Internationaler Vergleich der Bemessungsverfahren im Küstenschutz - Berichte des Landesbetriebes Straßen, Brücken und Gewässer Nr. 11 / 2012
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Internationaler Vergleich der Bemessungsverfahren im Küstenschutz Berichte des Landesbetriebes Straßen, Brücken und Gewässer Nr. 11 / 2012
Internationaler Vergleich der Bemessungsverfahren im Küstenschutz Berichte des Landesbetriebes Straßen, Brücken und Gewässer Nr. 11 / 2012
VORWORT Seit Menschenge- Trotz sorgfältiger Herleitung eines Bemessungs- denken bedrohen ansatzes kann es eine vollständige Sicherheit Nordseestürme die hinter unseren Schutzbauwerken niemals ge- Küste und die Ästua- ben. Die Freie und Hansestadt Hamburg wird re. Um den Lebens- beim Küsten- und Hochwasserschutz als gene- und Wirtschaftsraum rationenübergreifender Daueraufgabe alle Mög- zu schützen, mussten lichkeiten ausschöpfen, um das Restrisiko für aufwendige Küsten- Menschen und Sachwerte möglichst gering zu und Hochwasser- halten. schutzanlagen errich- tet werden. Immer wieder waren beim Kampf gegen den Blanken Hans Rückschläge zu ver- Dr. Manfred Schuldt zeichnen. Die Anstrengungen beim Ausbau der Küsten- und Hochwasserschutzanlagen haben Amtsleiter sich aber gelohnt. Seit 1962 hat es in Deutsch- Amt für Umweltschutz land keine Sturmflutopfer mehr gegeben. Behörde für Stadtentwicklung und Umweltschutz Freie und Hansestadt Hamburg Wichtige Grundlage des Küsten- und Hochwas- serschutzes ist die Ermittlung des Bemessungs- wasserstandes. Hamburg hat 2012 einen neu- en Bemessungswasserstand festgelegt. Dem ging eine gründliche Fachdiskussion voraus. In diesem Zusammenhang hat der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer die vorliegen- de Übersicht der Bemessung von Küsten- und Hochwasserschutzanlagen der wichtigsten Nordseeanrainerstaaten erarbeitet. 3
eINLeITuNG Der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Ge- Allen Ländern ist gemein, dass sie mehr oder wässer arbeitet bereits seit einigen Jahren weniger umfassend Risikoaspekte in die Be- an der Fortschreibung und Aktualisierung der messung der Schutzbauwerke einbeziehen. Grundlagen für den Schutz vor Sturmfluten, um Dieses ist einerseits durch die im Jahr 2007 von daraus neue Bemessungswasserstände für die der Europäischen Gemeinschaft verabschiede- Hamburger Hauptdeichlinie zu entwickeln. Hier- ten „Richtlinie über die Bewertung und das Ma- bei ist es unverzichtbar neben den Verfahren der nagement von Hochwasserrisiken“ angestoßen Nachbarländer Niedersachsen und Schleswig- worden, erscheint darüber hinaus aber auch vor Holstein auch internationale Erfahrungen und dem Hintergrund der begrenzten finanziellen Ansätze einzubeziehen. Ressourcen unverzichtbar. In Zukunft wird dies dazu führen, dass vermehrt risikoabhängige ört- Alle Anrainerstaaten der Nordsee sind gezwun- lich unterschiedliche Schutzniveaus festgesetzt gen zum Schutz ihrer Niederungen und deren werden und nicht mehr ein weitgehend einheitli- Bewohner Küstenschutzstrategien zu entwi- cher und höchstmöglicher Schutz an jeder Stelle ckeln, deren wesentlichstes Element der Bau angestrebt wird. von Schutzbauwerken ist. Deiche und massive Bauwerke sollen die Gefahren, die von Sturm- Der vorliegende Bericht gibt einen Überblick fluten ausgehen, minimieren. Die hohen Kosten über die unterschiedliche Vorgehensweise der für den Bau, den Erhalt und laufende Anpas- Nordseeanrainerländer beim Schutz vor Sturm- sungsbedarfe der Schutzbauwerke sind durch fluten. Die Verantwortlichen sind weiterhin auf- die häufig existentielle Bedeutung gerechtfer- gefordert, an einer Vereinheitlichung der Stan- tigt, bedeuten aber eine erhebliche Belastung dards zu arbeiten, um im Hinblick auf Sicherheit für die Länder und die unmittelbar Betroffenen. und Wirtschaftlichkeit einen grenzüberschreiten- den optimalen Schutz der Küstenniederungen zu Der vorliegende Bericht befasst sich mit den erreichen. Unterschieden, die es in den betroffenen Län- dern bei den Bemessungsansätzen und den an- gestrebten Sicherheitsstandards sowie bei den Thomas Buß rechtlichen Grundlagen gibt. Es wird außerdem eine Übersicht darüber gegeben, in welcher Grö- Fachbereichsleitung ßenordnung der Meeresspiegelanstieg bereits Planung und Entwurf Hochwasserschutz heute in die Bemessung einbezogen wird und Geschäftsbereich Gewässer und Hochwasser- ob zukünftig Veränderungen dieser Ansätze in- schutz folge der prognostizierten Beschleunigung von Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer Klimaveränderungen geplant sind. Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation Freie und Hansestadt Hamburg 4 Für Sie. Für Hamburg.
INHALT VORWORT 3 EINLEITUNG 4 INHALT 5 VERANLASSUNG 9 1GEGENSTANDDERARBEIT 9 1.1 Gegenstand 9 1.2 Grundlagen 10 1.3 Begriffsdefinitionen 10 1.3.1 Risiko 10 1.3.2 Sicherheit 10 2ZUSAMMENFASSUNG 11 2.1 Überblick 11 2.2 Heutiger Zustand 11 2.2.1 Juristische Grundlagen 11 2.2.2 Verfahren 12 2.2.2.1 Ermittlung der Bemessungswasserstände 12 2.2.2.2 Umsetzung der Bemessungswasserstände 13 2.2.2.3 Sicherheitsstandards 14 2.2.2.4 Meeresspiegelanstieg 17 2.3 Zukünftige Entwicklungen – Anpassung an den Klimawandel 17 2.3.1 Juristische Grundlagen 17 2.3.2 Verfahren 18 2.3.2.1 Sicherheitsstandards 19 2.3.2.2 Meeresspiegelanstieg 22 3NIEDERLANDE 23 3.1 Geographischer und historischer Überblick 23 3.1.1 Deltaplan 23 3.1.2 Sandvorspülungen 23 3.2 Juristische Grundlagen 24 3.2.1 Küstenschutzgesetz 24 3.2.2 Reglementierte Raumordnung 25 3.3 Bemessung 26 3.3.1 Sicherheitsstandard 26 3.3.2 Bemessungswasserstände 28 3.3.3 Meeresspiegelanstieg 28 3.4 Zukünftige Entwicklung 28 3.4.1 Neues Deltaprogramm 29 5
3.4.2 Sicherheitsstandard und Meeresspiegelanstieg 29 3.4.3 Vorhaben des Deltaprogramms 30 3.4.3.1 Nordseeküste 30 3.4.3.2 Südwestliches Delta 30 3.4.3.3 Flüsse 30 3.4.3.4 Ijsselmeer 31 3.4.3.5 Kosten 31 3.5 Fazit 31 4BELGIEN 32 4.1 Überblick 32 4.2 Juristische Grundlagen 32 5BELGIEN(SCHELDE) 32 5.1 Geographischer und historischer Überblick 32 5.1.1 Sigmaplan 32 5.1.2 Umsetzung des Sigmaplans 33 5.2 Juristische Grundlagen: Aktualisierter Sigmaplan 33 5.2.1 Risikobasierter Ansatz 33 5.2.2 Sicherheitsstandard 34 5.2.3 Bemessung 34 5.2.4 Meeresspiegelanstieg 35 5.3 Fazit 35 6BELGIEN(FLANDRISCHEKÜSTE) 35 6.1 Geographischer und historischer Überblick 35 6.2 Juristische Grundlagen 35 6.3 Bemessung 36 6.3.1 Sicherheitsstandard 36 6.3.2 Meeresspiegelanstieg 36 6.3.3 Bemessungsverfahren 36 6.4 Zukünftige Entwicklung 36 6.4.1 Juristische Grundlage 37 6.4.2 Zukünftige Bemessung 38 6.4.2.1 Sicherheitsstandard 38 6.4.2.2 Meeresspiegelanstieg und Wellenüberlauf 38 6.4.3 Schadens- und Opferkalkulation 38 6.4.4 Risikoanalyse 40 6.5 Fazit 41 7VEREINIGTESKÖNIGREICH 42 6 Für Sie. Für Hamburg.
