JADE HOCHSCHULE 2018 FORSCHUNG & TRANSFER

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JADE HOCHSCHULE 2018 FORSCHUNG & TRANSFER
JADE HOCHSCHULE 2018
FORSCHUNG & TRANSFER
JADE HOCHSCHULE 2018 FORSCHUNG & TRANSFER
INHALT

Vorwort.................................................................................................................................................F-3

Forschung an der Jade Hochschule
Hören im Alltag Oldenburg ....................................................................................................................F-6
Audiologie, Kognition und Sinnesleistungen im Alter............................................................................F-10
Entwicklung eines akustischen Ohrpassstücks.......................................................................................F-12
Gesund älter werden durch unterstützende Technologien.....................................................................F-14
Verbesserung der psychischen Gesundheit im Dienstleistungsbereich....................................................F-16
Maritime English Language Training Standards......................................................................................F-18
Flood resilient areas by multi-layered safety...........................................................................................F-20
Klimaoptimiertes Entwässerungsmanagement im Verbandsgebiet Emden.............................................F-22
Energetisches Nachbarschaftsquartier Fliegerhorst Oldenburg...............................................................F-24
SWARM: Demonstration von Brennstoffzellen-Fahrzeugen....................................................................F-26
Optimierung der Strömungsmechanik von Energiemaschinen mit Riblets..............................................F-28
Wechselwirkung zwischen Windenergieanlagen und Funknavigationssystemen....................................F-30
Auftragschweißen mit einem Hochleistungslaser...................................................................................F-32
TurbuMetric: Teilprojekt Optische 3D-Messtechnik.................................................................................F-36
Objekterkennung und Matching in Farbbildern.....................................................................................F-38
Laufende Forschungsprojekte 2018.......................................................................................................F-41

Kooperative Promotionsverfahren an der Jade Hochschule..........................................................F-44

Transfer an der Jade Hochschule
Digitales Planen und Bauen...................................................................................................................F-52
Innovative Hochschule Jade-Oldenburg!................................................................................................F-54
Partizipative Wissenschaft für Region, Kultur, Technik............................................................................F-58
Jade Innovation Accelerator: Agiles Innovationsmanagement in KMUs..................................................F-60
Technologiescouting Innovativ Nordwest...............................................................................................F-62
Gründungsinitiative...............................................................................................................................F-64
Niedersachsen-Technikum.....................................................................................................................F-66

Kontaktdaten Referat Forschung und Transfer..................................................................................68
JADE HOCHSCHULE 2018 FORSCHUNG & TRANSFER
VORWORT

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

Forschung an Fachhochschulen zeichnet sich sehr         Flankiert durch weitere Transferprojekte erhöhen
oft dadurch aus, dass sie praxisbezogen ist und der     wir so die Sichtbarkeit der Forschung an der Jade
Begriff „Auszeichnung“ ist hier durchaus so ge-         Hochschule. Man darf getrost davon ausgehen,
meint. In einer Zeit, in der der Begriff „Innovation“   dass die Forschungsaktivitäten insgesamt Rücken­
die (bildungs-)politische Diskussion beherrscht, ist    wind spüren werden. Ein Indiz sind stetig steigende
die praktizierte Nähe zur Wirtschaft, zur Bürgerge-     Drittmitteleinnahmen, die in 2018 dazu geführt
sellschaft ein Vorteil für uns. Dabei wird im All-      haben, einen neuen Schwerpunkt „Maritime Tech-
gemeinen der Begriff „Innovation“ im Sinne von          nik und Küstenwirtschaft“ zum Eintrag in die For-
„neue Ideen haben und diese in eine wirtschaft-         schungslandkarte der Hochschulrektorenkonferenz
liche Verwendung umsetzen“ verwendet. Wenn              zu beantragen. Die Risiken in dieser Entwicklung
man etwas strenger ist, dann sind Innovationen          liegen – wie immer – in der Kontinuität projektaus-
erst dann entstanden, wenn neue Ideen tatsäch-          schreibender Stellen, aber das ist nichts Neues.
lich eine erfolgreiche Anwendung finden und den
Markt durchdringen, sich also durch eine gewisse        Dass es in 2018 gelungen ist, das hochschuleigene
Nachhaltigkeit auszeichnen. Wer, wenn nicht wir         Promotionsprogramm als Stipendienprogramm
an der Jade Hochschule, sollte geeigneter sein,         „Jade2Pro 2.0“ fortzuführen, ist besonders be-
gute Ideen und neue Anwendungen in die Öffent-          merkenswert. Die Fachhochschulen in der Bundes-
lichkeit zu tragen?                                     republik, die ein derartiges Angebot bereithalten,
                                                        lassen sich an zwei Händen abzählen.
Der Transfer gehört untrennbar mit der praxisbezo-
genen Forschung zusammen. Unter diesen Aspek-           Insgesamt dürfen wir optimistisch sein, dass wir
ten liegt ein sehr erfolgreiches Jahr 2018 hinter       Ende 2019, im zehnten Jahr der Gründung unserer
uns. Die Jade Hochschule – in einem Boot sitzend        Hochschule, auf eine erfolgreiche erste Dekade der
mit der Universität Oldenburg – war in der Pro-         Jade Hochschule zurückblicken werden.
grammausschreibung „Innovative Hochschule“
der Bund-Länder-Initiative als einzige Einrichtung
in Niedersachsen erfolgreich. In den nächsten fünf
Jahren wird die „Innovative Hochschule Jade-Ol-
                                                        Prof. Dipl.-Ing. Thomas Wegener
denburg“ sichtbare Erfolge erzielen.                    Vize-Präsident für Forschung, Technologietransfer,
                                                        ­Gleichstellung und Weiterbildung

