WECHSEL - Lebenschancen auf dem Land - Das Magazin des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes LED - Liechtensteinischer Entwicklungsdienst

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WECHSEL - Lebenschancen auf dem Land - Das Magazin des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes LED - Liechtensteinischer Entwicklungsdienst
WECHSEL
                                 Das Magazin des
                                               Das Magazin des
                                 Liechtensteinischen
www.led.li              1–2018                 Liechtensteinischen
                                 Entwicklungsdienstes  LED
                                               Entwicklungsdienstes LED

             Lebenschancen auf dem Land                            1
WECHSEL - Lebenschancen auf dem Land - Das Magazin des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes LED - Liechtensteinischer Entwicklungsdienst
Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser
Ohne Migration wären noch heute alle
Menschen in Ostafrika, wo unser aller
Ursprung liegt. Migration ist also Teil
unserer Natur, hat sich durch natürliche
Auslese und über Generationen hinweg
als (Über)Lebensstrategie unserer Spezi-
es bestätigt. Schon früher war vielleicht
ein Vertreter der Gattung Homo am Ziel
angekommen, als andere, Neuankömm-
linge, eintrafen. Migration erzeugt so
auch Aufeinandertreffen – wenn’s gut
läuft, profitieren beide.
                                            Peter Ritter und Tamara Büchel, 1998.
Vom Land in die Stadt – von der Stadt
dann weiter, auf zu neuen Ufern. Entge-     Grosskonzernen und industrialisier-        und sie als Teile eines verflochtenen glo-
gen unserer Wahrnehmung überschrei-         ter Nahrungsmittelproduktion sind es       balen Ganzen zu erkennen.
ten dabei die wenigsten Ländergrenzen.      beispielweise 500 Millionen Kleinbau-
Welche Gründe haben die Migrierenden        ernbetriebe, die mehr als 2 Milliarden     Das Bild in diesem Editorial teile ich sehr
aus ihren angestammten Gebieten ver-        Menschen im ländlichen Raum ernäh-         gerne mit unserer langjährigen und ge-
trieben? Welche Vorteile erwarten sie an    ren. Die Steigerung der Wertschätzung      schätzten Weggefährtin Tamara Büchel,
ihrer Destination? Nur wer diese Fragen     und Anerkennung dieser existenziellen      die die liechtensteinische Solidarität mit
beantwortet, kann Migration lenken.         Dienstleistung sind ebenfalls Ziel unse-   ihrer Energie über Jahrzehnte gestützt
                                            res Engagements.                           hat und die wir auch im verdienten
Der LED unterstützt mehrheitlich Pro-                                                  Ruhestand nahe bei uns halten wollen.
jekte in ländlichen Regionen, denn          Dieser «Blickwechsel» nimmt Sie auf den
die Nachteile dieses Lebensraums sind       kommenden Seiten mit auf eine Rei-
vielfältig und die Benachteiligungen        se. Wir versuchen, uns der Bedeutung
bei der Weiterentwicklung vergrössern       ländlicher Regionen als Lebens-, Versor-   Peter Ritter
den Migrationsdruck zunehmend. Trotz        gungs- und Erholungsraum zu nähern         Geschäftsleiter

3 Was tun, wenn die Stadt ruft? 6 Lebenschancen verbessern 8 Kreative Lösung
gegen Ärztemangel 10 Frauen tragen die alleinige Verantwortung 12 Neue Wege
gehen 14 Bäume spenden Leben 16 Erzwungene und freiwillige Migration 17 At-
traktive Optionen statt Konflikte 18 Regierungschef Adrian Hasler auf Projekt-
reise 19 Koordinationsworkshop in der Republik Moldau 20 Ein grosses Danke-
schön, liebe Tamara, Missis LED 22 Keinen einzigen Tag bereut / Dienstjubiläum
23 Hohes politisches Gewicht für SDGs
                                                                                             Foto Titelseite: © Eddy Risch, Schaan/FL

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WECHSEL - Lebenschancen auf dem Land - Das Magazin des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes LED - Liechtensteinischer Entwicklungsdienst
Was tun, wenn die Stadt ruft?
Von Rebecca Vermot, Editor, Helvetas

M   amadou Diawara stand einst schon
vor der Piroge, dem Boot, das ihn
nach Europa bringen sollte. Doch es
kam anders. Die Geschichte des heute
24-Jährigen ist eine typische Migra-
tionsgeschichte mit atypischem Aus-
gang.

Typisch, weil da, wo er aufwächst, sei-
ne Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Ty-
pisch, weil er sich nach einem geschei-
terten Schulabschluss einem Freund

                                                                                                                                    Foto: Andi Urban
anschliesst, «pour faire l’exode», um sein
Glück woanders zu suchen. Zuerst in
Bamako, der Hauptstadt seines Landes,
dann in Mauretanien – und schliesslich
in Europa. Doch sein Onkel spürt ihn an
diesem Strand in Mauretanien auf und
holt ihn zurück nach Mali. Und hier be-      Rede, Gründen, weshalb das Land, das       vernachlässigt. So fehlen auf dem Land
ginnt eine Lebensgeschichte, die Hoff-       Dorf verlassen wird. Und es wird von       etwa grundlegende Wasserversorgungs-
nung macht.                                  Pull-Faktoren gesprochen, Faktoren, die    systeme – mit der Folge, dass Frauen
                                             die Menschen in die Städte ziehen. Je      und Mädchen kilometerweit laufen
Urbanisierung weltweit                       nach Kontext sind diese Faktoren unter-    müssen, um Wasser aus häufig bedenk-
Seit 2008 übertrifft die Zahl der Men-       schiedlich stark. Helvetas als Organisa-   lichen Quellen zu holen. Wenn Strassen
schen, die in einer Stadt wohnen, die        tion der Entwicklungszusammenarbeit        oder Brücken fehlen, Transportwege we-
Zahl der Landbevölkerung. Gemäss der         kennt die Schwierigkeiten der Land-        gen Überschwemmungen unbegehbar
UNO sollen es in zehn Jahren noch mal        bevölkerung in Ländern des globalen        sind, sind Kinder vom Schulunterricht
10 Prozent mehr sein und 2050 dürf-          Südens. Die Schwierigkeit, eine Familie    ausgesperrt, können Bäuerinnen ihre
ten zwei Drittel der Weltbevölkerung in      zu ernähren: etwa wegen schwinden-         Produkte nicht verkaufen und Kran-
Städten leben. Gründe dafür sind einer-      der Bodenfruchtbarkeit und Bodenver-       ke gelangen nicht rechtzeitig zum Arzt.
seits das natürliche Bevölkerungswachs-      knappung aufgrund von Erbtraditionen,      Doch auch fehlende Ausbildungs- und
tum und andererseits Wanderbewegun-          wegen fehlender Landrechte oder dem        Beschäftigungsmöglichkeiten, schwache
gen. Menschen wie Mamadou Diawara            Druck von industrieller Landwirtschaft.    lokalpolitische Strukturen, Konflikte,
versuchen, in der Stadt ihre Hoffnung        Die bereits fragile Ernährungssicherheit   frauenverachtende Traditionen oder Be-
auf ein besseres Leben wahr zu machen.       wird vom Klimawandel noch verschärft       völkerungsdruck können Männer, Frau-
Ein besseres Leben, von dem sie viel-        und ist eine der stärksten Push-Fakto-     en und Kinder in Richtung Stadt pushen,
leicht gehört haben. Ein besseres Leben,     ren: Dürren oder Überschwemmun-            stossen.
das sie bei einem Besuch erlebt haben –      gen nach starken Regenfällen zerstören
oder ein besseres Leben, wie es auf dem      Felder und Ernten, Böden und Quellen       Verheissungen und Realität
Handydisplay aufleuchtet.                     versalzen. Das erhöht die Not – und den    Von dort kommen Verheissungen, die
                                             Druck auf die Menschen, sich anderswo      Pull-Faktoren: die Möglichkeit, viel-
Druck zur Abwanderung                        ihr Überleben zu sichern.                  leicht eine Stelle zu finden, die Hoffnung
Es gibt viele Gründe für die Abwande-                                                   auf eine bessere Gesundheitsversor-
rung in die Städte, die Landflucht. In        In den oft zentralistisch regierten Län-   gung, gute Schulen für die Kinder, mehr
Fachkreisen ist von Push-Faktoren die        dern wird die Peripherie, das Umland,      Sicherheit, gesellschaftliche Toleranz,

                                                                                                                               3
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Was tun, wenn die Stadt ruft?