8VEREINIGTESKÖNIGREICH(KÜSTE) 42 8.1 Geographischer Überblick 42 8.2 Juristische Grundlagen 42 8.2.1 Coast Protection Act 42 8.2.2 Making Space for Water 43 8.2.3 Shoreline Management Plans 43 8.3 Bemessung 44 8.3.1 Sicherheitsstandard 44 8.3.2 Meeresspiegelanstieg 45 8.3.3 Meteorologische und hydrologische Parameter 46 8.4 Zukünftige Entwicklung: Risikomanagement 46 8.4.1 Sequenztest 47 8.4.2 Ausnahmetest 50 8.5 Fazit 50 9VEREINIGTESKÖNIGREICH(LONDONUNDDIETHEMSE) 51 9.1 Historischer und geographischer Überblick 51 9.2 Juristische Grundlagen 51 9.3 Das Themsesperrwerk 51 9.4 Sicherheitsstandard und Meeresspiegelanstieg 52 9.5 Zukünftige Entwicklung: „Thames Estuary 2100“ 53 9.6 Fazit 53 10DÄNEMARK 54 10.1 Geographischer Überblick 54 10.2 Juristische Grundlagen 54 10.2.1 Küstenschutzgesetz 54 10.2.2 Durchführung von Küstenschutzmaßnahmen 55 10.3 Bemessung 55 10.3.1 Sicherheitsstandards 55 10.3.2 Bemessungswasserstände 56 10.3.3 Meeresspiegelanstieg 57 10.4 Beispiel Managementplan Westküste 57 10.4.1 Sicherheitsstandard 58 10.4.2 Meeresspiegelanstieg 59 10.4.3 Heutiger Stand an der Westküste 59 10.5 Fazit 59 7
Anhang 60 NL1DASBEMESSUNGSVERFAHRENINDENNIEDERLANDEN 60 NL - 1.1 Sicherheitsstandard 60 NL - 1.2 Bemessungswasserstände 60 NL - 1.2.1 Überprüfung des Sicherheitsstandards 61 NL - 1.2.1.1 Basiswasserstände 61 NL - 1.2.1.2 Wellenauflauf bzw. -überlauf 63 NL - 1.2.1.3 Prüf- und Rechenwasserstand 63 NL - 1.2.1.4 Wasserstandverlauf an der Küste 63 NL - 1.2.1.5 Unterläufe der Flüsse (Benedenrivieren) 64 NL - 1.2.1.6 Wasserstandverlauf Benedenrivieren 64 NL - 1.2.2 Deichhöhe 66 B1BELGIEN:KOSTENNUTZENANALYSEFÜRDENAKTUALISIERTEN SIGMAPLAN(SCHELDE) 67 B - 1.1 Evaluation der Maßnahmen 67 B - 1.2 Bestimmung der bestmöglichen Lösung 68 B - 1.3 Rahmenplanung mit Top-Down-Ansatz 68 B - 1.4 Optimierung mit Bottom-Up-Ansatz 69 B2BELGIEN:BEMESSUNGSVERFAHREN(SCHELDE) 71 B - 2.1 Bemessungsverfahren 71 B - 2.1.1 Wind 71 B - 2.1.2 Windstau 73 B - 2.1.3 Synthetische Sturmfluten 75 B - 2.1.4 Modellierung 76 B - 2.1.5 Bestimmung der Wahrscheinlichkeitsverteilung 77 B - 2.1.6 Sensitivitätsanalyse 78 B - 2.2 Vergleich mit anderen Methoden 79 B - 2.3 Anwendung 80 B - 2.4 Vor- und Nachteile 81 B3BELGIEN:BEMESSUNGSVERFAHRENFÜRFLANDERN 82 B - 3.1 Bemessungsverfahren 82 B - 3.1.1 Richtungsabhängige Analyse der Wasserstände 82 B - 3.1.2 Bestimmung des Windstaus 83 B - 3.1.3 Extremwertanalysen 83 B - 3.1.4 Wasserstand 84 B - 3.1.5 Übertragung auf die Küste 85 B - 3.2 Anwendung der ermittelten Rahmenbedingungen 85 LITERATUR 86 IMPRESSUM 89 8 Für Sie. Für Hamburg.
VERANLASSUNG in welchen juristischen Grundlagen – von Küstenschutzbauwerke sind in Hamburg ein un- speziellen Küstenschutzgesetzen bis zu ver- verzichtbares Element der Daseinsvorsorge. Ob bindlichen Plänen (Generalplänen etc.) – die ihre Bemessung den Schutzanforderungen noch Protektionsmaßnahmen gegen extreme genügt oder Anpassungen aufgrund veränderter Wasserstände geregelt bzw. vorgeschrieben Risiken erforderlich werden, muss regelmäßig sind. Darüber hinaus wird der Frage nachge- überprüft werden. Da es hierfür keine genorm- gangen, ob und wenn ja, in welchem Maße ten Verfahren gibt, sind Berechnungsverfahren die Staaten dazu verpflichtet sind, Küsten- und Sicherheitsstandards anderer Nordseeanrai- schutz zu betreiben um so ihre Bevölkerung nerländer ausgewertet worden. vor den von der Nordsee ausgehenden Ge- fahren zu schützen. 1GEGENSTANDDERARBEIT 2. Sicherheitsstandards des Küstenschutzes: 1.1Gegenstand Es werden die Sicherheitsstandards, mit Der vorliegende Bericht stellt das Ergebnis einer denen die Küsten und das dahinter liegende umfangreichen Literaturrecherche dar. Es werden Land geschützt werden (sollen) erläutert. Es die Vorgehensweisen zur Bemessung der Küs- sind einerseits weitestgehend ländlich struk- tenschutzanlagen der Nordseeanrainerstaaten turierte Gegenden und andererseits hoch Niederlande, Belgien, Großbritannien und Däne- entwickelte Metropolen vor Sturmfluten zu mark erläutert. Dabei ist zu beachten, dass für schützen. In einigen Ländern werden dazu Belgien und Großbritannien jeweils zwei Strategi- unterschiedlich hohe Sicherheitsstandards en erläutert werden, da für die flandrische Küsten angesetzt, die Eintrittswahrscheinlichkeiten und die Schelde bzw. für die britische Küste und von 1:2,5 bis 1:10.000 pro Jahr abdecken. die Themse innerstaatlich verschiedene Küsten- Neben der Erläuterung der Sicherheitsstan- schutzkonzepte zur Anwendung kommen. dards selbst wird auch auf die verschiedenen nationalen Methoden eingegangen, anhand Zusammenfassend werden die Inhalte des Be- derer die Sicherheitsstandards hergeleitet richtes in Kartenform dargestellt. Je eine Karte werden. gibt den heutigen Zustand (s Abb. 1 auf S. 8) und den in Planung befindlichen zukünftigen Zustand 3. Bemessungsverfahren: Die Bemessung na- (s. Abb. 2 auf S. 13) der nationalen Küstenschutz- tionaler Küstenschutzmaßnahmen erfolgt strategien wieder. Besondere Schwerpunkte aufgrund sehr unterschiedlicher Bemes- des Berichtes liegen auf folgenden Bestandtei- sungsverfahren. Deren Palette reicht von len, die – teilweise im vertiefenden Anhang – rein statistischen Extrapolationen bis hin zu ausführlicher betrachtet und erläutert werden: relativ komplexen Kombinationsverfahren aus deterministischer Bestimmung einzelner 1. Juristische Grundlagen für den Küsten- Bestandteile einer Sturmflut mit anschlie- schutz: Hier wird insbesonders untersucht, ßender simulierter Propagation in Ästuaren. 9
