Umwelt - Gesundheit, ein kostbares Gut - Bundesamt für Gesundheit BAG
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DOSSIER GESUNDHEIT < umwelt 3/2015 3/2015 umwelt Natürliche Ressourcen in der Schweiz Gesundheit, ein kostbares Gut Dossier: Natur, Gesundheit und Ästhetik > Problematische Heilmittelrückstände > Krank durch Klimaerwärmung > Viel Grün für mehr Bewegung > Gesunde Städte planen Weitere Sicherer Umgang mit Ammoniak > Nachhaltige Waldentwicklung > Mehr Geld für Themen: die Landschaftsqualität > Umwelttrends in Europa
umwelt 3/2015 > EDITORIAL Besser vorbeugen Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit. So sieht es zu Recht die Weltgesundheitsorganisation (WHO), wenn sie Gesundheit als «Zustand vollkomme nen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens» beschreibt. Für ihre Gesundheit sind Menschen auf eine intakte Umwelt angewiesen, etwa auf sauberes Wasser, gute Luft, wenig Lärm, unbelastete Lebensmittel oder attraktive Naherholungsgebiete. Die Qualität der Umwelt ist in der Schweiz generell hoch – auch dank wirksamen Technologien, griffigen Gesetzen und einer Bevölkerung, die der Natur Sorge trägt. Unser Engagement ist aber mehr denn je gefordert, insbesondere im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Unter zunehmender Hitze leiden besonders ältere und geschwächte Personen. Die Europäische Umweltagentur geht davon aus, dass in Europa jährlich Zehntausende Menschen mehr sterben werden, wenn die Tempera turen ungebremst weiter steigen. Auch wirtschaftlich und sozial hat der Klimawandel schwerwiegende Folgen, wenn Millionen von Menschen in den Ländern des Südens durch Dürren und andere extreme Wetterereignisse ihre Existenzgrundlage ver lieren. Deshalb engagiert sich die Schweiz im In- und Ausland für eine Reduktion der Treibhausgase. Das vorliegende Magazin illustriert an zahlreichen Beispielen den Zusammenhang zwischen Umwelt und Gesundheit und macht deutlich, dass auch beim Um weltschutz die gleiche Devise gilt wie bei Krankheiten: Vorbeugen ist besser als heilen. Bundesrat Alain Berset, Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern 2
umwelt 3/2015 > DOSSIER GESUNDHEIT EINSICHTEN AUS DER VERGANGENHEIT Vom Sonnendoktor zum Wahrheitsberg Verqualmte Luft, durch Fäkalien verunreinigtes Wasser und mit Schlacke durchsetzte Böden machen krank. Die Industrialisierung bot reiches Anschauungsmaterial für die Wechselwirkungen zwischen belasteter Umwelt und gesundheitlicher Gefährdung. Argumente für den Schutz von Gesundheit und Natur lieferten Wissenschaft und Medizin – und die Erfahrungen ästhetisch sensibler Zeitgenossen. Text: Lucienne Rey «Hie und da bekomme ich leichte, oberflächliche an der Aare (BE) als Sohn eines Färbereibesitzers ge Übelkeiten, wenn ich (...) diese gänzlich Nackten boren, sah er nach dem Eintritt in den elterlichen langsam zwischen den Bäumen sich vorbeibewegen Betrieb seine Berufung zunehmend darin, kranke sehe. Ihr Laufen macht es nicht besser. (...) Auch Arbeiter zu beraten. Schliesslich gründete er 1854 alte Herren, die nackt über Heuhaufen springen, im ungarischen Veldes (heute Bled in Slowenien) gefallen mir nicht.» Schamhafte Personen taten eine Heilanstalt. sich schwer mit den in den Naturheilanstalten Arnold Rikli baute auf der Wassertherapie auf, des frühen 20. Jahrhunderts propagierten Behand wie sie seit den 1830er-Jahren etwa vom heil lungsmethoden. Zumindest legt ein Eintrag aus kundigen Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897) dem Tagebuch des berühmtesten Tuberkulose praktiziert wurde. Rikli erweiterte aber den hydro- patienten der Literaturgeschichte diesen Schluss therapeutischen Ansatz zu einer «atmosphärischen nahe: Franz Kafka (1883–1924) hielt sich im Juli Cur», indem er kalte Aufgüsse und Dampfbäder 1912 in der Kuranstalt Jungborn im Harz auf. Sie mit Abhärtung, Training, einer vegetarischen Diät war 1895 vom ehemaligen Buchhändler Adolf Just und intensiven Sonnenbädern verband. Dank (1859–1936) gegründet worden, der auf Lehm diesen «atmosphärischen Wechselreizen» sollten behandlungen, Rohkost und viel Bewegung setzte, die Patienten genesen. Die etablierte Medizin, die sich an den Theorien des autodidaktischen «Sonnendoktors» rieb, begann erst Ende der Die etablierte Medizin begann erst Ende der 1860er-Jahre, Lungenkranke mit L iegekuren im 1860er-Jahre, Lungenkranke mit Liegekuren sonnigen Höhenklima zu behandeln. Die soge nannte L ebensreformbewegung dagegen wurde im sonnigen Höhenklima zu behandeln. schon früh von Rikli inspiriert. Der Begriff der Lebensreform kam in der zweiten um die Gesundheit seiner Gäste zu stärken. Die Hälfte des 19. Jahrhunderts auf und schloss die gymnastischen Übungen hatten nackt zu erfolgen, Erneuerung sämtlicher Bereiche der Lebensfüh denn auch Licht- und Luftbäder gehörten zum rung ein. Genügsam, friedlich, frei von sozialen Konzept des Hauses; dieser Kleiderordnung freilich Zwängen und mit offenen Sinnen für das unge entzog sich Franz Kafka («Alles, bis auf mich, ohne künstelt Schöne sollten die Menschen leben. «Die Schwimmhosen»). damalige Vision einer ‹gesunden Gesellschaft› war umfassend», erklärt Matthias Stremlow von Schweizer Pionier der Naturheilkunde der Sektion Ländlicher Raum beim BAFU. «Dabei Die Ehre des alternativmedizinischen Pioniers wurden beispielsweise Vorstellungen einer iden gebührt allerdings nicht Adolf Just, sondern dem titätsstiftenden heimatlichen Landschaft mit der Schweizer Arnold Rikli (1823–1906). In Wangen gesundheitsfördernden Bewegung in der Natur 4
