IPA JOURNAL 02/2022 Auswirkungen des Klimawandels auf die Arbeitswelt - Interview - DGUV Publikationen
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IPA JOURNAL 02/2022 → Auswirkungen des Klimawandels auf die Arbeitswelt Interview → Psychische Beanspruchung durch die SARS-CoV-2-Pandemie → Toxische Wirkungen von Partikeln Einfluss verschiedener P artikeleigenschaften
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IPA-Journal 02 | 2022 · Editorial Editorial Liebe Leserinnen und Leser Die Auswirkungen steigender Temperaturen infolge des In diesem Kontext sprechen wir im Interview mit Prof. Klimawandels werden uns immer häufiger drastisch vor Thomas Alexander von der BAuA und Prof. Manigé Augen geführt. Sie betreffen mittlerweile alle Lebensbe- Fartasch aus dem IPA über die Folgen des Klimawandels reiche. Der Klimawandel stellt daher auch an die Sicher- unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen heit und Gesundheit bei der Arbeit besondere Herausfor- der solaren UV-Strahlung auf den Anstieg der Haut- derungen. Die Folgen für die Arbeitswelt zeigen sich unter krebsrate. „Dass es keine gesunde Bräune gibt“ und anderem im aktuellen Bericht der International Labour „Sonnenschutz cool werden muss“ sind Kernaussagen Organization (ILO) zu den Auswirkungen von Hitzestress. zur Sensibilisierung von Beschäftigten für das Thema Alleine durch den Hitzestress wird ein weltweiter Ausfall Sonnenschutz (→ Seite 42). der Gesamtarbeitszeit von mehr als 2 Prozent pro Jahr prognostiziert. Den entsprechenden finanziellen Verlust Im IPA erforschen wir in diesem Zusammenhang mittels schätzt die ILO auf 2.400 Milliarden US-Dollar bis zum Human-Biomonitoring die Verstoffwechslung der in Jahr 2030. Sonnencremes enthaltenen UV-Filter beim Menschen. Ab → Seite 36 erfahren Sie den aktuellen Stand der For- Der Klimawandel betrifft letztlich auch alle Versicherten schung der hierzu von uns neu entwickelten Biomarker. der gesetzlichen Unfallversicherung. Für Prävention und Arbeitsmedizin stehen die gesundheitlichen Aus- Der Klimawandel als eine der globalen Herausforderun- wirkungen durch Hitzestress, UV-Strahlung, Allergene, gen macht es notwendig, dass Wissenschaft und Praxis neu auftretende Infektionserreger, erhöhte Pestizid- und sich noch stärker miteinander vernetzen, um gemein- Chemikalienbelastung, Brandbekämpfung sowie zuneh- sam Lösungsstrategien zu entwickeln. Hier engagiert mender psychischer Belastungen im Fokus. sich das IPA bei der Förderung des wissenschaftlichen Austauschs, wie zum Beispiel mit der Veranstaltungs- Die steigende UV-Belastung und der Hitzestress be- reihe „Allergie im Fokus“ zum Thema Umwelt, Klima- treffen vorwiegend sogenannte Outdoor-Worker – also wandel, Exposition und deren Einfluss auf allergische insbesondere Beschäftigte im Bau-Bereich, in der Erkrankungen (→ Seite 40). Land- und Forstwirtschaft oder in Gartenbaubetrieben. Verlängerte Vegetationsperioden mit verstärktem und Der Klimawandel ist nicht ein Problem der Zukunft, son- frühzeitig einsetzendem Pollenflug in Folge steigender dern die Folgen beeinflussen bereits jetzt unser Leben Temperaturen können die Gesundheit vieler Menschen erkennbar. Dies motiviert uns, auch hier mit unserer belasten und Auslöser für Rhinitis, Asthma sowie akute breit aufgestellten Forschungsexpertise die Unfallver- Atemwegserkrankungen sein. sicherungsträger zu beraten und zu unterstützten, damit die Menschen auch unter veränderten Bedingungen Damit unter den Bedingungen des Klimawandels Arbei- sicher und gesund arbeiten können. ten jetzt und in Zukunft sicher und gesund möglich ist, müssen vielfach maßgeschneiderte Lösungen gefunden Ihr werden. Dafür sind oft neue wissenschaftliche Erkennt- Thomas Brüning nisse notwendig, die nur durch Forschung generiert werden können. 3
Impressum Herausgegeben von: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV) Glinkastr.40 10117 Berlin Telefon: 030 13001-0 Verantwortlich: Prof. Dr. Thomas Brüning, Institutsdirektor Redaktion: Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV Institut der Ruhr-Universität Bochum Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum Telefon: 030 13001-4000 Telefax: 030 13001-4003 E-Mail: ipa@dguv.de Internet: www.dguv.de/ipa Dr. Thorsten Wiethege, Dr. Monika Zaghow (Redaktionsleitung) Titelbild: Sculpies/stock.adobe.com Bildnachweis: S. 3: André Stephan/Morsey & Stephan; S. 6: Bernd Naurath, IPA; S. 7: Benjamin B. Stöß/stock. adobe.com; S. 8 Sven Grundmann/stock.adobe.com; S. 10: M&R Fotografie/stock.adobe.com; S. 14: artur/ stock.adobe.com; S. 19: Nemanja Mandic/stock.adobe. com; S. 20: Jens Nieth, DGUV; S. 24: Gorodenkoff/stock. adobe.com; S. 29: Jevgen Chabanov/stock.adobe.com; S. 30: Volker Wiciok/ Lichtblick; S. 31: industrieblick/ stock.adobe.com; S. 32: Dmitry Volochek/stock.adobe. com; S. 36: John Smith/stock.adobe.com; S. 37: punsa yaporn/stock.adobe.com; S. 38: Sculpies/stock.adobe. com; S. 40: bioraven/stock.adobe.com; S. 41: DGAKI; S. 42: jozsitoeroe/stock.adobe.com; S. 43: Volker Wiciok/ Lichtblick; S. 43: S. Wisbar/BAuA; S. 45: Bernd Naurath/ IPA; S. 47: ©lucastor/stock.adobe.com; S. 50: mi_viri/ stock.adobe.com Satz & Gestaltung: Atelier Hauer + Dörfler GmbH, Berlin Druck: MedienSchiff BRuno, www.msbruno.de ISSN: 1612-9857 ISSN (Online): 2751-3246 Bei den Beiträgen im IPA Journal handelt es sich im Wesentlichen um eine Berichterstattung über die Arbeit des Instituts und nicht um Originalarbeiten im Sinne einer wissenschaftlichen Publikation.