                                     staatliche Dienstleistungen, Stabilität          dustrie konzentriert sich oft auf wenige      retanien, jobbte dort zunächst als Klei-
                                     und Rechtssicherheit. Freunde oder Ver-          Standorte. Zudem ist die Konkurrenz           der-, dann als Autowäscher. Die beiden
                                     wandte beeinflussen den Entscheid, ab-            gross und Arbeitgeber können aufgrund         hatten inzwischen entschieden, Geld zu
                                     zuwandern – sei es in die nächste Sied-          des grossen Angebots an Arbeitskräften        verdienen, um nach Europa zu gelangen.
                                     lung, Stadt oder auch in ein anderes Land.       die Löhne drücken. Die steigende Nach-
                                     Hinzu kommt – vor allem bei jungen               frage nach Nahrungsmitteln oder Wohn-         Verflechtung als Chance
                                     Menschen – das Prestige. Das Leben auf           raum lässt die Preise steigen. Die Infra-     Helvetas wird künftig vermehrt in klei-
                                     dem Land entspricht nicht den eigenen            struktur ist überfordert, Verkehrswege        nen und mittleren Städten arbeiten, denn
                                     Erwartungen oder den Bildern auf den             sind überlastet, sanitäre Einrichtungen       diese sind punkto Finanzen und staatli-
                                     Handydisplays. Wer in der Stadt lebt, gilt       fehlen, auch die Wasserversorgung stösst      cher Unterstützung marginalisiert; die
                                     als weltgewandt, «hat es geschafft». Die         an ihre Grenzen. Es entstehen informelle      Armut wächst, die wachstumsbedingten
                                     Anziehungskraft des vermeintlich mo-             Siedlungen, die Zahl der Armen und die        Umweltprobleme bedürfen konstruk-
                                     dernen Lebens ist weltweit riesig – auch         Ungleichheit wachsen. Oftmals ist die         tiver Lösungen. Die laufenden Dezen-
                                     wenn die Realität meist anders aussieht          Landflucht in die nächste Stadt deshalb        tralisierungsprozesse eröffnen Möglich-
                                     und junge Männer und Frauen sich mit             ein Zwischenschritt zur Migration ins         keiten etwa für den Aufbau öffentlicher
                                     Gelegenheitsjobs im informellen Sektor           Ausland – wie bei Mamadou.                    Dienstleistungen wie die Wasserversor-
                                     über Wasser halten müssen.                                                                     gung oder das Abfallmanagement. Hel-
                                                                                      Zwei Monate lang schuftete Mamadou            vetas will die Beziehungen zwischen
                                     Die Stadtentwicklung vermag meist                Diawara als Handlanger auf dem Bau in         Stadt und Land entwicklungsförderlich
                                     nicht mit dem Wachstum Schritt zu hal-           Bamako. Doch die Ferne rief und er reis-      gestalten, denn die zunehmende Ver-
                                     ten. Jobs fehlen weiterhin, denn die In-         te mit seinem Freund weiter nach Mau-         flechtung gibt auch wichtige Entwick-
                                                                                                                                    lungsimpulse: Das Geld, das ein Famili-
                                     Djénébou Traoré aus Bla, Mali, hat nach einer Schulung zur Herstellung von Sirup mit anderen   enmitglied allenfalls nach Hause schickt,
                                     Frauen eine Kooperative aufgebaut und verkauft hier die Produkte an einen lokalen Händler.     kann in Bildung und Kleinunternehmen
                                                                                                                                    investiert werden. Diese Rücküberwei-
                                                                                                                                    sungen fördern oft die Selbstständig-
                                                                                                                                    keit von Frauen in ländlichen Gebieten.
                                                                                                                                    Oder Bauernfamilien vom Land können
                                                                                                                                    ihre Produkte auf den neuen städtischen
                                                                                                                                    Märkten verkaufen. Landwirtschaftli-
                                                                                                                                    ches Know-how wiederum kann in der
                                                                                                                                    Stadt von Nutzen sein, wenn etwa die
                                                                                                                                    Möglichkeit eröffnet wird, einen kleinen
                                                                                                                                    Verarbeitungsbetrieb aufzubauen.

                                                                                                                                    Potenziale nutzen
Foto: HELVETAS / Fatoumata Diabaté

                                                                                                                                    Hier setzt Helvetas mit seinen Landwirt-
                                                                                                                                    schafts- und Ausbildungsprogrammen
                                                                                                                                    an. Dabei geht es darum, den Menschen
                                                                                                                                    in ländlichen Gebieten Alternativen in
                                                                                                                                    ihrem eigenen Lebensraum aufzuzei-
                                                                                                                                    gen. Ein gutes Beispiel ist das mit dem
                                                                                                                                    LED in Mosambik umgesetzte Projekt
                                                                                                                                    (siehe Kasten). In vielen Ländern des
                                                                                                                                    globalen Südens wird beispielsweise
                                                                                                                                    nur ein Bruchteil des urbaren Landes

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WECHSEL - Lebenschancen auf dem Land - Das Magazin des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes LED - Liechtensteinischer Entwicklungsdienst
Was tun, wenn die Stadt ruft?

                                                                                                                         Der LED finanziert neben dem Pro-
                                                                                                                         jekt in Mali ein ähnliches Projekt in
                                                                                                                         Burkina Faso sowie neu ein Land-
                                                                                                                         wirtschaftsprojekt im Norden Mo-
                                                                                                                         sambiks.

                                                                                                                         80 Prozent der Bevölkerung Mosam-
                                                                                                                         biks betreiben Landwirtschaft, die
                                                                                                                         meisten bauen für den Eigenbedarf
                                                                                                                         an. Doch in Mosambik wird gerade
                                                                                                                         mal 14 Prozent des urbaren Landes
                                                                                                                         landwirtschaftlich genutzt. Mit Cash-
                                                                                                                         ew-Bäumen und Erdnüssen sollen
Foto: HELVETAS / Franca Palmy

                                                                                                                         5’000 Kleinbauernfamilien mehr Ein-
                                                                                                                         kommen erwirtschaften, das ist das
                                                                                                                         Ziel des Projektes. Die Erdnüsse sind
                                                                                                                         für den Fruchtwechsel wichtig, denn
                                                                                                                         sie liefern dem Boden Nährstoffe. Erd-
                                                                                                                         nüsse sind aber lokal und national
                                                                                                                         auch ein wichtiges Nahrungsmittel;
                                                                                                                         ein Markt dafür ist vorhanden. Cas-
                                Mamadou kann sich als «emboucheur» eine Zukunft im ländlichen Mali aufbauen.             hew-Bäume sind dürreresistent und
                                                                                                                         halten Wasser im Boden zurück. So
                                landwirtschaftlich genutzt. Doch damit        tiger Faktor hierbei ist die Ausbildung    schaffen sie ein feuchteres Mikrokli-
                                die Menschen davon profitieren kön-            junger Menschen im landwirtschaftli-       ma und reduzieren die Bodenerosion.
                                nen, brauchen sie mehr landwirtschaft-        chen Sektor – sei es im Gartenbau, der     Zudem ist die internationale Nachfra-
                                liches Know-how. Helvetas unterstützt         Hühner- oder Rinderzucht und der Un-       ge nach Cashew-Nüssen immens. Mit
                                sie, die Bodenfruchtbarkeit zu verbes-        ternehmensgründung und -führung.           einer verbesserten Produktivität und
                                sern, den Anbau zu diversifizieren, die                                                   Qualität soll der Absatz von Erdnüssen
                                Ernte sicher zu lagern, ihre Produkte zu      Wie sein Onkel ihn an diesem Strand in     und Cashews angekurbelt werden.
                                verarbeiten und diese auch auf lokalen,       Mauretanien gefunden hat, ist Mamadou
                                regionalen, nationalen oder gar interna-      Diawara noch heute ein Rätsel. Aber der    Indem die Menschen in diesem Teil
                                tionalen Märkten zu verkaufen. Dafür          Zufall wollte es, dass Mamadou nach        Mosambiks ihre Perspektiven ver-
                                müssen auch immer die lokalen Behör-          seiner Rückkehr vom Helvetas-Ausbil-       bessern, ihre Widerstandsfähigkeit
                                den miteinbezogen werden, denn sie            dungsprogramm in Bla, im südlichen         gegen den Klimawandel stärken und
                                müssen für die Infrastrukturentscheide        Mali, erfuhr. Er absolvierte eine Kurz-    Einkommen generieren, wachsen die
                                und die Bauvorhaben die Verantwor-            ausbildung zum «emboucheur», zum           Chancen, dass sie nicht in die nächste
                                tung übernehmen oder auch das Grund-          «Viehmäster». Nach 45 Tagen praktischer    Stadt abwandern.
                                buch transparent verwalten, um die            Schulung, einem Praktikum und mit der
                                Landrechte zu garantieren.                    Unterstützung eines engagierten Ausbil-
                                                                              ders wurde Mamadou Diawara zum Rin-
                                Diese Massnahmen verbessern die Er-           derzüchter. Heute verkauft er seine Rin-
                                nährungssicherheit, die Gesundheit und        der im Nachbarland Senegal oder in der     Der LED unterstützt das Projekt in
                                das Einkommen der ländlichen Bevöl-           Elfenbeinküste und verdient genug, um      Mosambik mit einem Beitrag von
                                kerung. Sie schaffen Perspektiven und         bald eine Familie zu gründen. Gedanken     CHF 339’000 (2018).
                                mindern die Push-Faktoren. Ein wich-          an Europa verschwendet er keine mehr.

