümer zu vermieten oder die eigene Arbeitskraft zu vermitteln, stießen hier auf Inte- resse und Akzeptanz. Die Finanz- und Wirtschaftskrise verlieh Forderun- gen nach alternativen Wirtschaftsmodellen Nachdruck, was auch der Ent- wicklung der Sharing Economy Aufwind gab. Auch soziokulturelle Ent- wicklungen haben das Wachstum der Sharing Economy befördert. Etwa ein Wandel der Einstellung zum Thema Eigentum insbesondere unter der jün- geren Bevölkerung – wie in dem Motto „Access over Ownership“ („Zu- gang statt Eigentum“) passend festgehalten ist – oder eine stärkere Heraus- bildung eines Nachhaltigkeitsbewusstseins. Durch neue App- und Web- technologien konnten Such- und Transaktionskosten reduziert werden und i-share Report I - 15
die Verbreitung sozialer Medien hat die Vorstellung, Fremden die eigene Wohnung oder das eigene Auto anzuvertrauen, für einen zunehmenden Teil der Bevölkerung zur Normalität werden lassen, so dass diese zu den tech- nologischen Treibern der Sharing Economy gehören. GEOGRAPHISCHE VERTEILUNG VON SHARING-ECONOMY- ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND (2017) Abbildung 2-3: Geographische Verteilung von Sharing-Economy-Organisationen 2017. Dunk- lere Bereiche zeigen eine höhere Dichte an Sharing-Economy-Organisationen. Kartenquelle: Google, Map data © (2017), GeoBasts-De/BKG © i-share Report I - 16
Unsere Daten aus dem i-share Atlas bestätigen die Bedeutung der Sharing Economy für Großstädte wie Berlin, Hamburg oder München und für dicht besiedelte Gebiete wie die Rhein-Neckar, Rhein-Main und Rhein-Ruhr Re- gionen, wie auch aus Abbildung 2-3 ersichtlich wird. Über die Zeit gibt es eine Verbreitung und Verdichtung von Sharing Orga- nisationen im Bundesgebiet. Während es im Jahr 2000 relativ wenige Sha- ring Organisationen gab und auf der Deutschlandkarte kein eindeutiges Muster zu erkennen ist, werden über die Zeit bis 2017 mehrere Regionen erkennbar, in denen es eine starke Verdichtung von Sharing Organisationen gibt, wie an den dunkleren Farben in Abbildung 2-4 erkennbar ist. GEOGRAPHISCHE VERTEILUNG VON SHARING-ECONOMY- ORGANISATIONEN ÜBER DIE ZEIT (2000-2017) Abbildung 2-4: Geographische Verteilung von Sharing-Economy-Organisationen über die Zeit (2000-2017). Dunklere Bereiche zeigen eine höhere Dichte an Sharing-Economy-Organisatio- nen. Kartenquelle: Google, Map data © (2017), GeoBasts-De/BKG © Wenn wir unseren Fokus auf einzelne Aktivitätsbereiche setzen, beobach- ten wir unterschiedliche Diffusionsmuster. Zum Beispiel zeigt Abbildung 2-5 die aktuell etwa 300 erfassten digitalen Plattformen zum Austausch von Gütern oder Dienstleistungen, deren Angebote häufig deutschlandweit ver- fügbar sind. Es zeigt sich, dass diese Organisationen ihren Hauptsitz insbe- sondere in Startup-Zentren haben: Viele sind im Zentrum von Berlin, wei- tere sind in Hamburg oder München zu finden. Zentrale Leistungen dieser Organisationen sind die Bereitstellung der technischen Infrastruktur für den Austausch zwischen Individuen und der Aufbau einer Online-Community. Obwohl diese Leistungen prinzipiell ortsunabhängig erbracht werden kön- nen, sind Organisationen bevorzugt an Standorten zu finden, die als Star- tup-Zentren bekannt sind, da sie Zugang zu Gründungs-Know-How und zu Finanzierungsquellen für die technische Infrastruktur benötigen. i-share Report I - 17