                                                                                                             F-3
                                      JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
JADE HOCHSCHULE 2018 FORSCHUNG & TRANSFER
FORSCHUNG
AN DER JADE HOCHSCHULE
JADE HOCHSCHULE 2018 FORSCHUNG & TRANSFER
BEREICHE MIT BESONDERER BINNENHOCHWASSERGEFAHR
              EIN ANALYSEERGEBNIS IM PROJEKT KLEVER
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HÖREN IM ALLTAG OLDENBURG (HALLO)

                             Fünf Jahre hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Au-
                             diologie, Ingenieurwissenschaften, Medizin, Psychologie und Versor-
                             gungsforschung, um das Alltagserleben hörgeschädigter Menschen
                             genauer zu untersuchen. Alle Beteiligten im Forschungsschwerpunkt
                             HALLO verband eine ganzheitliche Betrachtung von Schwerhörigkeit
                             und das Ziel, die Hörrehabilitation durch verfeinerte Methoden und
                             genauere Kenntnis des Höralltags weiter zu verbessern.

Interdisziplinarität war im Forschungsschwerpunkt         anstrengend sie das Zuhören für unterschiedliche
HALLO keine bedeutungsleere Vokabel, sondern              Pegel von Sprache und Störgeräusch empfinden.
gelebte Praxis. Nur so konnten aus 15 Teilprojekten
mehr als 100 wissenschaftliche Beiträge entstehen,        Erfassung des Höralltags
die in der Fachöffentlichkeit und darüber hinaus          In der realen Welt gelten bekanntlich keine La-
diskutiert werden. Sie befassen sich mit verschie-        borbedingungen. Um abzuschätzen, welche
denen Themenkomplexen. Doch immer geht                    Herausforderungen der Alltag für die sprachliche
es darum, Hören im Alltag – aus verschiedenen             Kommunikation birgt, wurde eine Art Kataster
Perspektiven, in mehreren Dimensionen, bei Nor-           erstellt. Orte, Situationen und Aktivitäten sind hier
mal- und Schwerhörigkeit – zu beschreiben und             nach akustischen Merkmalen charakterisiert und
im Abgleich mit theoretischen Modellen und dem            der subjektiven Hörwahrnehmung älterer Men-
internationalen Kenntnisstand zu beurteilen. Einige       schen mit leichter bis mittlerer Hörminderung
Arbeiten und Ergebnisse seien im Folgenden vor-           zugeordnet. Methodisch erweiterte HALLO damit
gestellt. Die Vielfalt der Inhalte bleibt weiterhin auf   einen Ansatz, der in der Psychologie entwickelt
der Website unter https://tgm.jade-hs.de/projekte/        wurde und als Ecological Momentary Assessment
hallo/ zu entdecken.                                      (EMA) bezeichnet wird. Die Besonderheit dieses
                                                          Verfahrens ist, dass Probanden ihre momentan er-
Höranstrengung als neue Messgröße                         lebte Situation bewerten anstatt, wie in konventio-
Personen mit einer Hörminderung berichten häu-            nellen Fragebögen, auf das Erlebte zurückblickend.
fig, dass das Zuhören sie anstrengt und sie in der
Folge rasch ermüden. Obwohl Höranstrengung in             Es war eine anspruchsvolle Aufgabe, ein Messpro-
der subjektiven Wahrnehmung präsent ist, konn-            tokoll außerhalb des Labors in faktisch unkon-
te sie in der Hörgeräteversorgung bisher nicht            trollierten Alltagsumgebungen so umzusetzen,
systematisch berücksichtigt werden. Es fehlte eine        dass belastbare Ergebnisse erzielt und die Anfor-
praxistaugliche Messmethode. In HALLO wurde mit           derungen des Datenschutzes und einer einfachen
dem Projektpartner Hörzentrum Oldenburg GmbH              Handhabung erfüllt werden. Diese Aufgabe wurde
ein solches Verfahren entwickelt. Bei der adaptiven       in HALLO in einem mehrstufigen Entwicklungs-
Höranstrengungsskalierung ACALES, so der Name             prozess für ein Smartphone-basiertes EMA-System
dieses automatisierten Tests, bewerten die Proban-        gelöst (Abbildung 1). Das subjektive Empfinden
den unter kontrollierten Laborbedingungen, wie            der jeweiligen Alltagssituationen wurde durch