IPA-Journal 02 | 2022 · Inhalt Inhalt Editorial. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Meldungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Allergieentwicklung beim Umgang Arbeitsmedizinischer Fall mit Labortieren Prostatakrebs in Folge beruflicher Tätigkeit im Feuerwehrdienst?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 → Seite 24 Aus der Forschung Quantitative Bestimmung von Antikörpern gegen das Coronavirus (SARS-CoV-2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Psychische Beanspruchung durch die SARS-CoV-2-Pandemie.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Längsschnittstudie zur Allergieentwicklung beim Umgang mit Labortieren im Rahmen der Ausbildung zur biologischen Laborfachkraft.. . . . . . . 24 Toxische Wirkung von arbeitsmedizinisch relevanten Partikeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Sonnenschutz: Human-Biomonitoring für UV-Filter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Für Sie gelesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19, 31 Interview Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf Sicherheit UV-Filter in Sonnenschutzmitteln. und Gesundheit bei der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Neuentwickelte Biomarker für die Expositionsabschätzung Aus der Praxis → Seite 36 Mit individuellen Präventionspaketen zum Erfolg .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Kongresse Allergie und Klimawandel im Fokus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Pneumologie – Entwicklung und Fortschritt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Neue Publikationen aus dem IPA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Termine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Untersuchung zur Expositionsreduktion an Schweißarbeitsplätzen → Seite 47 5
IPA-Journal 02 | 2022 · Meldungen Meldungen Das IPA hat bereits in den Vorläuferprojekten „European Human Biomonitoring Initiative“ (HBM4EU) und „Con- sortium to Perform Human biomonitoring on a European Scale“ (COPHES) seine Expertise eingebracht. Hierbei baute es die zentrale Qualitätssicherung in diesen Projek- ten mit auf, entwickelte passendes Kontrollmaterial und organisierte Ringversuche unter Beteiligung von insge- samt 80 weltweit teilnehmenden Laboren aus 28 Ländern. Für die Aktivitäten des IPA wurden im Rahmen von PARC bereits rund 1,3 Millionen Euro Fördermittel bewilligt. Für die geplanten Analysen auf Schadstoffbelastungen der europaweit gesammelten Proben sind weitere Mittel vorgesehen. IPA an neuem Projekt der EU zur Risikobewertung von Chemikalien beteiligt Neue Wege bei der Bewertung von chemischen Stoffen geht die „PARC“-Initiative der Europäischen Union (EU). „PARC“ steht für „European Partnership for the Assess- ment of Risks from Chemicals“. Die wesentlichen Ziele von PARC sind bei der Risikobewertung von Chemikalien die europäische Zusammenarbeit zu fördern, die Forschung Forschungsbericht Berufskrankheiten zu intensivieren, das Wissen um die gesundheitlichen Risi- ken von Chemikalien zu erweitern und die entsprechenden Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Berufs- methodischen Fertigkeiten zu schulen, um so die Gesund- krankheitenrechts stellen die DGUV und die Unfallversi- heit der Menschen und die Umwelt besser zu schützen. cherungsträger in einem jährlichen Bericht ihre Forschung Das Programm hat ein Fördervolumen von insgesamt 400 im Bereich Berufskrankheiten dar. Durch den Bericht soll Millionen Euro für die nächsten sieben Jahre. Da die Auf- der Stellenwert der Forschung über Berufskrankheiten gaben sehr umfangreich und die Ziele ehrgeizig sind, wur- betont sowie die Transparenz der Forschung und der For- de das Projekt in verschiedene Arbeitspakete unterteilt. schungsförderung durch die gesetzliche Unfallversiche- rung erhöht werden. Für die Jahre 2020 und 2021 wurden Das IPA arbeitet in den Arbeitspaketen „Labornetz- jetzt die ersten Berichte veröffentlicht. Darin werden für werke“, „Ausbau von Biomonitoring-Kapazitäten“ und das Jahr 2020 126 Projekte und für das Jahr 2021 insgesamt „Laboranalyse und Qualitätssicherung“ mit. Aufgrund 141 Projekte vorgestellt. Enthalten sind dabei auch zahlrei- seiner toxikologischen Kompetenzen beteiligt sich das che Projekte aus dem IPA, die sich mit Forschungsthemen IPA auch an der Ableitung von human-biomonitoring zu verschiedenen Berufskrankheiten und auch deren Prä- basierten Richtwerten, den sogenannten HBM-guidance vention beschäftigen. Die ausführlichen Berichte können values (HBM-GV) und an der Entwicklung von Konzepten im Internet unter → https://publikationen.dguv.de/versi- zur Erfassung und Beurteilung von Mischexpositionen. cherungleistungen/berufskrankheiten/abgerufen werden. 6
IPA-Journal 02 | 2022 · Meldungen Aktualisierter Berufskrankheiten- Report 1/2022 „BaP-Jahre“ erschienen Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubil- dungen der Harnwege sowie Lungenkrebs- und Kehlkopf- krebs, verursacht durch die arbeitsbedingte Einwirkung Polyzyklischer Aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK), können als Berufskrankheiten (BK-Nr. 1321, 4110, 4113 und 4114) anerkannt werden. In den Ermittlungsverfahren zu diesen sogenannten Dosis-Berufskrankheiten müssen im Rahmen der Arbeitsanamnese teils lang zurückliegende Expositionen ermittelt werden und in Form einer kumu- lativen, auf die PAK-Leitkomponente Benzo[a]pyren (BaP) bezogene Dosis in Form sogenannten BaP-Jahre angege- ben werden. Ein BaP-Jahr entspricht dabei der inhalati- ven Einwirkung von 1 µg BaP pro m3 über ein Jahr. In der nunmehr vorliegenden 3. Auflage des BK-Reports werden quantitative Informationen zur Ermittlung der Benzo[a]- Berufliche Exposition als pyren-Dosis an nicht mehr vorhandenen Arbeitsplätzen Feuerwehreinsatzkraft als gegeben. Die aufgeführten Expositionsdaten stammen überwiegend aus der Expositionsdatenbank MEGA des krebserzeugend eingestuft Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Die internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der Unfallversicherung (IFA). Die in diesem BK-Report zusam- Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in einer Neube- mengestellten Hinweise sollen das Feststellungsverfahren wertung die berufliche Exposition als Feuerwehreinsatz- beschleunigen und eine einheitliche Beurteilungspraxis kraft als krebserzeugend eingestuft (Kategorie 1) (Demers sicherstellen. An der Überarbeitung waren zahlreiche et al. 2022). Grundlage dafür ist die aus Sicht der IARC Expertinnen und Experten verschiedener Unfallversiche- ausreichende hohe Evidenz für den Zusammenhang zwi- rungsträger, des IFA und auch des IPA beteiligt. schen der Exposition, denen die Feuerwehreinsatzkräfte → https://publikationen.dguv.de/versicherungleistungen/ ausgesetzt sind und dem Vorliegen von Mesotheliomen berufskrankheiten/4519/bk-report-1/2022-ermittlung-der- und Blasenkarzinomen. Begrenzte Evidenz liegt für Ko- benzo-a-pyren-dosis-bap-jahre lon-, Prostata- und Hoden-Karzinome sowie für Mela- nome und Non-Hodgkin-Lymphome vor. Im Jahr 2007 hatte die IARC die Arbeit der Feuerwehreinsatzkraft noch als möglicherweise krebserzeugend (Kategorie 2B) ein- gestuft. Die Neubewertung trägt damit der verbesserten Studienlage der letzten 15 Jahre Rechnung. Demers PA, DeMarini DM, Fent KW, et al. Carcinogenicity of occupational exposure as a firefighter, Lancet Oncol, 2022; Online ahead of print DOI: 10.1016/S1470-2045(22)00390-4 7
