Informationen für evangelische Religionslehrerinnen und -lehrer in Westfalen und Lippe - Jahrgang 2

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Informationen für evangelische Religionslehrerinnen und -lehrer in Westfalen und Lippe - Jahrgang 2
Informationen für evangelische
                          Religionslehrerinnen und -lehrer
                          in Westfalen und Lippe

49. Jahrgang   2 | 2020
Informationen für evangelische Religionslehrerinnen und -lehrer in Westfalen und Lippe - Jahrgang 2
RU for future
Anknüpfend an die „Fridays for Future“-Bewegung fragt ru intern, ob und wie ein nachhaltiger Lebensstil
Thema im Religionsunterricht sein kann.

In dieser Ausgabe

   Aktuelle Veränderungen der Kirche | S. 4         Unser Klima-Fußabdruck | S. 23                     Interview „fff“ | S. 32
Die Zugehörigkeit zu einer Konfession und        Wie viel Kohlendioxid verursacht mein per-         Was treibt sie an, die Schüler*innen, die in
Kirchengemeinde ändert sich rapide. Chris-       sönlicher Lebensstil? Es gibt eine Fülle an CO2-   lokalen Aktionsgruppen für ein besseres
tian Grethlein, Münster, skizziert aktuelle      Rechnern im Internet, die unterschiedliche         Klima streiten. ru intern fragte Meret Karen-
Trends, statistische Erhebungen und zeigt        Schwerpunkte setzen. ru intern stellt einige       fort von „Fridays for Future“-Bielefeld nach
unter anderem auf, wie auch der Religions-       vor, die auch im Unterricht verwendet werden       ihrem Engagement.
unterricht versucht, sich auf die neuen Ent-     können.
wicklungen einzustellen.                                                                               In eigener Sache | S. 34
                                                    „Nachhaltigkeit“ - Was ist das? | S. 24         Seit 10 Jahren leitet Landeskirchenrat Fred
   Zwischenruf | S. 14                           Christiane Karp-Langejürgen, Halle/Westfa-         Sobiech den Redaktionskreis ru intern. Jetzt
Obacht! - meint Ulrich Körtner, Wien. Die Ver-   len, hat mit Schüler*innen einen Schulgottes-      geht er in den Ruhestand. Mit einer kleinen
ehrung von Greta Thunberg und die Vorstel-       dienst erarbeitet, der „Klimazeugen“ zu Wort       Würdigung verabschieden wir uns von unse-
lung, mit der Fridays for Future“-Bewegung       kommen lässt und Ideen entwickelt für den          rem „Chef“.
die ganze Welt retten zu können, tragen reli-    eigenen nachhaltigen Lebensstil.
giöse Züge.                                                                                         Und weitere Kurznachrichten aus den Landes-
                                                    „Schule der Zukunft“ | S. 31                    kirchen in Lippe und Westfalen.
    Greta Thunberg | S. 16                       Wie erhält eine Schule diese Auszeichnung,
Manfred Karsch, Herford, fragt, ob die schwe-    die darauf abzielt, Projekte zur „Bildung für
dische Klimaaktivistin eine Art Prophetin ist.   Nachhaltige Entwicklung“ (BNE) umzusetzen.
Dazu entwickelt er einen unterrichtsprakti-      Welches sind die Hauptthemen im nächsten
schen Enwurf mit 4 Bausteinen, arbeitet Ähn-     Kampagnenzeitraum und wo findet man Bei-           Rechts: Unsere Lebensgrundlagen sind zerbrechlich.
lichkeiten und Unterschiede heraus.              spiele für eigene Ideen?                                                         Bild: pixabay - ejaugsburg

                                                                                                                                                 ru intern
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Informationen für evangelische Religionslehrerinnen und -lehrer in Westfalen und Lippe - Jahrgang 2
Evangelische Kirche im Transformationsprozess1                                                     unserem Kulturkreis über 1.000 Jahre – bis
                                                                                                       ins 19. Jahrhundert den Menschen von ihrer

    Quo vadis, ecclesia?
                                                                                                       Obrigkeit zwangsweise verordnet. Daraus
                                                                                                       entwickelte sich mit und nach dem lang-
                                                                                                       samen Auseinandertreten von staatlicher
    Gegenwärtig vollziehen sich tief greifende      1. Veränderungen in den deutschen                  Obrigkeit und Evangelischer Kirche eine Jahr-
    politische, kulturelle und gesellschaftliche       evangelischen3 Landeskirchen                    zehnte währende, sozial abgestützte Selbst-
    Veränderungen, vielleicht sogar – wie Ulrich                                                       verständlichkeit der Kirchenmitgliedschaft.
    Beck in seinem 2017 posthum erschienenen        Schon die Mitgliederstatistik spricht eine deut-   Sie wandelt sich seit den sechziger Jahren des
    Buch vermutet – eine Metamorphose.2             liche Sprache: 1961 waren 51,1 % aller Bundes-     20. Jahrhunderts 4 bei einer zunehmenden
                                                    deutschen Mitglieder einer evangelischen           Zahl von Menschen zu einer Option.5 Theolo-
       Auch die Evangelische Kirche ist davon       Landeskirche; weitere 45,5 % gehörten der          gisch ist dies unter der Perspektive der Frei-
    nachhaltig betroffen (1.).                      römisch-katholischen Kirche an. Ende 2016          heit des Glaubens eine zweifellos erfreuliche
                                                    waren 26,1 % der Bevölkerung in Deutsch-           Entwicklung, organisatorisch wirft sie in der
       Demgegenüber erscheinen die Rechtsfor-       land evangelisch, 28,2 % römisch-katho-            gegenwärtigen Kirchenstruktur Probleme auf.
    men der deutschen evangelischen Landeskir-      lisch – dazu kamen 1,9 %, die zu einer ortho-      Besonders ausgeprägt ist diese Entwicklung
    chen auffällig stabil (2.).                     doxen Kirche gehörten sowie etwa 0,7 %             bei jüngeren Menschen. Bei ihnen ist – wie
                                                    Mit­glieder anderer christlicher Kirchen und       empirische Befragungen ergeben – Kirchen-
      Allerdings nehmen die damit gegebe-           Gemeinschaften.                                    austritt ein Thema. Dabei scheint häufig die
    nen Probleme für kirchliche Arbeit zu und       Der seit Ende der sechziger Jahre des 20.          Kirchensteuer, ausgewiesen auf dem ers-
    gewinnen in verschiedener Hinsicht an Bris-     Jahrhunderts zu beobachtende Prozess des           ten Lohnzettel, einen Impuls zum kritischen
    anz (3.).                                       Schrumpfens der beiden großen Konfes­              Nachdenken zu geben.6 Forciert wird dieser
                                                    sionskirchen geht also, sogar beschleunigt         Prozess dadurch, dass die „Kirchen“ bei den
       Dazu sind Veränderungen auf zentralen        weiter. Mittlerweile befinden sich die Mitglie-    meisten jungen Menschen als wenig vertrau-
    Gebieten der Kommunikation des Evangeli-        der der beiden großen Kirchen auch in großen       enswürdig gelten.7 So werden vermutlich im
    ums unübersehbar, die direkt und indirekt die   westdeutschen Städten wie Stuttgart (49 %),        nächsten Jahrzehnt die Kirchenmitglieder
    pastorale Praxis betreffen (4.).                München (45 %), Hannover (44 %) oder Düs-          bundesweit zur Minderheit werden.
                                                    seldorf (38 %) in der Minderzahl.                  Daneben ist auch eine – gegenüber der
       Von da aus gilt es, theologisch den Cha-     Soziologisch gesehen verändert sich der Sta-       römisch-katholischen Kirche stärker ausge-
    rakter von Kirche neu zu bestimmen (5.).        tus der Kirchenmitgliedschaft. Sie war – in        prägte – umgekehrte Tendenz zum Wieder-

