Iran und Russland Azadeh Zamirirad - SWP-Studie

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SWP-Studie
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale
Politik und Sicherheit

                                        Azadeh Zamirirad

                                        Iran und Russland
                                        Perspektiven der bilateralen Beziehungen
                                        aus Sicht der Islamischen Republik

                                        S7
                                        April 2017
                                        Berlin
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ISSN 1611-6372
Inhalt

5    Problemstellung und Empfehlungen

7    Iran und Russland: Die bilateralen
     Beziehungen im Überblick
 7   Etappen seit 1979
 9   Nuklear- und militärtechnologische Kooperation
11   Wirtschafts- und Kulturbeziehungen

13   Außenpolitische Anknüpfungspunkte
13   Die inneriranische Debatte
14   Ordnungspolitische Gemeinsamkeiten

16   Russland als geopolitischer Mit- und
     Gegenspieler
16   Interessendivergenzen in Syrien
18   Abstimmung in Zentralasien und Afghanistan
21   Rivalität auf dem Energiemarkt
23   Regionale Koordination in der Shanghaier
     Organisation für Zusammenarbeit

25   Aussichten einer »strategischen Partnerschaft«
25   Grenzen der Partnerschaft
27   Wenn keine »strategische Partnerschaft«,
     was dann?

28   Schlussfolgerungen und Implikationen für
     Deutschland und die EU
28   Handlungsempfehlungen

30   Abkürzungen
Azadeh Zamirirad ist Wissenschaftlerin in der
Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika
Problemstellung und Empfehlungen

Iran und Russland
Perspektiven der bilateralen Beziehungen aus Sicht
der Islamischen Republik

Iran und Russland sind in eine neue Phase bilateraler
Beziehungen eingetreten. Spätestens seit die Islamische
Republik im August 2016 kurzzeitig ihren Luftstütz-
punkt Nojeh in der Provinz Hamedan für russische
Kampfflugzeuge zur Verfügung stellte, ist deutlich
geworden, dass sich das iranisch-russische Verhältnis
qualitativ verändert hat. Nicht zufällig wählte der
iranische Präsident Hassan Rohani Russland als Ziel
seiner letzten großen Auslandsreise vor den iranischen
Präsidentschaftwahlen im Mai 2017. Teheran behält
seinen außenpolitischen »Blick nach Osten« bei. Dieser
Ansatz strategischer Anbindung an Staaten wie Russ-
land oder China, der erstmals im Zuge der Nuklear-
krise ausformuliert wurde, hat seit der russischen
Militärintervention in Syrien eine weitere Etappe er-
reicht. 2015 verkündete Ali Akbar Velayati, außen-
politischer Berater des Revolutionsführers, Iran wolle
seine Beziehungen zu Russland unter jener Prämisse
stärken und ausbauen.
   Zu diesem Zweck hat Teheran seine Kooperations-
bemühungen mit Moskau intensiviert. 2014 erhielt
Russland den Zuschlag zum Bau acht weiterer Atom-
kraftwerke in Iran. Anfang 2015 unterzeichneten die
beiden Länder ein Militärabkommen, dem nach der
Nuklearvereinbarung vom Juli desselben Jahres eine
Reihe weiterer Abmachungen zu wichtigen Groß-
projekten im Energie-, Bau- und Kommunikations-
sektor folgten. Im April 2016 hob Präsident Putin den
Lieferstopp für das von Iran schon 2007 bestellte
russische Raketenabwehrsystem vom Typ S-300 auf,
welcher die bilateralen Beziehungen seit 2010 belastet
hatte. Und zuletzt wurden im März 2017 vierzehn
Vereinbarungen getroffen, durch welche die politi-
sche, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit
ausgebaut werden soll. Zugleich ist das Verhältnis
aber von unterschiedlichen geopolitischen Interessen,
einer Rivalität auf dem Energiemarkt und vom un-
geklärten Rechtsstatus des Kaspischen Meeres geprägt.
Insbesondere die Unterstützung beider Länder für die
syrische Regierung hat die Frage aufgeworfen, ob das
Bündnis eine grundlegende geopolitische Verschie-
bung im Nahen und Mittleren Osten einläutet oder
lediglich eine Zweckgemeinschaft auf Zeit darstellt.

                                               SWP Berlin
                                        Iran und Russland
                                                April 2017

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Problemstellung und Empfehlungen

            Vor diesem Hintergrund werden in dieser Studie         gen als auch Konsequenzen für den Handlungsspiel-
         nicht nur die iranisch-russischen Beziehungen skiz-       raum Deutschlands und der EU in der MENA-Region
         ziert, sondern auch Teherans Erwartungen an Moskau        (Middle East and North Africa). Berlin und Brüssel
         offengelegt. Für die Analyse des Spannungsfeldes, in      müssen sich darauf einstellen, dass Teheran im Nahen
         dem sich die iranisch-russischen Beziehungen bewegen,     und Mittleren Osten auch weiterhin machtpolitische
         werden beiderseitige Interessenkonvergenzen und           Bündnisse mit Moskau eingehen wird, deren geopoli-
         -divergenzen herausgearbeitet, so in militärischen        tisches Gewicht nicht ignoriert werden kann. Deutsch-
         Konfliktherden wie Syrien oder Regionalverbünden          land und die EU können dazu beitragen, dass Irans
         wie der Shanghaier Organisation für Zusammen-             gestiegenes Interesse an politischen und militärischen
         arbeit. Auf der Grundlage von Gesprächen mit irani-       Kooperationen mit Russland keine neue Form politi-
         schen Analysten, außenpolitischen Beratern und            scher Blockbildung in der Region nach sich zieht.
         Regierungsvertretern wird die inneriranische Debatte      Voraussetzung dafür ist, dass Berlin und Brüssel ihre
         über Potential und Umfang der Beziehungen zu              Beziehungen zur Islamischen Republik nicht nur auf
         Russland dargelegt. Dabei zeigt sich, dass innerhalb      Möglichkeiten wirtschaftlicher und technologischer
         der iranischen Führung die Frage einer stärkeren          Kooperation ausrichten, sondern auch unter sicher-
         außenpolitischen Anbindung an Russland unterschied-       heitspolitischen Gesichtspunkten betrachten. Hierzu
         lich beantwortet wird. Neben Gegnern und Befürwor-        gilt es, neue gemeinsame Handlungsfelder zu erschlie-
         tern einer engen politischen Partnerschaft gibt es        ßen, beispielsweise für die Stabilisierung von Irans
         auch Stimmen, die nur eine partielle Annäherung an        Nachbarstaaten. Nicht zuletzt sollten Deutschland
         Russland anstreben und die Zusammenarbeit nicht           und die EU gemeinsam mit Teheran unter Beteiligung
         auf Kosten anderweitiger Beziehungen, etwa mit der        Moskaus daran mitwirken, ein Modell für eine sicher-
         EU, vorantreiben wollen.                                  heitspolitische Architektur in der MENA-Region zu
            Zudem wird in der Studie aufgezeigt, wie in der        erarbeiten.
         Islamischen Republik die Aussichten auf eine »strate-
         gische Partnerschaft« mit Russland beurteilt werden.
         Die iranische Debatte gibt Aufschluss über Teherans
         Vorstellung einer derartigen Partnerschaft: ein nach
         gemeinsam definierten Interessen agierendes, zuver-
         lässiges Bündnis, das Iran für den Krisenfall Unter-
         stützung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
         und militärischen Beistand garantiert. In der Studie
         werden die Grenzen der Beziehungen zu Russland und
         damit die Hindernisse für eine »strategische Partner-
         schaft« verdeutlicht. Diese liegen unter anderem in
         Moskaus Beziehungen zu Teherans Rivalen, dem
         asymmetrischen Machtverhältnis zwischen Iran und
         Russland und der mangelnden strategischen Fokus-
         sierung, die Teheran der russischen Außenpolitik
         unterstellt. Trotz offenkundiger Hürden ist die Isla-
         mische Republik fest entschlossen, die bilateralen
         Beziehungen auf der nuklearpolitischen, militärtech-
         nologischen und sicherheitspolitischen Ebene be-
         trächtlich auszubauen. Dabei hat Teheran kein Inter-
         esse an langfristigen Bündnisverpflichtungen, die
         den eigenen regionalen Handlungsspielraum ein-
         schränken könnten. Eine prioritäre Partnerschaft mit
         Russland, die fallbasierte Allianzen auf Zeit ermög-
         licht, ist unter der derzeitigen iranischen Führung die
         wahrscheinlichste Option.
            Charakter und Intensität russisch-iranischer Koope-
         ration haben sowohl sicherheitspolitische Auswirkun-

