Informationen und Tipps für Pflegende zum Umgang mit Auswirkungen der Wetterextreme

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Informationen und Tipps für Pflegende zum Umgang mit Auswirkungen der Wetterextreme
Informationen und Tipps für Pflegende zum Umgang
mit Auswirkungen der Wetterextreme
Informationen und Tipps für Pflegende zum Umgang mit Auswirkungen der Wetterextreme
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel

Inhalt

Einführung                                                              02
    Health for Future                                                   04
Wetter als Gesundheitsrisiko                                            06
    Klimawandel, Blutdruck und Flüssigkeitshaushalt …                    06
    Herzkrank im Klimawandel: Wie schütze ich mich?                     07
    Infektionen sind in warmen Monaten häufiger                         08
    Lungenkrankheiten, Allergien und Klimaänderungen                     09
    Klimawandel aus Sicht der hausärztlich tätigen Internisten 10
Klimawandel und Pflege                                                  11
    Impulse und Empfehlungen der DBfK-Expertengruppen                    11
    Nebenwirkungen von Arzneimitteln bei Hitze                          14
Was sagen Expert/innen?                                                 15
ICN Positionspapier                                                     17
Fazit                                                                   18
Links zur Vertiefung                                                    20
Informationen und Tipps für Pflegende zum Umgang mit Auswirkungen der Wetterextreme
Pflege im Umgang mit
dem Klimawandel
Informationen und Tipps für Pfle-
gende zum Umgang mit Auswir-
kungen der Wetterextreme
Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Klima und
Gesundheit - und so haben die Auswirkungen des Klimawandels
auch direkten Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden von
Menschen. Für die Versorgung von Personen mit Pflegebedarf ist
das Thema deshalb höchst relevant.
Informationen und Tipps für Pflegende zum Umgang mit Auswirkungen der Wetterextreme
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel

Einführung
Schmelzender Asphalt auf Autobahnen, Fischsterben,        belegen. Seit dem Jahr 2000 hat es 7 Jahrgänge ge-
Waldbrände, ausgetrocknete Äcker und Böden, hung-         geben, in denen die Anzahl der Tage mit einem Luft-
rige Weidetiere, vorzeitig kahle Bäume, extrem niedri-    temperatur-Maximum über 30° Celsius (im Gebietsmit-
ge Pegel in Flüssen und Seen - der Hitzesommer            tel) zweistellig war. Die bisher extremsten Sommer
2018 liegt noch nicht lange zurück und ist vielen Men-    waren 2003 mit 19,01 und 2018 mit 20,4 Hitzetagen.
schen sicherlich in bleibender Erinnerung geblieben.      In der langfristigen Beobachtung zeichnet sich die Zu-
Auch das Folgejahr 2019 war heiß und trocken, es          nahme der Sommertage mit mehr als 30° und die kür-
scheint sich allmählich ein Trend abzuzeichnen, den       zer werdenden Abstände zwischen sehr heißen Som-
viele Expert/innen auf den weltweiten Klimawandel         mern deutlich erkennbar ab, wie diese Grafik aus dem
zurückführen.                                             Umweltbundesamt zeigt. Sie stützt sich auf Daten des
Der Deutsche Wetterdienst kann dies auch mit Daten        Deutschen Wetterdienstes, mitgeteilt am 29.11.2019.

Klimawandel, Klimaschutz, Klimafolgenanpassung -          schnellstens verringert werden muss.
welche Verantwortung hat hierbei der Gesund-              Pflege im Umgang mit dem Klimawandel beinhaltet
heitssektor zu tragen? Wissenschaftliche Forschung        viele Aspekte und Herausforderungen. Schwerpunkte
zeigt, dass in Deutschland das Gesundheitswesen für       dieser Broschüre sollen allerdings vorrangig die Aus-
5,5% der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist,       wirkungen der Erderwärmung und zunehmender Hit-
mehr als in anderen europäischen Ländern. Großer          zephasen in den Monaten Mai bis September auf die
Energie– und Ressourcenverbrauch, hoher Anteil fos-       Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf sein.
siler Brennstoffe, große Mengen an Müll durch Einmal-
                                                          Sommerliche Hitzeperioden sind ein Gesundheitsrisi-
materialien und Verpackung usw. sorgen für einen
                                                          ko, hohe Lufttemperatur birgt für Mensch und Umwelt
ökologischen (CO2-)Fußabdruck des Gesundheitssek-
                                                          ein hohes Schädigungspotenzial. Der Klimawandel
tors, der Klima und Umwelt schadet und deshalb
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führt vermehrt zu extremer Hitze am Tag und in der                       Auf den Totenscheinen sind Kassenärzte verpflichtet,
Nacht, wodurch sich die gesundheitlichen Risiken für                     Angaben zur Todesursache zu machen und Diagno-
bestimmte Personengruppen erhöhen können. Für die                        sen nach dem ICD-System zu klassifizieren. Für die
Gesundheit von besonderer Bedeutung sind dabei                           Ermittlung von Hitzetoten sind Totenscheine allerdings
Phasen mit mehrtägig anhaltender, extremer Hitze, in                     kaum geeignet, denn meist wird lediglich eine Folge-
denen auch die nächtlichen Temperaturen hoch blei-                       Todesursache wie Herz– oder Kreislaufversagen an-
ben. Heiße Tage in Kombination mit Tropennächten                         gegeben. Bei der Klassifizierung der Todesursa-
sind gesundheitlich äußerst problematisch, da Men-                       chenermittlung des Statistischen Bundesamtes kommt
schen nicht nur tagsüber extremer Hitze ausgesetzt                       der Hitzetod gar nicht vor.
sind, sondern der Körper auch in den Nachtstunden                        Wissenschaftler gehen daher einen anderen Weg, um
durch hohe Lufttemperatur thermophysiologisch belas-                     die Zahl der Hitzetoten zu ermitteln. Eine Studie1 setz-
tet ist und sich wegen der fehlenden Nachtabkühlung                      te zum Beispiel dafür die Todeszahlen in zwei Bundes-
nicht ausreichend gut erholen kann. Davon betroffen                      ländern in Bezug zu der Wochenmitteltemperatur.
ist insbesondere der in den Innenstädten lebende Teil                    Demnach lag der Schätzwert hitzebedingter Todesfälle
der Bevölkerung.                                                         in Deutschland im Sommer 2003 mit 7600 am höchs-
Bei Hitzewellen sterben Menschen, besonders gefähr-                      ten, gefolgt von den Sommern im Jahr 2006 und 2015
det sind ältere, kranke und pflegebedürftige Personen.                   mit 6200 beziehungsweise 6100 Todesfällen. Mit ei-
Das wissen wir schon seit der großen Hitzewelle 2003,                    nem ähnlichen Ansatz ermittelte das Robert Koch
der in Europa rund 70.000 Menschen zum Opfer gefal-                      Institut für den Sommer 2018 in Berlin 490 Hitzetote
len sind. Diese Zahl ist geschätzt, denn eine verlässli-                 und in Hessen 740 .
che Erfassung ist schwierig und auch in der Wissen-                      Die Wirtschaftswissenschaftler Martin Karlsson, Maike
schaft nach wie vor umstritten.                                          Schmitt und Nicolas Ziebarth wählten in ihrer Untersu-
Sterben tatsächlich mehr Menschen durch Hitze und                        chung2 ebenfalls den indirekten Ansatz: Sie ermittel-
Sonneneinwirkung? Und, falls das der Fall ist, woran                     ten, welchen Effekt besonders heiße und kalte Tage
sterben sie? Welche konkreten gesundheitlichen Aus-                      auf die Sterberate und die Zahl der Krankenhausein-
wirkungen haben heiße Tage und wie können sie -                          weisungen von 1999 bis 2009 in Deutschland hatten.
gerade durch pflegerische Maßnahmen - abgemildert                        Demnach stieg die Sterbequote an heißen Tagen mit
werden? Und nicht zuletzt: Wenn die Tendenz zu im-                       mehr als 30 Grad Celsius um etwa zehn und und die
mer heißeren Sommern zunimmt, welche Vorkehrun-                          Klinikeinweisungen um fünf Prozent. Der Effekt stei-
gen sind zu treffen? Für die Pflege und Versorgung                       gerte sich deutlich, wenn es mehrere Hitzetage in Fol-
von Kranken und Pflegebedürftigen in Kliniken, Hei-                      ge gab.
men und der ambulanten Pflege haben diese Fragen                         Die zunehmende Hitzebelastung führt zu gravierenden
eine hohe Relevanz.                                                      gesundheitlichen Folgen, da sie den Organismus des
Die Internationale statistische Klassifikation der Krank-                Menschen stark beansprucht und zu Problemen des
heiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD)                          Herz-Kreislaufsystems führen kann. Hohe Lufttempe-
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert                          ratur zusammen mit intensiver Sonneneinstrahlung
Schäden durch Hitze und Sonnenlicht wie folgt:                           fördert darüber hinaus die Entstehung von gesund-
• Hitzschlag und Sonnenstich                                             heitsgefährdendem bodennahem Ozon. Bei anhalten-
                                                                         der Hitze kann das körpereigene Kühlsystem überlas-
• Hitzesynkope                                                           tet werden, das führt bei vulnerablen Personen zu Re-
• Hitzekollaps                                                           gulationsstörungen und Kreislaufproblemen. Typische
• Hitzekrampf                                                            Symptome sind Kopfschmerzen, Erschöpfung und
                                                                         Benommenheit, besonders betroffen sind Ältere und
• Hitzeerschöpfung durch Salz- und Wasserverlust                         Menschen mit chronischen Vorerkrankungen. Ables-
  und andere Ursachen                                                    bar ist dies u.a. an der steigenden Zahl von Rettungs-
• Passagere Hitzeermüdung                                                einsätzen in Hitzeperioden. Modellrechnungen sagen
• Hitzeödem                                                              für Deutschland voraus, dass hitzebedingte Mortalität
                                                                         von 1 bis 6 % pro einem Grad Celsius Temperaturan-
• Sonstige Schäden durch Hitze und Sonnenlicht