4                                                                                                                                            ru intern
Informationen für evangelische Religionslehrerinnen und -lehrer in Westfalen und Lippe - Jahrgang 2
Die Unterscheidung zwischen ein- und zwei-
                                                                                                                seitigen liturgischen Handlungen erklärt diese
                                                                                                                unterschiedlichen Entwicklungen.12 Während
                                                                                                                einseitige liturgische Handlungen, etwa der
                                                                                                                Gottesdienst am Sonntagvormittag, sich einer
                                                                                                                binnenkirchlichen Logik verdanken, tritt bei
                                                                                                                anderen Gottesdiensten eine familiäre bzw.
                                                                                                                biografiebezogene Logik hinzu, was zu einer
                                                                                                                regeren Teilnahme führt. Nach Wegfall des
                                                                                                                obrigkeitlichen und später sozialen Zwangs
                                                                                                                zeigt sich also auf liturgischem Gebiet ein
                                                                                                                Eigensinn vieler Menschen gegenüber kirch­
                                                                                                                lichen Normen.
                                                                                                                Mittlerweile ist dies auch in der römisch-ka-
Die gute alte Familienbibel hat meist ausgedient, familiäre Feste im kirchlichen Raum dagegen                   tholischen Kirche unübersehbar, in der die
erfreuen sich weiterhin großer Beliebteit.                                         Foto: pixabay - digitlchic   große Mehrheit der Mitglieder jeden Sonntag
                                                                                                                durch das Fernbleiben von der Messe gegen
eintritt in die Evangelische Kirche zu konsta-      absolute Zahl der in Evangelischen Kirchen                  geltendes Kirchenrecht verstößt und somit
tieren.8 Zahlenmäßig ist sie erheblich geringer     am Sonntagsgottesdienst Teilnehmenden.10                    eine „schwere Sünde“13 begeht (sog. Sonn-
ausgeprägt als die zum Kirchenaustritt, doch        2017 feierten am Sonntag durchschnittlich                   tagspflicht, CIC c. 1256 § 1).
weist sie ebenfalls auf den zunehmenden             knapp 60.000 in einer evangelischen west-                   Ein Wandel im Verhältnis vieler Menschen zur
Optionscharakter der Kirchenmitgliedschaft          fälischen Kirche Gottesdienst, was 2,7 % der                Kirche zeigt sich schließlich im Bereich der
hin. Unterstützt wird die Annahme der Optio­        Kirchenmitglieder entspricht. Zugleich gehen                Kasualien, einem „Knotenpunkt zwischen einer
nalität von Kirchenmitgliedschaft durch den         dort aber zu bestimmten Anlässen wie Heilig-                individuellen religiösen Ge­stimmtheit, gesell-
Befund, dass die Mehrheit der Evangelischen         abend – hier feiern Gemeinden in der Größe                  schaftlich-zivilreligiösen Be­ständen und der in
davon ausgeht, ohne Kirche christlich sein zu       von 36,4 % der Kirchenmitglieder in einer                   der Kirche gepflegten Artikulation der christ-
können.9                                            Evangelischen Kirche11 –, bei Schulanfangs-                 lichen Überlie­fe­rungs­gestalt der Religion mit
Auch anderweitig sind Veränderungen im              gottesdiensten oder bestimmten Kasual­                      ihrem Ver­bind­lich­keitsanspruch“.14
Verhalten der Menschen zur Kirche festzu-           gottesdiensten, vor allem Bestattungen, viele               Die Tatsache, dass etwa Verstorbene oder
stellen. So sinkt seit Längerem nicht nur die       Menschen in den Gottesdienst.                               potenzielle Paten der Kirchenmitgliedschafts-

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Informationen für evangelische Religionslehrerinnen und -lehrer in Westfalen und Lippe - Jahrgang 2
regel nicht genügen, führt nicht selten schon    deebene sind vielerorts Zusammenlegungen         cherung erfolgt zu einem großen Teil über
    bei der Anmeldung einer Kasualie zu Kon-         zu beobachten.                                   den Modus des Steuereinzugs, eben die Kir-
    flikten. Eine Zeitlang waren solche Probleme     Weniger wahrgenommen wurde, dass sich            chensteuer.19 Dass eine solche staatsanaloge
    – im Kontext sozial abgestützter Kirchenmit-     in den letzten hundert Jahren die Zahl der       Struktur Evangelischer Landeskirchen bis in die
    gliedschaft als Regel – mit sog. seelsorgerli-   Pfarrer (und Pfarrerinnen) pro Gemeinde-         aktuelle Gesetzgebung wirkt, zeigt ein Blick
    chem Ermessen zu überspielen. Dem steht          glieder fast verdoppelt hat.16 Dazu trug nicht   ins neue EKD-Pfarrdienstgesetz. Abgesehen
    aber heute die vielerorts zunehmende Häu-        zuletzt ein Ausbau sog. Funktionspfarrstellen    von einigen Besonderheiten, die großenteils
    fung entsprechender Fälle entgegen.              bei, auf denen mittlerweile etwa ein Viertel     mit dem Konzept der Ordination zusammen-
    Besondere Brisanz erhält diese Entwicklung       der Theologinnen und Theologen beschäf-          hängen, liegt hier ein klassisches Beamten-
    in Ostdeutschland, wie die innerkirchlichen      tigt sind.17 Insgesamt ist aber – trotz erster   gesetz vor.20
    Auseinandersetzungen um sog. Jugendfei-          Öffnungen für nichtparochiale Gemeinde­          Der hier nur exemplarisch angedeutete Sach-
    ern exemplarisch zeigen.15 Offenkundig wer-      formen in einzelnen Kirchenverfassungen18        verhalt der staatsanalogen Struktur Evangeli-
    den hier Menschen durch die traditionellen       – die organisatorische Konstanz der Landes-      scher Kirchen in Deutschland bürgt einerseits
    kirchlichen Handlungen wie die Konfirma-         kirchen erstaunlich:                             für Kontinuität und Verlässlichkeit. Anderer-
    tion nicht mehr erreicht, sind aber durchaus     So werden – wenigstens grundsätzlich – die       seits sind mit ihr Probleme in der kirchlichen
    offen für kirchliche Unterstützung bei der       teilweise bis ins 16. Jahrhundert zurückrei-     Praxis verbunden, die im Zuge der skizzierten
    Gestaltung bzw. Begleitung von Übergän-          chende Gliederung in Landeskirchen sowie die     Veränderungsprozesse in der pastoralen Pra-
    gen im Leben.                                    parochiale Grundstruktur beibehalten, die sich   xis an Brisanz zunehmen.
                                                     in ihrem Grundsatz einer Kirchenreform unter
    2. Gleichbleibende Organisationsstrukturen       Karl d. Gr. verdankt. Sie deckt das gesamte      3. Probleme gegenwärtiger Organisation
       in den Evangelischen Landeskirchen            Gebiet Deutschlands im Sinne einer pasto-           und Verwaltung
                                                     ralen Versorgung ab. Jedes evangelische Kir-        Evangelischer Landeskirchen
    Gewiss sind Veränderungen in den Organi-         chenmitglied ist demnach – grundsätzlich –
    sationsstrukturen Evangelischer Landeskir-       einer bestimmten Kirchengemeinde und einer       Die landeskirchliche und parochiale Struk-
    chen nicht zu übersehen. Am spektakulärsten      bestimmten Pfarrperson zugeordnet.               tur Evangelischer Kirchen in Deutschland
    waren wohl in den letzten Jahren die Fusio-      Pfarrer*innen werden heute in diesem Sys-        ist an der örtlichen Stabilität von Menschen
    nen von – teilweise sogar bekenntnismäßig        tem – weltweit einzigartig – in der Regel in     orientiert. Sie entspricht der Lebenswelt
    unterschiedlich bestimmten – Landeskir-          Form eines beamtenähnlichen Dienstver-           einer agrarisch strukturierten Gesellschaft,
    chen zur Nordkirche bzw. Evangelischen Kir-      hältnisses beschäftigt. Die Ressourcenbe-        wie sie in Deutschland bis in die Mitte des
    che in Mitteldeutschland. Auch auf Gemein-       schaffung zu dessen Finanzierung und Absi-       19. Jahrhunderts bestand. Auch im Kontext

6                                                                                                                                            ru intern
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der Industrialisierung blieb sie weitgehend                            Demnächst binnenkirchlicher Pendler-Verkehr?   Foto: pixabay - Clker Free Vector Images

erhalten – lediglich durch die Innere Mission
ergänzt.                                        Millionen Menschen. 8,5 Millionen benöti-        teilweise sogar Kirchenkreise oder Landes-
Im Zuge der zunehmenden Mobilität verliert      gen mehr als eine Stunde, um ihren Arbeits-      kirchen. Dazu erfordern Ausbildungen und
diese Struktur aber rasch an lebenswelt­        platz zu erreichen. 6 Millionen legen mehr       berufliche Wechsel häufig Umzüge, die den
licher Plausibilität. Die Entfernung zwischen   als 25 Kilometer zurück.21 Über drei Millionen   Bezug zu konkreten Orten schwächen.
Wohnung und Arbeitsplatz wächst, teilweise      Menschen pendeln regelmäßig in andere            Dementsprechend nimmt aus allgemeinen
kommt es zum Pendeln im Wochenrhyth-            Bundesländer.22                                  Gründen sozialer Mobilität die Bindung an
mus. 60 % der sozialversicherungspflichti-      Demnach liegen bei den meisten Menschen          eine Ortsgemeinde ab. In Städten wissen
gen Beschäftigten verlassen jeden Morgen        Wohnung, Arbeitsplatz und wohl auch Orte         viele Kirchenmitglieder nicht, zu welcher Kir-
die Gemeinde ihres Hauptwohnsitzes, um          bevorzugter Freizeitnutzung auf den Gebie-       chengemeinde sie gehören. Dies wird oft erst
zur Arbeit zu gelangen, dies sind mehr als 17   ten unterschiedlicher Kirchengemeinden,          im Zusammenhang mit Kasualanmeldungen

