Störche in Sachsen 1. sächsische Weißstorchtagung - NSI Dresden

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Störche in Sachsen 1. sächsische Weißstorchtagung - NSI Dresden
Störche in Sachsen
1. sächsische Weißstorchtagung

Landesverband Sachsen e.V.
Störche in Sachsen 1. sächsische Weißstorchtagung - NSI Dresden
Wölfe in Sachsen

Seite          Inhalt

        1      Vorwort
               Bernd Heinitz (Vorsitzender NABU Sachsen)
        3      Grußwort
               Dr. Matthias Görbert (Leiter des Staatsbetriebes Sächsische Gestütsverwaltung)
        5      Grußwort
               Frank Kupfer (Sächsischer Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft)
        8      Störche im Winter – Ein Filmtagebuch
               Frank Koschewski (telekine fernsehproduktion)
        11     Internationale Aspekte des Weißstorchschutzes
               Kai-Michael Thomsen (Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen)
        25     Die aktuelle Situation der Weißstörche in Deutschland
               Dr. Michael Kaatz & Dr. Mechthild Kaatz (Vogelschutzwarte Storchenhof
               Loburg e. V.)
        33     Das Sächsische Artenschutzprogramm für den Weißstorch
               Dr. Jan Schimkat (Leiter des NABU-Naturschutzinstitutes Dresden)
        43     100 Jahre Weißstorcherfassung und Weißstorchschutz im ehemaligen
               Bezirk Leipzig
               Günter Erdmann (Langjähriger Weißstorch-Betreuer im RB Leipzig)
        52     Zur Populationsökologie sächsischer Weißstörche – eine Übersicht
               Dr. Joachim Ulbricht (Leiter Sächsische Vogelschutzwarte Neschwitz)
        62     Eine konsequente Umkehr ist nötig
               Spontaner Kurzbeitrag zur 1. Sächsischen Weißstorchtagung
               Horst Köppler (Naturschutzhelfer / Artbetreuer Weißstorch im Altkreis Großenhain)
        66     Neue Anforderungen an die Weißstorch-Kreisbetreuer in Sachsen
               Heike Panzner (NABU-Naturschutzinstitut Dresden)
        68     Sächsische Weißstorchlebensräume und ihre Aufwertung als
               Nahrungshabitat
               Sabrina Lott (Koordinatorin des Artenschutzprogramms Weißstorch
               im NABU-Naturschutzinstitut Dresden)
        74     Einführung in das Exkursionsgebiet: Die Weißstörche Moritzburgs und
               das Weißstorch-Nest an der Fasanerie
               Dr. Peter Hummitzsch & Uwe Stolzenburg (NABU-Naturschutzinstitut Dresden)
        77     Tagungsimpressionen
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Vorwort

Vorwort

    Bernd Heinitz

    Sehr geehrter Herr Staatsminister, sehr     dieser Maßnahmen sind seitdem von den
    geehrte Gäste und liebe Mitglieder des      NABU-Instituten zusammen mit zahlrei­
    NABU Sachsen!                               chen ehrenamtlichen Storchenbetreuern
    Ich begrüße Sie herzlich zur ersten säch­   praktisch umgesetzt worden.
    sischen Weißstorchtagung, veranstaltet
    vom NABU und dem Freistaat Sachsen,         In der Zwischenzeit hat die Intensi­
    hier vertreten durch die Biosphären­        vierung der Landwirtschaft weiter
    reservatsverwaltung Oberlausitzer Hei­      zu­genommen. Grenzertrags- und Still­
    de- und Teichlandschaft. Was liegt näher,   legungsflächen werden wieder in
    als sich im Jahr der Biodiversität und      die Nutzung einbezogen, Maschinen
    des 20-jährigen Bestehens des NABU in       werden größer, schwerer und schnel­
    Sachsen für den Wappenvogel des NABU,       ler, Fruchtfolgen weiter verengt. Mit
    den Weißstorch, besonders intensiv zu       gravierenden Folgen für die Biodiver­
    engagieren. Der Weißstorch wurde übri­      sität in der Agrarlandschaft. Bereits
    gens 1966 – per Zuteilung als “National­    jetzt sind zum Beispiel in Sachsens
    vogel” durch den Internationalen Rat für    Agrarlandschaft 65 bis 76 Prozent der Of­
    Vogelschutz (heute BirdLife Internatio­     fenlandarten gefährdet. Und „gefährdet“
    nal) – unser Wappenvogel, zunächst des      bezeichnet die höchste Gefährdungs­
    Deutschen Bundes für Vogelschutz, aus       stufe einer Artengruppe. Aber auch
    dem später der NABU hervorging.             der trotz Haushalts- und Finanzkrise
                                                nahezu ungebremst fortgesetzte Stra­
    Lange Zeit war der Weißstorch in vielen     ßenbau und die damit einhergehende
    deutschen Dörfern zu Hause. Die Zerstö­     Landschaftszerschneidung und -versie­
    rung seiner Lebensräume führte jedoch       gelung fordern ihre Opfer. Deshalb sind
    zu einem dramatischen Rückgang, der         Schutzmaßnahmen für Arten des agrari­
    anhält, auch in Sachsen. Bereits Anfang     schen Offenlandes dringend notwendig.
    der 1990er Jahre wurde deshalb in Sach­     Das macht eine intensivierte Fortsetzung
    sen ein Artenschutzprogramm für den         des Artenschutzprogramms Weißstorch
    Weißstorch gestartet, für das vom NABU-     alternativlos. Denn infolge der genann­
    Naturschutzinstitut Dresden im Auftrag      ten negativen Einflüsse ist die Lage des
    des Freistaates die wissenschaftlichen      Weißstorchs in Sachsen nach wie vor kri­
    Grundlagen und notwendige praktische        tisch. Im Einzelnen wird darüber unsere
    Maßnahmen erarbeitet wurden. Viele          Tagung informieren.

    Bernd Heinitz | Vorsitzender NABU Sachsen                                          1
Störche in Sachsen 1. sächsische Weißstorchtagung - NSI Dresden
Störche in Sachsen

Chancen hat der Weißstorch allerdings nur,   Weißstorch auch ausreichende finanzi­
wenn dem Bekenntnis unserer Landes­          elle Mittel und Flächen zur Verfügung
regierung zum Schutz der biologischen        gestellt werden, können all die Erkennt­
Vielfalt auch konkrete Maßnahmen folgen!     nisse, die wir haben, dazu dienen, dass
Nicht nur die Wirtschaft braucht Rettungs­   die sächsischen Weißstorch-Lebensräu­
schirme, sondern auch der Naturschutz,       me effektiv aufgewertet werden und
das heißt der Erhalt unserer natürlichen     ein günstiger Erhaltungszustand der
Lebensgrundlagen. Es ist an der Zeit,        Population gewährleistet ist. Die zweite
nicht immer nur auf die – begrenzten –       Weißstorchtagung, die das Ministerium
Selbstheilungskräfte der Natur zu hoffen,    für Umwelt und Landwirtschaft und der
sondern vielmehr auf die der Wirtschaft!     NABU ins Auge gefasst haben, wird da­
Nur wenn für das Artenschutzprogramm         rüber Rechenschaft ablegen.