GEOGRAPHISCHE VERTEILUNG VON ONLINE-PLATTFORMEN IN DEUTSCHLAND (2017) Abbildung 2-5: Geographische Verteilung von Online-Plattformen in Deutschland (2017). Dunklere Bereiche zeigen eine höhere Dichte an Sharing-Economy-Organisationen. Karten- quelle: Google, Map data © (2017), GeoBasts-De/BKG © Das Bild verändert sich deutlich, wenn wir in Abbildung 2-6 Angebote im Bereich Mobilität betrachten. Hier stechen Ballungsgebiete deutlich weni- ger stark hervor, denn insbesondere Carsharing-Angebote sind auch in klei- neren Städten und im ländlichen Raum zu finden. i-share Report I - 18
GEOGRAPHISCHE VERTEILUNG VON SHARING-ANGEBOTEN IM BEREICH MOBILITÄT (2017) Abbildung 2-6: Geographische Verteilung von Sharing-Angeboten im Bereich Mobilität in Deutschland (2017). Dunklere Bereiche zeigen eine höhere Dichte an Sharing-Economy-Or- ganisationen. Kartenquelle: Google, Map data © (2017), GeoBasts-De/BKG © Wenn wir die Verbreitung unterschiedlicher Modelle in Abbildung 2-7 ne- beneinanderstellen, werden deutliche Unterschiede in den beobachteten Mustern sichtbar: Die über 270 erfassten Coworking Spaces in Deutschland sind in Abbildung 2-7b) zu sehen. Diese sind insbesondere in größeren Städten mit einer überdurchschnittlich hohen Selbstständigenquote und/oder einem hohen Anteil von Personen, die im IT- und Dienstleis- tungssektor tätig sind (Datenquelle: Statistische Ämter des Bundes und der i-share Report I - 19
Länder, 2014) zu finden. Dazu zählen neben Berlin, Hamburg und Mün- chen auch Frankfurt und Düsseldorf. Es kann angenommen werden, dass in diesen Städten die Nachfrage nach gemeinschaftlichem Arbeitsraum hoch ist, so dass dort viele Coworking Spaces entstehen. Dagegen sehen wir bei Sharing Organisationen, die im Bereich der solidarischen Landwirtschaft (Abbildung 2-7c) tätig sind und bei Maker Spaces (Abbildung 2-7g) eine deutlich gleichmäßigere Verteilung. Diese sind nicht nur im Ballungsraum größerer Städte und Stadtzentren zu finden, sondern auch im ländlichen Raum. Auffällig ist in den meisten Abbildungen und auch in der Darstel- lung der gesamten Sharing Economy weiter oben, dass es „blinde Flecken“ auf den Karten gibt. GEOGRAPHISCHE VERTEILUNG VERSCHIEDENER SHARING- ECONOMY-ORGANISATIONEN (2017) Abbildung 2-7: Geographische Verteilung von Sharing-Economy-Organisationen in unter- schiedlichen Aktivitätsbereichen (2017). Dunklere Bereiche zeigen eine höhere Dichte an Sha- ring-Economy-Organisationen. Alle Darstellungen beziehen sich auf das Jahr 2017. Kartenquelle: Google, Map data © (2017), GeoBasts-De/BKG © Zudem fällt auf, dass sich außerhalb des Großraums Berlins und der west- deutschen Bundesländer weniger Sharing Organisationen finden. Nur Pro- jekte der solidarischen Landwirtschaft und Maker Spaces sind gleichmäßi- ger verteilt. Ein Grund für die ungleiche Verteilung kann die vergleichbar geringe Bevölkerungsdichte in den betreffenden Regionen sein. Weitere In- formationen – etwa sozio-kulturelle, politische oder wirtschaftliche Fakto- ren – könnten zukünftig herangezogen werden, um die beobachteten geo- graphischen Verbreitungen der verschiedenen Formen zu erklären. i-share Report I - 20
Ausblick Zwei Ziele verfolgen wir mit unserer weiteren Forschung zur Verbreitung von Sharing Organisationen in Deutschland: Zum einen möchten wir mög- liche Erklärungen für die unterschiedlichen Diffusionsmuster untersuchen. Eine Erwartung wäre, dass der historische, ökonomische und soziokultu- relle Kontext dazu beitragen, die Verteilung von Sharing Organisationen besser zu verstehen: Das historische Erbe einer Region könnte die vorherr- schenden Organisationsformen und damit auch die Verbreitung von Sha- ring Organisationen