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eruiert und führt nicht selten zu umständli-
    chen Verwaltungsakten, falls die beteiligten
    Pfarrer*innen kirchenrechtlich korrekt han-
    deln. Kirche wird dann als staatsanaloge Ver-
    waltungsbehörde erlebt und die Pfarrer*in-
    nen als die ausführenden Organe – keine
    attraktive Rolle.
    Theologisch und lebensweltlich gesehen stellt
    die jahrhundertelang bewährte Fokussie-
    rung der kirchlichen Strukturen auf Ortsge-
    meinde und Landeskirche heute eine zuneh-
    mend schwierigere Verengung dar. Bereits in
    neutestamentlicher Zeit begegnet dagegen
    größere Pluriformität. So steht im Neuen
    Testament „ekklesia“ für vier verschiedene
    Sozialformen:
        die damals grundlegende Sozialform des
    Hauses,
        Gemeinschaften in Städten wie Korinth;       Neue Ökumene: Der Freund in Chile weiß mehr über mich als meine Nachbarin zuhause.   Foto: pixabay - Gerd Altmann

        sodann in Landschaften wie Syrien oder
    Zilizien;                                        Wortsinn – ökumenische, also den ganzen               nen übliche öffentlich-rechtliche Dienstver-
        die den ganzen bewohnten Erdkreis um­        bewohnten Erdkreis umfassende Dimension an            hältnis in Frage stellt. Öffentlich-rechtliche
    fassende Ökumene.23                              Gewicht. Traditionelle, am Nahraum orientierte        Dienstverhältnisse haben – abgesehen von
    Auch heute bestimmt die sog. multilokale         Gliederungsformen wie die Kirchengemeinden            dem Problem dauerhafter Finanzierung (Pen-
    Mehrgenerationenfamilie,24 eine moderne          verlieren durch die digitalisierte Kommunika-         sionen!) – den großen Vorzug der Bestän-
    Fortentwicklung des Hauses – durch vielfäl­      tion für viele Menschen an Bedeutung.26               digkeit und Verlässlichkeit. Kommunikati-
    tige Kontakte in Social Media ergänzt und        Dazu tritt eine – in ihrem Ausmaß bisher              onstheoretisch formuliert agieren Beamte
    erweitert25 –, die wichtigsten Lebensvollzüge.   kaum wahrgenommene – kommunikative                    im Modus der Autorität – und dieser benö-
    Weiter gewinnt, vermittelt durch Reisen, aber    Veränderung, die die staatsanaloge Struktur           tigt Verlässlichkeit und Unparteilichkeit. Dass
    auch elektronische Kommunikation, die – im       von Kirche, nicht zuletzt das für Pfarrer*in-         dabei schnell der Eindruck von mangelndem

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persönlichem Engagement aufkommen kann,          4. Transformationen bei der                      betreffen. Sie hängen jeweils mit der nicht
zeigen die sog. Beamten-Witze drastisch.27          Kommunikation des Evangeliums                 nur zahlenmäßigen Marginalisierung der
Religionssoziologen machen zudem darauf                                                           Großkirchen in unserer Gesellschaft zusam-
aufmerksam, dass sich der Modus der reli-        Es ist wohl unstrittig, dass die Förderung der   men. Auch dies sei jeweils an einem Beispiel
giösen Kommunikation gegenwärtig ver-            Kommunikation des Evangeliums die heraus-        kurz gezeigt:
schiebt bzw. verschoben hat, und zwar vom        ragende Aufgabe evangelischer Kirchen ist.       Im liturgischen Bereich lässt sich eine Auf­
Modus der Autorität zu dem der Authenti-         Sie vollzieht sich in der Nachfolge Jesu von     lösung der konfessionellen Distinktionen
zität.28 Authentizität bezeichnet dabei nicht    Nazareth. Dieser kommunizierte das Evan-         beob­achten. Bei Kasualien sind nur noch sel­
eine psychologische Befindlichkeit, sondern      gelium vornehmlich in drei Modi:                 ten die mitfeiernden Verwandtschaften kon­
eine kommunikationstheoretische Form.                in gemeinschaftlichen Feiern, vor allem in   fessionell homogen. Häufig setzen sich die
Demnach bestimmt heute meist nicht mehr          Form von grundsätzlich inklusiven Mahl­zeiten,   Kasualgemeinden aus Menschen unter­
die Gewährleistung autoritativer Lehre, son-         in Lehr- und Lernprozessen, wie sie wohl     schiedl­icher konfessioneller und religiöser bzw.
dern die authentische, also auf die konkrete     am deutlichsten und wirkmächtigsten in sei-      nichtreligiöser Ausrichtung zusammen. Die
Biografie bezogene Form religiöse, also auf      nen Gleichnissen zum Ausdruck kamen,             Zahl der (Ehe-)Paare nimmt zu, deren Partner
Transzendenz ausgreifende Kommunikation.             im Helfen zum Leben, wie es besonders        unterschiedlichen Konfessionen und auch
Beamte, eben auch Religionsbeamte, sind          anschaulich in seinen Heilungen überliefert      Religionen bzw. keiner Religion zugehören.
aber nicht durch besondere Authentizität         ist.30                                           Besonders ausgeprägt treten die konfessio-
charakterisiert, im Gegenteil: Bei ihnen tritt   Durch das Ineinander dieser Kommunika-           nellen Unterschiede im Bereich der elektroni-
der Bezug auf selbst Erlebtes hinter allgemein   tionsmodi gelang es Jesus, nicht nur seinen      schen Kommunikation zurück. Zwar zeichnen
feststehende Prozeduren zurück. Demgegen-        Zeitgenossen die Wirklichkeit auf Gottes lie-    etwa für die sonntäglichen ZDF-Fernseh-
über erscheint die Präsentation von Authen-      bendes Handeln hin durchsichtig zu machen.       gottesdienste jeweils konkrete Konfessionen
tischem, also nicht allgemein regelhaft          Der von ihm ausgehende Impuls bestimmt           verantwortlich. Bei den Rezipienten, mehr-
Feststellbarem, bei den meisten Menschen         die ganze Christentumsgeschichte, die als        heitlich über sechzig Jahre alt, spielt dage-
grundlegend für religiöse Kommunikation.         Versuch verstanden werden kann, diese von        gen die Konfessionszugehörigkeit kaum eine
Vielleicht ist von diesem Wandel her – neben     Jesus ausgehende Kommunikation immer             Rolle.31 Ein „guter“ evangelischer Gottes-
anderen Gründen wie den diversen Miss-           wieder von Neuem zu kontextualisieren.           dienst erbaut katholische Christen ebenso
brauchsfällen – auch das rapide Absinken         In allen drei Modi der Kommunikation des         wie umgekehrt. Aber auch: Ein „schlechter“
des Ansehens von „Pfarrer / Geistlichem“ in      Evangeliums vollziehen sich seit einiger Zeit    evangelischer Gottesdienst führt zu Miss-
der Allensbacher Berufs-Prestige-Skala in        in Deutschland Transformationen, die teils       stimmungen über „Kirche“ bei den Angehö-
den letzten Jahren zu erklären.29                direkt, teils indirekt die kirchliche Arbeit     rigen anderer Kirchen. Hier zeichnen sich also

