ISS AKTUELL Zur strategischen Lage 1/2017
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Institut für Strategie und Sicherheitspolitik der Landesverteidigungsakademie Wien 1/2017 ISS AKTUELL Herwig Jedlaucnik (Hrsg.) Zur strategischen Lage Jahresbeginn 2017 Globale Akteure und internationale Organisationen
Impressum: Medieninhaber, Hersteller, Herausgeber: Republik Österreich / Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport Rossauer Lände 1 1090 Wien Redaktion: Landesverteidigungsakademie Institut für Strategie und Sicherheitspolitik Stiftgasse 2a 1070 Wien Copyright: © Republik Österreich / Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport Alle Rechte vorbehalten Periodikum der Landesverteidigungsakademie ISBN: 978-3-903121-15-7 Jänner 2017 Druck HDruckZ-ASt Stift xxxx/17 Stiftgasse 2a 1070 Wien
ISS AKTUELL 1-2017 Vorwort Der Überblick zur aktuellen strategischen Lage mit Stand Anfang 2016, den wir Ihnen hiermit vorlegen, erscheint in weltpolitisch interessanten Zeiten. US-Präsident Donald Trump hat sein Amt als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika angetreten und bereits für erhebliche Turbulenzen und Irritationen gesorgt. Diese letzten Entwicklungen haben wir zwar noch nicht in diese Ausgabe unserer strategischen Lage einfließen lassen können, wagen es aber dennoch eine erste Einschätzung der längerfristigen Konsequenzen für die globale und europäische Politik vorzunehmen, ohne in die aktuelle Hysterie mancher medialen Berichterstattung zu verfallen. Insbesondere präsentieren wir Ihnen aber auf den kommenden Seiten kurze Rückblicke auf die Ereignisse des vergangenen Halbjahres. Dabei sollen laufende Entwicklungen in größere Zusammenhänge gestellt, aber auch eine Einschätzung möglicher künftiger Abläufe erleichtert werden. Es geht uns nicht um eine enzyklopädische Darstellung aller Geschehnisse des vergangenen halben Jahres, sondern um eine kurze, aber prägnante Analyse und Bewertung ausgewählter Aspekte unter Berücksichtigung regionaler Zusammenhänge. Der letzte derartige Überblick erschien im Juli 2016; die einzelnen Beiträge des vorliegenden Berichts wurden Anfang Jänner 2017 fertig gestellt. Die Leitung und Redaktion dieser Zusammenschau lag wieder in den bewährten Händen von Oberstleutnant des höheren militärfachlichen Dienstes Mag. Herwig Jedlaucnik. Ihm und allen Kollegen, die an der Erstellung dieses Überblicks beteiligt waren, gebührt unser Dank. Neben den Angehörigen des ISS (Dr. Rastislav Báchora, der derzeit dem Büro für Sicherheitspolitik dienstzugeteilt ist, Dr. Gerald Brettner-Messler, Dr. Gunther Hauser, Oberst des höheren militärfachlichen Dienstes Dr. Otto Naderer, und Dr. Felix Schneider) möchte ich Dr. Walter Posch und Dr. Gerald Hainzl (vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement) sowie Dr. Johannes Maerk nennen und danke allen für ihre Mitwirkung. Ganz besonderen Dank schulden wir Dr. Felix Schneider, der neben seiner wissenschaftlichen Mitwirkung, alle Beiträge - unter wie gewohnt übermäßigem Zeitdruck - lektoriert hat. Für die Administration und Verteilung sorgte wie immer Major Wolfgang Gosch. Wie auch bisher üblich, erscheinen die einzelnen Beiträge unter der Verantwortung der jeweiligen Autoren als Wissenschaftler und repräsentieren daher ausschließlich deren persönliche Einschätzung, nicht aber irgendeine offiziöse Meinung des Ressorts oder der LVAk. Die Mitarbeiter des ISS wünschen eine spannende Lektüre und gleich auch einen erholsamen Sommer. Hofrat Univ.-Doz. Dr. Erwin A. Schmidl Leiter des Instituts für Strategie und Sicherheitspolitik 1
ISS AKTUELL 1-2017 Inhaltsverzeichnis Vorwort.................................................................................................................................................................................................... 1 Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................................................................................... 2 Polarisierung als dominanter Faktor strategischer Entwicklungen ......................................................................4 Die Veränderung der globalen Ordnung....................................................................................................................................... 4 Integrationismus versus Nationalismus – die Polarisierung der europäischen Gesellschaften ............................................ 4 Die äußeren Herausforderungen Europas .................................................................................................................................... 7 Die westliche Welt … ........................................................................................................................................... 10 Weltmacht USA .................................................................................................................................................... 10 Barack Obama (2008-2016) – (k)ein Resümee ........................................................................................................................... 10 Intermezzo: Anmerkung (nicht nur) in eigener Sache .............................................................................................................. 12 Donald Trump – das „Ende der Nachkriegswelt“? .................................................................................................................. 13 Europa und die EU .............................................................................................................................................. 16 Die Rede zur Union und der Zustand der EU ........................................................................................................................... 16 Die neue „Sicherheitsunion“ ......................................................................................................................................................... 16 „EU-Armee“ bleibt Illusion .......................................................................................................................................................... 17 Die Flüchtlings- und Migrationskrise........................................................................................................................................... 19 Brexit: Der Termin für die Austrittsgespräche ........................................................................................................................... 20 Türkei: Einfrieren der Beitrittsgespräche .................................................................................................................................... 20 Die NATO und die transatlantischen Beziehungen ........................................................................................... 22 Die wesentlichen Ergebnisse des NATO-Gipfeltreffens in Warschau, 8. – 9. Juli 2016 .................................................... 