umwelt 3/2015 > DOSSIER GESUNDHEIT und der Freiheit verknüpft. Kurz: Es ging um ein folgte im August 1855, und sie suchte auch Basel rundum gutes Leben.» und Genf heim. Typhus war ebenfalls gefürchtet und flammte in den grösseren Schweizer Städten bis zur Zivilisation als Krankheit Wende ins 20. Jahrhundert immer wieder auf. Eine Als Wegbereiter für die neue Wertschätzung der schwere Typhusepidemie in den Jahren 1865 und Natur gilt Jean-Jacques Rousseau (1712–1778). In 1866 veranlasste schliesslich die grösseren Schweizer seinem 1761 erschienenen Werk «Julie ou la nouvelle Städte, den Bau geschlossener Kanalisationssysteme Héloïse» prangerte er die Zivilisation an, die «indus voranzutreiben. trie humaine», die jedes Verlangen des kultivierten Menschen («l’homme civilisé») erfülle, nur um ihn Die Ambivalenz des Unsichtbaren in einen «Abgrund neuer Bedürfnisse zu stürzen». Dem Arzt und Mikrobiologen Robert Koch (1843– Dagegen lobte der Dichter und Philosoph die stär 1910) gelang es, im Jahr 1883 den Erreger der Cholera kenden Kräfte der Natur: Im Gebirge falle das Atmen zu isolieren und seine Verbreitung über verschmutz leichter, Erschütterungen des Gemüts fielen von tes Wasser nachzuweisen. Ein Jahr zuvor hatte der einem ab, und überhaupt erstaune es, dass «Bäder Mediziner wissenschaftlichen Ruhm mit einer Arbeit in der gesunden und wohltuenden Luft der Berge über die Entstehung der Tuberkulose erlangt. Auch nicht eines der grossen Heilmittel der Medizin und diese «Volksseuche» grassierte vornehmlich in beeng Moral» seien. ten städtischen Verhältnissen. Für die Schweiz spricht Auch die Schulmedizin begann, vor den negativen das Bundesamt für Statistik von einer bedrückenden Seiten der zivilisatorischen Entwicklung zu warnen. Bilanz und hält fest: «Um 1905 kommen in unse Klar, dass es Ärzte der Britischen Inseln waren, wo rem Land auf 100 000 Menschen noch immer über die Industrialisierung ihren Anfang genommen 250 Tuberkulosetote.» In den grösseren Siedlungen hatte, die mit Nachdruck auf ungesunde Zeiterschei lagen die Zahlen naturgemäss weit höher als der nungen hinwiesen. Auf dem europäischen Festland Landesdurchschnitt. wurde der Ausdruck «Englische Krankheit» geläufig: Das wachsende mikrobiologische und biochemi Der Volksmund bezeichnete damit die Rachitis, eine sche Wissen half aber nicht nur, Krankheiten zu Knochenerkrankung, die auf eine Unterversorgung bekämpfen; auch gesundheitsstärkende Wirkungs mit Vitamin D zurückzuführen ist. Sie war bis zu Be zusammenhänge wurden enträtselt. So begann der ginn des 20. Jahrhunderts in den grösseren Industrie polnische Forscher Casimir Funk (1884–1967) um städten weit verbreitet. Schuld daran war der Smog, 1912 seine Forschungsarbeit über Ursachen der der fatale Mix aus Nebel, Rauch und Russpartikeln, Mangelerkrankung Beri-Beri. Er experimentierte mit der die UV-Strahlen der Sonne abblockt. Diese aber verschiedenen Diäten und kam zum Schluss, dass braucht es, damit die Haut Vitamin D bilden kann. bestimmte Speisen vitale Inhaltsstoffe enthielten; für diese prägte er den Ausdruck Vitamine. Ungesunde Dichte Die Reformhäuser – Läden, in denen sich ab 1900 An den Missständen in den Städten entzündete sich die Anhänger der Lebensreformbewegung mit voll die Fortschrittskritik der Lebensreformbewegung. In wertiger Nahrung versorgten – beriefen sich alsbald den Ballungsräumen traten die Folgen mangelhaf gerne auf die Vitalkraft ihrer Lebensmittel. Eine ter hygienischer Verhältnisse besonders deutlich Reformbäckerei aus dem deutschen Bad Kreuznach zutage, weil der Ausbau der sanitären Anlagen mit machte zwar für ihren Zwieback «Vitanova» nicht dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt hielt: So explizit Werbung mit dem hohen Vitamingehalt, da verdoppelte sich zwischen 1830 und 1870 Basels für aber mit dem «Zusatz der radiumhaltigen Kreuz Einwohnerzahl von etwas über 20 000 auf über nacher Heilquellen». Auch der Naturheiler Adolf 44 000 Personen, während das Abwasser aus den Just führte die Wirkung der von ihm therapeutisch Fäkaliengruben bis Mitte des 19. Jahrhunderts vie eingesetzten «Heilerde» auf ihren Gehalt an Radium lerorts immer noch einfach versickerte. zurück. In ihrer Faszination für die unsichtbaren Seuchen folgten auf dem Fuss. Nördlich der Kräfte der Natur waren sich Lebensreformbewegung Schweizer Alpen trat im September 1854 in Zürich und Schulmedizin einig – auch wenn sich die bei ein erster Infektionsherd der Cholera auf. «Die meis den Lager sonst oft skeptisch gegenüberstanden. ten Erkrankungsfälle betrafen das Niederdorf, das Quartier mit den ungesundesten Wohnungen und Umbruch auf allen Feldern der grössten Bevölkerungsdichte», hielt ein Zeitge Die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts widerspiegelt nosse fest. Der eigentliche Ausbruch der Epidemie die sozialen Umwälzungen und den wissenschaft 6
DOSSIER GESUNDHEIT < umwelt 3/2015 Am 1. Juli 1912 nahm die Heilstätte Barmelweid (AG) als Sanatorium für Tuber kulosekranke den Betrieb auf. Hygiene wurde stets grossgeschrieben; spezielle Anlagen dienten dazu, Spucknäpfe, Kleider und Matratzen mit Dampf zu desinfizieren. Bei der Liegekur ruhten Frauen und Männer in getrennten Liegehallen (Bilder oben). In eingeschränktem Mass gefragt war auch d ie Mitarbeit der Patientinnen und Patienten in der betriebseigenen Land wirtschaft, etwa beim Heuen. 1914 wurde eine eigene Kinderabteilung samt Schul- zimmer geschaffen; das Bild unten rechts (aufgenommen nach 1932) zeigt Kinder auf der Sonnenterrasse. Bilder: Klinik Barmelweid AG lichen Aufbruch dieser Zeit: In den Werken «Tod in vor ausufernden Städten und anderen Beeinträch Venedig» (1911) oder «Der Zauberberg» (1924) befasst tigungen zu schützen. 1905 regte die Malerin und sich etwa der Literaturnobelpreisträger Thomas Dichterin Marguerite Burnat-Provins (1872–1952) Mann (1875–1955) mit Cholera und Tuberkulose. die Gründung einer «Liga für die Schönheit» Bildende Kunst, Handwerk und Architektur be an – ein erster Schritt zum Heimatschutz. Es sollte fruchteten sich gegenseitig; Letztere entwarf mit freilich noch ein halbes Jahrhundert dauern, bis 1966 ihren Gartenstädten eine Alternative zu den be das Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) in Kraft engten Wohnverhältnissen der Städte und zielte treten konnte, um den Schutz von Biodiversität und zugleich nach dem Leitprinzip der Lebensreform Landschaft auf Bundesebene zu verankern. «Wahr auf eine Einheit von Wohnen, Arbeit, Kultur und nehmung und Ästhetik spielen in der Landschafts Bildung ab. 1906 entstand die erste Gartenstadtsied politik nach wie vor eine grosse Rolle», hält Matthias lung Deutschlands in Hellerau nahe Dresden. In der Stremlow fest. «Schöne und vielfältige Landschaften Schweiz folgten ab 1911 die Siedlung Schoren (SG) bewirken eine natürliche Gesundheitsförderung und oder das vom Bauhaus-Architekten Hannes Meyer dienen damit dem Wohlbefinden und der Wohlfahrt. (1889–1954) errichtete Freidorf in Muttenz (BL). Diese