Daneben existieren verschiedene Mixverfah- gegeben wird. Aufgrund der unterschiedlichen ren. nationalen Verfahren in der Bemessung der Küs- tenschutzmaßnahmen ist der „Sicherheitsstan- 4. Veränderungen der hydrologischen und me- dard“ einer der Hauptvergleichsfaktoren und teorologischen Gegebenheiten: Diese ste- nimmt somit eine besondere Bedeutung ein. hen – bedingt durch den Klimawandel – zu- nehmend im Fokus der Öffentlichkeit. In allen 1.3.1Risiko hier beschriebenen Nationen wird derzeit die Risiko wird allgemein als Produkt aus Schadens- Anpassung der Verfahren zur Bemessung umfang und Eintrittswahrscheinlichkeit eines Er- der Küstenschutzanlagen an den Klimawan- eignisses definiert. Dabei wird mit der Eintritts- del diskutiert, welcher als Herausforderung wahrscheinlichkeit die Chance bezeichnet, dass der Zukunft bezeichnet werden kann. ein Ereignis innerhalb eines bestimmten Zeit- intervalls eintritt. So bedeutet z. B. 0,001/Jahr, Die Schilderung der nationalen Strategien er- dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:1.000 folgt überwiegend aufgeteilt nach den bisheri- damit zu rechnen ist, dass ein Schadensereignis gen Verfahren und den derzeitig in Entwicklung eintritt. Die Größe des Schadens hängt von den stehenden Konzepten. An der Tatsache, dass in Werten im Überflutungsgebiet ab und wird in fast allen behandelten Staaten momentan neue Geldwerten beschrieben. Die Relation von Ein- Küstenschutzstrategien erarbeitet werden, las- trittswahrscheinlichkeit des Wasserstandes und sen sich die intensiven Bemühungen um die der Versagenswahrscheinlichkeit des Küsten- Gewährleistung eines Küstenschutzes auch in schutzbauwerkes zu den Werten der Güter im Zukunft erkennen. Überflutungsgebiet, bildet das Risiko ab. 1.2Grundlagen 1.3.2Sicherheit Als Grundlage für den vorliegenden Bericht wur- Der Faktor Eintrittswahrscheinlichkeit des Risi- den weitestgehend die originalen Planungsdo- kos gibt, wie zuvor beschrieben, die Wahrschein- kumente und Gutachten, auf deren Basis die lichkeit an, mit der mit einem bestimmten Ereig- verschiedenen nationalen Küstenschutzvorge- nis zu rechnen ist. In vielen Ländern wird mit der hen entwickelt wurden, herangezogen. Dadurch Eintrittswahrscheinlichkeit mehr oder minder der können die Vorgehensweisen, besonders was Begriff „Sicherheitsstandard“ beschrieben. Ge- die Bemessungsverfahren angeht, detailliert nau genommen ist der Gebrauch des Begriffes und aus direkter Quelle dargelegt werden. „Sicherheit“ nicht korrekt, was im Folgenden kurz erläutert werden soll: 1.3Begriffsdefinitionen Die im Folgenden erläuterten Begriffe „Risiko“ Wird der Begriff „Sicherheit“ rein deskriptiv und „Sicherheit“ sind von zentraler Bedeutung verwendet, bedeutet er, dass Risiken einer für das Verständnis der Küstenschutzstrategien, bestimmten Art nicht bestehen, was Schäden weil mit ihnen der Verteidigungsstandard an- praktisch ausschließt. Somit bezeichnet Sicher- 10 Für Sie. Für Hamburg.
heit einen Zustand, der frei von unvertretbaren Für einen zusammenfassenden Überblick der Risiken ist und als gefahrenfrei angesehen wer- Inhalte des Textes wurden Karten erstellt, in de- den kann. Sicherheit in diesem Sinne bedeutet nen die zuvor genannten Inhalte graphisch und hundertprozentig sicher, was den Begriff so nur in Stichpunkten zusammengefasst dargestellt selten anwendbar macht, da er Schäden von sind. Die erste Karte (Abb. 1) gibt den gegenwär- den Naturgesetzen her ausschließt. Dafür aller- tigen Bemessungsstandard wieder, die zweite dings müssten alle Kausalzusammenhänge der (Abb. 2) den zukünftigen. Dabei wird deutlich, Umwelt bekannt sein, was nicht der Fall ist. Si- dass sich die Küstenschutzstrategien der Länder cherheit im Sinne 100%-iger Sicherheit gibt es zum Teil maßgeblich voneinander unterscheiden. demzufolge nicht (BANSE 1996). 2.2HeutigerZustand Sicherheit wird daher in unserem Sprachgebrauch 2.2.1JuristischeGrundlagen eher im Zusammenhang mit bestimmten normati- Das organisatorische und planerische Rahmen- ven Komponenten gebraucht, was bestimmte kul- werk unterscheidet sich in den einzelnen Län- turelle, konventionelle oder festgelegte Standards dern deutlich voneinander. Dies liegt zunächst der Risikoakzeptabilität impliziert. Sicherheit gilt in an den unterschiedlichen administrativen Struk- diesem Sinne als akzeptables und zumutbares Ri- turen der einzelnen Länder. So gibt es in den siko für die Gesellschaft. Folglich können auf wis- Niederlanden und Großbritannien je ein spezi- senschaftlicher Basis nur Aussagen über die Höhe elles Küstenschutzgesetz. Im niederländischen des Risikos gemacht werden. Küstenschutzgesetz werden explizite Sicher- heitsstandards für das gesamte Land ausgewie- sen (WET OP DE WATERKERING, BIJLAGE II), 2ZUSAMMENFASSUNG während das britische Küstenschutzgesetz kei- 2.1Überblick ne Schutzniveaus enthält. Zudem haben die bri- Inhalt dieses Berichtes ist die Darstellung der tischen Bürger (London ausgenommen) keinen gegenwärtigen und zukünftigen Bemessungs- Anspruch auf vom Staat unterhaltene Küsten- verfahren von Hochwasserschutzanlagen der schutzmaßnahmen (PPS 25). In Belgien gibt es Nordseeanrainerstaaten Niederlande, Belgi- bislang lediglich für den Bereich der Schelde eine en, Großbritannien und Dänemark. Besondere übergeordnete Planung, welche im Jahr 2005 Schwerpunkte des Berichtes liegen auf folgenden überarbeitet wurde und konkrete Schutzniveaus Bestandteilen, die in einem ausführlichen Text vorsieht. Für die flandrische Küste hingegen gibt und anhand von zwei Karten dargestellt werden: es noch keine rechtsverbindliche Küstenschutz- strategie (MERTENS ET AL. 2008). In Dänemark • Juristische Grundlagen für den Küstenschutz wurde 1988 ein Küstenschutzgesetz erlassen, • Sicherheitsstandards des Küstenschutzes welches allerdings eher das Küstenzonenmana- • Bemessungsverfahren gement regelt, als den Sturmflutschutz. Ähnlich • Veränderungen der hydrologischen und mete- wie in Großbritannien haben die Menschen hier orologischen Gegebenheiten kein Anrecht auf vom Staat unterhaltene Küsten- 11
schutzmaßnahmen. Für den zentralen Teil der dä- 2. Ein statistisches Verfahren: Über eine Extra- nischen Küste gibt es mit dem Managementplan polationsfunktion wird auf Basis von gemes- „VESTKYSTEN ´08“ ein zusätzliches Planungs- senen Zeitreihen von Höchstwasserständen dokument, welches allerdings ebenso wenig ein Bemessungswasserstand ermittelt. konkrete oder einheitliche Sicherheitsstandards beinhaltet. Die für die jeweiligen Staaten rele- 3. Ein probabilistisches bzw. risikobasiertes Ver- vanten Planungs- und Gesetzestexte sind in Tab. fahren: Die Risikoabschätzung erfolgt anhand 1 zusammenfassend dargestellt. einer Gesamtversagenswahrscheinlichkeit. Staat/Region Dokument Jahr Niederlande Küstenschutzgesetz (Wet op de Waterkering) 1996 Deltaplan 1955 Belgien (Schelde) Sigmaplan 1977 Aktualisierter Sigmaplan 2005 Belgien (Flandern) - keine - Großbritannien (Küste) Küstenschutzgesetz (Coast Protection Act) 1949 Shoreline Management Plans (lokal) Ab 1993 Making Space for Water 2003 Großbritannien (London) Thames Barrier and Flood Prevention Act 1972 Dänemark Küstenschutzgesetz 1988 Vestkysten ´08 2008 