1) Robert Koch Institut: Epidemiologisches Bulletin Nr. 23 vom 06. Juni 2019

2) Journal of Environmental Economics and Management; Martin Karlsson, Nicolas R. Ziebarth: Population health effects and health-related
costs of extreme temperatures: Comprehensive evidence from Germany | pdf

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Pflege im Umgang mit dem Klimawandel

stieg zunehmen könnte.                                       Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, dass weite-
Aber auch Beschäftigte leiden an Hitzetagen. Jede            re und immer häufiger auftretende Wetterextreme und
Arbeit strengt mehr an, der Körper verlangt nach Erho-       Hitzeperioden auftreten werden und bewältigt werden
lungspausen, die Konzentrationsfähigkeit sinkt und der       müssen, hat sich der DBfK mit dieser Broschüre dem
Wunsch nach kühlen Getränken nimmt zu. Das gilt              Thema gewidmet. Wir haben relevante Informationen,
auch und gerade in Pflegeberufen, wo in bestimmten           wissenschaftliche Erkenntnisse und wichtige Erfahrun-
Arbeitsbereichen zudem noch mit schweißtreibender            gen der Praxis zusammengetragen.
Schutzausrüstung gearbeitet werden muss.                     Einen besonderen Schwerpunkt dieser Broschüre bil-
„Hitzefrei“ wird es in der Pflege kaum geben können,         det die Expertise aus unseren Expertengruppen, die
allerdings nimmt die Arbeitsstättenverordnung Arbeit-        wir zum Thema Klimawandel und Umgang mit Hitze-
geber durchaus in die Pflicht. Ausgehend von einer           perioden befragt haben. Herausgekommen sind Tipps
umfassenden Gefährdungsbeurteilung regelt sie:               und Impulse, von denen wir uns wünschen, dass sie
                                                             Anregung und Hilfestellung bieten können.
 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)
 Anhang Nr. 3.5 Raumtemperatur:                              Health for Future
 (1) Arbeitsräume, in denen aus betriebstechnischer          Schon frühzeitig nach ihrer Gründung hat der DBfK
 Sicht keine spezifischen Anforderungen an die               begonnen, die Aktion ‚Health for Future‘ (https://
 Raumtemperatur gestellt werden, müssen während              healthforfuture.de/) zu unterstützen und für ihre Ziele
 der Nutzungsdauer unter Berücksichtigung der Ar-            zu werben. Es ist eine Aktionsplattform der übergeord-
 beitsverfahren und der physischen Belastungen der           neten Initiative KLUG (Deutsche Allianz Klimawandel
 Beschäftigten eine gesundheitlich zuträgliche Raum-         und Gesundheit) für die Gesundheitsberufe. Health
 temperatur haben.                                           for Future sieht sich inspiriert von der Fridays4Future-
 (2) Sanitär-, Pausen- und Bereitschaftsräume, Kanti-        und der Scientists4Future-Bewegung, gibt Akteur/
 nen, Erste-Hilfe-Räume und Unterkünfte müssen               innen aus dem Gesundheitsbereich die Chance, aktiv
 während der Nutzungsdauer unter Berücksichtigung            zu werden, sich zu vernetzen und bietet Materialien
 des spezifischen Nutzungszwecks eine gesundheit-            zur Arbeit in Mahnwachen, Klimastreiks oder auch mit
 lich zuträgliche Raumtemperatur haben.                      Patient/innen an.
 (3) Fenster, Oberlichter und Glaswände müssen un-           Antworten auf die Frage, was der Klimawandel mit
 ter Berücksichtigung der Arbeitsverfahren und der           Gesundheit zu tun hat, bietet ‚Health for Future‘ in ei-
 Art der Arbeitsstätte eine Abschirmung gegen über-          nem kurzen Faktenpapier:
 mäßige Sonneneinstrahlung ermöglichen.

