Ich will fahren, wann ich will - alle 5 Minuten durch die City - Kreuzer Leipzig
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Ich will fahren, alle 5 Minuten durch die City wann ich will © Person: shutterstock.com/De Repente, Hintergrund: istock.com/querbeet
EDITORIAL Es ist gar nicht so einfach, so eine Ge- derem einigen Zufällen, dem Wirken seiner schichte aufzuschreiben wie die in diesem Eltern, einer ebenso kampflustigen wie er- Heft über den Chef des Stasi-Museums folgreichen Verteidigung des Status quo – Tobias Hollitzer. Denn wenngleich der und einer zerknirscht-machtlosen Duldung Schaden groß ist, den eine machtvolle Per- durch Stadt, Ämter und Behörden, die sein son an der falschen Stelle anrichten kann, Museum mit immerhin knapp 500.000 so erschöpft sich vieles, was es dazu zu Euro im Jahr finanzieren. Doch 30 Jahre sagen gibt, in Singularitäten, mittelschwe- nach dieser Ausnahmesituation ist es Zeit, ren Vergehen, bizarren Episoden, kindi- die Erinnerungsarbeit zu Stasi und Dik- schen Unglaublichkeiten. Noch schwerer tatur in Leipzig auf zeitgemäße und soli- wird es, wenn solch eine Person sich je- de Füße zu stellen. Aber damit bedeuten- dem Dialog verschließt, keine Einblicke de Dinge besser gemacht werden können, gewährt, keine Stellung bezieht – und sich müssen Missstände erst mal angesprochen in einer nicht öffentlichen, wenngleich von werden – und das tun Britt Schlehahn und der Öffentlichkeit finanzierten, Struktur Tobias Prüwer in ihrem Dossier zum The- versteckt, für die es keine externe demo- ma ab Seite 14. kratische Kontrolle gibt. Dies alles ist bei Tobias Hollitzer und dem Trägerverein des Weiter geht es im Anschluss mit einem Stasi-Museums in der Runden Ecke, dem Interview des einzigen Transmanns im Bürgerkomitee Leipzig, der Fall. Und doch Deutschrap, des Leipziger Künstlers Sir ist die Bedeutung ebenjener Institution für Mantis. Im großen Interview von Juliane die Stadt Leipzig so groß, dass selbst ein- Streich und Kay Schier auf Seite 28 er- deutige Regelverstöße von der Verwaltung fährt man viel über Battlerap, Transgen- toleriert werden – und niemand öffentlich der, Bürgertum, Cis-Personen und wie das Kritik äußern möchte. alles zusammenhängt. Ja, und wer schon immer mal wissen wollte, wie das so ist Der Beginn solch einer Karriere wie die als Cannabis-Produzent, der sollte mal des Tobias Hollitzer lag in einer revolu- auf den Spielseiten vorbeischauen (S. 44). tionären Zeit, einer absoluten Ausnahme- Oder gleich zum Literaturressort blättern, situation, in der die alten Eliten komplett wo ein kleiner Verlag vorgestellt wird, der weggefegt wurden. Plötzlich war in einem jedem Manuskript eine Chance gibt und so ganzen Land sehr viel Platz, Raum für vielleicht dem ein oder anderen eine Alter- neue Karrieren. Der größte Teil wurde mit native bietet zur Karriere als Drogendealer Personal aus Westdeutschland aufgefüllt, (S. 66). Doch damit nicht genug, denn auf viele davon kamen leicht in Positionen, die den Seiten drum herum findet sich die sie unter normalen Umständen nur schwer ganze Bandbreite des kulturellen Lebens hätten erreichen können. Zu welchen Pro- in Leipzig und darüber hinaus – bis hin zu blemen das führte, zeigten beispielsweise einem Besuch in den Toten Tälern bei Frey- die Ausläufer des Sachsensumpf-Skandals burg, die alles andere als tot sind (S. 82). im sächsischen Justizsystem. Ein anderer, viel kleinerer Teil dieses Freiraums wurde Mit diesem Heft verlässt uns Politikre- mit Personen aus dem Osten besetzt. Auch dakteurin Jennifer Stange. Nach einem hier gab es steile Karrieren und ebenso stei- Jahr kreuzer zieht sie nun wieder ihrer le Abstürze aufgrund persönlicher Verfeh- Wege durch die spannende Welt des Jour- lungen. Ibrahim Böhme, Günther Krause nalismus. Wir danken Jennifer für eine oder Wolfgang Schnur – einer der 30 ersten ebenso spannende Zeit hier auf der alten Besetzer der Leipziger Stasi-Zentrale und Kogge und wünschen für die Zukunft nur der Mann, der Angela Merkel in die Politik das Allerbeste. holte – sind Beispiele dafür. Eine gute Lektüre wünscht Auch Tobias Hollitzer gehört zu diesen ANDREAS RAABE Emporgekommenen, das Museum in der chefredaktion@kreuzer-leipzig.de Runden Ecke ist ein Relikt aus dieser Zeit. ANZEIGE Seine Position verdankt Hollitzer unter an- KREUZER 0619 3