IPA-Journal 02 | 2022 · Arbeitsmedizinischer Fall Prostatakrebs in Folge beruflicher Tätigkeit im Feuerwehrdienst? Herausforderungen am Beispiel einer gutachterlichen Einzelfall-Bewertung Christian Eisenhawer, Dirk Pallapies, Thomas Behrens, Dirk Taeger, Heiko U. Käfferlein, Thomas Brüning Über die Ursachen der Entstehung des Prostatakrebs ist wenig bekannt. Neben genetischen Faktoren gilt das Alter als eindeutiger Risikofaktor. Mögliche Zusammenhänge zwischen beruflichen Einwirkungen und dem Prostatakrebs sind im Einzelfall unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Literatur und der verfügbaren belastbaren epidemiologischen Daten gutachterlich zu beurteilen. Rechtliche Grundlagen und Fragestellung erheblich höherem Grad ausgesetzt sind als die übrige Bevölkerung (§ 9 Absatz 1 Satz 2 SGB VII). Grundsätz- Im Sozialgesetzbuch VII wird gefordert, dass Erkrankun- liche Voraussetzung für jede Berufskrankheit ist die auf gen im Sinne einer Berufskrankheit nach gesicherten medizinisch-wissenschaftlicher Grundlage gewonnene medizinischen Erkenntnissen durch besondere Einwir- Erkenntnis über die Eignung eines bestimmten Gefahr- kungen verursacht sein müssen, denen bestimmte Per- stoffs oder einer Einwirkung, eine bestimmte Erkrankung sonengruppen aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit in zu verursachen (generelle Geeignetheit). 8
IPA-Journal 02 | 2022 · Arbeitsmedizinischer Fall Kurz gefasst In dem im IPA begutachteten Fall war zu beurteilen, ob neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die be- gründen, dass der bei einem Versicherten diagnostizierte Die Ätiologie des Prostatakrebs ist – mit Ausnahme Prostatakrebs durch die spezifischen beruflichen Exposi- von Alter und genetischen Faktoren – weitgehend tionen und Einwirkungen im Rahmen einer mehr als drei ungeklärt. Jahrzehnte langen Tätigkeit im Feuerwehrdienst ursäch- lich oder zumindest teilursächlich verursacht wurde. Beschäftigte im Feuerwehrdienst können im Rahmen von Brandeinsätzen gegenüber verschiedenen poten- tiell kanzerogenen Gefahrstoffen exponiert sein. Berufliche Sachlage Es liegen derzeit keine ausreichenden wissenschaft- lichen Erkenntnisse vor, die einen ursächlichen Zusam- In dem vorliegenden Fall war eine bis zur Diagnose der menhang der Tätigkeit im Feuerwehrdienst und der Er- Tumorerkrankung mehr als drei Jahrzehnte lange Tä- krankung an einem Prostatakrebs begründen können. tigkeit bei der freiwilligen Feuerwehr mit zahlreichen Brandeinsätzen und eine hiermit verbundene Tätigkeit in Nachtarbeit zu berücksichtigen. Im Einzelfall ist nach einer gründlichen retrospektiven Ermittlung der Einwirkungen zu prüfen, ob diese im Rah- Medizinische Sachlage men der versicherten Tätigkeit die vorliegende Krankheit verursacht haben. Man spricht hier von der sogenannten Über die Ätiologie des Prostatakrebs ist wenig bekannt haftungsbegründenden Kausalität. Dieser Ursachenzu- (Blanc-Lapierre et al. 2018). Neben genetischen Faktoren sammenhang muss hinreichend wahrscheinlich sein. gilt das Alter als eindeutiger Risikofaktor. In vielen Fällen Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursäch- bleibt die Ätiologie aber unklar. lichen Zusammenhangs zu bejahen, „muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Bei dem Versicherten wurde im Jahr 2011 im Alter von 50 Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsicht- Jahren ein Adenokarzinom der Prostata im Tumorstadium lich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und deutlich T2N0 im Rahmen eines „Prostata-spezifischen Antigen“ mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang (PSA)-Screenings diagnostiziert. Therapeutisch erfolg- spricht“ (BSG 2001, 2006). Außerdem haben die Un- te sowohl eine komplette Entfernung der Prostata wie fallversicherungsträger nach § 9 Absatz 2 SGB VII eine auch der Beckenlymphknoten. Aufgrund des vergleichs- Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet weise jungen Erkrankungsalters wurde eine Tumor ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen genomsequenzierung mit Keimbahndiagnostik veran- nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versiche- lasst. Hinweise auf eine genetische Prädisposition für die rungsfall anzuerkennen, sofern zum Zeitpunkt der Ent- Tumorerkrankung ergaben sich nicht. Der Versicherte war scheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Nieraucher. Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind. Zu beurteilende berufliche und individuelle In der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung sind Risikofaktoren Erkrankungen aufgenommen, für die hinreichende wis- senschaftliche Erkenntnisse für einen Zusammenhang In dem vorliegenden Fall werden ein frühes Erkrankungs- der Erkrankung und einer ursächlichen beruflichen Ein- alter und fehlende Hinweise für eine genetische Prädis- wirkung vorliegen. Prostatakrebs gehört bislang nicht zu position als Indiz für eine exogene Genese diskutiert. In den Erkrankungen, die in dieser Anlage als organspezi- diesem Kontext sind die beruflichen Gefahrstoffexpositio- fische Berufskrankheit verzeichnet sind. Im Zusammen- nen durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe hang mit einer beruflichen Tätigkeit im Feuerwehrdienst (PAK), Cadmium, Dioxin und Benzol während einer mehr wurden bislang Erkrankungen an Prostatakrebs auch als drei Jahrzehnte langen Tätigkeit im Feuerwehrdienst nicht „wie eine Berufskrankheit“ nach § 9 Absatz 2 SGB sowie die mit der Tätigkeit verbundene Schichtarbeit (als VII anerkannt. Kofaktor) als ursächlich für den vorliegenden Prostata- krebs gutachterlich zu bewerten. 9
