In Krisen - VKZ 21196 Juli/August/September 2020 - Caritasverband für die Diözese ...
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Nr. 3/2020 Juli/August/September 2020 ISSN 1611-7565 VKZ 21196 sk ra ft rsta nd Wide is en in Kr KREUZBUND Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige
IMPULS Liebe Weggefährtinnen und Weggefährten! Um der Bitte unserer Öffentlichkeitsre- baren, aber übermächtigen Gegners, eng ferentin nach einem Geistlichen Impuls zusammendrängt und sich gegenseitig zur Corona-Pandemie nachzukom- Trost und Wärme zu spenden bemüht. men, setze ich mich am Sonntag vor Pfingsten hin, um diese Zeilen zu In meinen 57 Lebensjahren habe ich schreiben. Also gegen Ende der Oster- diesen biblischen Bericht, der so eng mit zeit, das wir mit der Erinnerung an dem dritten großen Fest in unseren die Sendung des Heiligen Geistes und christlichen Kirchen verbunden ist, noch quasi als Geburtsstunde der Kirche be- nie so intensiv und geradezu sinnenhaft gehen. In der Eucharistiefeier wurde spürbar nachvollziehen können wie in heute eine Lesung aus der Apostel diesem Jahr. Angesichts der Lebensum- geschichte vorgetragen, die die Situa- stände, die uns seit jetzt schon elf Wo- tion der Jüngerinnen und Jünger Jesu chen in eine weitgehende Isolation ge- gewissermaßen am „Vorabend des führt haben, die uns – allenfalls noch mit Thorsten Weßling Pfingstfestes“ widergibt: Mitgliedern unserer Hausgemeinschaft – hinter verschlossenen Türen ausharren „Als Jesus in den Himmel aufgenom- lassen. Und gerade die haben viele der alles aus ist. Dass aus dem leidvollen Erle- men worden war, kehrten die Apostel alleinlebenden Suchtkranken noch nicht ben um die Passion und Kreuzigung, von dem Berg, der Ölberg genannt wird einmal. Eine Situation, die manchen von quasi aus der Krise heraus, auch ein Neu- und nur einen Sabbatweg von Jerusalem uns mit Furcht erfüllt, die Traurigkeit und beginn, ein Aufbruch, eine Auferstehung entfernt ist, nach Jerusalem zurück. Als sie Depressionen auslösen kann. Das gilt für im wahrsten Sinn des Wortes möglich ist, in die Stadt kamen, gingen sie in das die persönlichen, von vielen Einschrän- der man sich im einmütigen Gebet ent- Obergemach hinauf, wo sie nun ständig kungen geprägten Lebensbedingungen. gegenzustrecken vermag. blieben: Petrus und Johannes, Jakobus und Andreas, Philíppus und Thomas, Bar- Spätestens mit der Verordnung des in Wenn wir an Pfingsten von der Sen- tholomäus und Matthäus, Jakobus, der dieser Situation sicherlich sinnvollen dung des Geistes hören, der wie Feuer- Sohn des Alphäus, und Simon, der Zelót, Mund-Nasen-Schutzes in der Öffentlich- zungen auf die aus ihrer Lethargie geris- sowie Judas, der Sohn des Jakobus. Sie keit hat sich auch bei mir persönlich ein senen und völlig verwandelten Jünger alle verharrten dort einmütig im Gebet, beklommenes Gefühl eingestellt. Das gilt herabkommt, dann hört sich das in mei- zusammen mit den Frauen und Maria, aber auch mit Blick auf die katastrophalen nen Ohren immer so an, als wenn da von der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.“ Auswirkungen der Pandemie auf die wirt- jetzt auf gleich etwas Ungeheuerliches (Apg 1,12-14) schaftliche Situation, die für viele Men- geschieht; ohne jede Vorbereitung, wie schen mit Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit aus dem Nichts heraus. Ich glaube aber, Das Johannesevangelium ergänzt die- und für manchen Unternehmer mit dem dass die Situation der „in ihrer Selbstisola- se Situation in seinem Pfingstbericht drohenden Konkurs verbunden ist. Und tion gefangenen“ Jünger, von denen uns noch um den Hinweis, dass „die Jünger mit Blick auf die vielen Kranken und mitt- die Apostelgeschichte berichtet, unver- aus Furcht die Türen verschlossen hat- lerweile an den Folgen des Corona-Virus zichtbar zum Pfingstereignis dazu gehört. ten.“ (Joh 20,19B) verstorbenen Menschen. Und nicht zu- Gewissermaßen als der Raum, in dem die letzt gilt das natürlich auch für viele Vertrauten Jesu sich für das Geschenk des Mit wenigen Zeilen wird hier eine – suchtkranke Menschen, die für einen Gottesgeistes öffnen konnten. Und ich auf den ersten Blick – widersprüchliche schon so langen Zeitraum auf ihre Selbst- glaube, dass die Krise, die wir seit einigen Situation eingefangen. Auf der einen Sei- hilfegruppe verzichten mussten und die Wochen erleben und zu durchstehen ha- te die Angst vor Verfolgung und einem sich erst jetzt unter verstärkten Sicher- ben, auch diese durchaus positiven Facet- ähnlich grausamen Ende, wie Jesus es er- heitsbedingungen wieder treffen dürfen. ten in sich trägt: Die Entschleunigung, fahren musste. Die Resignation, die aus die wir durch die massiven Einschränkun- dem Erleben um den Leidensweg und Auf der anderen Seite können wir in gen des öffentlichen Lebens, die Absage Tod Jesu entstanden war – trotz der Auf- der Situation dieser kleinen verängstigten vieler Veranstaltungen und das Versamm- findung des leeren Grabes und der öster- Herde, von der uns die Apostelgeschichte lungsverbot erdulden müssen; die Zeit lichen Begegnungen mit dem Auferstan- und das Johannesevangelium am „Vor- zum Nachdenken, vielleicht auch zum denen. Das Gefühl, allein gelassen zu abend des Pfingstfestes“ berichten, noch Beten – trotz des langen Zeitraums ohne sein, nicht weiter zu wissen. Dieser kleine etwas anderes erkennen. Da ist die zag- gemeinsame Gottesdienste; die Wert- Kreis wirkt wie eine verängstigte Schaf- hafte Ahnung zu spüren, dass mit dem herde, die sich zur Abwehr eines unsicht- Tod und der Entrückung Jesu eben nicht Fortsetzung auf Seite 2
Zu dieser Z U D I E S E R A U S G A B E / I N H A LT Ausgabe Liebe Leserin, lieber Leser, da hat uns das Corona-Virus einen Aus dem Inhalt Seite ordentlichen Strich durch die Rech- nung gemacht und viele Pläne über den Haufen geworfen! Die Pande- mie stellt auch die Sucht(Selbst)hilfe IMPULS U2 vor neue Herausforderungen: Selbst- hilfegruppen konnten sich nicht mehr wöchentlich treffen; Suchtbe- ZU DIESER AUSGABE 1 ratungsstellen mussten persönliche Beratungsangebote zugunsten von Telefon- und Onlinebe- ratung einschränken; Fachkliniken mussten Maßnahmen ergreifen, um ihre Patientinnen und Patienten sowie Mitar- LESERFORUM 2 beitende zu schützen. Teilweise wurden Therapien ver- schoben oder ausgesetzt. Was bedeutet es, wenn die Kreuzbund-Gruppen und Semi- AUS DEM BUNDESVERBAND 3-6 nare nicht mehr so stattfinden können, wie es heilsam ist? Das Kontaktverbot hat uns alle dazu gezwungen, mehr als „Achtsam leben – mithilfe der Stille“ sonst zu Hause zu bleiben. Viele Freizeitaktivitäten, die wir als Ausgleich zum Beruf und für unser persönliches Wohl- Bestätigung für die gute Gruppenarbeit befinden brauchen, waren nicht mehr möglich. Ungewiss- heit, fehlende