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Informationen und Tipps für Pflegende zum Umgang mit Auswirkungen der Wetterextreme
Klima und Gesundheit                                     • Die Erderwärmung führt zum Anstieg des Meeres-
                                                         spiegels mit Überschwemmungen der Küstenregionen
Die Erderwärmung nimmt zu – die-                         sowie zu Extremwetterereignissen wie Stürmen, Stark-
ser Weg führt in eine Katastrophe                        regen, Hitzeperioden und Dürren. Die Folgen sind zer-
• Während der letzten 10.000 Jahre                       störte Infrastrukturen, Nahrungs- und Wassermangel,
schwankte die mittlere Erdtemperatur nie mehr als um     politische und soziale Instabilität, Ressourcenkonflikte,
2° C. Dieses stabile Klima war die Voraussetzung für     Flucht und Vertreibung. Alle diese Faktoren haben
die Entwicklung menschlicher Zivilisation.               grundlegenden Einfluss auf die menschliche Gesund-
• Seit 1850 hat die globale Durchschnittstemperatur      heit und das Wohlergehen.
um 1,4°C zugenommen – mit steigender Tendenz.            • Der Klimawandel wirkt auch heute schon auf die Ge-
Seit dem Pariser Klimaabkommen (2015) wird deshalb       sundheit der Menschen in Deutschland: durch erhöhte
angestrebt, die Erderwärmung auf 1.5° zu begrenzen.      Sterblichkeit und Morbidität durch Hitze und Luftver-
• Die Entwicklung geht in eine andere Richtung: Es       schmutzung (vor allem Feinstaub). Luftverschmutzung
wird mit einem Temperaturanstieg von mehr als 3°         und Klimawandel haben eine gemeinsame Ursache:
gerechnet. Bis 2100 soll die Erde um 4-5° wärmer sein    die Verbrennung fossiler Energien.
– wenn die CO-2 Emissionen weiter steigen.               • Die Luftverschmutzung verkürzt die durchschnittliche
• Deutschland zum Beispiel hält seine selbst gesteck-    Lebenszeit eines Europäers im Durchschnitt um zwei
ten Klimaziele nicht ein. Die Bundesregierung wollte     Jahre. Sie ist das größte umweltbedingte Risiko für
die Treibhausgase bis zum Jahr 2020 um mindestens        die Gesundheit und trägt signifikant zu Herz-Kreislauf-,
40% (gegenüber 1990) senken. Es werden aber nur          Atemwegs- und Lungenerkrankungen sowie Asthma
etwa 32% erreicht. Bis 2030 sollen 55% weniger Kli-      bei. Für eine Vielzahl weiterer Erkrankungen werden
magase emittiert werden, bis 2050 sogar 80 bis 95%.      Zusammenhänge angenommen.
• Mit weiterer Erderwärmung droht ein irreversibler      • Die Erderwärmung führt zu einer Intensivierung von
Klimakollaps durch die Überschreitung von wichtigen      Allergien und zur Verlängerung der Expositionszeiten.
Kipp-Punkten – wie dem Auftauen des Permafrostes,        Übertragbare Krankheiten wie Malaria, Dengue Fieber
dem Schmelzen des Grönlandeisschildes oder dem           und Vibrionen (zum Beispiel in der Ostsee) erhalten
Niederbrennen des Regenwaldes. Die Folgen führen         größere Verbreitung.
in eine Heißzeit mit dramatischen, lebensbedrohlichen    • Die Klimakrise trifft insbesondere die Verletzlichsten
Folgen, zum Beispiel dem Anstieg des Meeresspie-         (ältere und behinderte Menschen, solche mit Vorer-
gels um 7 Meter und dem ökologischen Zusammen-           krankungen, Kinder und Schwangere). Sie hat Folgen
bruch vieler Lebensräume.                                vor allem für die Länder, die am wenigsten zur Klima-
• Nur wenn der weltweite CO-2 Ausstoß bis 2030 um        krise beigetragen haben. Klimagerechtigkeit muss an
ca. die Hälfte (45%) und bis 2050 auf Null reduziert     oberster Stelle stehen.
wird, sind die Chancen, innerhalb des 1.5 Grad-Zieles    • Die Lancet Kommission 2015 spricht davon, dass
zu bleiben, bei ca. 50%. Will man die Chance erhö-       der Klimawandel die Erfolge bei der globalen Gesund-
hen, müsste bereits 2040 Klimaneutralität vorliegen.     heit der letzten Jahrzehnte gefährdet.
• Derzeit steigen die Emissionen immer noch. Eine        • Die ökonomischen Klimafolgekosten werden ein
Klimakatastrophe kann nur noch durch entschlosse-        Mehrfaches der Kosten für Klimaschutz betragen.
nes Handeln gebremst werden. Das Zeitfenster dafür       Auch die Gesundheitskosten des Nichthandelns kön-
schließt sich immer mehr. Der Weltklimarat betont:       nen die Kosten für Klimaschutz deutlich übertreffen.
„Die globale Erwärmung auf 1,5° zu begrenzen, erfor-     Den Subventionen der G20 Regierungen für fossile
dert rasche, weitreichende und beispiellose Verände-     Energieunternehmen im Jahre 2014 in Höhe von USD
rungen in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft“.        444 Milliarden stehen Folgekosten für die Gesundheit
Was hat der Klimawandel mit Gesundheit zu tun?           durch die Nutzung dieser Brennstoffe gegenüber, die
• Der Mensch lebt nicht isoliert auf diesem Planeten,    mindestens sechs mal so hoch waren.
sondern in Abhängigkeit und verbunden mit den vielen     • Die gute Nachricht: Viele Klimaschutzmaßnah-
verschiedenen Lebenssystemen in Wasser, Luft und         men sind gleichzeitig von Vorteil für die Gesund-
Erde. Alle sind durch die Klimakrise bedroht – und       heit. Saubere Luft, mehr aktive Bewegung, fleisch-
damit auch die Gesundheit des Menschen. Ohne Ge-         arme Ernährung, grünere autofreie Städte und eine
sundheit der Erde kann es keine Gesundheit ihrer Be-     intakte Natur schützen den gesamten Planeten.
wohner geben.

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Informationen und Tipps für Pflegende zum Umgang mit Auswirkungen der Wetterextreme
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel

Wetter als Gesundheitsrisiko
Im Zuge des Klimawandels nehmen Wetterextreme                       bei Hitze schnell aufstehen.
weltweit zu, auch in Deutschland. Besonders Hitze                • Patienten mit zu hohem Blutdruck, die Medikamente
wirkt sich dabei gesundheitlich stark aus. Was Hitze-              dagegen einnehmen, sollten die Dosierung von ih-
perioden für den menschlichen Körper bedeuten kön-                 rem Arzt überprüfen lassen. Bei kurzen Hitzeperio-
nen und was gerade ältere oder kreislauflabile Patient/            den, die nur wenige Tage dauern, muss die Tablet-
innen in solchen Zeiten beachten sollten, war zentra-              tendosis normalerweise nicht reduziert werden. Bei
les Thema der Jahrespressekonferenz der Deutschen                  längeren Hitzeperioden oder Aufenthalten in sehr
Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) am 13.                 warmen Regionen kann es jedoch sinnvoll sein, die
Februar 2020 in Berlin. Im Fokus standen dabei diese               Medikamente niedriger zu dosieren oder eventuell
5 Schwerpunkte:                                                    zu pausieren.
• Blutdruck und Flüssigkeitshaushalt                             • Patienten mit zu hohem Blutdruck, die Medikamente
• Herz– und Kreislaufkrankheiten                                   dagegen einnehmen, sollten gerade bei heißem
• Lungenerkrankungen und Allergien                                 Wetter ihren Blutdruck täglich überwachen. Sinkt
                                                                   der systolische Blutdruck immer wieder oder dauer-
• Postoperative Wundheilung                                        haft unter 120 oder sogar unter 100 mmHg, sollte
• Klimawandel aus der Sicht des Hausarztes                         rasch Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden.
Klimafolgenforschung ist in der Medizin noch relativ             • Besonders gefährdet sind Patienten, bei denen die
neu, wird aber immer wichtiger, wie die ersten Studien             Blutdruck-Regulation nicht mehr normal ist, zum
zeigen. Das Interesse an den Ausführungen der inter-               Beispiel Diabetiker mit autonomer Polyneuropathie.
nistischen Expert/innen im Rahmen der Pressekonfe-
                                                                 • In keinem Fall darf ohne Rücksprache mit dem Arzt
renz war groß und sie gaben wichtige Impulse, die
                                                                   die Dosis verringert oder das Medikament abgesetzt
gerade für die Pflege in bevorstehenden heißen Zeiten
                                                                   werden.
relevant sind und beachtet werden sollten. Daher hier
einige Auszüge aus den Redemanuskripten der Refe-                Durch vermehrtes Schwitzen an heißen Tagen verliert
renten.                                                          der Körper viel Flüssigkeit und oft auch Salz. Dies
                                                                 bringt Menschen in Gefahr, deren Durstempfinden
                                                                 gestört ist oder die unzureichend trinken können, ins-
Klimawandel, Blutdruck und Flüs-                                 besondere
sigkeitshaushalt: Was muss ich                                   • alte Menschen
beachten?                                                        • Heimbewohner

Professor Dr. med. Jürgen Floege, Vorsitzender der               • Pflegebedürftige
DGIM 2019/20                                                     • Neugeborene
Hitze und Schwitzen erweitern die Blutgefäße und bei             Ein hohes Exsikkose-Risiko besteht, wenn solche Pa-
den meisten Menschen sinkt damit auch der Blut-                  tienten neben der Hitze noch weitere Erkrankungen
druck. Zusätzlich wird der Blutdruckabfall beim Wech-            (Infektionen, Pneumonien, Harnwegsinfekte ...) entwi-
seln vom Liegen zum Stehen ausgeprägter. Je nach                 ckeln. Auch Hochdruck-Patienten sind bei Hitze even-
Ausprägung des Blutdruckabfalls kann es dann zu                  tuell gefährdet, in eine Exsikkose zu rutschen, da viele
Beschwerden wie Schwindel, Müdigkeit, Übelkeit und               Patienten Diuretika zur Blutdrucksenkung einnehmen.
Schwächeanfällen bis hin zu Stürzen und Ohnmach-                 Diuretika entwässern den Körper und können somit
ten kommen. Damit haben Hitzewellen mehrere Kon-                 eine Exsikkose beziehungsweise den Salzverlust ver-
sequenzen für Menschen, die an zu niedrigem oder zu              stärken. Dies kann besonders bei älteren Patienten zu
hohem Blutdruck leiden:                                          Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Krampfanfällen und zu
                                                                 einer Eintrübung des Bewusstseins bis zur Bewusstlo-
• Patienten mit sehr niedrigem Blutdruck sind gefähr-
                                                                 sigkeit führen.
  deter für Ohnmachtsanfälle, insbesondere wenn sie

3) Pressemappe DGIMv om 13.02.2020: https://www.dgim.de/fileadmin/user_upload/PDF/Pressekonferenzen/2020_Pressemappe_Jahres-
PK_DGIM.pdf (zuletzt abgerufen am 27.04.2020)

