Informationen und Tipps für Pflegende zum Umgang mit Auswirkungen der Wetterextreme
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Pflege im Umgang mit dem Klimawandel Inhalt Einführung 02 Health for Future 04 Wetter als Gesundheitsrisiko 06 Klimawandel, Blutdruck und Flüssigkeitshaushalt … 06 Herzkrank im Klimawandel: Wie schütze ich mich? 07 Infektionen sind in warmen Monaten häufiger 08 Lungenkrankheiten, Allergien und Klimaänderungen 09 Klimawandel aus Sicht der hausärztlich tätigen Internisten 10 Klimawandel und Pflege 11 Impulse und Empfehlungen der DBfK-Expertengruppen 11 Nebenwirkungen von Arzneimitteln bei Hitze 14 Was sagen Expert/innen? 15 ICN Positionspapier 17 Fazit 18 Links zur Vertiefung 20
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel Informationen und Tipps für Pfle- gende zum Umgang mit Auswir- kungen der Wetterextreme Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Klima und Gesundheit - und so haben die Auswirkungen des Klimawandels auch direkten Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden von Menschen. Für die Versorgung von Personen mit Pflegebedarf ist das Thema deshalb höchst relevant.
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel Einführung Schmelzender Asphalt auf Autobahnen, Fischsterben, belegen. Seit dem Jahr 2000 hat es 7 Jahrgänge ge- Waldbrände, ausgetrocknete Äcker und Böden, hung- geben, in denen die Anzahl der Tage mit einem Luft- rige Weidetiere, vorzeitig kahle Bäume, extrem niedri- temperatur-Maximum über 30° Celsius (im Gebietsmit- ge Pegel in Flüssen und Seen - der Hitzesommer tel) zweistellig war. Die bisher extremsten Sommer 2018 liegt noch nicht lange zurück und ist vielen Men- waren 2003 mit 19,01 und 2018 mit 20,4 Hitzetagen. schen sicherlich in bleibender Erinnerung geblieben. In der langfristigen Beobachtung zeichnet sich die Zu- Auch das Folgejahr 2019 war heiß und trocken, es nahme der Sommertage mit mehr als 30° und die kür- scheint sich allmählich ein Trend abzuzeichnen, den zer werdenden Abstände zwischen sehr heißen Som- viele Expert/innen auf den weltweiten Klimawandel mern deutlich erkennbar ab, wie diese Grafik aus dem zurückführen. Umweltbundesamt zeigt. Sie stützt sich auf Daten des Der Deutsche Wetterdienst kann dies auch mit Daten Deutschen Wetterdienstes, mitgeteilt am 29.11.2019. Klimawandel, Klimaschutz, Klimafolgenanpassung - schnellstens verringert werden muss. welche Verantwortung hat hierbei der Gesund- Pflege im Umgang mit dem Klimawandel beinhaltet heitssektor zu tragen? Wissenschaftliche Forschung viele Aspekte und Herausforderungen. Schwerpunkte zeigt, dass in Deutschland das Gesundheitswesen für dieser Broschüre sollen allerdings vorrangig die Aus- 5,5% der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, wirkungen der Erderwärmung und zunehmender Hit- mehr als in anderen europäischen Ländern. Großer zephasen in den Monaten Mai bis September auf die Energie– und Ressourcenverbrauch, hoher Anteil fos- Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf sein. siler Brennstoffe, große Mengen an Müll durch Einmal- Sommerliche Hitzeperioden sind ein Gesundheitsrisi- materialien und Verpackung usw. sorgen für einen ko, hohe Lufttemperatur birgt für Mensch und Umwelt ökologischen (CO2-)Fußabdruck des Gesundheitssek- ein hohes Schädigungspotenzial. Der Klimawandel tors, der Klima und Umwelt schadet und deshalb 02
führt vermehrt zu extremer Hitze am Tag und in der Auf den Totenscheinen sind Kassenärzte verpflichtet, Nacht, wodurch sich die gesundheitlichen Risiken für Angaben zur Todesursache zu machen und Diagno- bestimmte Personengruppen erhöhen können. Für die sen nach dem ICD-System zu klassifizieren. Für die Gesundheit von besonderer Bedeutung sind dabei Ermittlung von Hitzetoten sind Totenscheine allerdings Phasen mit mehrtägig anhaltender, extremer Hitze, in kaum geeignet, denn meist wird lediglich eine Folge- denen auch die nächtlichen Temperaturen hoch blei- Todesursache wie Herz– oder Kreislaufversagen an- ben. Heiße Tage in Kombination mit Tropennächten gegeben. Bei der Klassifizierung der Todesursa- sind gesundheitlich äußerst problematisch, da Men- chenermittlung des Statistischen Bundesamtes kommt schen nicht nur tagsüber extremer Hitze ausgesetzt der Hitzetod gar nicht vor. sind, sondern der Körper auch in den Nachtstunden Wissenschaftler gehen daher einen anderen Weg, um durch hohe Lufttemperatur thermophysiologisch belas- die Zahl der Hitzetoten zu ermitteln. Eine Studie1 setz- tet ist und sich wegen der fehlenden Nachtabkühlung te zum Beispiel dafür die Todeszahlen in zwei Bundes- nicht ausreichend gut erholen kann. Davon betroffen ländern in Bezug zu der Wochenmitteltemperatur. ist insbesondere der in den Innenstädten lebende Teil Demnach lag der Schätzwert hitzebedingter Todesfälle der Bevölkerung. in Deutschland im Sommer 2003 mit 7600 am höchs- Bei Hitzewellen sterben Menschen, besonders gefähr- ten, gefolgt von den Sommern im Jahr 2006 und 2015 det sind ältere, kranke und pflegebedürftige Personen. mit 6200 beziehungsweise 6100 Todesfällen. Mit ei- Das wissen wir schon seit der großen Hitzewelle 2003, nem ähnlichen Ansatz ermittelte das Robert Koch der in Europa rund 70.000 Menschen zum Opfer gefal- Institut für den Sommer 2018 in Berlin 490 Hitzetote len sind. Diese Zahl ist geschätzt, denn eine verlässli- und in Hessen 740 . che Erfassung ist schwierig und auch in der Wissen- Die Wirtschaftswissenschaftler Martin Karlsson, Maike schaft nach wie vor umstritten. Schmitt und Nicolas Ziebarth wählten in ihrer Untersu- Sterben tatsächlich mehr Menschen durch Hitze und chung2 ebenfalls den indirekten Ansatz: Sie ermittel- Sonneneinwirkung? Und, falls das der Fall ist, woran ten, welchen Effekt besonders heiße und kalte Tage sterben sie? Welche konkreten gesundheitlichen Aus- auf die Sterberate und die Zahl der Krankenhausein- wirkungen haben heiße Tage und wie können sie - weisungen von 1999 bis 2009 in Deutschland hatten. gerade durch pflegerische Maßnahmen - abgemildert Demnach stieg die Sterbequote an heißen Tagen mit werden? Und nicht zuletzt: Wenn die Tendenz zu im- mehr als 30 Grad Celsius um etwa zehn und und die mer heißeren Sommern zunimmt, welche Vorkehrun- Klinikeinweisungen um fünf Prozent. Der Effekt stei- gen sind zu treffen? Für die Pflege und Versorgung gerte sich deutlich, wenn es mehrere Hitzetage in Fol- von Kranken und Pflegebedürftigen in Kliniken, Hei- ge gab. men und der ambulanten Pflege haben diese Fragen Die zunehmende Hitzebelastung führt zu gravierenden eine hohe Relevanz. gesundheitlichen Folgen, da sie den Organismus des Die Internationale statistische Klassifikation der