22 Umsetzung der Gipfelbeschlüsse „Reassurance“ ...................................................................................................................... 22 Erstes US-Armored Brigade Combat Team in Europa ............................................................................................................ 23 Maritime Operationen .................................................................................................................................................................... 23 Anti-IS Koalition ............................................................................................................................................................................. 23 Rüstungsvorhaben........................................................................................................................................................................... 23 Partner............................................................................................................................................................................................... 24 Ausblick: Unsicherheiten durch den Alliierten Türkei, wachsenden Nationalismus beiderseits des Atlantiks und die kommende US-Administration ..................................................................................................................................................... 25 … und ihre Partner und Herausforderer.............................................................................................................. 28 Russland und der zentralasiatische Raum........................................................................................................... 28 Russische Innenpolitik ................................................................................................................................................................... 28 2
ISS AKTUELL 1-2017 Russische Außen- und Sicherheitspolitik .................................................................................................................................... 28 EU-Sanktionen und wirtschaftliche Entwicklung...................................................................................................................... 30 Ausblick ............................................................................................................................................................................................ 31 Der indo-pazifische Raum ................................................................................................................................... 32 Indien – Pakistan: neue Eskalation des Konflikts ..................................................................................................................... 32 Nordkorea: Kommt 2017 der nukleare Durchbruch?............................................................................................................... 32 Präsident Trump: US-Bündnispolitik am Prüfstand ................................................................................................................. 33 Südchinesisches Meer: Der Konflikt wird schärfer ................................................................................................................... 34 Wie wird Trumps China-Politik aussehen? ................................................................................................................................. 35 Myanmar: Verfolgung der Rohingya wird zu regionalem Problem ........................................................................................ 36 Syrien und die Folgen .......................................................................................................................................... 38 Instabil und fremdgeworden: die Türkei ..................................................................................................................................... 38 Vorsichtig und selbstbewußt: die Islamische Republik Iran .................................................................................................... 40 Subsahara-Afrika .................................................................................................................................................. 44 Gambia als Prüfstein für das Krisenmanagement der ECOWAS........................................................................................... 44 Mali –Verstärktes deutsches Engagement im internationalen Krisenmanagement ............................................................. 44 Nigeria – Erfolge in der Terrorbekämpfung aber gravierende wirtschaftliche Probleme................................................... 44 Südsudan – Präsident Kiir festigt seine Macht ........................................................................................................................... 44 Äthiopien – Ethnonationalismus als Gefahr für die Stabilität ................................................................................................. 45 Zimbabwe – Vorbereitung auf Post-Mugabe-Zeit .................................................................................................................... 45 Lateinamerika ...................................................................................................................................................... 46 Chinas aufstrebende Rolle als Rüstungsausrüster in der Region ............................................................................................. 46 Marineübung IBSAMAR ............................................................................................................................................................... 46 Lateinamerikanische Friedenssicherung im Rahmen der UNO .............................................................................................. 47 Inter-American Defense Board (IADB)...................................................................................................................................... 47 Kolumbiens Annäherung an die NATO ..................................................................................................................................... 47 Schwierige Entwicklung der globalen Ökonomie in unsicheren Zeiten ............................................................. 48 Der globale Freihandel ................................................................................................................................................................... 49 Industriestaaten ............................................................................................................................................................................... 50 Wachstumsmärkte, regionale Mächte und Schwellenländer .................................................................................................... 52 Bildnachweis ......................................................................................................................................................................................... 54 Autoren .................................................................................................................................................................................................. 56 3