IPA-Journal 02 | 2022 · Arbeitsmedizinischer Fall Ein frühes Erkrankungsalter kann bei vielen Krebs erkrankungen grundsätzlich auf besondere Erkrankungs- umstände hinweisen, wobei berufliche neben außerbe- ruflichen Risiken als einer von vielen Faktoren diskutiert werden. Ein frühes Erkrankungsalter allein erlaubt daher nicht zwangsläufig den Rückschluss auf eine berufliche Genese einer Erkrankung. Bezogen auf Prostatakrebs ist nach der wissenschaftlichen Literatur ein Erkrankungs- alter von 50 Jahren zwar niedrig, aber nicht außerge- wöhnlich (Krebs in Deutschland 2021). Einzelne pathoge- netische Varianten im genetischen Material als Hinweis für eine mögliche familiäre Prädisposition konnten nach der aktuellen Literatur nur in wenigen Fällen identifiziert werden. In den weitaus meisten Fällen waren genetische Risikofaktoren dagegen nicht zu eruieren. Das vorliegende Erkrankungsalter und die fehlende fami- liäre Disposition stellten somit in dem vorliegenden Fall Die bisherige Beurteilung der IARC für Prostatakrebs hat kein entscheidungsrelevantes Argument für eine vermu- in einer Metaanalyse ein um 30 % erhöhtes Risiko für tete berufliche Verursachung dar. Feuerwehreinsatzkräfte gegenüber Nicht-Einsatzkräften beschrieben (IARC, 2010). In den 16 Studien, die dieser Metaanalyse zugrunde liegen, werden konkurrierende be- Epidemiologische und toxikologische Bewertung rufliche und außerberufliche Risikofaktoren jenseits des beruflicher Risiken für Feuerwehreinsatzkräfte Feuerwehrdienstes allerdings nur unvollständig oder gar nicht berücksichtigt. Eine neuere Metaanalyse beschrieb Die internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der ein leicht erhöhtes Erkrankungsrisiko von 15 % (Jalilian Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte im Jahr 2007 et al. 2019). In dieser Metaanalyse wurden jedoch nicht die berufliche Exposition als Feuerwehreinsatzkraft als alle zum Zeitpunkt der Erstellung verfügbaren Studien möglicherweise krebserzeugend für den Menschen (Kate- eingeschlossen. Die bis dato aktuellste Metaanalyse, die gorie 2B) ein (Straif et al. 2007, IARC 2010). Die Einstufung 2021 vom IPA durchgeführt wurde, bewertet die Ergeb- wurde aktuell durch die IARC neu bewertet und insbe- nisse von insgesamt 46 epidemiologischen Studien zu sondere hinsichtlich ausgewählter Krebserkrankungen Krebsrisiken bei Feuerwehreinsatzkräften und fand kein präzisiert (Demers et al. 2022). So stuft die IARC die be- erhöhtes generelles Krebsrisiko für Feuerwehreinsatz- rufliche Exposition als Feuerwehreinsatzkraft nun als kräfte im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (Casjens et krebserregend in die Kategorie 1 ein. Die IARC kommt al. 2021). Jedoch zeigten sich bei einzelnen Krebsentitäten dabei in ihrer aktuellen Neubewertung der Krebsrisiken Risikoerhöhungen um 30 bis 50 %, wie zum Beispiel für im Feuerwehrdienst unter Einbeziehung von 52 Kohorten- das maligne Melanom der Haut, Schilddrüsenkrebs und und Fall-Kontroll-Studien sowie zwölf Fallberichten und das maligne Mesotheliom. Das Neuerkrankungsrisiko aus sieben Metaanalysen zu dem Schluss, dass eine ausrei- Kohortenstudien bei Feuerwehreinsatzkräften für Pros- chende epidemiologische Evidenz („sufficient evidence“) tatakrebs war im Vergleich dazu um lediglich 10 % und für Mesotheliome und Blasenkrebs vorliegt. Für Kolon-, nicht statistisch signifikant erhöht. Für Fall-Kontroll-Stu- Prostata- und Hodenkrebs sowie für Melanome und Non- dien ergab sich ein höheres Risiko von 36 %. Dabei ist zu Hodgkin-Lymphome liegt jedoch weiterhin nur eine be- berücksichtigen, dass Kohortenstudien im Vergleich zu grenzte Evidenz („limited evidence“) vor. In Bezug auf Fall-Kontroll-Studien besser geeignet sind, Risiken abzu- Prostatakrebs wurden u.a. mögliche Verzerrungen der Er- schätzen, da sie weniger anfällig für Störfaktoren sind. gebnisse durch medizinische Screening-Untersuchungen Ein besonderes Problem bei Fall-Kontroll-Studien ist der sowie außerberufliche/persönliche Lebensstileinflüsse Selektionsbias, also die inadäquate Auswahl und Zusam- diskutiert. Insgesamt lässt sich daher auch aus der aktu- mensetzung der Kontrollgruppe. Insofern sind die ermit- alisierten Bewertung der IARC kein anerkannter kausaler telten niedrigeren Risiken für Prostatakrebs in den ein- Zusammenhang zwischen Prostatakrebs und einer Tätig- geschlossenen Kohortenstudien als valider anzusehen. keit im Feuerwehrdienst ableiten. 10
IPA-Journal 02 | 2022 · Arbeitsmedizinischer Fall Bewertung von Schadstoffexpositionen Widerspruch zu anderen vorausgegangen Studien, in im Feuerwehrdienst denen keine Zusammenhänge zwischen einer Benzolex- position und Prostatakrebs beobachtet werden konnten. Beschäftigte im Feuerwehrdienst können im Rahmen Zudem wurde die biologische Plausibilität der isolierten von Brandeinsätzen gegenüber verschiedenen potentiell Risikoerhöhung ausschließlich für diesen Differenzie- kanzerogenen Gefahrstoffen, im Wesentlichen gegenüber rungsgrad von den Autoren selbst kritisch hinterfragt polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK), (Krishnadasan et al. 2007, Gun et al. 2006, Lundberg und Cadmium, Dioxin und Benzol, exponiert sein. Dieses Milatou-Smith 1998, Wilcosky et al. 1984). wurde vom IPA im Rahmen der Begutachtung auf Basis der aktuellen Literatur systematisch evaluiert. Insgesamt liegen somit keine ausreichenden wissen- schaftlichen Erkenntnisse vor, die die Annahme eines si- Für berufliche Expositionen gegenüber PAK zeigt die Lite- gnifikant erhöhten Risikos, durch eine Exposition gegen- ratur für hochexponierte Personengruppen wie zum Bei- über den oben genannten Gefahrstoffen an Prostatakrebs spiel Kokereibeschäftigte zum Teil deutlich erhöhte Risi- zu erkranken, hinreichend begründen können. ken, an Lungen- und Harnblasentumoren zu erkranken. Für Prostatakrebs ergaben sich mit Ausnahme einzelner Studien (Costantino et al. 1995) jedoch keine konsistenten Tätigkeits-spezifischer Aspekt der Schicht- und Hinweise für ein gehäuftes Auftreten (Krech et al. 2016, Nachtarbeit Boers et al. 2005, Golka et al. 2004, Krstev et al. 1998, Tol- bert 1997). Zudem ist das Ausmaß einer PAK-Exposition Mögliche Zusammenhänge zwischen Schicht- beziehungs- bei Feuerwehreinsatzkräften deutlich niedriger einzu- weise Nachtschichtarbeit und Prostatakrebs wurden in schätzen als bei den vorgenannten hochexponierten Per- verschiedenen Studien untersucht. Eine Metaanalyse aus sonengruppen. 