beeinflussen (Stinchcombe, 1965); auch der ökonomi- sche Kontext – etwa die Frage, welche Industrien bereits in einer Region existieren – könnte Einfluss darauf haben, ob und welche Sharing Organi- sationen in einer Region zu finden sind (Porter, 2011). Schließlich sollten ein Verständnis der vorherrschenden institutionellen Bedingungen und Strukturen und der allgemeine soziokulturelle Kontext dazu beitragen, zu verstehen (DiMaggio & Powell, 1983), warum bestimmte Sharing Organi- sationen in einzelnen Regionen zu finden sind und andere nicht. WEITERFÜHRENDE LESEEMPFEHLUNGEN Wruk, D., Oberg, A., Klutt, J., & Maurer, I. (2019). The Presentation of Self as Good and Right: How Value Propositions and Business Model Features are Linked in the Sharing Economy. Journal of Business Ethics, 159(4), 997–1021. Da der i-share Atlas weiter kontinuierlich ausgebaut und aktualisiert wird, laden wir alle Sharing Organisationen herzlich dazu ein, sich zu registrieren und ein Profil anzulegen: REGISTRIEREN IM I-SHARE ATLAS Ihre Organisation oder Initiative ist Teil der Sharing Economy? Ihr Konzept oder Ge- schäftsmodell beruht auf dem Prinzip des Teilens oder gemeinschaftlichen Nut- zens? Dann registrieren Sie Ihre Organisation oder Initiative im i-share Atlas! Unter- stützen Sie uns damit bei unserer Forschung und erfahren Sie selbst mehr über vergleichbare und über ganz andere Sharing-Modelle. Unter dem folgenden Link finden Sie rechts in der Bannerleiste den Button zur Selbstregistrierung: https://www.i-share-economy.org/atlas i-share Report I - 21
Literatur Cohen, B. (2016). Making sense of the many business models in the sharing economy. Fast Company. Abgerufen von https://www.fastcompany.com/3058203/making-sense-of-the-many- business-models-in-the-sharing-economy Davidson, N. M., & Infranca, J. J. (2015). The sharing economy as an urban phenomenon. Yale L. & Pol’y Rev., 34, 215. DiMaggio, P., & Powell, W. (1983). The iron cage revisited: Institutional isomorphism and collective rationality in organizational fields. American Sociological Review, 48(2), 147–160. Porter, M. E. (2011). Competitive advantage of nations: Creating and sustaining superior performance. New York: Simon and Schuster. Stinchcombe, A. L. (1965). Social structure and organizations. In J.G. March (Hrsg.), Handbook of Organizations: 142–193. Chicago: Rand McNally. Sundararajan, A. (2014). Peer-to-peer businesses and the sharing (collaborative) economy: Overview, economic effects and regulatory issues. Written Testimony for the Hearing Titled The Power of Connection: Peer to Peer Businesses. Wruk, D., Oberg, A., Klutt, J., & Maurer, I. (2019). The Presentation of Self as Good and Right: How Value Propositions and Business Model Features are Linked in the Sharing Economy. Journal of Business Ethics, 159(4), 997–1021. i-share Report I - 22
Die Sharing Economy als historisches Phänomen Indre Maurer, Philipp Mosmann, Jennifer Klutt und Mark Okraku Forschungsteam Universität Göttingen Die Sharing Economy gilt in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gleicher- maßen als ein modernes Phänomen, das alternative Formen und Modelle des Wirtschaftens vorantreibt. Obwohl Treiber wie zum Beispiel die mo- derne Netzwerk- und Informationstechnologie oder ein gesellschaftlicher Wertewandel hinsichtlich nachhaltiger Formen des Wirtschaftens und Kon- sumierens für den rasanten Bedeutungszuwachs verantwortlich gemacht werden, ist die Idee des Tauschens, Teilens und Verleihens nicht neu. Ge- schäftsmodelle