INHALTSVERZEICHNIS kreuzer FOTO: DAVID TRETBAR ILLUSTRATION: GERLINDE MEYER auf zwei Seiten 12 Produkt: Wahlprogramm Erstmals vertrauen sich die sächsischen Parteien flächendeckend Kommunikationsagenturen 66 Prinzip: Herzblut Der Independent- Verlag Liesmich entscheidet demokratisch über Manuskripte, arbeitet mit flachen Hie- TIPPS DES MONATS an und setzen im Wahlkampf auf Marke- tingstrategien. Dadurch ändert sich der rarchien und beantwortet jede Einsendung. Verlagschef Karsten Möckel über sechs Jah- 6 Zwölf für 30 Dialog zwischen Parteien und Wählern. re engagierter Arbeit. KREUZFAHRT FOTO: CHRISTIANE GUNDLACH FOTO:MARCUS KORZER 8 Pointen des Lebens: Schnorrstraße 34 9 Leserbriefe | Aus dem Maschinenraum 10 Demokratie da draußen: Warum Netzwerken gegen Rechts mehr als gut gemeint sein muss 11 Keine Schnellschüsse: Verkehr gestalten statt resignieren POLITIK 12 Darstellung ist alles: Politische Kommunikation im Wahlkampf TITEL 14 Der Revolutionswächter: Tobias Hollitzer ist Chef der Stasigedenkstätte Runde Ecke in Leipzig. Doch warum eigentlich? Schließlich wird ihm neben fachlicher Inkompetenz und fehlender professioneller Distanz zum Thema auch Kommunikations- und Konflikt- unfähigkeit vorgeworfen. Dem Museum 28 Hauptgegner: System Battlerapper Sir 78 Essen: Gut Im Mai gründete sich der schadet diese Personalie – was besonders Mantis spielte Hunderte Konzerte unter Leipziger Ernährungsrat. Sein Ziel: Land- im dreißigsten Jahr nach der Friedlichen dem Namen Jennifer Gegenläufer, bevor er wirtschaft und Ernährungspolitik in der Revolution augenfällig wird. sich als Transmann outete. In seinen Songs Stadt ökologisch, demokratisch und trans- setzt er sich mit sexistischen, homophoben parent zu machen. Ein Interview mit dem MAGAZIN und rassistischen Strukturen auseinander. Vereinsvorstand über die nächsten Projekte. 26 Aufbau Ost: Multifunktionsgebäude am Uni-Klinikum FOTO: SWEN REICHHOLD FOTO: TOBIAS PRÜWER 27 Kaufrausch: Handweberin und Goldschmiedin Robyn Chamberlain 28 Interview des Monats: Rapper Sir Mantis 31 Abocoupon 32 Wenig kreativ: Die Architektur des Leipzig-Booms 34 Frauenperspektiven: Die Feministische Sommeruni | Comic von Kerstin Rupp | Drei Meldungen | Fünf Gründe gegen Open Air 36 Westen werden – 1991: Comic-Serie 32 Trend: Traurig Leipzig ist ein Eldo- 82 Koniks: Was? Die Toten Täler bei Frey- von Marcel Raabe und Phillip Janta rado für Baustellenfetischisten. Doch die burg machen ihrem Namen keine Ehre, Architektur des Baubooms lässt Kreativität aber das ist auch ganz gut so für ein attrak- und Nachhaltigkeit vermissen. Der Bund tives Ausflugsziel. Ihr Trumpf mit dem Deutscher Architekten findet: Es ist Zeit für höchsten Oh-wie-niedlich-Faktor sind die Visionen, damit die Stadt lebendig bleibt. Koniks, robuste Wildpferdchen. 4 KREUZER 0619
INHALTSVERZEICHNIS FILM KUNST 38 Diffuses Unbehagen: Die Leipzigerin 70 Möglichkeitsraum: Die Halle 14 zeigt Susanne Heinrich über ihren Debütfilm den Islam in der zeitgenössischen Kunst 39 Robuste Technik: 20 Jahre Wander- 71 Fragwürdig: Die LIA stellt kino | Gemeinsame Wirklichkeit: Filme im Axel Krause aus | Künstliche Ruinen: ländlichen Raum fördern Das Werkleitz Festival 2019 40 Filmkritiken 72 Talenteshow: Ronny Szillo 42 Film A–Z 72 Kunst A–Z SPIEL STADTGESCHICHTEN 44 Unaufregend: »Weedcraft Inc.« hat 74 Eine andere Kunstgeschichte: Potenzial, löst es aber nicht ein | Periskop: Der Kopf – Folge 12 Analog ist besser 45 Rezensionen: »Days Gone«, »Ghost Giant« | Der Klassiker: »Flight KINDER UND FAMILIE Unlimited« (1995) 76 Basteln und spielen: Die Leipziger Firma Musekind entwirft Papp-Spielzeug MUSIK 77 Kinder A–Z 46 Pomp und Lametta: Das Bachfest 2019 47 Almost famous: Pipapo ESSEN UND TRINKEN 48 Klingende Verschmelzung: Magi 78 Gutes Essen für die Stadt: Interview Hikri und Shiran | Smells like Punk-Spirit: mit dem Leipziger Ernährungsrat 20 Jahre Major Label 79 Feine Speisen: Carls Laden bietet 49 Retro-Bombe: Bloc Party im Clara-Park Spezialitäten | Löffelprobe: »Leipziger 50 Freiheitlich Gedachtes: Interview mit Aufschnitt« von Brotzeit-Produkt Jazz-Sängerin Uschi Brüning 52 Konzerttipps im Juni | Weiblich 80 Kulinarische Traditionspflege: Das russische Restaurant Skaska | Vier Kurze PREMIEREN gestimmt: Die Reihe »Sommertöne« 81 Biergärten in Leipzig 53 Mit Knarzbrettchen: Share Leipzig OPER Trilogie zeigt Klang- und Bildexperimente 54 Plattenrezensionen AUSFLUG UND REISE DER LI EBES TRAN K 56 Musik A–Z 82 Belebt: Die Toten Täler bieten L’ E L I S I R D ’A M O R E Wildpferde und Mopsfledermäuse auf Gaetano Donizetti | 14. Sep. 2019, Opernhaus THEATER 83 Lohnendes Wanderziel: Viel Aussicht beim Besteigen des Kottmar TRI S TAN U ND I S OLDE 58 Mann der ersten Stunde: Kabarettist 84 Ein Tag in …: Perleberg Richard Wagner | 05. Okt. 2019, Opernhaus Burkhard Damrau im Porträt 85 Auf nach Gommern: Zu 59 Kopfkino: Bowies »Lazarus« im Kinderzehnkampf, Lügenbaron und DER S TU RZ DES A NTICHR IST Schauspielhaus | Im Wald: »Kukułka«, eine Wasserburg | Kreuzfeldein Viktor Ullmann | 21. Mär. 2020, Opernhaus theatrale Untersuchung 60 Drei Ankündigungen | Raucherpause: Unverfügbar | Street Credibility: »Mafia