         SWP Berlin
         Iran und Russland
         April 2017

         6
Etappen seit 1979

Iran und Russland: Die bilateralen Beziehungen im Überblick

Das iranisch-russische Verhältnis ist durch eine Ge-      schritten die afghanisch-iranische Grenze und stellten
schichte zahlreicher Konflikte und geopolitischen         Teheran vor große finanzielle und logistische Heraus-
Wettbewerbs gekennzeichnet. Im 18. und 19. Jahrhun-       forderungen. Besonders schwer wog jedoch die sowje-
dert standen sich Persien und das Russische Reich in      tische Unterstützung für den irakischen Staatschef
vier kriegerischen Auseinandersetzungen gegenüber.        Saddam Hussein während des Iran-Irak-Krieges, als
Aufgrund der militärischen Niederlagen gegen das          Moskau sich nicht nur politisch auf die Seite Bagdads
Zarenreich verlor Persien weite Teile seines Territori-   stellte, sondern Irak auch mit Waffen belieferte. Iran
ums an Russland, darunter die Gebiete des heutigen        schrieb der Sowjetunion wesentliche Verantwortung
Armeniens, Georgiens, Dagestans und Aserbaidschans.       für den Kriegsausbruch zu. 1
Das persische Reich war gezwungen, den territorialen         Erst nach dem Ende des Iran-Irak-Krieges 1988,
Abtretungen durch den Frieden von Gulistan (1813)         dem Tod Ayatollah Khomeinis 1989 und dem Zerfall
und den Frieden von Turkmantschai (1828) zuzustim-        der Sowjetunion 1991 setzte eine Phase politischer
men – zwei Verträge, die in Iran noch heute als           Entspannung in den russisch-iranischen Beziehungen
Schmach gelten. Die russisch-persischen Kriege ende-      ein. 2 Die beiden Staaten verband die Sorge über eine
ten mit einer russischen Vorherrschaft im Kaukasus        verstärkte Präsenz US-amerikanischer Truppen am
und einem schweren geopolitischen Bedeutungsver-          Persischen Golf. Eine politische Wende zeichnete sich
lust Persiens. Mehrmals griff Russland in der Folge in    1989 ab, als Irans damaliger Parlamentspräsident Ali-
inneriranische Entwicklungen ein. Unvergessen sind        Akbar Haschemi Rafsanjani in Moskau zu Gesprächen
in Iran der sowjetische Beistand für die Sezessions-      mit dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow
bestrebungen der 1920 ausgerufenen Räterepubliken         zusammentraf. Teheran und Moskau unterzeichneten
in den iranischen Provinzen Gilan und Aserbaidschan,      mehrere Verträge, unter anderem über die Fertig-
die Besetzung Nordirans durch sowjetische Streitkräf-     stellung des Kernkraftwerks nahe der iranischen Stadt
te im Zweiten Weltkrieg oder die Unterstützung für        Buschehr sowie über die Lieferung von Waffen und
die prosowjetische Tudehpartei Irans, die sich gewalt-    Militärtechnologie im Wert von bis zu 4 Milliarden US-
sam gegen die politische Ordnung des Landes erhob.        Dollar. 3 Durch das Übereinkommen löste Russland die
Tiefsitzendes Misstrauen prägte daher bereits das Russ-   USA als wichtigster Waffenlieferant Irans ab.
landbild in Iran, als nach der Revolution von 1979 die       Während Iran bis in die späten 1980er Jahre den
Islamische Republik gegründet wurde.                      erneuten Einzug kommunistischer Ideen und Wider-
                                                          standsbewegungen über seine gemeinsame Grenze
                                                          mit der Sowjetunion befürchtete, war die Sorge mit
Etappen seit 1979                                         dem Zerfall der UdSSR hinfällig. Neue Republiken
                                                          entstanden am Kaspischen Meer und ersetzten die
Auch nach dem Sturz der persischen Monarchie blie-        Sowjetunion als Nachbarstaat Irans. Mit ihnen ver-
ben die iranisch-russischen Beziehungen turbulent.        band Iran eine gemeinsame Geschichte, Sprache und
Unter dem Revolutionsführer Ayatollah Khomeini            Kultur. Damit eröffneten sich der Islamischen Repu-
entzog sich die neu gegründete Islamische Republik        blik Einflussmöglichkeiten, vor allem mit Blick auf
getreu der Devise »Weder Ost noch West, Islamische
Republik« der Blockzuordnung des Kalten Krieges und         1 Abbas Maleki, »Iran and Russia: Neighbours without
erhob ihre Unabhängigkeit zum außenpolitischen              Common Borders«, in: Gennady Chufrin (Hg.), Russia and Asia.
Gebot. Eine strategische Anbindung an die Sowjet-           The Emerging Security Agenda, Oxford 1999, S. 181–196 (181).
union war ideologisch nicht mit der theokratisch            2 Mark N. Katz, Iran and Russia, Washington D.C.: United
                                                            States Institute of Peace, August 2015 (The Iran Primer), S. 2,
verfassten Ordnung Irans vereinbar. Die im Dezember
                                                             (Zugriff am 2.9.2016).
hatte für die Islamische Republik unmittelbare Kon-         3 Anoushiravan Ehteshami, After Khomeini. The Iranian Second
sequenzen. Mehr als zwei Millionen Flüchtlinge über-        Republic, London 1995, S. 177.

                                                                                                                 SWP Berlin
                                                                                                          Iran und Russland
                                                                                                                  April 2017

                                                                                                                              7
Iran und Russland: Die bilateralen Beziehungen im Überblick

          Karte 1: Iran und Russland in der Region

                  SWP Berlin
                  Iran und Russland
                  April 2017

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Nuklear- und militärtechnologische Kooperation