von Organisationen wie Kleiderkreisel, dem Gemein- schaftsgarten Himmelbeet oder Airbnb, basieren in vielerlei Hinsicht auf tradierten Formen und Modellen in der Geschichte. Besonders in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum verkörpert das Tauschen, Teilen und Verleihen seit jeher ein Grundmodell des Wirtschaf- tens (Ostrom, 1990; Warde, 2013). So lässt sich beispielsweise gemein- schaftliche Land- und Bodennutzung vom Ende des frühen Mittelalters bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen, bevor zunehmende Ge- meinheitsteilungen und Verkoppelungen die bestehende Agrarverfassung aufhoben. Aber auch andere Formen sind charakteristisch für dieses Grund- modell, wobei Arbeitskraft, Maschinen, Nutztiere oder auch spezielle Ein- richtung-en geteilt und gemeinschaftlich genutzt wurden. Dies verdeutlicht, dass nicht nur moderne, sondern auch historische Formen vielfältige Aus- prägungen aufweisen (Mahlerwein, 2016). So ergeben sich folgende Fra- gen: Welche historischen Formen gemeinschaftlicher Ressourcennutzung gibt es und wie lassen sich diese systematisieren, sodass sie mit modernen Formen vergleichbar sind? Das “Historical Honeycomb of the Sharing Economy” Um die Sharing Economy als neues Wirtschaftsphänomen ganzheitlich zu verstehen und ihre Ausprägungen und Organisationen abbilden zu können, ist das Collaborative Economy Honeycomb von Jeremiah Owyang (2016) entscheidend (Davidson & Infranca, 2016). Es handelt sich um einen der ersten Ansätze, der die Organisationen in der Sharing Economy identifiziert und auf Basis ihrer Anwendungsbereiche systematisiert (Schor, 2014; Acquier, Daudigeos, & Pinkse, 2017). Die Struktur der Wabe wie in Ab- bildung 3-1 ersichtlich, erweist sich als geeignet, um diese kontinuierlich mit neuen Anwendungsbereichen und auch Organisationen zu erweitern. i-share Report I - 23
DAS COLLABORATIVE ECONOMY HONEYCOMB VON JEREMIAH OWYANG (2016) Abbildung 3-1: Das Collaborative Honeycomb von Jeremiah Owyang. Quelle: Entwickelt von Jeremiah Owyang, März 2016 (jeremiah@CrowdCompanies.com). i-share Report I - 24
Unter Weiterverwendung des Honeycombs als Muster ist die Identifikation und Systematisierung historischer Formen und Modelle gemeinschaftlicher Ressourcennutzung ebenso möglich. Hierzu werden gleichsam Waben als Rahmen für die Anwendungsbereiche genutzt. Diese umfassen landwirt- schaftliche Boden- und Viehnutzung sowie forstwirtschaftliche Nutzung von Holz und Waldflächen, was mit der zeithistorischen Verortung im Pri- märsektor zu begründen ist.1 Mit der Notwendigkeit der sukzessiven Pro- duktivitätssteigerung und Intensivierung der Landwirtschaft in Zusammen- hang mit dem technischem Fortschritt, schließen historische Formen auch Beratungsdienstleistungen, land- oder forstwirtschaftliche Maschinen oder Arbeitskraft ein (Mahlerwein, 2016). VERORTUNG UND EINGRENZUNG VON 15 HISTORISCHEN BEISPIELEN IN SIEBEN ANWENDUNGSBEREICHE Abbildung 3-2: Verortung und Eingrenzung von 15 historischen Beispielen in sieben Anwendungsbereiche. 1 Diese Verortung reicht von der frühesten Form im 18. Jhdt. bis zur Moderne in den 1960er Jahren. Der geografische Kontext bezieht sich auf Mitteleuropa. i-share Report I - 25