LETZTE SEITE DI E ZAU BERF LÖT E Wolfgang A. Mozart | 02. Mai 2020, Opernhaus Kids« im TdJW 114 Andreas Reimanns Augen – 61 Mit Bär und Bombast: Olena Tokar Periphere Szene singt »Die verkaufte Braut« C AP RI C C I O Richard Strauss | 28. Jun. 2020, Opernhaus 62 Illegaler Goldabbau: Gespräch mit Regisseur Frank Heuel | Lebendes Archiv: SERVICE Das Lofft-Festival »X Spindeln« 86 VERANSTALTUNGSKALENDER LEIPZIGER BALLETT 63 Premierenbesuch: »Prinz Friedrich von 108 VERANSTALTUNGSORTE | ADRESSEN Homburg« DO RNRÖ S C H EN 64 Theater A–Z 110 KLEINANZEIGEN ONCE UPON A DREAM 112 LESERSERVICE Jeroen Verbruggen | 29. Nov. 2019, Opernhaus LITERATUR 113 IMPRESSUM 66 Traum vom Buch: Karsten Möckel über L AMENTO Mario Schröder | 08. Feb. 2020, Opernhaus den Leipziger Liesmich-Verlag Das kreuzer-ePaper wird unterstützt 67 Für die Tasche: Die Punctum-Reihe | von 1000°. www.1000grad.de Bildungslücke: Folge 26 – Sarah und Rainer TRI P LE BI LL Kirsch: »Gespräch mit dem Saurier« (1965) Veldman / Pérez / Harriague | 68 Rezensionen zu Saša Stanišić, Olaf 08. Apr. 2020, Schauspiel Leipzig Schmidt, Lothar Quinkenstein 69 Rezension zum Jahrbuch der Leipziger S OTO /S C H O LZ/S CHR ÖDER Buchwissenschaft 3-teiliger Ballettabend | ANZEIGE 69 Literatur A–Z 06. Jun. 2020, Opernhaus KREUZER 0619 5 TICKETS +49 (0)341-12 61 261 | OPER-LEIPZIG.DE
TIPPS DES MONATS FILM »Meela – Erstes Afghanisches CLUBBING »Das Erotik Magazin Nr. 2« Kulturfestival Leipzig« Bei dieser speziellen Releaseparty steht Vom 19. bis 22. Juni wird das erste Afgha nicht zu befürchten, dass sich das Ganze nische Kulturfestival »Meela« gefeiert und als Rumsteherei samt kollektivem Schulter die Schaubühne Lindenfels eröffnet mit geklopfe zu seichter Hintergrundbeschal einem kleinen Filmfestival. Gezeigt w erden lung herausstellt: Das Mjut öffnet seine aktuelle Kurz- und Langspielfilme vom an- Kammern zu Ehren der zweiten Ausgabe haltenden Konflikt, von Flucht und Migra von Das Erotik Magazin und lädt nicht nur tion und Einblicke in das Alltagsleben in Lokalmatadoren aus dem Bereich von Beats Afghanistan. Im Anschluss gibt es Gelegen und Bass wie Rzr oder Dorothy Parker ein, heit zur Diskussion mit den Filmemachern. sondern auch die Rapperin Ebow (im Foto). Am 21. und 22. Juni folgen Workshops, Deren Abrissqualitäten im Bereich Rapmu Podiumsdiskussion, Lesungen und ein sik sind auch kein großes Geheimnis mehr, Konzert in der Arno-Nitzsche-Straße. darum: Hingehen und gratulieren. ■ 19.–22.6., Schaubühne Lindenfels u. a. Orte ■ 22.6., 22 Uhr, Mjut FILM: FACING THE DRAGON MUSIK White Wine Der, Zitat: »anxious american« Joe Haege hat mit Fritz Brückner und Christian Kuhr eine Band am Start, welche die ins Deutsche unübersetzbare Anxiousness musikalisch vermittelt. White Wine sind dabei aber auch noch unfassbar catchy, bringen Einflüsse von Jazz über Techno bis Pete Doherty zu sammen und machen daraus teils beklem mende, immer starke Popsongs. Zudem ist leider zu hören, dass der Gig in der Hei FILM 2cl Sommerkino CLUBBING Mjuzik [at] Eli landskirche in Plagwitz bis auf Weiteres der »What a feeling!« – Das Sommerkino der letzte sein wird, aber darauf kein Amen. Wer Abwechslung braucht vom gewohnten Cinémathèque legt los, und das wie immer ■ 22.6., 21 Uhr, Unterdeck in der Heilandskirche Plagwitz Ablauf einer Party beziehungsweise eines mit einem Auftakt nach Maß: Am 22.6. DJ-Sets, sollte zur Mjuzik im Elipamano gibt es »Flashdance« von Adrian Lyne zu ke vorbeischauen: Das Ensemble »Der sehen. Von der Popkultur der Achtziger Apparillo« hat eingespielt, was DJ Pavel, geht es hinein in die Neunziger mit Jonah gesampelt und bearbeitet, auflegt, wozu Hills wundervollem Regiedebüt »Mid90s«. Mitglieder des Apparillos wiederum live Es gibt Horror mit »Wir«, Musik mit »Gun spielen, und dann rappt einer noch dazu, dermann« und am 30.6. lädt das 2cl in den alles im Geiste von Hiphop und Beats. Das »Ramen Shop« – wie immer im Original mit klingt ebenso musikalisch spannend wie Untertiteln. Der Sommer kann kommen! partytauglich. Abgerundet wird das Ganze ■ ab 22.6., Freisitz Conne Island dann noch von einem Set der immer gern gehörten Leipziger Größe The Micronaut. FILM: FLASHDANCE ■ 21.6., 23 Uhr, Elipamanoke FOTO: MUSIK Aluminé Guerrero Man kommt nicht hinterher mit der Auf zählung der Genres, deren sich Aluminé Guerrero bedient: Indie, Psychedelic Rock, lateinamerikanischen Pop verbindet sie munter mit der Ästhetik von Trap und Bassmusik, und das eingebettet in Tango und Flamenco als Fundament. Das klingt ebenso selbstbewusst im Durchbrechen altbackener Motive und Strukturen, wie es gleichzeitig profunde Kenntnis der verwen deten Elemente beweist. Größer als seine einzelnen Teile, mutig, und dabei auch noch verdammt eingängig. ■ 13.6., 20 Uhr, Kaya 6 KREUZER 0619