                                                                            Foto: Uwe Schroeder

2                                                         Bernd Heinitz | Vorsitzender NABU Sachsen
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Grußwort des Staatsbetriebes Sächsische Gestütsverwaltung

Grußwort

    Dr. Matthias Görbert

    Sehr geehrter Herr Staatsminister, sehr                              Das heißt, es ist nie zu spät, ob es sich nun
    geehrter Herr Heinitz, sehr geehrter                                 um Zuchthengste oder den Weißstorch
    Herr Schwarzhold, meine Damen und                                    handelt. Es muss allerdings engagierte
    Herren,                                                              Menschen geben, die bereit sind und den
    wir freuen uns darüber, dass Sie heute in die                        Mut haben, zuzufassen und - auch gegen
    Gestütsverwaltung gekommen sind, in das                              den Zeitgeist – bestimmte Maßnahmen
    Landesgestüt nach Moritzburg. 1733 bis                               einzuleiten, um etwas Wertvolles am
    1735 sind diese Stallungen gebaut worden,                            Leben zu erhalten oder neu wieder ent­
    zusammen mit dem Schloss. Es handelt sich                            stehen zu lassen. Im Originalzuchtgebiet
    also um uralte Gemäuer, und der Freistaat                            Oldenburg / Ostfriesland zum Beispiel
    Sachsen hat sich 1992 zu seinem Alteigen­                            ist die Rasse des Schweren Warmblutes
    tum bekannt, hat es zurückgenommen aus                               ausgestorben, aber in Sachsen und Thü­
    der Verwaltung der Treuhand, und so ist in                           ringen lebt sie zu unserer großen Freude
    jahrelanger mühevoller Arbeit das wieder                             fort. Im Jahr 1988, unmittelbar vor der
    entstanden, was Sie sehen können. Dafür                              Wende, konnten wir sogar vierzehn Rap­
    sind wir sehr dankbar.                                               pen an die hauseigene Kavallerie der
    Natürlich ist nicht der Weißstorch unser                             britischen Königin liefern. Das war ein
    Wappentier, sondern ein Hengst. In die­                              großer Erfolg und hat damals der ganzen
    sem Raum sehen Sie ein Gemälde von                                   Zucht einen enormen Auftrieb gegeben.
    Lord, einem Rappen, der in den 1930er                                Und deshalb denke ich, dass es auch für
    Jahren nach Moritzburg gekommen ist                                  den Weißstorch noch lange nicht zu spät
    und die Zucht der Schweren Warmblüter                                ist. Wir haben gute Erinnerungen an die
    mit begründet hat. Dass es diese Rasse                               1970er Jahre, als zu den Hengstparaden
    noch gibt, diese Schweren Warmblüter,                                im September, wenn 15 000 Menschen
    das ist den Züchtern in Sachsen und Thü­                             als Besucher am Platz saßen, die Störche
    ringen zu danken, die seit 1871 an diesen
    Pferden festgehalten haben, aber auch
    meiner Vorgängerin und Lehrerin, Frau Dr.
    Hertha Steiner, die das Landesgestüt von
    1962 bis 1985 geleitet und damals unter
    anderem zehn Hengste behalten hat. Auf
    dieser Basis konnte die Zucht nach 1975
    wieder aufgenommen werden.
                                                                            Landgestüt Moritzburg           Foto: Ina Ebert

    Dr. Matthias Görbert | Leiter des Staatsbetriebes Sächsische Gestütsverwaltung                                     3
Störche in Sachsen 1. sächsische Weißstorchtagung - NSI Dresden
Störche in Sachsen

von Moritzburg – damals gab es einen               einen Horst im Bereich des Fasanenschlöss­
Horst ganz in der Nähe – mit den flüggen           chens gibt, wo nach wie vor jedes Jahr ein
Jungstörchen losflogen und es sich nicht           Storchenpaar brütet. Auch auf meinen
nehmen ließen, über diesen Paradeplatz             abendlichen Radtouren empfinde ich es
hinweg zu schweben. 15 000 Menschen                immer als sehr schön, wenn mit dem Früh­
schauten begeistert nach oben und lie­             jahr die Störche kommen. Diese Freude
ßen die Pferde kurze Zeit Pferde sein.             an den Störchen und einer intakten Natur
Heute früh haben wir uns noch einmal               möge uns auch in der Zukunft erhalten
darüber unterhalten und uns an diese Zeit          bleiben. In diesem Sinne wünsche ich Ih­
erinnert. Es freut uns, dass es in Moritzburg      nen eine erfolgreiche Tagung.

Landgestüt Moritzburg                                                                             Foto: Ina Ebert

4                                     Dr. Matthias Görbert | Leiter des Staatsbetriebes Sächsische Gestütsverwaltung
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Grußwort des SMUL

Grußwort

    Frank Kupfer

    Sehr geehrter Herr Heinitz, sehr geehrte                            niger junge Störche verlassen die Horste,
    Damen und Herren,                                                   sodass die Bestände in den letzten Jahren
     ich freue mich darüber, dass ich heute bei                         zurückgegangen sind. Diesen Trend wol­
    Ihnen zu Gast sein darf.                                            len wir stoppen.
    Ich möchte zu Beginn die Gelegenheit nut­
    zen, Ihnen zu gratulieren zu 20 Jahren NABU                         Als mich Herr Heinitz vor geraumer Zeit
    hier in Sachsen. Sie wissen, wir befinden                           um Unterstützung einer Sächsischen
    uns in einer schwierigen Zeit. Das Thema                            Weißstorchtagung bat, bedurfte es daher
    Finanzen ist ja schon angesprochen wor­                             keiner großen Überredungskunst.
    den. Ich hatte in diesem Jahr die Aufgabe,
    24,1 Millionen Euro für den Haushalt ein­                           Auch mir sind die weiß-schwarz gefie­
    zusparen. Das war sehr schwer. Wir haben                            derten Gesellen ans Herz gewachsen.
    Vielen wehtun, Vielen Mittel wegnehmen                              Der Weißstorch hat ja überhaupt ein
    müssen. Ich habe daher große Achtung vor                            positives Image – anders übrigens als
    Ihrer Entscheidung, die Jubiläumsfeier zum                          der Wolf. Dieser hat einen negativen
    20-jährigen Bestehen des NABU Sachsen                               Ruf, unverdienterweise. Ich versichere
    abzusagen und das dafür gedachte Geld                               Ihnen, dass der Schutz des Wolfes für
    für Ihre Facharbeit einzusetzen. Dafür mei­                         mich ebenso einen hohen Rang hat. Die
    nen Respekt und herzlichen Dank!                                    auch Ihnen bekannten Diskussionen
                                                                        über den Wunsch der Jäger, den Wolf
    Meine Damen und Herren,                                             unter den Schutz des Jagdrechtes zu
    Moritzburg wird von den meisten Be­                                 stellen, habe ich geführt, um die Jäger in
    suchern zuerst mit der Pferde- und                                  unsere Bemühungen einzubinden. Der
    Fischzucht sowie dem Schloss in Ver­                                Landesjagdverband ist ein anerkannter
    bindung gebracht. Dabei gibt es hier                                Naturschutzverband, und ich möchte,
    noch ganz andere Schätze zu heben. In                               dass die Jäger sich ebenfalls der Verant­
    der breiten Öffentlichkeit ist zu wenig                             wortung für den Wolf stellen. Ich werde
    bekannt, dass die Moritzburger Kuppen­                              an die Jäger in Bezug auf den Schutz des
    landschaft mit ihren zahlreichen Seen                               Wolfes Forderungen richten. Wenn sich
    auch Heimat vieler Weißstörche ist.                                 zeigen sollte, dass die Jäger Verantwor­
                                                                        tung wahrnehmen wollen, dann bin ich
    Leider macht sich Meister Adebar seit                               damit einverstanden, den Wolf ins Jagd­
    1996 rarer auf unseren Fluren. Immer we­                            recht aufzunehmen. Andernfalls wird

    Frank Kupfer | Sächsischer Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft                                     5
Störche in Sachsen 1. sächsische Weißstorchtagung - NSI Dresden
Störche in Sachsen