Krank- Menschen stark beansprucht und zu Problemen des heiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) Herz-Kreislaufsystems führen kann. Hohe Lufttempe- der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert ratur zusammen mit intensiver Sonneneinstrahlung Schäden durch Hitze und Sonnenlicht wie folgt: fördert darüber hinaus die Entstehung von gesund- • Hitzschlag und Sonnenstich heitsgefährdendem bodennahem Ozon. Bei anhalten- der Hitze kann das körpereigene Kühlsystem überlas- • Hitzesynkope tet werden, das führt bei vulnerablen Personen zu Re- • Hitzekollaps gulationsstörungen und Kreislaufproblemen. Typische • Hitzekrampf Symptome sind Kopfschmerzen, Erschöpfung und Benommenheit, besonders betroffen sind Ältere und • Hitzeerschöpfung durch Salz- und Wasserverlust Menschen mit chronischen Vorerkrankungen. Ables- und andere Ursachen bar ist dies u.a. an der steigenden Zahl von Rettungs- • Passagere Hitzeermüdung einsätzen in Hitzeperioden. Modellrechnungen sagen • Hitzeödem für Deutschland voraus, dass hitzebedingte Mortalität von 1 bis 6 % pro einem Grad Celsius Temperaturan- • Sonstige Schäden durch Hitze und Sonnenlicht 1) Robert Koch Institut: Epidemiologisches Bulletin Nr. 23 vom 06. Juni 2019 2) Journal of Environmental Economics and Management; Martin Karlsson, Nicolas R. Ziebarth: Population health effects and health-related costs of extreme temperatures: Comprehensive evidence from Germany | pdf 03
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel stieg zunehmen könnte. Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, dass weite- Aber auch Beschäftigte leiden an Hitzetagen. Jede re und immer häufiger auftretende Wetterextreme und Arbeit strengt mehr an, der Körper verlangt nach Erho- Hitzeperioden auftreten werden und bewältigt werden lungspausen, die Konzentrationsfähigkeit sinkt und der müssen, hat sich der DBfK mit dieser Broschüre dem Wunsch nach kühlen Getränken nimmt zu. Das gilt Thema gewidmet. Wir haben relevante Informationen, auch und gerade in Pflegeberufen, wo in bestimmten wissenschaftliche Erkenntnisse und wichtige Erfahrun- Arbeitsbereichen zudem noch mit schweißtreibender gen der Praxis zusammengetragen. Schutzausrüstung gearbeitet werden muss. Einen besonderen Schwerpunkt dieser Broschüre bil- „Hitzefrei“ wird es in der Pflege kaum geben können, det die Expertise aus unseren Expertengruppen, die allerdings nimmt die Arbeitsstättenverordnung Arbeit- wir zum Thema Klimawandel und Umgang mit Hitze- geber durchaus in die Pflicht. Ausgehend von einer perioden befragt haben. Herausgekommen sind Tipps umfassenden Gefährdungsbeurteilung regelt sie: und Impulse, von denen wir uns wünschen, dass sie Anregung und Hilfestellung bieten können. Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) Anhang Nr. 3.5 Raumtemperatur: Health for Future (1) Arbeitsräume, in denen aus betriebstechnischer Schon frühzeitig nach ihrer Gründung hat der DBfK Sicht keine spezifischen Anforderungen an die begonnen, die Aktion ‚Health for Future‘ (https:// Raumtemperatur gestellt werden, müssen während healthforfuture.de/) zu unterstützen und für ihre Ziele der Nutzungsdauer unter Berücksichtigung der Ar- zu werben. Es ist eine Aktionsplattform der übergeord- beitsverfahren und der physischen Belastungen der neten Initiative KLUG (Deutsche Allianz Klimawandel Beschäftigten eine gesundheitlich zuträgliche Raum- und Gesundheit) für die Gesundheitsberufe. Health temperatur haben. for Future sieht sich inspiriert von der Fridays4Future- (2) Sanitär-, Pausen- und Bereitschaftsräume, Kanti- und der Scientists4Future-Bewegung, gibt Akteur/ nen, Erste-Hilfe-Räume und Unterkünfte müssen innen aus dem Gesundheitsbereich die Chance, aktiv während der Nutzungsdauer unter Berücksichtigung zu werden, sich zu vernetzen und bietet Materialien des spezifischen Nutzungszwecks eine gesundheit- zur Arbeit in Mahnwachen, Klimastreiks oder auch mit lich zuträgliche Raumtemperatur haben. Patient/innen an. (3) Fenster, Oberlichter und Glaswände müssen un- Antworten auf die Frage, was der Klimawandel mit ter Berücksichtigung der Arbeitsverfahren und der Gesundheit zu tun hat, bietet ‚Health for Future‘ in ei- Art der Arbeitsstätte eine Abschirmung gegen über- nem kurzen Faktenpapier: mäßige Sonneneinstrahlung ermöglichen. 04
Klima und Gesundheit • Die Erderwärmung führt zum Anstieg des Meeres- spiegels mit Überschwemmungen der Küstenregionen Die Erderwärmung nimmt zu – die- sowie zu Extremwetterereignissen wie Stürmen, Stark- ser Weg führt in eine Katastrophe regen, Hitzeperioden und Dürren. Die Folgen sind zer- • Während der letzten 10.000 Jahre störte Infrastrukturen, Nahrungs- und Wassermangel, schwankte die mittlere Erdtemperatur nie mehr als um politische und soziale Instabilität, Ressourcenkonflikte, 2° C. Dieses stabile Klima war die Voraussetzung für Flucht und Vertreibung. Alle diese Faktoren haben die Entwicklung menschlicher Zivilisation. grundlegenden Einfluss auf die menschliche Gesund- • Seit 1850 hat die globale Durchschnittstemperatur heit und das Wohlergehen. um 1,4°C zugenommen – mit steigender Tendenz. • Der Klimawandel wirkt auch heute schon auf die Ge- Seit dem Pariser Klimaabkommen (2015) wird deshalb sundheit der Menschen in Deutschland: durch erhöhte angestrebt, die Erderwärmung auf 1.5° zu begrenzen. Sterblichkeit und Morbidität durch Hitze und Luftver- • Die Entwicklung geht in eine andere Richtung: Es schmutzung (vor allem Feinstaub). Luftverschmutzung wird mit einem Temperaturanstieg von mehr als 3° und Klimawandel haben eine gemeinsame Ursache: gerechnet. Bis 2100 soll die Erde um 4-5° wärmer sein die Verbrennung fossiler Energien. – wenn die CO-2 Emissionen weiter steigen. • Die Luftverschmutzung verkürzt die durchschnittliche • Deutschland zum Beispiel hält seine selbst gesteck- Lebenszeit eines Europäers im Durchschnitt um zwei ten Klimaziele nicht ein. Die Bundesregierung wollte Jahre. Sie ist das größte umweltbedingte Risiko für die Treibhausgase bis zum Jahr 2020 um mindestens die Gesundheit und trägt signifikant zu Herz-Kreislauf-, 40% (gegenüber 1990) senken. Es werden aber nur Atemwegs- und Lungenerkrankungen sowie Asthma etwa 32% erreicht. Bis 2030 sollen 55% weniger Kli- bei. Für eine Vielzahl weiterer Erkrankungen werden magase emittiert werden, bis 2050 sogar 80 bis 95%. Zusammenhänge angenommen. • Mit weiterer Erderwärmung droht ein irreversibler • Die Erderwärmung führt zu einer Intensivierung von Klimakollaps durch die Überschreitung von wichtigen Allergien und zur Verlängerung der Expositionszeiten. Kipp-Punkten – wie dem Auftauen des Permafrostes, Übertragbare Krankheiten wie Malaria, Dengue Fieber