                                                                                                                                                              5
WECHSEL - Lebenschancen auf dem Land - Das Magazin des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes LED - Liechtensteinischer Entwicklungsdienst
Lebenschancen verbessern
Von Jasmin Thomas, Programmkoordinatorin Senegal, Horizont3000

Der Senegal steht landwirtschaftlich
und sozioökonomisch vor grossen He-
rausforderungen. Von den knapp 14
Millionen Einwohnern und Einwoh-
nerinnen lebt nur noch rund die Hälfte

                                                                                                                                      Foto: Horizont3000 / Jasmin Thomas
in ländlichen Regionen. Das bedeutet,
dass in den letzten fünfzig Jahren fast
ein Viertel der Gesamtbevölkerung
vom Land in die Städte gezogen ist.

Die Landflucht hat mehrere Gründe. Der
wichtigste ist wahrscheinlich, dass das
Ackerland nicht mehr genügend abwirft,
um davon leben zu können. Im soge-
nannten Erdnussbecken wachsen auf
etwa der Hälfte der landwirtschaftlich         Durch gemeinsame Produktion und Vermarktung von Bananen werden Einkommens- und
bewirtschafteten Flächen nur Erdnüsse.         Arbeitsmöglichkeiten geschaffen.
Über ein Jahrhundert Monokultur hat
verheerende Schäden an den Böden an-           zum Beispiel konkrete Erfahrungen zu       zigen Produzenten und Produzentinnen
gerichtet: Grosse Teile der Flächen sind       klimaresilientem Saatgut oder nachhal-     im Senegal, die ihre Bananen in Kartons
inzwischen unfruchtbar. Hinzu kommt,           tigen Düngemethoden ausgetauscht. Zu-      verkaufen. Dadurch haben sie das Poten-
dass die Auswirkungen des Klimawan-            dem haben Landwirte dadurch Zugang         zial, ihr Produkt professioneller auf dem
dels immer stärker werden. Einerseits          zu Wetter- und Klimainformationen und      nationalen Markt anzubieten.
regnet es so stark, dass die Böden wei-        werden zu angepassten Landbaumetho-
ter ausgeschwemmt werden. Anderseits           den beraten.                               Eine vereinte Stimme
gibt es zu wenig Niederschlag und dem-                                                    Ismael Ndao, Leiter des Horizont3000-
zufolge Dürreperioden. Der Anbau von           Unternehmertum fördern                     Büros in Dakar, erzählt von weiteren
Hirse, Mais und Reis ist deshalb beson-        Das Senegal-Programm von Hori-             Organisationen und zivilgesellschaft-
ders schwierig, da er in den meisten Fäl-      zont3000 stärkt zudem das Unterneh-        lichen Vereinen, die zur Stärkung des
len vom Niederschlag abhängig ist.             mertum der Bauern und Bäuerinnen,          ländlichen Raums beitragen: «Die meis-
                                               damit sie ihre Waren zu besseren Kondi-    ten Menschen in den Gemeinden sind
Anpassung an Klimawandel                       tionen verkaufen können. Ein spannen-      in verschiedensten Dorfgruppen orga-
Um die Menschen bei der Anpassung an           des Beispiel dazu ist die Zusammenarbeit   nisiert, aber viele Gruppen funktionie-
diese immer extremeren Wetterereig-            mit der Partnerorganisation APROVAG.       ren nicht gut oder sind untereinander
nisse zu unterstützen, hat Horizont3000        Sie ist ein Zusammenschluss von über       schlecht vernetzt.» Dieser Umstand hat
gemeinsam mit den Partnerorganisatio-          700 Bauern und Bäuerinnen, die letztes     Horizont3000 gemeinsam mit der Part-
nen vor Ort die Einrichtung einer Com-         Jahr gemeinsam über 2‘600 Tonnen Ba-       nerorganisation SYMBIOSE dazu ver-
munity of Practice zum Klimawandel             nanen produziert haben. Neben zahlrei-     anlasst, die Basisorganisationen besser
initiiert. Diese Plattform ist ein wichtiges   chen Schulungen zu biologischem An-        zu begleiten. SYMBIOSE fördert die Er-
Instrument zur demokratischen Verbrei-         bau und Best Practice wurden auch drei     richtung von sogenannten «keppar» und
tung des gewonnenen Wissens. In Aus-           Verpackungsstationen aufgebaut, in de-     «penc». Diese zwei Begriffe bezeichnen
tauschtreffen zwischen Produzierenden          nen Bananen in Kartons verpackt und in     in der lokalen Sprache Wolof die Orte
sowie Vertretern und Vertreterinnen aus        verschiedenen Städten des Landes ver-      der Zusammenkunft unter einem Pala-
Wissenschaft und Politik wird der Know-        kauft werden konnten. Die Bauern und       ver-Baum. Sie wurden ausgewählt, um
how-Transfer ermöglicht. Dabei werden          Bäuerinnen von APROVAG sind die ein-       Organisationen für Koordination und

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Lebenschancen verbessern

Austausch auf Dorf- und Gemeindeebe-
ne zu benennen. Die «keppar» vernetzen
Vertreter und Vertreterinnen von Dorf-
gruppen, die es schon gibt – wie Jugend-
vereine, religiöse Gemeinschaften oder
Frauenorganisationen – und ermutigen

                                                                                                                                                 Foto: Horizont3000 / Jasmin Thomas
sie zum Austausch, um gemeinsam Ent-
scheidungen zur sozioökonomischen
Entwicklung der Dörfer zu treffen. Die
«penc» stehen in der Hierarchie höher
und organisieren die «keppar» zu einem
ländlichen Gremium. Das erzeugt eine
vereinte Stimme der Landbevölkerung,
wenn es zum Beispiel um sensible The-
men wie Landrechte geht, bei denen es
sich allenfalls gegen die Willkür der Be-
hörden oder gegen Privatinteressen zu       Bewässerter Gemüseanbau ermöglicht vielen Frauen und ihren Familien eine gesunde Ernäh-
wehren gilt.                                rung und zusätzliches Einkommen durch den Verkauf der Produkte.

«Kissi» war einmal                          2016, seit die Partnerorganisation CARI-      warum sie Aida lange nicht gesehen ha-
All diese Bemühungen gründen auf            TAS Kaolack einen Gemüsegarten initi-         ben. Aufgrund des Projektes hat sie nun
dem Wissen, dass viele Menschen den         iert hat, ist Aida Teil der Frauengruppe,     ihr eigenes Einkommen.
ländlichen Lebensraum nicht verlassen       die ihn bewirtschaftet. Die Frauen wur-
wollen, wenn sie ihren Lebensunterhalt      den im Gemüseanbau und im gemeinsa-
dort gut bestreiten können. Ein schönes     men Organisieren der Arbeiten und des
Beispiel zeigt die Geschichte von Aida      Verkaufs geschult. So konnte Aida mit
Touré, die im Dorf Keur Moudou Sala in      dem «kissi» aufhören und muss auch
der Region Fatick lebt:                     nicht mehr regelmässig ihre Eltern um
Aida ist verheiratet und hat vier Kinder.   Unterstützung bitten. Heute konsumiert

                                                                                                                     Foto: Caritas Kaolack
Oft reichten die Einkünfte ihres Mannes     ihre Familie frisches, biologisches Ge-
nicht aus, um Lebensmittel für die Fami-    müse. Ausserdem verdient sie durch den
lie zu kaufen, noch weniger, um zusätzli-   Gemüseverkauf zusätzlich etwa 125.000
che Kosten für Kleidung, Schulgeld und      Franc CFA (etwa 230 CHF) in den Mo-
Zeremonien zu decken. Sie musste daher      naten der Trockenzeit und nicht nur
Alternativen finden, um die Familie zu       10.000. Sie ist stolz auf das, was sie nun
unterstützen – etwa durch «kissi», dem      zum Lebensbedarf der Familie beitragen        Aida Touré muss keine Erntereste mehr
Sammeln von Erdnussresten auf dem           kann. Ihre Eltern wundern sich schon,         aufsammeln.
abgeernteten Feld. Unter der sengenden
Sonne suchte sie in mühsamer Kleinar-
beit die Felder der Umgebung ab. Der         Projektname Ländliche Entwicklung zur Verbesserung der Ernährungs-
Ertrag war jedoch gering. Oft verdiente                   sicherung und des Einkommens der Landbevölkerung in
sie in diesen 3 bis 4 Monaten nur 10.000                  Senegal
Francs CFA (etwa 18 CHF). In sehr har-       Organisation Horizont3000, Österreichische Organisation für Entwicklungs-
ten Zeiten sah sie sich gezwungen, zu                     zusammenarbeit
ihren Eltern nach Gambia zu fahren, um       LED-Beitrag CHF 569‘390 (2018)
Geld von ihnen zu bekommen. Aber seit                     Zusammenarbeit mit dem LED in Senegal seit 1999

                                                                                                                                             7
WECHSEL - Lebenschancen auf dem Land - Das Magazin des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes LED - Liechtensteinischer Entwicklungsdienst
Kreative Lösung gegen Ärztemangel
Von Benjamin Gross, Kommunikationsbeauftragter, Solidarmed

L iechtenstein engagiert sich für die
Ausbildung von Hilfsärzten in Sambia.
Gemeinsam mit Solidarmed und den
sambischen Gesundheitsbehörden ge-
lang es so, den akuten Ärztemangel in
ländlichen Regionen Sambias in weni-
gen Jahren zu dämpfen.