Unterschiedliche, teilweise genossenschaftliche Vereinigungen und Zusam- menschlüsse von Individuen, landwirtschaftlichen Höfen oder (Dorf-)Ge- meinschaften sind weitere typische Formen der gemeinschaftlichen Organi- sation in der Geschichte. Um inhaltlich und strukturell konsistent mit dem Honeycomb nach Owyang (2016) fortzuführen, orientieren wir uns im Fol- genden an der Definition und auch Eingrenzung der Fallbeispiele. So ent- steht ein Verständnis, das auf dem Phänomen der Sharing Economy basiert und das gleichermaßen die Verortung und Eingrenzung von 15 historischen Beispielen in sieben Anwendungsbereiche im Folgenden, wie in Abbildung 3-2 verdeutlicht, unterstützt. Land: Eine der ältesten Formen gemeinschaftlicher Ressourcennutzung ist die Landnutzung in Form der Allmende. Darunter ist in Gemeinschaftsbe- sitz liegendes Weideland abseits der parzellierten Flure landwirtschaftlicher Nutzflächen und abseits des privaten Landes zu verstehen. Jeder berech- tigte Haushalt, der Teil einer übergeordneten Dorfgemeinde oder einer bäu- erlichen Körperschaft war, hatte „das Recht, gleich viel Vieh auf die Weide zu treiben“ (Weber, 1924, S. 21). Ein weiteres Beispiel für gemeinschaft- liche Landnutzung in der Geschichte ist die des Gartens. Zwei Formen der Gartennutzung stechen hierbei besonders hervor: der Schrebergarten und der Gemeindegarten. Der Gemeindegarten hält seit Mitte des 19. Jahrhun- derts Einzug in den urbanen Raum und kann auch als proletarische Form des Gartens bezeichnet werden, verbindet er doch ökonomische und soziale Funktionen miteinander (Rüstow, 1963). Zumeist als Verein organisiert, besteht der Schrebergarten hingegen aus einer Anlage von zusammenhän- genden Grundstücken, die an Vereinsmitglieder verpachtet werden. Machinery: Kleinere Geräte und große landwirtschaftliche Maschinen, die bereits mit der im frühen 19. Jahrhundert einsetzenden Industrialisierung für eine sukzessive Intensivierung der Ackerlandwirtschaft sorgten, wurden ebenso gemeinschaftlich genutzt, geteilt oder getauscht. Ein historisches Beispiel hierfür ist die Dreschgenossenschaft (Mahlerwein, 2016). Die i.d.R. lokalen Genossenschaften hatten für die Ernte verschiedener Getrei- dearten den Mitgliedern eine Dreschmaschine zur Verfügung gestellt, bzw. die Organisation der gegenseitigen Bereitstellung zwischen den Mitgliedern übernommen. Eine weitere und jüngere Form der gemeinschaftlichen Nutz- ung von Erntemaschinen, die bis heute fortbesteht, ist die eines Maschinen- rings2. Maschinenringe führen Angebot und Nachfrage landwirtschaftlicher Produkte und Erzeugnisse zusammen und schaffen so Distributionswege, Marktzugänge und Absatzmöglichkeiten. 2 Synonym wird oft auch der Begriff der Maschinenbank verwendet, der seinen Ursprung im bayeri- schen Raum findet. 1958 wurde der erste Maschinenring durch Erich Geisenberger gegründet (Braun & Binder, 2002). i-share Report I - 26
Manpower: Der Maschinenring beschränkt sich bei der Unterstützung der landwirtschaftlichen Betriebe jedoch nicht nur auf die Organisation und Be- reitstellung von Maschinen. Das Modell umfasst auch eine wirtschaftliche Betriebshilfe durch die Vermittlung zusätzlichen Personals für die Höfe. Die Maschinenringe bieten den Betrieben eine professionelle Beratungs- funktion an und organisieren bei Bedarf personelle Unterstützung und zu- sätzliche Arbeitskraft. Working Animals: Auch die Viehwirtschaft griff auf das Konzept gemein- schaftlicher Ressourcennutzung zurück, was in der arbeits- und kostenin- tensiven Anschaffung sowie Haltung von zum Beispiel Rindern, Schafen oder Schweinen begründet liegt. Die gemeinschaftliche Nutzung bezieht sich in diesem Beispiel auf das Teilen eines Nutztieres zur Belegung der Rinder, Schafe oder Schweine. Service: Eine weitere etablierte Säule des Wirtschaftens und