                                                            06
Informationen und Tipps für Pflegende zum Umgang mit Auswirkungen der Wetterextreme
zugenommen. Das bedeutet, Klimaveränderungen
Herzkrank im Klimawandel: Wie                              können nicht isoliert betrachtet werden, Risikoverän-
schütze ich mich?                                          derungen aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen
                                                           müssen in Betracht gezogen werden.
Professor Dr. med. Georg Ertl, Generalsekretär der         Es fanden sich noch einige interessante Beobachtun-
DGIM                                                       gen. Es gab nicht weniger Kälte-assoziierte Herzin-
So beeinflusst das Klima unser Herz                        farkte. Entgegen den Erwartungen fand sich auf dem
Wir wissen seit längerem, dass bei Kälte mehr Herzin-      Land sogar ein höheres Hitze-assoziiertes Risiko als in
farkte auftreten. Für heißes Wetter sind die Zusam-        der Stadt, was möglicherweise auf mehr oder andere
menhänge nicht so eindeutig gewesen. Zum Beispiel          Risikofaktoren auf dem Lande zurückzuführen ist. Of-
ist die Häufigkeit von Herzinfarkten in mediterranen       fen bleibt, ob die Ergebnisse auf außerhalb der Region
Ländern geringer, was man auf die mediterrane Er-          übertragen werden können. Eine interessante Frage
nährung und Lebensweise zurückgeführt hat.                 ist auch, was passieren wird, wenn das Übereinkom-
                                                           men von Paris zur Begrenzung der globalen Erwär-
Eine deutsche Studie aus dem Augsburger MONIKA-
                                                           mung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber
Register hat nun im letzten Jahr gezeigt, dass im letz-
ten Jahrzehnt mehr Herzinfarkte im Zusammenhang            vorindustriellen Werten eingehalten wird oder auch
mit hohen Außentemperaturen aufgetreten sind, was          nicht?
auf einen möglichen Effekt des Klimawandels auf das        Temperatur ist nicht gleich Temperatur
Auftreten von Herzkrankheiten hinweist. Die Studie         Die relative Luftfeuchtigkeit beeinflusst wesentlich die
beruht auf der Analyse von Registerdaten der Region        gefühlte Temperatur: Bei 29 Grad Celsius und null
Augsburg zwischen 1987 und 2014. In der Zeit sind          Prozent Luftfeuchtigkeit ist die gefühlte Temperatur 26
insgesamt 27 310 Herzinfarkte aufgetreten. Die Korre-      Grad Celsius. Bei 29 Grad Celsius und 80 Prozent
lation dieser Daten mit täglichen meteorologischen         Luftfeuchtigkeit ist die gefühlte Temperatur 36 Grad
Aufzeichnungen ergab nach Korrektur für eine Reihe         Celsius!
von anderen möglichen ursächlichen Faktoren                Gründe für ein besonders hohes Risiko
(Wochentag, sozioökonomischer Status etc.) in der
                                                           Menschen, die jünger als 4 oder älter als 65 Jahre alt
gesamten 28-Jahres-Periode Effekte von kaltem Wet-
                                                           oder übergewichtig sind, haben ein höheres Risiko.
ter, jedoch keine Effekte von heißen Temperaturen.
                                                           Patienten mit Erkrankungen, zum Beispiel von Niere,
                                                           Lunge oder Herz, haben ein besonders hohes Risiko,
                                                           schon durch die Erkrankung selbst, aber auch durch
                                                           die Medikamente (z. B. Diuretika), die sie einnehmen.
                                                           Drogen, auch Alkohol, können das Risiko steigern.
                                                           Auch äußere Umstände können eine besondere Risi-
                                                           kolage herstellen, wie zum Beispiel plötzliche Wet-
                                                           teränderungen oder Wetterlagen mit besonders hoher
                                                           Luftfeuchtigkeit.
                                                           Hitze, Herz und Kreislauf
                                                           Auch wenn prinzipiell lebensbedrohliche Herzinfarkte,
                                                           Schlaganfälle oder Lungenprobleme bei Hitzewellen
                                                           häufiger auftreten, sind vergleichsweise harmlosere
                                                           Kreislaufstörungen das bei Weitem häufigere Problem.
                                                           Die Symptome Hitze-induzierter Störungen und Krank-
In einer separaten Analyse für zwei Perioden ergab         heiten hängen vom Typ und der Schwere des Hitze-
sich eine mittlere tägliche Maximaltemperatur von 14,5     schadens ab. Häufige Symptome sind Schweißaus-
Grad Celsius für die Jahre 1987 bis 2000 und keine         brüche (kalter Schweiß), Erschöpfung, Müdigkeit,
Assoziation der Herzinfarkthäufigkeit. Für die Jahre       Schwindel, zunächst nur beim Aufstehen, dann Be-
2001 bis 2014 fand sich eine mittlere tägliche Maxi-       nommenheit bis zur Ohnmacht, ein schwacher schnel-
maltemperatur von 15,1 Grad Celsius und ein Anstieg        ler Puls, Übelkeit, Erbrechen. All diese Symptome kön-
der Hitze-assoziierten Herzinfarktrate besonders bei       nen allerdings bei harmloseren Störungen, beim Hitz-
Patienten mit vorbestehenden Herzkrankheiten, Dia-         schlag und auch beim Herzinfarkt auftreten, sodass im
betes, hohem Cholesterin (Risikofaktoren). Allerdings      Zweifelsfall die Notrufnummer gewählt werden sollte.
hatten diese Risikofaktoren in derselben Zeit ebenfalls
                                                          07
Informationen und Tipps für Pflegende zum Umgang mit Auswirkungen der Wetterextreme
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel

Wie vorbeugen?                                              ganz Deutschland angeschlossen – verwaltet wird das
• Ausreichend trinken, der Urin sollte klar sein.           System über die Charité, wo Dr. med. Seven Johan-
                                                            nes Sam Aghdassi und seine Kollegen die Daten aus-
• Durst alleine kann besonders bei älteren Patienten        werteten.
  nicht das alleinige Maß sein.
                                                            Die Angaben zur Wundheilung aus dem KISS ver-
• Alkohol stellt eine zusätzliche Kreislaufbelastung        knüpften die Mediziner mit meteorologischen Messda-
  dar.                                                      ten des Deutschen Wetterdienstes, wie etwa der Au-
• Bei Flüssigkeitsverlust müssen auch Elektrolyte           ßentemperatur, dem Niederschlag und der Luftfeuch-
  ersetzt werden.                                           tigkeit. Da diese Parameter stark miteinander korrelier-
                                                            ten, konzentrierten sich die Studienautoren bei der
• Die Bilanz ist allerdings bei Patienten mit Herz-/
                                                            Analyse letztlich auf die monatliche Durchschnittstem-
  Kreislauf-Erkrankungen schwierig.
                                                            peratur. Wie sich zeigte, stand diese in einem deutli-
• Patienten mit Herzschwäche zum Beispiel fühlen            chen Zusammenhang mit der Zahl der dokumentierten
  sich „trocken“ häufig besser.                             Wundinfektionen: „Grob gesagt nahm mit jedem Grad,
• Passende Kleidung tragen, Schatten aufsuchen.             um das die Außentemperatur anstieg, das Risiko für
                                                            eine postoperative Wundinfektion um ein Prozent zu“,
• Überhitzung auf jeden Fall vermeiden.
                                                            erklärt Aghdassi. Bei der Analyse definierter Tempera-
• Risikofaktoren für Herzkrankheiten (Rauchen,              turbereiche ergab sich zwischen der kältesten Katego-
  Übergewicht, hoher Blutdruck, Diabetes …)                 rie (weniger als 5 Grad Außentemperatur) und der
  vermeiden oder behandeln.                                 wärmsten (20 Grad oder mehr) ein Risikozuwachs von
Was tun, wenn Symptome auftreten?                           13%.
                                                            Dabei schienen manche Bakterientypen stärker auf
• Bei Bewusstlosigkeit und Symptomen des
                                                            die Außentemperatur zu reagieren als andere. Wäh-
  Sonnenstichs oder Hitzschlags die Notrufnummer
                                                            rend sich die Zahl der Infektionen mit grampositiven
  wählen.
                                                            Erregern nur wenig änderte, nahmen Infektionen mit
• Kühl halten, Kleidung befeuchten, langsam Wasser          gramnegativen Keimen – wie etwa E.coli-Bakterien –
  in kleinen Schlucken (nicht erzwingen), eventuell         mit steigenden Temperaturen deutlich zu. Auch waren
  kühles Bad.                                               oberflächliche Wundinfektionen deutlich stärker tem-
• Hitze meiden, gekühlte Räumlichkeiten aufsuchen,          peraturabhängig als Infektionen in tieferliegenden
  hinlegen.                                                 Wundbereichen.
                                                            Die Analyse, an der auch Wissenschaftler des Pots-
Infektionen sind in warmen Mona-                            dam Instituts für Klimafolgenforschung beteiligt waren,
                                                            hat Aghdassi zufolge einen rein explorativen Charak-
ten häufiger                                                ter. „Es handelt sich lediglich um einen ersten Schritt
Dr. med. Seven Johannes Sam Aghdassi, Institut für          in die Thematik hinein“, betont der Berliner Studienlei-
Hygiene und Umweltmedizin, Charité – Universitäts-          ter. Entsprechend möchte er die Schlussfolgerungen
medizin Berlin                                              aus seiner Analyse zunächst nur als Hypothese ver-
                                                            standen wissen. Eine Hypothese allerdings, die es
Nach durchschnittlich 1,6% der operativen Eingriffe
                                                            angesichts der im Zuge des Klimawandels zu erwar-
kommt es zu Infektionen der Wunde. In den letzten
                                                            tenden Temperatursteigerung weiter zu untersuchen
Jahrzehnten ist es zwar gelungen, dieses Risiko durch
                                                            lohnt.
Hygienemaßnahmen und vorbeugende Medikamen-
tengabe deutlich zu senken. Mediziner der Berliner
Charité haben nun jedoch einen Faktor identifiziert,
den Ärzte und Klinikpersonal nicht beeinflussen kön-
nen: das Wetter. Wie sie in einer Studie mit Daten aus
17 Jahren zeigen konnten, treten Wundinfektionen in
wärmeren Monaten häufiger auf als in kühleren.
In den Jahren 2000 bis 2016 wurden über das Kran-
kenhaus-Infektions-Surveillance-Systems (KISS) zwei
Millionen Operationen dokumentiert. In deren Folge ist
es zu mehr als 32.000 postoperativen Wundinfektio-
nen gekommen. An KISS sind Krankenhäuser aus