den erheblichen muslimischen Bevölkerungsanteil           zwischen den beiden Ländern aufgefasst, der die
dieser Republiken. Doch Teheran zeigte sich zurück-       Beziehungen der Staaten unter stärker strategischen
haltend. Der ideologische Anspruch der frühen Jahre,      Gesichtspunkten ausweiten soll. 5
eine Außenpolitik des »Revolutionsexports« zu betrei-
ben, wurde unter der späteren Präsidentschaft Rafsan-
janis zugunsten pragmatischer Realpolitik zurückge-       Nuklear- und militärtechnologische
stellt. Der Wegfall der gemeinsamen Grenze aufgrund       Kooperation
des Zusammenbruchs der Sowjetunion führte damit
zwar zu größerer territorialer Distanz zwischen Iran      Nuklear- und militärtechnologische Kooperationen
und Russland, politisch aber zu einer Annäherung. 4       bilden das größte potentielle Wachstumsfeld der
   Als erster Präsident in der Geschichte der Islami-     kommenden Jahre zwischen Iran und Russland. Mit
schen Republik reiste Mohammad Khatami 2001 nach          der Bereitschaft, der Islamischen Republik Waffen-
Moskau. Die anfängliche Sorge der russischen Füh-         systeme und nukleare Technologie zu liefern, hat sich
rung, Khatamis proklamierter »Dialog der Kulturen«        Moskau zu einem begehrten Ansprechpartner Tehe-
könne den Auftakt zu einer iranisch-amerikanischen        rans entwickelt. Russland verkaufte vor allem in den
Annäherung bilden, erwies sich als gegenstandslos,        frühen 1990er Jahren Waffen an Iran, bis es sich 1995
nachdem Mahmud Ahmadinejad 2005 Khatami im                mit der Gore-Tschernomyrdin-Vereinbarung gegen-
Amt nachgefolgt war. Die unter Ahmadinejad eingelei-      über den USA verpflichtete, künftig weder militärische
tete Politik eines »Blicks nach Osten« (negah be sharq)   Güter nach Iran zu exportieren noch nukleartechni-
wandte sich dezidiert von der vorsichtigen Öffnung        sche Sachkenntnis zur Verfügung zu stellen. Die Ab-
gegenüber westlichen Staaten ab und suchte nach           machung sah vor, dass Russland zwar bereits geschlos-
neuen Allianzen. Neben Ländern wie Russland und           sene Verträge erfüllen, aber keine neuen mehr unter-
China schloss dieser »Osten« auch die Blockfreien         zeichnen sollte, und blieb bis 2000 in Kraft. Dies wurde
Staaten ein und wurde unter Ahmadinejad somit             in Teheran als Mahnung aufgefasst, dass im Zuge
nicht rein geographisch, sondern politisch aufgefasst.    russisch-amerikanischer Verhandlungen iranische
Die neue Regierung setzte darauf, durch verstärkte        Interessen hintangestellt würden.
Kooperation mit dem »Osten« ein politisches Gegen-           Dass Teheran mit Moskauer Kehrtwenden rechnen
gewicht zum »Westen« zu schaffen.                         muss, zeigte sich auch bei der Auslieferung des russi-
   Mit der dritten Amtszeit Wladimir Putins als Präsi-    schen S-300-Raketenabwehrsystems. 2007 hatten Iran
dent begann die bislang intensivste Phase russisch-       und Russland einen Vertrag über den Verkauf des
iranischer Zusammenarbeit. Diese wurde durch die          S-300 im Wert von 800 Millionen US-Dollar geschlos-
russische Besetzung der Krim im Februar 2014, die         sen. Infolge der Resolution 1929 des Sicherheitsrats
Krise um die Ukraine und die anschließende Abwärts-       der Vereinten Nationen, die Sanktionen gegen Irans
spirale in den russisch-amerikanischen Beziehungen        Atomprogramm vorsah, fror Präsident Dmitri Med-
zusätzlich befördert. Zugleich fanden sich Teheran        wedew die Vereinbarung ein. Teheran warf Moskau
und Moskau aufgrund ihrer militärischen Unterstüt-        Vertragsbruch vor und klagte beim Internationalen
zung für den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad       Schiedsgerichtshof in Genf auf Schadensersatz in
in einem gemeinschaftlichen Block wieder, der mehr        Höhe von 4 Milliarden US-Dollar. 6 Erst unter Putin
politische Koordination der beiden Staaten erforder-      verkündete Russland im April 2015, dass es den Liefer-
lich machte.                                              stopp aufheben wolle. Ein Jahr später begann Moskau,
   Mit der am 14. Juli 2015 erzielten Nuklearverein-      das Abwehrsystem auszuliefern, bevor im Oktober
barung (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPoA)        2016 schließlich auch die letzten Komponenten nach
wurde schließlich der Weg geebnet, internationale         Iran exportiert wurden. 7 Schon im Mai 2016 hatte
Sanktionen auszusetzen und damit den bilateralen
Handel sowie die nukleare und militärtechnologische         5 »Jenseits von Formalitäten – Bericht von Dr. Velayati
Zusammenarbeit auszubauen. Kurz nach Abschluss              über den gestrigen Besuch Putins beim Revolutionsführer«
der Vereinbarung traf Putin mit Revolutionsführer           (persisch), in: khamenei.ir (online), 24.11.2015,  (Zugriff am 5.3.2016).
Ali Khamenei zusammen. Dies wurde in Teheran als
                                                            6 »Russland: Iran soll seine S-300-Klage fallen lassen!« (per-
wichtiges Signal für einen substantiellen Austausch         sisch), in: Tabnak (online), 31.5.2013,  (Zugriff am 9.9.2016).
  4 Maleki, »Iran and Russia« [wie Fn. 1], S. 195.          7 »Die Rolle des S-300 für die Steigerung der Verteidigungs-

                                                                                                                 SWP Berlin
                                                                                                          Iran und Russland
                                                                                                                  April 2017

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Iran und Russland: Die bilateralen Beziehungen im Überblick

          Teheran bekundet, es werde die Klage fallenlassen,                   tionen beeinträchtigten Wirtschaftslage hat die russi-
          wenn das System vollständig ausgeliefert würde. 8 Mit                sche Rüstungsindustrie ein besonderes Interesse daran,
          der Aufhebung des Lieferstopps und dem Rückzug                       den Lieferumfang gegenüber Iran zu erhöhen. Aller-
          der Klage konnte eine wesentliche Belastung für die                  dings steht der Export bestimmter Waffensysteme
          iranisch-russischen Beziehungen beseitigt werden.                    nach Iran unter dem Vorbehalt der Billigung durch
             Dass Iran und Russland auf absehbare Zeit stärker                 den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Die infolge
          militärtechnologisch kooperieren wollen, wurde beim                  der Nuklearvereinbarung verabschiedete Resolution
          Treffen des russischen Verteidigungsministers Sergei                 2231 vom 19. Oktober 2015 sieht vor, die Lieferung
          Schoigu mit seinem iranischen Kollegen Hossein Deh-                  schwerer konventioneller Waffen für fünf Jahre zu
          ghan im Januar 2015 deutlich. Schoigu und Dehghan                    beschränken, darunter Panzer, Hubschrauber und
          unterzeichneten in Teheran eine Vereinbarung, die                    bewaffnete Fahrzeuge. 13 Ausnahmeregelungen sind
          die Zusammenarbeit in den Bereichen Informations-                    nur im Einzelfall möglich und müssen vom Sicher-
          austausch, militärische Ausbildung und Koordination                  heitsrat bewilligt werden. Aufgrund dieser politischen
          der Terrorismusbekämpfung regelt. 9 Zugleich hieß es                 Hürde wird Russland militärische Ausrüstung frühe-
          in russischen Medien, dass es keine Waffenlieferungs-                stens 2020 nach Iran exportieren können.
          verträge in großem Stil geben werde. 10 Dagegen ist die                 Iran setzt aber nicht nur auf den Kauf, sondern
          Islamische Republik an umfangreichen Kaufabschlüs-                   will auch Lizenzen erwerben, um spezielle russische
          sen für Waffen und Militärtechnologie interessiert,                  Waffensysteme selbst herstellen zu können. Der An-
          um die eigenen Streitkräfte, allen voran die Luftwaffe,              satz folgt dem iranischen Anspruch auf Autarkie und
          modernisieren zu können.                                             einheimische Technologie, der in der Wirtschafts-,
             Anfang 2016 reiste Dehghan nach Moskau, um wei-                   aber auch der Nuklear- und Militärsphäre verfolgt
          tere Möglichkeiten militärtechnologischer Zusammen-                  wird. 14 So lehnte Iran das russische Angebot ab, an-
          arbeit zu erörtern. Bei den Gesprächen soll der Erwerb               gesichts der Lieferverzögerung statt des S-300-Systems
          von russischen SU-30-Kampfflugzeugen, Yak-30-Trai-                   das neuere Modell S-400 zu erwerben. Seit dem russi-
          ningsflugzeugen, Militärhubschraubern, Panzern                       schen Lieferstopp von 2010 arbeitete Iran an einem
          sowie Raketensystemen für die Küstenwache und Luft-                  eigenen Raketenabwehrsystem, dem Bavar-373, dessen
          abwehr zur Diskussion gestanden haben. 11 Bislang ist                Komponenten in Anwesenheit von Präsident Rohani
          der Umfang russischer Waffenlieferungen nach Iran                    erstmals im August 2016 vorgestellt wurden. 15
          vergleichsweise gering. 2013 belief sich deren Wert                     Neben dem Handel mit Militärtechnologie ist auch
          auf 22 Millionen, im folgenden Jahr sogar nur auf                    die Nuklearkooperation ausbaufähig. Die Islamische
          4 Millionen US-Dollar. Nach Irak dagegen lieferte Russ-              Republik schloss bereits 1992 ein Kooperationsabkom-
          land im Jahr 2013 Waffen für 52 Millionen, 2014 gar                  men mit Russland zur zivilen Nutzung von Kern-
          für 317 Millionen US-Dollar. 12 Wegen der durch Sank-
                                                                                 13 »All States may participate in and permit, provided that the
               kapazität des Landes« (persisch), in: Fars News, 19.10.2016,      Security Council decides in advance on a case-by-case basis to
                                approve: the supply, sale or transfer […] to Iran, or for the use
               (Zugriff am 19.10.2016); »Russia Completes Supplies of S-300      in or benefit of Iran, of any battle tanks, armoured combat
               Air Defense Systems to Iran«, The Iran Project, 13.10.2016,       vehicles, large caliber artillery systems, combat aircraft,
               .                        defined for the purpose of the United Nations Register of
               8 »Russland: Iran soll seine S-300-Klage fallen lassen!« [wie     Conventional Arms […].« United Nations Security Council,
               Fn. 6]; »S-300 Lawsuit Could Be Withdrawn«, in: Financial         Resolution 2231 (2015), 20.7.2015, Annex B, Paragraph 5, S. 100,
               Tribune, 25.5.2016,  (Zugriff am 12.2.2016).
               9 »Wieso die Reise dieses russischen Generals nach Iran so        14 Am Nationalen Tag der Verteidigungsindustrie im Som-
               große Bedeutung hat« (persisch), in: Entekhab (online),           mer 2015 bekräftigte Rohani dieses Prinzip und lobte aus-
               21.1.2015,  (Zugriff am          drücklich die schnellen Fortschritte, die Iran mit Blick auf die
               28.7.2016).                                                       Autarkie der eigenen Streitkräfte gemacht habe. Vgl. »Für den
               10 Katz, Iran and Russia [wie Fn. 2], S. 5.                       Kauf von Waffen bitten wir niemanden um Erlaubnis« (per-
               11 »Wie die Militärgespräche zwischen Iran und Russland           sisch), in: Fars News (online), 22.8.2015,  (Zugriff am 11.7.2016).
                              15 »Bavar 373: Die erste Senkrechtstartanlage Irans« (persisch),
               (Zugriff am 2.9.2016).                                            in: Tasnim News, 21.8.2016,  (Zugriff am 13.10.2016).