Tab. 1: Grundlagen für den Küstenschutz in den untersuchten Staaten 2.2.2Verfahren Die probabilistische Gefährdungsanalyse 2.2.2.1ErmittlungderBemessungswasser beinhaltet alle relevanten Belastungen und stände Versagensmechanismen der Bauwerke unter Für die Berechnung der Höhe der Küstenschutz- Berücksichtigung ihrer Unsicherheiten, so- anlagen sind grundsätzlich drei Verfahren vonei- wie die im Versagensfall betroffenen Werte. nander zu unterscheiden: Die Berechnung der Bemessungswasserstände 1. Ein deterministisches Verfahren: Sturmflut- erfolgt in den einzelnen Ländern sehr verschie- höhen werden anhand bisher eingetretener den voneinander, da meist Mischformen der ge- oder in Modellverfahren simulierter Sturmflu- nannten Bemessungsverfahren zur Anwendung ten berechnet. Dies geschieht unter Berück- kommen. Deterministische Verfahren werden sichtigung der ortsspezifischen Bedingungen herangezogen, um die auf den natürlichen Rah- sowie eines Sicherheits- und Klimazuschla- menbedingungen basierenden physikalischen ges. Der so ermittelte Wert wird anschlie- Vorgänge während einer Sturmflut möglichst ßend einer Wahrscheinlichkeit zugeordnet. genau erfassen zu können. Die Berücksichti- 12 Für Sie. Für Hamburg.
gung sowohl von eingetretenen als auch anhand 2.2.2.2 UmsetzungderBemessungswasser numerischer Computermodelle simulierten stände Sturmfluten soll exakte Werte für jeden Ort an Bei der Umsetzung von Bemessungswasser- der Küste liefern. Mithilfe statistischer Verfahren ständen sind zwei Verfahren zu unterscheiden: kann die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Werte berechnet werden, welche gerne zum Vergleich 1. Absoluter Sicherheitsstandard: Definition ei- der Sicherheitsstandards verwendet wird. nes einheitlichen Sicherheitsstandards, der auf das gesamte zu schützende Gebiet – un- Bei der Ermittlung von Bemessungswerten über abhängig von den durch Sturmfluten gefähr- statistische Verfahren, wird eine Eintrittswahr- deten Werten – übertragen wird. scheinlichkeit vorgegeben. Hierfür wird aus den Wasserstandsreihen mithilfe unterschiedlicher 2. Risikobasierte Sicherheitsstandards: Es wer- Verteilungsfunktionen je nach gewünschtem den lokal differenzierte Sicherheitsstandards oder erforderlichem Sicherheitsstandard ein Wert umgesetzt, die anhand einer Risikoanalyse definiert. Bei dieser Vorgehensweise ist jedoch ermittelt werden und neben dem Wasser- gerade bei geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten stand auch die erwarteten Schäden berück- nicht bekannt, ob die für den jeweiligen Ort kor- sichtigen. rekten natürlichen Rahmenbedingungen berück- sichtigt werden. Daher ist es bei statistischen Bei der Umsetzung der Bemessungswasser- Verfahren erforderlich, die natürlichen Rahmenbe- stände kommen, ebenso wie bei deren Er- dingungen anhand deterministischer Analysen zu mittlung, Mischverfahren zur Anwendung. Die überprüfen. Eine solche Vorgehensweise wird im Niederlande waren das erste Land, in dem im Text als gemischtes Verfahren bezeichnet. Rahmen des Deltaplanes von 1955 ein risiko- basierter Ansatz zur Anwendung kam. Hier Ausführliche Beispiele für gemischte Verfahren wurden die Sicherheitsstandards mit einem werden mit Belgien und den Niederlanden im einfachen Verfahren den bedrohten Werten Text bzw. im Anhang dargelegt. entsprechend definiert, die allerdings im Laufe der Jahre nicht der Entwicklung von Bevölke- rung und Wirtschaft angepasst wurden. Zu- dem werden in den Niederlanden einheitliche Sicherheitsstandards auf komplette Deichringe, also abgeschlossene, von Hochwasserschutz- maßnahmen umschlossene Gebiete bezogen. Die Ermittlung der Bemessungswasserstände erfolgt in den Niederlanden nach einem kombi- nierten Verfahren, welches neben statistischen Bestandteilen auch deterministische Elemente wie hydrodynamische Modellierungen enthält. 13
In Großbritannien folgt man ebenfalls einem ri- 2.2.2.3Sicherheitsstandards sikobasierten Ansatz, wenn auch mit erheblich Eine Form, den Sicherheitsstandard auszudrü- geringeren Sicherheitsstandards. Neuerdings cken, bietet die Eintrittswahrscheinlichkeit. Das wird auch in Belgien für die Schelde ein risiko- Konzept der Eintrittswahrscheinlichkeiten macht basierter Ansatz angewendet. In Belgien und die verschiedenen Küstenschutzsysteme gut Großbritannien werden – anders als in den Nie- vergleichbar. Wie oben beschrieben sind die derlanden – relativ kleinräumige Gebiete einer Bemessungsverfahren der einzelnen Staaten Risikoanalyse unterzogen. Die für die Küsten- höchst verschiedenen voneinander, so dass ein schutzmaßnahmen maßgebenden Wasserstän- Vergleich der sich daraus berechnenden Soll- de werden in Großbritannien überwiegend sta- höhen unmöglich erscheint (JORISSEN ET AL. tistisch bestimmt. In Belgien hingegen werden 2000). Infolgedessen bedarf es bei der Angabe diese mit einem kombinierten deterministisch- einer Eintrittswahrscheinlichkeit immer einer De- statistischen Verfahren ermittelt. Dieses ähnelt finition, welche Verfahren und welche Ungenau- dem niederländischen Vorgehen, stützt sich igkeiten diesem zugrunde liegen. jedoch noch stärker auf die Modellierung von Sturmfluten, so dass der deterministische Anteil Einen zusammenfassenden Überblick über die im Verfahren einen noch größeren Stellenwert Sicherheitsstandards bieten Abb. 1 und Tab. 2. hat. Es wird deutlich, dass die verschiedenen Sicher- heitsstandards der einzelnen Staaten eine große Die Bestimmung der Sicherheitsstandards in Bandbreite haben. Sie reichen von 1:50 in dünn Dänemark ist als eingeschränkt risikobasiert zu besiedelten Teilen Dänemarks bis zu 1:10.000 in bezeichnen, da hier finanzielle Anreize zur Ein- den dicht besiedelten Gebieten der Niederlan- haltung bestimmter Sicherheitsstandards moti- de. Auch für die anderen Nordseeanrainerländer vieren. Eine Risikoanalyse als Bewertungsinst- zeigt sich, dass dicht besiedelte Räume hohe rument kommt allerdings nicht zur Anwendung, Sicherheitsstandards aufweisen. So beträgt der die Wasserstände werden rein statistisch ermit- Sicherheitsstandard für London 1:1.000, der für telt. Antwerpen 1:4.000. An weiten Teilen der briti- schen und dänischen Küste, an denen keine oder nur geringe Werte gefährdet sind, wird hingegen kein Küstenschutz betrieben und somit der na- türlichen Entwicklung freien Lauf gelassen. 14 Für Sie. Für Hamburg.