dem Schmelzen des Grönlandeisschildes oder dem und Vibrionen (zum Beispiel in der Ostsee) erhalten Niederbrennen des Regenwaldes. Die Folgen führen größere Verbreitung. in eine Heißzeit mit dramatischen, lebensbedrohlichen • Die Klimakrise trifft insbesondere die Verletzlichsten Folgen, zum Beispiel dem Anstieg des Meeresspie- (ältere und behinderte Menschen, solche mit Vorer- gels um 7 Meter und dem ökologischen Zusammen- krankungen, Kinder und Schwangere). Sie hat Folgen bruch vieler Lebensräume. vor allem für die Länder, die am wenigsten zur Klima- • Nur wenn der weltweite CO-2 Ausstoß bis 2030 um krise beigetragen haben. Klimagerechtigkeit muss an ca. die Hälfte (45%) und bis 2050 auf Null reduziert oberster Stelle stehen. wird, sind die Chancen, innerhalb des 1.5 Grad-Zieles • Die Lancet Kommission 2015 spricht davon, dass zu bleiben, bei ca. 50%. Will man die Chance erhö- der Klimawandel die Erfolge bei der globalen Gesund- hen, müsste bereits 2040 Klimaneutralität vorliegen. heit der letzten Jahrzehnte gefährdet. • Derzeit steigen die Emissionen immer noch. Eine • Die ökonomischen Klimafolgekosten werden ein Klimakatastrophe kann nur noch durch entschlosse- Mehrfaches der Kosten für Klimaschutz betragen. nes Handeln gebremst werden. Das Zeitfenster dafür Auch die Gesundheitskosten des Nichthandelns kön- schließt sich immer mehr. Der Weltklimarat betont: nen die Kosten für Klimaschutz deutlich übertreffen. „Die globale Erwärmung auf 1,5° zu begrenzen, erfor- Den Subventionen der G20 Regierungen für fossile dert rasche, weitreichende und beispiellose Verände- Energieunternehmen im Jahre 2014 in Höhe von USD rungen in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft“. 444 Milliarden stehen Folgekosten für die Gesundheit Was hat der Klimawandel mit Gesundheit zu tun? durch die Nutzung dieser Brennstoffe gegenüber, die • Der Mensch lebt nicht isoliert auf diesem Planeten, mindestens sechs mal so hoch waren. sondern in Abhängigkeit und verbunden mit den vielen • Die gute Nachricht: Viele Klimaschutzmaßnah- verschiedenen Lebenssystemen in Wasser, Luft und men sind gleichzeitig von Vorteil für die Gesund- Erde. Alle sind durch die Klimakrise bedroht – und heit. Saubere Luft, mehr aktive Bewegung, fleisch- damit auch die Gesundheit des Menschen. Ohne Ge- arme Ernährung, grünere autofreie Städte und eine sundheit der Erde kann es keine Gesundheit ihrer Be- intakte Natur schützen den gesamten Planeten. wohner geben. 05
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel Wetter als Gesundheitsrisiko Im Zuge des Klimawandels nehmen Wetterextreme bei Hitze schnell aufstehen. weltweit zu, auch in Deutschland. Besonders Hitze • Patienten mit zu hohem Blutdruck, die Medikamente wirkt sich dabei gesundheitlich stark aus. Was Hitze- dagegen einnehmen, sollten die Dosierung von ih- perioden für den menschlichen Körper bedeuten kön- rem Arzt überprüfen lassen. Bei kurzen Hitzeperio- nen und was gerade ältere oder kreislauflabile Patient/ den, die nur wenige Tage dauern, muss die Tablet- innen in solchen Zeiten beachten sollten, war zentra- tendosis normalerweise nicht reduziert werden. Bei les Thema der Jahrespressekonferenz der Deutschen längeren Hitzeperioden oder Aufenthalten in sehr Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) am 13. warmen Regionen kann es jedoch sinnvoll sein, die Februar 2020 in Berlin. Im Fokus standen dabei diese Medikamente niedriger zu dosieren oder eventuell 5 Schwerpunkte: zu pausieren. • Blutdruck und Flüssigkeitshaushalt • Patienten mit zu hohem Blutdruck, die Medikamente • Herz– und Kreislaufkrankheiten dagegen einnehmen, sollten gerade bei heißem • Lungenerkrankungen und Allergien Wetter ihren Blutdruck täglich überwachen. Sinkt der systolische Blutdruck immer wieder oder dauer- • Postoperative Wundheilung haft unter 120 oder sogar unter 100 mmHg, sollte • Klimawandel aus der Sicht des Hausarztes rasch Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden. Klimafolgenforschung ist in der Medizin noch relativ • Besonders gefährdet sind Patienten, bei denen die neu, wird aber immer wichtiger, wie die ersten Studien Blutdruck-Regulation nicht mehr normal ist, zum zeigen. Das Interesse an den Ausführungen der inter- Beispiel Diabetiker mit autonomer Polyneuropathie. nistischen Expert/innen im Rahmen der Pressekonfe- • In keinem Fall darf ohne Rücksprache mit dem Arzt renz war groß und sie gaben wichtige Impulse, die die Dosis verringert oder das Medikament abgesetzt gerade für die Pflege in bevorstehenden heißen Zeiten werden. relevant sind und beachtet werden sollten. Daher hier einige Auszüge aus den Redemanuskripten der Refe- Durch vermehrtes Schwitzen an heißen Tagen verliert renten. der Körper viel Flüssigkeit und oft auch Salz. Dies bringt Menschen in Gefahr, deren Durstempfinden gestört ist oder die unzureichend trinken können, ins- Klimawandel, Blutdruck und Flüs- besondere sigkeitshaushalt: Was muss ich • alte Menschen beachten? • Heimbewohner Professor Dr. med. Jürgen Floege, Vorsitzender der • Pflegebedürftige DGIM 2019/20 • Neugeborene Hitze und Schwitzen erweitern die Blutgefäße und bei Ein hohes Exsikkose-Risiko besteht, wenn solche Pa- den meisten Menschen sinkt damit auch der Blut- tienten neben der Hitze noch weitere Erkrankungen druck. Zusätzlich wird der Blutdruckabfall beim Wech- (Infektionen, Pneumonien, Harnwegsinfekte ...) entwi- seln vom Liegen zum Stehen ausgeprägter. Je nach ckeln. Auch Hochdruck-Patienten sind bei Hitze even- Ausprägung des Blutdruckabfalls kann es dann zu tuell gefährdet, in eine Exsikkose zu rutschen, da viele Beschwerden wie Schwindel, Müdigkeit, Übelkeit und Patienten Diuretika zur Blutdrucksenkung einnehmen. Schwächeanfällen bis hin zu Stürzen und Ohnmach- Diuretika entwässern den Körper und können somit ten kommen. Damit haben Hitzewellen mehrere Kon- eine Exsikkose beziehungsweise den Salzverlust ver- sequenzen für Menschen, die an zu niedrigem oder zu stärken. Dies kann besonders bei älteren Patienten zu hohem Blutdruck leiden: Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Krampfanfällen und zu einer Eintrübung des Bewusstseins bis zur Bewusstlo- • Patienten mit sehr niedrigem Blutdruck sind gefähr- sigkeit führen. deter für Ohnmachtsanfälle, insbesondere wenn sie 3) Pressemappe DGIMv om 13.02.2020: https://www.dgim.de/fileadmin/user_upload/PDF/Pressekonferenzen/2020_Pressemappe_Jahres- PK_DGIM.pdf (zuletzt abgerufen am 27.04.2020) 06