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konfessions- und vielleicht bereits ansatz-      gabung in einer Klasse gemeinsam lernen         5. Kirche in unterschiedlichen Logiken
     weise religionsübergreifende Kommunika-          können, warum soll dies für evangelische
     tionsgemeinschaften ab, die herkömmliche         und katholische Schüler*innen im Religions-      Heutige Kirchentheorien stoßen auf pluri­
     Kirchenmitgliedschaftsregelungen hinter sich     unterricht unmöglich oder nur unter kompli-     forme, in ihrer Handlungslogik teilweise
     gelassen haben.                                  zierten Bedingungen gestattet sein?34 Dazu      widersprüchliche Äußerungsformen von
     Ähnliche Entwicklungen vollziehen sich im        tritt, dass in bestimmten Schulformen und        Kirche. Eberhard Hauschildt fasste entspre-
     Bildungsbereich. So wird – rechtlich gesehen     Regionen die einer der beiden großen Kirchen     chende Befunde in der Metapher „Hybrid Kir-
     – schulischer Religionsunterricht in den meis-   angehörenden Kinder die Minderzahl in einer      che“ zusammen.36 Je nach Perspektive und
     ten deutschen Bundesländern konfessionell        Klasse bilden.                                   Interesse erscheint demnach Kirche als In­­
     erteilt.32 Tatsächlich aber finden sich ganz     Schließlich sind ähnliche Tendenzen auch im     stitution, als Organisation oder als Bewegung.
     unterschiedliche Modelle, die auch das neue      Bereich des Helfens zum Leben zu beobach-        Kirche als Institution ist das Modell, in dem
     Modell der konfessionellen Kooperation           ten. So vollzieht sich Seelsorge zunehmend in    die gegenwärtigen kirchenrechtlichen
     überschreiten.33 Die traditionelle konfessio-    Form von Spezialisierungen, die sich keiner     Bestimmungen mit ihrer staatsanalogen
     nelle Bestimmung des Religionsunterrichts        kirchlichen, sondern einer lebensweltlichen     Struktur loziert sind. Zur hier tragenden In­­
     erweist sich nicht zuletzt aus pädagogischen     Logik verdanken. Stichworte wie Kranken-        stitutionslogik gehört die „Dominanz der dis-
     Gründen als beschwerlich.                        haus-, Notfall-, Schul-, Telefon- oder Urlau-   tanzierten Kommunikation“.37 Ihr entspricht
     Seit dem Beitritt Deutschlands zur UNO-Kon-      berseelsorge zeigen dies eindrücklich. Hier      die Ausrichtung auf eine flächendeckende
     vention für die Rechte behinderter Menschen      stehen konkrete Lebenssituationen im Vor-       Versorgung, eine verlässliche Personalstruk-
     2009 rückt der gemeinsame Unterricht für         dergrund, in denen Menschen einander bei-       tur sowie ein allgemeines Finanzierungs­
     alle Schülerinnen und Schüler jenseits bis-      stehen. Dabei treten die konfessionellen und    wesen wie die Steuer.
     heriger Distinktionen in den Fokus pädago-       teilweise religiösen Differenzen in den Hin-     Demgegenüber ist Kirche als Organisation
     gischer Arbeit. Die Umstellung auf inklusiven    tergrund. Es ist zu beobachten, dass diese      zielorientiert ausgerichtet. Sie agiert auf
     Unterricht versucht der wachsenden Hetero-       Formen des Helfens zum Leben sich etwa           einem Markt und wirbt für ihre Angebote.
     genität von Lebensformen in unserer plura-       ebenso wie kirchlich getragene, aber für alle    Dazu gehören Schwerpunktbildungen, Arbeit
     listischen Gesellschaft Rechnung zu tragen.      Menschen offene Beratungsstellen allgemei-       in Pro­jektform mit flexiblen Be­schäftigungs­
     Die konfessionellen Differenzen, die bisher      ner, über die Grenzen der Kirchenmitglied-      verhältnissen und eine zielbe­zogene Fi­nan-
     die Organisation des Religionsunterrichts        schaft hinausreichender Akzeptanz erfreuen.     ­­zierung etwa über Fundraising oder Pro­jekt-
     bestimmten, erscheinen demgegenüber als          Offenkundig setzt das Helfen zum Leben ele-     ­anträge.
     Relikte der Vergangenheit. Wenn ein Kind         mentarer an als konfessionelle oder religiöse   Schließlich begegnet Kirche als Bewegung.
     mit Trisomie 21 und eines mit sog. Hochbe-       Distinktionen.35                                 Hier dominieren Gruppen mit „Zuneigungs-

10                                                                                                                                           ru intern
fühlen sie sich dem Christlichen weiterhin
                                                                                                              geistlich verbunden, folgen also der Logik
                                                                                                              der Bewegung. Schließlich können sie sich –
                                                                                                              wie Studien zu Wiedereintritten ergaben40 –
                                                                                                              aber später wieder einer Institutionenlogik
                                                                                                              verpflichtet fühlen. Sie treten dann – etwa
                                                                                                              anlässlich einer Kasualie im Familienkreis –
                                                                                                              wieder in die Kirche ein, ohne aber an einer
                                                                                                              näheren Beziehung etwa zu einer Kirchen-
                                                                                                              gemeinde interessiert zu sein.
                                                                                                              Bezieht man die im Vorhergehenden skiz-
                                                                                                              zierten Veränderungen auf die Sicht von Kir-
                                                                                                              che als Hybrid, fällt auf, dass offenkundig der
                                                                                                              bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts
                                                                                                              dominante Institutionencharakter an Bedeu-
                                                                                                              tung verliert, die Organisations- und Bewe-
Wie stark muss Kirche sich ändern, um immer wieder neu die Botschaft des Jesus von Nazareth zu uns            gungslogik dagegen Raum gewinnen. Empi-
Menschen zu tragen.                                                                Foto: pixabay - sik-life   rische Befunde lassen vermuten, dass diese
                                                                                                              Entwicklung noch einmal in den verschie-
und Angleichungsdynamiken“.38 Dauer und            einer durchgängigen organisatorischen Ziel-                denen Generationen, aber auch in einzelnen
Verlässlichkeit treten ebenso wie Planungen        realisierung ebenso wie das eines durchgän-                Regionen unterschiedlich ausgeprägt ist –
eher in den Hintergrund. Rechtliche Regelun-       gig institutionalisierten Sinns oder das einer             was vor allem größere Planungen erschwert.
gen erscheinen bei diesem Kirchenverständ-         durchgängig intensiven personalen Interak-                 In dieser Situation ist es entlastend, sich
nis als formal und wenig hilfreich.                tion sind nicht miteinander vereinbar.“39                  theologisch auf die reformatorische Erkennt-
Offenkundig stehen die mit diesen drei Typen       Das gilt aber nur auf der strukturellen Ebene.             nis vom Assistenzcharakter von Kirche zu
von Kirche verbundenen Logiken teilweise           Tatsächlich folgen manche Menschen in                      beziehen. Im Vordergrund der für die Refor-
gegeneinander und können nicht in einer            ihrem Leben jeder dieser Logiken. Sie ver-                 mation zentralen Rechtfertigungsbotschaft
kohärenten Kirchentheorie zusammenge-              lassen dann z.B. nach der Organisationslogik               steht die Beziehung Gottes zu jedem einzel-
fasst werden. Hauschildt und Uta Pohl-Pata-        die Kirche, weil ihnen der Kirchensteuerauf-               nen Menschen. Erst hiervon abgeleitet ergibt
long konstatieren zu Recht: „Das Programm          wand nicht gerechtfertigt erscheint. Zugleich              sich die besondere Beziehung zwischen Men-

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schen, die herkömmlich als Kirche bezeich-           1   Siehe zum Folgenden ausführlicher Christian Grethlein,         Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh

      net wird.                                                Kirchentheorie. Kommunikation des Evangeliums im              2015, 489.

      Biblisch erweitern Herrenworte wie Mt 18,20              Kontext, Berlin 2018.                                       10 Siehe z.B. den eindrücklichen diesbezüglichen Graphen

      sowie die Weltgerichtsrede des Menschen-             2 Siehe Ulrich Beck, Die Metamorphose der Welt, Berlin             zur Teilnahme am Sonntagsgottesdienst zwischen

      sohn in Mt 25 mit ihrer christologischen                 2017.                                                          1963 und 1974 in: Amtsblatt der EKD. Statistische

      Deutung der Werke der Barmherzigkeit die             3 „Evangelisch“ wird hier und im Folgenden groß ge­                Beilage Nr. 49 (H. 9 vom 15.9.1976), 10.