nichts passieren. Entschuldigen Sie, dass       Der günstige Erhaltungszustand der
ich jetzt die Weißstorchtagung auch für         Weißstorchpopulation wird mit mehr
den Wolf nutze, aber ich möchte klarma­         als zwei bis zweieinhalb ausfliegen­
chen: Ich stehe für den Artenschutz hier        den Jungtieren pro Brut gewährleistet.
im Freistaat Sachsen.                           Dafür brauchen die Störche bessere
                                                Nahrungsgrundlagen. Unser besonderes
Mein Geschäftsbereich unterstützt na­           Augenmerk soll daher den Nahrungsha­
türlich auch diese erste Sächsische             bitaten im Umkreis von zwei Kilometern
Weißstorchtagung. Die Biosphärenreser­          um den Storchenhorst gelten.
vatsverwaltung Oberlausitzer Heide- und
Teichlandschaft hat die Weißstorchaus­          Wir planen, nach Auswertung der um­
stellung mitgebracht, die Sie hier sehen,       fangreichen Daten, bis Ende dieses Jahres
und finanziert auch die Tagung maßgeb­          einen Handlungskatalog zu erarbeiten. Er
lich mit.                                       soll für ausgewählte Horststandorte kon­
                                                krete Maßnahmen dafür beinhalten, wie
Herr Dr. Görbert stellt uns die Räum­           die Nahrungshabitate verbessert werden
lichkeiten des Gestüts zur Verfügung,           können.
sodass wir uns hier – umgeben von ed­
len Vierbeinern – um das Wohl der rot           Übrigens hat sich die Staatsregierung die
bestrumpften Zweibeiner kümmern kön­            Aufgabe gestellt, bis zum Jahr 2020 den
nen.                                            Flächenverbrauch drastisch zu reduzie­
                                                ren. Denn – Herr Heinitz hat das Problem
Meine Damen und Herren,                         schon angesprochen – die zunehmen­
der Freistaat hatte bereits 1994 ein Arten­     de Versiegelung von Flächen ist auch
schutzprogramm ins Leben gerufen. Im            ein Grund dafür, dass der Weißstorch
Rahmen dieses Programms konnten die             sich nicht mehr so entwickelt, wie wir es
ehrenamtlichen Betreuer Horste bauen            alle gerne möchten. Wir haben hier im
und pflegen und so die Storchenpopula­          Freistaat Sachsen im Augenblick einen
tion über einen längeren Zeitraum mehr          Flächenverbrauch von fünf Hektar pro
oder weniger konstant halten.                   Tag. Unser Ziel ist es, diesen Verbrauch
Zurzeit sind jedoch die Reprodukti­             auf unter zwei Hektar zu senken. Das ist
onsraten zu gering, sodass wir das              eine immense Aufgabe, die mittelbar
Artenschutzprogramm          vor      allem     auch Ihrem Anliegen dient.
hinsichtlich biotopverbessernder Maß­
nahmen intensivieren müssen. Dabei              Bei den Bemühungen um den Weißstorch
werden wir vom Sächsischen Landtag              dürfen wir uns auf umfangreiche Untersu­
tatkräftig unterstützt.                         chungen des NABU-Naturschutz­instituts

6                                        Frank Kupfer | Sächsischer Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft
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Störche in Sachsen

Dresden sowie eines gut organisierten                               Anerkennung. Bitte lassen Sie in Ihrem
gewachsenen Horst- und Kreisbetreuer­                               Engagement nicht nach!
netzes der Storchenfreunde stützen.
                                                                    Sie haben mit Ihrer Arbeit dazu bei­
Die Kreisbetreuer erfassen in enger                                 getragen, dass der Weißstorch eine
persönlicher Zusammenarbeit mit den                                 prominente Art ist, die stets ein positives
Horstbetreuern in Objektlisten nicht nur                            Echo in der Öffentlichkeit hervorruft, an
die Nahrungshabitate, den Horststand­                               der viele Menschen via Internet Anteil
ort und die Brutergebnisse mit diversen                             nehmen oder die mit und ohne blau ge­
Hinweisen zum Horstgeschehen, sie sind                              färbtes Gefieder tagelang die Spalten von
auch Ansprechpartner für die Bürger und                             Zeitungen füllen.
Naturschutzbehörden.                                                Nicht nur für den Storch gehört Klap­
                                                                    pern zum Geschäft. Je besser die
Meine Damen und Herren,                                             Öffentlichkeitsarbeit, umso besser ist die
wir brauchen Sie auch weiterhin. Wir kön­                           Unterstützung. Daher hoffen wir, auch
nen auf Ihr ehrenamtliches Engagement                               mit der heutigen Veranstaltung gute Re­
nicht verzichten. Sie haben im Laufe der                            sonanz zu finden.
Jahre ein fundiertes Fach- und Spezial­
wissen gesammelt.                                                   Lassen Sie uns auch über diese Tagung
                                                                    hinaus zusammen „klappern“ – für die
In vielen Teilen Sachsens engagieren Sie                            Störche, für die von ihnen bevorzugten
sich für den Schutz und die Pflege unseres                          Amphibien, Insekten und Mäuse, ja für
Lebensraumes, und im „Windschatten“                                 die biologische Vielfalt in unserem schö­
des Storches profitieren indirekt weitere                           nen Sachsen.
gefährdete Tier- und Pflanzenarten von
den Schutzmaßnahmen für den Storch.                                 Ich bin froh, in Ihnen, Herr Heinitz, und
So leisten Sie einen wichtigen Beitrag für                          in Ihrem Verband Partner zu haben, die
den Biotop- und Artenschutz in Sachsen                              sich mit Fachkenntnis und für die Sache
weit über die Art Weißstorch hinaus. Sie                            kämpfend für unsere Natur einsetzen. Da­
tun dies unbezahlt und freiwillig – nach                            für herzlichen Dank. Möge es so bleiben
der Arbeit, in der Freizeit, in der auch                            – auch in den nächsten 20 Jahren. Ich bin
Familie und Freunde warten. Das ver­                                für jede sachliche Unterstützung immer
dient besonderen Dank und besondere                                 dankbar.

Frank Kupfer | Sächsischer Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft                                      7
Störche in Sachsen 1. sächsische Weißstorchtagung - NSI Dresden
Störche in Sachsen

„Störche in Not? Weißstörche als Überwinterer“
  Ein Film von Frank Koschewski

     Frank Koschewski

     Dass Weißstörche den Winter in Afrika       Störche im Winter
     verbringen, weiß eigentlich jedes Kind.     4.März 2010: Der Winter lässt nicht locker.
     Nur drei Störche in Sachsen wussten das     Sachsens Winterstörchen scheint das nichts
     offenbar nicht, sie blieben einfach hier.   auszumachen; bereits im Oktober 2009
     Haben sie den Abflug in den Winter ver­     wurden zwei von ihnen in den Flussauen
     passt? Suchten sie die Menschennähe?        der Weißen Elster bei Leipzig immer wieder
     Oder hat ihr Hierbleiben etwas mit dem      gesehen. Dann begann ein langer Winter…
     Klimawandel zu tun?
     Genau das wollten Frank Koschewski und      In Hohenossig bei Leipzig kam ein weite­
     sein Team wissen, als sie sich entschlos­   rer Überwinterer dazu. Ein Unberingter.
     sen, das außergewöhnliche Storchen­         Er war besonders „schlau“ und schloss
     verhalten mit der Filmkamera in Ton und     sich der Familie Finsterbusch an. Sabine
     Bild festzuhalten. Den so entstandenen      Finsterbusch erzählt: „Tja – der schlich
     Kurzfilm unter dem Titel „Störche in Not?   ums Haus herum und suchte Nahrung auf
     Weißstörche als Überwinterer“ stellte der   den Feldern. Dann kam die Kälte. Seitdem
     Filmemacher im Rahmen der 1. Weiß­          ist er bei uns.“ Und er bleibt sehr nah bei
     storchtagung des NABU Sachsen vor.          „seinen“ Menschen. Sabine Finsterbusch
     „Während der winterlichen Dreharbeiten      hilft dem Weißstorch; sie füttert ihn drei­
     war uns wichtig, auch die Naturfreunde      mal täglich mit Fischen, toten Kücken
     zu beobachten, die den Störchen das         und Fleischstücken.
     Überwintern erleichtern“, so erzählte er,   Die meiste Zeit verbringt der Storch seit
     „manchmal war es so kalt (bis -29 Grad      Januar im Hauseingang der Familie. Nur
     Celsius), dass das Objektiv der Kamera      zum Füttern oder wenn vermeintliche
     einfror… Auch nach der Winterzeit blie­     Feinde – wie das Kamerateam und die Be­
     ben wir an den Störchen ‚dran‘ und erleb­   ringer – kommen, macht er Ausflüge „vor“
     ten bis Ende August viel Spannendes und     die Haustür.
     Neues aus dem Storchenalltag.“
                                                 Februar 2010: Die Elsterauenstörche
     Eine Vorstellung vom Alltag der Winter­     bleiben von Leipzigs Bewohnern nicht
     störche und von diesem Film sollen die      unentdeckt. Sie sind inzwischen eine win­
     folgenden Fotos und Aufzeichnungen          terliche Attraktion. Auch bei ihnen wird
     vermitteln:                                 zugefüttert.
                                                 Für alle drei Störche bricht jetzt eine har­