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die klinische Medizin dreierlei: Zum einen, dass der
Lungenkrankheiten, Allergien und                               Wohn- und Aufenthaltsort des Großstadt-Patienten in
Klimaänderungen                                                die klinische Medizin mit einzubeziehen ist. Zum zwei-
                                                               ten sollten bei vulnerablen Patienten die klinischen
Professor Dr. med. Christian Witt, Leiter des Arbeits-         Verläufe effizienter erfasst werden (neue Medien/
bereichs Ambulante Pneumologie - Charité                       Telemonitoring, künstliche Intelligenz) und drittens
Wir Klinikärzte wissen seit der Veröffentlichung des 4.        sollte durch konsequente Patientenführung und medi-
Sachstandsberichts des Weltklimarates 2007 (IPCC-              kamentöse Therapie präventiv das gestiegene Exazer-
Report), dass bei einer globalen Erwärmung von                 bations- beziehungsweise Dekompensationsrisiko, das
durchschnittlich zwei Grad Celsius nicht nur Schwellen         zum Teil lebensbedrohlich sein kann, gemindert wer-
- und Entwicklungsländer komplex durch Probleme für            den.
die Landwirtschaft/Ernährung und die Küsten durch              Ein weiterer Punkt ist die lokale Umwelt-Atemluft-
Meeresspiegelanstiege und anderes mehr betroffen               Belastung (Urban Air Pollution), die auch am Ort der
sein werden. Sondern auch, dass in den gemäßigten              höchsten Temperaturen auftritt. Feinstaub, Stickoxide
Breiten – also bei uns auf der Nordhalbkugel – die Fol-        und Ozon führen zusätzlich zu mehr Mortalität und
gen der Erwärmung zu einer Morbiditätssteigerung               Morbidität, das heißt, dass bei chronisch Kranken das
von Krankheitsverläufen, besonders chronischer kardi-          Risiko einer Zunahme von Beschwerden, Symptomen
orespiratorischer Krankheiten, führen werden. Als              und Belastungsintoleranz steigen kann. Hier kommen
Grenzorgan zur Umwelt kommt in diesem Kontext der              also zwei Umweltänderungen simultan zusammen, die
Lunge eine Portalfunktion zu. Bei der Annahme einer            besonders die vulnerablen Patientengruppen belasten
Erwärmung von nur einem Grad Celsius steigt die                Klinisch führt die Risikosteigerung zu mehr Instabilität
Mortalität in Regionen oberhalb der Alpen bei respira-         des Krankheitsverlaufes, auf die Ärzte in Ambulanzen
torischen Erkrankungen um 3 bis 6 %, letztere bei älte-        und Kliniken mit mehr Medikamentenverordnungen,
ren Menschen, die älter als 80 Jahre sind, in der Regel        mehr Krankschriften, mehr Arztkonsultationen bezie-
multimorbiden Patienten. Eine Untersuchung in den              hungsweise Notfallrettungseinsätzen und mehr nach-
USA dazu zeigt, dass bei einem Temperaturanstieg               folgenden Hospitalisierungen reagieren. Aktuelle For-
von zehn Grad Fahrenheit die Hospitalisierungsrate             schungsansätze betrachten beides: den globalen
bei respiratorischen Patienten um 4,3% zunimmt. Die-           Treibhauseffekt mit Erwärmung und Extremen und die
se Zahl ist klinisch griffig, also circa 5%, doch im kälte-    steigende lokale, besonders urbane Luftbelastung. Sie
ren Alaska ist die sogenannte Resilienz für Hitze              kommen zu dem Schluss, dass der fortschreitende
schwächer ausgeprägt als im wärmeren Texas, wo                 Klimawandel inklusive Wetterextremen, wie Hitzewel-
mehr Adaptation erworben werden konnte. Folglich               len, das Risiko schwerer Luftbelastungsphasen erhö-
sind Vulnerabilitäten eine evidente Steuergröße der            hen wird.
klinischen Betroffenheit und damit ein Maß der adapti-         Was bedeutet dieser Erkenntnisstand für Klinikärzte im
ven Kapazität unserer chronisch kranken Patienten,             Herbst 2019, einer Zeit mit großen globalen Klimabe-
die bei dieser Gruppe aus zwei Gründen vermindert              wegungen, wie „Fridays for Future“, und Zeiten einer
ist: zum einen wegen der chronischen Krankheit, ge-            sogenannten gesellschaftlichen Transformationspha-
gebenenfalls verbunden mit hohem Alter und Multi-              se? Meine Haltung umreißt grob folgende Vorschläge
morbidität, und zum anderen durch die Therapie der-            und Empfehlungen:
selben, beispielsweise eine Bluthochdruckbehandlung,
                                                               1. Selber als Klinikarzt Vorbild sein in der Verminde-
die auch adaptive Regulationen bei Hitze beeinträchti-
                                                               rung der Kohlendioxidemission (Treibhausgase – glo-
gen kann.
                                                               bal) und von Feinstaub, NO2 und Ozon (Air Pollution
Zu der allgemeinen Erwärmung, die auch in der kalten           lokal).
Jahreszeit circa zwei bis drei Grad Celsius beträgt,
                                                               2. Mehr Aus- und Fortbildung zu klinischen Folgen des
kommt in Metropolen – am ausgeprägtesten in Mega-
                                                               Klimawandels und Air Pollution.
citys (mehr als zehn Millionen Einwohner), aber auch
in deutschen Großstädten, zum Beispiel Berlin – ein            3. Mehr Forschung zur Identifikation vulnerabler Grup-
sogenannter Heat-Island-Effekt, also innerstädtische           pen (Patienten).
Wärmeinseln, hinzu. Am Beispiel Berlin kann ein Tem-           4. Mehr Entwicklung von Adaptationsstrategien (neue
peraturgradient bei Hitze von bis zu acht Grad Celsius         Medien/Telemonitoring/künstliche Intelligenz/Konzept
zwischen dem kühleren Stadtrand und dem Stadtzent-             des klimaadaptierten Krankenhauses/Klimatisierung
rum (Alexanderplatz) auftreten. Folglich ergibt die            sowie der klimaadaptierten Arzneimitteltherapie).
Translation dieser geoklimatischen Erkenntnisse für