TIPPS DES MONATS LITERATUR Thilo Krause FOTO: LABORA - MATTHIAS ZIELFELD FOTO: WOLFGANG G. SCHRÖTER und Patrizia Cavalli In der zweisprachigen Lesung sind Patrizia Cavalli, die bedeutende Dichterin aus Itali en, deren Lyrik Alltagserscheinungen ver handelt, und Lyriker Thilo Krause zu Gast, der sich ebenfalls an der Alltäglichkeit be dient. Die daraus entstehenden Gedichte sind dagegen ganz und gar ungewöhnlich. Oder wie es der Leipziger Autor Thomas Kunst formulierte: »Ein Gedicht ist erst dann ein Gedicht, wenn mich die gewöhn lichsten Dinge in ihm auf das Heftigste irri tieren.« Mit dabei sind auch die Übersetzer der Autoren Piero Salabé und Roberta Gado. ■ 13.6., 19.30 Uhr, Haus des Buches FOTO: PRIVAT KUNST »Untergegangene Arbeitswelten« THEATER »X-Spindeln« Ob VEB Druckhaus Einheit oder VEB Hier wird Industriekultur erfahrbar. Das Schwermaschinenbau S. M. Kirow – Wolf Lofft-Festival nimmt direkten Bezug zum gang C. Schröter (1928–2012) zeigte die neu bezogenen Gebäude auf der Baumwoll Arbeitswelten der fünfziger bis siebziger spinnerei. Drei Künstlerinnen haben Per Jahre in diesen Leipziger Kombinaten auf formances und Installationen gestaltet, die farbenfrohen Fotos. Schröter, der in Leip die Vergangenheit und Gegenwart in Bezie hung setzen. Wer hat hier gearbeitet? Wie waren und sind die physischen Herausfor Zwölf für 30 Die Veranstaltungstipps im Juni zig Farbfotografie studiert hatte und ab 1972 als Dozent für Farbfotografie an der HGB tätig war, hatte als Werkfotograf einen derungen? Welchen Rhythmen unterlagen besonderen Blick auf die arbeitende Klasse die Arbeitenden – welche herrschen heute? und die geschaffenen Produkte, die es heu LITERATUR »Just as I meant shimmer ■ 13.–15.6., Lofft te längst nicht mehr gibt. literally I mean grammar literally« ■ bis 4.8., Sächsisches Industriemuseum Chemnitz Bei der Reading-Performance von Autorin Tabea Nixdorff und Lektorin Monique PROBENFOTO: ROLF ARNOLD Ulrich anlässlich der Neuerscheinung »Fehler lesen. Korrektur als Textproduk tion« bei Spector Books geht es um die Feh ler in Texten und die Verletzlichkeit, die in diesen Fehlern zum Ausdruck kommt. Auch Spector-Books-Verleger Jan Wenzel ist dabei. Gemeinsam fragen sie, wer Feh ler korrigiert und welche Spuren das im Text hinterlässt. Neben der Lesung wer den Ulrich und Nixdorff Korrekturmaterial klanglich verdichten. ■ 11.6., 19 Uhr, Rotorbooks Leipzig FOTO: ANONYM KUNST » Otto Fischbeck« Einen bisher unbekannten Architekten THEATER » Lazarus« rücken die Stadtteilbibliotheken im Wes Hubert Wild ist zurück und inszeniert ein ten und im Süden in den Mittelpunkt: ih Rätsel von Einsamkeit. Dieses Mal führt ren Erbauer Otto Fischbeck. 1893 in Leip- der Musiker selbst Regie und gestaltet ein zig geboren, eröffnet er 1925 sein eigenes Musical von David Bowie und Enda Walsh. Büro und emigriert 1934 nach Südafrika. Inhaltlich dreht sich dieses um einen vom Die Bibliotheksgebäude gehören zu seinen Universum auf die Welt Gefallenen, der zu wichtigsten Leipziger Bauten. Obwohl sie rück auf seinen Heimatplaneten will. »E.T.« so populär sind, war bisher über Fischbe für Erwachsene gewissermaßen. Die Insze ck nicht sehr viel bekannt. Die Ausstellung nierung verspricht Kopfkino im Zickzack räumt mit dem Vergessen auf. mit Fragezeichen und Musik. ■ bis 17.7., Bibliothek Plagwitz ■ ab 22.7., Bibliothek Südvorstadt ■ 15.6. (Premiere), 21., 26.6., 19.30 Uhr, Schauspielhaus KREUZER 0619 7
TITEL Historikerin Ehl: »Aktualität sollte schon Anspruch einer Ausstellung sein« EIn Interview von TOBIAS PRÜWER »Es geht um Deutungsmacht« Geschichtsdidaktikerin Sylvia Ehl über Museumsarbeit und das Verhältnis zwischen Zeitzeugen und Experten A n der Berliner Humboldt-Universität lehrt die His- torikerin Sylvia Ehl das Vermitteln von Geschichte. Sie hat in Leipzig studiert, kennt die Runde Ecke aus Ich denke nicht, dass es in Leipzig unbedingt ein weiteres Museum geben müsste, das sich der Zeitge- schichte widmet. Andere Formate, Einbindung dieser Zeit. Mit dem kreuzer spricht sie über angemes- digitaler Medien, das Begreifen der ganzen Stadt als senes Gedenken und die Klippen der Zeitzeugenschaft. historischen Lernort: Damit ließen sich bestehende Angebote ergänzen, Geschichte neu erzählen, aber kreuzer: Was vermittelt eine über 30 Jahre unverän- auch neue Geschichten erzählen. Aber dafür wären derte Schau? natürlich finanzielle Mittel notwendig, damit das kein Sylvia Ehl: Aktualität sollte schon Anspruch einer Hobbyprojekt von Geschichtsenthusiasten wird. Ausstellung sein. Das heißt: Berücksichtigung jüngerer Und natürlich der Wille, sich der Zeitgeschichte noch Forschungen, Nutzung neuer Medien, Einschlagen mal neu zu stellen, die bekannten Blickwinkel