Unterstützung, Isolation, finanzielle Unsi- Kreuzbund-Chat in Corona-Zeiten cherheit und Langeweile können Suchtmittelmissbrauch begünstigen. Die Gefahr für Suchtkranke, in alte Muster zu verfallen, ist groß – auch für langjährig abstinente Grup- penmitglieder. IM BLICKPUNKT: Krisen, Belastungen und Schicksalsschläge zu meistern und „WIDERSTANDSKRAFT IN KRISEN“ 7-21 als Herausforderung für die persönliche Entwicklung zu nutzen, wird mit dem Begriff der „Resilienz“ zusammenge- Resilienz – Widerstandskraft in stürmischen fasst. Resilienz ist kein angeborenes Persönlichkeitsmerk- mal, sondern ein dynamischer Prozess, der über Zeit und Zeiten Situationen hinweg variieren kann, erklärt Marianne Holt- haus, Suchtreferentin des Kreuzbund-Bundesverbandes, in Selbsthilfe lebt von der Begegnung ihrem Beitrag zum Schwerpunktthema dieser Ausgabe „Widerstandskraft in Krisen“ (S. 7-8). Sucht(Selbst)hilfe ist unverzichtbar – vor allem in der Krise Das Redaktionsteam hatte Anfang April alle Gruppen und Mitglieder dazu aufgerufen, uns von ihren Erfahrungen mit Gruppenarbeit in Corona-Zeiten der Corona-Krise und ihren Bewältigungsstrategien zu be- richten. (S. 12-21) Wir sind beeindruckt, wie ideenreich Persönliche Blicke auf die Krise und kreativ es viele Gruppen geschafft haben, den Kontakt und die verbindende Nähe zwischen den Gruppenmitglie- dern auch bei räumlichem Abstand aufrechtzuerhalten. Dafür herzlichen Dank an dieser Stelle! HOBBY + FREIZEIT 22-23 Außerdem haben wir uns gefragt, welche Konsequenzen wir aus der Krise ziehen können. Die Bundesvorsitzende Andrea Stollfuß und Bundesgeschäftsführer Heinz-Josef ZUR LETZTEN AUSGABE: Janßen freuen sich besonders darüber, dass die Sucht- „SEI GUT, MENSCH!” 24-25 Selbsthilfe als systemrelevant anerkannt worden ist. Was das konkret bedeutet, erläutern Sie auf den Seiten 9-10. Dr. Peter Raiser, stellvertretender Geschäftsführer der Deut- AUS DEN DIÖZESANVERBÄNDEN 26-27 schen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS), befürchtet, dass in Folge der Corona-Krise viele Kommunen ihre finan- zielle Unterstützung für die Suchthilfe reduzieren. Um das zu verhindern, sind wir alle gefragt, die Bedeutung der PASSIERT – NOTIERT 28-32 Suchthilfe auch auf der politischen Ebene immer wieder zu unterstreichen (S. 10-11). Viele Anregungen, trotz allem einen schönen Sommer – TERMINVORSCHAU / IMPRESSUM U3 und vor allem bleiben Sie gesund wünscht Ihnen Ihre Gunhild Ahmann
LESERFORUM Fortsetzung des Impulses gilt auch für viele Akteure in der Sucht- Wie sehr ähnelt das doch der eingangs Selbsthilfe, von denen ich in den vergan- geschilderten pfingstlichen Erwartungs- schätzung vieler Beziehungen und Le- genen Wochen gehört habe, wie z. B. haltung der Jüngerinnen und Jünger Jesu. bensinhalte, deren Bedeutung uns erst Gruppenleitungen unter Einhaltung aller Dem einmütigen Wunsch, von den Ga- im erzwungenen Verzicht bewusst wer- gebotenen Sicherheitsmaßnahmen die ben des Geistes erfüllt zu werden, mit der den. sozialen Kontakte und gegenseitige Un- Gott seine Schöpfung zum Guten verän- terstützung der Gruppe weiterhin ermög- dern möchte. Den Gaben des Geistes, die Unser Bundespräsident Frank-Walter lichen und damit vermutlich manchen ich uns allen im Kreuzbund und darüber Steinmeier hat das in seiner Fernsehan- Rückfall verhindert haben. hinaus wünsche, um die derzeitige Krise sprache zum Osterfest sehr treffend zum zu überwinden und – vielleicht sogar Ausdruck gebracht. Er stellte darin bereits Am Schluss seiner eindrucksvollen An- noch gestärkt – einen Neuaufbruch mit- zum Beginn der Pandemie fest, dass viele sprache stand die Einladung unseres Bun- einander zu gestalten. Und in der Hoff- Menschen in dieser Krise über sich selbst despräsidenten: „Bitte bewahren wir uns nung, dass wir uns bald nicht nur einan- hinauswachsen durch Empathie und Hilfs- diese kostbare Erfahrung. Die Solidarität, der die Hand wieder reichen, sondern bereitschaft, durch solidarisches Handeln, die Sie jetzt jeden Tag beweisen, brau- uns - wie es im Kreuzbund weit verbreitet durch Wertschätzung dessen, was die An- chen wir in Zukunft umso mehr! Wir wer- ist – zur Begrüßung auch wieder umar- gehörigen vieler Berufsgruppen zur Auf- den nach dieser Krise eine andere Gesell- men dürfen! rechterhaltung der medizinischen Versor- schaft sein. Wir wollen keine ängstliche, gung und des Lebensunterhaltes leisten, keine misstrauische Gesellschaft werden. Thorsten Weßling, Geistlicher Beirat des durch ein hohes Maß an Kreativität, mit Aber wir können eine Gesellschaft sein Kreuzbund-Bundesverbandes der viele Menschen die leidvollen Spitzen mit mehr Vertrauen, mit mehr Rücksicht der Pandemie zu brechen versuchen. Das und mit mehr Zuversicht.“ sem Grund ist es wichtig, den Begriff Kirche leben und praktizieren wir. Der Thema: „Gutmensch“ neu zu definieren. Das ist Kreuzbund hat uns zu starken Menschen Schwerpunkt „Sei gut, mit der bundesweiten Caritas-Kampagne gemacht, die die Interessen sozial be- Mensch!“ gelungen. nachteiligter und suchtbelasteter Men- schen vertreten. Die Aktion des Deut- Ausgabe 2/2020, S. 6-15 Wir danken Ihnen dafür und haben in schen Caritasverbandes hilft, Klarheit und einem Brief an Caritaspräsident Dr. Peter Öffentlichkeit zu schaffen und ermutigt Neher zum Ausdruck gebracht, wie sehr Menschen Gutes zu tun. Liebes Redaktionsteam, wir uns darüber freuen, dass sich „Gut- menschen“ mit ihren vielen helfenden Wir bedanken uns beim Deutschen aufmerksam und mit Freude haben wir, Händen und ihren denkenden und nach- Caritasverband, beim Kreuzbund und al- die Kreuzbund-Gruppe St. Peter in Wal- denkenden Köpfen auf der politischen len Selbsthilfe-Organisationen, dass sie trop, die letzte Ausgabe des WEGGE- Ebene für menschenwürdige Lösungen für die guten Menschen eintreten. Allen, FÄHRTE gelesen. Auch wir sind über- einsetzen. Die Kampagne „Sei gut, die in karitativen Einrichtungen arbeiten, zeugt, dass unsere demokratische Gesell- Mensch!“ ist in unserer Gruppe auf offe- allen Weggefährtinnen und Weggefähr- schaft Bürgerinnen und Bürger braucht, ne Herzen gestoßen. Auch wir wehren ten, die sich für andere Menschen einset- die sich für andere einsetzen und sich uns dagegen „das helfen und solidarisch zen, und allen, die zum Wohl unserer Ge- ehrenamtlich z.B. in der Altenhilfe, in Bür- sein zum Vorwurf wird.“ sellschaft politische Verantwortung über- gerinitiativen oder in der Selbsthilfe en- nehmen, gilt unser Dank. gagieren. Der Kreuzbund hat uns zu einer zufrie- denen abstinenten Lebensweise geführt. Wir bedanken uns auch beim Redakti- Es tut gut zu lesen, dass der WEGGE- Wir leben wieder aktiv in unserer Gesell- onsteam um Gunhild Ahmann, das in FÄHRTE die Jahreskampagne des Deut- schaft und stehen Menschen bei, die un- hervorragender Weise die Kampagne „Sei schen Caritasverbandes (DCV) unter- sere Unterstützung brauchen. Wir haben gut, Mensch!“ positiv kommuniziert hat. stützt und begleitet. Viele von unseren ein neues Selbstbewusstsein gefunden, Unsere Zeitschrift, der WEGGEFÄHRTE, ist Weggefährtinnen und Weggefährten be- das uns befähigt, Probleme konkret anzu- ein starkes Stück gelebte Solidarität. weisen jeden Tag mit ihrem ehrenamtli- gehen. Die Werte des Kreuzbundes, Of- chen Einsatz für andere Menschen, dass fenheit und Ehrlichkeit, die Werte des Das Leitungsteam der Kreuzbund-Gruppe sie gute Menschen sind. Genau aus die- Grundgesetzes und die der christlichen St. Peter Waltrop 2 WEGGEFÄHRTE 3/2020