zugenommen. Das bedeutet, Klimaveränderungen Herzkrank im Klimawandel: Wie können nicht isoliert betrachtet werden, Risikoverän- schütze ich mich? derungen aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen müssen in Betracht gezogen werden. Professor Dr. med. Georg Ertl, Generalsekretär der Es fanden sich noch einige interessante Beobachtun- DGIM gen. Es gab nicht weniger Kälte-assoziierte Herzin- So beeinflusst das Klima unser Herz farkte. Entgegen den Erwartungen fand sich auf dem Wir wissen seit längerem, dass bei Kälte mehr Herzin- Land sogar ein höheres Hitze-assoziiertes Risiko als in farkte auftreten. Für heißes Wetter sind die Zusam- der Stadt, was möglicherweise auf mehr oder andere menhänge nicht so eindeutig gewesen. Zum Beispiel Risikofaktoren auf dem Lande zurückzuführen ist. Of- ist die Häufigkeit von Herzinfarkten in mediterranen fen bleibt, ob die Ergebnisse auf außerhalb der Region Ländern geringer, was man auf die mediterrane Er- übertragen werden können. Eine interessante Frage nährung und Lebensweise zurückgeführt hat. ist auch, was passieren wird, wenn das Übereinkom- men von Paris zur Begrenzung der globalen Erwär- Eine deutsche Studie aus dem Augsburger MONIKA- mung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber Register hat nun im letzten Jahr gezeigt, dass im letz- ten Jahrzehnt mehr Herzinfarkte im Zusammenhang vorindustriellen Werten eingehalten wird oder auch mit hohen Außentemperaturen aufgetreten sind, was nicht? auf einen möglichen Effekt des Klimawandels auf das Temperatur ist nicht gleich Temperatur Auftreten von Herzkrankheiten hinweist. Die Studie Die relative Luftfeuchtigkeit beeinflusst wesentlich die beruht auf der Analyse von Registerdaten der Region gefühlte Temperatur: Bei 29 Grad Celsius und null Augsburg zwischen 1987 und 2014. In der Zeit sind Prozent Luftfeuchtigkeit ist die gefühlte Temperatur 26 insgesamt 27 310 Herzinfarkte aufgetreten. Die Korre- Grad Celsius. Bei 29 Grad Celsius und 80 Prozent lation dieser Daten mit täglichen meteorologischen Luftfeuchtigkeit ist die gefühlte Temperatur 36 Grad Aufzeichnungen ergab nach Korrektur für eine Reihe Celsius! von anderen möglichen ursächlichen Faktoren Gründe für ein besonders hohes Risiko (Wochentag, sozioökonomischer Status etc.) in der Menschen, die jünger als 4 oder älter als 65 Jahre alt gesamten 28-Jahres-Periode Effekte von kaltem Wet- oder übergewichtig sind, haben ein höheres Risiko. ter, jedoch keine Effekte von heißen Temperaturen. Patienten mit Erkrankungen, zum Beispiel von Niere, Lunge oder Herz, haben ein besonders hohes Risiko, schon durch die Erkrankung selbst, aber auch durch die Medikamente (z. B. Diuretika), die sie einnehmen. Drogen, auch Alkohol, können das Risiko steigern. Auch äußere Umstände können eine besondere Risi- kolage herstellen, wie zum Beispiel plötzliche Wet- teränderungen oder Wetterlagen mit besonders hoher Luftfeuchtigkeit. Hitze, Herz und Kreislauf Auch wenn prinzipiell lebensbedrohliche Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Lungenprobleme bei Hitzewellen häufiger auftreten, sind vergleichsweise harmlosere Kreislaufstörungen das bei Weitem häufigere Problem. Die Symptome Hitze-induzierter Störungen und Krank- In einer separaten Analyse für zwei Perioden ergab heiten hängen vom Typ und der Schwere des Hitze- sich eine mittlere tägliche Maximaltemperatur von 14,5 schadens ab. Häufige Symptome sind Schweißaus- Grad Celsius für die Jahre 1987 bis 2000 und keine brüche (kalter Schweiß), Erschöpfung, Müdigkeit, Assoziation der Herzinfarkthäufigkeit. Für die Jahre Schwindel, zunächst nur beim Aufstehen, dann Be- 2001 bis 2014 fand sich eine mittlere tägliche Maxi- nommenheit bis zur Ohnmacht, ein schwacher schnel- maltemperatur von 15,1 Grad Celsius und ein Anstieg ler Puls, Übelkeit, Erbrechen. All diese Symptome kön- der Hitze-assoziierten Herzinfarktrate besonders bei nen allerdings bei harmloseren Störungen, beim Hitz- Patienten mit vorbestehenden Herzkrankheiten, Dia- schlag und auch beim Herzinfarkt auftreten, sodass im betes, hohem Cholesterin (Risikofaktoren). Allerdings Zweifelsfall die Notrufnummer gewählt werden sollte. hatten diese Risikofaktoren in derselben Zeit ebenfalls 07
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel Wie vorbeugen? ganz Deutschland angeschlossen – verwaltet wird das • Ausreichend trinken, der Urin sollte klar sein. System über die Charité, wo Dr. med. Seven Johan- nes Sam Aghdassi und seine Kollegen die Daten aus- • Durst alleine kann besonders bei älteren Patienten werteten. nicht das alleinige Maß sein. Die Angaben zur Wundheilung aus dem KISS ver- • Alkohol stellt eine zusätzliche Kreislaufbelastung knüpften die Mediziner mit meteorologischen Messda- dar. ten des Deutschen Wetterdienstes, wie etwa der Au- • Bei Flüssigkeitsverlust müssen auch Elektrolyte ßentemperatur, dem Niederschlag und der Luftfeuch- ersetzt werden. tigkeit. Da diese Parameter stark miteinander korrelier- ten, konzentrierten sich die Studienautoren bei der • Die Bilanz ist allerdings bei Patienten mit Herz-/ Analyse letztlich auf die monatliche Durchschnittstem- Kreislauf-Erkrankungen schwierig. peratur. Wie sich zeigte, stand diese in einem deutli- • Patienten mit Herzschwäche zum Beispiel fühlen chen Zusammenhang mit der Zahl der dokumentierten sich „trocken“ häufig besser. Wundinfektionen: „Grob gesagt nahm mit jedem Grad, • Passende Kleidung tragen, Schatten aufsuchen. um das die Außentemperatur anstieg, das Risiko für eine postoperative Wundinfektion um ein Prozent zu“, • Überhitzung auf jeden Fall vermeiden. erklärt Aghdassi. Bei der Analyse definierter Tempera- • Risikofaktoren für Herzkrankheiten (Rauchen, turbereiche ergab sich zwischen der kältesten Katego- Übergewicht, hoher Blutdruck, Diabetes …) rie (weniger als 5 Grad Außentemperatur) und der vermeiden oder behandeln. wärmsten (20 Grad oder mehr) ein Risikozuwachs von Was tun, wenn Symptome auftreten? 