ISS AKTUELL 1-2017 Polarisierung als dominanter Faktor ein ständiger Herd zusätzlicher Gewalt. Dennoch ist es strategischer Entwicklungen mehr als fraglich, dass dies zu weniger Gewalt in nationalen und internationalen Krisen führen wird. Es Die Veränderung der globalen Ordnung ist aber zu erwarten, dass die damit verbundenen Die internationalen Beziehungen befinden sich in einem Anforderungen und Anstrengungen mehr regionaler als Umstrukturierungsprozess. Da vor allem die nicht- globaler Natur sein werden. Auch werden sowohl in der westlichen Mächte weiterhin und verstärkt die Diplomatie als auch im internationalen Hegemonie der USA und ihrer Verbündeten ablehnen, Krisenmanagement „Coalitions of the willing“ von bestätigt sich der generelle Trend zu einem größerer Bedeutung sein. konfrontativen und multipolaren globalen Umfeld. Diese Auseinandersetzungen finden einerseits zwischen Für Österreich stellt dies eine massive Herausforderung den traditionellen Mächten der Post-Weltkriegsära statt, dar, zumal es seine Sicherheitspolitik in den letzten andererseits zwischen diesen und neuen Jahrzehnten primär von effektiven internationalen Herausforderern. Konfrontationen erfolgen dabei in Organisationen wie UNO, OSZE oder EU abhängig unterschiedlichen Konfigurationen und Gruppierungen. gemacht hat, und – obwohl selbst nicht Mitglied – von Die konkurrierenden Mächte versuchen, vorhandene der NATO. Nationale Anstrengungen und bilaterale Einflusssphären zu beherrschen bzw. solche zu Kooperationen werden somit jedoch möglicherweise schaffen. auch für Österreich in den kommenden Jahren an Die USA sind dabei zwar weiterhin die einzige globale Bedeutung gewinnen. Supermacht – der Konsens, dass eine US-Hegemonie Kultur und Religion als zentrale Konfliktursachen sowohl für die Welt als auch für die USA selbst positiv ist, wurde und wird jedoch nicht nur von zahlreichen Ideologien und Weltanschauungen werden nach dem anderen Staaten, sondern auch von den USA selbst vorläufigen Ende des US-Interventionismus in den zunehmend in Frage gestellt. Die globale Multipolarität Hintergrund treten. Wir erleben stattdessen die wird sich somit auch dadurch verstärken, dass die USA Rückkehr eines strategischen Wettbewerbes zwischen zumindest teilweise auf die gewohnte Gestaltung der starken Staaten mit widerstreitenden Interessen. internationalen Ordnung verzichten. Sie werden Nationale Interessen, aber auch die religiöse vermutlich mehr als bisher Verantwortung auf ihre Orientierung sind und werden dabei von zentraler Verbündeten und Partner übertragen. Inwieweit sich die Bedeutung sein. Die religiöse Frage ist dabei Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten auf die insbesondere bezüglich des Islam äußerst konfrontativ. globale Lage auswirken wird, kann sicher noch nicht Einerseits findet eine innerislamische abschließend beurteilt werden, auch wenn manche Auseinandersetzung vornehmlich zwischen Sunniten Kommentatoren bereits den Untergang der und Schiiten statt sowie zwischen islamistischen und internationalen Ordnung zu erkennen glauben. säkularistischen bzw. moderaten Kräften. Andererseits stellt sich der militante Islamismus auch gegen externe Auch die Funktionalität und Rolle internationaler Kräfte und wird mittelfristig diesbezüglich wohl auch Organisationen wird aus unterschiedlichen Gründen eine Gegenbewegung auslösen. Generell prägen die sowohl von nicht-westlichen als auch von westlichen Kultur und die Identität von Kulturkreisen Staaten in Frage gestellt. Das System der Global Auseinandersetzungen und desintegrative Prozesse. Die Governance als die kooperative, multilaterale Gestaltung dominierenden Ursachen für bewaffnete Konflikte der Globalisierung wird tiefgreifend lahmgelegt. Neben werden jedenfalls in absehbarer Zukunft vor allem anderen verlieren UNO, Weltbank, IWF und WTO kultureller Natur sein. massiv an Bedeutung. Regionale oder multilaterale Kampf um Einfluss und Macht Vereinbarungen werden zusehends durch wechselnde Unsicherheiten bedingt durch den mit sich selbst Allianzen und Vereinbarungen auf Basis nationaler beschäftigten und nach innen konzentrierten Westen Interessen ersetzt werden. Regelungen auf Basis von und Unklarheiten über die Ziele und Möglichkeiten von Macht und Interessen werden an Relevanz gewinnen – Konfliktprävention und Menschenrechten führen vor auf Kosten der von westlichen Ordnungsvorstellungen allem zu einer Ausdehnung des Einflusses alternativer geprägten Regime des internationalen Völkerrechts. regionaler Mächte, insbesondere Chinas und Russlands. Einerseits steht damit die bisher gewohnte Dabei wird es jedoch auch Herausforderungen Einschränkung und Eindämmung (bewaffneter) bezüglich der Interessen und des Einflusses des Konflikte zur Disposition, andererseits wird jedoch Westens geben – und dabei insbesondere der USA. auch die Befeuerung solcher Konflikte durch Konflikte zwischen diesen Mächten werden allerdings Einmischung von außen reduziert. Insbesondere die unter der Schwelle eines offenen und heißen Krieges äußere Einmischung vor allem aus fremden bleiben. Dennoch besteht eine erhöhte Gefahr von Kulturkreisen war in den vergangenen Jahren oftmals 4
ISS AKTUELL 1-2017 wechselseitigen Fehlern in der Kalkulation des schaffen. Der EU ist es aber offensichtlich in den jeweiligen Gegners und damit die Gefahr direkter, auch vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen, aus diesem bewaffneter Konfrontationen. Sowohl die Konstrukt politischer Vernunft eine emotionale völkerrechtliche Illegitimität bewaffneter Konflikte, als Identität zu schaffen. Daher vertrauen die europäischen auch der Versuch, direkte bewaffnete Konfrontationen Bürger trotz aller Politikverdrossenheit ihren nationalen zwischen mächtigen Staaten zu vermeiden, führt Parlamenten weiterhin mehr als den Brüsseler gegebenenfalls zu hybriden Konflikten, in denen sowohl Institutionen. Überdies ist eine deutliche Distanz klassische als auch asymmetrische Bedrohungen zwischen großen Teilen der Gesellschaft und den nebeneinander bestehen und sich gegenseitig verstärken. politischen Eliten bzw. dem sogenannten Establishment Dabei sind oft auch die (staatlichen) Akteure diffus und zu erkennen. sie sind schwierig zu identifizieren. Innereuropäisch stellten sich zahlreiche Repräsentanten Die Natur bewaffneter Konflikte ist gleichzeitig einem der EU in den vergangenen Monaten aggressiv