          SWP Berlin
          Iran und Russland
          April 2017

          10
Wirtschafts- und Kulturbeziehungen

energie. Russland übernahm in der Folge das von der                Wirtschafts- und Kulturbeziehungen
deutschen Kraftwerk Union begonnene Projekt zum
Bau des ersten Kernkraftwerks unweit der iranischen                Jenseits des Waffen- und Nukleartransfers gibt es
Stadt Buschehr. Damit wurde Russland zu einem                      bisher keine nennenswerten Wirtschaftsbeziehungen
wesentlichen Akteur beim Aufbau nuklearer Infra-                   zwischen Iran und Russland. Die beiden Länder
struktur in der Islamischen Republik. Da sich die                  streben daher an, innerhalb weniger Jahre ein bilate-
Fertigstellung der Anlage und die Lieferung zugesag-               rales Handelsvolumen von 15 Milliarden US-Dollar zu
ten Brennstoffs verzögerten, erwies sich Buschehr                  erreichen. 18 Der iranische Kommunikationsminister
entgegen ursprünglichen Plänen jedoch als Langzeit-                Mahmoud Vaezi, zugleich Co-Vorsitzender der russisch-
projekt. Erst im Herbst 2011 konnte die erste Reaktor-             iranischen Kommission für Handel und wirtschaft-
einheit ans Netz gehen.                                            liche Kooperation, gab in einem Interview mit der
   Ungeachtet der problembehafteten Zusammen-                      russischen Nachrichtenagentur TASS im Juli 2016
arbeit in Buschehr unterzeichneten Moskau und Tehe-                bekannt, dass Iran die bilateralen Beziehungen in eini-
ran im November 2014 ein Paket an Vereinbarungen,                  gen grundlegenden Bereichen ausbauen will. So sollen
die bis zu acht Kernkraftwerkeinheiten in Iran vor-                Handelshemmnisse beseitigt und das bestehende Visa-
sehen. Demnach soll Russland Brennstoff für diese                  regime sowie Onlinebanking erleichtert werden. 19
Anlagen zur Verfügung stellen und Iran den genutz-                 Ein wesentliches Ziel dabei ist die Einrichtung eines
ten Brennstoff anschließend wieder abnehmen, um                    »grünen Korridors«, der die Ausfuhr iranischer Waren
ihn endzulagern. Dabei sollen zwei neue Reaktor-                   vereinfachen soll. Bislang exportiert Iran hauptsäch-
einheiten in Buschehr entstehen, deren Bau für An-                 lich Obst, Gemüse und Nüsse nach Russland und führt
fang 2018 geplant ist und Iran schätzungsweise                     von dort überwiegend Holz, Maschinen und verschie-
11 Milliarden US-Dollar kosten wird. Buschehrs Kapa-               dene Metalle ein. 20 Exportpotential besteht für die Isla-
zitäten erlauben es, vor Ort bis zu fünf neue Reaktor-             mische Republik auf dem russischen Markt vor allem
einheiten zu errichten. Damit bildet Buschehr auf                  bei Lebensmitteln und petrochemischen Gütern. 21 Im
absehbare Zeit den wichtigsten Bezugspunkt in den                  letzten iranischen Kalenderjahr (2015/2016) erreichten
iranisch-russischen Handelsbeziehungen. 16                         die Ausfuhren gerade einmal ein Finanzvolumen von
   Die Nuklearvereinbarung hat aber noch weitere                   225 Millionen US-Dollar, während aus Russland Waren
Felder der Nuklearkooperation eröffnet. So ist Russ-               im Gesamtwert von 517 Millionen US-Dollar eingeführt
land am Umbau der ehemaligen Anreicherungsanlage                   wurden. 22 Auch für Russland eröffnen sich Chancen
in Fordow beteiligt. Laut JCPoA muss die Urananrei-                auf Exportwachstum, so in der iranischen Schwer-
cherung in Iran bis 2030 auf die Nuklearanlage in                  industrie oder im Schienenverkehr. 23 Zugleich sind
Natanz beschränkt bleiben. Daher wird Fordow mit                   russische Unternehmen gegenüber europäischen
russischer Unterstützung in ein technisches Zentrum                Akteuren in wesentlichen Sektoren im Nachteil, in
zur Produktion stabiler Isotope für den medizinischen              denen Iran Bedarf an Gütern und Technologie hat.
Gebrauch umgestaltet. Zudem erklärte sich Russland                 Dies betrifft vor allem den iranischen Öl- und Gas-
bereit, Iran rund acht Tonnen niedrig angereicherten               sektor, für dessen Infrastrukturausbau die Islamische
Urans im Austausch für Natururan abzunehmen.
Fraglich bleibt, ob Russland abgesehen von Buschehr                  18 Bijan Khajehpour, »Iran-Russia Relations after Nuclear
auf nukleare Großprojekte in Iran hoffen kann. Tehe-                 Deal«, in: Al-Monitor (online), 12.7.2015,  (Zugriff am 27.5.2016).
neuen Kooperationspartnern. Derzeit haben China                      19 »Iran and Russia Should Get Rid of ›Customs Hurdles‹ –
                                                                     Minister«, in: TASS (online), 26.7.2016,  (Zugriff am 26.7.2016).
Nuklearexporteure Zugriff auf den iranischen Markt                   20 »Bilateraler Handel zwischen Iran und Russland« (persisch),
zu erhalten. 17                                                       (Zugriff am 19.10.2016).
                                                                     21 Khajehpour, »Iran-Russia Relations after Nuclear Deal«
  16 Anton Khlopkov, JCPOA and Russia’s Interests in the Iranian     [wie Fn. 18].
  Nuclear Market, Moskau: Center for Analysis of Strategies and      22 »Wird der Handel zwischen Iran und Russland ansteigen?«
  Technologies, 2016,  (Zugriff am 14.7.2016).
  (Zugriff am 27.10.2016).                                           23 Khajehpour, »Iran-Russia Relations after Nuclear Deal«
  17 Ebd.                                                            [wie Fn. 18].