zu neuer Vermittlungswege und Methoden. Das sind verlassen, Neubeurteilungen zu akzeptieren. Solange Voraussetzungen guter Geschichtsvermittlung. Hier wir es mit einer Zeit zu tun haben, die noch aktuell steht der Empfänger, also der Besucher, im Mittelpunkt, ist, die Mitmenschen erlebt haben, wird so etwas oft der sich der dargestellten Geschichte auf verschiede- als heikel empfunden. nen Wegen nähern soll. kreuzer: Der Zeitzeuge ist der natürliche Feind des kreuzer: Es ist die Ausstellung, mit der sich Leipzig Historikers, heißt es. Stimmt das? als Wendeort präsentiert, also als Aushängeschild – Ehl: Das Bonmot braucht Erklärung. Es ist ja nicht wie bewerten Sie das? so, dass Historiker Zeitzeugen aus ihrer Forschung Ehl: Es gibt ja noch das Zeitgeschichtliche Forum Leip- ausblenden. Aussagen von Zeitzeugen sind eine sehr zig. Aber ich finde es generell nicht begrüßenswert, relevante Quelle in der Geschichtsforschung seit wenn ein Geschichtsbild zum Aushängeschild gemacht 1945. Schwierig wird es erst dann, wenn Zeitzeugen wird. Sicherlich prägen bedeutsame Ereignisse die beanspruchen, die Richtigkeit oder Falschheit von Stadtgeschichte und sollten auch thematisiert werden. Forschung beurteilen zu können oder gar als Einzige Aber wenn das mit der Zielstellung geschieht, sich zu dürfen, da sie schließlich in der Geschichte dabei mit dieser eigenen Geschichte präsentieren zu wollen, gewesen sind. Hier werden dann andere Sichtweisen misslingt das eigentlich immer. Weil hier vieles aus- als die eigenen nicht akzeptiert, selbst wenn dies geblendet wird, keine Grauzonen auftauchen, Nichtre- zum Beispiel andere Zeitzeugenaussagen sind. Es geht präsentatives ausgelassen wird. also um Deutungsmacht und -anspruch. In den kreuzer: Braucht es ein neues Museum? meisten Fällen kommt das aber nicht vor. Wenn Schul- Ehl: Ich würde da verschiedene Träger befürworten, klassen Zeitzeugen einladen, dann ist im Vorfeld unterschiedliche Orte und Formate, die wiederum klar, dass sie eine einzelne, von subjektiver Erfahrung verschiedene Zugänge zur Vergangenheit liefern. geprägte und womöglich rückblickend veränderte 24 KREUZER 0619
MAGAZIN EIn Interview von NADJA NEQQACHE FOTO: CHRISTIANE GUNDLACH über den Körper fest, mit Paragraf 24 gab es ein verbrieftes Recht auf Arbeit. Für »Die Frage ostdeutsch sozialisierte Frauen fiel all das mit der Wiedervereinigung weg. kreuzer: War Emanzipation für Frauen ist, wer aus der DDR überhaupt Thema? Sie lebten ja bereits emanzipiert – hatten Berufe, verdienten eigenes Geld, ließen spricht« sich scheiden, wenn sie nicht mehr glücklich waren. Berndt: Was es im Osten nicht gab, war Sandra Berndt über Frauen in Ost und eine emanzipatorische Struktur, aus der West und die Feministische Sommeruni sich eine Frauenbewegung wie in West- E nde Juni veranstaltet die Louise-Otto- Peters-Gesellschaft eine Feministische Sommeruni, die in diesem Jahr im Zei- deutschland herausgebildet hat. Gruppen haben sich erst spät gegen Ende der acht- ziger Jahre gebildet, durch eine jüngere chen der Wende und neuer Perspektiven Generation, die sich vorrangig für das Klima aus Ostdeutschland steht. Der kreuzer hat und den Umweltschutz, für Abrüstung mit der Vereinsvorsitzenden Sandra Berndt und Frieden, aber auch für mehr Emanzi- über die Unterschiede zwischen ost- und pation zusammengeschlossen hatte. westdeutschem Feminismus gesprochen. Die Auseinandersetzung mit den Rechten von Frauen und emanzipatorischen Ge- kreuzer: In den Infos über die Feministi- danken fand in der DDR vor allem in Lite- sche Sommeruni heißt es, die Geschichte ratur und Kunst statt. Es gibt eine Reihe Feministin Berndt: »Für westdeutsche Frauen ein Fortschritt« des Feminismus sei eine westdeutsche bekannter Autorinnen, die sich dem Thema Erzählung. Inwiefern prallten bei der in ihren Werken gewidmet haben, wie Wiedervereinigung zwei feministische zum Beispiel Maxie Wander mit ihrer Pro- voneinander gelernt. Welten aufeinander? tokollliteratur. Darüber hinaus hat die kreuzer: Der Begriff der »Ostfrau« ist Sandra Berndt: Vor dreißig Jahren sind das Auseinandersetzung mit feministischen umstritten. Warum? Frauen gewesen, die mit grundsätzlich Themen auch in der Literatur von Brigitte Berndt: Diesen Begriff zu benutzen, ist unterschiedlichen Lebens- und Berufser- Reimann, Christa Wolf oder Irmtraud vor allem dann kritisch, wenn man diese fahrungen aufeinandergeprallt sind. Die Morgner stattgefunden. Sozialisation nicht erlebt hat, denke ich. Frauen aus dem Osten hatten vollkommen kreuzer: Wo hat Ihrer Meinung nach Besonders, weil das Bild der Ostfrau ein andere Forderungen als die aus dem die stärkste Annäherung zwischen bestimmtes Frauenbild transportiert – Westen. Zur Feministischen Sommeruni