                                                              09
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel

                                                             die Inhalation von Stickoxiden in den Ballungs- und
Klimawandel aus Sicht der haus-                              Industriezentren zu einer erhöhten Inzidenz von
ärztlich tätigen Internisten                                 Lungenerkrankungen und einer allgemeinen
                                                             Zunahme der Mortalität.
Dr. med. Ivo G. Grebe, Vizepräsident des Berufsver-        Ziel nationaler und internationaler Abkommen ist es,
bandes Deutscher Internisten (BDI)                         gemäß des Pariser Abkommens bis 2050 eine neutra-
Spätestens seit den Hitzerekorden der letzten Som-         le Treibhausbilanz zu erreichen. Wir als Internisten
mer, den Protesten rund um die Gewinnung und Ver-          können im Verbund mit der gesamten Ärzteschaft da-
stromung fossiler Brennstoffe, dem Dieselskandal und       zu beitragen, dieses Ziel zu erreichen, indem wir
der Diskussion um Feinstaubbelastung in unseren
                                                           • bei uns selbst und bei unseren Patienten
Städten ist die Ärzteschaft alarmiert. Vertreter großer
                                                             gesundheitsbewusstes Verhalten fördern,
Verbände, der Hochschulen und Kammern warnen
seit langem, dass unser Gesundheitssystem wegen            • uns für klimafreundliche Aktionen wie den
des Klimawandels vor großen Herausforderungen                fahrradfreundlichen Ausbau von Innenstädten
steht und wir uns mit den Auswirkungen des Klima-            einsetzen und damit zur Reduktion des
wandels für den Einzelnen, aber auch mit den indirek-        Autoverkehrs     und  der  Feinstaubbelastung
ten Folgen für die globale Gesundheit beschäftigen           beitragen,
müssen.                                                    • klimafreundliche Mobilität bei unseren Patienten
Laut „Lancet Countdown“ ist der Klimawandel die              fördern und auf den besonderen gesundheitlichen
größte Bedrohung für die Gesundheit in diesem Jahr-          Nutzen von Sport und Bewegung hinweisen,
hundert. Wie lässt sich diese sehr allgemeine Behaup-      • die Gefahren von Über- und Fehlernährung
tung in die Versorgungsrealität des Internisten in der       aufzeigen, die Reduktion des Fleischkonsums
ambulanten, speziell der hausärztlichen Versorgung           anstreben und auf die ökologischen Gefahren der
umsetzen?                                                    Massentierhaltung hinweisen,
• Wetterextreme wie beispielsweise die Hitzewellen         • eine restriktive Verordnung von Antibiotika und
  der vergangenen Jahre führen zu vermehrten Herz-           Analgetika betreiben, eine „greenline production“
  Kreislauf-Dekompensationen,       Nierenversagen           von Arzneimitteln unterstützen, um damit die
  durch      Flüssigkeitsmangel    und     erhöhter          Rückführung toxischer Medikamentenrückstände in
  Stressanfälligkeit – darauf müssen wir vorbereitet         das Trinkwasser zu reduzieren,
  sein.
                                                           • in unseren Praxen oder anderen Tätigkeitsfeldern
• Durch     Mücken     oder    Zecken     übertragbare       den Klimawandel und seine globalen Folgen für die
  Krankheiten nehmen zu, neue Infektionskrankheiten          physische      und     psychische      Gesundheit
  aus dem asiatischen oder afrikanischen Raum                thematisieren und damit zur Aufklärung und
  treten in Mitteleuropa auf (West-Nil-Fieber, Dengue,       kritischen Auseinandersetzung beitragen.
  Zika, Malaria und andere).
• Die Luftverschmutzung durch Verbrennung fossiler
  Brennstoffe führt über die Feinstaubbelastung und

                                                      10
Klimawandel und Pflege
Erschöpfung, Kollaps, Exsikkose, Wundinfektionen,           • Pflegeunternehmer
Schlafstörungen, Lethargie, Blutdruckschwankungen -
                                                            • Pflegeforschung, Qualitätsmanagement
Hitzephasen als Folge des Klimawandels sind für
kranke und pflegebedürftige Menschen ein großes             • Pflegende 50 +
Risiko. Und sie werden in immer kürzeren Abständen
eintreten, darin sind sich Klimaforscher weltweit einig.
Betreiber von Gesundheits– und Pflegeeinrichtungen          Impulse und Empfehlungen der
und –diensten ebenso wie die Pflegefachpersonen
selbst sollten sich darauf vorbereiten und professionell
                                                            DBfK-Expertengruppen
damit umgehen lernen. Es gilt, gerade an heißen Ta-         Alle genannten Expertengruppen erhielten für die Erar-
gen möglichst kühlen Kopf zu bewahren, auch dann,           beitung des Themas eine Tischvorlage mit fünf Fragen
wenn man selbst unter den Temperaturen leidet, die          und diesem Auftrag:
Konzentration schwerfällt und man die Gestaltung von
Abläufen nur begrenzt beeinflussen kann.
Wir haben zu Beginn des Jahres 2020 die Bundesar-
beitsgemeinschaften (BAG) im DBfK beauftragt, je-
weils für ihr spezifisches Aufgabenfeld an diesen The-
men zu arbeiten. Wir wollten von ihnen wissen, ob der
Umgang mit Hitzephasen bereits Thema in den Ein-
richtungen ist und wie man sich dazu verhält. Außer-
dem haben wir sie gefragt,
• was das Unternehmen tun sollte,
• welche pflegerischen Aufgaben bei diesem Thema
                                                            Maßnahmen bei/gegen Hitze in Ihrem Tätigkeits-
  besonders wichtig sind,
                                                            feld:
• was sie persönlich empfehlen, und
                                                            Der Klimawandel ist auch in unseren Breiten zuneh-
• was aus ihrer fachlichen Perspektive besonders            mend spürbar, u.a. durch Wetterextreme. Wir alle ha-
  dringend ist.                                             ben sicherlich noch die zurückliegenden beiden Hitze-
Die Arbeitsergebnisse und Empfehlungen der Arbeits-         sommer im Gedächtnis, die vielen Menschen zu schaf-
gruppen wurden zusammengetragen. Sie beziehen               fen gemacht haben. Besonders für alte und kranke
sich vor allem auf Maßnahmen zur Temperatursen-             Menschen sind solche Tage eine große Belastung und
kung, Ernährung und Trinken, Patienten– und Bewoh-          wirken sich physisch wie psychisch aus.
nersicherheit, Gestaltung der Abläufe an heißen Ta-         Äußerst anstrengend ist in solchen Zeiten aber auch
gen, Beschattung, (Um)Baumaßnahmen, Bekleidung              das Arbeiten in der Pflege; im Schichtdienst, in Berei-
und Bettwäsche sowie Einflussnahme auf unterneh-            chen mit besonderer Schutzausrüstung, in Räumen
merische und politische Entscheidungen zum Klima–           mit großen Fenstern, bei hohem Zeitdruck, fehlenden
und Umweltschutz auf allen Ebenen.                          Pausen usw.
Ein herzliches Dankeschön für die engagierte Zuarbeit       Wir möchten Sie bitten, in einem Brainstorming Ideen
geht an diese Expertengruppen:                              und Vorschläge zu sammeln, die für Ihren besonde-
• Junge Pflege im DBfK                                      ren Tätigkeitsbereich gelten. Was kann bzw. muss
                                                            ganz konkret getan werden, damit Tage mit großer
• Palliative Care
                                                            Hitze für Patient/innen, Bewohner/innen, aber auch für
• Pflege im Funktionsdienst                                 Mitarbeiter/innen einigermaßen erträglich bleiben und
• Pflege im Krankenhaus                                     sie keinen Schaden nehmen? Denken Sie dabei an
                                                            bauliche/einrichtungstechnische Maßnahmen, verän-
• Pflege in stationären Pflegeeinrichtungen
                                                            derte Zeitabläufe, die Gestaltung von Innenräumen
• Pflegebildung                                             und Außenbereichen, Pflegemaßnahmen, Kleidung,
                                                            Essen und Trinken usw.