F-6
JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
JADE HOCHSCHULE 2018 FORSCHUNG & TRANSFER
FORSCHUNG

regelmäßig präsentierte Fragebögen erfragt und                    Regel von morgens bis abends. Für eine Vielzahl
die objektiven akustischen Bedingungen durch                      von Alltagssituationen wurde in diesen Feldstudi-
technische Analysen fortlaufend mitgeschrieben.                   en u. a. das Verstehen von Sprache und die damit
Um die Privatsphäre zu schützen, wurden aus-                      verbundene Anstrengung, die Lautheit und Ange-
schließlich Parameter gespeichert, die nicht auf das              nehmheit der Schalle sowie die Wichtigkeit guten
gesprochene Wort rückschließen lassen.                            Verstehens erhoben. Dabei interessierte nicht nur
                                                                  die statistische Betrachtung der Gesamtdaten,
                                                                  sondern auch die sehr differenzierte Analyse von
                                                                  Einzelereignissen. Ein kleiner Ausschnitt von EMA-
                                                                  Daten eines Studienteilnehmers ist in Abbildung 2
                                                                  gezeigt. Im Zeitverlauf sind Schallpegel und spekt-
                                                                  rale Charakteristika mit den zugehörigen subjekti-
                                                                  ven Bewertungen dargestellt.
                                                                    gemittelte Kohärenz

                                                                                            1

                                                                                          0.5

                                                                                            0

                                                                                          -0.5

                                                                                                             on                         n
                                                                                                         alk                        hre                   nt
                                                                                                                          es    tfa           es      ura
Abb. 1: In HALLO wurde ein mobiles EMA-System verwen-                                              rte
                                                                                                      n/B
                                                                                                                     ns
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                                                                                                                             t        ns
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                                                                                                                                                  sta               rty              rty
                                                                                                 Ga              So       Au       So          Re               Pa                 Pa
det. Es besteht aus einem Android-Smartphone, einer externen                                                                                                                                 Wichtigkeit
Soundkarte und zwei Mikrofonen, die in Hörgeräteschalen ver-                                                                                                                                 Sprachverstehen
baut sind (keine Hörgerätefunktionen). Das Smartphone fun-                                                                                                                                   Höranstrengung
                                                                                                                                                                                             Lautheit
giert als Rechnereinheit, auf der komplexe Signalverarbeitungs-
module und ein digitaler Fragebogen implementiert sind. Es                                 8k
                                                                                                 PSD (links)                                                                                            -60
werden keine Tonaufnahmen gespeichert.                                                     4k
                                                                                                                                                                                                        -70
                                                                  Frequenz [Hz]

                                                                                           2k
                                                                                                                                                                                                        -80
                                                                                           1k
Manchem technikverwöhnten Nutzer mag diese                                                500                                                                                                           -90