13%. Dabei schienen manche Bakterientypen stärker auf • Bei Bewusstlosigkeit und Symptomen des die Außentemperatur zu reagieren als andere. Wäh- Sonnenstichs oder Hitzschlags die Notrufnummer rend sich die Zahl der Infektionen mit grampositiven wählen. Erregern nur wenig änderte, nahmen Infektionen mit • Kühl halten, Kleidung befeuchten, langsam Wasser gramnegativen Keimen – wie etwa E.coli-Bakterien – in kleinen Schlucken (nicht erzwingen), eventuell mit steigenden Temperaturen deutlich zu. Auch waren kühles Bad. oberflächliche Wundinfektionen deutlich stärker tem- • Hitze meiden, gekühlte Räumlichkeiten aufsuchen, peraturabhängig als Infektionen in tieferliegenden hinlegen. Wundbereichen. Die Analyse, an der auch Wissenschaftler des Pots- Infektionen sind in warmen Mona- dam Instituts für Klimafolgenforschung beteiligt waren, hat Aghdassi zufolge einen rein explorativen Charak- ten häufiger ter. „Es handelt sich lediglich um einen ersten Schritt Dr. med. Seven Johannes Sam Aghdassi, Institut für in die Thematik hinein“, betont der Berliner Studienlei- Hygiene und Umweltmedizin, Charité – Universitäts- ter. Entsprechend möchte er die Schlussfolgerungen medizin Berlin aus seiner Analyse zunächst nur als Hypothese ver- standen wissen. Eine Hypothese allerdings, die es Nach durchschnittlich 1,6% der operativen Eingriffe angesichts der im Zuge des Klimawandels zu erwar- kommt es zu Infektionen der Wunde. In den letzten tenden Temperatursteigerung weiter zu untersuchen Jahrzehnten ist es zwar gelungen, dieses Risiko durch lohnt. Hygienemaßnahmen und vorbeugende Medikamen- tengabe deutlich zu senken. Mediziner der Berliner Charité haben nun jedoch einen Faktor identifiziert, den Ärzte und Klinikpersonal nicht beeinflussen kön- nen: das Wetter. Wie sie in einer Studie mit Daten aus 17 Jahren zeigen konnten, treten Wundinfektionen in wärmeren Monaten häufiger auf als in kühleren. In den Jahren 2000 bis 2016 wurden über das Kran- kenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (KISS) zwei Millionen Operationen dokumentiert. In deren Folge ist es zu mehr als 32.000 postoperativen Wundinfektio- nen gekommen. An KISS sind Krankenhäuser aus 08
die klinische Medizin dreierlei: Zum einen, dass der Lungenkrankheiten, Allergien und Wohn- und Aufenthaltsort des Großstadt-Patienten in Klimaänderungen die klinische Medizin mit einzubeziehen ist. Zum zwei- ten sollten bei vulnerablen Patienten die klinischen Professor Dr. med. Christian Witt, Leiter des Arbeits- Verläufe effizienter erfasst werden (neue Medien/ bereichs Ambulante Pneumologie - Charité Telemonitoring, künstliche Intelligenz) und drittens Wir Klinikärzte wissen seit der Veröffentlichung des 4. sollte durch konsequente Patientenführung und medi- Sachstandsberichts des Weltklimarates 2007 (IPCC- kamentöse Therapie präventiv das gestiegene Exazer- Report), dass bei einer globalen Erwärmung von bations- beziehungsweise Dekompensationsrisiko, das durchschnittlich zwei Grad Celsius nicht nur Schwellen zum Teil lebensbedrohlich sein kann, gemindert wer- - und Entwicklungsländer komplex durch Probleme für den. die Landwirtschaft/Ernährung und die Küsten durch Ein weiterer Punkt ist die lokale Umwelt-Atemluft- Meeresspiegelanstiege und anderes mehr betroffen Belastung (Urban Air Pollution), die auch am Ort der sein werden. Sondern auch, dass in den gemäßigten höchsten Temperaturen auftritt. Feinstaub, Stickoxide Breiten – also bei uns auf der Nordhalbkugel – die Fol- und Ozon führen zusätzlich zu mehr Mortalität und gen der Erwärmung zu einer Morbiditätssteigerung Morbidität, das heißt, dass bei chronisch Kranken das von Krankheitsverläufen, besonders chronischer kardi- Risiko einer Zunahme von Beschwerden, Symptomen orespiratorischer Krankheiten, führen werden. Als und Belastungsintoleranz steigen kann. Hier kommen Grenzorgan zur Umwelt kommt in diesem Kontext der also zwei Umweltänderungen simultan zusammen, die Lunge eine Portalfunktion zu. Bei der Annahme einer besonders die vulnerablen Patientengruppen belasten Erwärmung von nur einem Grad Celsius steigt die Klinisch führt die Risikosteigerung zu mehr Instabilität Mortalität in Regionen oberhalb der Alpen bei respira- des Krankheitsverlaufes, auf die Ärzte in Ambulanzen torischen Erkrankungen um 3 bis 6 %, letztere bei älte- und Kliniken mit mehr Medikamentenverordnungen, ren Menschen, die älter als 80 Jahre sind, in der Regel mehr Krankschriften, mehr Arztkonsultationen bezie- multimorbiden Patienten. Eine Untersuchung in den hungsweise Notfallrettungseinsätzen und mehr nach- USA dazu zeigt, dass bei einem Temperaturanstieg folgenden Hospitalisierungen reagieren. Aktuelle For- von zehn Grad Fahrenheit die Hospitalisierungsrate schungsansätze betrachten beides: den globalen bei respiratorischen Patienten um 4,3% zunimmt. Die- Treibhauseffekt mit Erwärmung und Extremen und die se Zahl ist klinisch griffig, also circa 5%, doch im kälte- steigende lokale, besonders urbane Luftbelastung. Sie ren Alaska ist die sogenannte Resilienz für Hitze kommen zu dem Schluss, dass der fortschreitende schwächer ausgeprägt als im wärmeren Texas, wo Klimawandel inklusive Wetterextremen, wie Hitzewel- mehr Adaptation erworben werden konnte. Folglich len, das Risiko schwerer Luftbelastungsphasen erhö- sind Vulnerabilitäten eine evidente Steuergröße der hen wird. klinischen Betroffenheit und damit ein Maß der adapti- Was bedeutet dieser Erkenntnisstand für Klinikärzte im ven Kapazität unserer chronisch kranken Patienten, Herbst 2019, einer Zeit mit großen globalen Klimabe- die bei dieser Gruppe aus zwei Gründen vermindert wegungen, wie „Fridays for Future“, und Zeiten einer ist: zum einen wegen der chronischen Krankheit, ge- sogenannten gesellschaftlichen Transformationspha- gebenenfalls verbunden mit hohem Alter und Multi- se? Meine Haltung umreißt grob folgende Vorschläge morbidität, und zum anderen durch die Therapie der- und Empfehlungen: selben, beispielsweise eine Bluthochdruckbehandlung, 1. Selber als Klinikarzt Vorbild sein in der Verminde- die auch adaptive Regulationen bei Hitze beeinträchti- rung der Kohlendioxidemission (Treibhausgase – glo- gen kann. bal) und von Feinstaub, NO2 und Ozon (Air Pollution Zu der allgemeinen Erwärmung, die auch in der kalten lokal). Jahreszeit circa zwei bis drei Grad Celsius beträgt, 2. Mehr Aus- und Fortbildung zu klinischen Folgen des kommt in Metropolen – am ausgeprägtesten in Mega- Klimawandels und Air Pollution. citys (mehr als zehn Millionen Einwohner), aber auch in deutschen Großstädten, zum Beispiel Berlin – ein 3. Mehr Forschung zur Identifikation vulnerabler Grup- sogenannter Heat-Island-Effekt, also innerstädtische pen (Patienten). Wärmeinseln, hinzu. Am Beispiel Berlin kann ein Tem- 4. Mehr Entwicklung von Adaptationsstrategien (neue peraturgradient bei Hitze von bis zu acht Grad Celsius Medien/Telemonitoring/künstliche Intelligenz/Konzept zwischen dem kühleren Stadtrand und dem Stadtzent- des klimaadaptierten Krankenhauses/Klimatisierung rum (Alexanderplatz) auftreten. Folglich ergibt die sowie der klimaadaptierten Arzneimitteltherapie). Translation dieser geoklimatischen Erkenntnisse für 09