gesellschaftliche Bedeutung bedingt einen be Weit über die Schweizer Grenze hinaus bekannt wussten Umgang mit den Landschaftsqualitäten.» wurde die im Jahr 1900 gegründete «Naturisten Im NHG wirkt somit der künstlerische Geist weiter, kolonie» auf dem Monte Verità bei Ascona (TI). In der den Aufbruch ins 20. Jahrhundert durchwehte. diesem Ableger der Lebensreformbewegung spielte zwar die gesunde Lebensführung mit vegetarischer Weiterführende Links zum Artikel: Ernährung und Licht-Luft-Bädern eine wichtige www.bafu.admin.ch/magazin2015-3-01 Rolle. Doch es dürfte letztlich der umfassende ge sellschaftliche und musische Anspruch gewesen sein, der viele Intellektuelle und Kunstschaffende auf den «Wahrheitsberg» lockte, welcher darüber KONTAKT hinaus zu einer Keimzelle des modernen Aus Matthias Stremlow Sektionschef Ländlicher Raum druckstanzes wurde. BAFU Ästhetische Argumente waren es auch, die zu 058 464 84 01 nächst ins Feld geführt wurden, um die Landschaft matthias.stremlow@bafu.admin.ch 7
DOSSIER GESUNDHEIT < umwelt 3/2015 ANTIBIOTIKA- UND HEILMITTELRÜCKSTÄNDE IN DER UMWELT Die versteckte Seite des Medikamentenkonsums Rückstände von Schmerzmitteln, Antibabypillen und generell von Medikamenten in der Umwelt sind problematisch. Besonders verbreitet sind sie in den Gewässern, in die sie zum Teil über bereits gereinigtes Abwasser eingetragen werden. Auch gegen Antibiotika resistente Keime gelangen mitunter trotz Abwasser reinigungsanlagen (ARAs) in Flüsse, Bäche und Seen. Text: Kaspar Meuli Zürich hat die Nase vorn und vermag mit Metro Medikamentenrückstände weltweit polen wie London, Amsterdam und Antwerpen in der Umwelt präsent mitzuhalten – jedenfalls, was den Konsum von Hohe Konzentrationen von Arzneimittelrück Kokain betrifft. Das zeigte eine im Mai 2014 publi ständen in der Umwelt werden nicht nur in zierte gesamteuropäische Studie, die das Abwasser den Industriestaaten gemessen, sondern auch aus 47 Kläranlagen in 42 Städten analysiert hatte. in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Ergebnisse verblüfften auch die Fachleute, Eine Analyse des deutschen Umweltbundes die aufgrund der Suchtmonitoring-Befragungen amtes ermittelte im Jahr 2014 weltweit über für die Schweiz tiefere Werte erwartet hätten. 630 verschiedene in die Umwelt abgegebene Heil Was wir zu uns nehmen, landet früher oder mittelwirkstoffe. Neben dem bereits erwähnten später im Abwasser. Heikel ist dies vor allem bei biologisch wirksamen Substanzen – und zwar Studien belegen, dass Arzneimittelrückstände nicht nur bei illegal konsumierten, sondern auch bei solchen, die medizinisch verschrieben unter anderem die Fortpf lanzungsfähigkeit werden, um beispielsweise den Blutdruck zu von Fischen und Amphibien beeinträchtigen. senken, das Blut zu verdünnen oder den Hor monhaushalt zu beeinflussen. Der eigentliche «Blockbuster» bei den freigesetzten Arzneimitteln Diclofenac zählen etwa auch das Antiepileptikum ist sogar für alle in der Drogerie oder Apotheke Carbamazepin, das Schmerzmittel Ibuprofen, erhältlich: Es handelt sich um die Substanz Di das Pillenhormon Ethinylestradiol und das Anti clofenac, die Basis zahlreicher Schmerzmittel und biotikum Sulfamethoxazol dazu. Entzündungshemmer. «Dieser Wirkstoff findet Studien belegen, dass Arzneimittelrückstän sich in der Schweiz in allen ARA-Abwässern», de unter anderem die Fortpflanzungsfähigkeit bestätigt Saskia Zimmermann-Steffens von der von Fischen und Amphibien beeinträchtigen. BAFU-Sektion Gewässerschutz. Ein halbes Mikro Medikamente verändern aber auch das Verhalten gramm Diclofenac pro Liter Wasser führt bei von Tieren. So zeigten Laborexperimente, dass Forellen zu Nierenschäden. «In besonders belas Stare unter dem Einfluss des Antidepressivums teten Gewässern sind die hohen Konzentrationen Fluoxetin ihre Fressgewohnheiten modifizier von Arzneimitteln und anderen Stoffen mit einer ten und an Gewicht verloren. Und bei Fischen biologischen Wirkung ein Problem», bestätigt können verschiedenste Arzneien – von Antide denn auch die BAFU-Fachfrau. pressiva über diverse andere Psychopharmaka 9
umwelt 3/2015 > DOSSIER GESUNDHEIT und künstliche Hormone bis zu Mitteln zur klar. «Von einer Gefährdung zu sprechen, wäre Behandlung allergischer Beschwerden – das übertrieben», sagt Saskia Zimmermann-Steffens. Werbe-, Fress- oder Aggressionsverhalten beein «Die Konzentrationen, die im als Trinkwasser flussen. Unberechenbar sind aber insbesondere genutzten Grundwasser und in den Oberflä die Folgen eines Cocktails aus unterschiedlichen chengewässern nachgewiesen wurden, sind Arzneimittelrückständen. nach heutigem Kenntnisstand unbedenklich.» Doch die Belastung der Gewässer durch Abwässer Mikroverunreinigungen als Herausforderung nehme zu, und damit gelangten vermehrt auch für den Gewässerschutz Spurenstoffe in die Trinkwasservorkommen. Medikamentenrückstände in den Gewässern sind «Diese langlebigen Substanzen gilt es aus den Teil eines grösseren Problems, das in der Schweiz Wasserressourcen fernzuhalten, und die Belas nun angepackt wird: die sogenannten Mikrover tung der Trinkwasservorkommen sollte aus unreinigungen, die schon in tiefer Konzentration vorsorglichen Gründen vermieden werden», so die Wasserqualität mindern. «In grossen Men die BAFU-Gewässerschutzexpertin. gen eingesetzte langlebige Stoffe erweisen sich insbesondere für kleinere Flüsse mit geringer Widerstandsfähige Bakterien Unter den medizinischen Wirkstoffen stellen Antibiotika eine spezielle Klasse dar, denn sie Seit Kurzem werden in der Schweiz neue zielen nicht auf den Stoffwechsel des Patienten technologische Möglichkeiten genutzt, um ab, sondern auf den Erreger, der die Krankheit den Spurenstoffen in den Gewässern zu Leibe verursacht. Entsprechend können Antibiotika rückstände die menschliche Gesundheit zwar zu rücken. nicht unmittelbar, sehr wohl aber indirekt ge fährden: Wenn nämlich bakterielle Krankheits Wasserführung und hoher Abwasserbelastung als erreger schwach dosierten Antibiotika ausgesetzt problematisch», so Saskia Zimmermann-Steffens. sind, überleben viele von ihnen den medikamen «Wenige Mikro- oder Nanogramm dieser Stoffe tösen Angriff und werden gegen den Wirkstoff pro Liter reichen, um empfindliche Wasserlebe resistent. Die Fähigkeit, Abwehrmechanismen wesen zu