gegen stetigen Wandel unterworfen. In zahlreichen Konflikten alternative politische Positionierungen, wie etwa der ist der Unterschied zwischen Kriegszonen und Zonen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker oder der des Friedens, bzw. zwischen legitimen und illegitimen Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk. Die Kombattanten sowie Zivilisten fließend und diffus. In Diskussion der Frage, was der unabdingbare Kern der rüstungstechnischer und taktischer Hinsicht europäischen Integration sei und ob die EU in ihrer verursachen Kombinationen einfacher und aktuellen Form eventuell eine überambitionierte Idee hochentwickelter Technologie sowie konventioneller europäischer Einheit darstelle, wird von der und unkonventioneller Taktik immer neue und schwer europäischen Elite dabei verweigert. Dadurch besteht berechenbare Dynamiken am Gefechtsfeld. Dies stellt aber die Gefahr, dass die EU die eigenen Kräfte und die oft trägen Strukturen moderner Armeen vor große Fähigkeiten überdehnt. Es droht dieses einzigartige Herausforderungen. Friedensprojekt europäischer Geschichte an zu hoch gesteckten Zielen zu scheitern und an einer zumindest Integrationismus versus Nationalismus – die so empfundenen Arroganz der europäischen Eliten. Es Polarisierung der europäischen Gesellschaften werden als ausschließliche Alternativen die immer Parallel zu den globalen Entwicklungen erleben die tiefere Integration Europas bis zur Realisierung eines westlichen Gesellschaften eine innere politische Einheitsstaates einerseits und als nationale Option die Auseinandersetzung, deren zentraler, auch Unabhängigkeit des Einzelstaates andererseits (sicherheits)politisch strategischer Aspekt die Frage der entgegengestellt. Ob dies die erfolgreiche Strategie zur Ausrichtung nach globalistisch-integrationistischen oder Aufrechterhaltung der europäischen Einheit darstellt patriotisch-nationalistischen Zielen ist. Die globalen oder eine Basis für die Demontage eben dieser Einheit, Abhängigkeiten und Vernetzungen führen durch das ist jedoch umstritten. Sicher ist jedoch, dass es dabei zu eingeschränkte wirtschaftliche Wachstum zu einer Polarisierung nicht nur der Gesellschaft zunehmenden Spannungen innerhalb und zwischen gekommen ist, sondern auch der politischen Akteure. Gesellschaften. Der Liberalismus in seiner derzeitigen Form wird dabei sowohl von linken als auch rechten politischen Gruppierungen in Frage gestellt. Innerhalb der EU nehmen die weit rechts oder links positionierten Parteien tendenziell zumeist europaskeptische Positionen ein, während die Parteien der politischen Mitte der europäischen Integration meist positiv gegenüber stehen. Populismus und Radikalismus werden dabei grundsätzlich rechtsgerichteten patriotisch/nationalistischen Parteien unterstellt, sind jedoch zumeist keine sachliche Kategorisierung, sondern „Kampfbegriffe“ gegen politische Gegner. Die patriotisch/nationalistischen Parteien befinden sich jedenfalls seit Jahren im Aufwind; dies wider die integrationistischen und globalisierenden Tendenzen, die in den letzten Jahrzehnten bestimmend waren. Die EU hat in den vergangenen Jahren versucht, die Nation als mentalitätsprägendes und identitätsstiftendes Migration als Ursache von Polarisierung Element zu entsorgen. Projekte wie das Europa der Regionen sollten dabei den Nationalstaat delegitimieren Ungleichheit bei Einkommen und Wohlstand, das und die Vorbereitungen für ein föderales Europa Schwinden der Mittelschicht sowie gesellschaftliche 5
ISS AKTUELL 1-2017 Polarisierung sind neben Migrations- und Sowjetunion in der ungewohnten Rolle des Opfers einer Einwanderungsfragen die größten Risiken für Europa. solchen Kampagne. Denn bislang waren die politischen Die Bürger erwarteten von ihren Regierungen Sicherheit Akteure mächtigerer westlicher Staaten gewohnt, in und Wohlstand. Beides scheint zu schrumpfen. umgekehrter Weise andere Staaten und Regime zu Dadurch erwecktes Misstrauen und die Polarisierung beeinflussen. Nunmehr scheint insbesondere Russland der Gesellschaft werden ein erfolgreiches Regieren in Mittel gefunden zu haben, solche Maßnahmen gegen den nächsten Jahren erschweren. Die Tatsache, dass ein seine Gegner zu richten. Für 2017 wird befürchtet, dass Grundkonsens in den europäischen Gesellschaften diese Vorgangsweise auch bei den wichtigen nationalen verloren gegangen ist, wird jedoch mittelfristig zu einer Wahlen in Frankreich und Deutschland zum Einsatz Reduktion der inneren Stabilität und damit zu kommen wird. begrenzter äußerer Handlungsfähigkeit führen. Der Cyberspace ist aber nicht nur der Ausgangsraum für (Des)Informationskriege, sondern auch für viel Medien, fake news und postfaktische Politik weiträumigere Ansätze hybrider Kriegsführung. Er Auch die Bedeutung der Medien als Vierte Macht wurde bietet nicht nur neue Möglichkeiten für Spionage, in den letzten Jahren durch schwindendes Vertrauen in sondern auch für Sabotage. Cyberangriffe sind dabei ihre Integrität massiv beschädigt. Neue und soziale potenziell deshalb so gefährlich, weil sie kritische Medien erlauben es überdies dem Einzelnen aber auch Infrastruktur schädigen oder gar zerstören können, wie politischen Akteuren, unabhängig von klassischen etwa die Energieversorgung und die Kommunikation. Medien Informationen zu erhalten und zu So sieht sich beispielsweise die Ukraine seit Beginn der kommunizieren. Dabei wird vor allem den alternativ zu Ukrainekrise massiver Cyberangriffe ausgesetzt. Ende den klassischen Medien Kommunizierenden gerne 2015 wurden dabei auch Teile der Stromversorgung vorgeworfen, postfaktische Politik zu betreiben, also lahmgelegt. Cyberkrieg ist dabei zumeist auch ein ihre politische Tätigkeit losgelöst von Fakten zu hybrider Krieg, da es zu einem verdeckten Einsatz betreiben. Den klassischen Medien wiederum wird staatlicher Kräfte, staatlich beauftragter Hackergruppen vielfach vorgeworfen, Informationen nach eigenem und Cyberfirmen kommt. Insbesondere die Tatsache, Gutdünken und nach zumeist nicht offen deklarierter dass es in einzelnen Staaten hochspezialisierte politischer Positionierung zu filtern oder zu Hackergruppen gibt, die im Auftrag oder zumindest mit interpretieren. Klassische Medien, die gewohnt waren, Billigung der jeweiligen Staaten agieren, macht diese ihren Konsumenten ein moralisch überlegenes Narrativ Form der internationalen Auseinandersetzung so aufzuzwingen, haben ihre exklusive Deutungshoheit gefährlich und intransparent. Da es auch an verloren. Gesellschaftspolitisch problematisch ist dabei entsprechenden völkerrechtlichen Regelungen mangelt, nicht nur der potenzielle Verlust der von der breiten ist dies vorerst faktisch auch eine Auseinandersetzung Gesellschaft akzeptierten Machtkontrolle durch die im international rechtsfreien Raum. Medien als Vierte Macht demokratischer Gesellschaften, Cyber-Attacken gefährden somit in