Lebens im ländlichen Raum, die wichtige Dienstleistungen für die landwirtschaft- lichen Betriebe anbot, ist der Erzeugerring, der ähnlich zur Institution des Maschinenrings in der jungen Bundesrepublik Anfang der 1960er Jahre ge- gründet wurde. Der Erzeugerring, wie der Maschinenring genossenschaft- lich organisiert, ist als eine zentrale Anlaufstelle zu verstehen, die sich auf die Beratung und Fortbildung bezüglich der Schweinehaltung und der Schweinezucht spezialisiert hat. Neben dem zentralen Angebot der Bera- tung sowie diverser Beschaffungs- und Absatzmöglichkeiten, verstand sich der Erzeugerring als Bindeglied, um einen horizontalen Verbund der land- wirtschaftlichen Betriebe zu ermöglichen. Facilities: Ein weiteres Beispiel für die gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen sind Gemeinschaftseinrichtungen, die mit Beginn der 1950er Jahre im Rahmen des Grünen Plans gegründet wurden.3 Es handelt sich um Einrichtungen zur gemeinschaftlichen Nutzung von Ressourcen, die der Er- leichterung der Arbeit im hauswirtschaftlichen Bereich dienten und die ge- meinschaftlich organisiert und betrieben wurden. Mitglieder der Dorfge- meinschaft konnten solch eine Gemeinschaftsanlage mit anderen Mitglie- dern unter dem Primat des wirtschaftlichen Überlebens und der wirtschaft- lichen Effizienz nutzen. In Form von Bade- oder Schlachthäusern, erhielt 3 Die Zielgruppe bestand in diesem Strukturverbesserungsprogramm erstmals nicht aus Männern, die auf dem Feld die Arbeit verrichteten, sondern aus Frauen, die in Haus und Garten arbeiteten (Krieg, 1993). Die 1950er Jahre verändern den ländlichen Raum in der Bundesrepublik ungemein. Unter dem Begriff der Strukturverbesserung subsumiert sich all das, was den als rückständig verstandenen ländli- chen Raum an die moderne, urbanaffine Industriegesellschaft anpassen sollte. Die typischen Instru- mente wie Flurbereinigung, Aussiedlung und Mechanisierung hatten in der Vergangenheit oft nur eine Entlastung der männlichen Arbeitskraft für die Arbeit auf dem Feld zur Folge. Vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Geschlechterverständnisses treten nun Formen von Gemeinschaftsanlagen hinzu, deren Betrieb zum Ziel hat, garten- und hauswirtschaftliche Abläufe zu optimieren und insbesondere die Landfrau von ihrer Arbeit zu entlasten. i-share Report I - 27
die ländliche Bevölkerung Zugang zu Einrichtungen, die als gesellschaft- licher Treffpunkt oder zur Arbeitserleichterung dienten. Appliances: Gemeinschaftseinrichtungen boten der ländlichen Bevölke- rung die Möglichkeit, mittels moderner Infrastruktur ihre Erzeugnisse zu verarbeiten. Kühl- und Gefrierhäuser, ebenso wie Wasch- und Backhäuser (ungleich der Bade- oder Schlachthäuser), sind in Anbetracht der modernen Geräte, die in diesen Einrichtungen zur Verfügung gestellt wurden, eine weitere historische Form der gemeinschaftlichen Ressourcennutzung. Gab es bis dahin keinerlei Berührungspunkte mit Waschmaschinen oder elektri- schen Backöfen, war es eine der zentralen Herausforderungen, die Men- schen mit diesen Geräten vertraut zu machen, sie unterstützend in die kor- rekte Handhabung einzuführen und deren Integration in den Alltag zu be- gleiten. Darin verbirgt sich der Hauptunterschied zu den Facilities, in de- nen keine solche Einführung und Organisation der Nutzung erfolgte. Es können somit unterschiedliche historische Formen nachgezeichnet werden, die in verschiedenen Zeiträumen und Epochen eine wesentliche Rolle im Leben und Arbeiten spielten und