schädigen.» gegen ihre Feinde – vorzugsweise gegen Schim In herkömmlichen ARAs werden Mikroverun melpilze, die Produzenten vieler natürlicher reinigungen kaum entfernt. Doch seit Kurzem Antibiotika – zu entwickeln, ist in der Natur werden in der Schweiz neue technologische Mög vieler Bakterien angelegt. So fanden Forschende lichkeiten genutzt, um den Spurenstoffen in den im US-Bundesstaat New Mexico in einem seit vier Gewässern zu Leibe zu rücken. In Dübendorf (ZH) Millionen Jahren von der Umwelt abgeschotteten hat 2014 eine zusätzliche Klärstufe zur Behand Höhlensystem uralte Bakterienstämme, die gegen lung von Mikroverunreinigungen ihren Betrieb zahlreiche moderne antibiotische Wirkstoffe aufgenommen. Die ARA Neugut ist die erste von resistent waren. rund 100 kommunalen Kläranlagen, die in den Besonders rasch können sich resistente Keime kommenden Jahren ausgebaut werden sollen. dort ausbilden, wo Antibiotika oft zum Einsatz Um die nötigen finanziellen Mittel effizient ein kommen – also in Spitälern, Arztpraxen und zusetzen, sollen gemäss Beschluss des Parlaments Ställen. Gefährlich wird es, wenn Träger anti nur die wichtigsten Anlagen, die zusammen über biotikaresistenter Keime erkranken oder operiert die Hälfte des gesamten Abwassers in der Schweiz werden und es keine Medikamente mehr gibt, reinigen, ausgebaut werden. Die Aufrüstung der die gegen die resistenten Bakterien wirken. Im ARAs wird in den kommenden 20 Jahren total Gesundheitswesen ist diese Gefahr durchaus real: 1,2 Milliarden Franken kosten. Finanziert wird Deshalb erklärte die Eidgenössische Fachkom sie hauptsächlich über eine bei allen ARAs erho mission für biologische Sicherheit in einer bene Abwasserabgabe von maximal 9 Franken Mitteilung vom Dezember 2014 antibiotikare pro Kopf und Jahr. sistente Keime zur «grössten Bedrohung für die Während feststeht, dass Arzneimittelrückstän Gesundheit der Bevölkerung in der Schweiz», die de und andere Mikroverunreinigungen Fische mit mehreren hundert Personen pro Jahr gleich und weitere Wasserlebewesen schädigen, sind die viele Todesopfer wie der Strassenverkehr fordern. Folgen für die menschliche Gesundheit weniger Gemäss einer Schätzung der schweizerischen 10
DOSSIER GESUNDHEIT < umwelt 3/2015 Expertengruppe im Bereich Infektiologie und Spi angesagt. Das BAFU wurde von Anfang an in talhygiene Swissnoso treten jährlich rund 70 000 ihre Ausarbeitung eingebunden. «Hauptziel ist, spitalbedingte Infektionsfälle auf, die bei rund die Wirksamkeit der Antibiotika zur Erhaltung 2000 der Kranken zum Tod führen. Wie gross der der menschlichen und tierischen Gesundheit Anteil ist, der auf resistente Keime zurückgeht, langfristig sicherzustellen», sagt Karin Wäfler, ist allerdings nicht bekannt. Die Mehrkosten aus Projektleiterin der Strategie im Bundesamt für allen spitalbedingten Infektionen belaufen sich Gesundheit (BAG). Dass der Bundesrat im Juni der gleichen Quelle zufolge auf 240 Millionen 2015 beschloss, 20 Millionen Franken für ein Franken pro Jahr. Ein erheblicher Teil der Anti neues Nationales Forschungsprogramm «Anti biotika wird allerdings nicht im Krankenhaus mikrobielle Resistenz» zur Verfügung zu stellen, angewendet, sondern in Arztpraxen verschrieben zeigt die Dringlichkeit, die der Bund der Proble und von den Patientinnen und Patienten zu Hau matik zuweist. se eingenommen. Zu den Massnahmen, welche die Strategie ab 2016 vorsieht, gehört die Überwachung des Auch in der Veterinärmedizin im Einsatz Verbrauchs von Antibiotika. Zudem sollen Richt Antibiotika finden auch in der Veterinärmedizin linien für deren Anwendung erarbeitet werden. Verwendung. Dort landen die Rückstände zwar In den Zuständigkeitsbereich des BAFU fällt, nicht in der Kläranlage, sondern im Boden, von dass künftig regelmässig Bodenproben auf das wo wenige Prozente mit der Erosion wieder in Vorhandensein antibiotikaresistenter Bakterien die Gewässer ausgeschwemmt werden. Im Zuge analysiert werden sollen. Natürlich bleibt auch des Nationalen Forschungsprogramms «Antibio die Wasserqualität im Fokus: «Unter anderem tikaresistenz» (NFP 49) stellte ein Projekt in einem soll beim Ausbau der ARAs geprüft werden, wie Feldversuch fest, dass mit dem Ausbringen von sich im Rahmen der geplanten Massnahmen der Gülle Sulfonamide – das sind in der Veterinär Eintrag von Resistenzen in die Gewässer eindäm medizin häufig eingesetzte Antibiotika – auf die men lässt», so Saskia Zimmermann-Steffens vom Wiesen gelangten. Die Konzentration im Boden BAFU. «Vordringliche Massnahme bleibt aber die nahm freilich schnell ab; dennoch blieben Rück Reduktion an der Quelle», betont Basil Gerber stände über Monate hinweg nachweisbar. von der BAFU-Sektion Biotechnologie, der für das Pro Jahr werden hierzulande rund 50 bis Amt die Arbeiten an der Strategie koordiniert. 60 Tonnen dieser Bakterien tötenden Medikamen «Und wir alle können dazu beitragen, indem wir te an Tiere verabreicht. Obschon zwischen 2008 nicht gleich bei jedem Schnupfen zu Antibiotika und 2012 die Zahl der in der hiesigen Veterinär greifen.» medizin verkauften Antibiotika um 21 Prozent zurückgegangen ist, liegt die Schweiz damit erst Weiterführende Links zum Artikel: im europäischen Mittelfeld. Und es gibt keinen www.bafu.admin.ch/magazin2015-3-02 Grund, sich mit dem Erreichten zufriedenzu geben. Eine Untersuchung im Auftrag verschie dener Konsumentenorganisationen aus dem Jahr KONTAKTE 2013 zeigte, dass 19 von 40 bei Grossverteilern Saskia Zimmermann-Steffens Sektion Gewässerschutz gekauften Poulet- und Truthahnfleischproben BAFU antibiotikaresistente Bakterien enthielten – und 058 463 17 15 zwar im importierten wie im Schweizer Fleisch. saskia.zimmermann-steffens@bafu.admin.ch Basil Gerber Gesundheit von Menschen und Tieren Stv. Sektionschef Biotechnologie langfristig sichern BAFU Noch lässt sich nicht sagen, ob zur Zunahme 058 463 03 50 basil.gerber@bafu.admin.ch der gefährlichen Multiresistenzen auch deren Verbreitung über die Umwelt beiträgt. Sicher ist: Hauptursache des Problems sind unsachgemässe Karin Wäfler Anwendungen von Antibiotika. Projektleiterin der Nationalen Strategie gegen Antibiotikaresistenzen Nun hat der Bund den resistenten Bakterien Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit der Ende 2014 vorgestellten «Nationalen Stra 058 463 87 06 tegie Antibiotikaresistenzen» (StAR) den Kampf star@bag.admin.ch 11