AUS DEM BUNDESVERBAND „Achtsam leben – mithilfe der Stille“ D ass das Seminar vom 13. bis 15. März 2020 im Haus Ohrbeck in Georgsma- rienhütte stattfand, obwohl sich die Co- der Gruppe, das Sitzen, Atmen und Nichtdenken. Die Einführung in die Me- ditationsübung im Stil des Zens struktu- Uns geht es gut, wir tun, was wir können, um gesund zu bleiben. Die wertvollen Er- fahrungen durch meditieren, sitzen, at- rona-Pandemie bereits abzeichnete, ver- rierte das ganze Wochenende - am An- men, nicht-denken sind mir ein gutes stand sich nicht von selbst. Doch das Se- fang und Ende des Vormittags, am An- Hilfsmittel geworden. Ich praktiziere die minarthema „achtsam leben“ sprach 16 fang und Ende des Nachmittags – und Meditation nun dreimal die Woche ganz Suchtkranke und Angehörige (siehe Foto wer noch konnte und wollte am Abend. bewusst und mit großer Wirkung. Ich unten) auch deshalb an, weil es „in der Jeder und jede erlebte die Übungen an- meditiere montags, mittwochs und frei- Luft“ lag: Wir werden achtsamer mit uns ders, weil das Still-werden in sich selber tags direkt nach dem Aufstehen. Nüch- selbst und anderen leben müssen, weil und zugleich auch in der Gruppe unter- tern schaffe ich es, meine Achtsamkeit zu wir uns – neben der Suchterkrankung – schiedlich empfunden wurde. stärken. Ich hätte nie gedacht, dass das auf das Virus einzustellen haben. etwas für mich ist. Einige Wochen nach dem Seminar Wir einigten uns darauf: Wir sind mu- habe ich die Teilnehmenden um ein Wort Auch wenn die Bedrohung durch das tig, aber hoffentlich nicht leichtsinnig, des Rückblicks gebeten, davon eine klei- Corona-Virus nicht zu Ende ist, brauchen dass wir doch noch zu diesem Achtsam- ne Auswahl: „Gerade noch vor der Kon- wir uns nicht einsam fühlen. Alles, was keits-Seminar zusammengekommen taktsperre war es das richtige Seminar für räumlichen Abstand erfordert, kann auch sind. Gott sei Dank zeigte sich: Niemand diese außergewöhnliche Corona-Zeit. soziale Nähe bedeuten. Unsere Haltung hatte sich mit dem Virus infiziert. Ab- stands- und Hygieneregeln wurden ein- gehalten, auch wenn uns allen immer wieder deutlich wurde: Abstand nehmen, Abstand halten - das müssen wir noch üben! Im bewährten Stuhlkreis und in kleine- ren Gesprächsgruppen stellten wir uns diesen Themen und Fragen: Stille – wie erfahre ich sie, wie gestalte ich sie, wel- che Bedeutung hat sie in meinem Leben? Achtsamkeitsbasierte Stressminderung – dieser Behandlungsansatz spielt seit lan- gem in der Suchtbehandlung und Rück- fallvorbeugung eine große Rolle. Aber viel wichtiger als der Austausch mit Worten war das Ein-Üben der Stille in WEGGEFÄHRTE 3/2020 3
AUS DEM BUNDESVERBAND muss sein, diese Übung des Abstandhal- Schnelllebigkeit verfallen, sondern aufei- de bestätigt. Die Corona-Situation hat tens nicht zu bewerten! Ja, es ist auch die nander zugehen und achtsam und wert- uns zum Abstandnehmen angehalten, Chance für einen neuen Blick und eine schätzend zueinander sind. Es kann ein aber wir waren doch in der Gruppe mit- andere Wahrnehmung, für etwas ganz Neubeginn für uns alle sein.“ einander verbunden. Die speziellen Me- Anderes und Neues.“ ditationsübungen haben dazu beigetra- „Das Seminar hat mir gut gefallen. Die gen, mehr in uns selbst hinein zu hor- „Mir hat das Seminar sehr gut gefal- Phasen der Stille versuche ich, bei An- chen. Die Achtsamkeit leben wir jetzt in- len. Man konnte mal in sich hineinschau- spannungen im Alltag in meinen Tages- tensiver, z.B. indem wir die Mahlzeiten en. Ich habe mir sehr viel Ruhe gegönnt. ablauf einzubauen. Ich werde mich über manchmal in Stille zu uns nehmen. Ich Gern noch einmal.“ Seminare zu dem Thema auf dem Lau- kann mich sehr gut zurückziehen und fenden halten.“ mich meiner Leseleidenschaft widmen. „Ich bin zu dem Seminar gekommen, Waltraud erlebt sich intensiv in ihren Tai- um Ruhe zu finden und Kraft zu schöp- „Uns hat das Wochenende unglaub- Chi-Spielen, eine Stunde mehrmals in fen. Der Aufenthalt im Kloster hat mir lich gutgetan! Es hat in seiner positiven der Woche. Für sie waren die Medita gutgetan, vor allem die Ruhe und Stille. Kraft noch eine ganze Weile nachgewirkt, tionseinheiten im Raum der Stille sehr Die Übungen und Gespräche erden mich und ich habe seitdem tatsächlich auch gut. Besonders die Steigerung der Zeit- und geben mir Kraft, meinen Alltag zu schon ein paar Mal zu Hause meditiert. einheiten hat dazu beigetragen, zur in- bewältigen und mich auf das Wesentliche Auf meinem Blog habe ich einen Bericht neren Ruhe und Zufriedenheit zu finden, zu konzentrieren. Es gelingt mir immer über das Seminar verfasst. Schon wäh- um ‚runterfahren‘ und ‚abschalten‘ zu mehr, gut mit den Dingen und Men- rend des Wochenendes konnte ich viele können. Wir sind mit einem sehr guten schen umzugehen. Trotz Corona bin ich Parallelen zwischen Meditation und dem Gefühl nach Hause gefahren und kom- zuversichtlich und glaube, dass wir die (Beginn eines) suchtfreien Leben sehen: men gerne wieder.“ Krise meistern werden. https://suchtfrei-leben.de/meditation- als-anfaenger-erleben/“ Dr. Michael Tremmel, Suchtreferent des Ich hoffe, dass die Menschen sich wie- Kreuzbund-Bundesverbandes der mehr auf die eigentlichen Werte be- „Das Wochenende war für uns sehr sinnen und nicht wieder in Hektik und lehrreich und hat uns in unserer Vorfreu- Bestätigung für die gute Gruppen- arbeit V erbot der Alkoholwerbung, Tempoli- mit 130 auf Autobahnen oder 0,0 Promille im Straßenverkehr – das sind nur die Schulen und Kitas und später auch Geschäfte und Gaststätten, Sportstudios usw. geschlossen wurden. • Der wichtigste Netzwerkpartner für uns ist und bleibt das Suchthilfe-System. • Das persönliche Gespräch ist und einige Themen, die sich die Multiplikato- bleibt die einfachste Form der Öffent- ren für Öffentlichkeitsarbeit als Gegen- Das war auch gut, denn die 18 Teil- lichkeitsarbeit: Ca. 18 bis 22 Prozent stand ihrer kurzen Überzeugungsrede nehmenden hatten eine volle Tagesord- der Umfrage-Teilnehmenden nennen ausgesucht haben. Denn sie haben sich nung. Gunhild