2018 zeigte für einige Studien Risikoerhöhungen für eine „Tätigkeit jemals in Nachtschicht“, die jedoch aufgrund Für Cadmium-Exponierte liegt eine Übersichtsarbeit der breiten Konfidenzintervalle mit einer hohen Unsicher- vor, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Cad- heit verbunden sind (National Toxicology Program 2018). miumexpositionen und dem möglichen Auftreten von Größere und damit deutlich belastbarere Studien mit da- Prostatakrebs beschäftigt (Sahmoun et al. 2005). Von elf raus resultierenden präziseren Ergebnissen zeigen jedoch Kohortenstudien wiesen lediglich drei einen positiven nur geringfügig oder nicht erhöhte Risiken. Bei langjähri- Zusammenhang auf. Insgesamt ergab sich ein leichtes ger Schichtarbeit wurden in einzelnen Studien ebenfalls und statistisch nicht gesichertes erhöhtes Risiko um 26 % höhere Risikoschätzer beobachtet, allerdings zeigte auch (SMR 1,26; 95 % Konfidenzintervall 0,83–1,84). Auch hier hier die Mehrzahl der Studien keinen eindeutigen sta- folgern die Autoren auf Basis der vorhandenen wissen- tistisch signifikanten Zusammenhang mit der Dauer der schaftlichen Erkenntnisse, dass die epidemiologischen Nachtschichttätigkeit. Auf Basis dieser Metaanalyse kann Studien keinen überzeugenden Zusammenhang zwischen kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Prostatakrebs einer Cadmiumexposition und Prostatakrebs aufzeigen. und einer Tätigkeit in Nachtschicht konstatiert werden. Dioxin konnte in jüngeren Metaanalysen ebenfalls nicht Das aktuellste systematische Review mit Metaanalyse als Risikofaktor für Prostatakrebs identifiziert werden, es berücksichtigte Publikationen bis zum 1. November 2019 fand sich aber ein erhöhtes Krebsrisiko insbesondere für (Riviera-Izquierdo et al. 2020). Diese umfangreiche Pub- Non-Hodgkin-Lymphome bei hochexponierten Personen- likation, die 18 Studien einschloss, kam ebenfalls zu dem gruppen (Xu et al. 2016, Chang et al. 2014). Ergebnis, dass der Zusammenhang von Prostatakrebs mit rotierenden Schichten bzw. Nachtschichten nicht be- Inkonsistente und damit auf Basis wissenschaftlicher gründet werden kann. Auch die IARC hat in ihrer Mono- Erkenntnisse wenig gesicherte Zusammenhänge wur- graphie zu Nachtschichtarbeit (2020) lediglich Hinweise den auch für Expositionen gegenüber Benzol gefun- und keine eindeutige Evidenz für einen Zusammenhang den. Lediglich in einer Studie konnte ein positiver Zu- zwischen Tätigkeiten in Nachtschicht und einem erhöh- sammenhang zwischen einer Benzolexposition und ten Prostatakrebsrisiko erkennen können. Die bisher nur einem bestimmten Differenzierungsgrad, dem so- publizierten Studien sind damit nicht geeignet, einen genannten Low-Grade Prostatakrebs festgestellt werden eindeutigen Zusammenhang zwischen Schicht- und (Blanc-Lapierre et al. 2018). Diese Ergebnisse stehen im Nachtarbeit und Prostatakrebs zu belegen. 11
IPA-Journal 02 | 2022 · Arbeitsmedizinischer Fall vergleichbare Personen aus der Allgemeinbevölkerung. Ein vergleichbarer Effekt wird auch bei anderen Berufen mit regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen, wie Mi- Harnblase litärangehörige und Polizisten, beobachtet. Die Autoren schlussfolgern deshalb, dass diese Faktoren wahrschein- lich zu erhöhten Inzidenzen im Vergleich zur Allgemein- bevölkerung führen. Schlussfolgerungen Krebs- geschwulst Zusammenfassend kann aus epidemiologischer Sicht insgesamt festgestellt werden, dass es aktuell keine hinreichende wissenschaftliche Evidenz für berufliche Ursachen von Prostatakrebs gibt. Abgesehen von Alter Samenblase und genetischen Faktoren bleibt die Ätiologie von Pros- tatakrebs somit weiterhin ungeklärt. Berücksichtigt man Harnleiter Prostata die nationale und internationale Literatur, liegen für den vorgestellten Fall keine ausreichenden wissenschaftli- chen Erkenntnisse vor, die einen Zusammenhang der Tä- Abb. 1 Männlicher Urogenitaltrakt mit linksseitigem Prostatakrebs tigkeit im Feuerwehrdienst und der Erkrankung an dem diagnostizierten Prostatakrebs begründen können. Die Einfluss von Screeninguntersuchungen Anerkennung als Berufskrankheit oder „wie eine Berufs- krankheit“ im Sinne § 9 Absatz 2 SGB VII konnte somit Es ist zu berücksichtigen, dass die beschriebene Erhö- nicht empfohlen werden. hung der Inzidenz für Prostatakrebs auch auf ein verbes- sertes Screeningverhalten bei Feuerwehreinsatzkräften zurückgeführt werden kann. Die in den einzelnen Stu- Die Autoren: dien berichteten Risikoerhöhungen beziehen sich vor- Prof. Dr. Thomas Behrens wiegend auf Fall-Kontroll-Studien, sind insgesamt leicht Prof. Dr. Thomas Brüning erhöht (zumeist Risikoerhöhung bis zu 20–30 %) und Dr. Christian Eisenhawer werden in ähnlicher Ausprägung auch in anderen Bevöl- Dr. Heiko U. Käfferlein kerungsgruppen, die tendenziell eher zum PSA-Screening Dr. Dirk Pallapies neigen, gesehen. Eine mögliche Verzerrung insbesonde- Dr. Dirk Taeger re durch PSA-Screening, aber auch andere nicht erfasste IPA Faktoren wird daher von den meisten Autoren diskutiert. Ein Einfluss des PSA-Screenings auf die Prostatakrebs- inzidenz ist durchaus plausibel, da die Inzidenz nach Einführung eines PSA-Screenings steigt. In den ausge- werteten Studien wurden nur Erhöhungen der Inzidenz, nicht aber der Mortalität, beobachtet. Ein Einfluss des PSA-Screenings wurde in einer aktuellen norwegischen register-basierten Studie bestätigt (Jakobsen et al. 2022). Feuerwehreinsatzkräfte waren bei der Diagnose von Prostatakrebs jünger und hatten geringere PSA-Werte als 12
IPA-Journal 02 | 2022 · Arbeitsmedizinischer Fall Literatur Blanc-Lapierre A, Sauvé J-F, Parent M-E: Occupational exposure to Krebs in Deutschland für 2017/2018. 13. Ausgabe. Robert Koch-In- benzene, toluene, xylene and styrene and risk of prostate cancer in a stitut und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in population-based study. Occup Environ Med 2018; 75: 562-572. Deutschland e.V. (Hrsg). Berlin, 2021. Boers D, Zeegers MP, Swaen GM, et al. The influence of occupational Krech S, Selinski S, Bürger H, et al. Occupational risk factors for exposure to pesticides, polycyclic aromatic hydrocar-bons, diesel ex- prostate cancer in an area of for-mer coal, iron, and steel industries haust, metal dust, metal fumes, and mineral oil on prostate cancer: in Germany. Part 2: results from a study performed in the 1990s. J a prospective cohort study. Occup Environ Med 2005; 62: 531-537. Toxicol Environ Health A 2016; 79: 1130-1135. BSG Urteil vom 08.08.2001 – B 9 U 23/01 R. Krishnadasan A, Kennedy N, Zhao Y, et al. Nested case-control study of occupational chemical exposures and prostate cancer in aero- BSG Urteil vom 27.06.2006 – B 2 U 20/04 R. space and radiation workers. Am J Ind Med 2007; 50: 383-390. Casjens S, Taeger D, Brüning T. Das Krebsrisiko von Feuerwehr- Krstev S, Baris D, Stewart P, et al. Occupational risk factors and einsatzkräften. ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2021; 56: prostate cancer in U.S. blacks and whites. Am J Ind Med 1998; 34: 359-366. 