unterschiedlicher sondern auch die damit einhergehende Polarisierung der Art und Weise die Stabilität von Staaten. Da einzelne Gesellschaft. Überdies stellt diese Situation den Länder aber klargemacht haben, bei Bedrohung vitaler optimalen Nährboden für strategische Desinformation staatlicher Funktionen gegebenenfalls auch durch gegnerische Staaten dar. Auch dadurch sind die konventionelle militärische Mittel gegen Cyber-Gegner innere Stabilität und potenziell auch die äußere einsetzen zu wollen, stellt dies für die Zukunft einen Handlungsfähigkeit Europas bedroht. potenziell gefährlichen Ausgangspunkt für bewaffnete Konflikte dar. Auch die NATO hat zuletzt festgehalten, Cyberkampf und strategische Informationskriege Cyberangriffe einer bestimmten Größenordnung Dabei tritt auch der Cyberraum zunehmend in den könnten einen Bündnisfall nach Artikel 5 auslösen. Vordergrund. Sowohl Russland als auch China werden Besonders problematisch ist dabei jedoch die von westlichen Staaten zahlreiche Cyberattacken der spezifische Natur von Cyber-Akteuren, die nicht nur vergangenen Monate zugeschrieben. Während versuchen, ihre Gegner über die wahre Quelle eines chinesische Gruppierungen dabei zumeist Angriffs zu täuschen, sondern auch bewusst versuchen, wirtschaftliche Ziele zu verfolgen schienen, zeigten diesen falsche Gegner vorzugaukeln. Dies birgt die russische Gruppen auch massive politische Aktivitäten. Gefahr in sich, dass ein Cyber-Angriff einem falschen Wenn auch von Russland bestritten, gehen zahlreiche Akteur zugeordnet wird. Überlegungen über Beobachter von einer massiven Involvierung letzterer notwendige Maßnahmen gegen Cyber-Angriffe müssen im US-amerikanischen Wahlkampf aus. Cyberattacken jedenfalls eine besonders hohe Relevanz in der waren dabei mehrfach die Grundlage für strategische politischen Bedrohungsanalyse der kommenden Jahre Informationskampagnen zur Unterstützung spezifischer erhalten. Die NATO hat dazu bei ihrem letzten Akteure oder Zielsetzungen. Der Westen sieht sich Außenministertreffen im Dezember 2016 beschlossen, dabei erstmals seit dem Zusammenbruch der diesem Thema erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. 6
ISS AKTUELL 1-2017 Die äußeren Herausforderungen Europas Migration Faktisch wird Europas äußere Sicherheit durch die Die Migrationskrise der vergangenen Jahre hat die EU NATO garantiert, welche sich dabei bisher nicht nur im in ihren Grundfesten erschüttert. Die europäischen Hinblick auf Ressourcen auf die USA abgestützt hat, Akteure waren dabei auch in den vergangenen Monaten sondern auch von der US-amerikanischen Führungsrolle vollkommen uneinig – sowohl hinsichtlich ihrer Ziele abhängig war. Bisher musste keine militärisch relevante als auch hinsichtlich einer gemeinsamen Vorgangsweise Sicherheitsfrage innerhalb Europas bzw. der EU zur Krisenbewältigung. Die EU war dabei nicht nur bei entschieden werden. Die EU begnügte sich bisher mit der Bewältigung einer fundamentalen Herausforderung Aufgaben, die mit dem Einsatz von „Soft Military gescheitert, sondern auch bei der Einhaltung des Instruments“ 1 das Auslangen finden konnten. Die USA gemeinsamen EU-Rechtsbestandes. Die nationalen werden jedoch nicht nur in ihrer Forderung nach Staaten mussten und müssen daher im Wesentlichen Erfüllung von Verteidigungsausgaben in der Höhe von selbst bzw. in bi- und multilateralem Rahmen die Krise zwei Prozent des BIP unnachgiebiger werden, sondern lösen. Damit zeigte sich deutlich, dass die die europäischen Partner auch zunehmend zu mehr Nationalstaaten in zentralen (Sicherheits)Fragen Verantwortung in den Konflikträumen an der handlungsfähig bleiben müssen. europäischen Peripherie drängen. Die Migrationskrise ist dabei für Europa noch nicht ausgestanden bzw. wird vor allem auf Grund der Die Verwerfungen an der europäischen Peripherie demografischen Entwicklung in Afrika nicht nur 2017 werden nicht nur deshalb die Sicherheitsvorsorge der eine Dauerproblematik bleiben, sondern noch viel Europäischen Union und der europäischen Staaten auch langfristiger. Wenn es Ziel europäischer Politik ist – in absehbarer Zukunft bestimmen, sondern vor allem worüber offensichtlich innerhalb Europas keine wegen der direkten und indirekten Konsequenzen. Einigkeit besteht –, die Migrationskrise bzw. die aktuelle Neben dem Konflikt mit Russland um die Ukraine sind Völkerwanderung zu beenden, müssen Pull-Faktoren es vor allem die instabilen Staaten im Süden und im massiv reduziert werden, insbesondere die für Asylanten Südosten der EU, die mit ihren schwachen staatlichen vorgesehenen Sozialleistungen. Dass Europa in der Lage Institutionen und Strukturen eine permanente sein wird, die Push-Faktoren wie mangelnde Herausforderung für europäisches Krisenmanagement ökonomische Entwicklung sowie ethnische und darstellen werden. religiöse Konflikte sowohl im Nahen Osten als auch in Die Kriege bzw. bewaffneten Konflikte unter anderem Afrika zu beseitigen, muss gleichzeitig eher als in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien und im Jemen Wunschvorstellung beurteilt werden. Dennoch wird destabilisieren nicht nur den islamischen Raum, sondern Europa aber zumindest bei Soft-Power-Aktivitäten wie treiben auch weiterhin Millionen in die Flucht. Überdies bei humanitärer Hilfe in Flüchtlingslagern und besteht weiter die Gefahr, dass sich ein militanter Programmen zur Unterstützung instabiler Regierungen Islamismus im gesamten Nahen Osten zu etablieren mehr leisten müssen – und auch können. vermag. Da sich die USA sukzessive aus diesem Raum Im direkten Bezug zur Migrationslage steht auch die zurückziehen – jedoch nicht ohne ihre (auch European Union Naval Force Mediterranean SOPHIA extremistischen) sunnitischen Verbündeten weiterhin (EUNAVOR MED SOPHIA). Diese multinationale vor allem logistisch und rüstungstechnisch zu maritime EU-Mission sollte im südlichen zentralen unterstützen – und Europa weder die Stärke noch den Mittelmeer zwischen europäischer und Willen hat, diese Krisen zu bewältigen, werden diese tunesisch/libyscher Küste den Menschenschmuggel im Konflikte auch weiterhin und in den kommenden Generellen und Schlepper und deren Infrastruktur im Jahren die europäische Sicherheit dominieren. Neben Speziellen bekämpfen. Symptomatisch für die den unmittelbaren Auswirkungen in diesen Ländern Sicherheits- und Migrationspolitik der EU ist die sind diese Krisen auch ein wesentlicher Grund für die Operation SOPHIA bisher jedoch ein völliger Migrationsbewegungen, die Europa belasten. Fehlschlag. Das Aufgreifen der Flüchtlingsboote an der Seegrenze zu den internationalen Gewässern des 1 Mittelmeeres hat nur dazu geführt, dass die Schlepper Soft Military Instruments sind militärische Mittel, die bei der Lösung von Sicherheitsproblemen ohne die zielgerichtete billigere und seeuntüchtige Einweg-Schlauchboote Anwendung oder Androhung von Gewalt zur Durchsetzung von verwenden, welche die ohnehin lebensgefährlichen Zielen oder Aufgaben auskommen, bzw. zu einer zielgerichteten Überfahrten noch gefährlicher gemacht haben. Anwendung oder Androhung von Gewalt zur Durchsetzung von Trinkwasser und Treibstoff werden nur noch zum Zielen oder Aufgaben nicht befähigt sind. Auf politisch-strategischer Ebene sind Soft Military Instruments: diplomatieunterstützende Erreichen internationaler Gewässer benötigt, da ab Einsätze, Traditional und Multidimensional Peace Keeping sowie deren Erreichen die Weiterfahrt nach Europa durch die Robust Peace Keeping, sofern bei letzterem Gewalt nur zur Schiffe der EUNAVFOR sichergestellt wird. Operation Selbstverteidigung, Nothilfe und der Verteidigung schutzloser SOPHIA funktioniert faktisch ausschließlich als Dritter eingesetzt wird. 7