                                                                                                                          SWP Berlin
                                                                                                                   Iran und Russland
                                                                                                                           April 2017

                                                                                                                                   11
Iran und Russland: Die bilateralen Beziehungen im Überblick

          Republik um ausländische Direktinvestitionen wirbt.                      tionellen Ziel universitärer Ausbildung für iranische
          Hier ist das Land verstärkt an hochwertiger europäi-                     Studierende, Intellektuelle oder Politiker auf. Auf
          scher Ausrüstung und technologischem Know-how                            kultureller Ebene lassen sich nur marginale russische
          interessiert. Selbst nach dem sanktionsbedingten                         Einflüsse in Iran erkennen. Moskau verfügt ebenso wie
          Rückzug zahlreicher europäischer Firmen aus Iran                         andere russische Städte über ein iranisches Kultur-
          gelang es russischen Unternehmen nicht, nennens-                         zentrum; die Einrichtung eines russischen Pendants
          werte Erfolge zu verbuchen. Allein zwischen 2011                         in Teheran steht dagegen noch aus. Im Zuge der 29.
          und 2014 sank Irans Anteil am russischen Außen-                          Internationalen Buchmesse in Teheran im Mai 2016,
          handel von 0,5 auf 0,2 Prozent. 24                                       auf der Russland als Ehrengast geladen war, wurde in
              Dennoch machte Teheran deutlich, dass es Russland                    Iran erstmals ein »Visit Russia«-Zentrum eröffnet. Es
          als bedeutenden potentiellen Handels- und Investi-                       soll iranische Bürger durch dauerhaft angelegte Pro-
          tionspartner betrachtet. So unterstrich der iranische                    gramme mit russischer Kultur bekanntmachen und
          Parlamentspräsident Ali Larijani im April 2016 in                        sie bei Reiseplanungen für Aufenthalte in Russland
          einem Exklusivinterview mit TASS, dass Russland bei                      unterstützen. 28
          Bedarf Vorrang auf dem iranischen Markt eingeräumt                          Umfragen zur iranischen Wahrnehmung Russlands
          werde: »I would like to stress that in any industry                      spiegeln wider, dass bislang nur spärliche gesellschaft-
          Russia wants to invest in – oil, gas and so on – we will                 lich-kulturelle Verflechtungen existieren. Laut einer
          give it the priority. We consider Russia a reliable                      Umfrage vom Juli 2016 ist die Bevölkerung Irans in
          neighbor, and we can develop steady relations with                       ihrer Sicht auf Russland gespalten. 54 Prozent der Be-
          it.« 25 Bereits im Dezember 2015 hatte Moskau ange-                      fragten hatten demnach eine wohlwollende Meinung,
          kündigt, Iran einen Staatskredit von 5 Milliarden US-                    aber immerhin 43 Prozent nahmen eine ablehnende
          Dollar zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten                       Haltung ein. Andere Staaten in Asien werden mitunter
          zu gewähren. 26 Darunter könnten vor allem gemein-                       deutlich positiver gesehen. So kam der Irak auf einen
          same Großprojekte im Öl- und Gassektor, in der Luft-                     Zuspruch von 70 Prozent und auch China zog mit 58
          fahrt sowie der Energieindustrie fallen. 27                              Prozent Zuspruch an Russland vorbei. 29 Das historisch
              Neben schwach ausgeprägten Wirtschaftsbeziehun-                      gewachsene Misstrauen und die geringe kulturelle
          gen existieren bislang auch nur wenige kulturelle                        Verbundenheit finden auch in der politischen Sphäre
          Anknüpfungspunkte zwischen Iran und Russland.                            der Islamischen Republik ihren Niederschlag. In Irans
          Zwar bestehen direkte Verbindungen zwischen den                          außenpolitischem Apparat wird Russland als wich-
          nördlichen iranischen Provinzen und den ehemals                          tiger wirtschafts- und sicherheitspolitischer Partner,
          der Sowjetunion zugehörigen Republiken entlang des                       nicht jedoch als »natürlicher Verbündeter« wahr-
          Kaspischen Meeres, nicht zuletzt, weil es sich bei                       genommen. So gab ein außenpolitischer Berater in
          diesen bis ins 19. Jahrhundert um persische Territori-                   Teheran zu verstehen, dass Iran augenblicklich zwar
          en handelte. Doch Iran und Russland weisen heute                         mehr Interessen mit Moskau als mit Ankara teile,
          nur noch lose kulturelle und gesellschaftliche Bezie-                    Russland anders als die Türkei aber nicht als »Bruder-
          hungen auf. Im Gegensatz zu Frankreich, Großbritan-                      staat« betrachte. 30
          nien oder den USA stieg Russland nie zu einem tradi-

               24 Nikolay Kozhanov, Understanding the Revitalization of Russian-
               Iranian Relations, Moskau: Carnegie Moscow Center, Mai 2015,
               S. 14,  (Zugriff am 17.6.2016).                                     28 »Iran, Russia’s Cultural Ties Go Much Deeper than You
               25 »Iran Will Give Russia Priority in Any Industry It Wants to        Think«, in: Mehr News (online), 16.5.2016,  (Zugriff am 2.6.2016).
               26 Bozorgmehr Sharafedin/Lidia Kelly, »Iran and Russia Move           29 Ebrahim Mohseni/Nancy Gallagher/Clay Ramsay, Iranian
               Closer but Their Alliance Has Limits«, in: Reuters (online),          Public Opinion, One Year after the Nuclear Deal, College Park, MD:
               26.4.2016,  (Zugriff am 26.4.2016).                                land (CISSM) (zusammen mit The Program for Public Consul-
               27 The Middle East Media Research Institute (MEMRI), An               tation und IranPoll.com), Juli 2016, S. 27,  (Zugriff am 29.9.2016).         30 Persönliches Gespräch, Teheran, 2016.

          SWP Berlin
          Iran und Russland
          April 2017

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Die inneriranische Debatte

Außenpolitische Anknüpfungspunkte

Trotz zahlreicher Unstimmigkeiten zwischen Iran und            Khamenei setzt vor allem auf ein Russland, das von
Russland wurden die diplomatischen Beziehungen nie             den USA unabhängig agiert. Sein außenpolitischer
abgebrochen. Demgegenüber unterhalten die Islami-              Berater Ali Akbar Velayati sprach nach Putins zweitem
sche Republik und die USA schon seit über drei Jahr-           Besuch beim Revolutionsführer im Dezember 2015
zehnten keine formalen politischen Kontakte mehr.              von einem Wendepunkt der bilateralen Beziehungen
Zwar sah die »Weder Ost noch West«-Außenpolitik                und verkündete: »Zwar ist die Zusammenarbeit
keine Allianz mit Russland oder den USA vor, schloss           zwischen Russland und Iran bereits seit Ende der
politische Kooperationen mit Moskau aber nicht                 Nuklearverhandlungen gewachsen. Heute gibt es aber
grundsätzlich aus. Die von der Islamischen Republik            neue regionale Kooperationen in Syrien und anderen
proklamierte Unabhängigkeit konnte nicht zuletzt               Teilen Westasiens, die deutlich machen, dass wir am
deshalb gewahrt werden, weil Teheran Möglichkeiten             Beginn einer strategischen Beziehung stehen.«32 Nicht
der Anbindung an Moskau nutzte.                                nur die iranische Staatsspitze, sondern auch weite
   Angesichts kriegerischer Auseinandersetzungen               Teile der politischen Eliten würden verbesserte
und des Erstarkens salafistischer Bewegungen in der            Beziehungen zu Russland befürworten. Doch
MENA-Region sowie eines rapiden Ölpreisverfalls                herrschen unterschiedliche Auffassungen darüber,
stehen Iran und Russland heute vor gemeinsamen                 wie sich Teherans Verhältnis zu Moskau konkret
sicherheits- und wirtschaftspolitischen Herausforde-           gestalten sollte.
rungen. Militärische Konflikte und Staatszerfall im               Teile der iranischen Eliten sehen eine engere Ko-
krisengeschüttelten Nahen und Mittleren Osten bilden           operation mit Russland skeptisch. Unter Intellektuellen
nicht zuletzt ein erhebliches Hindernis für den Waren-         und zahlreichen politischen Entscheidungsträgern
verkehr, den Handel sowie den Öl- und Gastransfer,             überwiegt das historisch gewachsene Misstrauen
der für die ressourcenreichen Staaten Iran und Russ-           gegenüber Moskau.33 Dieses Misstrauen wurde durch
land ökonomisch bedeutsam ist. Zugleich sehen beide            die Turbulenzen der letzten Jahre noch gesteigert,
in der regionalen Krise auch eine Chance, den eigenen          darunter der langwierige Verzug bei der Fertigstellung
Handlungsspielraum zu erweitern. Vor dem Hinter-               des Atomkraftwerks Buschehr oder bei der Lieferung
grund veränderter regionalpolitischer Bedingungen              des S-300-Raketenabwehrsystems. Dass Russland im
steht in Teheran die Frage nach dem iranisch-russi-            Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kein einziges
schem Kooperationspotential daher ein weiteres Mal             Mal sein Veto eingelegt hat, um Sanktionen im Zusam-
zur Diskussion.                                                menhang mit Irans Atomprogramm zu verhindern,
                                                               wird als Beleg dafür gewertet, dass Teheran im Krisen-
                                                               fall nicht auf Moskau setzen könne. Die größte Sorge
Die inneriranische Debatte                                     besteht jedoch hinsichtlich einer möglichen russisch-
                                                               amerikanischen Annäherung. Es wird befürchtet, dass
Revolutionsführer Khamenei sieht die beiderseitige             Moskau zu Lasten Teherans jederzeit unverhofft Ab-
Zurückweisung US-amerikanischen »Hegemonie-                    machungen mit den USA treffen könnte, beispiels-
strebens« als wesentliche gemeinsame Grundlage der             weise in Syrien.
iranisch-russischen Beziehungen an. Bei seinem ersten
Zusammentreffen mit Putin 2007 sagte Khamenei,                   ein ›starkes Russland‹ im Interesse Irans« (persisch), in: Mehr
dass eine klar definierte regionalpolitische Kooperation         News (online), 17.10.2007, 
der beiden Länder eine US-amerikanische Vorherrschaft            (Zugriff am 9.7.2016).
verhindern könne. Der Revolutionsführer ließ wissen:             32 »Jenseits von Formalitäten« [wie Fn. 5].
                                                                 33 Hassan Beheshtipour, »Herausforderungen des iranisch-
»So wie ein ›unabhängiger Iran‹ im Interesse Russlands
                                                                 russischen Verhältnisses und Lösungsansätze für Stabilität
ist, ist auch ein ›starkes Russland‹ im Interesse Irans.«31
                                                                 und Vertrauen in den bilateralen Beziehungen« (persisch), in:
                                                                 Hossein Asgharian (Hg.), Ausblick auf die Beziehungen zwischen
  31 »Ein ›unabhängiger Iran‹ ist im Interesse Russlands und     Iran und Russland (persisch), Teheran 2015, S. 13–32 (19).