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel die Inhalation von Stickoxiden in den Ballungs- und Klimawandel aus Sicht der haus- Industriezentren zu einer erhöhten Inzidenz von ärztlich tätigen Internisten Lungenerkrankungen und einer allgemeinen Zunahme der Mortalität. Dr. med. Ivo G. Grebe, Vizepräsident des Berufsver- Ziel nationaler und internationaler Abkommen ist es, bandes Deutscher Internisten (BDI) gemäß des Pariser Abkommens bis 2050 eine neutra- Spätestens seit den Hitzerekorden der letzten Som- le Treibhausbilanz zu erreichen. Wir als Internisten mer, den Protesten rund um die Gewinnung und Ver- können im Verbund mit der gesamten Ärzteschaft da- stromung fossiler Brennstoffe, dem Dieselskandal und zu beitragen, dieses Ziel zu erreichen, indem wir der Diskussion um Feinstaubbelastung in unseren • bei uns selbst und bei unseren Patienten Städten ist die Ärzteschaft alarmiert. Vertreter großer gesundheitsbewusstes Verhalten fördern, Verbände, der Hochschulen und Kammern warnen seit langem, dass unser Gesundheitssystem wegen • uns für klimafreundliche Aktionen wie den des Klimawandels vor großen Herausforderungen fahrradfreundlichen Ausbau von Innenstädten steht und wir uns mit den Auswirkungen des Klima- einsetzen und damit zur Reduktion des wandels für den Einzelnen, aber auch mit den indirek- Autoverkehrs und der Feinstaubbelastung ten Folgen für die globale Gesundheit beschäftigen beitragen, müssen. • klimafreundliche Mobilität bei unseren Patienten Laut „Lancet Countdown“ ist der Klimawandel die fördern und auf den besonderen gesundheitlichen größte Bedrohung für die Gesundheit in diesem Jahr- Nutzen von Sport und Bewegung hinweisen, hundert. Wie lässt sich diese sehr allgemeine Behaup- • die Gefahren von Über- und Fehlernährung tung in die Versorgungsrealität des Internisten in der aufzeigen, die Reduktion des Fleischkonsums ambulanten, speziell der hausärztlichen Versorgung anstreben und auf die ökologischen Gefahren der umsetzen? Massentierhaltung hinweisen, • Wetterextreme wie beispielsweise die Hitzewellen • eine restriktive Verordnung von Antibiotika und der vergangenen Jahre führen zu vermehrten Herz- Analgetika betreiben, eine „greenline production“ Kreislauf-Dekompensationen, Nierenversagen von Arzneimitteln unterstützen, um damit die durch Flüssigkeitsmangel und erhöhter Rückführung toxischer Medikamentenrückstände in Stressanfälligkeit – darauf müssen wir vorbereitet das Trinkwasser zu reduzieren, sein. • in unseren Praxen oder anderen Tätigkeitsfeldern • Durch Mücken oder Zecken übertragbare den Klimawandel und seine globalen Folgen für die Krankheiten nehmen zu, neue Infektionskrankheiten physische und psychische Gesundheit aus dem asiatischen oder afrikanischen Raum thematisieren und damit zur Aufklärung und treten in Mitteleuropa auf (West-Nil-Fieber, Dengue, kritischen Auseinandersetzung beitragen. Zika, Malaria und andere). • Die Luftverschmutzung durch Verbrennung fossiler Brennstoffe führt über die Feinstaubbelastung und 10
Klimawandel und Pflege Erschöpfung, Kollaps, Exsikkose, Wundinfektionen, • Pflegeunternehmer Schlafstörungen, Lethargie, Blutdruckschwankungen - • Pflegeforschung, Qualitätsmanagement Hitzephasen als Folge des Klimawandels sind für kranke und pflegebedürftige Menschen ein großes • Pflegende 50 + Risiko. Und sie werden in immer kürzeren Abständen eintreten, darin sind sich Klimaforscher weltweit einig. Betreiber von Gesundheits– und Pflegeeinrichtungen Impulse und Empfehlungen der und –diensten ebenso wie die Pflegefachpersonen selbst sollten sich darauf vorbereiten und professionell DBfK-Expertengruppen damit umgehen lernen. Es gilt, gerade an heißen Ta- Alle genannten Expertengruppen erhielten für die Erar- gen möglichst kühlen Kopf zu bewahren, auch dann, beitung des Themas eine Tischvorlage mit fünf Fragen wenn man selbst unter den Temperaturen leidet, die und diesem Auftrag: Konzentration schwerfällt und man die Gestaltung von Abläufen nur begrenzt beeinflussen kann. Wir haben zu Beginn des Jahres 2020 die Bundesar- beitsgemeinschaften (BAG) im DBfK beauftragt, je- weils für ihr spezifisches Aufgabenfeld an diesen The- men zu arbeiten. Wir wollten von ihnen wissen, ob der Umgang mit Hitzephasen bereits Thema in den Ein- richtungen ist und wie man sich dazu verhält. Außer- dem haben wir sie gefragt, • was das Unternehmen tun sollte, • welche pflegerischen Aufgaben bei diesem Thema Maßnahmen bei/gegen Hitze in Ihrem Tätigkeits- besonders wichtig sind, feld: • was sie persönlich empfehlen, und Der Klimawandel ist auch in unseren Breiten zuneh- • was aus ihrer fachlichen Perspektive besonders mend spürbar, u.a. durch Wetterextreme. Wir alle ha- dringend ist. ben sicherlich noch die zurückliegenden beiden Hitze- Die Arbeitsergebnisse und Empfehlungen der Arbeits- sommer im Gedächtnis, die vielen Menschen zu schaf- gruppen wurden zusammengetragen. Sie beziehen fen gemacht haben. Besonders für alte und kranke sich vor allem auf Maßnahmen zur Temperatursen- Menschen sind solche Tage eine große Belastung und kung, Ernährung und Trinken, Patienten– und Bewoh- wirken sich physisch wie psychisch aus. nersicherheit, Gestaltung der Abläufe an heißen Ta- Äußerst anstrengend ist in solchen Zeiten aber auch gen, Beschattung, (Um)Baumaßnahmen, Bekleidung das Arbeiten in der Pflege; im Schichtdienst, in Berei- und Bettwäsche sowie Einflussnahme auf unterneh- chen mit besonderer Schutzausrüstung, in Räumen merische und politische Entscheidungen zum Klima– mit großen Fenstern, bei hohem Zeitdruck, fehlenden und Umweltschutz auf allen Ebenen. Pausen usw. Ein herzliches Dankeschön für die engagierte Zuarbeit Wir möchten Sie bitten, in einem Brainstorming Ideen geht an diese Expertengruppen: und Vorschläge zu sammeln, die für Ihren besonde- • Junge Pflege im DBfK ren Tätigkeitsbereich gelten. Was kann bzw. muss ganz konkret getan werden, damit Tage mit großer • Palliative Care Hitze für Patient/innen, Bewohner/innen, aber auch für • Pflege im Funktionsdienst Mitarbeiter/innen einigermaßen erträglich bleiben und • Pflege im Krankenhaus sie keinen Schaden nehmen? Denken Sie dabei an bauliche/einrichtungstechnische Maßnahmen, verän- • Pflege in stationären Pflegeeinrichtungen derte Zeitabläufe, die Gestaltung von Innenräumen • Pflegebildung und Außenbereichen, Pflegemaßnahmen, Kleidung, Essen und Trinken usw. 11