umwelt 3/2015 > DOSSIER GESUNDHEIT ERDERWÄRMUNG Tropenklima im Tessin Die Klimaerwärmung bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit: Stechmücken, die Infektionskrankheiten übertragen, breiten sich aus, der länger andauernde Pollenflug führt zu vermehrten Allergien, und die h äufiger werdenden Hitzeperioden gefährden geschwächte Menschen und kleine Kinder. Als Südkanton ist das Tessin besonders gefordert. Text: Vera Bueller Tobias Suter beisst die Zähne zusammen: «Ab dem hun Art – etwa maschinell – zu ernähren, seien geschei dertsten Mückenstich tut es weh», bemerkt er und fügt tert, erklärt der Mückenexperte: «Es braucht Schweiss, nach einer kurzen Pause hinzu, dass dann auch der Arm Blut und Körperwärme für die Aufzucht.» Ergo habe immer mehr anschwelle. Um die 6 00 Tigermücken zu er sich geopfert. ernähren, die in ihrem Zuchtgefäss nach Blut gieren, Kein Aufwand war dem Biologen Tobias Suter zu muss er täglich ebenso viele Stiche aushalten, und das gross für seine Doktorarbeit, die er am Schweizerischen über Wochen. Alle Versuche, die Insekten auf andere Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) über die 12
DOSSIER GESUNDHEIT < umwelt 3/2015 Tigermücke (Aedes albopictus) schreibt. Während zweier Tigermücken befänden sich nämlich auf privatem Jahre streifte er von Juni bis Oktober alle vierzehn Tage Grund, etwa in Regenwasserfässern, in Untersätzen durch die Wälder im Südtessin und auf der italienischen von Blumentöpfen, in Vasen auf Friedhöfen. Seite, schaute in jedes Astloch, durchsuchte Vorgärten Die Botschaft im Kampf gegen die Tigermücke lautet und Friedhöfe, kontrollierte 280 von ihm aufgestellte deshalb: nicht unnötig Wasser im Freien herumstehen Mückenfallen – je 140 in der Schweiz und in Italien. lassen oder aber dieses wöchentlich erneuern. Denn Er entnahm den simulierten Brutstätten insgesamt die Tigermücke, die ihren deutschen Namen wegen 230 000 Eier und wertete sie im Labor aus. der auffälligen hellen Streifen an Rücken und Beinen trägt, kann Trägerin gefährlicher Krankheiten wie des Italien als neue Heimat der Tigermücke Dengue- oder des West-Nil-Fiebers sein. Hauptursache Während Italien in der Grenzregion zur Schweiz gegen für ihre Verbreitung ist der globale Handel. Eier der die Ausbreitung der Mücke wenig unternimmt, laufen ursprünglich im asiatischen Raum heimischen Tiger im Tessin seit 2003 aufwendige Forschungs-, Aufklä mücke gelangten beim Transport von gebrauchten rungs- und Bekämpfungsmassnahmen – mit Erfolg. Autoreifen und Bambuspflanzen nach Italien. Von dort «Es zeigte sich, dass das Problem in Italien signifikant aus verbreitete sich das Insekt als blinder Passagier in grösser ist als im Tessin», stellt der junge Wissenschaft Autos und Lastwagen weiter. ler fest, zumal die ursprünglich in südostasiatischen Wäldern beheimatete Tigermücke ihr Verhalten ge Tropenkrankheiten in den gemässigten Breiten ändert hat und heute vor allem in urbanen Gebieten Seit 2003 wird die Tigermücke im Tessin nachgewiesen, vorkommt. Die meisten potenziellen Brutstätten von wo ihre Eier auch überwintern können. «Die Klima 13
umwelt 3/2015 > DOSSIER GESUNDHEIT Auch das West-Nil-Virus könnte vom Klimawandel profitieren. «Es gab bereits Krankheitsfälle in Europa, etwa in Frankreich», sagt Basil Gerber. «In der Schweiz existieren bislang aber noch keine Nachweise, dass hier Krankheiten durch Mückenstiche übertragen worden wären», beschwichtigt er und warnt vor Hysterie. In der Nordschweiz werde die Tigermücke zudem oft mit der kaum von ihr zu unterscheidenden Buschmücke verwechselt. Ein Stich dieses verbreitet vorkommenden Insekts sei zwar schmerzhaft, aber bis dato seien keine von ihm ausgehenden Krank heitsübertragungen bekannt. Die Entwicklung laufend überwachen Bereits konnten Eiablagen der Tigermücke nördlich des Gotthards beobachtet werden. Das Swiss TPH führt zusammen mit der Gruppo Lavoro Zanzare (GLZ) der Fachhochschule des Kantons Tessin seit 2013 eine schweizweite Überwachung der Tigermücke Tobias Suter beim Aufstellen der durch. Da diese sich in Europa vor allem passiv über Tigermückenfallen im Tessin. Verkehrswege ausbreitet, wurden an Autobahnrast Bilder: unibas stätten, Flughäfen und den Rheinhäfen Mückenfal len aufgestellt. Man fing jedoch weder adulte Tiere, noch konnten weitere Eiablagen zeitnah am selben Ort gefunden werden. «Das deutet darauf hin, dass zwar einzelne Tigermücken mit Autos oder Last Tigermücken könnten Viren bei einem wagen verschleppt werden, sich bisher jedoch keine infizierten Reiserückkehrer aufnehmen und stabilen Mückenpopulationen etablieren konnten», meint Pie Müller vom Swiss TPH, der das nationale bei der nächsten Blutmahlzeit an weitere Überwachungsprogramm leitet. Das Monitoring wird Personen übertragen. zunächst bis 2016 entlang der Autobahnen, an den Flughäfen von Genf und Zürich sowie in den Basler Rheinhäfen durchgeführt. erwärmung könnte längerfristig dazu beitragen, Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist zusammen dass die Eier eventuell auch nördlich der Alpen der mit den Kantonen für die Überwachung, Prävention kalten Jahreszeit trotzen werden», erklärt Basil Gerber und Bekämpfung von Infektionskrankheiten zustän von der Sektion Biotechnologie des BAFU, das das dig. Bei den durch Insekten übertragenen Krankhei Auftreten von krankheitsübertragenden gebiets ten stehen zum Beispiel das Chikungunya-Fieber, fremden Stechmückenarten überwacht. «Eine solche das Dengue-Fieber, das Gelbfieber, Malaria und das Überwachung ist wichtig, um bei Bedarf krankheits West-Nil-Fieber im Fokus. übertragende Mücken gezielt bekämpfen und so die Ausbreitung von Krankheiten verhindern zu können. Vermehrt Hitzetote Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass es besser Aber nicht nur Krankheitserreger werden dem Men ist, sich frühzeitig zu wappnen», so der BAFU-Experte. schen auf einer erwärmten Erde zu schaffen machen. Tigermücken könnten Viren bei einem infizierten Auch Hitzewellen, die der Forschung zufolge häufiger Reiserückkehrer aufnehmen und bei der nächsten auftreten werden, stellen eine Gefahr dar. Obschon Blutmahlzeit an weitere Personen übertragen. So sich der Mensch an eine allmähliche Temperatur geschah es im Sommer 2007 in Ravenna (IT). Damals zunahme anpassen kann, halten es Mediziner für brachte ein infizierter Indienreisender das Chikun unwahrscheinlich, dass er sich auch an ausserge gunya-Virus nach Norditalien. In Ravenna wurde er wöhnliche Hitze gewöhnt. «Diverse Studien zeigen, dann von dort ansässigen Tigermücken gestochen, die dass extreme Hitzeperioden negative gesundheitliche in der Folge den Erreger auf Hunderte von Personen Folgen haben», betont Damiano Urbinello vom BAG. übertrugen und eine lokale Epidemie auslösten. Im «Jahrhundertsommer» 2003 verzeichnete die 14