Vor dem Gebäude mit dem Klassen-
zimmer stehen rund zwanzig junge Er-
wachsene. Sie lüften ihre Köpfe, plau-
dern angeregt, einige lachen. Es ist Pause
am Chainama College in Lusaka, der

                                                                                                                                            Foto: Andi Urban
Hauptstadt Sambias. Die Studierenden
haben gerade zwei Theorielektionen
über Geburtskomplikationen hinter
sich: Steisslagen, Blutungen, Dammris-
se. Die Demonstrationen an einer Puppe
im Klassenzimmer werden im nächsten          Die ländliche Bevölkerung leidet unter dem akuten Mangel an medizinischer Versorgung am
Monat in einem Praktikum am Spital           stärksten.
vertieft. Schon in vier Monaten werden
sie das Neugelernte als frisch diplomier-    Patientinnen nun sehr viel umfassender
te Medical Licentiates (ML) anwenden         betreuen», sagt Moira.
können. Denn sie sind gesucht: Dort, wo
in Sambia Ärzte fehlen, übernehmen           Die COGs sind das Rückgrat des sambi-
MLs ihre Rolle als medizinische Erstver-     schen Gesundheitssystems. Sie betreuen
sorger.                                      die 953 Gesundheitsposten, 1‘839 Ge-
                                             sundheitszentren und 99 Distriktspitäler
Klinisch auf sich selbst gestellt            des Landes. Gerade in kleineren Einrich-
Die 30-jährige Moira Nsefu freut sich        tungen sind sie oft auf sich allein gestellt.
auf diese Aufgabe. Ihre Familie lebt in      Ein COG kann die meisten Erkrankun-
Luampa, zehn Fahrstunden von Lusaka          gen diagnostizieren, verfügt aber nur
entfernt. Vor der Weiterbildung zur ML       über begrenzte medizinische Fertigkei-
arbeitete sie bereits sechs Jahre lang im    ten. Ihr Ausbildungsstand reicht nicht,
örtlichen Gesundheitszentrum als Cli-        um die medizinischen Herausforderun-

                                                                                                                                            Foto: Solidarmed
nical Officer General (COG), vergleich-      gen im ländlichen Afrika zu bewältigen.
bar mit einer medizinischen Assistentin      Die Medical Licentiates schliessen diese
bei uns. Nach vier Jahren Studium in         Lücke.
der Hauptstadt wird sie nach Luampa
zurückkehren können und damit auch           Kreative Lösung für Afrika
wieder näher bei ihrer Familie arbei-        MLs sind dafür qualifiziert, einfache            Im Luampa-Missionsspital gibt es weder Ärzte
ten. Künftig kann sie zum Beispiel ei-       Operationen und Eingriffe selbststän-           noch MLs. Auch darum will Moira Nsefu nach
nen dringend benötigten Notfallkaiser-       dig durchzuführen. Der Kaiserschnitt            ihrem Studium wieder dorthin zurück, um
schnitt selbst durchführen. «Mit meiner      ist eine von dreissig lebensrettenden           die medizinische Situation insbesondere für
ML-Ausbildung kann ich Patienten und         Operationen, die ein ML in Geburtshil-          Mütter und ihre Babys zu verbessern.

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WECHSEL - Lebenschancen auf dem Land - Das Magazin des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes LED - Liechtensteinischer Entwicklungsdienst
Kreative Lösung gegen Ärztemangel

fe, Gynäkologie, Bauchchirurgie und          Die Ausbildung der Medical Licen-
Traumatologie in einem Distriktspital        tiates
durchführen kann. Zudem behandeln
MLs Patienten und Patientinnen gegen         Medical Licentiates (ML) arbeiten und
Krankheiten wie Tuberkulose, HIV, Ma-        wirken in abgelegenen und unter-
laria, Bluthochdruck oder Diabetes.          versorgten Gesundheitszentren und
                                             Distriktspitälern. Viele der ehemali-
Die Ausbildung von Medical Licentiates       gen medizinischen Assistenten und
ist eine kreative Reaktion der sambischen    Assistentinnen kehren nach der Aus-
Regierung – sowie anderer afrikanischer      bildung in ihre Heimatregion zurück

                                                                                                                                              Foto: Solidarmed
Staaten – auf den enormen Ärztemangel        und arbeiten je zur Hälfte in einem
im Land. Solidarmed hat in den letzten       Gesundheitszentrum oder einem Dis-
fünf Jahren diese Bemühungen in enger        triktspital, wo auch chirurgische Ein-
Zusammenarbeit mit den Gesundheits-          griffe gemacht werden können.
behörden unterstützt und umgesetzt.
Momentan sind von den 277 ausgebil-          Die ML-Ausbildung legt den Schwer-           Medical Licentiates (hier bei der praktischen
deten MLs rund 130 an einer ländlichen       punkt auf praktische Aspekte und re-         Ausbildung) arbeiten nach ihrem Abschluss
Klinik tätig. Mindestens 50 Kaiserschnit-    duziert das theoretische Wissen – im         dort, wo Ärzte fehlen.
te führt ein ML in einem solchen Spital      Vergleich zu einem universitär ausge-
pro Jahr durch nebst anderen kleineren       bildeten Arzt – auf das Nötigste.
Eingriffen. Weitere 114 MLs arbeiten in
ländlichen Gesundheitszentren, wo eine       Die MLs erfüllen als mittleres, medizi-
sorgfältige Diagnose und eine rechtzeiti-    nisches Kader eine essenzielle Funk-
ge Verlegung Leben retten kann. Hoch-        tion im Gesundheitssystem Sambias.
gerechnet für ganz Sambia stehen die
MLs jährlich 6‘500 Frauen und ihren Ba-     den Grossstädte wie Lusaka abwandern,
bys bei ernsten Geburtskomplikationen       fehlt es an Gesundheitspersonal auf dem
bei. Viele von ihnen würden ohne diese      Land. Die MLs schliessen die so entstan-
medizinische Unterstützung sterben.         denen Lücken und garantieren auch in

                                                                                                                                              Foto: Solidarmed
                                            abgelegenen Gebieten eine medizini-
Liechtenstein ist ein Partner in der        sche Grundversorgung.
Ausbildung
Wie Moira sind es meist erfahrene COGs,     Der Liechtensteinische Entwicklungs-
die sich zu einem ML weiterbilden. Im       dienst LED unterstützt die Ausbildung in
ländlichen Gesundheitszentrum sind sie      Partnerschaft mit Solidarmed seit 2008.
oft die medizinisch am besten ausgebil-     Dadurch konnte die Zahl der Ausbil-           John Kasonde arbeitete während zwei Jahren
deten Fachleute. Weil viele der universi-   dungsplätze verdoppelt und die Qualität       in Senaga in einem Gesundheitszentrum, in
tär ausgebildeten Ärzte in die wachsen-     der Ausbildung stark verbessert werden.       dem qualifiziertes Personal für komplexe
                                                                                          Geburtshilfe fehlt. John kehrt nach seinem
                                                                                          Studium in Lusaka wieder nach Senaga zu-
 Projektname Unterstützung der Medical-Licentiate-Ausbildung des                          rück. Momentan wohnt er im Studentenwohn-
              Chainama College in Sambia                                                  heim, das der LED zusammen mit Solidarmed
 Organisation Solidarmed, Schweizerische Organisation für Gesundheit in Afrika            baute. Besonders gefällt ihm das Studium mit
 LED-Beitrag CHF 900‘000 (2018)                                                           dem Tablet. Es unterstützt ihn beim Lernen
              Zusammenarbeit mit dem LED in Sambia seit 2008                              und bietet jederzeit Zugriff auf medizinisches
                                                                                          Wissen.