ISS AKTUELL 1-2017 Seenotrettungsmission. In Kombination mit einer um eine Integration dieser Räume in die feindlich europäischen Migrationspolitik, die jedem Migranten, gesinnte westliche Machthemisphäre zu verhindern. der ein europäisches Schiff erreicht, die faktisch Damit ist Russland in der Lage, zumindest einen Teil ungehinderte Einreise nach Europa ermöglicht, hat des im Zuge der Auflösung der Sowjetunion verlorenen SOPHIA sich als „Ergänzungstransportdienst“ des Raumes weiter zu beherrschen. Menschenschmuggels im zentralen Mittelmeer etabliert und damit zum Magneten für Migranten entwickelt. Der im Sommer 2016 durchgeführte Real wird den Schleppern damit das Geschäft erleichtert „Pseudostaatsstreich“ in der Türkei hat Präsident Recep und verbilligt. Erdogan die Gelegenheit gegeben, bürgerliche Freiheitsrechte weiter einzuschränken und seine Macht weiter zu konsolidieren. Dies ist auch die beste Voraussetzung, um die seit Jahren schleichend vorgenommene Islamisierung der Türkei offen und offensiv zu finalisieren. Dies wird im Übrigen von der türkischen Bevölkerung mehrheitlich unterstützt und mitgetragen. Die EU hat dabei weder den Willen noch die Fähigkeit, diese Entwicklung zu verhindern. Die strategische Handlungsunfähigkeit der EU in der Türkeifrage hat dabei ihren Ausgangspunkt in einer seit vielen Jahren fehlorientierten Türkeipolitik. Ziel der EU war es, in Verkennung kultureller und religiöser Gegebenheiten, ein Land mit einem nicht kompatiblen Kultursystem Die Verteidigungsministerinnen Deutschlands und Italiens integrieren zu wollen. Dabei wurden alle Anzeichen, beim Besuch des Hauptquartiers von EUNAVFOR MED dass sich die säkularen Vorstellungen und Werte SOPHIA in Rom Europas nicht mit den Vorstellungen und Werten der türkischen Bevölkerung decken, ignoriert. Auf dieser Sofern das Türkei-Abkommen aufrechterhalten wird, ist Grundlage wurde der Türkei eine Beitrittsoption daher in den kommenden Monaten vor allem mit präsentiert, welche nunmehr eine sinnvolle und Migrationsbewegungen über Italien zu rechnen. Als zukunftsorientierte strategische Beziehung hemmt, wirtschaftlich leistungsfähiger und sozial freizügiger wenn nicht sogar blockiert. In Kombination mit der europäischer Staat wird Österreich zunehmend ein noch inneren Schwäche der EU und der daraus bedingten attraktiveres Zielland. Mittelfristig ist dabei auch nicht Unfähigkeit, die Migrationskrise notfalls auch selbst zu damit zu rechnen, dass Zuwanderung in Europa durch lösen, hat dies zu der paradoxen Situation geführt, dass eine wie immer geartete Einwanderungspolitik bestimmt die autoritär und antidemokratisch geführte und wird, sondern weiterhin von Fluchtmigration und sukzessive zu einem islamischen Staat umgewandelte Familiennachzug. Türkei formell weiterhin Beitrittskandidat der EU ist. Da die EU selbst handlungsschwach und in der Europas Positionierung zu seinen großen Nachbarn Migrationspolitik uneinig ist, bleibt die Eine an Stabilität orientierte Politik der EU hat das Aufrechterhaltung der Migrationsvereinbarung mit der Verhältnis zu seinen großen Nachbarn an der Türkei als Voraussetzung für die Entspannung bzw. europäischen Peripherie, zu Russland und zur Türkei, Stabilisierung in der Migrationsfrage. Eine potenzielle ausgeglichen und stabil zu gestalten. Aufkündigung dieser Migrationsvereinbarung lähmt Von Russland droht zwar keine unmittelbare Gefahr, daher faktisch eine zukunftsorientierte und europäische jedoch wird Moskau aus einer Position der Stärke seine Türkei-Politik, die den realen Gegebenheiten angepasst weitere globale und europäische Rolle zu definieren ist. versuchen. Wenn die EU nicht in der Lage ist, Russland eine eigene auch militärisch hinterlegte Stärke entgegenzusetzen, ist ein gedeihliches Miteinander wohl schwer zu erreichen. Der Ukrainekonflikt und andere eingefrorene Konflikte im kaukasischen Raum können dabei bestenfalls als eingedämmt bezeichnet werden. Eine Konfliktlösung ist nicht in Sicht und teilweise auch gar nicht gewünscht. Russland nutzt dabei die Instabilität für die Absicherung seines strategischen Umfeldes. Russland tut dies mit strategischem Kalkül, 8
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ISS AKTUELL 1-2017 Die westliche Welt … man so will, war Barack Obama der erste pazifische Präsident der USA. Weltmacht USA Was kann sich Barack Obama nun auf seine Fahnen Der hier vorliegende Beitrag wurde im Rahmen des heften? Was bleibt von ihm wirklich? Was konnte er vorgegebenen Redaktionsschlusses mit 31.12.2016 durchsetzen, worin scheiterte er? Im Folgenden eine inhaltlich abgeschlossen. kleine Zusammenschau von 8 Jahren Administration Barack Obama. Barack Obama (2008-2016) – (k)ein Resümee Eines der wichtigsten Projekte, das er bereits viele Jahre vor seiner eigentlichen Präsidentschaft mit großem Barack Obama wird seine Spuren im (Treib)Sand der Enthusiasmus verfolgte, wird schließlich unter US-amerikanischen Politik hinterlassen. So viel ist „Obamacare“ in die Geschichte eingehen: Die sicher. Auch wenn nichts von seinem politischen Verabschiedung des „Patient Protection and Affordable Vermächtnis übrig bleiben sollte – was, nebenbei gesagt, Care Acts (PPACA)“, d.h. die erstmalige reale ziemlich unwahrscheinlich ist – so bleibt er doch auf Möglichkeit des Zugangs für Millionen US-Bürger zu immer im Gedächtnis als erster farbiger Präsident der einer Krankenversicherung. Auch wenn der bisherige Vereinigten Staaten von Amerika. Erfolg hinter den Erwartungen zurückbleibt, so Blättert man gar nicht so weit zurück im (für unseren kommen schon heute mehr als 12 Millionen US- europäischen Verhältnisse) noch recht schmalen Buch Amerikaner, die früher über keine Krankenversicherung US-amerikanischer Geschichte, so fällt auf, dass die verfügten, in den Genuss von „Obamacare“. Zu wenig, Welt der USA noch zu Zeiten eines John Fitzgerald um sich zu rechnen, meinen die Versicherungsexperten, Kennedy eine völlig andere war. Als sich der Student die mit 21 Millionen Polizzen gerechnet hatten. James Meredith damals als erster „Schwarzer“ im Tatsächlich ist heute „Obamacare“ von einer Bundesstaat Mississippi an der Universität von Oxford Krankenversicherung mitteleuropäischen Zuschnitts als ordentlicher Hörer einschreiben wollte, musste noch weit entfernt und deckt oft nur die notwendigste Präsident John F. Kennedy Polizei und selbst Militär Versorgung ab. Die Verluste für die Versicherer steigen aufbieten, um das zu ermöglichen. Die darauf folgenden jährlich. Und der republikanisch-dominierte Kongress Ausschreitungen kosteten damals 2 Menschen das tat in der jüngsten Vergangenheit sein Übriges, um Leben und verletzten weitere 70 Personen. Kennedys geplante staatliche Subventionen für Einschätzung der eigenen politischen Lage damals: „This Versicherungsgesellschaften zurückzuhalten. thing could cost me the election, but I have no intention of turning Zum Zeitpunkt der Übernahme seiner Amtsgeschäfte back now or ever!