      traditionellen Vorstellungen von Kirche und              schrieben, wenn der Bezug auf die verfasste Kirche im       11 Siehe Evangelische Kirche in Deutschland (Hg.), Zahlen
                                                               Vordergrund steht; „evangelisch“ wird klein geschrie-          und Fakten zum kirchlichen Leben, Hannover 2015, 15.
      Gemeinde. Die erwähnte Pluriformität von
                                                               ben, wenn der theologische Bezug auf das Evangelium         12 Siehe Michael Ebertz, Einseitige und zweitseitige litur-
      Ekklesia im Neuen Testament unterstreicht
                                                               betont werden soll.                                            gische Handlungen. Gottes-Dienst in der entfalteten
      dies ebenso wie der Blick auf die Modi der
                                                           4 Für die Schweiz arbeitet dies eindrücklich heraus Jörg           Moderne, in: Benedikt Kranemann/Eduard Nagel/
      Kommunikation des Evangeliums im Auftre-
                                                               Stolz / Judith Könemann / Marrory Schneuwly Purdie /           Elmar Nübold (Hg.), Heute Gott feiern. Liturgiefähigkeit
      ten und Wirken Jesu.
                                                               Thomas Englberger / Michael Krüggeler, Religion und            des Menschen und Menschenfähigkeit der Liturgie,
     „Kirche“ – wörtlich: der Bereich, der zum
                                                               Spiritualität in der Ich-Gesellschaft. Vier Gestalten des      Freiburg 1999, 14 – 38.
      Herrn gehört – ist weiter als das, was heute
                                                               (Un-)Glaubens, Zürich 2014, v.a. 53 – 56.                   13 Georg Gänswein, Sonntagspflicht, in: LKStKR Bd. 3
      umgangssprachlich – und in kirchlichen
                                                           5 Siehe hierzu grundsätzlich Hans Joas, Glaube als                 (2004), 567 f., 567.
     Ver­lautbarungen – als „die Kirche“ oder „die
                                                               Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums,             14 Christian Albrecht, Kasualtheorie (PThGG 2), Tübingen
      Gemeinde“ bezeichnet wird. Ich vermute
                                                               Freiburg 2012.                                                2006, 5.
      sogar, dass die umgangssprachlich so be­
                                                           6 Siehe Michael Ebertz / Monika Eberhardt / Anna Lang,          15 Siehe Emilia Handke, Religiöse Jugendfeiern „zwischen
     zeichneten Sozialformen nicht nur lebens-
                                                               Kirchenaustritt als Prozess: Gehen oder bleiben. Eine          Kirche und anderer Welt“. Eine historische, systema-
      weltlich, sondern auch theologisch an                    empirisch gewonnene Typologie (KirchenZukunft kon-             tische und empirische Studie über kirchlich (mit)ver-
      Bedeutung für das verlieren, was im Neuen                kret 7), Berlin 2012, 171.                                     antwortete Alternativen zur Jugendweihe (APrTh 65),
     Testament mit „Ekklesia“ bezeichnet wird und          7 Siehe die entsprechende Tabelle der für Deutschland              Leipzig 2016.
      heute zunehmend in institutionsunabhängi-                repräsentativen Shell-Jugendstudie (Shell Deutschland       16 Siehe die diesbezügliche eindrückliche Statistik in
      gen Netzwerken begegnet.41                               Holding (Hg.), Jugend 2015. Eine pragmatische Gene­           Tabellenform in: Karl-Wilhelm Dahm, Pfarrer/Pfarrerin
                                                               ration im Aufbruch, Frankfurt 2015, 177).                      VI. Statistisch, in: RGG4 Bd. 6 (2003), 1204 – 1212, 1205 f.
     Christian Grethlein,                                  8 Siehe das diesbezügliche Themenheft „Wiedereintritt           17 Siehe – auch zu der hiermit verbundenen genderspe-
        Jahrgang 1954, Pfarrer der Evangelisch-Luther.         in die Kirche“ (PTh 102, 2013/1).                              zifischen Perspektive – Christian Grethlein, Pfarrer/
        Kirche in Bayern, seit 1997 Professor für Prakt.   9 Siehe Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.),               in – ein theologischer Beruf, in: Markus Iff / Andreas
        Theologie an der Evangelisch-Theol. Fakultät in        Vernetzte Vielfalt. Kirche angesichts von Indivi­              Heiser (Hg.), Berufen, beauftragt, gebildet – Pastorales
        Münster.                                               dua­li­sie­r ung und Säkularisierung. Die fünfte EKD-          Selbstverständnis im Gespräch. Interdisziplinäre und

12                                                                                                                                                                              ru intern
ökumenische Perspektiven (BThSt 131), Neukirchen-           Media Perspektiven 2015/9, 366 – 377.                        34 Siehe z.B. Joachim Weinhardt, Konfessionell-koope­
   Vluyn 2012, 108 – 126, 117 f.                            26 Siehe Christian Grethlein, Kommunikation des Evan­              ra­tiver Religionsunterricht in Baden-Würt­tem­berg,
18 Siehe die Hinweise von Jan Hermelink, „Gemeinde“            geliums in der digitalisierten Gesellschaft. Kir­chen­          in: Bernd Schröder (Hg.), Religions­unterricht – wohin?
  – oder lieber doch nicht? Die ‚fresh expressions of          theoretische Überlegungen, in: ThLZ 140 (2015),                 Modelle seiner Organisation und didaktischen Struktur,
   Church‘ markieren alte und neue Probleme mit dem            598 – 611.                                                      Neukirchen-Vluyn 2014, 19 – 30.
   Gemeindebild, in: PrTh 53 (2018), 38 – 43, 41 auf        27 Zum Beispiel: Treffen sich zwei Beamte auf dem Flur,         35 Siehe die entsprechende Tabelle zur hohen Ak­zep­
   die Verfassung der Evangelischen Kirche in Mittel­          sagt der eine: „Machen wir jetzt Mittag oder schlafen           tanz diakonischen Handelns weit über die Kir­chen­
   deutschland sowie den Verfassungsentwurf der Han­           wir gleich durch?“                                              mitglieder hinaus in: Gert Pickel, Sozialkapital und
   nover­schen Landeskirche.                                28 Siehe Armin Nassehi, Religiöse Kommunikation: Reli­             zivilgesellschaftliches Engagement evangelischer
19 Siehe zu den Einnahmen der Evangelischen Kirche             gions­soziologische Konsequenzen einer qualitativen             Kirchenmitglieder, in: Heinrich Bedford-Strohm /
   in Deutschland und ihrer Gliedkirchen die Tabelle           Untersuchung, in: Bertelsmann Stiftung (Hg.), Woran             Volker Jung (Hg.), Vernetzte Vielfalt. Kirche angesichts
   in Karin Bassler, Kirchenfinanzen im Umbruch, in:           glaubt die Welt? Analysen und Kommentare zum                    von Individualisierung und Säkularisierung. Die fünfte
   Jan Hermelink / Thorsten Latzel (Hg.), Kirche empi-         Reli­gions­monitor 2008, Gütersloh 2009, 169 – 203,             EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh
   risch. Ein Werkbuch zur vierten EKD-Erhebung über           188 – 190.                                                      2015, 279 – 301, 293.
   Kirchenmitgliedschaft und zu anderen empirischen         29 Siehe zu den einzelnen Befunden genauer Christian            36 Eberhard Hauschildt, Hybrid evangelische Großkirche
   Studien, Gütersloh 2008, 313 – 328, 319.                    Grethlein, Praktische Theologie, Berlin ²2016, 484 f.           vor einem Schub an Organisationswerdung. Anmer­
20 Siehe ausführlich und detailliert Jan Hermelink, Das     30 Ausgeführt a.a.O., 256 – 327.                                   kungen zum Impulspapier „Kirche der Freiheit“ des
   Pfarrdienstgesetz der EKD – in praktisch-theologi-       31 Siehe Charlotte Magin / Helmut Schwier, Kanzel, Kreuz           Rates der EKD und zur Zukunft der evangelischen
   scher Perspektive, in: ZevKR 57 (2012), 263 – 285.          und Kamera. Impulse für Gottesdienst und Predigt                Kirche zwischen Kongregationalisierung, Filialisierung
21 Welt.de vom 3.3.2015.                                       (Beiträge zu Liturgie und Spiritualität 12), Leipzig 2005.      und Regionalisierung, in: PTh 96 (2007), 56 – 66.
22 Siehe Nadine Bös, Drei Millionen Menschen pendeln in     32 Siehe genauer zum Einzelnen Martin Rothgangel /              37 Eberhard Hauschildt / Uta Pohl-Patalong, Kirche
   andere Bundesländer, in: faz.net vom 17.2.2016.             Bernd Schröder (Hg.), Evangelischer Religionsunterricht         (Lehrbuch Praktische Theologie 4), Gütersloh 2013, 216.
23 Siehe am Beispiel Paulus Hans-Joachim Eckstein,             in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland.               38 A.a.O., 217.
   Gottesdienst im Neuen Testament, in: ders. / Ulrich         Empirische Daten – Kontexte – Entwicklungen, Leipzig         39 A.a.O., 217.
   Heckel / Birgit Weyel (Hg.), Kompendium Gottesdienst,      2009.                                                         40 Siehe Norbert Ammermann / Christian Grethlein,
   Tübingen 2011, 22 – 41, 40.                              33 Besonders fortgeschritten ist diese Entwicklung                 Kirche der Wiedereingetretenen – eine kirchentheo-
24 Siehe Hans Bertram, Soziologie der Familie, in: Sozio­      im Bereich des Berufsschulreligionsunterrichts,                 retische Reflexion zur Münsteraner Befragung, in: PTh
   logische Revue 22 (1999), H. 4, 15 – 24.                    s. z.B. Albert Biesinger u.a. (Hg.), Gott – Bildung –           102 (2013), 14 – 19, 17 – 19.
25 Siehe Beate Frees / Wolfgang Koch, Internetnutzung:         Arbeit. Zukunft des Berufsschulreligionsunterrichts          41 Siehe z.B. Kristin Merle, Religion in der Öffentlichkeit.
   Frequenz und Vielfalt nehmen in allen Altersgruppen         (Glaube – Werte – Interreligiosität. Berufsorientierte          Digitalisierung als Herausforderung für kirchliche
   zu. Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2015, in:           Religionspädagogik), Münster 2013.                              Kommunikationskulturen (PThW 22), Berlin 2019.