sowohl die männliche als auch die weibli- che Bevölkerung angesprochen haben.4 Zur Renaissance gemeinschaftlicher Ressourcennutzung Bei der näheren Betrachtung der beiden Honeycombs wird deutlich, dass, auch wenn die beiden Modelle kontinuierlich weiterentwickelt und erwei- tert werden können, immer nur zeitlich begrenzte Momentaufnahmen der jeweiligen Organisationen widergespiegelt werden.5 Sowohl beim Collabo- rative Economy Honeycomb als auch beim Historical Honeycomb of the Sharing Economy handelt es sich um ein statisches Modell. Durch die Ver- knüpfung moderner und historischer Formen, die jeweils mithilfe der bei- den Honeycombs identifiziert wurden, gewinnt deren Betrachtung jedoch ein dynamisches Moment, aus dem die Sharing Economy in ihrer gegen- wärtigen Ausprägung historischen Formen gegenübergestellt werden kann. So lassen sich schließlich die Mechanismen der Transformation und der Imitation aufzeigen. Unter Transformation können all jene Organisationen zusammengefasst werden, die Praktiken und Modelle historischer Formen weiterentwickeln und in ihr Geschäftsmodell integrieren. Unter Imitation hingegen ist eine Nachahmung historischer Praktiken und Modelle ohne eine Anpassung oder Weiterentwicklung zu verstehen. 4 Die Reihenfolge der Aufzählung erfolgt nicht in zeitlicher Abfolge ihrer Entstehung. 5 Einzelne Organisationen, die bereits in der ersten Version des Honeycomb fester Bestandteil waren, sind im Fall von Reorganisierungen oder Auflösungen aus dem Modell wieder entnommen worden (Owyang, 2016). i-share Report I - 28
Transformation Bei einer Transformation handelt es sich grundsätzlich um einen Mechanis- mus,6 der eine Serie aufeinander abgestimmter Prozesse der Umgestaltung, bzw. des Wandels zusammenfasst, in denen etablierte Prozesse, Strukturen, Praktiken oder Formen verändert werden. Vor dem Hintergrund der Sha- ring Economy manifestiert sich dieser Mechanismus dahingehend, dass ein- zelne Charakteristika historischer Formen und Modelle gemeinschaftlicher Ressourcennutzung weiterentwickelt und an moderne Anforderungen und den jeweiligen Kontext angepasst werden. Parallel können aber in histori- schen Formen, die nach wie vor existieren, tradierte Praktiken und Struktu- ren fortbestehen, ohne sich gleichermaßen zu transformieren. Professionalisierung: Unter Professionalisierung ist die Ökonomisierung von Rollen und Funktionen durch die Entstehung neuer Berufsfelder, Tätig- keiten und Funktionen in Organisationen der Sharing Economy zu verste- hen. Es handelt sich um die Weiterentwicklung einzelner informeller Tätig- keiten, wie sie in historischen Formen wie Gemeinschaftsanlagen oder All- menden bestanden, hin zu einer bezahlten und strukturierten Arbeit. Funkti- onen, Rollen und standardisierte Abläufe, wie sie in historischen Formen vorherrschten, werden in der Sharing Economy systematisiert, adaptiert und bestechen durch alternative Ziele. Hierzu zählt u.a. die Qualitäts- sicherung von Transaktionen und Interaktionen sowie die Schaffung von Transparenz, die Akquise von Fördergeldern, die Fokussierung auf Nach- haltigkeit oder das Erreichen einer kritischen Masse. Historische Formen zeichnen sich im Vergleich zu einigen Sharing-Economy-Organisationen wie BlaBlaCar, Car2Go, Airbnb oder Kleiderkreisel primär durch distinkte Ziele aus, die weniger von Profitorientierung, Wachstum oder Gewinn- maximierung als vielmehr von Existenzsicherung im Sinne wirtschaftlichen Überlebens geprägt sind. Entsprechend sind einzelne Praktiken und