Realisierung auf den ersten Blick einfach erschei-                                        250                                                                                                           -100

nen. Tatsächlich aber handelt es sich um eine                                             125
                                                                                           90
                                                                                                                                                                                                        -110

in der Fachwelt viel beachtete Entwicklung mit
                                                                             dB SPL

                                                                                           70
                                                                                                                                                                                                 RMS
Pioniercharakter. Die komplexe Verarbeitung von                                            50

Stereosignalen aus zwei Mikrofonen ermöglicht                                              30

                                                                                                            18
                                                                                                               :00
                                                                                                                              19
                                                                                                                                :00
                                                                                                                                               20
                                                                                                                                                  :00
                                                                                                                                                               21
                                                                                                                                                                 :00
                                                                                                                                                                           22
                                                                                                                                                                             :00
                                                                                                                                                                                        23
                                                                                                                                                                                           :00

die fortlaufende Beobachtung sowohl der Raum-                     Abb. 2: EMA-Daten eines Studienteilnehmers für einen Zeit-
akustik als auch der Eigensprache der Person, die                 ausschnitt von sechs Stunden. Von unten nach oben: Schall-
das System trägt. HALLO legte den Grund dafür,                    druckpegel (RMS), Schallenergie in Frequenzbändern zwischen
                                                                  125 Hz und 8 kHz (PSD), Situationen mit den zugehörigen Be-
dass die Jade Hochschule - im Wettbewerb mit                      wertungen der Hörqualitäten (Symbolgröße kennzeichnet die
renommierten Forschungseinrichtungen aus aller                    Ausprägungsstärke) und die reale Kohärenz als Maß für die
Welt - eine Projektausschreibung des International                Übereinstimmung der am linken und rechten Ohr ermittelten
                                                                  Parameter.
Research Consortiums für sich entscheiden konnte.
US-amerikanische Forscher verwenden mittlerweile                  Eines der wichtigsten Ergebnisse aus diesen Feld-
zentrale Komponenten des EMA-Systems. Weitere                     studien sind die Unterschiede in der Bewertung
Absprachen mit britischen und schwedischen Inter-                 von Sprachverstehen und Höranstrengung. Der
essenten sind weit gediehen.                                      Zusammenhang von komplexer Akustik, Motivati-
                                                                  on und Höranstrengung, der in einem prominen-
Insgesamt 47 Oldenburger Proband_innen nutz-                      ten theoretischen Modell behauptet und bisher nur
ten das EMA-System jeweils über vier Tage, in der                 in Labormessungen zu untersuchen war, konnte

                                                                                                                                                                                                  F-7
                                              JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
JADE HOCHSCHULE 2018 FORSCHUNG & TRANSFER
in diesen Feldstudien bestätigt werden. Besonders              nachbilden zu können. In ähnlicher Weise wurde
aufschlussreich sind die unterschiedlichen Be-                 auch die akustische Wirklichkeit anderer All-
wertungen der Höranstrengung in jenen Alltags-                 tagsszenarien für verschiedene Hörexperimente
situationen, in denen die Motivation zuzuhören                 simuliert. Diese Hörexperimente hatten nur noch
hoch und gleichzeitig ein nahezu perfektes oder                wenig mit konventionellen Sprachtests gemein, die
perfektes Sprachverstehen erreicht wurde. Die                  meist eine getreue Wiedergabe von Worten und
Abbildung 3 basiert auf ausgewählten Daten der                 Sätzen verlangen. Eine Fähigkeit also, auf die es
EMA-Feldstudien. Die Studienteilnehmer wollten                 im wirklichen Leben nur in den seltensten Fällen
und konnten dem gesprochenen Wort praktisch                    ankommt. An ihrer Stelle wurden einfache, kurze
vollends folgen, in akustisch schwierigen Bedin-               Texte eingesetzt, die im Tonstudio der Hochschule
gungen allerdings um den Preis deutlich erhöhter               eingesprochen worden waren. Ob die Probanden
Anstrengung. Dieses Ergebnis legt eine praxisrele-             den Inhalten folgen konnten, wurde mit diversen
vante Schlussfolgerung nahe: Höranstrengung ist                Fragekatalogen geprüft. Auch in diesen Versuchen
auch im Alltagserleben eine eigenständige Wahr-                fand das Konstrukt Höranstrengung besondere Be-
nehmungsdimension, die zusätzlich zum Sprach-                  achtung. Stress und Anstrengung gehen bekannt-
verstehen in der Hörrehabilitation berücksichtigt              lich mit physiologischen Körperreaktionen und
werden sollte.                                                 Bewegungen einher. Deshalb wurden die Kopfbe-
                                                               wegungen mit einem hochgenauen 3D-Tracking-
                                                               System erfasst sowie Hautleitwert und Herzrate für
                                                               eine Analyse aufgezeichnet. Ergänzt um kognitive
                                                               Testverfahren lieferten diese Versuchsreihen wich-
                                                               tige Bausteine, um den Standort verschiedener ob-
                                                               jektiver Methoden der Höranstrengungsmessung
                                                               auf der langen Wegstrecke von der Grundlagen-
                                                               forschung zum Praxistest besser zu bestimmen.