                                                                                                                                          9
WECHSEL - Lebenschancen auf dem Land - Das Magazin des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes LED - Liechtensteinischer Entwicklungsdienst
Frauen tragen die alleinige Verantwortung
Von Miguel Dávalos, Mitarbeiter Projektplanung, IPTK

Die Zusammenarbeit zwischen dem
LED und dem IPTK (Technische Be-
rufsschule Instituto Politécnico Tomás
Katari) geht bereits auf die 1990er-Jah-
re zurück. Beim ersten gemeinsamen
Projekt handelte es sich um ein Alpha-
betisierungsprogramm, das mittels
Bildung die gesellschaftliche Integrati-
on und die Berufschancen von Frauen
in der historischen Hauptstadt Sucre
verbesserte.

Ab 2009 finanzierte der LED ein Aus-

                                                                                                                                          Foto: IPTK
bildungsprojekt für Migrantinnen. Die
externen Evaluationsergebnisse bestä-
tigten den Erfolg des Projektes. Frauen
wurden zu Kleinunternehmerinnen             Das Leben der Menschen in Colquechaca, Bolivien, ist von Armut geprägt.
ausgebildet, betreiben nachhaltige Ge-
schäftsideen und erhöhen ihr Einkom-        Mangelnde Ausbildung                            Migration belastet vor allem Frauen
men.                                        Viele junge Erwachsene konnten aus              Viele Männer ziehen saisonal aus den
                                            finanziellen Gründen keinen Schulab-             Dörfern in die Stadt. Dort bleibt ihnen
Seit mehreren Jahren fokussiert sich das    schluss machen. Dadurch sind sie ge-            wegen ihres tiefen Bildungsniveaus nur
LED-Programm auf rurale Gebiete. Auch       zwungen, in ihren Dorfgemeinschaften            die schlecht bezahlte, ausbeuterische Ar-
aus diesem Grund interveniert das IPTK      zu bleiben und sich mit den schweren            beit auf dem Bau. Das Einkommen die-
ab 2018 in der Provinz Chayanta im Nor-     Lebensbedingungen zu arrangieren. Ein           ser Männer ist für die Familie die einzige
den des Departements Potosí, eine der       junger Mann berichtet: «Meine Frau und          monetäre Einnahmequelle. Die Migrati-
ärmsten ländlichen Regionen Boliviens.      ich konnten die Schule nicht fertig ma-         on der Männer hat direkte Konsequen-
                                            chen. Deshalb sind wir hier im Dorf ge-         zen für die Frauen. Auf ihnen lastet die
Das Leben der Menschen im Bezirk Col-       blieben, aber der Boden gibt nur wenig          gesamte Arbeit und sie tragen die alleini-
quechaca ist von Armut geprägt. Die In-     her.»                                           ge Verantwortung für Familie, Tiere und
dikatoren sprechen eine deutliche Spra-                                                     Äcker.
che: Laut nationaler Statistik leben 97     Die schlechte Schulbildung der Men-
Prozent der Menschen in extremer Ar-        schen hat ebenfalls zur Folge, dass sie         Diese Lebensumstände betreffen Tau-
mut; 27 Prozent sind Analphabeten und       ihr Einkommen kaum diversifizieren               sende von Campesino-Familien im
44 Prozent chronisch unterernährt.          können. Ein gutes Beispiel ist Don René:        Land. Vor allem für die Frauen führt die
                                            «Wir sind Kleinbauern, und unser Ein-           Migration zu einer Verschlechterung
Von Geschlechtergleichheit kann in Col-     kommen ist sehr unregelmässig. Die              der Lebensbedingungen: «Hier im Dorf
quechaca keine Rede sein. Die Rollen        Ernte ist heute nicht mehr garantiert,          gibt es viel Migration, fast die Hälfte der
sind klar definiert: «Ich als Ehefrau bin    das kommt vom Klimawandel. Oft gibt             Männer ist in Argentinien. Sie arbeiten
Hausfrau, kümmere mich um die Fami-         es Hagelschlag, Überschwemmungen                als Erntearbeiter auf Plantagen oder auf
lie, die Tiere, die Felder und meine Kin-   oder Dürren, sodass wir unsere Ernte            Baustellen.»
der», sagt eine Bewohnerin der Dorfge-      verlieren. Unsere Produktion reicht ge-
meinschaft Queojo.                          rade mal für den Eigenverbrauch, zum            Bessere Lebensbedingungen
                                            Verkauf bleibt nichts übrig. Das macht          Das soll sich nun ändern. Mit entspre-
                                            uns grosse Sorgen.»                             chender staatlicher Politik und interna-

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Frauen tragen die alleinige Verantwortung

tionaler Hilfe soll nun der Zugang von
Kindern und Jugendlichen zu Bildung
gefördert werden. Erste Resultate sind
sichtbar, die Schulklassen sind grösser
als noch vor wenigen Jahren. Viele Kin-
der nehmen dafür tägliche Fussmärsche
von bis zu vier Stunden in Kauf. Die
Dorfgemeinschaften engagieren sich
und setzen sich aktiv für bessere Lebens-
bedingungen für ihre Kinder ein.

Angesichts dieser Realität unterstützt der
LED das Projekt «Seguridad Alimentaria
en Comunidades Rurales del Municipio

                                                                                                                                            Foto: LED
de Colquechaca» (Ernährungssicherheit
in ländlichen Gemeinden des Bezirks
Colquechaca). Ziel ist es, die Armut zu
lindern, die Marginalisierung der Land-      Frauen tragen oft die alleinige Verantwortung für Familie, Tiere und Äcker.
bevölkerung zu reduzieren und so auch
die Ernährungssicherheit zu erhöhen –         von Wasserspeichern, den Einbau von              · Stärkung von Leadership und produk-
dies alles unter einer Genderperspektive      Trinkwasserfiltern, den Bau von um-                 tiven Kapazitäten durch technische
und mit dem Anspruch der ökologischen         weltfreundlicheren Kochherden sowie                und rechtliche Unterstützung sowie
Nachhaltigkeit. Erreicht werden sollen        Informationsmessen.                                Beratung der Produzenten- und Frau-
diese Ziele mit folgenden Strategien:                                                            enorganisationen: Im produktiven Be-
                                             · Aufbau von Wissen über Ernährung:                 reich geht es dabei vor allem um Textil-
· Nachhaltige und diversifizierte Steige-       Ausgangspunkt ist eine Diagnose über              produktion, traditionelle Webarbeiten,
  rung der land- und viehwirtschaftli-         die wirtschaftliche Situation der Fami-           Stickereien etc.
  chen Produktion durch entsprechende          lien. Danach sollen Frauen und Män-
  Schulungen und Weiterbildungen in            ner lernen, wie man sich gesund und             Mindestens 350 Familien wird das Pro-
  Themenbereichen wie Agroökologie,            vielfältig ernährt (Workshops, Ausstel-         jekt direkt erreichen und weitere 2‘400
  traditionelle und alternative Anbau-         lungen etc). und erkennen, wie wich-            Personen werden indirekt von den ver-
  methoden und Produkte, Anbaurota-            tig dafür eine diversifizierte landwirt-         schiedenen Aktivitäten profitieren.
  tion, Viehzucht, Herdenmanagement            schaftliche Produktion ist.
  etc. Auch gemeinsame Aktivitäten und
  Erfahrungsaustausch     verschiedener
  land- und viehwirtschaftlicher Initiati-    Projektname: Ernährungssicherheit in ländlichen Gemeinden des Bezirks
  ven sind vorgesehen.                                      Colquechaca, Bolivien
                                              Organisation: Das IPTK engagiert sich seit Beginn vor allem im Kampf gegen die
· Implementierung von ressourcener-                         Armut, gegen die Kinder- und Müttersterblichkeit, die Ausbeutung
  haltenden Technologien und verbes-                        der Minenarbeiter und die Korruption bei den lokalen Behörden
  sertes Ressourcenmanagement: Das                          und Autoritäten. Neben der Arbeit in ruralen Gebieten richtet sich
  impliziert die Wiederbelebung ausge-                      die Unterstützung des Instituts ebenfalls an die migrierte Bevölke-
  zehrter Böden und ein angemessenes                        rung in Sucre. Sie erhalten berufliche Aus- und Weiterbildung und
  Bodenmanagement, technische Un-                           können so ihr Einkommen aufbessern.
  terstützung, ein gutes Management           LED-Beitrag CHF 293‘021 (2018)
  der Pflanzendecke, die Einrichtung                         Zusammenarbeit mit dem LED seit 1993