421-430. Chang ET, Bofetta P, Adami HO, et al. A critical review of the epide- Lundberg I, Milatou-Smith R. Mortality and cancer incidence among miology of Agent Orange/TCDD and prostate cancer. Eur J Epidemiol Swedish paint industry workers with long-term exposure to organic 2014; 29: 667-723. solvents. Scand J Work Environ Health 1998; 24: 270-275. Costantino JP, Redmond CK, Bearden A. Occupationally related National Toxicology Program. Draft RoC Monograph on Night Shift cancer risk among coke oven workers: 30 years of follow-up. J Occup Work and Light at Night. Report on Carcinogens, Completed Cancer Environ Med 1995; 37: 597-604. Hazard Evaluations. Office of the Report on Carcinogens, Division of Demers PA, DeMarini DM, Fent KW, et al. Carcinogenicity of occupa- the National Toxicology Program, National Institute of Environmental tional exposure as a firefighter, Lancet Oncol 2022, online ahead of Health Sciences, U.S. Department of Health and Human Services. print. 24.08.2018; https://ntp.niehs.nih.gov/pubhealth/roc/listings/shift- work/index.html. Golka K, Wiese A, Assennato G, et al. Occupational exposure and urological cancer. World J Urol 2004; 21: 382-391. Rivera-Izquierdo M, Martínez-Ruiz V, Castillo-Ruiz EM, et al. Shift Work and Prostate Cancer: An Updated Systematic Review and Meta- Gun RT, Pratt N, Ryan P, et al. Update of mortality and cancer inciden- Analysis. Int J Environ Res Public Health 2020; 17: 1345. ce in the Australian petroleum industry cohort. Occup Environ Med 2006; 63: 476-481. Straif K, Baan R, Grosse Y, et al. Carcinogenicity of shift-work, pain- ting, and fire-fighting. Lancet Oncol. 2007; 8: 1065-1066. International Agency for Research on Cancer: IARC monographs on the evaluation of carcinogenic risk to humans: Painting, Firefighting, Tolbert PE. Oils and cancer. Cancer Causes Control 1997; 8: 386-405. and Shiftwork. Volume 98, Lyon, 2010. Sahmoun AE, Douglas Case L, Jackson SA, et al. Cadmium and Pro- International Agency for Research on Cancer: IARC monographs on state Cancer: A Critical Epidemiologic Analysis. Cancer Invest 2005; the evaluation of carcinogenic risk to humans: Night Shift Work. 23: 256-263. Volume 124, Lyon, 2020. Wilcosky TC, Checkoway H, Marshall EG, et al. Cancer mortality and Jakobsen J, Veierød MB, Grimsrud TK, et al. Early detection of prosta- solvent exposures in the rubber industry. Am Ind Hyg Assoc J 1984; te cancer in firefighters: a register-based study of prognostic factors 45: 809-11. and survival. Occup Environ Med 2022; 79: 200-206. Xu J, Ye Y Huang F, et al. Association between dioxin and cancer Jalilian H, Ziaei M, Weiderpass E, et al. Cancer incidence and mortali- incidence and mortality: a meta-analysis. Sci Rep 2016; 6: 38012. ty among firefighters. Int J Cancer 2019; 145: 2639-2646. 13
IPA-Journal 02 | 2022 · Aus der Forschung Quantitative Bestimmung von Antikörpern gegen das Coronavirus (SARS-CoV-2) IPA entwickelt immunologische Testsysteme Ingrid Sander, Thomas Brüning, Monika Raulf Im IPA wurden immunologische Testsysteme entwickelt, die eine quantitative Bestimmung der Antikörper gegen das Coronavirus ermöglichen. Die Testergebnisse sind durch Berücksichtigung internationaler Standards mit Werten aus anderen Laboren vergleichbar. Die Tests erlauben eine Differenzierung zwischen einer Infektion und einer Impfreaktion. Die Testsysteme werden bereits in zwei Studien in Zusammenarbeit mit Unfallversicherungsträgern eingesetzt. Beruflicher Kontakt mit Infizierten führt insbesondere Sowohl nach Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus als auch im Gesundheits- und Pflegebereich zu einem deutlich er- nach erfolgreichen Impfungen werden Antikörper gebil- höhten Risiko an COVID-19 zu erkranken. Bis Ende Juni det, welche die Vermehrung des Virus im Körper erschwe- 2022 gab es bereits über 350.000 Verdachtsanzeigen auf ren. Die in Deutschland eingesetzten Impfstoffe enthalten eine Berufserkrankung im Zusammenhang mit COVID-19 die genetische Information oder eine Untereinheit des als und über 58.000 gemeldete Arbeitsunfälle (DGUV). „Spike-Protein“ bezeichneten Oberflächenproteins des Vi- Forschungsarbeiten zur Prävention dieser Erkrankung rus. Dieses Protein ermöglicht den Eintritt in menschliche haben daher eine hohe Priorität für die Unfallversiche- Zellen, so dass eine gegen das Spike-Protein gerichtete Im- rungsträger. munantwort die Ausbreitung des Virus besonders effektiv 14
IPA-Journal 02 | 2022 · Aus der Forschung Kurz gefasst Im IPA wurden Antikörpertests für eine quantitative Bestimmung der SARS-CoV-2-Antikörperkonzentrationen entwickelt. Die Bestimmung von Antikörpern gegen zwei unterschiedliche Proteine des SARS-CoV-2-Virus kann zwischen Impfung und Infektion unterscheiden. Die ELISA sind validiert und ihre Ergebnisse aufgrund des Bezugs zu WHO-Standards international vergleichbar. verringert. Andere Virusproteine, wie zum Beispiel das wurden für die Testentwicklung gut charakterisierte Nucleocapsid-Protein, können im Falle einer Infektion kommerzielle Komponenten zum Nachweis dieser Anti- nach Probenahme im Nasen-Rachen-Raum mit Antigen- körperklasse eingesetzt. Als SARS-CoV-2 spezifische Kom- Schnelltests nachgewiesen werden. Entsprechend werden ponenten dienten sowohl eine Untereinheit (S1) des Spike Antikörper auch gegen dieses Protein nach einer Virus Proteins, als auch das Nucleocapsid Protein, beide mit der infektion, nicht aber nach der Impfung, gebildet. Sequenz des ursprünglichen SARS-CoV-2-Virus. Mit der Entwicklung von ELISA-Systemen gegen zwei verschie- dene Virusproteine kann so zwischen der Immunantwort Frühe Entwicklung von Testverfahren am IPA nach einer Infektion oder einer Impfung unterschieden werden. Während nach einer Infektion prinzipiell gegen Bereits zu Beginn der Pandemie, im Frühjahr 2020 be- beide Proteine Antikörper gebildet werden, sind es nach gann das IPA mit der Entwicklung immunologischer Test- einer Impfung nur Antikörper gegen das Spike Protein. verfahren zur Quantifizierung menschlicher Antikörper gegen das SARS-CoV-2 Virus, die als „ELISA“ (Enzyme Linked Immunosorbent Assay) in praktisch jedem im- Quantifizierung und analytische Genauigkeit munologischen Labor durchgeführt werden können. Im ELISA werden bestimmte Moleküle über Antikörper und Als Referenz für die Umrechnung von den im Photometer eine Enzym-gekoppelte Farbreaktion nachgewiesen. gemessenen optischen Dichten der Farbreaktion in IgG- Werte wird neben den Proben eine Serummischung mit Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine kommerziellen bekannter IgG-Konzentration in einer Verdünnungsreihe quantitativen Nachweisverfahren für Humanantikörper auf jeder ELISA Platte eingesetzt (Abb. 1). gegen SARS-CoV-2 Antigene. Ziel war es, anhand der An- tikörperkonzentrationen im Blut Hinweise für die Dauer der Immunität und den Schutz vor erneuter Erkrankung nach Genesung zu erhalten. Nach der Zulassung ver- schiedener Impfstoffe konnten die Tests zum Nachweis einer Impfreaktion und zur Bestimmung der Antikörper- konzentrationen im zeitlichen Verlauf nach wiederholten Impfungen angewendet werden. Test unterscheidet zwischen Impfung und Infektion Bei SARS-CoV-2-Infektionen werden innerhalb der ersten Wochen nach der Infektion fast gleichzeitig verschiedene Klassen von Immunglobulinen, den Antikörpern, pro- duziert. Da Immunglobuline der Klasse G, abgekürzt als Abb. 1 ELISA Testplatte mit Serumproben in je drei Verdünnungen und IgG, für die andauernde Immunität am wichtigsten sind, Referenz zur Umrechnung in IgG-Konzentrationen. 15