Frauen aus Ost- und Westdeutschland eine toughe Frau, die selbstbewusst Fami- werden viele Zeitzeuginnen von den stattgefunden? lie und Beruf unter einen Hut bekommt, damaligen Umbrüchen und feministischen Berndt: Ich denke, die stärkste Annähe- die sich selbstständig gemacht hat, ihre For- Auseinandersetzungen berichten. rung war direkt während der Umbruchs- derungen in politische Räume getragen kreuzer: Hatten Frauen in Ostdeutsch- zeit, als Paragraf 218 verhandelt wurde. hat. Ein positives Bild, mit dem sich aber land gegenüber westdeutschen Frauen Die sehr liberale Gesetzgebung der DDR auch nicht zwingend alle ostdeutschen einen emanzipatorischen Vorsprung? wurde zurückgenommen, der Paragraf Frauen identifizieren wollen. Berndt: Das kann man so pauschal nicht in die Form reformiert, die bis heute in kreuzer: Würden Sie sogar so weit sagen. Aber ostdeutsche Frauen hatten der Verfassung niedergeschrieben ist. gehen, zu sagen, das ist ein antifemi- beispielsweise einen Vorsprung, was Gleich- Für westdeutsche Frauen war das ein Fort- nistischer Begriff? stellung betrifft. Das war so in der DDR- schritt. In diesem Punkt sind Frauen Berndt: Wenn er diffamierend benutzt Verfassung festgeschrieben. Paragraf 218 aus unterschiedlichen Erfahrungsräumen wird, ja. Die Frage ist immer, wer spricht. beispielsweise legte die freie Bestimmtheit aufeinander zugegangen und haben ■ Feministische Sommeruni, 28.–29.6., versch. Orte 34 KREUZER 0619
MUSIK Bachfest-Intendant Michael Maul an der Pforte zum »Originalschauplatz« Thomaskirche Hof-Compositeur Beim Bachfest 2019 gibt es eine weniger bekannte Seite des Thomaskantors zu erleben sechs Jahre Kapellmeister am Köthener Hof war, bevor er Thomaskantor wurde«, sagt Michael Maul. Dass Bach eigene und Kollegen-Kompositionen im barocken Pa- rodieverfahren recycelt und bearbeitet D er Intendant des Bachfestes, Michael Maul, ist begeistert von der Aussicht auf das bevorstehende Ereignis. Mit der man mit dem kulturellen Hochglanzpro- dukt »Kantatenring« in einem dreitägigen Musik-Marathon die »besten 30 geistlichen hat, ist bekannt. Manchmal wurde auch nur der Text verändert. Ein solcher Fall ist auch das »Jauchzet, frohlocket« aus Planung ist er aber eigentlich schon weiter. Bach-Kantaten« dargeboten und von den der ersten Kantate des Weihnachtsorato- »Die Champions League der Bachinterpre- weltbesten Ensembles an Bachs Original- riums. Der berühmte Eingangschor wurde ten ist eben schon drei, vier Jahre im Vor- schauplätzen gespielt hören können. 1733 ursprünglich als Huldigungsmusik aus ausgebucht.« Somit war auch schon im Stürzt das Bachfest 2019 unter dem für die Kurfürstin komponiert und hatte letzten Jahr klar, dass die umstritten-ver- Titel »Hof-Compositeur« Bach nach dem mit Weihnachten nichts zu tun. Unter dem ehrte Galionsfigur des Bachfestes, Sir John glamourös-konzentrierten »Kantatenring« Motto »Musik an Originalschauplätzen« ist Eliot Gardiner, mit seinen Ensembles in nun in profane Niederungen ab? Der Bach- zum Bachfest ein Aufmarsch der Musiker diesem und wohl auch im kommenden Jahr fest-Besucher muss mit seiner Gewohnheit vor dem Königshaus am Markt geplant, wo nicht vertreten sein würde. Vielleicht hat brechen, Bach ausschließlich als getreuen einstmals auch Kurfürst August mit seiner der 76-jährige Meister seine barocke Mis- Lutheraner, als vom Glauben durchdrun- Frau logierte und Bach mit dem Collegium sion erfüllt, denn gerade ist er beschäftigt genen Kirchendiener und Kantor der Tho- musicum unterm Fenster aufspielte. mit einer Berlioz-Oper, nächstes Jahr stürzt mas- und Nikolaikirche zu sehen. Eher un- »Natürlich waren Ehrentitel erst er sich ins Beethovenjahr. Auch Gardiners gewohnt ist ihm die Vorstellung von einem mal Lametta, aber ›kurfürstlich sächsischer Posten als Präsident des Bach-Archivs ist Bach als Diener an barocken Höfen, der Hof-Compositeur‹ zu sein, hieß, dass Bach abgelaufen, neuer Inhaber ist seit Mitte durchaus auch Energie in den Erwerb von nominell ein Mitglied der Hofkapelle war Mai Ton Koopman, Cembalist, Dirigent Ehrentiteln investierte. und dadurch unter besonderer Protektion und Organist gleicher Generation. Aber es »Geistliche Arbeit ist natürlich ma- des Kurfürsten stand. Das bedeutete, in gibt Vorabsprachen für 2022, sagt Maul. ximal weit entfernt vom barocken Hofleben den nicht wenigen Auseinandersetzungen »Es ist toll, wenn wir ihn dabei haben, aber mit Pomp und Verschwendung. Aber man mit der Leipziger Obrigkeit direkt den Kur- die Bachwelt dreht sich auch ohne Gar- sollte nicht vergessen, dass Bach bereits fürsten ›anrufen‹ zu können und von ihm diner weiter.« Im vergangenen Jahr hatte neun Jahre Hoforganist in Weimar und gehört zu werden.« 46 KREUZER 0619