Ahmann, Referentin für Freunde, Bekannte und Verwandte auf auf ihrer Arbeitstagung vom 13. bis 15. Öffentlichkeitsarbeit, stellte zunächst die die Frage, wie sie zum Kreuzbund ge- März 2020 in München auch mit „Kom- Ergebnisse der Online-Umfrage des Bun- stoßen sind. Dieses Ergebnis bestätigt munikation und Rhetorik“ beschäftigt. desverbandes vor. Ziel war es herauszu- die Bemühungen des Arbeitsbereichs, Die Teilnehmenden möchten das Thema finden, wie die Menschen zum Kreuz- unter der Überschrift „Jeder macht Öf- beim nächsten Mal weiter vertiefen, ge- bund gekommen sind und was sie an ih- fentlichkeitsarbeit“ möglichst alle hört es doch sozusagen zu den grundle- rer Gruppe schätzen. Wir möchten an Gruppenbesucher zu Gesprächen genden Fähigkeiten eines Beauftragten dieser Stelle nicht die genauen Ergebnis- über die Sucht-Selbsthilfe und den für Öffentlichkeitsarbeit. se wiedergeben (es gingen 700 Antwor- Kreuzbund in ihrem persönlichen Um- ten ein), sondern uns auf die Schlussfol- feld zu ermuntern. Die Multiplikatoren-Arbeitstagung im gerungen beschränken: Gästehaus der Salesianer in München • Die Rolle der Haus- und Fachärzte und konnte übrigens gerade noch stattfinden, • Der Kreuzbund erreicht nach wie vor Gesundheitsbehörden hat offenbar bevor wegen der Corona-Krise zunächst nur wenige junge Suchtkranke. abgenommen: Von den langjährigen 4 WEGGEFÄHRTE 3/2020
AUS DEM BUNDESVERBAND gress am 12./13. Juni 2021 in Hamm. Geplant ist eine Kunst-Ausstellung im Ein- gangsbereich: Vom 9. bis 11. April 2021 findet in Aachen ein Fotoseminar mit Frank Hübner statt. Die Fotos vom Grün- dungsort des Kreuzbundes werden dann auf dem Kongress präsentiert. Außerdem ist eine Fahrrad-Sternfahrt zum Kongress vorgesehen, und zwar von Süden (Köln oder Düsseldorf), Norden (Osnabrück) und Osten (evtl. Detmold. Die Teilnehmenden der Sternfahrt treffen sich am Donnerstagmorgen und kom- men nach zwei Etappen am Freitagabend in Hamm an. Die Strecke sollte nicht län- ger als insgesamt 160 Kilometer sein. Gespräche nach dem offiziellen Teil Übernachtet wird in möglichst günstigen Hotels. Am Kongress können die Radler kostenlos teilnehmen. Unterwegs können älteren Gruppenbesuchern nannten auf dem Kongress im Juni 2021 uraufge- sich weitere Interessierte tageweise an- neun Prozent sie als Vermittler, bei den führt werden. Die Machart des Films wird schließen. Falls zeitlich möglich sollen auf unter 50-Jährigen sind es nur noch vier ähnlich sein wie beim ersten Film, die der Strecke themenbezogene Einrichtun- Prozent. Umsetzung etwas moderner werden. Um gen besucht werden. Die Teilnehmenden die Vielfalt der Selbsthilfe abzubilden, sollten einheitliche T-Shirts oder Regen- • Die Rolle der eigenen Veröffentlichun- sind Einzel-Szenen mit unterschiedlichen capes tragen. Zurzeit haben wir noch kei- gen und der Medien als Vermittler hat Längen eingeplant, z.B. von der Grup- nen Überblick, wie diese Idee ankommt. dagegen zugenommen: Von den älte- penarbeit, von der Bundesdelegierten- Deswegen bitten wir alle Interessenten, ren Umfrage-Teilnehmenden haben versammlung, von einem Seminar und sich unverbindlich bei Gunhild Ahmann 14 bis 15 Prozent sie genannt, von den Wanderexerzitien. Kameraführung zu melden unter ahmann@kreuzbund.de denjenigen, die die Gruppe erst ein und Schnitt übernimmt Peter Kirianczyk, . Jahr besuchen, sind es über 31 Pro- freier Videojournalist aus Haltern am See, zent, also mehr als doppelt so viel. die Redaktion liegt bei Gunhild Ahmann. Gunhild Ahmann, Referentin für Öffent- • In allen Altersgruppen und unabhän- lichkeitsarbeit des Bundesverbandes gig von der Dauer der Gruppenzuge- Darüber hinaus sammelten die Multi- Fotos: Hans Aretz hörigkeit wird die Arbeit in den Grup- plikatoren Ideen für den Kreuzbund-Kon- pen gelobt. Die Gruppenmitglieder fühlen sich verstanden und angenom- men, schätzen den Erfahrungsaus- tausch und die Gemeinschaft in der Gruppe. Das ist neben den statisti- schen Zahlen eine klare Bestätigung für die erfolgreiche Gruppenarbeit des Kreuzbundes. Nur acht Prozent sagen, es gab vor • Ort keine anderen Selbsthilfe-Angebo- te. Die Kreuzbund-Gruppe ist also kei- ne „Notlösung“. • Die Beteiligung an Freizeitaktivitäten, Seminaren und sonstigen Verbands- veranstaltungen nimmt mit der Dauer der Gruppenzugehörigkeit und dem Alter zu. Ein weiteres Thema der Tagung war der neue Imagefilm des Kreuzbundes. Er soll Multiplikatoren in der Diskussion WEGGEFÄHRTE 3/2020 5
AUS DEM BUNDESVERBAND Kreuzbund-Chat in Corona-Zeiten A ls wir das Projekt „Kreuzbund-Chat“ im vergangenen Jahr auf den Weg brachten, war von einem Virus, das unser Leben umpflügt, noch keine Rede. Inzwi- schen wissen wir, dass wir den Kreuz- bund-Chat heute anbieten können ist ein Segen! Weggefährt*innen und mehr noch Hilfesuchende, die bisher noch kei- nen Kontakt zur Sucht-Selbsthilfe hatten, nutzen die Chat-Termine: montags, dienstags und freitags 19 bis 20 Uhr, mittwochs 18:30 bis 20 Uhr, donnerstags 11 bis 12 Uhr sowie 19 bis 20 Uhr (Ange- hörigen-Chat); zusätzlich gibt es weitere spontan angebotene Chat-Termine. Was denken Moderator*innen über „Der Kreuzbund-Chat kann und wird Man könnte meinen, wir seien ohne das Kreuzbund-Chat-Angebot in Corona- die Präsenzgruppe ergänzen und könnte Corona als „Porsche-Angebot“ gestartet: Zeiten? Hier kommen einige Modera- für einige Besuchergruppen sogar die ein- Der Datenschutz ist gewährleistet, die tor*innen zu Wort: zige Möglichkeit sein, an suchtbasierten Chats können zuverlässig angeboten und Gesprächen teilzunehmen. Dazu könnten mit viel Erfahrung moderiert werden. „Der Kreuzbund-Chat ist eine sichere z.B. Leute gehören, die ihre Wohnung Doch inzwischen sind viele Sucht-Selbst- Möglichkeit, mit persönlichen Problemen oder ihr Bett nicht verlassen können, Leu- hilfegruppen auf Video-Chat-Treffen um- nicht alleine zu bleiben und mir vor ei- te, die auf Montage oder Dienstreise sind, gestiegen und nutzen somit aktuellste nem „sicheren“ Hintergrund Hilfe zu vielleicht sogar im Ausland. Diese Leute Kommunikationstechnik im Internet. holen und über meine Sorgen und Nöte haben keine Gruppe in Reichweite. Zu Demgegenüber verfügt der Kreuzbund- zu sprechen. Alle Fragen werden vertrau- hundert Prozent kann der Chat die Prä- Chat derzeit noch nicht über eine Video- lich behandelt. Es kann helfen, diesen senzgruppe nicht ersetzen, aber wir kön- Funktion. Man möchte meinen, wir seien Weg weiterzugehen und so für sich als nen auf professionelle Anlaufstellen ver- im Vergleich dazu mit unserem Chat nur Betroffene*r/Angehörige*r Unterstützung weisen. Corona nehme ich mit meiner mit einem „Trabbi-Angebot“ auf dem und Hilfsangebote zu erhalten die für das Gruppe als Chance um zu sehen, wie Sucht-Selbsthilfe-Markt unterwegs. weitere Leben hilfreich sind. wichtig es ist, ein solides Netzwerk zu ha- ben und zu pflegen.