2 / 2020                                                                                                                                                                                   13
EIn kritischer Zwischenruf                                                                          moderne Jeanne d’Arc zu etikettieren oder sie,
                                                                                                         wenn einem, wie Johannes Schneider in der

     Religion und Klimaschutz
                                                                                                         Zeit, Anleihen in der griechischen Mytholo-
                                                                                                         gie lieber sind, mit dem unverwundbaren
                                                                                                         Prometheus zu vergleichen, mag nicht ganz
                                                                                                         aus der Luft gegriffen sein.
     Klimapolitik – die Religion der Zukunft?           weniger Prometheus als Sisyphos, der sich bei    Schließlich verehren sie auch manche ihrer
                                                        Albert Camus dem Absurden stellt und gegen       Anhänger und Sympathisanten als moderne
     „Der Geist der Zeit oder Zukunft“, notierte Lud-   es revoltiert. Ich meine, im Zeichen globaler    Prophetin, zum Beispiel die Fraktionsvorsit-
      wig Feuerbach 1842/1843, „ist der des Realis-     Gefahren sei Camus als Gesprächspartner der      zende der Grünen im Deutschen Bundestag,
      mus. Die neue Religion, die Religion der Zu­      Theologie wiederzuentdecken.                     die Thunberg in einer Kanzelrede mit dem
      kunft ist die Politik.“ Seine Prophezeiung                                                         alttestamentlichen Propheten Amos vergli-
      scheint sich in den gegenwärtigen Debatten        Apokalyptik und Wissenschaftsgläubigkeit         chen hat. Der Würzburger Bischof Franz Jung
       und politischen Auseinandersetzungen um                                                           zog eine Parallele zwischen Greta Thunberg
       den Klimawandel zu erfüllen. Gegenwärtig wird    Man kann das Ausmaß des Klimawandels und         und David im Kampf gegen Goliath, Die Zeit
      viel darüber geschrieben und gestritten, ob       seine von Menschen zu verantwortenden            fühlte sich durch Thunbergs Wutrede beim
       die neue Ökologiebewegung zum Schutz des         Faktoren durchaus für eine ernstzunehmende       UN-Klima-Gipfel in New York unpassender-
      ­Klimas eine Form von Ersatzreligion darstellt.   Gefahr halten, ohne deshalb unbesehen apo-       weise an Luthers Auftritt auf dem Reichstag
     Auch die Kirchen haben sich dem Klimaschutz        kalyptische Narrative zu bemühen, wie dies       zu Worms erinnert, und der Berliner Erzbi-
      verschrieben. Der biblische Schöpfungs-           bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren         schof Heiner Koch verstieg sich gar zum Ver-
      glaube ist aber nicht mit einem Weltrettungs-     geschehen ist. Schon damals stellte der Lite-    gleich der Freitagsdemos für Klimaschutz mit
       programm zu verwechseln, das allein auf den      raturwissenschaftler Klaus Vondung zutref-       Jesu Einzug in Jerusalem.
      Schultern der Menschen ruht. Ein Glaube, der      fend fest: „Die Bedrohung unserer Lebens-        Die junge Schwedin, wie schon häufig ge­
      nicht mehr mit dem Wirken Gottes in der Welt      welt ist eine Sache, eine andere die Angst vor   schehen, bloß wegen ihrer Zöpfe stattdes-
       und in der Geschichte rechnet, ist ein prakti-   dem Weltuntergang, und noch eine andere          sen als neue Pippi Langstrumpf zu titulieren,
      scher Atheismus, wie Feuerbach sagt.              die Art und Weise, in der sich die Angst         ist allerdings platt. Ihre Persönlichkeit und
      Christlicher Glaube ist Mut zum fraglichen        äußert, in der man über sie redet und sie zu     Wirkung werden dadurch erst recht nicht
      Sein, der selbst am Zerbrechen einer heils-       bewältigen sucht.“                               schlüssig erklärt.
      geschichtlich-utopischen Perspektive nicht        Greta Thunberg wahlweise als humorlose           Die positiv oder negativ gemeinte Gleichset-
       irre wird. In seiner Daseinshaltung ähnelt er    Prophetin eines neuen Klimagottes oder als       zung Thunbergs mit einer modernen Prophe-

14                                                                                                                                             ru intern
tisch kann solche Wissenschaftsgläubigkeit,
                                                                                                             gepaart mit einem moralischen Rigorismus,
                                                                                                             Gefahren für eine freiheitliche Gesellschaft
                                                                                                             und ihren sozialen Zusammenhalt herauf-
                                                                                                             beschwören, weil die Kosten, die für rigorose
                                                                                                             umweltpolitische Maßnahmen zu zahlen
                                                                                                             sind, in der Gesellschaft möglicherweise sehr
                                                                                                             unterschiedlich verteilt werden.

                                                                                                             Engagement und Realismus

                                                                                                             Der Einsatz für eine konsequente Klimapo-
                                                                                                             litik ist nötig und sinnvoll. Die hehren Ziele
Selbstüberschätzung oder notwendige Dramatisierung: Wer hält die ganze Welt in seiner Hand?                  des Pariser Klimaschutzabkommens werden
                                                                                Foto: pixabay - NiklasPntk   vermutlich dennoch nicht erreicht werden.
                                                                                                             Das Wachstum der Weltbevölkerung und ihr
tin ist hingegen zu oberflächlich, muss man        An der Bewegung Fridays for Future fällt wie-             steigender Energiehunger werden die sich
doch religionssoziologisch zwischen dem            derum ihre Wissenschaftsgläubigkeit auf.                  hoffentlich einstellenden Erfolge beim Kli-
Typus des Heiligen und dem des Charisma-           Nicht, dass ich die Seriosität der Klimafor-              maschutz wieder aufzehren. Wer das Wohl
tikers unterscheiden, worauf der Soziologe         schung und ihrer verschiedenen Szenarien                  künftiger Generationen im Blick hat, muss
Hans Joas hingewiesen hat.                         grundsätzlich in Abrede stellen möchte, aber              sich auch dieser Realität stellen. Es bleibt eine
Inwiefern man im vorliegenden Fall dennoch         die ihr zugebilligte Rolle als Letztinstanz in            Gratwanderung, einerseits zu versuchen, den
von quasireligiöser Verehrung und von der          politischen Fragen räumt ihr eine quasi­                  Klimawandel einzubremsen, und andererseits
Klimaschutzbewegung als moderner Reli-             religiöse Stellung ein, die an den Positivis-             Maßnahmen zu ergreifen, wie wir mit ihm
gion sprechen kann, ist jedenfalls eine weit       mus des 19. Jahrhunderts, aber auch an den                einigermaßen zurechtkommen können.
komplexere Frage, als manche Beobachter            Marxismus-Leninismus erinnert, der doch
meinen. Radikalität und kompromissloser            ebenfalls der Überzeugung war, auf streng                 Ulrich H. J. Körtner
Rigorismus, der religiöse Züge trägt, zeich-       wissenschaftlicher Basis zu agieren, und sein                Professor für Systematische Theologie
nen allerdings Teile der Klimaschutzbewe-          revolutionäres Programm für alternativlos                    (Reformierte Theologie) an der Evangelisch-
gung aus.                                          hielt. Demokratiepolitisch und sozialpoli-                   Theol. Fakultät der Universität Wien

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SKOLSTREJK FÖR KLIMATET – oder:

     Ist Greta eine Prophetin?
     Unterrichtsbausteine im Kontext eines Un­terrichts-      „Our House is on fire – Unser Haus brennt noch   Meine Ideen für Unterrichtsbausteine fo­kus-
     vorhabens zum inhaltlichen Schwerpunkt „Prophe-         immer, eure Politik füttert die Flammen.“ So      sieren stattdessen auf die Frage „Ist Greta
     tischer Protest“ (Lehrplan Ev. Religionslehre G9neu)    ihre Vorwürfe im Januar 2020 auf dem Welt-        eine Prophetin?“ und stellen ihre Person in
     und „Verantwortung für eine andere Gerechtigkeit        wirtschaftsforum in Davos. Diesmal erreichte      den Kontext eines Unterrichtsvorhabens
     in der einen Welt“ (Lehrplan Ev. Religionslehre GE/     sie das Treffen der Größten aus Wirtschaft        zum Thema „Propheten – damals und heute“.
     RS/SE/HS)                                               und Politik mit einer langen Bahnfahrt von        Ihre Person aktualisiert das Thema Prophetie
                                                             Schweden in die Schweiz.                          und macht es für Schüler*innen lebenswelt-
     Skolstrejk för Klimatet – mit diesen Worten auf         Ihre markigen Worte stellen die Medien spä-       lich und lebensgeschichtlich relevant.
      einem einfachen Pappschild begann im August            ter in eine Reihe zu Martin Luther Kings Satz     Wie die alttestamentliche Prophetie fällt
     2018 die damals 15-jährige Schwedin Greta              „I have a dream …“ oder Barak Obamas „Yes,         Gretas Engagement gegen den Klimawandel
     Thunberg ihren Protest vor dem schwedischen             we can“. Greta Thunberg gilt als Vorbild und      nicht einfach vom Himmel, sondern ergibt
      Parlament in Stockholm gegen die Folgen des            Begründerin der „Fridays for Future“-Be-          sich aus einer klaren gesellschaftspolitischen
      Klimawandels. „Mir geht es um Klimagerechtig-          wegung, die 2019 weltweit Millionen junge         Reflexion.
      keit und um einen lebenswerten Planeten“, sagt         Menschen auf die Straßen gebracht hat und         Wie die Propheten macht sie eine Art Beru-
      sie im Dezember 2018 vor der UN-Klimakon-              derzeit wegen der Corona-Pandemie ihren           fungserfahrung, die ihr Umfeld wie Jeremia
      ferenz in Kattowitz, zu der sie mit ihrem Vater       „Schulstreik für das Klima“ online im Internet     in ihrer Kindheit lokalisiert, sie droht und
      mit einem Elektroauto angereist ist.                   fortsetzt.                                        mahnt wie der sozialkritische Prophet Amos
     „How dare you?“ – „Wie könnt ihr es wagen?“             Für eine Auseinandersetzung mit Greta             und setzt mit ihren Fahrten zu den Treffen der
      Mit diesen Worten attackiert sie ein dreivier-        Thunberg und der „Fridays for Future“-Be-          politisch und gesellschaftlich Verantwortli-
      tel Jahr später im September 2019 die Staats-          wegung könnte ein Platz in einem Unter-           chen auf symbolträchtige Zeichenhandlun-
      und Regierungschefs auf dem UN-Klimagipfel             richtsvorhaben zum Thema Schöpfung und            gen wie sie von Jeremia, Jesaja und Hosea
      in New York, zu dem sie auf klimafreundliche           Schöpfungsverantwortung als aktuelles             bekannt sind.
     Art mit einem solarbetriebenen Katamaran                Beispiel für eine verantwortliche Auseinan-       Und ihre Visionen einer Welt in 50 Jahren
      den langen Seeweg über den Atlantik auf sich           dersetzung mit dem Klimawandel gefunden           stellen sie in die Reihe von Unheilspropheten
      genommen hat.                                          werden.                                           und Apokalyptikern, auch dann, wenn ihr der

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Greta Thunberg in einer Reihe mit den Propheten, hier am Westportal des Straßburger Münsters?                             Foto: pixabay - guy dugas

 offensichtliche Bezug zu Gott und Religion        einem ersten Teil in die alttestament­liche   Personen wie Diet­   rich Bonhoeffer, Mar-
zu fehlen scheint, was ihr und der „Fridays        Prophetie ein. Die Beschäftigung mit den      tin Luther King, Nelson Mandela oder Oscar
for Future“-Bewegung den Vorwurf der Wis-          Prophetengestalten des Amos oder des Jesaja   Romero zu einem Vergleich von biblischer
senschaftsgläubigkeit eintrug.1                    sind Klassiker des RU.                        Prophetie und gegenwärtigem Engagement,
 Unterrichtsentwürfe und Schulbuchbeiträ­          Dienen in vielen Unterrichtsentwürfen zu      so wird in diesen Unterrichtsbausteinen zu
­ge zum Thema Prophetie führen zumeist in          diesem Thema dann bereits verstorbene         einer kritischen Auseinandersetzung mit

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Greta Thunberg angeregt und damit eine            -reden, Sozialkritik und Herrschaftskritik,        Kategorien thematisch sortiert und durch
     Person im Alter der Schüler*innen in den          Visionen und Zeichenhandlungen.4                   Mehrfachnennungen gewichtet. L heftet
     Fokus der Lernarbeit gestellt:                                                                       abschließend die Umrisse eines Redners8 in
     Die Schüler*innen erhalten die Lernchance, ihre   Baustein 1:                                        die Mitte der „Classroom Speakers Corner“.
     in der Auseinandersetzung mit der biblischen      Unsere Classroom Speakers Corner5                  Die Schüler*innen diskutieren die Frage: „Wie
     Prophetie angebahnten Kompetenzen auf das                                                            muss eine Rednerin / ein Redner auftreten,
     Reden und Handeln Greta Thunbergs zu bezie-       In diesem Baustein erhalten die Schüler*innen      damit sie / er für die Zuhörenden glaubwürdig
     hen. Sie geben begründet eine Antwort auf die     die Lernchance, ihr Vorwissen über aktuell dis-    wirkt, zum Zuhören motiviert und zur wei-
     Frage: „Ist Greta eine Prophetin?“                kutierte gesellschaftliche und politische Frage-   teren Auseinandersetzung mit dem Thema
     Der besondere Reiz dieser Auseinanderset-         stellungen zu benennen. Sie beurteilen, welche     anregt.“ Hier können u.a. Sachkenntnisse,
     zung liegt darin, dass nicht wie bei ande-        Voraussetzungen zu einer sachgerechten Aus-        Faktenwissen, aber auch Redeformen, Arti-
     ren Personen die Beurteilung aus der Sicht        einandersetzung mit diesen Themen notwen-          kulation und Körpersprache benannt werden.
     eines vollendeten Lebenswerks bereits             dig sind.                                          Die Schüler*innen knüpfen ggf. an die Rede-
     erfolgt ist. Diesen Personen wurde bereits                                                           formen an, die sie aus der Erarbeitung der alt-
     prophetisches Handeln attestiert. Bei der         IP: Die Lehrkraft (L) zeigt einige Bilder zum      testamentlichen Propheten kennen. Ergeb-
     Auseinandersetzung mit Greta Thunberg             Platz „Speakers Corner“.6 Die Schüler*innen        nisse werden auf andersfarbige Karteikarten
     geht es vielmehr darum, eine noch lebende         tragen ihr Vorwissen zu diesem Versamm-            um das Rednerbild geheftet.
     Person, deren ambivalente Wahrnehmung             lungsplatz des Vortrags freier Rede im Lon-
     sich zwischen einer Identifikationsfigur vie-     doner Hyde Park zusammen, L ergänzt wei-           Baustein 2:
     ler Jugendlicher und der ablehnenden Hal-         tere Informationen.7                               Greta Thunberg – wer ist das eigentlich?
     tung mancher etablierter Politiker2 und           EP: L richtet an einer Pinnwand oder Seiten-
     Medienvertre­tern3 bewegt, der kritischen         tafel eine „Classroom Speakers Corner“ ein.        In diesem Baustein erhalten die Schüler*innen
     Reflexion zu unter­ziehen.                        Die Schüler*innen erhalten den Arbeitsauf-         die Lernchance, sich Faktenwissen über die Bio-
     Die Unterrichtsbausteine setzen eine exem-        trag (AA) in Einzel- oder Partnerarbeit, The-      grafie von Greta Thunberg zu erarbeiten. Sie
     plarische Auseinandersetzung mit einer            men und Sachverhalte auf Karteikarten auf-         vergleichen die Darstellung eines besonderen
     oder mehreren Prophetengestalten der              zuschreiben, über die sie selbst informieren       Ereignisses ihrer Biografie mit den Berufungs-
     Bibel voraus, die Schüler*innen kennen            und aufklären würden oder mit Mitschü-             geschichten alttestamentlicher Propheten.
     sich ansatzweise mit den klassischen For-         ler*innen ins Gespräch kommen möchten.
     men und Inhalten prophetischen Handelns           BP: Die Karteikarten werden an der „Class­         IP: L verweist auf die „Classroom Spea-
     aus: Berufungsgeschichten, Drohworte und          room Speakers Corner“ gesammelt, nach              kers Corner“. Einzelne Schüler*innen fassen

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Greta Thunberg, „Fridays for Future“-Demo in Berlin 2019. Foto: wikimedia.com - Leonhard Lenz