THEATER Geist vermitteln. Da kann das Cineplex Oper im Kino zeigen, das reicht nicht ans echte »Erscheinungen«: Diederik Peeters (Brüs- Ereignis in London heran. sel) schaut in Leipzigs Vergangenheit als Die angebliche Verfügbarkeit von Spiritismuszentrum. Die Performance allem ist eine Pest. Im Berufsalltag soll man lässt Körper ohne Stimmen (auf )erstehen stets und ständig erreichbar, also verfügbar und ruft die Gespenster aus dem Äther an. sein. Das setzt sich als sozialer Druck auf »Hunde, wollt ihr ewig leben?« Die Antwort Kanälen wie Facebook, Whatsapp und Ins- lässt das Publikum von allen guten Geis- tern verlassen zurück. TPR ■ 14./15., 20.–22.6., 20 Uhr, Residenz/Spinnerei Unverfügbar tagram fort: »Warum antwortest du nicht?« Wir leben in einer Zeit, in der Verfügbar- keit das heilige Ideal ist. Der Glaube an die Macht N eulich berichten mir Freunde von ei- nem Maisprung-Ritual im Harz. Dort seien Menschen um und durch ein Feuer ge- Überlegenheit des binären Computercodes, den Deus ex machina, bestimmt das Zeital- ter. Gott als Leerstelle ist durch das ebenso Die Apokalypse ist da: Das Jugendthea- hüpft. Sie haben das gemacht, was man sich leere Wort Information ersetzt worden. terprojekt »Dunkles Land« lotet die finale in der Spätmoderne so unter heidnischer Diese angebliche Verfügbarkeit gau- Konsequenz technischer Machbarkeitsfan- Tradition vorstellt. Kurzum: Sie spielten kelt uns vor, dass alle Probleme schnell zu tasien aus. Was, wenn alle Macht implo- Theater, hielten ein Fest ab, wie man es als lösen sind. Das verführt zu einer Kurzfris- diert? Was macht man nach dem Weltun- Ursprung des Theaters vermuten mag. Das tigkeit im Denken. Langfristige Pläne gibt tergang? In einer Welt ohne Strom? Wenn Merkwürdige dabei: Zig Leute sollen das es in der Politik auch darum nicht mehr. es nur noch ums nackte Überleben geht? Geschehen mit ihren Telefonen mitgefilmt Aus diesem Grund können sich viele Men- TPR haben, wurden also halb vom Ritual mit- schen Weltlagen wie den Klimawandel ■ 13./14.6., 19 Uhr, Halle D/Werk 2 gerissen und hielten es zur anderen Hälfte nicht vorstellen. auf Dauer fest. Sie haben da etwas gewal- Auf individueller Ebene immerhin kann Abhilfe darin bestehen, sich des Wahn tig missverstanden, aber sie sind nicht allein damit. Unverfügbaren bewusst zu werden. Wenn »EskalationWeekender – Escape!«: Raus in Seit sie es können – also mit ihren es regnet, ist es nicht zu ändern – seien wir die Freiheit, den Käfig der Vernunft verlas- Mobilfonen –, versuchen die Menschen, froh für die unter Dürre darbende Natur. sen. Das Jugendtheater fährt allerhand auf, auch so flüchtige, unverfügbare Erlebnisse Genießen wir im Theater jeden Moment, um den Eskapismus hübsch gemütlich aus- wie Theater und Konzerte für die Ewigkeit denn wir werden ihn nie wieder so erle- zukleiden. Fette Bässe, satte Beats. Hallo, einzufangen. Sie sollen verfügbar gemacht ben können. Aber hoffentlich noch andere Endorphin! Es geht um den Einzelnen und werden. Natürlich funktioniert das nicht, Momente. Und wenn Leute im Harz oder die Gruppe, Mensch und Masse und das wie man aus dem Theaterkontext weiß. anderswo um und durch ein Feuer hüpfen, Verschmelzen in Trance. TPR Eine filmisch dokumentierte Performance seis drum. Dann freu ich mich mit ihnen. ■ 27.–29.6., 20 Uhr, Kulturwerkstatt Kaos ist eben der Film einer Performance, aber Ich lasse die Kamera aus, steck mir eine nicht sie selbst. Und er kann das Erlebnis, an und bin froh, Tabak stets verfügbar zu einer solchen beizuwohnen, auch nicht haben. TOBIAS PRÜWER FOTO: TOM SCHULZE REzENSION Dann werden die dicken Stifte zu Spielfi- guren für einen Prolog. Fotos von Platten- Mein Block bauten werden an die hintere Wand proji- ziert: mein Block. Als schließlich die ganze Gang auftritt, kommen Masken ins Spiel. Die »Mafia Kids«: Figurentheater à la Film noir zwei Darstellenden (Nora-Lee Sanwald und H auptsache ballern! Auf Drogen und Knarren fahren diese Kids ab. Die Jungs um Niko machen auf dicke Hose und Moritz Ceste) setzen sich wechselnd Mas- ken auf, ziehen Kapuzen über die Köpfe und schaffen mit jeweils anderem Habitus kesse Lippe, dabei sind sie noch Backfische. und Sprechweise verschiedene Typen. Wer- Das macht die Clique aber nicht harmlos, den sie nicht benötigt, ruhen die Masken wie in 70 treibenden Minuten zu erleben auf in den Boden gesteckten Stäben. Sie ist. Im Gegenteil: »Mafia Kids« kommt können weggedreht oder sichtbar gemacht ohne Happy End daher. werden. Immer wieder neu lassen sich die Der in Leipzig wohlbekannte Figu- Stäbe platzieren. Das flexible Bühnenbild renspieler Dirk Baum hat den Thriller für ermöglicht so ein abwechslungsreiches Jugendliche am Theater der Jungen Welt Spiel, das das Duo ausgiebig