Staat/Region Bestimmungdererforder Sicherheits Bemessungsverfahren lichenSicherheitsstandards standard Niederlande Risikobasiert 1:2.000 bis Kombiniertes statistisch- 1: 10.000 deterministisches Verfahren: „Prüfwasserstand“ (statis- tisch) + sonstige Einflüsse (determinist.) Gesondertes Verfahren für die fünfjährliche Überprüfung Belgien (Schelde) Risikobasiert 1:1.000 bis Kombiniertes determinis- 1: 4.000 tisch-statistisches Verfahren auf der Basis modellierter Sturmfluten Belgien (Flandern) Absolut 1:1.000 Kombiniert deterministisch- statistisch Großbritannien Risikobasiert 1:2,5 bis uneinheitlich (Küste) 1:300 Großbritannien Absolut 1:1.000 statistisch (London) (im Jahr 2030) Dänemark Eingeschränkt risikobasiert 1:50 bis statistisch 1:1.000 Tab. 2: Übersicht über die gegenwärtig geforderten Sicherheitsstandards der ausgewerteten Staaten 15
16 Für Sie. Für Hamburg. Abb. 1: Zusammenfassende Darstellung der heutigen Sicherheitsstandards
2.2.2.4Meeresspiegelanstieg net sind. Zudem unterscheiden sich die Vorher- Die Höhe des einkalkulierten Meeresspiegelan- sagezeiträume zum Teil deutlich voneinander. stieges wird durchweg unterschiedlich veran- Speziell für die Themse werden nur Prognosen schlagt. Tab. 3 und Abb. 1 geben eine Übersicht bis 2030 angestellt, da die Lebensdauer des über die angenommenen Werte. Die Zuschläge Themsesperrwerkes auf dieses Jahr terminiert für die Bemessung reichen von 42 cm bis zum ist. Ähnlich stellt es sich im Fall der Niederlan- Jahr 2100 in Dänemark bis zu 120,5 cm in 2115 de dar, da dort die Prognose für den nächsten, in Großbritannien. Dies liegt zum einen an lokal fünfjährlichen Überprüfungszeitraum aufgestellt unterschiedlichen Landhebungs- und Landsen- wird. Staat/Region KalkulierterMeeresspiegelanstieg Vorhersagezeitraum Niederlande 6 bis 14 cm 1985–2011 Belgien (Schelde) 22,5 cm 2008–2050 60 cm 2008–2100 Belgien (Flandern) 30 cm 2008–2050 60 cm 2008–2100 Großbritannien (Küste) 8,75 bis 14 cm 1990–2025 (je nach Region) 29,7 bis 39,5 cm 1990–2055 59,7 bis 75,5 cm 1990–2085 98,7 bis 120,5 cm 1990–2115 Großbritannien (London) 0,08 cm / Jahr Bis 2030 Dänemark 10 bis 20 cm 2007–2050 18 bis 59 cm 2007–2100 Dänemark (Plan Vestkysten) 42 cm 2008–2100 Tab. 3: Übersicht über den kalkulierten Meeresspiegelanstieg in den gegenwärtigen Planungen der ausgewerteten Staaten kungsprozessen, die in den relativen Meeres- 2.3ZukünftigeEntwicklungen– spiegel vor Ort mit einfließen und zum ande- AnpassungandenKlimawandel ren schlichtweg an der Forschungsgrundlage, Im Zuge der Anpassung an den Klimawandel welche zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der überarbeiten derzeit drei der vier betrachteten jeweiligen Planung verfügbar war. So beruhen Länder ihre Küstenschutzstrategien. Besonders die Werte für Belgien, Dänemark und Groß- in den Niederlanden werden sehr langfristige britannien auf den vom IPCC veröffentlichten Überlegungen mit einem zeitlichen Horizont bis Werten. Die von Großbritannien veranschlagten ins Jahr 2200 angestellt. Werte stechen in ihrer Höhe hervor, allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass es sich um re- 2.3.1JuristischeGrundlagen lative Werte handelt, da die Landhebungs- und Eine Reihe neuer Planungen und Gesetze sind Landsenkungsprozesse hier bereits eingerech- derzeit in der Aufstellung befindlich oder wurden 17
erst in jüngster Vergangenheit verabschiedet. und Antwerpen jeweils um bedeutende Agglo- Tab. 4 gibt einen Überblick über die für die Zu- merationsräume, welche besonderen Schutzes kunft relevanten Planungs- und Gesetzestexte. bedürfen. Diese neuen Dokumente haben sehr unter- Es ist anzumerken, dass der „Aktualisierte Sig- schiedliche räumliche Bezüge. So befindet sich maplan“ in Belgien und der Plan „Vestkysten“ in für die britische Küste derzeit eine neue Pla- Dänemark erst in 2005 respektive 2008 aufge- nung in der Umsetzung: Mit dem „Planning Po- stellt worden sind, so dass hier momentan kein licy Statement 25“ wurde im Rahmen des bri- akuter Handlungsbedarf besteht. Staat/Region Dokument Jahr Niederlande Küstenschutzgesetz (Wet op de Waterkering) 1996 Deltagesetz (Deltawet) (2011) Belgien (Schelde) Aktualisierter Sigmaplan 2005 Belgien (Flandern) Integrated Master Plan For Flanders Future Coastal Safety 2011 Großbritannien (Küste) Küstenschutzgesetz (Coast Protection Act) 1949 Planing Policy Statement 25 2008 Shoreline Management Plans (2. Generation) 2010 Großbritannien (London) Thames Estuary 2100 2012 Dänemark Küstenschutzgesetz 1988 Vestkysten ´08 2008 Tab. 4: Künftige juristische Grundlagen für den Küstenschutz in den untersuchten Staaten (Jahreszahlen in Klammern weisen auf voraussichtliche Fertigstellungstermine hin) tischen Programms „Making Space for Water“ 2.3.2Verfahren eine überarbeitete Strategie vorgegeben, wel- Bei den Verfahren zur Berechnung des Bemes- che sich aktuell in der Aufstellung der „Shoreline sungswasserstandes geht die Tendenz weiter- Management Plans“ der 2. Generation nieder- hin zu einer Mischung aus statistischen und schlägt. Ähnlich verhält es sich mit dem neuen deterministischen Verfahren. Die deterministi- „Deltagesetz“ in den Niederlanden, das eben- schen Verfahrensbestandteile dienen vor allem falls für die gesamte niederländische Küste Gel- der Überprüfung der physikalischen Plausibilität. tung haben wird. Bei der Entscheidungsfindung, welche Sicher- heit für welchen Ort umgesetzt werden muss, Ebenso wie das britische Vorhaben „Thames wird zunehmend risikobasierend vorgegangen, Estuary 2100“, welches sich auf die Themse und was bedeutet, dass die vorhandenen Werte und den Londoner Raum bezieht, hat auch der „Ak- Menschenleben bei der Auswahl des erforderli- tualisierte Sigmaplan“ in Belgien eher lokalen chen Schutzniveaus berücksichtigt werden. Charakter. Allerdings handelt es sich bei London 18 Für Sie. Für Hamburg.