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel Ist der Umgang mit Hitze in Ihrer Einrichtung The- Was sollte das Unternehmen tun? ma? Inwiefern? An dieser Stelle wurden zahlreiche Maßnahmen be- Die Berichte aus den Gruppen zeigen ein recht hetero- nannt, die sich auch in den diversen Tätigkeitsfeldern genes Bild. Viele Einrichtungen - insbesondere der nicht sonderlich unterscheiden: Langzeitpflege - haben sich bereits intensiv mit dem • Arbeitsschutz einhalten Klimawandel auseinandergesetzt und Vorkehrungen getroffen. Maßnahmen beziehen sich vor allem auf • Schulung des Personals • Ausrichtung der Patienten-/Bewohnerzimmer • Klare Verfahrensanweisungen/Kriterien/Maßgaben erstellen, wie in extremen Hitzeperioden die Arbeits- • Wohlbefinden der Bewohner-/Patient/innen last strukturiert werden kann/soll, um die Beschäftig- • Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden ten zu entlasten • Krankenbeobachtung und Patientensicherheit • Bauliche Veränderungen bzw. Nachrüstung, wo das • Lagerung von Arzneimitteln und Medizinprodukten möglich ist (Klimaanlage, Sonnenschutz/ Beschattung, Isolierung von Dachgeschossen, • Schutz von Geräten/Technik vor Überhitzung Wänden und Fenstern, Begrünung der Außenanla- • Zeitliche Verlagerung von Maßnahmen und Termi- gen) nen • Beachten der Warnungen des Deutschen Wetter- • Änderung des Speiseplans, gezieltes Getränkean- dienstes, frühzeitige Informationen an alle Bereiche gebot usw. • Temperaturregulierung (Ventilatoren, Fächer, Küh- Es wird berichtet, dass der Handlungsdruck sich auch lelemente, „Kühltücher“; auf veraltete Ventilatoren durch zunehmende Beschwerden von Patient/innen und Klimageräte ist zu verzichten) bzw. Bewohner/innen und deren Angehörige verstärkt. • Kostenlose Getränke für alle Wirksamer Schutz vor den Auswirkungen des Klima- wandels ist ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor ge- • Anpassung des Speisenangebots worden. Wo sie die Wahl haben, stimmen sowohl Pati- • Leichte Dienstkleidung (Baumwoll– und Leinen- ent/innen bzw. Bewohner/innen wie Mitarbeitende in- mischgewebe, hochwertige Synthetikstoffe ähnlich zwischen immer häufiger „mit den Füßen“ ab. wie bei Sportbekleidung) Selbstverständlich ist trotz der Erfahrungen mehrerer • Genügend Kleidung zum häufigen Wechseln Hitzesommer ein vorausschauendes Handeln der Un- • Duschräume für Mitarbeitende ternehmen allerdings noch nicht. „Ein Bewusstsein für das Problem existiert nur im Sommer!“, „Die Situation • Große und gut belüftete Umkleideräume wurde als isoliertes, saisonales Phänomen wahrge- • Anpassung der Abläufe (Verlagerung von Tätigkei- nommen, der Leidensdruck und die Aufmerksamkeit ten in die kühleren Stunden des Tages), falls mög- für das Thema sanken entsprechend im Herbst wie- lich Anpassen der Arbeitszeiten der!“, „Hitze ist bisher noch nicht genügend im Blick!“ - • Trinkpausen für Mitarbeitende sicherstellen auch das berichten die DBfK-Expert/innen von ihren Arbeitsplätzen. • Hitzeschutz für Geräte, Elektronik, Medikamente usw. • Konsequente Unternehmensausrichtung am Klima- schutz (Ressourcenschonung, Energiesparen, nachhaltiges Wirtschaften, sinnvolles Abfallmanage- ment, Dienstwagen mit Klimaanlage für ambulant Pflegende, …) • Beteiligung an bzw. Durchführung von Projekten zu Einfluss und Bedeutung des Klimawandels für das Gesundheitswesen 12
Welche Aufgaben der Pflege sind bei diesem The- ma besonders wichtig? • Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels schaffen • Patient/innen, Bewohner/innen, Angehörige beraten bzgl. Verhalten und ausreichender Flüssigkeitszu- fuhr in Hitzeperioden • Individuelle, bedarfs– und situationsgerechte Pflege • Gute Grund– und Hautpflege, ggf. mehrfach täglich • Wäschewechsel, leichtes Bettzeug • Verstärkte Krankenbeobachtung und Vitalkontrollen • Flüssigkeitsbilanzierung • von genügend und wirksamen Erholungspausen für die Beschäftigten, denn Hitzeperioden sind hochbe- • Gezieltes Stoßlüften der Zimmer morgens, abends lastend und führen sehr schnell zur Erschöpfung. und nachts Darauf ist in Bereichen, in denen in besonders dich- • Ausschöpfen von Maßnahmen für ein angenehmes ter Kleidung gearbeitet werden muss (Operations- Mikroklima im Patienten-/Bewohnerzimmer saal, Isolierzimmer), zwingend zu achten, um die • Anpassen der Arbeitsabläufe bzw. Pflegemaßnah- Beschäftigten vor Gesundheitsschäden zu bewah- men und Betreuungsangebote ren. Pflege ist ein wesentlicher Teil der Gesund- heitsversorgung und trägt enorm viel zu den Outco- • Erfrischende Waschungen, Fuß– und Armbäder mes bei. Damit das gelingt, sind gute Arbeitsbedin- • Eiswürfel, Wassereis, gekühlte Getränke, Kaltscha- gungen und wirksamer Schutz der Beschäftigten len, frisches Obst anbieten erforderlich. • Ggf. individuelle Maßnahmen (in der letzten Le- Was ist besonders dringend? bensphase besonders bedeutsam) Der Klimawandel und die zunehmenden Hitzeperioden • Arzneimittelmanagement sind Realität. Und sie haben gravierende Auswirkun- • Selbstschutz: Pausen, zusätzliche Trinkpausen, gen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Wechsel der Kleidung bei starkem Schwitzen Menschen, gerade in Zeiten von Krankheit und Pflege- • Technische Geräte, die Wärme abgeben, bei Nicht- bedürftigkeit. Keine Klinik, keine stationäre oder teil- nutzung abstellen, stationäre Einrichtung, kein Pflegedienst wird umhin- kommen, sich mit dem Thema zu beschäftigen und • Kollegiale Beratung und Evaluation von Maßnah- wirksame Schutzmaßnahmen umzusetzen. men Die DBfK-Expert/innen verweisen daher auf eine hohe Welche Empfehlungen geben Sie? Dringlichkeit für Genannt wurden an dieser Stelle weitgehend Interven- tionen, die bereits bei den vorangegangenen Fragen • die Absenkung der Temperatur in Innenräumen der aufgeführt sind. Wenn aufgrund von Hitze pflegerische Versorgungseinrichtungen, hierzu muss investiert Leistungen nur priorisierend ausgeführt werden kön- werden nen, muss dies mit hoher Transparenz gegenüber den • fundiertes Wissen der professionell Pflegenden um Betroffenen und ihren Angehörigen kommuniziert wer- die Zusammenhänge und Wechselwirkungen von den. Ausdrücklich verweisen die Expert/innen zudem Körperfunktionen und -regulation, Arzneimittelthera- noch einmal auf die Bedeutung pie, Krankheitsverläufen und klimatischen Verhält- • von Verfahrensanweisungen für das Personal in nissen allen Einrichtungen und Diensten • die Notwendigkeit, hitzebedingt vermehrten Pflege- • einer konsequenten Ausrichtung der gesamten Un- aufwand zu refinanzieren ternehmensstrategie hin zur Nachhaltigkeit • die hohe Verantwortung jedes Einzelnen, seinen Teil zur Verlangsamung des Klimawandels beizutra- • wertschätzender Beteiligung aller Mitarbeitenden gen des Unternehmens - auf allen Ebenen und von An- fang an 13