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                                                                                                              Iran und Russland
                                                                                                                      April 2017

                                                                                                                             13
Außenpolitische Anknüpfungspunkte

            Dagegen verweisen Befürworter einer stärkeren           nach Möglichkeiten, verstärkt mit der Europäischen
         Anbindung an Russland auf Teherans mangelnde               Union zusammenzuarbeiten. Teilen der politischen
         strategische Optionen. Im Gegensatz zu den USA oder        Eliten gilt die EU dabei als »sichere Wahl«. Hier könnte
         europäischen Staaten sei Russland zu sicherheits-          Iran einer neuen Devise folgen: »Weder Ost noch West,
         politischer Kooperation und Waffenlieferungen für          Europäische Union.«35 Vertreter des Ansatzes sind
         das modernisierungsbedürftige iranische Militär            überzeugt, dass sich der inneriranische Diskurs zu-
         bereit. Im Einklang mit der Öffnungspolitik gegen-         gunsten einer fortschreitenden Annäherungspolitik
         über Moskau, die Präsident Rafsanjani Ende der             mit der EU ändern könnte, wenn es Teheran und
         1980er Jahre einleitete, wird Russland hier als wich-      Brüssel gelingt, jenseits der üblichen Gesprächsthemen
         tigster verbündeter Staat aufgefasst, der die Islamische   neue Politikfelder konstruktiver Zusammenarbeit zu
         Republik politisch wie militärisch stärken könne           identifizieren und erste Erfolge vorzuweisen. Hierzu
         und damit Irans Streben nach Unabhängigkeit und            gehören beispielsweise Terrorismusbekämpfung oder
         Autarkie erst ermögliche. Nach Einschätzung eines          Flüchtlingspolitik.
         iranischen außenpolitischen Beraters befindet sich            Ungeachtet unterschiedlicher außenpolitischer
         diese Denkschule in Teheran derzeit im Aufwind.34          Präferenzen lässt sich innerhalb der iranischen Füh-
         Vertreter dieser Auffassung folgen dem Ansatz eines        rung – in der die meisten entweder eine engere An-
         »Blicks nach Osten«, der sich neben Russland in Zu-        bindung an Russland oder einen integrativen Ansatz
         kunft auch verstärkt auf China richten könnte. Eine        befürworten – eine gesteigerte Bereitschaft erkennen,
         Entspannungspolitik mit westlichen Staaten gilt            die Beziehungen zu Russland auszubauen. Dabei
         dagegen weder als aussichtsreich noch als erstrebens-      nimmt Teheran zwar keine einheitliche, aber im Zuge
         wert. Das Misstrauen hinsichtlich Akteuren wie den         außenpolitischer Entscheidungsfindung abgestimmte
         USA oder der EU übersteigt jenes gegenüber Russland.       Haltung ein.
         Dieser Ansatz findet sich vor allem im iranischen
         Sicherheitsapparat wieder, der angesichts der militä-
         rischen Kooperation mit Moskau mitunter engere             Ordnungspolitische Gemeinsamkeiten
         Kontakte nach Russland pflegt als politische Entschei-
         dungsträger im iranischen Außen- oder Verteidigungs-       Die Zurückweisung einer von den USA maßgeblich
         ministerium.                                               geprägten Weltordnung gehört zu den zentralen
            Neben Befürwortern und Gegnern einer umfassen-          außenpolitischen Vorstellungen in Iran und Russ-
         den Kooperation mit Russland finden sich im Land           land.36 Beide Seiten haben ein Interesse daran, US-
         auch Vertreter eines integrativen Modells, die sowohl      amerikanischen Einfluss in der Region einzuschrän-
         für eine engere Anbindung an Russland als auch eine        ken. Das gilt auch für die Handlungsmöglichkeiten
         Entspannungspolitik mit westlichen Staaten offen           der Nato im Nahen und Mittleren Osten. Teheran und
         sind. Ihr Ansatz folgt der Vorstellung, iranische Un-      Moskau lehnen eine Nato-Präsenz in der Region ab.
         abhängigkeit gemäß der Devise »Weder Ost noch              Für Iran ist insbesondere die militärische Präsenz der
         West, Islamische Republik« wahren zu können. Eine          USA am Persischen Golf und damit in unmittelbarer
         einseitige Anbindung an Russland erhöhe dagegen            Nachbarschaft problematisch. Dabei teilen Teheran
         Irans Abhängigkeit von Moskau, wodurch das Land            und Moskau historisch gewachsene Animositäten
         zum politischen Spielball russischer Politik gegenüber     gegenüber den USA. Neben direkter und indirekter
         den USA werden könnte. Um ein solches Szenario zu          Konfrontation mit Washington waren beide Staaten
         vermeiden, wird einer Entspannung der Beziehungen          bereits Adressaten gezielter amerikanischer Sanktio-
         zu Washington hohe Priorität eingeräumt. Ziel ist          nen. Sowohl Teheran als auch Moskau sind daran
         nicht, die iranisch-amerikanischen Beziehungen zu
         normalisieren, sondern zunächst politische Spannun-          35 Persönliches Gespräch mit einem außenpolitischen
         gen abzubauen. Dies wird als wesentliche Voraus-             Berater Irans, Teheran, 2016.
         setzung für Irans übrige Außenbeziehungen, auch die          36 Mohammad Kazem Sajjadpour, »Iranian and Russian
         zu Russland, betrachtet. Verbreitet ist dieser Ansatz        Perspectives on the Global System«, in: Russia-Iran Partnership:
                                                                      An Overview and Prospects for the Future, Moskau: Russian Inter-
         vor allem unter den sogenannten Pragmatisten in der
                                                                      national Affairs Council/Institute for Iran-Eurasia Studies,
         derzeitigen iranischen Regierung. Diese sucht gezielt
                                                                      13.12.2016 (Report 29/2016), S. 34–36 (35),  (Zugriff am
              34 Persönliches Gespräch, Teheran, 2016.                4.1.2017).