                                                           11
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel

Ist der Umgang mit Hitze in Ihrer Einrichtung The-           Was sollte das Unternehmen tun?
ma? Inwiefern?                                               An dieser Stelle wurden zahlreiche Maßnahmen be-
Die Berichte aus den Gruppen zeigen ein recht hetero-        nannt, die sich auch in den diversen Tätigkeitsfeldern
genes Bild. Viele Einrichtungen - insbesondere der           nicht sonderlich unterscheiden:
Langzeitpflege - haben sich bereits intensiv mit dem         • Arbeitsschutz einhalten
Klimawandel auseinandergesetzt und Vorkehrungen
getroffen. Maßnahmen beziehen sich vor allem auf             • Schulung des Personals

• Ausrichtung der Patienten-/Bewohnerzimmer                  • Klare Verfahrensanweisungen/Kriterien/Maßgaben
                                                               erstellen, wie in extremen Hitzeperioden die Arbeits-
• Wohlbefinden der Bewohner-/Patient/innen                     last strukturiert werden kann/soll, um die Beschäftig-
• Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden           ten zu entlasten
• Krankenbeobachtung und Patientensicherheit                 • Bauliche Veränderungen bzw. Nachrüstung, wo das
• Lagerung von Arzneimitteln und Medizinprodukten              möglich ist (Klimaanlage, Sonnenschutz/
                                                               Beschattung, Isolierung von Dachgeschossen,
• Schutz von Geräten/Technik vor Überhitzung                   Wänden und Fenstern, Begrünung der Außenanla-
• Zeitliche Verlagerung von Maßnahmen und Termi-               gen)
  nen                                                        • Beachten der Warnungen des Deutschen Wetter-
• Änderung des Speiseplans, gezieltes Getränkean-              dienstes, frühzeitige Informationen an alle Bereiche
  gebot usw.                                                 • Temperaturregulierung (Ventilatoren, Fächer, Küh-
Es wird berichtet, dass der Handlungsdruck sich auch           lelemente, „Kühltücher“; auf veraltete Ventilatoren
durch zunehmende Beschwerden von Patient/innen                 und Klimageräte ist zu verzichten)
bzw. Bewohner/innen und deren Angehörige verstärkt.
                                                             • Kostenlose Getränke für alle
Wirksamer Schutz vor den Auswirkungen des Klima-
wandels ist ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor ge-           • Anpassung des Speisenangebots
worden. Wo sie die Wahl haben, stimmen sowohl Pati-          • Leichte Dienstkleidung (Baumwoll– und Leinen-
ent/innen bzw. Bewohner/innen wie Mitarbeitende in-            mischgewebe, hochwertige Synthetikstoffe ähnlich
zwischen immer häufiger „mit den Füßen“ ab.                    wie bei Sportbekleidung)
Selbstverständlich ist trotz der Erfahrungen mehrerer        • Genügend Kleidung zum häufigen Wechseln
Hitzesommer ein vorausschauendes Handeln der Un-
                                                             • Duschräume für Mitarbeitende
ternehmen allerdings noch nicht. „Ein Bewusstsein für
das Problem existiert nur im Sommer!“, „Die Situation        • Große und gut belüftete Umkleideräume
wurde als isoliertes, saisonales Phänomen wahrge-            • Anpassung der Abläufe (Verlagerung von Tätigkei-
nommen, der Leidensdruck und die Aufmerksamkeit                ten in die kühleren Stunden des Tages), falls mög-
für das Thema sanken entsprechend im Herbst wie-               lich Anpassen der Arbeitszeiten
der!“, „Hitze ist bisher noch nicht genügend im Blick!“ -
                                                             • Trinkpausen für Mitarbeitende sicherstellen
auch das berichten die DBfK-Expert/innen von ihren
Arbeitsplätzen.                                              • Hitzeschutz für Geräte, Elektronik, Medikamente
                                                               usw.
                                                             • Konsequente Unternehmensausrichtung am Klima-
                                                               schutz (Ressourcenschonung, Energiesparen,
                                                               nachhaltiges Wirtschaften, sinnvolles Abfallmanage-
                                                               ment, Dienstwagen mit Klimaanlage für ambulant
                                                               Pflegende, …)
                                                             • Beteiligung an bzw. Durchführung von Projekten zu
                                                               Einfluss und Bedeutung des Klimawandels für das
                                                               Gesundheitswesen

                                                        12
Welche Aufgaben der Pflege sind bei diesem The-
ma besonders wichtig?
• Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels
  schaffen
• Patient/innen, Bewohner/innen, Angehörige beraten
  bzgl. Verhalten und ausreichender Flüssigkeitszu-
  fuhr in Hitzeperioden
• Individuelle, bedarfs– und situationsgerechte Pflege
• Gute Grund– und Hautpflege, ggf. mehrfach täglich
• Wäschewechsel, leichtes Bettzeug
• Verstärkte Krankenbeobachtung und Vitalkontrollen
• Flüssigkeitsbilanzierung                                • von genügend und wirksamen Erholungspausen für
                                                            die Beschäftigten, denn Hitzeperioden sind hochbe-
• Gezieltes Stoßlüften der Zimmer morgens, abends
                                                            lastend und führen sehr schnell zur Erschöpfung.
  und nachts
                                                            Darauf ist in Bereichen, in denen in besonders dich-
• Ausschöpfen von Maßnahmen für ein angenehmes              ter Kleidung gearbeitet werden muss (Operations-
  Mikroklima im Patienten-/Bewohnerzimmer                   saal, Isolierzimmer), zwingend zu achten, um die
• Anpassen der Arbeitsabläufe bzw. Pflegemaßnah-            Beschäftigten vor Gesundheitsschäden zu bewah-
  men und Betreuungsangebote                                ren. Pflege ist ein wesentlicher Teil der Gesund-
                                                            heitsversorgung und trägt enorm viel zu den Outco-
• Erfrischende Waschungen, Fuß– und Armbäder
                                                            mes bei. Damit das gelingt, sind gute Arbeitsbedin-
• Eiswürfel, Wassereis, gekühlte Getränke, Kaltscha-        gungen und wirksamer Schutz der Beschäftigten
  len, frisches Obst anbieten                               erforderlich.
• Ggf. individuelle Maßnahmen (in der letzten Le-         Was ist besonders dringend?
  bensphase besonders bedeutsam)
                                                          Der Klimawandel und die zunehmenden Hitzeperioden
• Arzneimittelmanagement                                  sind Realität. Und sie haben gravierende Auswirkun-
• Selbstschutz: Pausen, zusätzliche Trinkpausen,          gen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der
  Wechsel der Kleidung bei starkem Schwitzen              Menschen, gerade in Zeiten von Krankheit und Pflege-
• Technische Geräte, die Wärme abgeben, bei Nicht-        bedürftigkeit. Keine Klinik, keine stationäre oder teil-
  nutzung abstellen,                                      stationäre Einrichtung, kein Pflegedienst wird umhin-
                                                          kommen, sich mit dem Thema zu beschäftigen und
• Kollegiale Beratung und Evaluation von Maßnah-          wirksame Schutzmaßnahmen umzusetzen.
  men
                                                          Die DBfK-Expert/innen verweisen daher auf eine hohe
Welche Empfehlungen geben Sie?
                                                          Dringlichkeit für
Genannt wurden an dieser Stelle weitgehend Interven-
tionen, die bereits bei den vorangegangenen Fragen        • die Absenkung der Temperatur in Innenräumen der
aufgeführt sind. Wenn aufgrund von Hitze pflegerische       Versorgungseinrichtungen, hierzu muss investiert
Leistungen nur priorisierend ausgeführt werden kön-         werden
nen, muss dies mit hoher Transparenz gegenüber den        • fundiertes Wissen der professionell Pflegenden um
Betroffenen und ihren Angehörigen kommuniziert wer-         die Zusammenhänge und Wechselwirkungen von
den. Ausdrücklich verweisen die Expert/innen zudem          Körperfunktionen und -regulation, Arzneimittelthera-
noch einmal auf die Bedeutung                               pie, Krankheitsverläufen und klimatischen Verhält-
• von Verfahrensanweisungen für das Personal in             nissen
  allen Einrichtungen und Diensten                        • die Notwendigkeit, hitzebedingt vermehrten Pflege-
• einer konsequenten Ausrichtung der gesamten Un-           aufwand zu refinanzieren
  ternehmensstrategie hin zur Nachhaltigkeit              • die hohe Verantwortung jedes Einzelnen, seinen
                                                            Teil zur Verlangsamung des Klimawandels beizutra-
• wertschätzender Beteiligung aller Mitarbeitenden
                                                            gen
  des Unternehmens - auf allen Ebenen und von An-
  fang an
                                                         13
Pflege im Umgang mit dem Klimawandel

Nebenwirkungen von Arzneimitteln bei Hitze
Medikamente können die natürliche Temperaturregelung des Körpers beeinträchtigen und bereits bestehende
gesundheitliche Probleme verschärfen, u.a. durch
• Veränderte zentrale Temperaturregulierung und/oder entsprechende physiologische bzw.
  verhaltensbezogene Reaktionen;
• Geänderte kognitive Wachsamkeit, erhöhte Schläfrigkeit und geringere Hitzevermeidung;
• Veränderten Blutdruck und eingeschränkte Herzfunktion, Gefäßerweiterung und folgender beeinträchtigter
  Abkühlung, verstärkter Benommenheit;
• Anticholinerge Effekte mit Hemmung des natürlichen Schwitzens zur Verdunstungskühlung;
• Geänderte Nierenfunktion und veränderten Elektrolythaushalt mit erhöhtem Risiko für Dehydrierung und
  Arzneimitteltoxizität oder für Überhydrierung und Elektrolytungleichgewicht.