Die Bemessung der Wasserstände in Belgien 2.3.2.1 Sicherheitsstandards soll auch zukünftig nach den bisher angewand- Die Definition von Sicherheitsstandards als Ver- ten, kombiniert deterministisch-statistischen gleichsinstrument wird auch in den zukünftigen Verfahren erfolgen. Für die Umsetzung der Si- Küstenschutzkonzepten erhalten bleiben, eine cherheitsstandards an der flandrischen Küste tatsächliche Vergleichbarkeit ist aber aufgrund befinden sich sowohl risikobasierte als auch ab- der uneinheitlichen Bemessungsverfahren auch solute Sicherheitsstandards in der Diskussion, in der kommenden Zeit nicht gegeben. während für den Bereich der Schelde der absolu- te Standard aufgegeben wurde und stattdessen Bei der Definition der zukünftigen Sicherheits- ein risikobasiertes Konzept eingeführt wurde. standards stechen die Niederlande mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von bis zu 1:100.000 Die bestehende, auf einer veralteten Kosten- für die Provinzen Nord- und Südholland hervor. Nutzen-Analyse basierende Strategie in den Aber auch für die belgische Küste wurden die Niederlanden soll an die heutigen Bevölkerungs- Sicherheitsstandards erhöht. und Wirtschaftszahlen angepasst werden. Die Struktur der Deichringe wird allerdings erhalten In Großbritannien werden die Schutzniveaus zu- bleiben, so dass weiterhin relativ große Areale künftig ebenfalls angehoben und betragen nun einen einheitlichen Sicherheitsstandard bekom- maximal 1:1.000. Zu beachten ist jedoch, dass men werden. Daher ist dieses Konzept auch in die britischen Sicherheitsstandards nur einen Zukunft nicht als ein rein risikobasiertes zu be- empfehlenden Charakter haben und nicht ver- zeichnen, sondern weiterhin als eine Mischung bindlich sind. Hiervon ausgenommen ist lediglich aus absolutem und risikobasiertem Verfahren zu London, dessen bestehender und verbindlicher verstehen. Sicherheitsstandard von 1:1.000 weiterhin gel- ten soll. Dies geschieht mit einer Anpassungs- In Großbritannien soll ebenfalls verstärkt risiko- strategie, um das Schutzniveau auch im Hinblick basiert gearbeitet werden, wohingegen London auf den steigenden Meeresspiegel gewährleis- im internationalen Vergleich eine Ausnahme dar- ten zu können. stellt, da hier auch zukünftig ein ausschließlich auf Basis einer statistischen Eintrittswahrschein- Dagegen wurde das Schutzniveau für die Schel- lichkeit ermittelter absoluter Sicherheitsstandard de von (allerdings nie umgesetzten) 1:10.000 auf eingehalten werden soll. In Dänemark sollen die maximal 1:4.000 in Antwerpen reduziert. Damit Küstenschutzanlagen zukünftig ebenfalls auf der ist London der einzige Agglomerationsraum in Grundlage statistischer Eintrittswahrscheinlich- den untersuchten Ländern, für den der Sicher- keiten bemessen werden. heitsstandard nicht angehoben wird, sondern auf seinem bisherigen Niveau verbleibt. 19
Staat/Region Bestimmungdererforder Sicherheits Bemessungsverfahren lichenSicherheitsstandards standard Niederlande Gemischt absolut und risiko- Bis zu Kombiniertes statistisch- basiert 1:100.000 deterministisches Verfahren: „Prüfwasserstand“ (statis- tisch) + sonstige Einflüsse (determinist.) Gesondertes Verfahren für die fünfjährliche Überprüfung Belgien (Schelde) Risikobasiert 1:1.000 bis Kombiniertes determinis- 1: 4.000 tisch-statistisches Verfahren auf der Basis modellierter Sturmfluten Belgien (Flandern) Risikobasiert oder absolut 1:1.000, Kombiniert deterministisch- 1: 4.000 oder statistisch risikobasiert mit lokal dif- ferenzierten Schutzniveaus Großbritannien Risikobasiert 1:20 bis Uneinheitlich (Küste) 1:1.000 Großbritannien Absolut 1:1.000 Statistisch (London) Dänemark Eingeschränkt risikobasiert 1:50 bis Statistisch 1:1.000 Tab. 5: Übersicht über die zukünftig geforderten Sicherheitsstandards der ausgewerteten Staaten 20 Für Sie. Für Hamburg.
Abb. 2: Zusammenfassende Darstellung der zukünftigen Sicherheitsstandards
Staat/Region KalkulierterMeeresspiegelanstieg Bezugsjahre Niederlande 65 bis 130 cm 2100 200 bis 400 cm 2200 Belgien (Schelde) 22,5 cm 2008–2050 60 cm 2008–2100 Belgien (Flandern) 22,5 cm 2008–2050 60 cm 2008–2100 Großbritannien (Küste) 8,75 bis 14 cm 1990–2025 (je nach Region) 29,7 bis 39,5 cm 2025–2055 59,7 bis 75,5 cm 2055–2085 98,7 bis 120,5 cm 2085–2115 Dänemark 10 bis 20 cm 2007–2050 18 bis 59 cm 2007–2100 Dänemark (Plan Vestkysten) 42 cm 2008–2100 Tab. 6: Übersicht über den kalkulierten Meeresspiegelanstieg in den zukünftigen Planungen der ausgewerteten Staaten 2.3.2.2Meeresspiegelanstieg auch mit den unterschiedlichen Bemessungs- Der in den belgischen Küstenschutzstrategien horizonten zu erklären sind, die von 2025 bis einkalkulierte Meeresspiegelanstieg wird eben- 2200 schwanken. so wie derjenige für die britische Strategie aus den Werten des IPCC abgeleitet und entspricht somit unverändert den bereits bei den vorheri- gen Strategien angewandten Werten. Der Un- terschied zwischen belgischen und britischen Werten liegt hauptsächlich darin, dass bei den britischen bereits lokale Landhebungs- und Landsenkungsprozesse enthalten sind. In den Niederlanden hingegen wird insbesondere im Rahmen der langfristig formulierten Planung des neuen Deltagesetzes eine Kalkulation für das Jahr 2200 aufgestellt, die Werte zwischen 200 und 400 cm vorsieht. Zusammenfassend sind die verschiedenen nationalen Kalkulationen in Tab. 6 dargestellt. Dabei ist darauf zu achten, dass die zum Teil erheblichen Unterschiede in der Höhe neben den verschiedenen Standards 22 Für Sie. Für Hamburg.