         SWP Berlin
         Iran und Russland
         April 2017

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Ordnungspolitische Gemeinsamkeiten

bereits Adressaten gezielter amerikanischer Sanktio-             reichsten politischen Akteure in seinen Nachbarstaa-
nen. Sowohl Teheran als auch Moskau sind daran                   ten Afghanistan und Irak geworden. Die Islamische
interessiert, den relativen Bedeutungsverlust der USA            Republik konnte durch die Atomvereinbarung auch
in Nahost geopolitisch für sich nutzbar zu machen.               ihren außenpolitischen Handlungsspielraum erwei-
Beide streben nach einer multipolaren Weltordnung,               tern. Dass Iran international nicht länger als klassi-
in der sie als einflussreiche politische Akteure handeln         scher Pariastaat gilt, zeigte sich bereits daran, dass das
können. Dies gilt für Russland auf globaler Ebene,               Land in die International Syria Support Group auf-
während die Islamische Republik den Status einer                 genommen wurde und im Syrienkonflikt am Verhand-
regionalen Führungsmacht für sich beansprucht.                   lungstisch saß – gemeinsam mit Staaten wie den USA
Teheran und Moskau erkennen sich in ihren außen-                 und Saudi-Arabien, zu denen Teheran entweder keine
politischen Ansprüchen gegenseitig an. Eine solche               oder nur eingeschränkte diplomatischen Beziehungen
Anerkennung, so Teherans Sicht, wird der Islamischen             unterhält. Nachdem nuklearbedingte Sanktionen
Republik von den USA und der EU nicht zuteil.                    ausgesetzt wurden, ist Iran zudem als bedeutender
   Russland und Iran eint zudem die Vorstellung,                 Energieakteur auf den internationalen Ölmarkt zurück-
dass der Ordnungszerfall in der Region nicht durch               gekehrt. Aus diesen Gründen setzt Teheran darauf,
politische Umstürze zu verhindern sei, sondern durch             dass Moskau dem iranischen Bedeutungszuwachs
den Erhalt der bisherigen staatlichen Grenzen und                Rechnung trägt. Dabei versteht sich die Islamische
Strukturen. Die notfalls auch gewaltsame Aufrecht-               Republik als Stabilitätsanker in der Region und als
erhaltung der territorialen Integrität der MENA-Staaten          Akteur, ohne dessen Einbindung sich zahlreiche
wird daher in den Mittelpunkt gerückt. Diesen Ansatz             regionale Konflikte nicht lösen lassen. Gegen den
verfolgen Iran und Russland auch mit Blick auf die               Willen Irans sind russische Interessen in Krisengebieten
separatistischen Bewegungen in den eigenen Ländern.              wie Syrien, Irak oder Afghanistan nur schwer durch-
Weder Teheran noch Moskau haben ein Interesse                    zusetzen, da Teherans Einflussmöglichkeiten direkt
daran, dass aus politischen Aufständen, etwa von                 vor Ort diejenigen Moskaus übersteigen. Darüber
Minderheiten, neue Staaten hervorgehen. So erkennen              hinaus ist Iran in der Lage, seinen Einfluss auf zentral-
Iran und Russland zwar Irakisch-Kurdistan als auto-              asiatische Republiken und den Kaukasus zu nutzen,
nome Region Iraks an, lehnen jedoch eine Unabhän-                um Konflikte an Russlands südlicher Grenze zu schü-
gigkeit des Gebiets ab. Während sie Autonomiebestre-             ren. Vor diesem Hintergrund sind Iran und Russland
bungen dulden, bilden Unabhängigkeitserklärungen                 bestrebt, Konfrontationen überall dort zu vermeiden,
eine rote Linie ihrer Regionalpolitik. Darüber hinaus            wo die außenpolitischen Kernziele beider Staaten
betrachten Teheran und Moskau die Bekämpfung                     einander nicht zuwiderlaufen.
terroristischer Bewegungen als gemeinsames außen-                   Ideologisch bestehen zwischen Teheran und Mos-
politisches Interesse. Beide sahen sich bereits mit              kau nach wie vor nur wenige Überschneidungen. In
terroristischen Anschlägen auf ihrem Staatsgebiet                der politischen Verfasstheit ihrer Staaten und ihren
konfrontiert. Vor diesem Hintergrund ist die Entste-             ideellen Werten unterscheiden sich Iran und Russland
hung des IS eine zusätzliche Herausforderung für                 erheblich. Doch im Gegensatz zu Irans Verhältnis zu
beide Staaten, nicht zuletzt deshalb, weil er die be-            den USA oder der EU steht eine substantielle Auswei-
stehenden Grenzen in der Region unterminiert, die                tung der Beziehungen zu Russland nicht unter dem
Iran und Russland erhalten wollen.                               Vorbehalt gemeinsamer Wertvorstellungen, einer
   Die regionalpolitischen Veränderungen gingen mit              Debatte über die Menschenrechtslage oder der An-
einem Bedeutungszuwachs der Islamischen Republik                 erkennung des Staates Israel. Zu diesen Fragen stellt
als Regionalmacht einher. Aus Sicht Teherans erkennt             Russland keine Bedingungen an Iran. Moskau kann
die internationale Staatengemeinschaft diese Auf-                Teheran als Verbündeten nutzen, um bei größerem
wertung auch an. Hierzu bemerkte Außenminister                   Engagement in der Region seinen Interessen Geltung
Javad Zarif: »[H]eute betrachtet die ganze Welt die              zu verschaffen. Iran setzt seinerseits auf die einzige
Islamische Republik als einen mächtigen regionalen               Weltmacht, die seinen Anspruch auf Regionalmacht-
Akteur, dessen Rolle […] nicht ignoriert werden                  status nicht zurückweist und Bereitschaft zu Koopera-
kann.« 37 So ist Iran nicht nur zu einem der einfluss-           tion abseits wertebasierter Differenzen signalisiert.

  37 »Die Erklärung Zarifs zu den Zielen und Auswirkungen          6.1.2015,  (Zugriff am
  der Nuklearvereinbarung« (persisch), in: Mehr News (online),     14.9.2016).

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                                                                                                           Iran und Russland
                                                                                                                   April 2017

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Russland als geopolitischer Mit- und Gegenspieler

           Russland als geopolitischer Mit- und Gegenspieler

           Die historisch gewachsene Ambivalenz der iranisch-                zulässig. Auf eine im Parlament entbrannte Kontro-
           russischen Beziehungen spiegelt sich in zahlreichen               verse über den Fall Nojeh reagierte Alaeddin Borou-
           geopolitischen Feldern wider. Dabei ist das Verhältnis            jerdi, Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses
           je nach Sachfrage von Kooperation, Wettbewerb oder                für Auswärtige Politik und nationale Sicherheit, mit
           Konflikt gekennzeichnet. Iranisch-russischen Inter-               der Erklärung, Russland habe in Nojeh lediglich seine
           essenkonvergenzen stehen vielfältige divergierende                Kampfflugzeuge aufgetankt. In Hamedan werde, so
           Interessen gegenüber. In wesentlichen politischen                 Boroujerdi, kein russischer Stützpunkt entstehen. 39
           Fragen schließen sich die unterschiedlichen Interes-              Obwohl die russischen Flüge nach wenigen Tagen
           sen Irans und Russland jedoch nicht kategorisch aus.              eingestellt wurden, hatte die Zusammenarbeit inter-
           Dies gilt sowohl für Syrien als auch für Zentralasien             nationale Signalwirkung, die das Potential künftiger
           oder den globalen Energiemarkt.                                   iranisch-russischer Kooperation aufzeigt. Auch der
                                                                             Moskau-Besuch von Qasem Soleimani, Kommandeur
                                                                             der für iranische Auslandsoperationen zuständigen
           Interessendivergenzen in Syrien                                   Quds-Brigaden, hatte schon im Vorfeld der russischen
                                                                             Intervention in Syrien verdeutlicht, dass Iran und
           Seit der russischen Intervention in Syrien im Septem-             Russland nach mehr sicherheitspolitischer Abstim-
           ber 2015 finden sich Teheran und Moskau militärisch               mung streben. 40
           auf derselben Seite eines geopolitischen Konflikts                   Iran und Russland verfolgen ihre sicherheitspoliti-
           wieder, an dem nicht nur wichtige regionale, sondern              schen Ziele in Syrien durch den Versuch, das Assad-
           auch außerregionale Akteure beteiligt sind. Die un-               Regime zu erhalten und die Zersplitterung des Landes
           verhoffte militärische Allianz der beiden Staaten                 zu verhindern. Für die iranische Führung ist die Siche-
           folgte einer informellen Aufgabenteilung: Iran und                rung des Assad-Regimes essentiell. Ausschlaggebend
           seine verbündeten Milizen verstärkten die militäri-               ist dabei nicht die Person Baschar al-Assad, sondern
           schen Aktivitäten der syrischen Regierung am Boden                die Regimestruktur, die Iran direkten Zugang zur liba-
           und stellten finanzielle Ressourcen bereit, während               nesischen Hisbollah ermöglicht. Syrien gilt Teheran
           Russland Unterstützung aus der Luft leistete sowie                als unverzichtbarer Verbindungskorridor zu Irans
           Waffen und Ausrüstung lieferte. 38 Die dazu notwendi-             nichtstaatlichen Verbündeten. Ohne diesen Korridor
           ge militärische Koordination hatte eine engere sicher-            ginge der Islamischen Republik eine wesentliche
           heitspolitische Kooperation zwischen Iran und Russ-               Komponente ihrer »Widerstandsfront« verloren, die
           land zur Folge. So erteilte Teheran Moskau nicht nur              Teil ihrer Militär- und Verteidigungsdoktrin ist: die
           die Genehmigung, den iranischen Luftraum zu durch-                glaubwürdige Vermittlung eines Angriffs- und Ab-
           queren, um auf diesem Wege russische Raketenangrif-               schreckungspotentials gegenüber Israel und damit
           fe in Syrien zu ermöglichen. Überraschend stellte Iran            auch den USA. Aus Sicht zahlreicher iranischer Ent-
           im August 2016 kurzzeitig auch seinen Luftstützpunkt              scheidungsträger ist Syrien für die Islamische Repu-
           Nojeh in der westlichen Provinz Hamedan für russi-                blik daher sicherheitspolitisch existentiell. Anders
           sche Kampfjets zur Verfügung.                                     als für Teheran hat Syrien für Moskau strategisch
              Letzteres kennzeichnet eine qualitative Verände-               nachrangige Bedeutung. So mahnte der Oberkomman-
           rung russisch-iranischer Zusammenarbeit. Nie zuvor
           gestattete die Islamische Republik einem anderen                    39 »Russische Kampfflugzeuge nutzen die Nojeh-Basis nur
           Staat, eine seiner Militärbasen zu nutzen. Nach Artikel             zum Wiederauftanken« (persisch), in: Tasnim News (online),
           146 der iranischen Verfassung ist die Stationierung                 17.8.2016,  (Zugriff am 17.8.2016).
           ausländischer Truppen auf iranischem Boden nicht
                                                                               40 »Iran Quds Chief Visited Russia Despite U.N. Travel Ban«,
                                                                               in: Reuters (online), 7.8.2015,  (Zugriff
                in: Strategic Assessment, 19 (2016) 2, S. 41–51 (44).          am 10.8.2016).