Rollen in den Organisationen an jenen Zielen ausgerichtet, um deren Erreichen si- cherzustellen. Auch in Organisationen, die primär gemeinwohlorientiert sind, finden sich professionalisierte Praktiken und Rollen, die neben infor- mellen und unstrukturierteren Tätigkeiten fester Bestandteil des Geschäfts- modells sind. Hierzu zählen Gemeinschaftsgärten oder einzelne Repair Ca- fés, die sowohl feste, professionalisierte Strukturen und formale Funktionen als auch informelle und meist freiwillige Unterstützung aufweisen bzw. einbinden. 6 Eine Transformation muss aber nicht zwangsläufig mechanisch sein. Sie kann beispielsweise auch chemisch sein. i-share Report I - 29
Imitation Bei einer Imitation handelt es sich um den Mechanismus des Nachahmens, bzw. Kopierens von Prozessen, Praktiken oder Formen, was deren Konser- vierung zur Folge hat. Formalisierung: Unter Formalisierung ist die schriftliche Fixierung orga- nisatorischer Regelungen (Strukturformalisierung), des Informationsflusses (Aktenmäßigkeit) oder auch von einzelnen oder mehreren Organisations- einheiten zu unterscheiden. In einer Vielzahl historischer Formen finden sich Praktiken und Mechanismen der Steuerung und Koordination wieder, die schriftlich fixiert und deren Einhaltung streng kontrolliert wurde. Mo- derne Organisationen der Sharing Economy imitieren diese Mechanismen zur Lösung von Konflikten oder zur Überwachung der Mitglieder ohne um- fassende Adaptionen oder dergleichen vorzunehmen. So werden nach histo- rischem Vorbild der Allmende in Gemeinschaftsgärten zum Beispiel Ge- meinschaftsstunden eingeführt, die von den Mitgliedern zu leisten sind, wodurch das Engagement gefördert und die Aktivitäten und das Verhalten kontrolliert werden. Aber nicht nur Praktiken werden imitiert, sondern auch das Solidaritätsprinzip, das in historischen Formen wie Maschinenringen oder Genossenschaften als Fundament zu verstehen ist. Moderne Organisa- tionen der Sharing Economy wie Pumpipumpe oder Peerby imitieren nun dieses Prinzip durch die Etablierung von Nachbarschaftshilfe in lokal be- grenzten Gemeinschaften, indem Alltagsgegenstände offline oder online zum direkten Verleih zwischen Einzelpersonen ermöglicht werden. Diese modernen Geschäftsmodelle basieren ebenfalls stark auf der Gemeinschaft und dem eng-en Gefüge und etablieren diese im Kern einer jeden Inter- und Transaktion. PEERBY Peerby ist eine Online-Plattform, die ihren Mitgliedern in einem bestimmten Umkreis (Nachbarschaft) den Verleih ungenutzter oder unausgelasteter Gegenstände z.B. für den Haushalt oder das Hobby ermöglicht. Regionalisierung: Wie unter Formalisierung bereits angeklungen ist, er- möglicht zudem die Regionalisierung die Imitation der Bedeutung und Ein- bettung von Gemeinschaft. Die Bedeutung einer Gemeinschaft wie sie in historischen Formen bestand, beispielsweise um wirtschaftliches Überleben zu sichern oder sozialen Austausch zu ermöglichen, imitieren moderne Or- ganisationen. In jenen Organisationen stellt die Gemeinschaft vielfach die Ressourcen, die im Kern jeglicher Inter- und Transaktionen stehen, bereit. Dabei werden in vielen Organisationen der Sharing Economy die Größe des Einzugsgebiets und der Wirkungsraum einer Gemeinschaft regional oder gar lokal begrenzt, um eine möglichst homogene Gruppe an Indivi- duen zu adressieren. Organisationen wie Airbnb übertragen beispielsweise lokale Gemeinschaften auf eine globale Community, was die Bedeutung i-share Report I - 30
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