DOSSIER GESUNDHEIT < umwelt 3/2015 Schweiz fast 1000 Todesfälle mehr (also rund 7 Pro Erle dürften bereits im Dezember blühen, und Gräser zent) als durchschnittlich in dieser Jahreszeit. früher spriessen. Die stark allergieauslösende Pflanze Das BAG und das BAFU entwickelten in der Folge Ambrosia, die sich hierzulande ausbreitet, wird die eine Informationskampagne, um Angehörige, Pfle Pollensaison bis gegen Ende September verlängern, gepersonal, Ärzteschaft und gefährdete Personen wenn die Pollenbelastung durch die einheimischen für die gesundheitlichen Risiken von Hitze und die Pflanzen nur noch gering ist. entsprechende Vorsorge zu sensibilisieren. «Anstren Hohe Ozonwerte wirken sich zusätzlich schädlich gungen vermeiden, den Körper kühlen, viel trinken aus. «Mit einer höheren Ozonkonzentration werden und leicht essen wirkt vorbeugend. Die Sorge um die die Atemwege und Bronchien mehr gereizt, wodurch Gesundheit älterer Menschen während Hitzetagen speziell für Patientinnen und Patienten, die an geht alle an. Alleinstehende, betagte und pflegebe Krankheiten wie Asthma oder an der obstruktiven dürftige Personen benötigen unsere Aufmerksam Lungenkrankheit (COPD) leiden, das Risiko steigt», keit», weiss Damiano Urbinello. Viele Kantone haben erklärt D enise F elber Dietrich von der Sektion Luft die Empfehlungen übernommen. Ziel ist, vor allem qualität des BAFU. Zwar seien die Schadstoffbelastun bei älteren Menschen negativen gesundheitlichen gen von Luft und Wasser in der Schweiz gesunken. Auswirkungen vorzubeugen und dadurch eine Die Belastung mit Ozon und Stickoxiden ist aber höhere Sterblichkeit zu vermeiden. Zudem wollen weiterhin vielerorts übermässig. Vor allem im Tessin. die Behörden hitzebedingte Notfalleinsätze und Hos Dort steigen die sommerlichen Ozonwerte höher als pitalisierungen reduzieren. Mittlerweile verfügen in anderen dicht besiedelten Regionen der Schweiz zahlreiche Kantone über Alarmdispositive und haben (siehe dazu auch den Artikel «Richtig durchatmen», ihre Präventionsmassnahmen verstärkt. Seiten 16 ff.). Im Jahr 2014 lancierte zudem das Swiss TPH das Pi Ozon ist ein aggressives Reizgas, das tief in die lotprojekt «Effekt von Hitzeperioden auf die Sterblich Lunge einzudringen vermag. Die Folge sind Gewebe keit und mögliche Adaptionsmassnahmen», um den schäden, starke Reizwirkungen und Entzündungen Einfluss von Hitzeereignissen auf die Sterblichkeit der Atemwege. Denise Felber Dietrich sagt: «Eine zu untersuchen. Dabei werden besonders betroffene Studie im Tessin hat gezeigt, dass bei Kindern bei Bevölkerungsgruppen sowie Wettermerkmale identi moderater Anstrengung im Freien messbare Lun fiziert, die für die Gesundheit relevant sind. «Bewertet genfunktionseinbussen auftraten. Bei empfindlichen werden auch die Massnahmen, die seit 2003 einge Personen, die im Freien körperlich aktiv sind, können leitet wurden, um die hitzebedingte Sterblichkeit zu solche Einbussen an Tagen mit hoher Ozonbelas reduzieren. Gesundheitsbehörden auf kommunaler, tung bis gegen 30 Prozent betragen.» Massnahmen kantonaler und nationaler Ebene sollen dadurch die gegen den Klimawandel sind also aus zahlreichen notwendigen Grundlagen und Informationen erhal Gründen unabdingbar – allein schon, damit die ten, um effiziente Präventionsmassnahmen ergreifen Tessiner Sonnenstube nicht zum Krankenzimmer zu können», erklärt der Projektleiter Martin Röösli der Schweiz wird. vom Swiss TPH. Weiterführende Links zum Artikel: Tessin besonders betroffen www.bafu.admin.ch/magazin2015-3-03 Um die Folgen zu ermitteln, die die Erderwärmung hierzulande nach sich ziehen wird, haben mehr als 20 Forschungsgruppen aus der Schweiz 2 Jahre lang am Bericht der «CH2014-Impacts»-Initiative gearbeitet. Unterstützt wurden sie vom BAFU und KONTAKTE von MeteoSchweiz. Das Ergebnis: Je nach Szenario Basil Gerber könnte sich die Durchschnittstemperatur bis Ende Stv. Sektionschef Biotechnologie dieses Jahrhunderts um 0,9 bis 5,2 Grad erhöhen. Die BAFU regionalen Unterschiede sind jedoch gross: Besonders 058 463 03 50 basil.gerber@bafu.admin.ch betroffen vom Klimawandel ist die Südschweiz, wo etwa die Zahl der Tropennächte erheblich anstei gen wird. Dort könnten Hitzephasen künftig bis zu Denise Felber Dietrich Sektion Luftqualität 2 Monate dauern. BAFU Eine weitere Folge des Klimawandels betrifft haupt 058 465 47 39 sächlich die Allergiker. Frühblüher wie Hasel und denise.felber-dietrich@bafu.admin.ch 15
umwelt 3/2015 > DOSSIER GESUNDHEIT FEINSTAUB BLEIBT EIN PROBLEM Richtig durchatmen In der Schweiz ist die Belastung mit Luftschadstoffen in den letzten 30 Jahren gesunken. Trotzdem bleibt im Kampf gegen lungengängige Partikel noch einiges zu tun. Die Eidgenössische Kommission für Lufthygiene etwa fordert einen Grenzwert für besonders feinkörnigen Feinstaub und eine Reduktion der Russbelastung um 80 Prozent. Denn auch geringe Mengen dieser Partikel können Krebs oder Herzversagen begünstigen. Text: Pieter Poldervaart Das Tessin gilt als Sonnenstube der Schweiz, doch dia, dass 70 Prozent der Bevölkerung im unteren punkto Luftbelastung hat der Südkanton auch Kantonsteil mit einem Tagesdurchschnittswert von Schattenseiten. Einerseits werden mit dem Wind über 30 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft grosse Mengen an Stickstoff und Feinstaub aus der (µg/m3) leben müssen – gesamtschweizerisch sind Industrieregion Mailand mit rund 10 Millionen Ein nur 3 Prozent der Bevölkerung einer derart starken wohnern in die Schweiz verfrachtet. Andererseits Partikelbelastung ausgesetzt. Umgekehrt leben nur herrscht im Südtessin häufig eine Wetterlage, welche 8 Prozent der Südtessiner mit