“ Für Gruppenmitglieder, die sich unter- Trotz Corona: Niemand ist allein! Der einander kennen, kann es in der Zeit, in Chat gibt die Möglichkeit, geschützt und „Der Chat hat durch Corona sehr der Gruppen nicht stattfinden dürfen, anonym miteinander zu sprechen; hierfür schnell an Bedeutung gewonnen. Er ist eine Bereicherung sein, sich im Video- ist der Chat ein niedrigschwelliges Ange- sicherlich kein Ersatz für die normale Chat sehen und miteinander sprechen zu bot. Corona war bisher im Angehörigen- Gruppe. Er eröffnet aber die Möglichkeit, können. Auch gibt es vertretbare Soft- Chat noch kein Thema. Den Angehöri- über das eine oder andere Problem zu ware-Lösungen für vergleichsweise da- gen war es wichtiger zu wissen, ob die schreiben. Alleine das Gefühl, sich wie in tengeschützte Video-Chat-Angebote. Sicherheit und Anonymität des Chats ge- der Gruppe austauschen zu können, ist währt ist.“ sehr wichtig. Corona hat uns alle in der Doch man muss genau hinschauen: Sucht-Selbsthilfe schwer getroffen. In der Der Datenschutz ist beim Kreuzbund- „Wir haben jetzt jeden Tag mindestens kurzen Zeit davor war es im Chat kein Chat gewährleistet. Die Softwarefunktio- ein Chat-Angebot. Manchmal auch kurz- großes Problem, den Hilfesuchenden mit nen des Kreuzbund-Chats werden weiter- fristig Chat-Angebote mit regionalem Be- Informationen und Adressen weiterzuhel- entwickelt. Irgendwann wird es auch die zug, beispielsweise „Kreuzbund-Chat im fen. Das hat sich natürlich geändert. Video-Chat-Funktion geben. Die Erfah- Raum Bingen“. Wir haben im Schnitt sie- Trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir rung im Kreuzbund-Chat zeigt aber, dass ben bis zehn Teilnehmende. Die meisten vielen Chatbesuchern wichtige Informati- Hilfesuchende ihre Anonymität gern im Chat kennen die Selbsthilfe und The- onen weitergeben konnten.“ wahren möchten und einen Video-Chat rapie bzw. Angebote der Beratungsstellen nicht vermissen. Sie schreiben ihr Prob- noch nicht. Im Chat geht es um fast alle Michael Tremmel / Elke Kostack / lem im Chat lieber auf und bekommen Suchtformen. Mittlerweile kommen eini- Karl-Heinz Thimm / Hans-Jürgen Stein / direkt eine schriftliche Antwort. ge User*innen regelmäßig in den Chat.“ Wolfgang Melka 6 WEGGEFÄHRTE 3/2020
Nr. 3/2020 Juli/August/September 2020 ISSN 1611-7565 VKZ 21196 W I D E R S TA N D S K R A F T I N K R I S E N Resilienz – Widerstandskraft in sta ndskraft stürmischen Zeiten Wider sen in Kri • offen miteinander kommunizieren, z.B.: umzugehen. Dazu gehören z.B. das Ge- fühl der Selbstachtung, Eigenständigkeit, –Probleme und Gefühle ansprechen aktive Lösungssuche, Humor, Ausdauer, können Anpassungsfähigkeit, die Fähigkeit, Be- ziehungen zu pflegen sowie sich selbst – gemeinsame Lösungen finden und das Leben akzeptieren zu können – KREUZBUND Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige – sich gegenseitig wertschätzen. auch in Krisenzeiten! Wer schon früh den Umgang mit Herausforderungen gelernt Jedes Familien- oder Gruppenmitglied hat, einen aktiven Lebensstil pflegt, seine hat ein persönliches Ausmaß an Wider- Gefühle kennt und regulieren kann, wer D er Begriff „Resilienz“, seit einigen Jahren in der Psychologie ge- bräuchlich, kommt aus dem lateini- über einen guten moralischen Kompass verfügt und achtsam mit sich selbst, den standskraft. Wenn das Überstehen von Krisen auf mehrere Schultern verteilt wird, ist es leichter, daraus gewachsen anderen und seiner Umwelt ist, der ist schen und heißt übersetzt „abprallen, hervorzugehen. KT recht gut gewappnet, sich auch in zurückspringen“. In psychosozialen schwierigen Lebenssituationen zurecht ICKPUN Zusammenhängen ist damit die seeli- Selbstverständlich müssen zu finden. sche Kraft eines Menschen gemeint, die Gesellschaft und das politi- sche System ihren Teil zur Re- Heute wird die Fähigkeit zur Resilienz • Krisen und Belastungen unbescha- silienz beitragen. Nur inner- auch im Zusammenhang mit Gruppen, det zu bestehen, halb menschenwürdiger Le- also Familien, Arbeitsteams und Vereinen L bensbedingungen hat der B • sich davon zügig zu erholen sowie auch ganzen Bevölkerungsgrup- Mensch überhaupt die Chance, IM pen untersucht. Widerstandsfähige Fami- • und sie vielleicht sogar als Heraus- Krisen gut zu bewältigen. „Nicht lien wie auch Gruppen zeichnen sich forderung für die persönliche Ent- einmal großes Talent und Fleiß ge- durch folgende Merkmale aus: wicklung nutzen zu können. währleisten das Besiegen von Widrigkei- ten, wenn die Gelegenheit fehlt“. (Zitat in widrigen Lebensumständen einen • Früher ging man davon aus, dass eini- eines Resilienzforschers zu den Folgen Sinn finden, z.B.: gen Menschen das nötige Rüstzeug, um der Großen Depression in den Jahren Widrigkeiten unbeschadet zu überste- – über sich hinausdenken können und nach 1929) hen, einfach in die Wiege gelegt sei – übergeordnete Werte aufrechterhal- quasi als genetische Disposition – ande- ten Wenn der Umgang mit Krisen aus- ren hingegen nicht. Heute weiß man, schließlich zur Privatsache erklärt wird, –optimistisch, aber realistisch einge- dass Resilienz ein lebenslanger und bis zu geraten die strukturellen bzw. gesell- stellt sein einem gewissen Grade auch veränderba- schaftlichen Ursachen von Krisen, z.B. rer, erlernbarer Prozess ist. Menschen ha- • eine zweckmäßige und flexible Struk- Armut, Arbeitslosigkeit, Gewalt, Sucht … ben zu unterschiedlichen Zeiten in ver- tur zu haben, z.B.: aus dem Blick. Dann besteht die Gefahr, schiedenen Lebensbereichen eine unter- dass krisenhafte Verhältnisse nicht verän- – offen für neue Erfahrungen und Lö- schiedliche Widerstandskraft gegenüber dert, sondern zementiert werden. sungen sein und daraus lernen kön- verschiedenen Belastungen. nen Die Möglichkeiten in der Gemein- Noch vor wenigen Jahren hat sich die –sich stark verbunden und zusam- schaft der Sucht-Selbsthilfe die individu- Resilienzforschung auf Einzelpersonen, mengehörig fühlen (trotz Krisen ge- elle seelische Widerstandsfähigkeit zu also auf Kinder, Jugendliche und Erwach- meinsame Zeit und Ziele haben) entwickeln, zu fördern und zu erproben, sene konzentriert. So wurde ein ganzer sind zahlreich. Dies geschieht seit Jahr- –ein gutes soziales Umfeld haben Blumenstrauß an verschiedenen Persön- zehnten in den Gruppen, Seminaren und (Freundschaft, Nachbarschaft, Ge- lichkeitsmerkmalen, Fähigkeiten und Res- durch die Übernahme von Verbandsver- meinde...) sourcen beschrieben, die helfen, effektiv antwortlichkeit in solidarischer Wegge- mit schwierigen Situationen und Stress – m aterielle Ressourcen haben fährtenschaft u.a.. WEGGEFÄHRTE 2/2020 7