IPA-Journal 02 | 2022 · Aus der Forschung Entscheidend für die Quantifizierung ist ein paralleler Info Verlauf der Referenzkurve und der Probenverdünnun- gen. Die ausgezeichnete Parallelität zeigte sich an der relativen Standardabweichung der Ergebnisse auf einer Die Sensitivität und die Spezifität sind Indikatoren Platte von im Mittel nur 7,1 % beim Spike S1-ELISA und für die Zuverlässigkeit von medizinischen Diagnose- 7,2 % beim Nucleocapsid-ELISA. Die Ergebnisse konnten verfahren. an verschiedenen Messtagen reproduziert werden und Dabei gibt die Sensitivität eines Tests an, wie viele er- wichen mit mittleren Standardabweichungen von nur krankte Personen von diesem Test richtig als erkrankt 11,9 % beim Spike S1 und 6,6 % beim Nucleocapsid ELISA erkannt werden. voneinander ab. Die Spezifität beschreibt, wie viele gesunde Personen von einem Testsystem als gesund erkannt werden. Laborergebnisse international vergleichbar Um Laborergebnisse international vergleichen zu kön- nen, müssen Antikörpermessungen standardisiert wer- Validierung der ELISA den. Hierfür gibt es von der World Health Organisation (WHO) zugelassene Serummischungen mit definierter Zur Validierung der ELISAs und Festlegung der Be- Antikörperbindung. Der WHO 67/086 Standard dient urteilungsgrenze („Cutoff“) wurden sowohl Proben von zur Quantifizierung von Antikörpern verschiedener Sub- Erkrankten (Positive) als auch Proben von Gesunden klassen und standardisiert anhand von „Internationalen (Negative) benötigt. Die 135 negativen Kontrollproben Units (IU)“, während der WHO 20/136 Standard an SARS- stammten aus der Biobank des IPA aus Projekten, bei CoV-2 bindende Antikörper anhand von „Binding Activity denen die Proben sicher vor Ausbruch der Pandemie ge- Units (BAU)“ standardisiert. Letzterer ist seit Anfang 2021 wonnen wurden. Die 144 positiven Proben stammten von verfügbar und enthält per Definition eine Konzentration Personen mit positivem PCR-Test auf SARS-CoV-2, die im von 1000 BAU/mL. Auch die WHO-Standards wurden im Zeitraum von 14 bis 100 Tagen nach dem positiven Er- IPA parallel zu der IgG Referenz in den ELISAs eingesetzt gebnis Blut gespendet und anonymisiert zur Verfügung (Abb. 2). Die in der Abbildung eingezeichneten Faktoren gestellt hatten. Zuvor wurde ein Datenschutzkonzept er- ermöglichen die Umrechnung der IgG-Konzentrationen stellt und das Votum der Ethik-Kommission der Medizi- in die verschiedenen Einheiten. nischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum eingeholt (Registriernummer 20-7007). WHO 67/86 [IU/mL] 3 IgG Referenz [µgA /mL] WHO 20/136 [BAU/mL] an Nucleocapsid WHO 20/136 [BAU/mL] an Spike S1 OD 414 nm 2 Faktor 6,65 Faktor 90 Faktor 25 1 Abb. 2 Paralleler Verlauf der IgG Referenz 0 kurve zu den WHO Standards mit 10 -5 10 -4 10 -3 10 -2 10 -1 10 0 10 1 Umrechnungsfaktoren zwischen den IgG Einheiten. 16
IPA-Journal 02 | 2022 · Aus der Forschung 10000 1000 (a) 1000 (b) sIgG anti-Nucleocapsid [BAU/mL] sIgG anti-Nucleocapsid [mgA /L] 10000 sIgG anti-Spike S1 [mgA /L] sIgG anti-Spike S1 [BAU/mL] 1000 100 100 1000 13 100 10 10 4 100 10 1 1 10 1 0.1 135 < LOD 14 < LOD 0.1 58 < LOD 1 < LOD Kontrollen PCR-Positive Kontrollen PCR-Positive Abb. 3a/b IgG-Ergebnisse bei PCR-Positiven und Kontrollen im Spike-S1 ELISA (a) und Nucleocapsid-ELISA (b). Gestrichelte rote Linie: Nachweisgrenze (LOD) Durchgezogene grüne Linie: Cutoff Keine der Kontrollen hatte IgG-Antikörper gegen das ELISA Ergebnisse vor und nach Impfungen Spike Protein über der Nachweisgrenze (LOD), während die PCR-Positiven im Median IgG-Werte von 4 mgA/L und Die neu entwickelten ELISA-Systeme wurden bei 48 gesun- umgerechnet 102 BAU/mL aufwiesen (Abb. 3a). Im Nuc- den Freiwilligen vor und nach Impfungen mit dem Impfstoff leocapsid-ELISA lagen 58 Kontrollen und eine PCR-Posi- von BioNTech-Pfizer eingesetzt (Impfgruppe, Abb. 4). Zu- tive Person unter der Nachweisgrenze. Der Median-Wert sätzlich wurden auch zehn Personen, die zuvor einen posi- bei den PCR-Positiven lag bei 13 mgA/L und umgerechnet tiven PCR-Test hatten, nach ihrer Impfung getestet. 84 BAU/mL (Abbildung 3b). Anhand der Kontrollen wird die Spezifität beurteilt, anhand der PCR-Positiven die Nach der Erstimpfung hatten 92 % der gesunden Freiwil- Sensitivität. Der „Cutoff“ zur optimalen diagnostischen ligen (a) IgG-Antikörper gegen das Spike-S1-Protein von 1000 im anti-SARS-CoV2-Spike S1 IgG [BAU/mL] anti-SARS-CoV2-Spike S1 IgG [mgA /L] 10000 Beurteilung findet sich beim Maximum der Summe aus Median 100 BAU/mL; nach der 2. Impfung wiesen 98 % Sensitivität und Spezifität. IgG-Antikörper2438von im Median 1457 BAU/mL 1457 auf (Abb. 100 1000 4a). Noch höher lagen die IgG-Antikörper gegen das Insbesondere die Spezifität der ELISA beim optimalen Spike-S1-Protein bei den zuvor PCR-Positiven nach 10Erst- 100 102 100 „Cutoff“ ist mit 100 % beim Spike S1 ELISA und 96,3 % impfung. Die Antikörper gegen das Nucleocapsid-Protein beim Nucleocapsid ELISA ausgezeichnet. blieben dagegen wie erwartet von der Impfung unbe 1 10 einflusst (Abb. 4b). 5 0,1 n = 144 n = 10 n = 47 n = 48 n = 48 1 PCR-Positive PCR-Positive Impfgruppe Impfgruppe Impfgruppe ohne Impfung nach vor nach nach 1. Impfung 1. Impfung 1.Impfung 2. Impfung (a) 1000 10000 (b) anti-SARS-CoV2-Nucleocapsid IgG [BAU/mL] anti-SARS-CoV2-Nucleocapsid IgG [mgA /L] 1000 anti-SARS-CoV2-Spike S1 IgG [BAU/mL] anti-SARS-CoV2-Spike S1 IgG [mgA /L] 10000 2438 100 1000 1457 100 1000 10 100 84 10 100 102 100 29 1 10 10 8 6 1 10 5 0,1 1 n = 144 n = 10 n = 47 n = 48 n = 48 n = 144 n = 10 n = 47 n = 48 n = 48 0,1 1 PCR-Positive PCR-Positive Impfgruppe Impfgruppe Impfgruppe PCR-Positive PCR-Positive Impfgruppe Impfgruppe Impfgruppe ohne Impfung nach vor nach nach ohne Impfung nach vor nach nach 1. Impfung 1. Impfung 1.Impfung 2. Impfung 1. Impfung 1. Impfung 1. Impfung 2. Impfung 10000 (b) V2-Nucleocapsid IgG [BAU/mL] anti-SARS-CoV2-Nucleocapsid 1000 Abb. 4a/b Antikörperkonzentrationen gegen das Spike S1 Protein (a) und das Nucleocapsid (b). 1000 100 100 84 10 17 29