“. fand Barack Obama eine von wirtschaftlicher Auch wenn die Vereinigten Staaten heute noch immer Stagnation, ja Rezession geprägte USA vor. Die stark mit Minderheitenproblemen zu kämpfen haben Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise, die Mitte (Stichwort: weiße Polizeigewalt), so ist doch die Stellung 2007 als Folge der geplatzten US-Immobilienblase von Minoritäten in der US-amerikanischen Gesellschaft letztlich von den Vereinigten Staaten ausgegangen war mit jener der 60er-Jahre nicht mehr zu vergleichen. Wir und in der Folge zahllose Wirtschaften der Welt mit sich hatten bereits unter George Bush jun. mit Colin Powell reißen sollte, waren bereits eklatant. Ein Jahr nach den früheren Generalstabschef der US-Streitkräfte im Barack Obamas Amtsantritt im Jänner 2008 schätzte der Golfkrieg 1991 als Außenminister, Condoleezza Rice Internationale Währungsfond (IWF) die durch die Krise erst als Nationale Sicherheitsberaterin und später als entstandenen Wertpapierverluste auf unvorstellbare 4 Außenministerin unter demselben Präsidenten. Weitere Billionen US-$. Das mit der Wirtschaftskrise Prominente ließen sich nennen, blickt man allein z.B. verbundene rapide Anwachsen der Arbeitslosigkeit war auf die heutige Zusammensetzung des Obersten eine der großen Aufgaben und Herausforderungen der Gerichtshofes der USA. Administration Obama. Tatsächlich wurden in der Und nun also auch ein Präsident mit „afro-american Folge der Krise unter seiner Präsidentschaft nicht nur roots“. Noch dazu einer, der einen Teil seiner Jugend 15 Millionen neue Jobs geschaffen und die nicht einmal in den USA verbrachte. Barack Obama Arbeitslosenquote damit auf unter fünf Prozent halbiert, wurde 1961 auf Hawaii geboren und war das Kind eines sondern auch die US-Wirtschaft wieder stabilisiert und Mannes mit kenianischen Wurzeln und einer Frau aus zurück auf (moderaten) Wachstumskurs gebracht. Wichita, Kansas. Als seine Mutter nach ihrer Scheidung Barack Obama ist es zu verdanken, dass das 1964 in zweiter Ehe 1967 einen indonesischen Manager Umweltbewusstsein in der Vereinigten Staaten heute heiratete, zog Barack im Alter von sechs Jahren nach einem zwar langsamen, doch nachhaltigen Wandel zu Jakarta. Erst 1971 kehrte er nach Hawaii zurück. Wenn unterliegen scheint. Vor allem in seiner zweiten Amtszeit machte sich der US-Präsident für seine 10
ISS AKTUELL 1-2017 Umweltanliegen stark und veranlasste per Dekret Gegensätze – nicht zuletzt aufgrund des grotesken zahlreiche diesbezügliche Maßnahmen am Kongress Wahlkampfes der vergangenen Monate – noch mehr. vorbei, was die Kluft zu den Republikanern zusätzlich Obama weiß das, doch ihn trifft dabei im Grunde die vertiefte. Unter den Neuerungen sollen an dieser Stelle geringste Schuld, auch wenn er selbst seine Leistung vor allem die Regeln zur Reduktion des CO2-Ausstosses heute äußerst kritisch beurteilt: „Das ist eines der wenigen und die gelungene Popularisierung von Solarzellen als Dinge meiner Präsidentschaft, die ich bereue: Dass der Groll und alternative Energiequelle genannt sein. Krönender das Misstrauen zwischen den Parteien schlimmer wurden, statt Abschluss von Obamas Umweltoffensive war besser.“ schließlich die Unterzeichnung des Pariser Es mag möglicherweise zu viel verlangt sein, in zwei Klimaabkommens (21. UN-Klimakonferenz) aus 2015. Amtsperioden eine wirtschaftlich derart angeschlagene Inwieweit der designierte Nachfolger Obamas, Donald Supermacht wieder auf die Beine stellen zu wollen (was Trump, gewillt ist, den (moderat)-neuen Kurs der US- ihm gelang). Klimapolitik doch mitzutragen, ist aufgrund seiner bisherigen kritischen Äußerungen zum Thema jedoch Es mag möglicherweise zu viel verlangt sein, ein aus äußerst fraglich. dem Ruder gelaufenes militärisches Engagement im Mittleren Osten bei gleichzeitigem Anbruch des Außenpolitisch kann sich Barack Obama auf seine „Arabischen Frühlings“ (2010) beenden zu wollen und Fahnen schreiben, jener US-Präsident zu sein, der die dabei die Interessen der eigenen engen Verbündeten in Annäherung zu Kuba auf den Weg gebracht hat. Die der Region (Israel, Saudi-Arabien, Ägypten, Türkei) im jahrzehntelange Feindschaft der beiden ungleichen Gleichgewicht zu halten. Staaten, die durch eine sehr schwierige Historie miteinander verbunden sind, konnte so beendet und Es mag möglicherweise zu viel verlangt sein, den diplomatische Beziehungen nach 54 Jahren wieder eigenen Bürgern erklären zu müssen, dass nach aufgenommen werden. Obamas historische Reise nach unzähligen Amokläufen mit Dutzenden Toten in den Havanna im März 2016 war schließlich der erste Besuch USA die Ultima Ratio nicht in der verstärkten eines US-Präsidenten auf der Karibikinsel seit mehr als Bewaffnung der Bürger, sondern in verstärkter 90 Jahren. Das ist gut für beide Seiten, so viel steht fest. Kontrolle der Waffentragenden liegt – und man sich Genommen hat er damit einem linken diktatorischen dabei automatisch mit der mächtigen US-Waffenlobby Karibik-Regime den alles rechtfertigenden Satan vor der anlegt. Haustür genommen, und auch vielen US-Amerikanern Es ist definitiv zu viel verlangt, all das in nur acht Jahren ein fast liebgewonnenes Feindbild, das viele irgendwie zu bewältigen. vermissen werden (nicht nur die Lobby der Exil- Kubaner), da ganze Generationen von US-Politikern So wird das Urteil über den 44. Präsidenten der damit so herrlich Schwarzweißmalerei betreiben Vereinigten Staaten wohl ein differenziertes sein. konnten. Obama war nicht der strahlende Erlöser, den sich nicht nur seine Anhänger in den USA, sondern nicht zuletzt Bei so viel karibischer Sonne ist aber auch Schatten zu die meisten europäischen Verbündeten 2008 gewünscht konstatieren. Gerade ein winziger Fleck im Osten der und erhofft hatten. Die „Vorschusslorbeeren“, die ihm karibischen Zuckerinsel ist durch die ständige Präsenz schon kurz nach Amtsantritt in Form des der USA in Form der Guantanamo Bay Naval Base für Friedensnobelpreises überreicht worden