     8                                                       Frank Koschewski | telekine fernsehproduktion
Störche in Sachsen

    Überwinterung in der Elsteraue               Im geschützten Winterquartier

   Zwei Überwinterer                             Sabine Finsterbusch und„ihr“ neues Haustier

   Die Überwinterer immer im Blick               Dreharbeiten zur Kika-Doku„Storch in Not“

  Ausharren bei -23 Grad Celsius                Bruterfolg

  Spaziergang im Garten                         Flugversuche des Nachwuchses

 Ein sicheres Storchenzuhause                   Winterfreuden

Frank Koschewski | telekine fernsehproduktion                                                  9
Störche in Sachsen

te Zeit an. Viele Tage und Nächte schneit      Storch einen Partner findet und irgendwo
es. Die Temperaturen sinken auf minus 29       einen Horst baut. „Bitte bloß nicht auf dem
Grad Celsius.                                  Wintergarten...“, wünschen sie sich. Doch
Noch ist Finsterbuschs Storch aktiv,           das wird allein der Storch entscheiden.
beobachtet seine Umgebung und Verän­           Momentan gefällt es ihm bei seinen
derungen ganz genau. Dann kommt der            Menschen sehr gut, obwohl er auf Selbst­
Tag der Beringung. Danach hat Sabine           versorgung umsteigen musste.
Finsterbusch alle Mühe, das Vertrauen
ihres Schützlings wiederzugewinnen.            Mitte April 2010: Endlich hat sich der Früh­
Mehrere Tage nimmt er von ihr keine Nah­       ling durchgesetzt, und die sächsischen
rung an. Sie fürchtet: „Wenn der Storch        Weißstörche zeigen Frühlingsgefühle;
seine Angst nicht überwindet, wird er          Zärtlichkeiten werden ausgetauscht, es
den Winter nicht überleben.“                   kommt zur Familiengründung.
                                               Wenn alles klappt, nicht zu viel Mais und
Mitte März 2010: Noch immer liegt              Raps auf den Feldern angebaut werden,
Schnee. Nur allmählich taut es.                haben die Störche nach 32 Tagen 1 bis 5
Langsam können die Störche zu „Natur­          Jungstörche. Ob die am Ende des Som­
kost“ zurückkehren. Sie sind wieder auf        mers auch in Sachsen überwintern oder
der Suche nach Mäusen und Maulwürfen,          nach Süden ziehen werden – das wird
nach Würmern und Schnecken.                    sich noch zeigen.
Auch Finsterbuschs Storch hat inzwischen       Vielleicht steht uns eine neue Stor­
das Jagdfieber gepackt. Minutenlang lau­       chenära bevor, auch ein Anzeichen von
ert er vor einem Maulwurfshügel. Dann          Klimawandel…
geht es blitzschnell: die erste eigene Beute
nach fast einem halben Jahr – eine Feld­
                                               Inzwischen ist für den MDR ein weiterer, umfangreicherer Film
maus. Eigentlich könnte der Storch jetzt       von Frank Koschewski mit dem Titel „Das Jahr der Störche in
                                               Mitteldeutschland“ entstanden, der bereits im November 2010
wieder ohne Finsterbuschs Hilfe leben…         im Fernsehen lief. Das neueste Werk, die Reportage „Unter-
                                               nehmen Winterstorch“, kann auf DVD erworben werden.

Ende März 2010: Erneut hat es geschneit.
Inzwischen sind einige Störche aus dem
Süden zurückgekehrt und haben ihre
Storchenhorste in Sachsen besetzt.
Finsterbuschs Winterstorch hat noch
keinen „Anschluss“ gefunden, sich aber
häuslich in Hohenossig niedergelassen:
auf Finsterbuschs Wintergarten. Finster­
buschs hoffen immer noch, dass „ihr“            Frank Koschewski

10                                                              Frank Koschewski | telekine fernsehproduktion
Störche in Sachsen

Internationale Aspekte des Weißstorchschutzes

     Kai-Michael Thomsen

     Das Michael-Otto-Institut des NABU im                              und etwa 148 000 Paare (HPa) umfasst
     Schleswig-Holsteinischen        Bergenhu­                          (Thomsen 2008). Die ebenfalls wichtige
     sen befasst sich unter anderem mit dem                             südwestliche Kernpopulation, zu der vor
     Schutz des Weißstorchs, vor allem auf                              allem die Störche in Spanien und Por­
     nationaler und internationaler Ebene. In                           tugal gehören, besteht aus etwa 41 000
     diesem Beitrag soll auf die internationale                         HPa. Die deutsche Weißstorchpopulation
     Bestandsentwicklung und die Situati­                               ist Teil der nordwestlichen Randpopulati­
     on in den Überwinterungsquartieren                                 on (etwa 6 200 HPa). Deutschland bildet
     und ihren Einfluss auf die Situation in                            die nordwestliche Verbreitungsgrenze
     Deutschland eingegangen werden.                                    des Weißstorchs und wird von beiden
                                                                        Kernpopulationen beeinflusst. Im Kern­
     Wenn wir uns in den Brutgebieten mit                               gebiet liegt die Reproduktionsrate meist
     dem Weißstorch beschäftigen, steht                                 höher als in den Randpopulationen. Dies
     vor allem das Bearbeitungsgebiet, der                              führt zu einem Populationsüberschuss
     Landkreis oder das Bundesland des Be­                              und einer Abwanderung von Brutvögeln
     arbeiters im Vordergrund. Dabei werden                             in die Randpopulationen.
     die Entwicklung der Storchenpopulation
     und der Bruterfolg ganz genau beobach­                             Wenn wir uns die Bedingungen für den
     tet. Um die Entwicklung in Deutschland                             Weißstorch in Deutschland anschauen,
     einordnen zu können, ist es allerdings                             sind sie von großenteils suboptimalen
     notwendig, einen Blick auf die Situation                           Lebensräumen mit intensiver landwirt­
     außerhalb unserer Grenzen zu werfen,                               schaftlicher Nutzung geprägt. Das dichte
     weil auch sie unsere regionalen Bestände                           elektrische Leitungsnetz stellt zudem eine
     maßgeblich beeinflussten.                                          erhebliche Gefahr für Weißstörche dar.
                                                                        Hinzu kommt, dass die klimatische Si­
     Die Lage der deutschen Weißstorchpo-                               tuation im westlichen Deutschland
     pulation                                                           durch niederschlagsreiche und kühle
     Die Weltpopulation des Weißstorchs                                 Sommermonate geprägt ist und hohe Jun­
     wurde von Schulz (1999) in mehrere                                 genverluste verursacht. Dies führt zu einer
     Unterpopulationen aufgeteilt. Größte Be­                           labilen Bestandssituation in Deutschland.
     deutung hat die östliche Kernpopulation,
     die sich über Polen, die baltischen Staaten,                       Gleichmäßig auf die Gesamtpopulation
     die Ukraine, Weißrussland etc. erstreckt                           wirkt sich die Sterblichkeitsrate auf dem

     Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen                                           11
Störche in Sachsen

Abb. 1: Ergebnisse des VI. Internationalen Weißstorchzensus 2004/05

Zug und im Winterquartier aus. Insbeson­                         aus, weil externe Faktoren auf die Ge­
dere ist dabei die klimatische Situation                         samtpopulation wirken.
im Sahel zu nennen, wo die Störche nach
ihrem langen Zug zunächst eine mehr­                             Ergebnisse des VI. Internationalen
wöchige Zwischenrast einlegen. Aber                              Weißstorchzensus von 2004/2005
wir haben auch ganz neue Entwicklun­                             Das Michael-Otto-Institut im NABU hat
gen, wie die Überwinterungstradition                             den VI. Internationalen Weißstorchzensus
in Spanien, die etwa Mitte der 1980er                            2004/05 mit Unterstützung unserer in­
Jahre ihren Anfang genommen und                                  ternationalen Dachorganisation BirdLife
mittlerweile ein starkes Wachstum der                            International und des britischen RSPB ko­
Westpopulation nach sich gezogen hat.                            ordiniert (Thomsen 2008).