IM BLICKPUNKT Was aber, wenn – wie jetzt – durch die werden wir, da alle ihre grundsätzliche der pflegen und Neues ausprobieren. Im globale Krise – unser aller Bedürfnis nach Verwundbarkeit gespürt haben, gesell- optimalsten Fall können wir voneinander Sicherheit und Selbst-Bestimmtheit be- schaftlich solidarischer sein und unseren lernen und uns miteinander in der und einträchtigt sind? Wenn die Sorgen um moralischen Kompass neu ausrichten: durch die Krise weiterentwickeln. körperliche, berufliche und materielle Si- Das Fenster, ein alternatives besseres Le- cherheit Oberhand nehmen und uns ben zu wählen, steht in diesen Zeiten Marianne Holthaus, Suchtreferentin des grundsätzliche Fragen umtreiben: Wem sperrangelweit offen. Kreuzbund-Bundesverbandes (6. Mai 2020) darf ich in dieser Zeit auf welche Weise nahe sein? Tue ich morgen noch, was ich Wir dürfen damit rechnen, früher oder Literatur: heute tue? Was ist mir wirklich wichtig? später wieder unbefangen in die vertrau- Brost, Marc: Zusammen – aber wie geht ten Selbsthilfegruppen zurückzukehren. In das noch mal? Es gehört zum selbstverständlichen der Zwischenzeit werden wir viele Erfah- Die Zeit. Nr. 13. 19.03.2020, S. 4 Kern der Sucht-Selbsthilfe, in Zeiten, in rungen mit anderen Möglichkeiten der denen wir uns sehr verletzlich fühlen, be- Kontaktgestaltung erprobt haben und da- Precht, David: Das große Erwachen. Die sonders füreinander da zu sein! Bildhafte bei hoffentlich so viele Weggefährtinnen Zeit. Nr. 15, 2.4.2020, S. 46 Darstellungen von Solidarität in und und Weggefährten wie möglich „mitge- https://www.institut-kommunikation-ge- außerhalb der Selbsthilfe zeigen häufig nommen“, vielleicht sogar den einen oder sellschaft.de/die-psychologischen-fol- ineinandergreifende Hände oder Men- die andere dazugewonnen haben. gen-der-coronakrise/ schen, die wie Schutzschilder dicht beiei- nanderstehen. Die Corona-Krise fordert Diese Ausgabe des WEGGEÄHRTE lädt https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz_ Ungewohntes, Paradoxes von der Selbst- dazu ein, über den Tellerrand zu schauen (Psychologie) hilfe. Nun müssen wir auf räumlichen und zu erfahren, wie andere mit der Krise IM Abstand gehen – und dennoch für- umgehen, ihre Verbundenheit zueinan- einander da sein! Das ist verunsi- chernd und wirft Fragen auf: BL ICKPUN • Braucht Sucht-Selbsthilfe nicht die körperliche Anwesen- heit des anderen? • Welche Form des Miteinan- KT ders können wir entwickeln, wenn die lebendige körperliche Präsenz und die wechselseitige emo- tionale Resonanz aufeinander nur einge- schränkt möglich sind? – Was tut sich da hinter der Gesichts- maske? Werde ich freundlich angelä- chelt oder macht er sich über mich lustig? – Bleiben bei den virtuellen Treffen nicht die Zwischentöne, das Fein- nervige auf der Strecke? Die negativen Folgen der Coronakrise haben ein historisches Ausmaß. Können wir es dennoch wagen, der Krise – allen Belastungen zum Trotz – einen „Sinn ab- zulauschen“ (Precht) und ihr sogar etwas Positives abgewinnen? Vielleicht werden wir mehr Dankbar- keit für vieles haben, das uns zuvor selbst- verständlich erschien. Vielleicht werden wir durch die Herausforderungen der Kri- senzeit unsere Selbstwirksamkeit und Wi- derstandskraft gestärkt haben. Vielleicht Gedanken zur Corona-Krise am „Wunschbaum” auf dem Hörsterplatz in Münster 8 WEGGEFÄHRTE 2/2020
W I D E R S TA N D S K R A F T I N K R I S E N Selbsthilfe lebt von der Begegnung A m 26. Mai 2020 haben sich die Bundesvorsitzende Andrea Stoll- fuß, Bundesgeschäftsführer Heinz-Jo- Konkret ist es Aufgabe des Bundesver- bandes, Informationen und gesetzliche Regelungen zur Corona-Krise zu sam- Hygienemaßnahmen. Auch die grund- sätzlichen Voraussetzungen sind abzuklä- ren, also die jeweiligen Regeln zur Kon- sef Janßen und die Redakteurin des meln, zu bewerten, aufzubereiten und sie taktbeschränkung in den Bundesländern, WEGGEFÄHRTE Gunhild Ahmann ge- in Empfehlungen für die Untergliederun- die Zustimmung der Gesundheitsämter troffen, um über den bisherigen Ver- gen umzusetzen. Dabei geht es vorran- vor Ort sowie der Träger der Räumlichkei- lauf der Corona-Krise und die mögli- gig um bundeseinheitliche Leitlinien, die ten, in denen Gruppen sich treffen. Nach chen Folgen für die Sucht-Selbsthilfe am Anfang der Krise gültig waren, die meiner Einschätzung ist das Krisenmana- zu sprechen. Auch ging es um die Fra- inzwischen aber von den einzelnen Bun- gement auf allen Ebenen des Verbandes ge, welche Konsequenzen der Kreuz- desländern immer mehr gelockert und gut gelaufen. Die jeweiligen Untergliede- bund daraus ziehen kann. Möglicher- individuell geregelt werden. rungen sind angemessen damit umge- weise lässt sich der Krise auch etwas gangen. Gutes abgewinnen….? Der Bundesverband hat seit Beginn der Krise im März mehrere Empfehlungen für Wie wichtig sind die Gruppentreffen für WEGGEFÄHRTE: Welche Aufgaben hat der die Gruppen vor Ort herausgegeben auf den Kreuzbund? Gibt es tatsächlich mehr Bundesverband in der Corona-Krise? Wel- der Grundlage der jeweiligen politischen Rückfälle ohne regelmäßige Gruppentref- che Verantwortung hat er? Vorgaben. Wie sind sie von den Unterglie- fen? derungen aufgenommen worden? Heinz-Josef Janßen: Der Kreuzbund-Bun- Andrea Stollfuß: Wir haben keine desverband hat eine Fürsorgepflicht für Andrea Stollfuß: Wir haben durchweg statistischen Daten zu den Rück- KT ICKPUN seine Mitglieder. Das sind vielfach Men- positive Rückmeldungen bekommen; fällen, aber nach meiner Erfah- schen, die aufgrund ihres Alters und ihrer mehrere Diözesanverbände haben die rung gibt es in vielen Gruppen Vorerkrankungen zu einem besonders Empfehlungen des Bundesverbandes di- Mitglieder, die in den vergan- verwundbaren Personenkreis zählen und rekt an ihre Gruppen und Mitglieder wei- genen Wochen rückfällig oder die bei politischen Entscheidungsträgern tergeleitet. Die Gruppen wurden also massiv gefährdet waren, und L meist nicht im Blick stehen. Es geht somit nicht allein gelassen und konnten sich zwar auch langjährig abstinen- B um die Fürsorge für suchtkranke Men- gut daran orientieren, und zwar begin- te Mitglieder. Das bestätigen IM schen und ihre Angehörigen während nend mit der Schließung der Gruppen bis auch die anderen Sucht-Selbsthil- der Corona-Pandemie – also um die rea- hin zu Bedingungen für die Wiedereröff- feverbände. Die Krise hat also den listische Einschätzung der Risiken und nung. Hier wurden sehr konkrete prakti- Wert der Selbsthilfe bestätigt. Die Grup- nicht um Panikmache. sche Tipps gegeben, z.B. in Bezug auf die pen waren oft sehr kreativ und haben an- dere Möglichkeiten genutzt, sich zu tref- fen, z.B. über Videochats und Whats- App-Gruppen. Damit konnten die Wo- chen des Lock-down ganz individuell aufgefangen und überbrückt werden. Al- lerdings kann das die face-to-face-Begeg- nung in der Gruppe auf Dauer nicht er- setzen. „Das Internet kann mich nicht in den Arm nehmen“ – dieser Satz von Da- niela Ruf vom Deutschen Caritasverband (DCV) stimmt zweifellos. Selbsthilfe lebt von der Begegnung und vom Austausch; das schafft Gemeinschaft im Kreuzbund, und genau dieses Zugehörigkeitsgefühl zeichnet den Kreuzbund ja besonders aus. Also können Gruppentreffen auf Dauer nicht durch Videokonferenzen ersetzt werden. Wie ist das bei anderen Ver- bands-Veranstaltungen? Heinz-Josef Janßen, Bundesgeschäftsführer, und Andrea Stollfuß, Bundesvorsitzende WEGGEFÄHRTE 2/2020 9