IPA-Journal 02 | 2022 · Aus der Forschung Ausblick Die neuentwickelten Antikörpertests werden derzeit in zwei laufenden Studien eingesetzt. In einer Kohortenstu- Danksagung die „VAC-Studie“ werden die Antikörperkonzentrationen Der Dank gilt unseren Bochumer Projektpartnern im Verlauf vor und nach wiederholten Impfungen und Dr. Philipp Göcke aus der Praxis für Labormedizin ihre Schutzwirkung vor Infektion über einen Zeitraum und Mikrobiologie und Prof. Herrmann aus der von zwei Jahren verfolgt. In der „PostCovid und Immun- Praxis für Endokrinologie und Laborforschung für status-Studie“, die von der Berufsgenossenschaft für Ge- die Probensammlung von PCR-positiv Getesteten. sundheitsdienst und Wohlfahrtspflege initiiert wurde, dienen die Antikörpertests neben weiteren Methoden zur Bestimmung des Immunstatus nach einer SARS-CoV-2- Infektion bei Versicherten aus dem Gesundheitswesen. Die hier zusammengefassten Ergebnisse wurden bereits publiziert (Sander et al. 2022). Zwischenergebnisse der Ein großer Vorteil der im IPA entwickelten ELISA-Systeme VAC-Studie wurden bei der DGAUM Jahrestagung 2022 ist die Entwicklung aus kommerziell erhältlichen Kom- vorgestellt und werden derzeit für eine Originalpublika- ponenten. Die Durchführung der Tests ist mit üblicher tion zusammengefasst. Laborausstattung ohne zusätzliche Messgeräte und teu- re Testmaterialien möglich. Außerdem können IgG-Anti körper gegen weitere Antigene, wie zum Beispiel die Die Autoren: Omikron-Variante des Spike-Proteins, nach gleichem Prof. Dr. Thomas Brüning Schema und mit den gleichen Referenzen quantifiziert Prof. Dr. Monika Raulf und verglichen werden. Auch diese ELISA-Variante wurde Dr. Ingrid Sander mittlerweile erfolgreich im IPA etabliert und wird bereits IPA in der VAC-Studie eingesetzt. Vor dem Hintergrund einer hohen Anzahl Infizierter auch nach Impfungen bleibt es eine offene Forschungsfrage, welche Antiköperkon- zentrationen einen Schutz vor schweren Verläufen von COVID-19 Erkrankungen vorhersagen können. Literatur DGUV. Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle im Zusammenhang Sander I, Kespohl S, Zahradnik E, Göcke P, Hosbach I, Herrmann BL, mit COVID-19: https://www.dguv.de/medien/inhalt/mediencenter/ Brüning T, Raulf M. Quantitative measurement of IgG to SARS-CoV-2 hintergrund/covid/dguv_zahlen_covid.pdf (abgerufen am antigens using monoclonal antibody-based enzyme-linked immuno- 19.07.2022) sorbent assays. Clin. Transl. Immunol. 2022; 11:e1369. Doi: 10.1002/ cti2.1369 18
IPA-Journal 02 | 2022 · Für Sie gelesen Für Sie gelesen Physisches und psychisches Wohl befinden bei Arbeiten im Homeoffice Yijing X, Becerik-Gerber B, Lucas G, Roll SC. Impacts of Working from Home During COVID-19 Pandemic on Physical and Mental Well-Being of Office Workstation Users. J Occup Environ Med 2021; 63:181-190 einem Kleinkind der stärkste Einflussfaktor für die Mel- In der Literatur werden zunehmend negative Aspekte dung neuer Probleme. Darüber hinaus waren die fle- von mobiler Arbeit beschrieben: Fehlende Kontakte zu xible Planung der Arbeitszeiten „um andere Personen Kollegen und Kolleginnen, eine verringerte körperliche herum“, gestiegene Arbeitszeiten und ein ergonomisch Aktivität, schlechtere Ernährung, lange Bildschirmar- schlecht eingerichteter Arbeitsplatz mit einer höheren beitszeiten, Zunahme der Anzahl und enge Taktung von Wahrscheinlichkeit von körperlichen oder psychischen Online-Besprechungen, ergonomisch unzureichende Gesundheitsproblemen verbunden. Arbeitsplätze und -mittel sowie Unterbrechungen durch andere im Haushalt lebende Personen können insgesamt Die Ergebnisse der Arbeit deuten auf ein insgesamt redu- zu erhöhten psychischen Belastungen, Fatigue, Schmer- ziertes körperliches und psychisches Wohlbefinden von zen sowie Augenbeschwerden führen. Beschäftigten nach der pandemiebedingten Aufnahme von mobiler Arbeit hin, welches durch Lebensstilfakto- In der vorliegenden Arbeit wurden daher Zusammen- ren, die Arbeitsumgebung und soziale Aspekte beein- hänge zwischen verschiedenen sozialen und verhaltens- flusst wird. Die Arbeit im Homeoffice stellt offensichtlich bezogenen Faktoren mit dem physischen und psychi- insbesondere für Frauen mit einer möglichen Doppel- schen Wohlbefinden von 998 US-Büroangestellten, die belastung im Haushalt eine große Herausforderung dar. aufgrund der COVID-19-Pandemie Vollzeit im Homeoffice Potentiell intensivere Arbeitszeiten ohne angemessene arbeiten mussten, untersucht. Positive Assoziationen Pausen und die erschwerte Organisation der Arbeit zu- mit einem verbesserten Wohlbefinden beschrieben die hause stehen dabei möglicherweise in direktem Zusam- Autoren unter anderem durch ein höheres Maß an kör- menhang mit den geäußerten Beschwerden. perlicher Aktivität, eine verstärkte Kommunikation mit Kollegen sowie durch die Anwesenheit eines Kindes im Haushalt. Der Autor: Prof. Dr. Thomas Behrens Ein weiteres Ergebnis der Studie war jedoch auch, dass IPA ca. 65 % der Befragten über neu aufgetretene körperli- che und 74 % über neue psychische Probleme seit Auf- nahme der Tätigkeit im Homeoffice berichteten. Hier- bei gaben vor allem Frauen und Teilnehmende aus den unteren Einkommensgruppen häufiger Beschwerden an. Im Gegensatz zum positiven Einfluss auf das Wohlbefin- den insgesamt war das Zusammenleben mit mindestens 19
IPA-Journal 02 | 2022 · Aus der Forschung Psychische Beanspruchung durch die SARS-CoV-2-Pandemie Ergebnisse der IPA-Studie unter Beschäftigten aus verschiedenen Branchen und Berufsgruppen Swaantje Casjens, Dirk Taeger, Thomas Brüning, Thomas Behrens Bestimmte Berufsgruppen sind in der Pandemie einem erhöhten arbeitsbedingten Infektions risiko ausgesetzt. Für diese Berufsgruppen wurden auch psychosoziale Belastungen als Folge der Pandemie diskutiert. In der vorgestellten IPA-Studie wurde die psychische Beanspruchung von Beschäftigten außerhalb des Gesundheitssektors zu Beginn und während der zweiten Corona-Welle in Deutschland untersucht. Die SARS-CoV-2-Pandemie gefährdet die globale Gesund- Infektionsrisiko ist branchenabhängig heit und stellt Beschäftigte und Unternehmen vor große Herausforderungen. Um die Übertragung von SARS-CoV-2 Schon früh in der Pandemie wurde deutlich, dass das Ri- zu minimieren, wurden neben der Impfung insbesonde- siko einer SARS-CoV-2-Infektion je nach Branche variiert. re nicht-pharmazeutische Maßnahmen ergriffen, wie die Zweifellos gehörten Beschäftigte im Gesundheitswesen zu AHA+L-Regeln oder die Schließung von Bildungseinrich- der am stärksten betroffenen Berufsgruppe (Gómez-Ochoa tungen und von Geschäften mit Waren, die nicht für den et al. 2021). Aber auch bei Beschäftigten im öffentlichen täglichen Bedarf bestimmt sind. Je nach Berufsgruppe Personennahverkehr (ÖPNV), im Lebensmitteleinzelhan- und Branche wurden neue Beschäftigungsformen einge- del sowie in Bildungseinrichtungen und im Bereich Sozial- führt und mobile Arbeitsmodelle umgesetzt. arbeit wurden teilweise erhöhte Raten von COVID-19-Fällen 20
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