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel Nebenwirkungen von Arzneimitteln bei Hitze Medikamente können die natürliche Temperaturregelung des Körpers beeinträchtigen und bereits bestehende gesundheitliche Probleme verschärfen, u.a. durch • Veränderte zentrale Temperaturregulierung und/oder entsprechende physiologische bzw. verhaltensbezogene Reaktionen; • Geänderte kognitive Wachsamkeit, erhöhte Schläfrigkeit und geringere Hitzevermeidung; • Veränderten Blutdruck und eingeschränkte Herzfunktion, Gefäßerweiterung und folgender beeinträchtigter Abkühlung, verstärkter Benommenheit; • Anticholinerge Effekte mit Hemmung des natürlichen Schwitzens zur Verdunstungskühlung; • Geänderte Nierenfunktion und veränderten Elektrolythaushalt mit erhöhtem Risiko für Dehydrierung und Arzneimitteltoxizität oder für Überhydrierung und Elektrolytungleichgewicht. Arzneimittel Auswirkungen Anticholinerge Arzneimittel, Parasympathi- können die zentrale Temperaturregulierung hemmen, die kogniti- kolytika ve Wachsamkeit einschränken und das Schwitzen verhindern o- der verringern (viele der hier genannten Arzneimittel besitzen anti- cholinerge Wirkung) Antipsychotika können das Schwitzen hemmen sowie den systolischen Blutdruck senken, die zentrale Temperaturregulierung hemmen, die kogniti- ve Wachsamkeit und die Gefäßerweiterung einschränken Antihistaminika können das Schwitzen hemmen und den systolischen Blutdruck senken Mittel gegen Parkinson können das Schwitzen hemmen, den systolischen Blutdruck sen- ken und Benommenheit sowie Verwirrung verursachen Antidepressiva hemmen das Schwitzen und einige können die zentrale Tempera- turregulierung hemmen und die kognitive Wachsamkeit ein- schränken Anxiolytika und Mittel zur Muskelentspan- hemmen das Schwitzen und verstärken die Benommenheit, sen- nung ken das Herzminutenvolumen und damit die Kühlung durch Ge- fäßerweiterung und verschlechtern die Atmung Antiadrenergika und Betablocker können eine Erweiterung (Dilatation) der Blutgefäße in der Haut verhindern und so die Fähigkeit zur Hitzeableitung durch Konvek- tion verringern Sympathomimetika Vasodilatatoren einschließlich Nitraten und Kalziumkanalblockern können Hypotonie bei gefährdeten Patienten verschlechtern Antihypertensiva und Diuretika können zu Dehydrierung führen und den Blutdruck senken. Hy- ponatriämie kann als häufige Nebenwirkung durch exzessive Flüssigkeitsaufnahme verschärft werden Antiepileptika können die kognitive Wachsamkeit einschränken und Benommen- heit verstärken Arzneimittelgruppen wie Antiemetika, Me- können ebenfalls anticholinerge Effekte auslösen dikamente gegen Schwindel, gegen Harn- inkontinenz sowie Magen-Darm- Medikamente Quelle: Weltgesundheitsorganisation - Gesundheitshinweise zur Prävention hitzebedingter Gesundheitsschäden (2019) 14
Ein besonderes Augenmerk der Pflegefachpersonen krankungen: Schlaganfall, Multiple Sklerose oder das sollte bei Hitze den Menschen mit Pflegebedarf gelten, Schädel-Hirn-Trauma. Gerade bei neurologisch Er- die mit transdermalen therapeutischen Systemen krankten ist die körpereigene Temperaturregulierung (Arzneimittelpflastern) versorgt werden, z.B. Opio- häufig beeinträchtigt, sie sind stark gefährdet, an hei- idpflastern bei starken Schmerzen. Bei Hitze wird die ßen Tagen schnell zu überhitzen. Haut stärker durchblutet, es besteht das Risiko einer Der Temperaturanstieg kann sich bei ihnen bis zu ho- Überdosierung und Atemdepression. hem Fieber entwickeln. Die Instabilität ihrer Körper- Zudem können sich durch vermehrtes Schwitzen sol- spannung verstärkt sich, was leicht zu Stürzen führt. che Pflaster partiell lösen, die Therapie wird dadurch Hohe Umgebungstemperaturen lösen bei diesem Kli- behindert und schwer steuerbar. entel zudem sehr häufig anhaltende Appetitlosigkeit Die Tabelle (links) zeigt, dass für Menschen mit be- aus. stimmten Erkrankungen ein besonderes Risiko be- Professionell Pflegende sollten um diese Zusammen- steht, durch Hitze und ihre Folgen zusätzlich geschä- hänge wissen, Pflegemaßnahmen und Krankenbe- digt zu werden. Neben Herz– und Kreislauferkrankun- obachtung entsprechend verstärken und Warnzeichen gen gilt das vor allem auch für Diabetiker, Personen frühzeitig wahrnehmen und beantworten. mit Adipositas und insbesondere neurologischen Er- Was sagen Expert/innen? nahmen. Trotz dieser neuen Regelungen gibt es für Arbeitsschutz Beschäftigte keinen direkten Rechtsanspruch auf z. B. klimatisierte Räume oder "Hitzefrei". Nach § 4 Arbeits- Die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und schutzgesetz (ArbSchG) ist der Arbeitgeber aber ver- Umweltmedizin e. V. (DGAUM) bietet zwar eine Leit- pflichtet die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefähr- linie „Arbeit unter klimatischer Belastung: Hitze“ als dung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden Download an. Allerdings wurde sie zuletzt im Juli 2012 wird und verbleibende Gefährdungen gering gehalten aktualisiert und entspricht in der jetzigen Fassung werden. nach Aussage der Fachgesellschaft nicht mehr dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft für die Da es bei Raumtemperaturen von über +26 °C wie sie Anwendung im betrieblichen Alltag und wird derzeit im Sommer in nicht klimatisierten Arbeitsräumen auf- überarbeitet. treten können - unter bestimmten Umständen (z. B. erhöhte Arbeitsschwere und Bekleidungsisolation) zu Die baua - Bundesanstalt für Arbeitsschutz und einer Gefährdung der Gesundheit (z. B. Kreislaufbe- Arbeitsmedizin - gibt auf ihrer Internetseite lastung) kommen kann, sind Schutzmaßnahmen nötig. „Empfehlungen für heiße Sommertage in Arbeitsstät- Randbedingungen und Beispiele werden in der ASR ten“. Auch sie verweist auf die Arbeitsstättenverord- A3.5 genannt. Die Schutzmaßnahmen sind individuell nung und die Dringlichkeit einer Gefährdungsbeurtei- mit einer Gefährdungsbeurteilung nach § 3 ArbStättV lung mit dementsprechend einzuleitenden Maßnah- festzulegen. men4: „… dass die Lufttemperatur in Arbeits- und Sozi- alräumen +26 °C nicht überschreiten soll. Der oben Arbeitgeber und Beschäftigte müssen im gegenseiti- beschriebene "Sommerfall" wird zusätzlich in der ASR gen Einvernehmen durch geeignete Maßnahmen die A3.5 mit einem gesonderten Punkt. 4.4 geregelt. Hier Situation meistern. Verschiedene technische, organi- wird für Außenlufttemperaturen von über +26 °C ein satorische und personenbezogene Maßnahmen aber Stufenmodell mit zu beachtenden Randbedingungen auch das persönliche Verhalten jedes Einzelnen kön- und nötigen Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten nen dazu beitragen.“ beschrieben. Dabei können die Beschäftigten bei Luft- Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung temperaturen in Arbeitsräumen in den Stufen bis +30 ° (DGUV) bietet als Download eine Handlungshilfe zum C, bis +35 °C und darüber weiter tätig sein, vorausge- Thema an: „Beurteilung des Raumklimas; Handlungs- setzt der Arbeitgeber ergreift geeignete Schutzmaß- hilfe für kleine und mittlere Unternehmen“ (2016). Die 4) www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung-im-Betrieb/Physikalische-Faktoren-und-Arbeitsumgebung/Klima-am-Arbeitsplatz/ Sommertipps.html (abgerufen am 25.05.2020) 15
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