Diese Faktoren machen unsere Arbeit                              Abb. 1 stellt die Bestandszahlen in den 31
schwierig. Es kann durchaus vorkom­                              teilnehmenden Ländern dar, die 92 Pro­
men, dass wir gute Lebensräume für den                           zent der Weltpopulation beherbergen.
Weißstorch vorfinden und eine gute Na­                           Polen ist mit über 50 000 Paaren das Land
turschutzarbeit leisten. Dennoch bleibt                          mit den größten Weißstorchbeständen,
eine Besiedlung durch den Weißstorch                             gefolgt von Spanien mit 33 000 Paaren. In

12                                                            Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen
Störche in Sachsen

Abb. 2: Bestandstrends zwischen 1994/95 und 2004/05 nach den Ergebnissen des V. und VI. Internationalen Weißstorchzensus

Deutschland brüteten 4 500 Paare im Jahr                           Weltbestand nahm in diesem Zeitraum
2004. In Dänemark, einstmals ein Land                              um etwa 39 % zu, die Westpopulation um
mit mehreren Tausend Storchenpaaren,                               104 % und die Ostpopulation um 30 %.
waren es nur noch drei Paare. Mittlerweile                         Diese Zahlen mögen die Annahme nahe­
ist dort die natürliche Weißstorchpopula­                          legen, dass wir uns um die Entwicklung
tion ausgestorben.                                                 der Weißstorchbestände derzeit keine
                                                                   Sorgen machen müssen. Bei näherer Be­
Der Weltbestand des Weißstorches                                   trachtung werden wir aber sehen, dass
beträgt etwa 231 000 Paare. Die West­                              dies für Deutschland nicht zutrifft.
population, die im westlichen Sahel und
in Spanien überwintert, besteht aus                                Gründe für den Bestandsanstieg bis
52 000 Paaren, die Ostzieher, zu denen                             2004
die Weißstörche in Sachsen gehören, aus                            Was sind die Ursachen für diese Entwick­
178 000 Paaren. Abb. 2 stellt die Trends                           lungen? Bei der Westpopulation ist vor
zwischen 1994/95 und 2004/05 dar. Au­                              allem die Situation in Spanien und Portu­
ßer in Dänemark und Usbekistan haben                               gal wichtig. Mit Hilfe der Förderung der
die Bestände des Weißstorchs zugenom­                              EU sind in den letzten 20 bis 30 Jahren
men beziehungsweise waren stabil. Der                              viele bewässerte Reisfelder entstanden,

Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen                                                           13
Störche in Sachsen

die für Weißstörche eine hervorragende          sind, als sie bei einer Überwinterung in
Nahrungsquelle darstellen. In den Bewäs­        Westafrika wären. Damit ist die Überwin­
serungsfeldern und Wasserkanälen hat            terung in Spanien zum bestimmenden
sich ein aus Amerika eingeschleppter Krebs      Faktor für die Entwicklung der gesamten
(Procambarus clarkii) stark vermehren kön­      Westpopulation geworden. Dieses neue
nen – eine attraktive Nahrungsquelle für        Überwinterungsverhalten hat aber auch
den Weißstorch. Hinzu kommen große of­          zur Folge, dass in Westdeutschland mitt­
fene Mülldeponien, die ebenfalls leicht zu      lerweile zahlreiche Individuen bereits
erreichende Nahrung für den Weißstorch          Mitte März ihre Nester besetzen und mit
bieten. Ebenso haben bessere klimatische        der Brut beginnen, weil die Vögel früher
Bedingungen im westlichen Sahel einen           aus Spanien zurückkehrten.
positiven Einfluss ausgeübt.
                                                Die Gründe für den Bestandsanstieg der
Die „neuen Nahrungshabitate“ auf der            Ostpopulation sind leider weniger offen­
iberischen Halbinsel dürften auch dafür         sichtlich. Wir beobachten eine stärkere
eine Ursache sein, dass dort eine Über­         Bestandszunahme an der östlichen Ver­
winterungstradition des Weißstorchs             breitungsgrenze. Beispielsweise ist in der
entstanden ist. Die Überwinterung von           Ukraine und in Weißrussland eine Zunahme
Weißstörchen in Spanien ist ein Phänomen,       von 70 % zu verzeichnen, und es findet eine
das seit Mitte der 1980er Jahre beobachtet      Arealausweitung in Richtung Osten statt.
wird (Tortosa et al. 1995). Die Überwinte­      Letzteres könnte klimatische Ursachen
rer nutzen vor allem offene Mülldeponien        haben, mit der Folge, dass vermehrt Nah­
und Reisfelder als Nahrungshabitate. Im         rungshabitate wie Grünland entstanden
Rahmen des VI. Internationalen Weiß­            sind. Zudem dürfte nach dem Zusammen­
storchzensus wurde 2004 vom spanischen          bruch des sowjetischen Wirtschaftssystems
BirdLife-Partner SEO auch eine Erfassung        Ende der 1980er Jahre noch bis 2004 in
der überwinternden Weißstörche in Spa­          vielen osteuropäischen Staaten eine gute
nien durchgeführt. Diese Zählung ergab,         Lebensraumsituation für den Weißstorch
dass über 31 000 Individuen in Spanien          mit einer extensiveren Landwirtschaft vor­
überwinterten (Molina & del Moral 2005).        geherrscht haben. Möglicherweise hat sich
Die Zahl der Überwinterer stieg seit 1995       auch die klimatische Situation im östlichen
über 300 % an.                                  Sahel mit besseren Überwinterungsbedin­
                                                gungen günstig ausgewirkt.
Dies hat letztendlich dazu geführt, dass
Verluste auf dem Zug und während der            Wie wird die Entwicklung des Weißstorch­
Überwinterung bei den in Spanien über­          bestandes weitergehen? Seit dem Tiefpunkt
winternden Vögeln erheblich geringer            Mitte der 1980er Jahre hat es einen starken

14                                           Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen
Störche in Sachsen

Bestandsanstieg beim Weißstorch gege­                              1970er und 1980er Jahren wurde durch
ben. Ob sich dieser Anstieg fortsetzt, hängt                       die langanhaltende Dürreperiode im
von zahlreichen Faktoren ab.                                       westlichen Sahel verursacht, mit der
                                                                   Folge, dass die Überlebensraten der
Ein Faktor ist natürlich die Lebensraum­                           überwinternden Weißstörche dramatisch
situation in den Brutgebieten bei uns in                           sanken (Bairlein 1991). Aber auch für den
Deutschland und in den ost- und mittel­                            östlichen Sahel kann die Auswirkung von
europäischen Ländern, die im Jahre 2004                            Dürrejahren auf die Überlebensraten
der europäischen Union beigetreten sind.                           des Weißstorchs nachgewiesen werden,
Die Lebensraumsituation im Brutgebiet ist                          wenngleich die Ostzieher ein viel grö­
wesentlich für den Reproduktionserfolg                             ßeres Überwinterungsgebiet – vom
des Weißstorchs verantwortlich. Vor dem                            Südrand der Sahara bis nach Südafrika
Hintergrund der agrarpolitischen Ent­                              – nutzen als die Westzieher. Schaub et
wicklungen in der EU werden hier                                   al. (2005, 2008) haben eine Analyse der
wahrscheinlich größere Veränderungen                               Ringfundmeldungen durchgeführt und
stattfinden.                                                       die jährlichen Überlebensraten von Jung-
                                                                   und Altstörchen berechnet. Die Autoren
Störche auf Reisen – Satellitenteleme-                             haben ihre Ergebnisse mit klimatischen
trie-Projekt des NABU                                              Daten aus verschiedenen Regionen Afri­
Als zweiter Faktor haben die Zug- und                              kas korreliert und festgestellt, dass die
Überwinterungsbedingen des Weißstorchs                             Primärproduktion im östlichen Sahel
einen wesentlichen Einfluss auf die Be­                            die Überlebensraten des Weißstorchs
standsentwicklung, wie das Phänomen der                            signifikant beeinflusst. Vergleichen wir
sogenannten Störungsjahre zeigt. Schon                             die Überlebensraten von Weißstör­
früh wurde vermutet, dass die Störungsjah­                         chen mit der Bestandsentwicklung in
re vor allem durch widrige Bedingungen                             unseren Brutgebieten (zum Beispiel in
auf dem Zug und im Winterquartier aus­                             Schleswig-Holstein), finden wir auffäl­
gelöst werden (Schulz 1998). Sie sind                              lige Übereinstimmungen (Abb.3): In
dadurch gekennzeichnet, dass ein Großteil                          Jahren mit geringen Überlebensraten
der Storchenpopulation sehr spät in die                            sank auch der Weißstorchbestand in
Brutgebiete zurückkehrt, der Bestand sich                          Schleswig-Holstein. In Jahren mit hohen
erheblich reduziert und der Reproduk­                              Überlebensraten sind ansteigende Be­
tionserfolg nur sehr gering ist. Die Jahre                         standszahlen registriert worden.
1991, 1997 und 2005 sind Beispiele.
                                                                   Unsere Weißstörche erreichen den
Der starke Bestandsrückgang der West­                              Sahel im September, am Ende der Re­
population des Weißstorchs in den                                  genzeit, und bleiben meist bis November

Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen                                         15
Störche in Sachsen

Abb. 3: Jährliche Überlebensrate osteuropäischer Weißstörche (Schaub et al. 2005) und die Auswirkung auf den Bestandstrend in
Schleswig-Holstein.
oder Dezember, um dann weiter bis                               – die Primärproduktion. Sie stellt die
nach Südafrika zu ziehen. Ein Teil der                          Grundlage für das Nahrungsangebot
Überwinterer kann sogar die gesamte                             (phytophage Insekten – Heuschrecken)
Überwinterungsperiode bis zum Rückzug                           dar. Dabei ist von besonderem Interes­
im Sahel verbleiben. Nach dem langen                            se, wie die ziehenden Individuen auf die
Zug haben die Weißstörche einen hohen                           jährlich unterschiedlichen Bedingungen
Nahrungsbedarf. Deshalb dürften sie                             während der Überwinterung reagieren:
besonders empfindlich auf widrige Be­                           • Korreliert die Dauer der Rast im Sahel
dingungen reagieren.                                              mit der Primärproduktion?
Die Niederschlagsmenge während der                              • Wie reagieren einzelne Individuen auf
Regenzeit in den Wochen zuvor ent­                                die jährlich unterschiedlichen Bedin­
scheidet über das Pflanzenwachstum                                gungen im Winterquartier?

16                                                           Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen
Störche in Sachsen

• Können einzelne Individuen, die in                               Weißstorchüberwinterung aufzubauen.
  güns­tigen Jahren nur im Sahel rasten, in                        Durch die Nutzung von leicht zugängli­
  ungünstigen Jahren auch andere Win­                              chen Fernerkundungsdaten lassen sich
  terquartiere aufsuchen?                                          Rückschlüsse auf das Überwinterungs­
• Korreliert die Rückkehr der Individuen                           verhalten der Weißstörche ziehen.
  ins Brutgebiet mit dem Rastgebiet und
  der Primärproduktion im Sahel?                                   Projektdetails
Antworten auf diese Fragen können wir                              Es fanden 30g-Microwave-GPS-Satelli­
mithilfe der Satellitentelemetrie finden,                          tensender Verwendung, die von einer
die bereits seit Anfang der 1990er Jahre                           Solarzelle mit Strom gespeist werden.
vom Max-Planck-Institut für Ornithologie                           Diese Sender zeichnen stündlich die GPS-
und vom Storchenhof Loburg am Weiß­                                Koordinaten auf und senden sie alle drei
storch praktiziert wird.                                           Tage an einen Satelliten, der sie an eine
                                                                   Bodenstation weiterleitet. Über das Inter­
Im Jahr 2009 hat das Michael-Otto-                                 net können die Daten abgerufen werden.
Institut im NABU mit finanzieller                                  Die GPS-Ortungen ermöglichen mithilfe
Unterstützung der King Baudovin Foun­                              von raumbezogenen Fernerkundungs­
dation United States (KBFUS) und der                               daten eine sehr genaue Analyse von
Federal Express Corporation (FedEx) drei                           Habitatnutzung, Home Range und tages­
Weißstörche mit sogenannten GPS-Sa­                                zeitlichen Nutzungsmustern.
tellitensendern ausgestattet. Technische
Unterstützung erhielten wir von Dr. Mi­                            Für die Besenderung wurden Altstör­
chael Kaatz (Storchenhof Loburg) und                               che aus Schleswig-Holstein gefangen.
der Vogelwarte Radolfzell. Das Projekt                             Es sollen möglichst Ostzieher besendert
ist zugleich ein Beitrag zur Zugvogelkam­                          werden. Die Abb. 4 zeigt die Zugwege der
pagne von BirdLife International und hat                           drei Weißstörche im Winter 2009/10. Ein
einen starken öffentlichkeitswirksamen                             Vogel (Männchen „Helmut“) ist ein West­
Aspekt. Der Weg der Störche kann auf der                           zieher, der bis Spanien flog und dort auf
Website des NABU verfolgt werden. In ei­                           Mülldeponien und ­Bewässerungsfeldern
nem Tagebuch wird über das Leben der
Störche im Winterquartier berichtet. Ziel
des NABU ist es, insgesamt 10 besenderte
Weißstörche zu beobachten. Derzeit (Ok­
tober 2010) sind es 6 Vögel. Werden die
besenderten Vögel des Storchenhofes Lo­
burg und anderer Projekte einbezogen,
kann es gelingen, eine Art Monitoring der
                                                                    Storch mit GPS-Satellitensender Foto: Kai-Michael Thomsen

Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen                                                         17
Störche in Sachsen

Abb.4: Zugwege von drei besenderten Weißstörchen aus Schleswig-Holstein 2009/10

überwinterte. Er war bereits Anfang März                      raufhin relativ genau nachvollziehen und
(am 6. März) wieder im Brutgebiet zurück.                     vermuten, dass die Störchin von einem
Ein zweiter Vogel (Männchen „Hobor“)                          großen Greifvogel erbeutet wurde.
überwinterte im östlichen Sahel zwischen
Tschad und Sudan. Auch dieser Vogel war                       Beurteilung der Rastgebiete mithilfe
vergleichsweise früh am Brutplatz zurück                      der Satellitentelemetrie
(am 26. März). Der dritte Vogel (Weibchen                     Die GPS-Ortungen können anhand ver­
„Gertrud“) hat sich zunächst bis Mitte De­                    schiedener Fernerkundungsdaten in
zember im Sahel aufgehalten. Teilweise                        einem geografischen Informationssystem
überlappte sich das Rastgebiet mit dem                        (GIS) einer genauen Analyse unterzogen
von „Hobor“. „Gertrud“ ist bis nach Tansa­                    werden (Gerkmann 2008). Zur Analyse der
nia geflogen und kam dort Anfang Januar                       Habitatnutzung im afrikanischen Winter­
zu Tode. Der Sender wurde später anhand                       quartier wurde die satellitenbildgestützte
der Koordinaten von einem Mitarbei­                           Karte der Landbedeckung und Landnut­
ter von BirdLife Tansania in einem Baum                       zung von Afrika (Global Landcover 2000;
gefunden. Wir konnten die Vorgänge da­                        www-gem.jrc.it/glc2000) verwendet. Die

18                                                         Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen
Störche in Sachsen