Arzneimittel                                       Auswirkungen
Anticholinerge Arzneimittel, Parasympathi- können die zentrale Temperaturregulierung hemmen, die kogniti-
kolytika                                   ve Wachsamkeit einschränken und das Schwitzen verhindern o-
                                           der verringern (viele der hier genannten Arzneimittel besitzen anti-
                                           cholinerge Wirkung)
Antipsychotika                                     können das Schwitzen hemmen sowie den systolischen Blutdruck
                                                   senken, die zentrale Temperaturregulierung hemmen, die kogniti-
                                                   ve Wachsamkeit und die Gefäßerweiterung einschränken
Antihistaminika                                    können das Schwitzen hemmen und den systolischen Blutdruck
                                                   senken
Mittel gegen Parkinson                             können das Schwitzen hemmen, den systolischen Blutdruck sen-
                                                   ken und Benommenheit sowie Verwirrung verursachen
Antidepressiva                                     hemmen das Schwitzen und einige können die zentrale Tempera-
                                                   turregulierung hemmen und die kognitive Wachsamkeit ein-
                                                   schränken
Anxiolytika und Mittel zur Muskelentspan-          hemmen das Schwitzen und verstärken die Benommenheit, sen-
nung                                               ken das Herzminutenvolumen und damit die Kühlung durch Ge-
                                                   fäßerweiterung und verschlechtern die Atmung
Antiadrenergika und Betablocker                    können eine Erweiterung (Dilatation) der Blutgefäße in der Haut
                                                   verhindern und so die Fähigkeit zur Hitzeableitung durch Konvek-
                                                   tion verringern
Sympathomimetika                                   Vasodilatatoren einschließlich Nitraten und Kalziumkanalblockern
                                                   können Hypotonie bei gefährdeten Patienten verschlechtern

Antihypertensiva und Diuretika                     können zu Dehydrierung führen und den Blutdruck senken. Hy-
                                                   ponatriämie kann als häufige Nebenwirkung durch exzessive
                                                   Flüssigkeitsaufnahme verschärft werden
Antiepileptika                                     können die kognitive Wachsamkeit einschränken und Benommen-
                                                   heit verstärken

Arzneimittelgruppen wie Antiemetika, Me-           können ebenfalls anticholinerge Effekte auslösen
dikamente gegen Schwindel, gegen Harn-
inkontinenz sowie Magen-Darm-
Medikamente
                  Quelle: Weltgesundheitsorganisation - Gesundheitshinweise zur Prävention hitzebedingter Gesundheitsschäden (2019)

                                                             14
Ein besonderes Augenmerk der Pflegefachpersonen                     krankungen: Schlaganfall, Multiple Sklerose oder das
sollte bei Hitze den Menschen mit Pflegebedarf gelten,              Schädel-Hirn-Trauma. Gerade bei neurologisch Er-
die mit transdermalen therapeutischen Systemen                      krankten ist die körpereigene Temperaturregulierung
(Arzneimittelpflastern) versorgt werden, z.B. Opio-                 häufig beeinträchtigt, sie sind stark gefährdet, an hei-
idpflastern bei starken Schmerzen. Bei Hitze wird die               ßen Tagen schnell zu überhitzen.
Haut stärker durchblutet, es besteht das Risiko einer               Der Temperaturanstieg kann sich bei ihnen bis zu ho-
Überdosierung und Atemdepression.                                   hem Fieber entwickeln. Die Instabilität ihrer Körper-
Zudem können sich durch vermehrtes Schwitzen sol-                   spannung verstärkt sich, was leicht zu Stürzen führt.
che Pflaster partiell lösen, die Therapie wird dadurch              Hohe Umgebungstemperaturen lösen bei diesem Kli-
behindert und schwer steuerbar.                                     entel zudem sehr häufig anhaltende Appetitlosigkeit
Die Tabelle (links) zeigt, dass für Menschen mit be-                aus.
stimmten Erkrankungen ein besonderes Risiko be-                     Professionell Pflegende sollten um diese Zusammen-
steht, durch Hitze und ihre Folgen zusätzlich geschä-               hänge wissen, Pflegemaßnahmen und Krankenbe-
digt zu werden. Neben Herz– und Kreislauferkrankun-                 obachtung entsprechend verstärken und Warnzeichen
gen gilt das vor allem auch für Diabetiker, Personen                frühzeitig wahrnehmen und beantworten.
mit Adipositas und insbesondere neurologischen Er-

Was sagen Expert/innen?
                                                                    nahmen. Trotz dieser neuen Regelungen gibt es für
Arbeitsschutz                                                       Beschäftigte keinen direkten Rechtsanspruch auf z. B.
                                                                    klimatisierte Räume oder "Hitzefrei". Nach § 4 Arbeits-
Die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und
                                                                    schutzgesetz (ArbSchG) ist der Arbeitgeber aber ver-
Umweltmedizin e. V. (DGAUM) bietet zwar eine Leit-
                                                                    pflichtet die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefähr-
linie „Arbeit unter klimatischer Belastung: Hitze“ als
                                                                    dung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden
Download an. Allerdings wurde sie zuletzt im Juli 2012
                                                                    wird und verbleibende Gefährdungen gering gehalten
aktualisiert und entspricht in der jetzigen Fassung
                                                                    werden.
nach Aussage der Fachgesellschaft nicht mehr dem
allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft für die                Da es bei Raumtemperaturen von über +26 °C wie sie
Anwendung im betrieblichen Alltag und wird derzeit                  im Sommer in nicht klimatisierten Arbeitsräumen auf-
überarbeitet.                                                       treten können - unter bestimmten Umständen (z. B.
                                                                    erhöhte Arbeitsschwere und Bekleidungsisolation) zu
Die baua - Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
                                                                    einer Gefährdung der Gesundheit (z. B. Kreislaufbe-
Arbeitsmedizin - gibt auf ihrer Internetseite
                                                                    lastung) kommen kann, sind Schutzmaßnahmen nötig.
„Empfehlungen für heiße Sommertage in Arbeitsstät-
                                                                    Randbedingungen und Beispiele werden in der ASR
ten“. Auch sie verweist auf die Arbeitsstättenverord-
                                                                    A3.5 genannt. Die Schutzmaßnahmen sind individuell
nung und die Dringlichkeit einer Gefährdungsbeurtei-
                                                                    mit einer Gefährdungsbeurteilung nach § 3 ArbStättV
lung mit dementsprechend einzuleitenden Maßnah-
                                                                    festzulegen.
men4: „… dass die Lufttemperatur in Arbeits- und Sozi-
alräumen +26 °C nicht überschreiten soll. Der oben                  Arbeitgeber und Beschäftigte müssen im gegenseiti-
beschriebene "Sommerfall" wird zusätzlich in der ASR                gen Einvernehmen durch geeignete Maßnahmen die
A3.5 mit einem gesonderten Punkt. 4.4 geregelt. Hier                Situation meistern. Verschiedene technische, organi-
wird für Außenlufttemperaturen von über +26 °C ein                  satorische und personenbezogene Maßnahmen aber
Stufenmodell mit zu beachtenden Randbedingungen                     auch das persönliche Verhalten jedes Einzelnen kön-
und nötigen Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten                   nen dazu beitragen.“
beschrieben. Dabei können die Beschäftigten bei Luft-               Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung
temperaturen in Arbeitsräumen in den Stufen bis +30 °               (DGUV) bietet als Download eine Handlungshilfe zum
C, bis +35 °C und darüber weiter tätig sein, vorausge-              Thema an: „Beurteilung des Raumklimas; Handlungs-
setzt der Arbeitgeber ergreift geeignete Schutzmaß-                 hilfe für kleine und mittlere Unternehmen“ (2016). Die

4) www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung-im-Betrieb/Physikalische-Faktoren-und-Arbeitsumgebung/Klima-am-Arbeitsplatz/
Sommertipps.html (abgerufen am 25.05.2020)

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