3NIEDERLANDE gegründete das niederländische Verkehrsmi- 3.1GeographischerundhistorischerÜber nisterium die „Deltakommission“, welche am blick 8. Oktober 1955 mit dem Delta-Plan ein umfang- Die niederländische Küste hat eine Länge von reiches Küstenschutzprogramm vorstellte. Dies 523 km. Der südliche Teil wird vom Rhein-Maas- beschränkte sich allerdings überwiegend auf die Schelde-Delta dominiert, der mittlere ist eine südlichen niederländischen Provinzen und ba- Ausgleichsküste mit ausgeprägten Dünenfel- sierte im Wesentlichen auf folgenden drei Punk- dern und -gürteln, an den sich im Norden bis zur ten (MVW 2001): deutschen Grenze ein System von Barriereinseln • Verstärkung und Erhöhung der Deiche an mit Rückseitenwatten anschließt. Etwa 60 % der Nordsee, Flüssen und Seen auf „Deltahöhe“. niederländischen Landesfläche liegen unterhalb • Abdämmung der Ästuare in den südlichen des Meeresspiegels, so dass der Küstenschutz Niederlanden. Teilweise Bau von Sperrwer- in den Niederlanden seit jeher von größter Be- ken, um dem Schiffsverkehr Rechnung zu tra- deutung ist. In diesen tief liegenden Gebieten le- gen. Verkürzung der Deichlinie um ca. 700 km. ben ca. 9 Mio. Menschen, die hier 60 % des nie- • Stabilisierung von Dünen durch Sandunterfüt- derländischen Wirtschaftsvolumens erbringen. terungen an Schwachstellen. Zwei Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit Mit der Fertigstellung des Maeslantsperrwerks prägen das heutige Küstenschutzsystem. Als im Nieuwe Waterweg bei Rotterdam als letztem Folge der Sturmflut vom 13./14. Januar 1916 Teilelement wurde der Deltaplan im Jahr 1997 wurde der Bau des Abschlussdammes in Angriff vollendet. genommen, der 1932 fertig gestellt wurde und seither das heutige Ijsselmeer von der Nordsee 3.1.2Sandvorspülungen abtrennt. Noch weit schlimmer waren die Nie- Ein bedeutender Teil der niederländischen Küste derlande von der schweren Sturmflut vom 31. ist nicht durch Deiche, sondern durch natürliche Januar auf den 1. Februar 1953 betroffen. Dabei Dünengürtel geschützt1, die allerdings der Ero- erreichte der Pegelstand in Hoek van Holland ei- sion unterliegen, so dass die Küstenlinie über nen Wert von 3,85 m ü. NN. Es kam zu zahlrei- Jahrhunderte landwärts verlagert wurde. Im chen Deichbrüchen, bei denen 400.000 ha Land Jahre 1990 beschloss die niederländische Regie- überschwemmt wurden. Insgesamt starben rung keinen weiteren Landverlust an der Nord- 1836 Menschen und die Schäden beliefen sich see mehr zuzulassen. Sie formulierte im „Ersten auf etwa 2 Mrd. Gulden (RIVM 2004). Küstenpolitischen Dokument“ (1E KUSTNOTA 1990) drei Hauptziele im Rahmen einer „dyna- 3.1.1Deltaplan mischen Erhaltung“, um weitere Erosion zu ver- Aufgrund der verheerenden Auswirkungen der hindern: Sturmflut von 1953 wurde ein umfangreiches • Keine weitere landwärtige Verlagerung der Küstenschutzprogramm in Angriff genommen. Küstenlinie Bereits drei Wochen nach der Katastrophe • Erhaltung der wertvollen Dünengebiete 1 Im Wesentlichen der Bereich zwischen Hoek van Holland und Den Helder 23
• Erhaltung des natürlichen, dynamischen Cha- stimmungen über Betrieb, Unterhalt und Bau rakters der Küstenlinie von Küstenschutzmaßnahmen formuliert und Verantwortlichkeiten verschiedener involvier- Erreicht werden konnten diese Ziele durch Sand- ter Parteien definiert. Wichtigster Punkt ist die vorspülungen und Stimulation der natürlichen Festlegung eines einzuhaltenden Sicherheits- Dünenbildung. Letztere wird dadurch erreicht, standards für jeden einzelnen der insgesamt 57 dass, anstelle von dicht bewachsenen Dünen, Deichringe2 in den Niederlanden (Art. 3). Gemäß die eher Sanddeichen gleichen, natürliche Dü- Artikel 4 des Küstenschutzgesetzes ist alle fünf nenbildungsprozesse zugelassen werden, so Jahre zu überprüfen, ob die Küstenschutzmaß- dass die vorhandenen Dünen wachsen. Durch nahmen noch den geforderten Sicherheitsstan- die intensiven Sandvorspülungen ist ausrei- dards entsprechen. Diese regelmäßige Kontrolle chend Sand für die Dünenbildung vorhanden. wird aufgrund des steigenden Meeresspiegels und der zunehmenden Sturmintensität für not- Als Referenz wurde eine „Basisküstenlinie“ de- wendig erachtet. Alle Einzelbauwerke der im finiert, welche der gemittelten Küstenlinie vom Küstenschutzgesetz aufgeführten Deichringe 1.1.1990 entspricht. Im Jahre 1995 wurden die werden als primäre Küstenschutzmaßnahmen Ziele und Vorgehensweisen in einer überarbei- definiert, alle sonstigen als sekundäre. teten Version des Dokuments bestätigt. Die Erosion konnte mit verhältnismäßig geringem Die niederländische Regierung ist für die Formu- Aufwand (30 Mio. € pro Jahr) gestoppt werden, lierung und Umsetzung der Küstenschutzpolitik nicht aber der weitere Sandverlust im tieferen zuständig und betreibt selbst einige herausra- Küstenvorfeld. Hierfür wurden ab 2001 weitere gende Küstenschutzbauwerke, wie z.B. die gro- 15 Mio. € bewilligt. Zudem sollte mehr für die ßen Sturmflutsperrwerke. Zudem obliegt ihr die natürliche Entwicklung der Dünen getan wer- Finanzierung von Bau und Unterhalt der Küsten- den. Eine weitere Evaluation der Strategie, die schutzmaßnahmen. Die Regierungen der zwölf das bisherige Vorgehen grundsätzlich abermals Provinzen beaufsichtigen alle Küstenschutzmaß- bestätigte, fand 2000 statt. Die Sandvorspülun- nahmen in ihrem Gebiet, stellen regionale Was- gen wurden für geeignet befunden, sind aller- sermanagementpläne auf und überwachen zu- dings noch effektiver und billiger, wenn der Sand dem die Aktivitäten der lokalen Wasserbehörden nicht auf den Strand, sondern unter Wasser auf- und Gemeinden, einschließlich der Koordination gebracht wird (3E KUSTNOTA 2000). in Notfallsituationen bei großen Überschwem- mungen. Der Großteil der insgesamt ca. 3.585 3.2JuristischeGrundlagen km langen See- und Binnendeiche wird von 27 3.2.1Küstenschutzgesetz Wasserbehörden betrieben (3E KUSTNOTA Die niederländische Regierung erließ 1996 ein 2000). spezielles Hochwasserschutzgesetz (WET OP DE WATERKERING). Mit diesem werden Be- 2 Ein Deichring ist ein geschlossener Ring aus Küstenschutzmaßnahmen wie Deiche, Dünen oder Sperrwerke, der ein darin liegendes Gebiet vor Überschwemmungen schützt. 24 Für Sie. Für Hamburg.