                            offenes
 Kulturland mit            Buschland            geschlossenes      Bereich relativ viel Strahlung reflektiert,
     offener                   0%                  Grasland
Gehölzvegetation                                      9%           und kann als Maß für die Vitalität der Ve­
        7%
                                                                   getation herangezogen werden. Er lässt
                                                                   Rückschlüsse auf die Primärproduktion
                                                                   und somit auch auf das Nahrungsange­
                                       offenes Grasland
                                               mit                 bot für den Weißstorch zu.
                                        Einzelbüschen
                                              20%                  Die dekadenweise vorliegenden Kar­
                                               offenes             tendaten wurden mit den Ortungen
                                              Grasland
       Kulturland
         (>50%)                                   7%               der Weißstörche im GIS überlagert und
           56%
                                                     lückiges
                                                                   verschnitten (Abb.6). Dabei konnten wir
                                                     Grasland
                                                        1%
                                                                   feststellen, dass die Störche ihr Rastge­
                                                                   biet bei zunehmender Trockenheit im
Abb. 5: Habitatnutzung von zwei im östlichen Sahel rastenden
Weißstörchen 2009/10                                               Verlauf der Überwinterung tendenziell
                                                                   immer weiter nach Süden in Regionen
Daten aus dem spanischen Winterquar­                               mit höherer Primärproduktion verlagern.
tier wurden mittels des CORINE Landcover                           Wird es auch hier zunehmend trockener,
(http://www.eea.europa.eu/themes/lan­                              zieht ein Großteil der Störche weiter nach
duse/interactive/clc-download) analysiert.                         Ost- und Südafrika.
Für die Beurteilung der klimatischen Situa­
tion wurde der sogenannte Normalized                               Die Niederschlagsmenge im Sahel
Differenced Vegetation Index (normali­                             während der Regenzeit von Juni bis
sierter differenzierter Vegetationsindex)                          September dürfte nicht nur die Überle­
– NDVI herangezogen (http://earlywar­                              bensraten beim Weißstorch beeinflussen,
ning.usgs.gov/fews/africa/index.php).                              sondern auch die Länge des Aufenthalts.
                                                                   Finden die überwinternden Weißstörche
Abb. 5 zeigt die Habitatnutzung der bei­                           im Sahel gute Verhältnisse vor, müssen sie
den rastenden Weißstörche im östlichen                             sich erst spät oder überhaupt nicht auf die
Sahel. Vor allem offenes Busch- und                                Suche nach neuen Nahrungsressourcen
Grasland     sowie    landwirtschaftliche                          begeben. Das dürfte positive Auswirkun­
Nutzflächen werden von ihnen aufge­                                gen auf ihre Kondition haben und eine
sucht. Über 50 % der Ortungen liegen auf                           frühere Rückkehr ins Brutgebiet ermög­
landwirtschaftlich genutzten Flächen.                              lichen. Je zeitiger ein Brutvogel wieder
Feuchtgebiete spielten dagegen im                                  im Brutgebiet eintrifft, desto besser ist
Winter 2009/10 keine Rolle als Nahrungs­                           in der Regel sein Bruterfolg. Im Falle von
habitate für den Weißstorch im Sahel.                              Dürreperioden im Überwinterungsgebiet
Der NDVI beruht auf der Tatsache, dass                             beziehungsweise        Zwischenrastgebiet
gesunde Vegetation im nahen Infrarot-                              Sahel treten im Brutgebiet sogenannte

Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen                                           19
Störche in Sachsen

NDVI
 0,7

 0,6

 0,5

 0,4
                                                                                             y = -0,0022x + 86,754
                                                                                                  R² = 0,4612
 0,3

 0,2

 0,1

   0
  15- Aug - 4- Sep - 24- Sep - 14- Okt- 3- Nov- 23- Nov- 13- Dez- 2- Jan - 22- Jan - 11- Feb
Abb. 6: Entwicklung des Normalized Differenced Vegetation Index (NDVI) an den Rastorten von zwei überwinternden Weißstörchen
im östlichen Sahel von September 2009 bis Januar 2010

Störungsjahre auf. Viele Brutvögel blei­                        die den Sahel als Winterquartier nutzen
ben aus, die Rückkehrer treffen später                          (Zwarts et al. 2009). Und nicht zuletzt
bei uns ein und haben einen geringeren                          wirken sich die Dürrephasen auch auf
Bruterfolg.                                                     die Menschen aus, die im Sahel Landwirt­
Vor dem Hintergrund des Klimawandels                            schaft betreiben müssen.
ist das Phänomen der Störungsjah­
re von besonderer Bedeutung. Wenn                               Das Rastgebiet Spanien
Dürrephasen im Sahel in der Zukunft                             Ganz anders stellt sich die Situation für
vermehrt auftreten, dürfte dies für                             überwinternde Weißstörche in Spanien dar.
den Weißstorch eine allgemein höhere                            Storch „Helmut“ hat sich die meiste Zeit in
Sterblichkeitsrate nach sich ziehen. Es                         der Umgebung von Madrid aufgehalten.
ist mit einer durchschnittlich späteren                         Auch für ihn wurde die Habitatnutzung
Rückkehr ins Brutgebiet zu rechnen, mit                         im GIS analysiert. Dabei konnte festge­
der Folge, dass die Reproduktionsraten                          stellt werden, dass nur 16 % der Ortungen
sinken.                                                         Mülldeponien betrafen (Abb.7),        fast
                                                                die Hälfte dagegen landwirtschaftlich
Diese Problematik trifft nicht nur für den                      genutzte Flächen (45 %). Die Habitat­
Weißstorch zu, sondern ebenso für mehr                          nutzung von „Helmut“ gibt Hinweise
als 500 europäische Brutvogelarten,                             darauf, dass überwinternde Weißstörche

20                                                           Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen
Störche in Sachsen

                             Industrie u.
                           Gewerbeflächen
                                               Abbauflächen
                                                    6%
                                                                            des sogenannten Vogelschutzparagra­
                                 0%
                                                                            fen im Bundesnaturschutzgesetz wird
                                                                            im Laufe der Jahre dazu führen, dass
                             Wasserflächen
       Gewässerläufe
            0%
                                  18%                    Deponien u.
                                                        Abraumhalden
                                                                            zumindest in Deutschland die Anzahl ge­
                                                             16%
                                                                            töteter Weißstörche sinken wird. Dagegen
                       Hartlaub -                                Nicht
      Natürliches      gewächse                               bewässertes   werden die Gefahren durch elektrische
       Grasland           13%                                  Ackerland
          2%                                                      9%        Freileitungen auf den Zugwegen sehr stark
  Agroforstlich
genutzte Flächen
       2%
                                                                            zunehmen, denn mit der wirtschaftlichen
                                                     permanent
Komplexe                                            bewässertes             Entwicklung in vielen wichtigen Durch­
Parzellen -  Obst u.                                 Ackerland
strukturen Beerenobst -
    0%      bestände
                                                        24%                 zugsländern, zum Beispiel der Türkei, wird
                8% Weinbauflächen
                         0%
                                       Reisfelder
                                           2%
                                                                            das elektrische Freileitungsnetz immer
                                                                            dichter. In diesem Falle hat Deutschland
  Abb. 7: Habitatnutzung eines in Spanien überwinternden
  Weißstorchs 2009/10                                                       eine große Vorbildfunktion für eine vogel­
                                                                            schutzfreundliche Stromversorgung.
  nur zum Teil Mülldeponien nutzen und
  durchaus in der Lage sind, weitere Nah­                                   Konsequenzen für die Entwicklung der
  rungshabitate zu erschließen. Da auch                                     Weißstorchpopulation in Deutschland
  in Spanien aufgrund einer EU­Verord­                                      Schimkat (2004, 2008) hat mithilfe ei­
  nung offene Mülldeponien geschlossen                                      ner Ringfundanalyse festgestellt, dass
  werden müssen, wird die fast unend­                                       die Reproduktion des Weißstorchs in
  lich vorhandene Nahrungsquelle Müll                                       den ostdeutschen Bundesländern nicht
  zukünftig weitgehend versiegen und                                        ausreicht, um die natürlichen Verluste
  derzeit noch ungeklärte Folgen für über­                                  auszugleichen. Somit ist die ostdeutsche
  winternde Weißstörche nach sich ziehen.                                   Population auf eine Zuwanderung aus
  Diese Frage hat auch für unseren Bestand                                  den osteuropäischen Kerngebieten mit
  Bedeutung, denn derzeit wird der Be­                                      hohem Bruterfolg angewiesen.
  stand in Westdeutschland maßgeblich
  durch das starke Populationswachstum                                      Zwischen 1994 und 2004 nahm die Ost­
  der Westpopulation gestützt.                                              population des Weißstorchs um 28 %
                                                                            zu (Thomsen 2008). Auch in Deutsch­
  Direkte Gefährdungen                                                      land war ein Zuwachs von 419 HPa zu
  Die Ursachen von direkten Verlusten                                       verzeichnen (NABU­BAG Weißstorch­
  durch elektrische Mittelspannungsleitun­                                  schutz 1995, 2005). Das Jahr 2005 war
  gen und ­Masten beim Weißstorch und                                       ein Störungsjahr, und der Bestand brach
  anderen Großvögeln sind hinlänglich                                       in Deutschland ein; er ging auf 3 651
  dokumentiert worden (Haas & Nipkow                                        HPa zurück (NABU­BAG Weißstorch­
  2007). Die Einführung und Umsetzung                                       schutz 2006). Danach erfolgte in den

  Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen                                                 21
Störche in Sachsen

          40
                  relativer                                     Deutschland Ost
                  Bestand                                       Ukraine
          30

          20

          10

           0
            1994         1996         1998         2000          2002         2004         2006         2008

         -10

         -20
Abb. 8: Vergleich von Bestandstrends des Weißstorchs in der Ukraine (nach Grishchenko 2010) und in den ostdeutschen Bundeslän-
dern (nach NABU-BAG Weißstorchschutz 1995 und 2009).

ostdeutschen Bundesländern nur eine                              in Ostdeutschland die Werte von 2004
zögerliche Bestandserholung, wobei die                           nicht wieder erreicht werden. Nach einer
Populationsgröße von 2004 nicht wieder                           Phase mit ansteigenden beziehungs­
erreicht wurde. Aufgrund vorliegender                            weise stabilen Beständen nimmt der
Daten konnte ein Vergleich der Populati­                         Brutbestand in Ostdeutschland wieder
onsentwicklungen zwischen der Ukraine                            ab. Der Weißstorch ist wieder stärker ge­
und den ostdeutschen Bundesländern                               fährdet!
vorgenommen werden (Grishchenko                                  Dafür können wir zwei Ursachen disku­
2010).                                                           tieren:
                                                                 Großräumige Bestandsveränderungen
Verglichen wird die relative Bestandsent­                        können sich an den Verbreitungsrändern
wicklung, wobei die Werte des Jahres                             einer Population stärker auswirken als im
1994 gleich null gesetzt wurden (Abb.8).                         Zentrum. Die ostdeutsche Weißstorch­
Es fällt auf, dass die Bestandsentwicklung                       population wird nach Schulz (1999) zur
in Ostdeutschland und in der Ukraine bis                         nordwestlichen Randpopulation gerech­
zum Störungsjahr 2005 fast gleich verlief,                       net und ist weniger stabil.
danach aber große Unterschiede aufwies.                          Mit einem starken Lebensraumverlust im
Während in der Ukraine der Bestandsein­                          Brutgebiet einhergehend, findet keine
bruch von 2005 im darauffolgenden Jahr                           Wiederbesiedlung von Brutstandorten
fast wieder kompensiert wurde, konnten                           mit schlechter Habitatausstattung statt.

22                                                           Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen
Störche in Sachsen

Es gibt eindeutige Hinweise dafür, dass                            gegebenen Flächen handelt es sich meist
sich gerade in Ostdeutschland die Le­                              um feuchte, schwer zu bewirtschaftende
bensraumsituation in vielen Regionen                               Flächen und damit um potentielle Nah­
verschlechtert hat.                                                rungshabitate des Weißstorchs.

Bei der Betrachtung aktueller Entwicklun­                          In Polen konnte zwischen 1994/95 und
gen in der Landwirtschaft fällt seit etwa                          2004 landesweit ein Bestandsanstieg
fünf Jahren in fast allen Bundesländern                            von 28 % registriert werden (Guziak &
ein erheblicher Rückgang von Grün­                                 Jakubca 2006). Doch die Populationsent­
land und Stilllegungsflächen auf (NABU                             wicklung verlief nicht im ganzen Land
2009). Im Rahmen des Ausbaus von re­                               parallel. Im südwestlichen Polen kam
generativen Energien wird der Bau von                              es im Gegensatz zum Landestrend zu
Biogasanlagen gefördert, die vor allem                             einem leichten Bestandsrückgang. Es
mit dem Substrat Mais betrieben werden.                            sind die Regionen mit intensiver Land­
Der zunehmende Maisanbau geht häufig                               bewirtschaftung. Ebenso stagnieren die
mit einem Rückgang des Grünlandanteils
einher. Darüber hinaus verursacht die
zunehmende Flächenkonkurrenz einen
Anstieg der Pachtpreise und erschwert
Landwirten die extensive Nutzung von
Grünland. Außerdem sind die Angebote
des Vertragsnaturschutzes aufgrund der
Flächenkonkurrenz weniger konkurrenz­
fähig. Die Lösung dieses Konfliktes stellt
eine der wichtigsten Fragen im Natur­
schutz der kommenden Jahre dar.

Weitere Entwicklungen in den östli-
chen EU-Staaten
Der Wandel in der Landwirtschaft der öst­
lichen EU-Staaten wird möglicherweise in
zwei Richtungen verlaufen: Auf Gunst­
standorten wird die Nutzung intensiviert,
auf Ungunststandorten wird sie aufgege­
ben. Die Nutzungsaufgabe ist aus Sicht
des Weißstorchschutzes ebenfalls ein
bedeutender Faktor, denn bei den auf­
                                                                                         Foto: Kai-Michael Thomsen

Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen                                              23
Störche in Sachsen

­ eißstorchbestände in den EU-Beitritts­
W                                               Deutschland die Bestände seit 2005 wie­
ländern Lettland, Tschechien und Ungarn.        der angestiegen. Schwer einzuschätzen
                                                ist der Einfluss von Kolonien in Tierparks
Die Situation der Westpopulation stellt         und Vogelpflegestationen in West­
sich dagegen vollkommen anders dar:             deutschland, den Niederlanden und im
Aufgrund der verkürzten Zugwege nach            Elsass. Diese Brutpaare haben aufgrund
Spanien und der dort guten Überwinte­           von Zufütterungen einen höheren Re­
rungsbedingungen für den Weißstorch             produktionserfolg als reine Wildpaare.
dürfte die Überlebensrate stark ange­           Ob und wie sich die Schließung der
stiegen sein, mit der Folge, dass der           Mülldeponien auf der iberischen Halb­
zum Bestandserhalt notwendige Repro­            insel auf die Westpopulation auswirken
duktionserfolg für Westzieher weitaus           wird, lässt sich schwer voraussagen und
niedriger als für Ostzieher liegen dürfte.      ist Gegenstand eines Forschungsprojek­
Im Zuge des allgemeinen Bestandstrends          tes von Storch Schweiz (Schulz & Enggist
sind im westlichen und nordwestlichen           2010).

24                                           Kai-Michael Thomsen | Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen
Störche in Sachsen

Die aktuelle Situation der Weißstörche in Deutschland

     Dr. Michael Kaatz

     1. Einleitung
     Im Folgenden wird auf der Grundlage                                  1983 wurden nur 3742 anwesende Horst­
     der Mitteilungsblätter der NABU-Bundes­                              paare (HPa) deutschlandweit registriert,
     arbeitsgruppe (BAG) Weißstorchschutz                                 und dieser Bestand reduzierte sich weiter
     und anderer Quellen die Bestandssitua­                               bis auf den Tiefstand von 2949 HPa im
     tion des Weißstorchs in Deutschland                                  Jahr 1988. Anschließend erholten sich die
     charakterisiert, danach die Arbeit des                               Bestände vor allem in den 1990er Jahren.
     Storchenhofes Loburg zur Erhaltung                                   Mit 4482 HPa konnte 2004 eine Höchst­
     beziehungsweise Verbesserung der Weiß­                               zahl erreicht werden.
     storchbestandssituation beschrieben.
                                                                          Aufgrund verschiedener Ursachen (Kli­
     2. Der Weißstorchbestand in Deutschland                              ma, Witterung, Nahrung, Gefahren und
     In der Abbildung 1 ist der Weißstorch­                               anderes) treten wie zum Beispiel 1991,
     bestand Deutschlands ab 1934 in                                      1997 oder 2005 sogenannte Weiß­
     Abständen mehrerer Jahre und ab 1983                                 storchstörungsjahre auf, in denen viel
     bis 2009 jährlich dargestellt.                                       weniger Paare eintreffen und auch der

     Abb.1: Bestandsentwicklung des Weißstorchs in Deutschland von 1934 bis 2009, Quelle: NABU-Bundesarbeitsgruppe Weißstorchschutz

     Dr. Michael Kaatz & Dr. Mechthild Kaatz | Vogelschutzwarte Storchenhof Loburg e. V.                                       25
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