waren, kamen viele bis heute ein Schandfleck, unvereinbar mit den definitiv verfrüht. Ihnen folgte das Nicht-Einlösen verfassungsmäßig-garantierten Grundrechten der US- seines Guantanamo-Versprechens, die Tötung Osama amerikanischen Demokratie. Und auch wenn sich Ende bin Ladens und Tausende Opfer der „Targeted 2016 nur noch 59 von ehemals 779 „ungesetzlichen Killings“ (gezielten Tötungen) im Rahmen des durch Kombattanten“ dort aufhielten, so ändert deren Zahl Amtsvorgänger George W. Bush begonnenen nichts daran, dass es sich hier um ein rechtswidriges Drohnenkriegs. Selbst wenn letztere Aufzählung in den Internierungslager handelt, in dem grundlegende Katalog der „notwendigen Übel“ eines US-Präsidenten Menschenrechte systematisch missachtet werden. Dass fallen mögen – so fällt es doch schwer, mit „Tuesday es nicht einmal ein entschlossener US-Präsident in acht Terror Briefings“, also den alldienstäglichen Jahren Amtszeit fertigbrachte, trotz wiederholter Besprechungen im Weißen Haus, welche Personen Ankündigung diese Basis zu schließen, ließ seine durch Drohneneinsätze als nächste zu exekutieren seien, Kritiker, die sich pikanter Weise vor allem aus dem einen Friedensnobelpreis zu belasten. Potential seiner eigenen enttäuschten Wählerschaft rekrutieren, bis heute nicht verstummen. Barack Obama hat die USA in einem wirtschaftlich wie außenpolitisch angeschlagenen Zustand übernommen Innenpolitisch übergibt Obama seinem Nachfolger eine und kann nun – zum Ende seiner Amtszeit – eine (noch geteilte Nation. War schon die Kluft bei seinem nicht vollständig) genesene Supermacht präsentieren, Amtsantritt sehr tief, so verschärften sich die 11
ISS AKTUELL 1-2017 deren Nimbus jedoch für viele gelitten hat. Tatsächlich Reaktion auf das Überschreiten der „roten Linie“ oblag gelang es Obama in seinen beiden Amtsperioden, Fehler letztlich dem US-Präsidenten. seines Vorgängers zu korrigieren – der Rückzug aus Obama selbst gab später an, sich in der Folge nicht, wie Afghanistan und dem Irak sind hier prominent zu man es bislang von einem US-Präsidenten gewohnt nennen. Nun sind Rückzüge selten populär – notwendig gewesen war, an das Washingtoner „Playbook“ gehalten waren sie allemal, weil beide Kriegsschauplätze für die zu haben. Er habe sich für eine eigene Linie USA zu einem Fass ohne Boden zu werden drohten. entschieden, nachdem ihm niemand habe sagen können, Die unbarmherzige Historie des Arabischen Frühlings was eine Bombardierung Syriens letztlich bringen und daraus resultierend die Libyen-Krise führte – nach würde, so Obama in seiner Rechtfertigung. Obama Obamas eigener Einschätzung – zu seiner wohl wörtlich: "Bomben auf jemanden zu werfen, um zu beweisen, schwersten außenpolitischen Niederlage: Auf die Frage dass du bereit bist, Bomben auf jemanden zu werfen, das ist so des US-Senders Fox News (2016) nach dem ziemlich der schlechteste Grund zur Gewaltanwendung." schlimmsten Fehler seiner Amtszeit antwortete der US- Präsident: "Wahrscheinlich, dass ich nicht für den Tag nach der Was angesichts der Bilder der letzten Monate aus Intervention in Libyen geplant habe, die mir damals als richtige Aleppo und anderswo bleibt, ist ein ungutes Gefühl, Entscheidung erschien." diesem Staatsterror doch besser Einhalt geboten und nicht Assad und seiner russischen Luftwaffe das Feld Eine nachhaltige Intervention der USA nach der überlassen zu haben. Die Frage, die sich uns militärisch- militärischen Eroberung von Tripolis durch die zahnlosen Europäern dabei stellt, ist eine altbekannte: Aufständischen (2011) hätte möglicherweise Wer? Niemand außer den Vereinigten Staaten hätte hier Destabilisierung und Bürgerkrieg sowie ein Erstarken realistisch eine Option gehabt. Vielleicht ist es nicht des IS in der Region verhindert. Libyen, sondern Syrien, das einmal als größtes Versagen So groß das Versäumnis in Libyen eingeschätzt wird, so der Administration Obama in die Geschichte eingehen stolz ist Obama auf eine andere Nicht-Intervention. wird. Syrien. Gerade die Ereignisse des letzten Jahres jedoch Was von Obama wirklich bleiben wird, hängt letztlich ließen ernste Zweifel daran aufkommen, ob die auch von seinem Nachfolger Donald Trump ab. Viele kriegsmüden USA, die sich über mehr als zwei Dekaden von Obamas Exekutivanordnungen scheinen nun in in der Region stark engagierten, hier nicht doch Gefahr, vom 45. Präsidenten der USA wieder militärisch hätten auf den Plan treten sollen. zurückgenommen zu werden, sobald letzterer am 20. Wenn man als Supermacht rote Linien zieht, so muss Jänner 2017 vereidigt werden wird. Ob es sich nun um klar sein, dass im Falle einer Überschreitung derselben den Atomdeal mit dem Iran, die Fortschritte in der US- durch den Gegner ultimativer Handlungsbedarf besteht. Klimapolitik oder den Abschiebestopp für Millionen Nichts ist schlimmer in der Weltpolitik, als Drohungen illegaler Einwanderer handelt – Trump könnte all das ohne Konsequenz. Man läuft sofort Gefahr, nicht mehr noch am Tag seiner Inauguration mit einem Pinselstrich ernst genommen zu werden, sei es von gegenwärtigen wieder rückgängig machen. oder zukünftigen Kontrahenten. Im August 2012 hatte Obama den syrischen Intermezzo: Anmerkung (nicht nur) in eigener Machthaber noch gewarnt: "Ich habe bis jetzt kein Sache militärisches Eingreifen angeordnet, aber für uns ist eine rote Unsere europäische „Welt von Gestern“ ist eine andere Linie überschritten, wenn eine ganze Menge chemischer Waffen geworden. Eine andere US-amerikanische, wohlgemerkt. bewegt oder eingesetzt wird". Und wenn es vielen Europäern auch nicht passt, die In Syrien wurde die „rote Linie“ vom syrischen Welt in der wir leben, ist – besonders für unsere jüngere Staatspräsidenten Baschar Hafiz al-Assad in der Folge Generation - von den USA stark geprägt. Sie war es mehrfach überschritten. Im Juni 2013 schließlich schon in den 50er und 60er-Jahren des vorigen bestätigte das Weiße Haus, das es zu Giftgasangriffen Jahrhunderts – als ein Ergebnis des Zweiten durch das Regime Assad gekommen sei. Die Reaktion Weltkrieges, des darauf folgenden Kalten Krieges und Washingtons: Lieferung leichter Waffen an die Rebellen. natürlich des European Recovery Programms (ERP), Weder Panzer- noch Flugabwehrraketen befanden sich besser bekannt unter „Marshall-Plan“. Und heute - nach darunter. Zu groß war die Angst in beiden großen der Implosion des bipolaren Systems 1989/91 - ist sie es politischen Lagern der USA, Demokraten wie gleichsam erst recht. Republikanern, hochsensible Waffensysteme könnten in Die digitale Globalisierung und die damit verbundene die falschen Hände gelangen oder die Vereinigten Vorreiterrolle der USA in unserem Informationszeitalter Staaten in ein neues militärisches Engagement quasi haben große Teile der freien Welt zu einer US- „hineingezogen“ werden. Doch die unmittelbare 12
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