                                                                                                                                      11
Neue Wege gehen
Interview mit Annette Gappisch Hitz und Thomas Hitz, Ecuador. Von Ute Mayer, LED

                                            auch von einer «nicht nur heilen Welt».        Land brauchen mehr Geld. Mit ihrer ei-
A  nnette Gappisch arbeitete für den        Ich fragte mich: Kann ein persönlicher         genen Produktion (praktisch als Selbst-
LED Anfang der 90er-Jahre im Kinder-        Einsatz mit Benachteiligten etwas ver-         versorger) hat sich ihr Einkommen nicht
heim «Hogar Suizo» in Quito. Ihr Ehe-       ändern? In Ecuador begannen wir mit            wesentlich verbessert. Um diesen «ver-
mann Thomas Hitz ist Spezialist für         enormer Motivation, Quellen zu fassen          besserten Lebensstandard» bestreiten
Trinkwasser- und Bewässerungssys-           und Wasserleitungen zu verlegen, um            zu können, migrieren die Leute (vor al-
teme im Andenhochland. Zusammen             sauberes Trinkwasser in die Nähe der           lem Männer) in die Städte als Taglöhner.
haben sie einen Biobetrieb in Ecuador       Häuser zu bringen: Der Wille wird dabei        Vielfach zieht nach einigen Jahren die
aufgebaut, den sie bis heute betreiben.     zum positiven Erlebnis, der Erfolg sicht-      ganze Familie nach.
                                            bar, die Veränderung spürbar. Mit Kopf,
Annette und Thomas, ihr seid vor rund       Hand und Herz ist jeder beteiligt und          Die meisten Fachleute der Entwick-
dreissig Jahren nach Ecuador ausge-         trägt zum erfolgreichen Gelingen des ge-       lungszusammenarbeit kommen nach
reist, um in der Entwicklungszusam-         meinsamen Werkes bei.                          ihren Arbeitseinsätzen wieder zurück.
menarbeit tätig zu sein. Was waren                                                         Warum habt ihr euch entschieden, in
eure Beweggründe und Vorstellungen          Wie hat sich der Entwicklungskon-              Ecuador zu bleiben und dort euer Le-
damals?                                     text seit damals in Ecuador verändert?         ben aufzubauen?
                                            Sind die Probleme der Menschen noch
Annette: Es waren wohl mehrere Be-          dieselben wie vor dreissig Jahren?             Annette und Thomas: Um in einer
weggründe: ein wenig Abenteuerlust,                                                        fremden Kultur erfolgreich und berei-
fremde Kulturen kennenlernen, noch-         Thomas und Annette: Das Leben auf              chernd arbeiten zu können, muss man
mals im Ausland arbeiten, bevor ich «im     dem Land hat sich verändert. Es gibt           sie verstehen – und das ist mit einem
Ländle ganz sesshaft werde …». Ich hatte    heute bessere Infrastrukturen (Strassen,       3-Jahres-Vertrag nicht möglich. Unse-
damals meine Ausbildung zur Heilpä-         Strom, Gesundheitswesen, Telefon, Was-         re Entwicklungsarbeit verstehen wir als
dagogin abgeschlossen, die Stelle in Zü-    ser, Schulen) und damit verbunden bes-         gegenseitigen Prozess, der auf grossem
rich beendet und war interessiert, einen    sere Lebensbedingungen! Das hat aber           Vertrauen beruht. Das sprengt Grenzen
weiteren Auslandsaufenthalt einzule-        auch seinen Preis – die Leute auf dem          und bringt immer neue Ideen und Mög-
gen. Vor meiner Ausbildung in Zürich
hatte ich in Israel in einem Kinderheim     Planung der Wasserprojekte in der Provinz Chimborazo, Ecuador.
gearbeitet, jedoch ohne geregelte Anstel-
lungsverhältnisse und ohne ausreichen-
des Visum. Die Stelle im Kinderheim in
Ecuador war vom LED ausgeschrieben.
Ein wenig kannte ich die Situation, Ma-
rina Kieber hatte einige Jahre zuvor
dort gearbeitet. So bewarb ich mich und
wurde angenommen. Die Arbeit mit den
Kindern aus äusserst schwierigen Ver-
hältnissen packte mich sofort und prägte
mich nachhaltig!

Thomas: Nach einer schönen Kindheit
in einer Grossfamilie auf dem Land,
nach engagierter Jugendarbeit im Dorf
und mit Erfolg abgeschlossener Berufs-
                                                                                                                                      Foto: ZVG

lehre wurde bei mir der Drang stark,
etwas mehr von der Welt zu erleben,

12
Neue Wege gehen

    lichkeiten. Projektarbeit und Privatleben
    fliessen ineinander über, denn auch da
    versuchen wir, neue Wege zu gehen und
    Alternatives auszuprobieren: Lehmhaus,
    Selbstversorgung, Sonnenenergie, Spiel-
    und Lernraum für unsere Kinder usw.

    Kürzlich hat der LED euren Projekt-
    antrag zur Verbesserung der Wasser-
    situation in mehreren Andendörfern
    genehmigt. Was sind die grössten He-
    rausforderungen für die Bevölkerung?

                                                                                                                                          Foto: ZVG
    Welche Lösungsansätze sind die geeig-
    netsten?

   Thomas: Bei den meisten Projektvor-          Annette Gappisch und Thomas Hitz mit ihren Söhnen auf dem Familienbetrieb.
   schlägen im LED-Antrag handelt es sich
   um Bewässerungsprojekte, denn ein            es uns wichtig, gesunde und natürliche        Annette und Thomas: Ohne gerechtere
   Überleben in den hoch gelegenen An-          Produkte zu konsumieren. Wasser hat-          Preispolitik wird es sehr schwierig sein,
   dendörfern ist ohne ganzjährige Pro-         ten wir anfangs gar keines auf unserer        dass die indigene Bevölkerung in den
   duktion fast nicht mehr möglich (Kli-        Finca, wir mussten einen Brunnen gra-         Anden Ecuadors überleben kann. So
   maveränderungen). Zudem kann durch           ben. Die eigenen Erfahrungen haben            wird zum Beispiel ein 25-kg-Sack Rüeb-
Kalender  über denBewässerung
   die ganzjährige    Kartoffelanbau
                                  der Tier-     uns überzeugt, dass eine schonendere          li (Karotten) auf dem wöchentlichen
    (in Spanisch
   bestand  (Kühe,und  Quechua)
                    Schafe, Lamas) aufrecht     Anbauweise in Ecuador möglich ist und         Markt für um die 3 USD gehandelt. Da-
   gehalten und vergrössert werden (Fut-        gutes Biogemüse produziert werden             für bekommen sie genau 1 kg Waschmit-
   teranbau). Die grösste Herausforderung       kann. Mittlerweile profitiert eine grosse      tel oder können 15 Minuten auf ihrem
   bei allen Projekten ist immer, dass die      Kundschaft jede Woche davon.                  Mobiltelefon telefonieren. Ein Umden-
   Bevölkerung voll in diese Arbeit einge-                                                    ken kann erst stattfinden, wenn sich die
   bunden ist. Denn erst so können sie sich     Das Thema dieser «Blickwechsel»-Aus-          kommende Generation bewusst wird,
   damit identifizieren, stehen hinter den       gabe heisst «Lebenschancen auf dem            welche Einschränkungen das Stadtleben
   Projekten und sind auch bereit, gewal-       Land». Wie ist eure Einschätzung dazu:        wirklich mit sich bringt (hohe Krimina-
   tige Arbeitsleistung dafür zu überneh-       Ist es möglich, ländliche Lebensräume         lität, beschränkte Lebensräume, schlech-
   men.                                         in den Anden so zu «entwickeln», dass         te Luft, unterdrückende Arbeitsbedin-
                                                die Landbevölkerung ein gutes Aus-            gungen usw.). Wenn es möglich ist, diese
    Für euren Lebensunterhalt leitet ihr        kommen und die kommende Genera-               Wertvorstellungen umzupolen, kann
    auch einen Biobauernhof in Ecuador.         tion nachhaltige Zukunftsperspekti-           ein Leben auf dem Land für sie attraktiv
    Warum habt ihr euch für die biologi-        ven erhält?                                   werden.
    sche Anbauweise entschieden? War
    Wasser ein mitentscheidender Faktor                                                       Herzlichen Dank für eure Antworten!
    dafür?

    Annette und Thomas: Mit biologischer         Projektname Trinkwasser und Bewässerung in den Gemeinden der Provinz
    Anbauweise haben wir für unseren ei-                      Chimborazo, Ecuador
    genen Hausgebrauch begonnen. Da Ge-          Organisation Fünf Direktiven des Wasser-Fonds Chimborazo, technische
    müse und Früchte in Ecuador sehr will-                    Begleitung: Thomas Hitz
    kürlich und stark gespritzt werden, war      LED-Beitrag CHF 100‘432 (2018)

                                                                                                                                    13
Bäume spenden Leben
Von Andri Bisaz, Vorstandsmitglied, Newtree

M  it angepassten, auf Traditionen
basierten Methoden zur natürlichen
Regeneration und nachhaltigen Land-
wirtschaft kann die Lebenssituation
der ländlichen Bevölkerung in Burki-
na Faso markant verbessert werden.
Der Schweizer Verein Newtree weist
einen Weg.