IM BLICKPUNKT Heinz-Josef Janßen: Da bin ich etwas ge- Stück unserer „Beziehungskultur“ verlo- gewesen – das hört sich zynisch an, ist spalten: Wir sollten die Vorteile von Vi- ren. Deswegen werden Bundesveranstal- aber so. deokonferenzen auf jeden Fall im Auge tungen wie Seminare, Arbeitstagungen behalten, denn wir sparen damit Zeit und Organsitzungen auch wieder statt- Könnte sich die Corona-Krise auch auf die und Geld und kommen schneller auf den finden, sobald es die gesetzlichen Rah- Mitgliederentwicklung auswirken? Punkt bzw. zu Ergebnissen, weil die in- menbedingungen zulassen. formellen Seitengespräche wegfallen Andrea Stollfuß: Die Gruppenmitglieder und die Tagesordnung zügig abgearbei- Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen werden darüber nachdenken, wie wich- tet wird. Das gilt vor allem für Treffen mit (DHS) und die fünf Sucht-Selbsthilfever- tig ihnen die Gruppe ist. Einige kommen einer begrenzten Zahl von Teilnehmen- bände haben innerhalb einer Woche möglicherweise zu dem Schluss, dass sie den. durchgesetzt, dass die Sucht-Selbsthilfe in Zukunft auf die Gruppentreffen ver- als systemrelevant eingestuft wird. Was zichten möchten. Ich bin aber überzeugt Eine Lehre aus der Krise ist es also, neue bedeutet das konkret? davon, dass die meisten feststellen – so digitale Formen von Treffen einzuüben, geht es mir persönlich auch – dass ihnen und zwar in den Gruppen und auch bei Heinz-Josef Janßen: Die berufliche Sucht- die Menschen in der Gruppe wichtig sind verbandlichen Sitzungen. Dabei müssen hilfe und die Sucht-Selbsthilfe haben und sie den persönlichen Kontakt schät- wir aber auch rechtliche Dinge berück- glaubhaft die zunehmenden Rückfälle ge- zen, vielleicht gerade nach den Wochen sichtigen, z.B. die Frage, ob Beschlüsse schildert. Auch ohne eine empirische Da- der Kontaktbeschränkungen. Selbsthilfe rechtsgültig sind, wenn sie auf einer Vi- tengrundlage hat das zur Durchsetzung ist menschliche Begegnung, und die deokonferenz gefasst werden. der Systemrelevanz geführt, d.h. die brauchen wir alle – auch wenn wir uns Sucht-Selbsthilfe wird als unverzichtbar zurzeit in den Gruppen nicht umarmen Andererseits können digitale Formen eingeschätzt. Das bedeutet einen großen können. IM der Begegnung „normale“ Treffen sozialpolitischen Erfolg, den wir in der Kri- nie ganz ersetzen, v.a. wenn es se erreicht haben, und zwar mit Hilfe der um die gemeinsame Ideenent- Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen BL wicklung geht. Die zwischen- e.V. (DHS) und der Landesstellen für Tipp: ICKPUN menschliche Begegnung und Suchtfragen. Durch ihre Unterstützung der Erfahrungsaustausch am wurde unser Anliegen eindeutig aufge- Praktische Hinweise und Handlungs- Rande von Tagungen und Se- wertet. Das ist ein wichtiger Schritt nach anweisungen für Gruppentreffen minaren haben einen unschätz- vorn für das Ansehen der Sucht-Selbsthilfe während der Corona-Pandemie fin- KT baren Wert. Auch das hat die im öffentlichen Bewusstsein. Ohne Coro- den Sie auf unserer Internetseite: Corona-Krise bestätigt. Würden na wäre ein solch schneller politischer Er- www.kreuzbund.de wir darauf verzichten, ginge uns ein folg wesentlich schwieriger zu erreichen Sucht(Selbst)hilfe ist unverzichtbar – vor allem in der Krise I n der Krise müssen die politischen Entscheider verletzliche Menschen besonders in den Blick nehmen, und Raiser, stellvertretender Geschäftsfüh- rer der DHS, unterhalten. Im konkreten Fall der Corona-Krise ar- beiten wir daran, dass die Angebote der Suchthilfe und der Sucht-Selbsthilfe so dazu gehören auch suchtkranke Men- WEGGEFÄHRTE: Welche Aufgaben hat die weit wie möglich aufrechterhalten wer- schen. Die Deutsche Hauptstelle für DHS in der Corona-Krise? Wo sehen Sie den können. Dafür muss auch eine Ände- Suchtfragen e.V. (DHS) und ihre Mit- Ihre Verantwortung? rung bzw. Anpassung der jeweiligen An- gliedsverbände rufen dazu auf, hilfsbe- gebote an die Krisenbedingungen er- dürftige Menschen mit Suchterkran- Dr. Peter Raiser: Die DHS setzt sich zusam- möglicht werden. kungen gerade in der aktuellen Situati- men mit ihren Mitgliedsverbänden auch on adäquat zu versorgen und die Fach- für die Interessen suchtkranker und sucht- Ein weiterer Punkt betrifft die Präsenz kräfte der Suchthilfe entsprechend gefährdeter Menschen gegenüber den in der Öffentlichkeit – suchtbetroffene auszustatten. Über die Auswirkungen politischen Entscheidungsträgern sowie Menschen müssen darüber informiert und mögliche Folgen der Corona-Krise gegenüber Renten- und Krankenversiche- werden, dass die Hilfeangebote weiterhin hat sich Gunhild Ahmann mit Dr. Peter rungsträgern ein. zur Verfügung stehen und für sie erreich- 10 WEGGEFÄHRTE 2/2020
W I D E R S TA N D S K R A F T I N K R I S E N bar sind. Hinzu kommt die Information aufgefordert, alle notwendigen Maß- der Fachkräfte der Suchthilfe. nahmen zu ergreifen und auch zu finan- zieren, um ihre Angebote auch unter Von welchen Einschränkungen waren die Krisenbedingungen aufrechterhalten zu Suchthilfe-Einrichtungen betroffen? Gab können. es Sorgen, dass Einrichtungen schließen müssen? Welche Langzeitfolgen hat die Corona- Krise auf Suchthilfe-Einrichtungen und Es gab sehr unterschiedliche Rückmel- die Suchthilfe insgesamt? dungen aus dem gesamten Bundesge- biet. Vor allem in der ersten Phase der Es wird einen Schub für die Digitalisie- Einschränkungen waren viele Suchthilfe- rung geben und damit eine Ergänzung Einrichtungen verunsichert, ob und wie bzw. Erweiterung der bisherigen Hilfean- sie ihr Angebot aufrechterhalten können. gebote. Allerdings wird der persönliche Viele Einrichtungen haben es zunächst Kontakt nie vollständig durch digitale reduziert, vereinzelt kam es auch zu einer Dr. Peter Raiser Angebote ersetzt werden können. Mit zeitweisen Einstellung. So fanden ja z.B. der Digitalisierung können allerdings auch keine Treffen der Sucht-Selbsthilfe- auch Zielgruppen erreicht werden, die gruppen statt. tung ausgestattet werden, z.B. mit den persönlichen Kontakt bislang nicht Mund-/Nasenschutz und Desinfekti- in Anspruch genommen haben. Das Einrichtungen der Suchthilfe hatten onsmitteln. Hier sind Kostenträger