           SWP Berlin
           Iran und Russland
           April 2017

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Interessendivergenzen in Syrien

dierende der Revolutionsgarden, Ali Jafari, bereits im            dem Entwurf wird den syrischen Kurden Selbstverwal-
November 2015, Russland sei nicht in gleicher Weise               tung versprochen. Mit Blick auf Irakisch-Kurdistan will
wie Iran am Erhalt des Assad-Regimes interessiert. 41             Teheran jedoch eine weitere kurdische Autonomie-
Auch die militärstrategische Kooperation ist begrenzt.            region verhindern, welche die Separatismusbestrebun-
Zwar dürften Iran und Russland ihre militärischen                 gen unter der eigenen kurdischen Minderheit beflügeln
Aktivitäten aufeinander abstimmen. Trotz regelmäßi-               könnte. Iran lehnt ein syrisches Föderalismusmodell
gen Austauschs gibt es indes nur wenige Anzeichen                 aber auch deshalb ab, weil Syrien damit in verschiede-
dafür, dass Russland mehr unternimmt, als Teheran                 ne Einflussgebiete aufgeteilt und die Zentralregierung
zuvor über seine militärischen Schritte in Kenntnis zu            spürbar geschwächt würde. 44 Russland bekräftigte
setzen, so beim Teilrückzug russischer Truppen im                 seine Initiative zu einer syrischen Verfassungsreform,
März 2016 oder bei der Evakuierung Ost-Aleppos im                 indem es im Februar 2017 bei den Syrien-Gesprächen
Dezember 2016. Nicht die strategischen Entscheidun-               in der kasachischen Hauptstadt Astana einen über-
gen, sondern ihre Nachwirkungen stehen im Zentrum                 arbeiteten Verfassungsentwurf präsentierte.
bilateraler Koordinierung. Teheran ist sich bewusst,                 Die Frage nach der geeigneten staatlichen Organi-
dass es nur mäßigen Einfluss auf den politischen Ent-             sation ist nicht die einzige Herausforderung für die
scheidungsprozess in Russland hat. Angesichts dessen              iranisch-russische Allianz in Syrien. Offen ist derzeit
befürchtet Teheran nach wie vor eine russisch-ameri-              auch, wie die von Iran aufgebauten bewaffneten
kanische Einigung in Syrien, die zu Lasten Irans gehen            Milizen in ein Post-Konflikt-Syrien integriert werden
könnte.                                                           sollen. Im Gegensatz zu Iran hat Russland kein Inter-
   Um weiterhin auf Damaskus einwirken zu können,                 esse daran, jenseits bestehender Streitkräfte paramili-
sieht die Islamische Republik keine Alternative zur               tärische Gruppierungen zu institutionalisieren. Statt-
derzeitigen syrischen Regierung. Andere Regime-                   dessen setzt Moskau auf zentralisierte Sicherheits-
konstellationen würden für Teheran einen relativen,               strukturen unter Führung der regulären Streitkräfte
gegebenenfalls sogar vollständigen Bedeutungsverlust              und möchte die Vielzahl der auf syrischem Boden
nach sich ziehen. Dagegen hat Moskau gute Chancen,                operierenden Milizen unter direkte Kontrolle des
grundlegende Interessendivergenzen mit einer Folge-               Militärs stellen. Dagegen will Teheran die Frage insti-
regierung zu vermeiden. 42 Damit befinden sich Tehe-              tutioneller Eigenständigkeit von Milizen offenhalten.
ran und Moskau hinsichtlich der Post-Konflikt-Phase               Iran versucht aber auch auf andere Weise, seinen Ein-
bereits in unterschiedlichen Ausgangspositionen.                  fluss mit Blick auf die Post-Konflikt-Phase zu wahren
So überrascht es nicht, dass sie in der Frage, wie das            und zu erweitern. Beim Besuch des syrischen Premier-
zukünftige Syrien politisch verfasst sein sollte, zu              ministers Emad Khamis im Januar 2017 in Teheran
unterschiedlichen Bewertungen gelangen. Während                   unterzeichneten Iran und Syrien mehrere Telekommu-
Iran auf absehbare Zeit eine syrische Zentralregierung            nikationsverträge. Unter anderem erhielt die Islami-
unter Assads Führung aufrechterhalten will, steht                 sche Republik eine Lizenz als zukünftiger Mobilfunk-
Russland der Idee einer föderalen Struktur offen gegen-           anbieter in Syrien. Von der Abmachung dürften vor
über, welche die verschiedenen politischen Lager                  allem Unternehmen der Revolutionsgarden profitie-
einbindet. Einzelheiten dieses Ansatzes legte Russland            ren, die den Kommunikationssektor in Iran dominie-
im Mai 2016 in einem Verfassungsentwurf für Syrien                ren und fortan auch ihren Einflussbereich in Syrien
vor. Darin wird eine dezentrale Staatsstruktur skiz-              ausweiten könnten. Teheran hat zudem Immobilien
ziert, die neben dem Parlament ein weiteres gewähltes             in Damaskus und Darayya erworben und von der syri-
Repräsentationsorgan vorsieht, die »regionale Ver-                schen Regierung unter anderem 5000 Hektar Land
sammlung« (regional assembly). Diese soll sich aus Ver-           für die landwirtschaftliche Produktion erhalten. 45
tretern lokaler Verwaltungseinheiten zusammensetzen
und damit staatliche Autorität dezentralisieren. 43 In              Features/31079/Russia_Pens_Draft_Constitution_Syria/>
                                                                    (Zugriff am 22.7.2016).
  41 »Wir lehnen jede Alternative zu Assad ab« (persisch), in:      44 Mahmoud Shoori, »Iranian and Russian Views on the Situ-
  Fars News (online), 2.11.2015,  (Zugriff am 13.7.2016).                   Region?«, in: Russia-Iran Partnership [wie Fn. 36], S. 59–65 (63).
  42 Kam, »Will Russia and Iran Walk Hand in Hand?« [wie            45 Bozorgmehr Sharafedin/Ellen Francis, »Iran’s Revolution-
  Fn. 38], S. 44.                                                   ary Guards Reaps Economic Rewards in Syria«, in: Reuters
  43 »Russia Pens Draft Constitution for Syria«, in: The Syrian     (online), 19.1.2017,
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