einer Belastung unter die Luft wie in einem Kessel festhält. Bleibt der Föhn dem Grenzwert von 20 µg/m3, während es landesweit aus, sammeln sich in den unteren Luftschichten immerhin 60 Prozent sind. «Zwar handelt es sich bei Stickoxide und Feinstaub. Unter der Einwirkung von allen Zahlen um PM10», so Studienleiter Pons. Aber Sonnenlicht bildet sich daraus im Sommer Ozon, das PM10-Feinstaub ist ein sogenannter Leitschadstoff, Augen und Atemwege reizt. «Insgesamt hat sich die denn proportional dazu steigt auch die Belastung Luftqualität in den letzten 30 Jahren zwar verbes mit Stickoxid, Ozon und PM2.5 (zum Unterschied von sert», bilanziert Marco Pons, Medizinischer Direktor PM10 und PM2.5 siehe Kasten unten). Insbesondere des Regionalspitals Lugano. Doch aus den erwähnten der Schwebestaub PM2.5 beunruhigt Marco Pons: geografischen und meteorologischen Gründen sei «Während die grösseren Partikel die Lungen vor das Südtessin im Vergleich zur übrigen Schweiz vom allem reizen, dringt PM2.5 in die feinen Lungen Ozonproblem besonders betroffen, so Lungenspezia bläschen, die sogenannten Alveolen, ein und kann list Pons. Dazu komme, dass das Verkehrswachstum in der Folge Krebs und Herzinfarkt begünstigen.» auf der Autobahn zwischen Gotthard und Chiasso einen Teil der Fortschritte bei der Luftreinhaltung wieder zunichtegemacht habe. Was ist Feinstaub? Im Blickpunkt der Forschung Marco Pons ist auch Leiter des Tessiner Studienteils Feinstaub PM10 besteht aus Partikeln mit einem Durch- von Sapaldia. Das Kürzel steht für die englische Be messer von weniger als 10 Tausendstelmillimetern, was zeichnung der Schweizer Studie «Luftverschmutzung etwa einem Zehntel des Durchmessers eines mensch und Atemwegserkrankungen bei Erwachsenen», die lichen Haars entspricht. Partikel des lungengängigen seit 1991 das Befinden von über 8000 Personen ver Feinstaubs PM2.5 haben einen Durchmesser von weni- folgt. Neben Interviews zum Gesundheitszustand ge ger als 2,5 Tausendstelmillimetern. Feinstaub entsteht hören Allergietests, Blutdruckmessungen und Elek einerseits bei der unvollständigen Verbrennung von trokardiogramme zum Diagnose-Instrumentarium. Treib- und Brennstoffen oder auch in der Atmosphäre All diese Parameter werden in einen Zusammenhang aus Gasen wie Stickoxide oder Ammoniak. Besonders mit der spezifischen Schadstoffbelastung in der schädlich sind die sehr kleinen, krebserzeugenden Atemluft gestellt, die am Wohnort der untersuchten Russpartikel. Person vorherrscht. Für das Südtessin zeigte Sapal 16
DOSSIER GESUNDHEIT < umwelt 3/2015 Weiterführende Links zum Artikel: www.bafu.admin.ch/magazin2014-4-04 KONTAKT Lorem Ipsum dolores et BAFU 000 000 00 00 sadipscing.sacing@bafu.admin.ch 1800 Anschläge Schon für Ungeborene ein Problem Infekte, was dazu führen könne, dass sie im Erwach Die Resultate von Sapaldia werden in Langzeit-For senenalter häufiger von der chronisch obstruktiven schungsprojekte auf europäischer Ebene eingespeist. Lungenkrankheit (COPD) betroffen sind. Auch bei Dazu gehört etwa die «European Study of Cohorts erwachsenen Nichtrauchenden habe Feinstaub das for Air Pollution Effects» (ESCAPE), die 32 Kohorten Risiko von COPD erhöht. studien mit über 50 Studienorten zusammenfasst. Laut den Messergebnissen für PM10 sind verkehrs Ein Resultat zeigt beispielsweise, dass die Feinstaub reiche Innenstädte und Agglomerationen deutlich belastung mit einem tieferen Geburtsgewicht bei stärker belastet als siedlungsferne Gebiete. Aus Sor Säuglingen korrelieren kann. «Dieses Resultat legt ge um die eigenen Kinder aufs Land zu ziehen, sei nahe, dass diese Schadstoffe schon in frühesten Le dennoch die falsche Strategie, betont Nicole Probst. bensphasen eine Wirkung entfalten können», erklärt Denn oft seien ländliche Gegenden zwar weniger Nicole Probst-Hensch, Professorin für chronische von PM10 belastet, litten dafür aber unter höheren Krankheiten am Schweizerischen Tropen- und Public- Sommersmogwerten. «Die Lösung ist nicht das Weg Health-Institut (Swiss TPH) in Basel, wo die Leitung ziehen aufs Land, sondern es braucht vermehrte von Sapaldia angesiedelt ist. Kinder mit einem tiefen Anstrengungen der Politik, um die Luftqualität zu Geburtsgewicht seien unter anderem anfälliger für verbessern», betont die Professorin. 17
umwelt 3/2015 > DOSSIER GESUNDHEIT Massnahmen auf Partikelgrösse abstimmen 10 Minuten Stosslüften hilft, Staub und Gerüche ins Diesbezüglich hat die Schweiz eine Vorreiterrolle Freie zu befördern. «Wer an einer stark befahrenen eingenommen, als sie im Jahr 2000 den Ausstoss Strasse wohnt, sollte ausserhalb des morgendlichen von Dieselruss bei Baumaschinen zu reglementieren und abendlichen Stossverkehrs für Luftaustausch begann. «Dank des 2006 vom Bundesrat beschlos sorgen, aber keineswegs ganz darauf verzichten», senen Aktionsplans Feinstaub konnten unter an rät Roger Waeber von der Fachstelle Wohngifte derem Partikelfilter bei neuen dieselbetriebenen beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Denn nur Verkehrsmitteln beschleunigt eingeführt werden. ein Teil des Feinstaubs gelangt beim Lüften in die Dies hat die Russemissionen erheblich verringert. Wohnräume. Grossen Handlungsbedarf gibt es aber noch bei der Besonders wichtig ist es, Feinstaubquellen im Holzverbrennung», so Denise Felber Dietrich von Gebäudeinnern zu eliminieren. Dazu gehören der Abteilung Luftreinhaltung und Chemikalien etwa russende Kerzen, Räucherstäbchen und na des BAFU. türlich das Rauchen in geschlossenen Räumen. PM2.5 wirkt sich auf die Gesundheit teilweise an Konsequentes Lüften ist auch für Badezimmer und ders aus als PM10, weshalb das hierzulande geltende Küche nötig. Hingegen ist in der kalten Jahreszeit Limit für PM10 nicht genügt. Den unterschiedlichen das stundenlange Ankippen der Fenster aus energe Partikelarten lässt sich nur mit separaten Grenz tischen Gründen zu vermeiden. Gegen Staub und werten Rechnung tragen, wie sie von der Welt damit auch Feinstaub hilft, regelmässig zu saugen gesundheitsorganisation (WHO) empfohlen werden. und glatte Flächen feucht abzuwischen, wobei man Messungen zeigen, dass die Schweiz zwar die von anschliessend die Fenster öffnen sollte, um sich des aufgewirbelten Feinstaubs zu entledigen. Moderne Messungen zeigen, dass die Schweiz