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Ergebnisse der vorherigen Stunde zusam-             lung im Erklärvideo mit Auszügen aus den          klimakonferenz nach Kattowitz in Polen. Sie
     men. L ersetzt das Bild des Redners auf der         Berufungsberichten Jesaja 6, Jeremia 1,1–9,       fuhr mit einem klimafreundlichen Elektro-
     Pinnwand durch eine Fotografie von Greta            Amos 7,14–16.                                     auto. Vor der Konferenz hielt sie die folgende
     Thunberg mit ihrem Plakat „Skolstrejk för           BP: Im abschließenden Ple­   num werden           Rede.“ L zeigt ein Video der Kattowitzer Rede
     Klimatet“.9 In einem Brainstorming wird das         die Ergebnisse vorgestellt. L ergänzt den         Gretas.11
     Vorwissen über Greta Thunberg und ihre              Be­griff „Berufung“ und leitet ein Unter-         EP: Nach einer Spontanphase zu Inhalt und
     Kampagne zusammengetragen. Dabei wer-               richtsgespräch ein: „Ist das einschnei-           Vortragsart erhalten die Schüler*innen den
     den voraussichtlich bereits Beziehungen zu          dende Erlebnis im Leben von Greta eine            Redetext.12 Mit einer Form der kooperati-
     den Ergebnissen des Bausteins 1 hergestellt         Berufungsgeschichte wie bei den Prophe-           ven Textarbeit13 erarbeiten sie in Partnerar-
     und Begriffe wie Schulstreik, „Fridays for          ten? Was spricht dafür? Was spricht da­ge-        beit den Inhalt des Textes: Nach einem Lesen
     Future“- Bewegung, Klimawandel, CO2-Aus-            gen? Nimm Stellung und begründe deine             des Textes unterstreichen die Schüler*innen
     stoß usw. ergänzt.                                  Stellungnahme.“                                   in EA fünf Nomen und fünf Verben im Text,
     EP 1: L sagt: „Greta Thunberg – wer ist das                                                           die ihnen wichtig erscheinen (think-Phase).
     eigentlich? Warum macht sie den ‚Schulstreik        Baustein 3:                                       In PA stellen sich die Schüler*innen abwech-
     für das Klima‘“? Die Schüler*innen erarbeiten       Was Greta zu sagen hat!                           selnd Fragen zu ihren Hervorhebungen: „Ich
     in Kleingruppen an Erklärvideo 110 die Biogra-                                                        habe nicht verstanden, warum … Kannst du
     fie von Greta. Wichtige Ergebnisse werden im        Die Schüler*innen erhalten die Lernchance, sich   mir erklären, warum … Mir ist unklar, wie …“
     Plenum an der Pinnwand „Speakers Corner“            mit den grundlegenden Aussagen Greta Thun-        (pair-phase). Anschließend treffen sich je
     gesammelt.                                          bergs zum Klimawandel auseinanderzusetzen.        zwei Partnergruppen, vergleichen ihre Her-
     EP 2: L präsentiert im Plenum das Erklärvideo       Sie entdecken Redeformen der biblischen Pro-      vorhebungen und verfassen gemeinsam
     2, in dem ein Ereignis in der Schule als Auslöser   phetie in den Redebeiträgen Gretas auf Klima-     einen Text in Form einer Stellungnahme einer
     für ihr Engagement für den Klimaschutz              und Wirtschaftskonferenzen.                       Teilnehmer*in an der Konferenz in Kattowitz
     dargestellt wird. Im anschließenden Unter­                                                            (je ein Land aus einem der Kontinente), in der
     richtsgespräch bewerten die Schüler*in­             IP: L sagt: „Die Vereinten Nationen, auch         je fünf der Nomen und Verben aus der Rede
     nen das Ereignis mit den Begriffen: fixe Idee,      UN genannt, ist eine Organisation, in der         vorkommen sollen Die Berichte werden im
     einschneidendes Erlebnis, Coming out, Ein-          alle Länder unserer Welt vertreten sind. Seit     Plenum vorgetragen und kommentiert (sha-
     sicht, Entscheidung, normal/krank (Asperger         einigen Jahren veranstaltet die UN besondere      re-Phase). Deutlich könnten ablehnende und
     Autismus), besondere Erfahrung, Zusam-              Weltklimakonferenzen, auf denen diskutiert        zustimmende Haltung herausgestellt werden.
     menbruch, Lebenswende. In Kleingruppen              wird, was man gegen den Klimawandel tun           EP 2: L präsentiert die Rede Greta Thun-
     vergleichen die Schüler*innen die Darstel-          kann. 2018 reiste Greta Thunberg zur Welt-        bergs vor der UN-Klimakonferenz Septem-

20                                                                                                                                               ru intern
ber 2019.14 Die Schüler*innen vergleichen         zunächst aufgefordert, in EA eine eigene
Inhalt und Vortragsweise der Rede gegen-           Antwort auf diese Frage zu formulieren und
über der Rede von 2018.15 Sie notieren mar-        vorzutragen.16
kante Nomen (z.B.: Veränderung, leere Worte,       EP: In einer Reihe von Webblogs, Beiträgen
Massensterben) und Verben (z.B.: Wie könnt         in Internetzeitungen, Webcasts und Podcasts
ihr es wagen, wegschauen, gestohlen, nie           wird Greta als moderne Prophetin bezeichnet.
verzeihen). Deutlich kann die Vortragsart der      Die Schüler*innen stellen in Kleingruppen aus
Drohworte erfasst werden, verknüpft mit            Internetbeiträgen pro/Contra-Argumente
Faktenwissen und Unheilsvisionen. Die Schü-       zusammen, die für die These „Greta Thun-                            Hans Möhler
ler*innen ergänzen ihre in der EP 1 verfasste      berg ist eine moderne Prophetin!“ sprechen.       Gottes besondere Häuser
Stellungnahme der Ländervertreter.                 Je nach digitaler Kompetenz der Lerngruppe       Eine Reise zu den ungewöhnlichsten Kirchen der Welt
BP: L leitet eine fish-bowl-Diskussion ein, in     gibt L dazu die drei Recherche-Schlagworte
der zunächst einzelne Schüler*innen die in        „Greta Thunberg Prophetin“ für die Arbeit                            20,00 EUR
den Kleingrupppen verfassten Stellungnah-          vor oder hat vorbereitend eine Auswahl aus              152 Seiten, gebunden | 16,5 x 24,0 cm
                                                                                                                   ISBN 978-3-7858-0766-8
men vortragen und anschließend die Frage          Textbeiträgen und Videobeiträgen zusam-
diskutiert wird: „Soll man auf die Worte Gre-      mengestellt, aus denen die Schüler*innen        Ungewöhnliche Kirchen. Die eine ist nur über eine seilge-
tas reagieren – und wenn ja, wie?“                 auswählen.17                                    sicherte Kletterpartie zu erreichen, die an­de­re überflutet
                                                   BP: Die Schüler*innen präsentieren die          das Auge mit Farben. Kantige Stahl­kon­struktionen stehen
Baustein 4:                                        Ergebnisse ihrer Gruppenarbeit im Plenum.       neben liebevoll verzier­tem Holzdekor. Sie kommen schwim-
Greta Thunberg – eine moderne Prophetin?           Anschließend arbeiten die Schüler*innen in      mend daher oder werden über Bergwerkstollen erreicht.
                                                   EA an ihren Stellungnahmen zur These „Ist       70 Gotteshäuser öffnen ihre Pforten und erzählen kurzwei-
Die Schüler*innen erhalten die Lernchance, sich    Greta eine moderne Prophetin?“ aus der IP,
                                                                                                   lig Geschichten über außergewöhnliche Architekten, eigen-
mit der These „Greta ist eine moderne Prophe-      ergänzen, verändern oder versehen ihre bis-
                                                                                                   willige Gläubige und bemerkenswerte Ereignisse.
tin!“ auseinanderzusetzen und nehmen begrün-       herige Stellungnahme mit weiteren Begrün-
det zu dieser These Stellung.                      dungen. In Kleingruppen werden die Stel-
                                                   lungnahmen vorgetragen. Deutlich kann der                             Telefon: (05 21) 94 40 1 37
IP: L sagt: „Abschließend zu unserer Ausein-       fehlende Gottesbezug in Greta Thunbergs                               Fax: (05 21) 94 40 1 36
andersetzung mit Greta Thunberg wollen wir         Engagement in einer Schlussrunde heraus-        Cansteinstr. 1        E-Mail: vertrieb@luther-verlag.de
eine Antwort finden auf die Frage „Ist Greta       gestellt werden. Wenn es möglich ist, kann      33647 Bielefeld       Internet: www.luther-verlag.de
eine Prophetin?“ Die Schüler*innen werden          über eines der sozialen Medien, auf denen
                                                                                                                                                         Anzeige

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