Mit grossem Stolz zeigt Ramata Sawado-
go in Digatao-Mossi, einem Dorf nörd-
lich der Hauptstadt Ouagadougou, dem
Besucher ihre selbst erstellten verbesser-

                                                                                                                                         Foto: Newtree
ten Kochstellen. Die aus Lehm und Stroh
aufgebauten Kochstellen bewirken, dass
die Hitze nicht mehr wie früher auf alle
Seiten entweicht. So sehr freut sich Ra-
mata über ihre Arbeit, dass sie die Koch-    Ramata Sawadogo aus Burkina Faso hat ihre holzsparenden Kochstellen kunstvoll verziert.
stellen kunstvoll verziert hat.

Im Vergleich zu traditionellen, mit drei     Die Organisation Newtree begnügt sich          Stadt oder anderer mühseliger Arbeiten
Steinen offen gebauten Kochstellen ist       jedoch nicht allein mit der Verbreitung        wie der handwerklichen Goldförderung
mit der neuen Methode eine Holzein-          von Know-how zu Kochstellen. Zusam-            von grosser Bedeutung ist.
sparung von bis zu 60 Prozent oder 1,8       men mit der lokalen Partnerorganisation
Tonnen Holz pro Jahr und Haushalt            Tiipaalga («new tree» in der lokalen Spra-     Das Ökosystem erholt sich
möglich. In einem Land, in dem über 90       che Mooré) und deren 53 einheimischen          Seit Projektbeginn 2003 fördert Newtree
Prozent der Haushalte auf offenen Holz-      Mitarbeitende unterstützt Newtree Ak-          den Parzellenschutz, der zur natürlichen
feuern kochen, ist das ein wesentlicher      tivitäten in weiteren Bereichen, die zu-       Wiederbewaldung von Ödland-Flächen
Beitrag zum Erhalt der Bäume. Für die        sammen ein umfassendes, nachhaltiges,          führt. Dabei zäunen die Familien oder
Frauen, die für die Holzbeschaffung zu-      agroforstwirtschaftliches System bilden.       Frauengruppen jeweils 3 Hektar Land
ständig sind und oft weit von ihrem Dorf     Über 80 Prozent der aktiven Bevölke-           mit einem Metallzaun ein. Im eingefrie-
entfernt Holz sammeln müssen, bedeu-         rung in Burkina Faso lebt von den eige-        deten Gebiet wird ein Randstreifen zur
tet das eine grosse Arbeitserleichterung.    nen landwirtschaftlichen Erzeugnissen,         biologischen Landwirtschaft abgegrenzt,
Im Weiteren schützt die geschlossene         die durch die Degradation der Böden            im Kern der Parzelle kann der Wald sich
Feuerstelle auch vor Verbrennungen           und zunehmende Wüstenbildung, wie              regenerieren. Geschützt vor Viehfrass
sowie Atembeschwerden durch Rauch            auch den Klimawandel, bedroht sind.            und menschlichen Eingriffen erholt sich
und reduziert erst noch die CO2-Emissi-      Newtree setzt direkt bei der Regenerati-       das Ökosystem und schon nach kurzer
onen. In den letzten zehn Jahren wurden      on der Ökosysteme und der nachhalti-           Zeit ist der Unterschied zu den nicht ein-
bereits fast 150‘000 dieser verbesserten     gen Steigerung der Bodenfruchtbarkeit          gezäunten Feldern frappant. Inzwischen
Kochstellen durch die Frauen erstellt. Die   an. So kann ein wesentlicher Beitrag zur       konnten 327 Parzellen geschützt wer-
Nachfrage nach den Kochstellen ist sehr      Verbesserung der Lebensbedingungen             den, rund 980 Hektare, mit circa 650‘000
gross, insbesondere weil die Frauen kon-     der ländlichen Bevölkerung geleistet           Bäumen und 160 verschiedenen Arten,
kret spüren, wie sie ihre Lebensumstände     werden. Nicht zuletzt wird die Attrakti-       darunter auch selten gewordene Sorten.
durch einfache, selbst realisierte Mass-     vität der Landwirtschaft gesteigert, was       Die Bauernfamilien werden in Metho-
nahmen wesentlich verbessern können.         angesichts alternativer Tätigkeiten in der     den der nachhaltigen Landwirtschaft

14
Bäume spenden Leben

ausgebildet und können innerhalb und             tigkeit des Regens bleibt länger erhalten,   kerung in den Projektgebieten direkt
ausserhalb der Parzellen Nahrungsmittel          auch dank der beigemischten Biokohle.        erreicht. Angesichts der Gesamtbevöl-
für den Eigengebrauch oder zusätzliches          Weitere Methoden sind die Halbmonde          kerung in Burkina Faso von über 18 Mil-
Einkommen gewinnen. Die Methoden                 oder Steinkordeln, die die Erosion durch     lionen ist das zwar nicht mehr als ein
sind an die lokalen Bedingungen und              Wasser aufhalten.                            Tropfen im Meer: Die Armutsbekämp-
die Nachfrage angepasst, die Verbes-                                                          fung bleibt weiterhin eine Herkules-
serung des Wasserhaushalts und der               Schliesslich unterstützt Newtree die Er-     aufgabe. Auch bezüglich Migration darf
Erosionsschutz stossen dabei auf be-             schliessung von alternativen, nicht holz-    man sich keinen Illusionen hingeben:
sonderes Interesse. Der Klimawandel              basierten Einkommensquellen. Die Bau-        Die Erfolge der Projektarbeit werden die
hat die Niederschlagsmengen im Sahel             ernfamilien werden in der Herstellung,       Abwanderung in die wachsende Haupt-
generell etwas erhöht, doch gleichzeitig         Verarbeitung und Kommerzialisierung          stadt oder sogar in andere Länder nur
auch die Niederschlagsmuster verän-              von Honig, Strohballen, Setzlingen, Ge-      marginal bremsen können.
dert. Starkregen mit grossem Abfluss ha-          müse oder anderen Landwirtschaftspro-
ben zugenommen und gerade die nicht              dukten und der Tierzucht ausgebildet.        Durch einfache, wirkungsvolle Metho-
bewaldeten, harten Böden können das                                                           den trägt Newtree aber dazu bei, wesent-
Wasser nicht aufnehmen, die Nährstof-            All diese verschiedenen Ansätze, die         liche Schritte zu einer weniger prekären
fe werden weggeschwemmt. Die Tro-                Newtree gemeinsam mit den Bauern-            Existenz in den ländlichen Regionen zu
ckenperioden während der Regenzeit               familien plant und ausführt, zeigen          machen. Die Dankbarkeit der betroffe-
haben zugenommen und das Risiko ist              sichtbare und nachhaltig wirksame Re-        nen Bevölkerung und ihr Enthusiasmus
gestiegen, eine Aussaat zu verlieren. Bei        sultate. Die Partnerfamilien sind über-      bei der Realisierung der Aktivitäten zei-
der sogenannten «Zai-Methode» werden             zeugt davon und viele weitere Bauern-        gen, dass die erreichten Resultate von
zum Beispiel Vertiefungen in die harte           familien fragen an, um auch zur grossen      den Bauernfamilien als eine erstrebens-
Oberfläche gegraben und mit Kompost               Newtree-Familie zu gehören.                  werte Verbesserung ihrer Lebenssituati-
gefüllt. Die Samen von Hirse oder Mais,                                                       on empfunden werden.
Hauptnahrungsmittel in Burkina Faso,             Mittlerweile hat Newtree über 150‘000
haben somit Nährstoffe und die Feuch-            Menschen oder 5 Prozent der Bevöl-

Die Schnittstelle zu den eingezäunten Gebieten, in denen sich Bäume    Reiche Maisernte dank fruchtbarem Boden.
und Vegetation im Sahel regenerieren können, ist deutlich sichtbar.