3.2.2ReglementierteRaumordnung Um die Konkurrenz zwischen Sicherheit und An der niederländischen Küste finden Leben räumlicher Entwicklung etwas zu entschär- und Erholung teilweise an Orten statt, die durch fen, wird die Nutzung innovativer Konzepte ihre Exposition hohen Risiken ausgesetzt sind, angestrebt. Ziel ist die Kombination von Küs- da der geforderte Sicherheitsstandard nur hinter tenschutzbauwerken mit anderen technischen Deichen und Dünen gewährleistet werden kann. Maßnahmen, um sie gemeinsam nutzen zu Eine weitere Expansion dieser exponierten Ur- können. Folgende Möglichkeiten, um derartige laubsanlagen wird das Risiko zusehends erhö- kombinierte Nutzungen umzusetzen, werden als hen. Um diese Risiken an der Küste kontrollie- sinnvoll erachtet (BELEIDSLIJN KUST 2007): ren zu können, ist die weitere Entwicklung von • Zeitlich begrenzte Bauwerke Ferienorten auf innerhalb spezieller raumordne- • Aufnahme von Doppel- bzw. Haupt- und Ne- rischer Grenzen gelegene Bereiche beschränkt. bennutzung in den Nutzungsplan Für bereits bestehende, dicht an der Küste lie- • Kosten-Nutzen-Analyse von Investitionen, er- gende Bauwerke wird ein höheres Risiko akzep- warteter Nutzen und Schaden bei Abriss tiert, so dass keine bestehenden Gebäude ent- • Innovatives und risikobewusstes Bauen fernt werden müssen. Innovative Bauweisen können die Schäden bei unerwarteten Überflutungen deutlich reduzie- ren und somit die Belange von Sicherheit und räumlicher Entwicklung besser vereinigen. Ein weiteres raumordnerisches Instrument ist die Designierung von Flächen, die bei zukünftigen Deicherhöhungen erforderlich sein werden. Diese, zumeist hinter den bestehenden Küsten- schutzmaßnahmen gelegenen Flächen sollen Abb. 3: Yes-if und No-unless Ansatz in der Raumord- eine Breite von ca. 75 m haben und zwischen- nung für Küstenstädte (3E KUSTNOTA 2000) zeitlich nicht für kostenintensive Bebauung frei- Die Anwendung der raumordnerischen Grenzen gegeben werden. Mittels dieser Reservierengen sind in Abb. 3 schematisch dargestellt. Innerhalb soll dem Meeresspiegelanstieg bis 2200 Rech- der Grenzen darf unter dem Vorbehalt gebaut nung getragen werden können (BELEIDSLIJN oder umgebaut werden, dass Freizeitaktivitäten KUST 2007). und der Tourismus verbessert werden (Yes-if An- satz). Außerhalb der Grenzen ist keine weitere städtische Entwicklung zulässig, es sei denn, ein Bauprojekt kann nirgends anders platziert wer- den oder großes öffentliches Interesse ist mit dem Bau verbunden (no-unless Ansatz) (NOTA RUIMTE 2006; BELEIDSLIJN KUST 2007). 25
3.3Bemessung Überschreitungs Farbe Regionen 3.3.1Sicherheitsstandard Wahrscheinlichkeit in Im niederländischen Küstenschutzgesetz ist für 1:1.250 Flüsse jeden Deichring ein einzuhaltender Sicherheits- 1:2.000 Übergang standard festgelegt. Der Sicherheitsstandard zwischen wird als durchschnittliche jährliche Überschrei- Küste, tungswahrscheinlichkeit der höchsten Hochwas- Flüssen und serstände, welchen die erste Deichlinie stand- Watteninseln halten können muss, definiert. Die Deichringe 1:4.000 Delta, Nord- mit ihrem jeweiligen Sicherheitsstandard sind Niederlande, in Abb. 4 wiedergegeben (Section 3; Annex II, Ijsselmeer- WET OP DE WATERKERING) gebiet und Texel Die Sicherheitsstandards an der Küste liegen 1:10.000 Holländische zwischen 1:2.000 und 1:10.000. Deren Festle- Küste gung für die einzelnen Deichringe hängt von der Tab. 7: Überschreitungswahrscheinlichkeiten in den Art der möglichen Überflutung, der Anzahl be- Niederlanden (WET OP DE WATERKERING, BIJLAGE II) troffener Menschen und Werte sowie einiger na- turschutztechnischer und historischer Interessen Für die niederländischen Flüsse wurde in den 1970er ab. Sie basiert auf einer in den 1960er Jahren er- Jahren ein Sicherheitsstandard von 1:1.250 aus dem stellten ökonomischen Betrachtung, bei der grob Deltaplan abgeleitet. Dieser deutlich niedrigere Wert die Kosten einer weiteren Deicherhöhung gegen erscheint ausreichend, weil einerseits Süßwasser die Reduktion der potentiellen Schadenssumme im Falle einer Überschwemmung erheblich weniger einer Überflutung abgewogen wurden. Schäden anrichtet als Seewasser und andererseits, weil Binnenhochwasserereignisse besser vorher- sagbar sind. Die Übergangsbereiche zwischen Flüs- sen und Meer werden mit einem höheren Sicher- heitsstandard von 1:2.000 geschützt. 26 Für Sie. Für Hamburg.
Abb. 4: Deichringgebiete mit zugehörigen Sicherheitsstandards (TAW 2000) 27
3.3.2Bemessungswasserstände 3.4ZukünftigeEntwicklung Grundlage für die niederländischen Bemes- Um einer langfristigen Planung des Küsten- sungswasserstände sind „Basiswasserstän- schutzes Rechnung zu tragen, hat die nieder- de“, deren Ermittlung auf einem kombinierten ländische Regierung die Deltakommission mit statistisch-deterministischen Ansatz beruht. dieser Aufgabe betraut, deren Kernfrage lautet: Der statistische Teil des Verfahrens basiert auf „Wie können wir dafür sorgen, dass unser Land der Erstellung einer Extremwertverteilung. Die noch vielen kommenden Generationen ein Ort Datengrundlage bilden in der Vergangenheit be- zum Wohnen und Arbeiten, zum Investieren und obachtete Pegelstände an neun verschiedenen Erholen bleibt und vor Überflutungen sicher ist?“ Pegeln mit möglichst weit zurückreichenden Messreihen, welche extrapoliert werden. Um Den Empfehlungen der Kommission (DELTA- die Basiswasserstände auch für jeden zwischen COMMISSIE 2008) zufolge soll die gesamte den neun Pegeln liegenden Ort ermitteln zu kön- heutige Landfläche der Niederlande erhalten blei- nen, werden deterministische Verfahren in Form ben und ist somit vor zukünftigen Sturmfluten zu von hydrodynamischen Computermodellen her- schützen. Sicherheit und Nachhaltigkeit sind da- angezogen. Dies erfolgt anhand der Simulation her die beiden Pfeiler, auf denen die Strategie in verschiedener historischer Stürme in manipulier- den kommenden Jahrhunderten basieren muss. ter Form. Die Manipulationen liegen einerseits Die Bestimmung des Risikos in den Deichringen in der Verstärkung der Windfelder, andererseits muss anhand dreier Elemente angepasst wer- in der Verschiebung der Gezeiten zum Windfeld. den, die besonders auf die Verringerung mögli- Auf diese Weise soll den verschiedensten Kom- cher Opfer im Katastrophenfall abzielen: binationen der natürlichen Einflüsse Rechnung • Die Wahrscheinlichkeit für Menschen, bei getragen werden. einer Überflutung zu überleben muss über- all gleich hoch sein, da ein Menschenleben Eine genaue Erläuterung der Ermittlung der hy- überall gleich viel wert ist. Die Kommission draulischen Rahmenbedingungen ist im Anhang schlägt hierfür eine Wahrscheinlichkeit von NL - 1 zu finden. 1:1.000.000 vor, da dieser Wert Risiken in an- deren Bereichen wie etwa der Industrie oder 3.3.3Meeresspiegelanstieg bei Gefahrguttransporten entspricht. Zur Ermittlung des Meeresspiegelanstieges • Die Reduzierung der Wahrscheinlichkeit be- wird der Anstieg des Mittleren Tidehochwas- sonders vieler Opfer bei einer Überflutung. sers herangezogen, welcher aus gemessenen Dieses „Gruppenrisiko“ erscheint der Kom- Pegelständen bestimmt wird. Bezogen auf das mission nicht akzeptabel, ein konkreter An- Referenzjahr 1985 liegt der Anstieg bis 2011 zwi- satz zu dessen Reduzierung bleibt aber aus. schen 0,06 und 0,14 m (HR 2006). • Möglicher Schaden darf sich nicht nur auf öko- nomische Schäden beschränken. Auch Schä- KalkulierterMeeresspiegelanstieg19852011: den an Landschaft, Kultur- und Naturgütern 0,06bis0,14m usw. sollten berücksichtigt werden. 28 Für Sie. Für Hamburg.
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