auskostet. inszeniert. Entstanden ist ein vom Film noir Beatlastige Musik besorgt ansehnliche Tanz- inspiriertes Maskentheater. Kontrastreich einlagen, in denen besonders Nora-Lee und wie in Filmschnitten wechseln die Sanwald zu Höchstform inklusive Break- Szenen ineinander über. Der ästhetische dance-Einlagen aufläuft. Das hat Drive, und Zugriff ist um Street Credibility bemüht. wenn Sanwald am verstörenden Ende plötz- Zum Glück kommt die »Straßenglaubwür- lich im roten Kleid erscheint, macht sie im digkeit« mit typischem Rapperslang und Kontrast zur Jogginghosenwelt eine beson- -geste nicht zu gewollt rüber, wirkt oft wie ders gute Figur. Als Cliffhanger steht sie am ein leicht ironisches Zitat. Bühnenrand, den Blick fest entschlossen. Zum Start krakelt ein Spieler mit Fortsetzung folgt. TOBIAS PRÜWER Lässig bis tödlich: Es fallen nicht nur die Masken einem Marker Graffiti auf die Spielfläche. ■ »Mafia Kids«: 6.6., 19.30 Uhr, 7.6., 11 Uhr, TdJW 60 KREUZER 0619
KUNST »!«? Vergleichen mit Gesinnungsdiktatur von Pegida-NRW. In diese Kerbe schlägt auch der Potsdamer Autor Steffen Meltzer doch nur eine sehr einfache Haltung dar, um Geld mit Kunst zu verdienen. Spä- testens wenn Leute wie Erika Steinbach Die Leipziger Jahresausstellung gibt mit (Gastautor bei »Die Achse des Guten«), die Ausstellung besuchen – wie bei Axel Axel Krause ein falsches Signal der auf seiner Homepage über die derzei- Krauses erster Soloschau in seiner neuen I m Juni präsentiert die Leipziger Jahres- ausstellung (LIA) ihre 26. Schau und wählte dafür den Titel »!«. Sie steht unter tige Ausstellung von Krause in Potsdam bei der »liberalen Galeristin« Friederike Sehmsdorf schreibt. Dazu gehört offen- Galerie in Frankfurt am Main – und darü- ber twittern, ist klar, dass es kein unpoli- tisches Ausstellen gibt. Der LIA hätte das der Schirmherrschaft von Burkhard Jung. sichtlich, dass sie »gute Kunst ausstelle bewusst sein müssen. BRITT SCHLEHAHN Zur Eröffnung wird der Preis für die he- und keine politischen Haltungen«. Das ■ 26. Leipziger Jahresausstellung »!«: 6.–30.6., Werkschauhalle rausragende künstlerische Produktion – soll wohl Neutralität suggerieren und stellt auf der Spinnerei gestiftet unter anderem von der Sparkasse 2018 in der Werkschauhalle: Die 25. Ausgabe der LIA – vergeben. 2019 ist er Louise Otto-Peters FOTO: SYLVIA SCHADE (1819–1895) gewidmet. Sie begründete die bürgerliche Frauenbewegung in Deutsch- land, forderte das Recht der Frauen auf Erwerb, kämpfte gegen Männer, die dach- ten, dass sie per se ein Recht auf alles ha- ben, was sie umgibt, einfach weil sie als Junge auf die Welt kamen. Kurz: Sie stritt für ein demokratisches Miteinander. Ein Blick auf die Liste der Aus- stellenden verwundert daher: die Wahl von Axel Krause. Bis August 2018 vertrat ihn die Galerie Kleindienst. Seine öffent- lich vorgetragene politische Meinung, die eine Haltung gegen dieses demokratische Miteinander erkennen ließ, führte zum Bruch. Wer heute auf die Facebook-Seite der Galerie geht, liest anerkennende Worte über den konsequenten Schritt bis zu ANZEIGE Modell Ruine GEFÄSS Das Werkleitz Festival 2019 lädt nach Dessau ein SKULPTUR 3 A m Bauhaus-Jubiläum kommt das Werkleitz-Festival nicht vorbei und siedelt für seine diesjährige Aus- gabe zum Thema »Modell und Ruine« von Halle nach DEUTSCHE UND Dessau über. Hier findet sich mit dem Bauhaus nicht nur ein Modell für eine erweiterte Kunstausbildung der INTERNATIONALE Moderne, sondern jede Menge künstliche Ruinen. So bietet der Georgengarten antike Torbögen, eine römi- KERAMIK SEIT 1946 sche Ruine oder das Denkmal von Fürst Franz im anti- ken Gewand. Im ab 1780 entstandenen Landschafts- garten nach englischem Vorbild wie im nahe gelegenen bis 13. 10. 2019 Mausoleum bis zu den Meisterhäusern finden sich bis zum 10. Juni Arbeiten von 13 Kunstschaffenden. Aus Leipzig stammt der Beitrag Holmer Feldmann feat. Piotr Baran, den das Kuratorenteam Daniel Hermann und Alexander Klose auswählte, um das Verhältnis von Klassik und Moderne zu diskutieren. Traditionel- lerweise kuratiert Florian Wüst das Filmprogramm. Dort dreht sich alles um Stadt als Schauplatz gesell- schaftlicher Umbrüche und wird im Kiez Kino gezeigt. Geführte Rundgänge sowie Exkursionen in den Wörlit- zer Park oder in das Stadtarchiv Dessau-Rosslau ergän- zen das Programm. grassi grassi Wer bis zum 2. Juni den Weg nach Dessau fin- det, der kann sich auch gleich noch das Festival Archi- tektur Radikal anschauen. Dabei geht es um zeitgemäße www.grassimuseum.de radikale Bauten. BRITT SCHLEHAHN ■ Werkleitz Festival 2019 »Modell und Ruine«: bis 10.6., Dessau /grassimak ■ Festival Architektur Radikal: bis 2.6., Bauhaus Museum Dessau KREUZER 0619 71
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