                                                                                                                                          Fotos: Newtree

 Projektname    Nachhaltige Nahrungssicherheit für Bauernfamilien in Burkina Faso
 Organisationen Newtree, Schweizer Verein, und Association Tiipaalga in Burkina Faso
 LED-Beitrag    CHF 100‘000 (2018)
                Zusammenarbeit mit dem LED seit 2018

                                                                                                                                    15
Erzwungene und freiwillige Migration
                                   Interview mit Ismael Ndao, Programmleiter Horizont3000 Senegal. Von Jasmin Thomas, Horizont3000 Wien

                                   Ismael, welche Chancen und Potenzi-           wandel verkürzt sich diese aber auf 3 bis    Kann Landflucht durch Projektaktivi-
                                   ale siehst du im ländlichen Raum?             4 Monate und je kürzer die Regenzeit,        täten gestoppt werden? Welche Erfah-
                                   Im ländlichen Raum gibt es viele Poten-       desto weniger Arbeit gibt es auf dem         rungen hat Horizont3000 in Senegal
                                   ziale, wie etwa die natürlichen Ressour-      Land. Die Jungen bleiben also etwa 4 bis     gemacht?
                                   cen Boden und Wasser. Man müsste sie          5 Monate pro Jahr im Dorf, um bei der        Die meisten Projektpartner, mit denen
                                   nur mehr wertschätzen und besser nut-         Aussaat und Ernte zu helfen. Dann sind       Horizont3000 arbeitet, untersuchen zu-
                                   zen. Eine wichtige Chance auf dem Land        sie aber gezwungen, die restlichen 6 bis 7   erst die Ursachen der Landflucht, um
                                   bilden ausserdem die jungen Menschen:         Monate woanders Arbeit zu suchen. Die        dann gezielt Aktivitäten mit der Bevöl-
                                   Etwa 60 Prozent der Bevölkerung sind          jungen Männer und Frauen gehen oft in        kerung zu erarbeiten. Eine wichtige Ak-
                                   unter 30 Jahre alt. Aber auch dieses Po-      die Städte, um als Händler und Händler-      tivität ist etwa die Stärkung von Orga-
                                   tenzial wird praktisch nicht genutzt.         innen oder als Dienstmädchen zu ar-          nisationen. Diese Organisationen sind
                                                                                 beiten. Viele kommen nicht mehr aufs         auch dafür verantwortlich, Informa-
                                   Wie schätzt du die momentane Situa-           Land zurück. Zahlreiche junge Männer         tionen zu verbreiten – etwa wie es den
                                   tion zur Landflucht ein?                       gehen auch in den Norden Senegals, um        jungen Menschen in den Städten geht,
                                   Die Landflucht war noch nie so verbrei-        bei der Reisproduktion rund um den           welche Unsicherheiten es dort gibt und
                                   tet wie heute. Dafür gibt es verschiede-      Senegalfluss zu arbeiten. Familienväter       wie schwierig es ist, sich im informellen
                                   ne Gründe. Der wichtigste ist, dass die       und -mütter sind oft gezwungen, in den       Arbeitsmarkt zum Beispiel als Strassen-
                                   Landwirtschaft in den meisten Regionen        Monaten der Lebensmittelknappheit in         händler und -händlerinnen über Wasser
                                   zu wenige Einkommensmöglichkeiten             Städten Geld zu verdienen oder zu ihren      zu halten.
                                   für junge Menschen bietet. Dafür ist sie      Eltern zurückzukehren, damit sie ihnen
                                   nicht produktiv genug. Sie hängt stark        unter die Arme greifen können.               Information allein kann aber die Ab-
                                   von der Regenzeit ab. Durch den Klima-                                                     wanderung nicht stoppen?
                                                                                                                              Ausserdem werden natürlich ökonomi-
                                   Ismael Ndao ist Leiter des Senegal-Programms von Horizont3000.                             sche Aktivitäten durch die Projekte ge-
                                                                                                                              fördert. Die Regenlandwirtschaft wird
                                                                                                                              gestärkt, Alternativen werden angeboten
                                                                                                                              – wie etwa der Gemüseanbau, der auch
                                                                                                                              in der Trockenzeit durchgeführt werden
                                                                                                                              kann. Das dient einerseits zur besseren
                                                                                                                              Ernährung der Familien, kann aber auch
                                                                                                                              ökonomische Ziele durch Vermarktung
                                                                                                                              verfolgen. Aber auch Fisch- und Bienen-
                                                                                                                              zucht wird gefördert. Bei den Aktivitäten
                                                                                                                              wird immer darauf geachtet, dass die
                                                                                                                              Methoden und Ansätze ökologisch an-
                                                                                                                              gepasst sind und der Umwelt nicht scha-
                                                                                                                              den. Der Zugang zu Mikrokrediten durch
Foto: Horizont3000/Jasmin Thomas

                                                                                                                              fachliche Begleitung der Begünstigten
                                                                                                                              ist ebenfalls eine wichtige Aktivität der
                                                                                                                              Projekte.

                                                                                                                              Also ja, wir können mit gezielten Projek-
                                                                                                                              ten dazu beitragen, dass die Migration
                                                                                                                              vom Land in die Städte keine erzwunge-
                                                                                                                              ne Notwendigkeit mehr ist, sondern eine
                                                                                                                              freiwillige Möglichkeit.

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Attraktive Optionen statt Konflikte
Interview mit Janet Maro, Direktorin von SAT Sustainable Agriculture Tanzania. Von Peter Ritter, LED

Janet, welches sind die grössten
Herausforderungen für Bauern und
Bäuerinnen in Ostafrika?
Die Bauernfamilien kämpfen mit vielen
Herausforderungen. Zum einen ist ihr
Wissen über Landwirtschaft und nach-
haltige Anbaumethoden gering. Zudem
ist die Nacherntebehandlung ein Prob-
lem, da zu wenige Kenntnisse zu Lage-
rung und Verarbeitung vorhanden sind.
Der mangelnde Zugang zum Markt und
das schlechte Strassennetz verhindern,
dass die Bauern anständige Preise für
ihre Produkte erhalten. Und die hohen
Anforderungen für Kredite können viele
Bauern und Bäuerinnen ebenfalls nicht
erfüllen.

SAT fördert agrarökologische Metho-

                                                                                                                                      Foto: SAT
den zur Unterstützung der Bauern-
familien in Tansania. Warum ist das
eine attraktive Alternative für die
Betriebe?                                  Janet Maro (3. v. l.) schult Massai-Frauen im nachhaltigen Anbau von Gemüse.
Eine Bauernfamilie bewirtschaftet durch-
schnittlich nur 1,5 Hektar Land. Manche    ergab, dass sich das durchschnittliche          vom LED unterstützte Projekt «Farmers
Standorte sind zudem ungünstig, sie lie-   Einkommen dadurch um 38 Prozent er-             & Pastoralists Collaboration (FPC)» hat
gen entweder sehr hoch oder in tiefen,     höhte. Der Umsatz kann durch die Ein-           zum Ziel, für beide Bevölkerungsgrup-
trockenen Gebieten. Deshalb können ag-     sparung von Dünger oder Spritzmitteln           pen nachhaltige Lösungen zu finden,
rarökologische Praktiken geeignet sein,    zudem verbessert werden. 61 Prozent             indem eine lokale Kreislaufwirtschaft
um etwa an den steilen Hängen der Ulu-     der Bauern bestätigten die Reduktion            geschaffen wird. Durch agrarökologi-
guru-Berge mit nachhaltig bebauten         der Kosten.                                     sche Erzeugnisse beider Gruppen, zum
Terrassen Bodenerosion zu reduzieren.                                                      Beispiel Viehfutter im Austausch gegen
In den Trockengebieten von Vianzi sind     SAT arbeitet auch mit Gemeinden, in             Tiermist als Dünger, können Verbesse-
mit Konturen eingefasste Beete, gefüllt    denen Nutzungskonflikte zwischen                 rungen für beide Seiten erreicht und
mit organischem Material, ideal zur Bo-    ansässigen Bauernbetrieben und                  Konflikte stark reduziert werden.
denwasserkonservierung. Es ist zwar        nomadisierenden Viehzüchtern be-
viel Arbeit, um Terrassen anzulegen und    stehen. Wie könnt ihr diese Konflikte            Was sind die Aussichten für die
genug Kompost zu produzieren, aber die     lösen?                                          Familien, damit sie dem Abwande-
Resultate sind vielversprechend und at-    In den letzten Jahrzehnten gab es viele,        rungsdruck in die Städte widerstehen
traktiv für die Familien, da sich Böden,   zum Teil gewalttätige Konflikte zwischen         können?
Umwelt und die Lebensumstände ver-         diesen zwei Gruppierungen. Die Konflik-          Mit Agrarökologie, erhöhter Produktion,
bessern.                                   te eskalieren mit dem zunehmenden Be-           Einkommen und Diversifikation wird
                                           völkerungswachstum und dem Druck,               Landwirtschaft zu einem attraktiven
Durch angewandte Agrarökologie kön-        Land zur Ernährungssicherung zu be-             Sektor, der eine einträgliche Arbeit er-
nen die Bauern ihr Einkommen erhö-         bauen. Dadurch verlieren die Pastoralis-        möglicht und Migration reduziert.
hen. Eine kürzlich durchgeführte Studie    ten Weideland für ihre Viehherden. Das

                                                                                                                                17
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