wird nicht von heute auf morgen funkti- die Sorge, dass Hilfesuchende bei einem von Behandlungen gefragt, aber auch onieren, das braucht Zeit. reduzierten oder gar wegbrechenden Entscheidungsträger über die Finan- Angebot nicht mehr angemessen behan- zierung der Suchthilfe auf der kom- Es steht zu befürchten, dass KT ICKPUN delt werden können. munalen Ebene. es mit einer zeitlichen Verzö- gerung Einbrüche gibt bei der • Die Mitarbeitenden der Suchthilfe Viele Angebote sind daher kurzfristig Finanzierung der ambulan- sollten regelmäßig auf das Corona-Vi- um digitale Kontaktmöglichkeiten und ten Grundversorgung. Viele rus getestet werden können. um Telefon- und Videosprechstunden er- Kommunen werden in Folge L gänzt worden. • Die Mitarbeitenden der Suchthilfe- der Corona-Krise voraussicht- B Einrichtungen müssen für ihre Kinder lich in eine dramatische Haus- IM Unter welchen Bedingungen konnte und eine Notfallbetreuung in den Kitas er- haltslage geraten und deswegen kann die Suchthilfe ihre Arbeit während halten. alle Leistungen kürzen, die nicht der Corona-Krise fortsetzen? Was brau- gesetzlich geregelt sind, was viele Leis- chen die Einrichtungen dafür? Die professionelle Suchthilfe und die tungen der ambulanten Grundversor- Sucht-Selbsthilfe haben sich erfolgreich gung betrifft. Wir haben relativ schnell eine politische dafür eingesetzt, als systemrelevant aner- Diskussion darüber geführt, was notwen- kannt zu werden. Was bedeutet das kon- In diesem Zusammenhang ist es Auf- dig ist, um die Angebote aufrechterhal- kret? gabe der DHS und ihrer Mitgliedsver- ten zu können, und haben folgende For- bände den politischen Entscheidungsträ- derungen formuliert: Ohne die Corona-Krise wäre die Einstu- gern klar zu machen, dass es auf längere fung der Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe Sicht deutlich teurer wird, wenn die • Die Träger der Einrichtungen möchten als systemrelevant wahrscheinlich nicht Kommunen ihre Zuwendungen an Ein- Beratungen von Hilfesuchenden nicht so schnell erfolgt. Allerdings gilt diese richtungen der Suchthilfe kürzen. Wir nur persönlich, sondern auch Online Anerkennung nicht für die Bundesebene, sollten alle zusammen klar machen, dass bzw. per Videokonferenz anbieten also nicht bundesweit, sondern liegt in die Suchthilfe nicht dem Rotstift zum können, d.h. die dafür not wendige der Zuständigkeit der Landesgesund- Opfer fallen darf. technische Ausstattung muss bereitge- heitsministerien. Die tatsächliche Ausge- stellt werden, und die Mitarbeitenden staltung vor Ort wird dann von den kom- müssen entsprechend geschult wer- Weitere Informationen: munalen Gesundheitsämtern entschie- den. Eine komplette Umstellung auf den. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. digitale Angebote ist allerdings nicht (DHS) sinnvoll und auch nicht beabsichtigt, Gleichwohl hat es natürlich eine Be- Westenwall 4, 59065 Hamm diese können persönliche Beratungen deutung, dass die Sucht(Selbst)hilfe als Tel. 02381/9015-0, Fax 02381/9015-30 nicht ersetzen, sondern nur ergänzen unverzichtbares Angebot anerkannt E-Mail: info@dhs.de • Die Suchthilfe-Einrichtungen müssen wird. Denn die Träger der jeweiligen Internet: www.dhs.de mit der notwendigen Schutzausrüs- Einrichtungen werden dadurch dazu www.suchthilfeverzeichnis.de WEGGEFÄHRTE 2/2020 11
IM BLICKPUNKT Gruppenarbeit in Corona-Zeiten Digitale Gruppenstunden Da soziale Kontakte entsprechend der augenblicklichen Rechtslage so weit wie möglich einzuschränken sind, dür- fen auch unsere wöchentlichen Grup- pentreffen bis auf weiteres nicht mehr stattfinden. Die mögliche Vereinsamung birgt für alkoholkranke Menschen eine hohe Ge- fahr rückfällig zu werden. Um deshalb die Gruppenarbeit aufrecht erhalten zu können, finden die Sitzungen der Kreuz- bund-Gruppe Twistringen jetzt digital einmal wöchentlich über das Internet statt. Heinz und Waltraud Siemers, die die Leitung der Gruppe übernom- IM men haben, hatten die Idee dazu und haben das Projekt umge- BL setzt. Nach ersten Schwierig- Heinz und Waltraud Siemers ICKPUN keiten haben sich jetzt immer mehr Personen unserer Grup- Dass auch der Spaßfaktor nicht zu kurz Gemeinschaftsgefühl erhalten und der pe an diese Form der Kom- kommt und die viele Freizeit zu Hause Wille abstinent zu bleiben, wird gestärkt. munikation gewöhnt. Bis zu sinnvoll gefüllt wird, ist ein angenehmer KT zwölf Weggefährten nehmen Nebeneffekt. So bleibt auch in Zeiten der Gustav Schindler, Kreuzbund Twistringen an den digitalen Sitzungen teil. unvermeidbaren räumlichen Distanz das (16. April 2020) Und es klappt doch! Nachdem sich die erste Schockstarre dazu in der Lage und musste sich erstmal Seitdem sind wir jeden Abend um 18 nach dem Corona-Lock-Down Mitte mit den neuen GKV-Richtlinien herum- Uhr immer miteinander verbunden, be- März langsam gelegt hatte, war Her- schlagen. Gaby hatte technische Proble- sprechen auch mal „dienstliche“ Angele- bert Rogge, Geschäftsführer des DV me und brauchte einen „PC-Doktor“. genheiten, aber hauptsächlich wird viel Mainz, der erste, der uns ermunterte gelacht, und das tut soo gut! Mittlerweile und aufrief, uns doch wenigstens ein- Der erste Versuch einer Online-Zu- schalten sich auch weitere Vorstands- mal vom geschäftsführenden Vorstand sammenkunft gab den vorlauten Kriti- und Gruppenmitglieder dazu. So ein online in Verbindung zu setzen. Es kern recht und war niederschmetternd. Online-Zusammensein ist wirklich zu gäbe da eine kostenlose Web-App für Entweder konnten wir eine(n) empfehlen! Video-Konferenzen, die ganz einfach Teilnehmer(in) nicht sehen oder nicht zu installieren sei. Sarah und Herbert hören oder nicht hören und nicht sehen Ursel Lux, stellvertretende Vorsitzende des würden sie immer für einen Online- oder oder … Dann installierte Silvias DV Mainz (1. Mai 2020) Gottesdienst mit Freunden nutzen und Sohn die App auf dem Handy; bei Ursel dann auch gemeinsam singen. richtete ein Bekannter die Kamera richtig PS.: Natürlich lassen wir auch unsere Mit- ein, und bei Gaby half der PC-Doktor. glieder und Gruppenleitungen nicht im Die Reaktion hätte von einer Herde Und dann klappte der zweite Versuch, Regen stehen und geben seit Beginn der störrischer Esel nicht widerborstiger sein zwar noch mit einigen Unterbrechun- Corona Krise wöchentlich Mitteilungen können. Ursel, die wieder mal die Mail gen, aber es funktionierte. Die Freude mit aktuellen Informationen heraus. Dem nur halb gelesen hatte, war absolut nicht war groß uns wiederzusehen. Eigentlich Feedback nach zu urteilen werden sie in der Stimmung für gemeinschaftliches war es ja ganz einfach – und Herbert auch gern gelesen. Singen. Silvia war nervlich zurzeit nicht schmunzelte! 12 WEGGEFÄHRTE 2/2020
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