zwar die von Wohnungen sind häufig mit einer mechanischen Lüftung ausgerüstet, was die Energieeffizienz stark der WHO vorgeschlagenen Zielwerte für PM10 verbessert. «Nach einem Besuch von Freunden, nach einhalten kann, die Belastung durch PM2.5 aber dem Abbrennen von Kerzen oder nach dem Staub saugen ist dennoch ein kurzes manuelles Lüften über der WHO-Empfehlung liegt. sinnvoll», erklärt Roger Waeber. Selbst wer im Win ter mehrmals täglich kurz, aber kräftig lüftet, begeht der WHO vorgeschlagenen Zielwerte für PM10 ein übrigens keine Energiesünde: «Dabei wird nur die halten kann, die Belastung durch PM2.5 aber über verbrauchte Luft gegen frische ausgetauscht; die der WHO-Empfehlung liegt. Dasselbe gilt für Russ, meiste Wärme ist im Gebäude und in den Möbeln dessen Konzentration selbst in ländlichen Regionen gespeichert und geht im Nu wieder in die saubere die WHO-Zielwerte übersteigt. Die Eidgenössische Luft über.» Zumindest in den Wohnräumen kann Kommission für Lufthygiene (EKL) schlug in ihrem also jede und jeder selbst viel zu einem gesunden Bericht von 2014 deshalb vor, für PM2.5 einen Klima beitragen. Jahresmittelgrenzwert von 10 µg/m3 einzuführen. «Auch die Belastung durch den krebserregenden Russ muss dringend abnehmen, die Belastung sollte Weiterführende Links zum Artikel: in den nächsten 10 Jahren um 80 Prozent gesenkt www.bafu.admin.ch/magazin2015-3-04 werden. Längerfristig ist eine Reduktion um den Faktor 10 bis 20 nötig», fordert Nicole Probst, die auch Mitglied der EKL ist. Eine konsequente Luftrein haltepolitik allein genügt jedoch nicht, um das von der EKL vorgeschlagene Ziel zu erreichen. Es braucht KONTAKTE weitere Anstrengungen im Vollzug, aber auch in Denise Felber Dietrich der Energie- und Landwirtschaftspolitik, damit die Sektion Luftqualität BAFU Emissionen bei allen wesentlichen Quellen reduziert 058 465 47 39 werden können. denise.felber-dietrich@bafu.admin.ch Regelmässig kurz und kräftig lüften Roger Waeber Leiter Fachstelle Wohngifte Nicht nur im Freien, auch im Gebäudeinnern ist Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Qualität der Luft entscheidend für Wohlbe 058 463 06 38 finden und Gesundheit. 2- bis 3-mal täglich 5 bis roger.waeber@bag.admin.ch 18
DOSSIER GESUNDHEIT < umwelt 3/2015 T IG E LA N D S C H A F T VIELFÄL G Z UN LÄ UT RM HM UN SC R D VE LIC FT HT LU t w i ck l u n g le En Gru NA ia d soz ndl ag n en eu CHH laufprobleme ch erz k re i s Hit fü s H zew rn hi el l ALTI n yc eu ite ps eM en he ige S A U BE R E edi nk G E RESS OURCENNUTZUNG halt K ra kam neu n a ch ch e e Kr ente ch r o n i s ankheit S WASSER s e r re g e r S t re s s Na t u r e r a s se r i nk w l e bn Unf s re b s Tr is, äll e dK Le b e re du hN un rc ub nz en atu ste sa sq ali rka si u tä t a re nd tast rophen tik lu un Antibio tte dW mi ohlb b e ns e f i nd e Le en ge s un d NG KL IM ZU AE UT RW HM M ÄR SC UN E R G NV DE BO R E IC H H A SITÄT LTIGE BIODIVER Eine intakte Umwelt fördert die Gesundheit und das Wohlbefinden (grüne Kreise). Wenn die Umwelt belastet ist, schlägt dies auf den Menschen zurück, und das Risiko für Krankheiten steigt (rote Kreise). 19
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DOSSIER GESUNDHEIT < umwelt 3/2015 ALLGEGENWÄRTIGE STRAHLUNG Kein direkter Weg von der Ahnung zur Gewissheit Zum Schutz von Mensch und Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einflüssen werden Immissionsgrenz- werte festgelegt. Das Fundament dafür liefert die Forschung. Wenn es allerdings, wie im Fall der Strahlung, um gesundheitliche Langzeitfolgen von Einwirkungen aus der Umwelt geht, stellen sich besonders hohe Anforderungen an die wissenschaftliche Methode. Text: Lucienne Rey Wissenschaft braucht einen langen Atem: lung, mit Wellenlängen im atomaren Bereich. Obschon sie sich seit dem 16. Jahrhundert sys Sie fällt damit unter die sogenannte ionisierende tematisch mit Elektrizität und Magnetismus Strahlung, die Atombindungen aufzutrennen befasst, gelang es erst James Clerk Maxwell und damit biologisches Gewebe zu schädigen (1831–1879) im Jahr 1855, mit vier Gleichungen vermag. Am anderen Ende des Spektrums schwin den Zusammenhang zwischen elektrischen und gen die Mikrowellen, Radiowellen und elektro magnetischen Feldern zu beschreiben und die magnetischen Felder der Stromversorgung, mit bisher getrennt behandelten Erscheinungen Wellenlängen zwischen Millimetern und einigen zusammenzuführen. Es dauerte aber weitere tausend Kilometern. Sie alle gehören zur nicht 30 Jahre, bis Heinrich Rudolf Hertz (1857–1894) ionisierenden Strahlung (NIS). nachwies, dass die elektromagnetischen Wellen, Radio, Fernsehen, Mobilfunk, zahllose Elek die Maxwell auf dem Papier postuliert hatte, tat trogeräte und nicht zuletzt die flächendeckende sächlich existieren. Einen weiteren Meilenstein Stromversorgung haben dazu geführt, dass die elektromagnetischen Felder, denen wir ausge setzt sind, immer vielfältiger werden. «Für NIS, Radio, Fernsehen, Mobilfunk, zahllose Elektrogeräte die von grösseren Anlagen wie Stromleitungen und nicht zuletzt die f lächendeckende Strom- oder Mobilfunkantennen in die Umwelt emit tiert wird, ist das BAFU zuständig», schildert Jürg versorgung haben dazu geführt, dass die elektro- Baumann von der BAFU-Sektion Nichtionisieren magnetischen Felder, denen wir ausgesetzt sind, de Strahlung die Aufgabenteilung zwischen den Ämtern. «In die Verantwortung des Bundesamtes immer vielfältiger werden. für Gesundheit (BAG) fällt dagegen der Schutz vor der Strahlung, die von Geräten wie Handys, setzte wenig später Wilhelm Conrad Röntgen Solarien oder Laserpointern ausgeht.» Auch die (1845–1923): Durch Zufall stiess er 1895 in einem ionisierende Strahlung, etwa von Radon, liegt in Experiment auf «eine neue Art von Strahlen», der Kompetenz des BAG. wie er in einem Aufsatz gleichen Titels festhielt. Hunde und Freiwillige im elektromagnetischen Feld Vielfältige Strahlung Um Bevölkerung und Umwelt vor Schäden und Die Röntgenstrahlung liegt am einen Ende des übermässigen Belästigungen zu schützen, legt elektromagnetischen Spektrums, zwischen dem der Staat Immissionsgrenzwerte fest. Er stützt kurzwelligen Ultraviolett und der Gammastrah sich dazu auf wissenschaftliche Ergebnisse und 21
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