                                                               Schwerhörigkeit als gesellschaftliche und sozi-
                                                               ale Herausforderung
                                                               Rund 16 Prozent der Erwachsenen in Deutschland
                                                               haben Hörverluste, die die WHO-Definition für
                                                               Schwerhörigkeit erfüllen. Nach den Hochrechnun-
                                                               gen in HALLO wird sich dieser Anteil aufgrund der
Abb. 3: Bewertung der Höranstrengung in unterschiedlich lau-
ten Alltagssituationen. Gutes Hören war in jedem der insge-    erwarteten demographischen Entwicklung zukünf-
samt 1.213 Fälle wichtig und Sprache wurde fast vollständig    tig um etwa ein Prozent pro Jahrfünft weiter erhö-
oder vollständig verstanden. Die Fehlerbalken bezeichnen das
95%-Konfidenzintervall.
                                                               hen. Geringgradige Ausprägungen überwiegen.
                                                               Doch erleben immerhin 10 bis 12 Millionen Er-
Alltagsszenarien im Labor                                      wachsene einen durch Schwerhörigkeit geprägten
Verkehrs- und Mobilitätssituationen erwiesen                   Höralltag – als direkt Betroffene. Da Schwerhörig-
sich in der Auswertung von rund 3.000 digitalen                keit in die sozialen und familiären Beziehungssys-
EMA-Fragebögen als überdurchschnittlich anfor-                 teme hineinwirkt, sind indirekt noch deutlich mehr
dernd. Deshalb wurden Multikanal-Tonaufnahmen                  Menschen von Schwerhörigkeit betroffen. Aus
innerhalb eines im Stadt- und Autobahnver-                     diesem Grund befasste sich HALLO in mehreren
kehr fahrenden PKWs erstellt, um diese Situati-                Teilprojekten mit den sozialen Auswirkungen von
on im Wellenfeldsynthese-System (WFS) variabel

F-8
JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
JADE HOCHSCHULE 2018 FORSCHUNG & TRANSFER
FORSCHUNG

Schwerhörigkeit und der derzeitigen Versorgungs-                                               entwickelt, um hörbedingte Kommunikations-
struktur.                                                                                      schwierigkeiten und daraus resultierende psycho-
                                                                                               soziale Belastungen reduzieren zu können.
So wurden Menschen mit einer Hörbeeinträch-
tigung sowie ihre Lebenspartner getrennt inter-                                                Im Ganzen betrachtet ermöglichte der Forschungs-
viewt, um das Alltagserleben einer Hörstörung                                                  schwerpunkt HALLO Wissenschaftler_innen ver-
aus zwei Perspektiven zu erfassen. Die qualitative                                             schiedener Disziplinen sich mit längerem Atem und
Auswertung dieser Interviews deckte u.a. auf, in                                               in eng verzahnter Kooperation relevanten For-
welchen Bereichen die Einschätzungen direkt Be-                                                schungsfragen zu widmen und den wissenschaftli-
troffener und der Bezugspersonen übereinstimmte                                                chen Nachwuchs weiter zu fördern. Sein Abschluss
oder kontrastierte. Oftmals gingen die Meinungen                                               markiert jedoch in mancher Hinsicht zugleich einen
auseinander. Das Beispiel in Abbildung 4 zeigt die                                             Anfang. Schließlich werden zentrale Arbeiten und
Antworten auf die Frage, ob die Bezugsperson seit                                              Analysen in diversen Anschlussprojekten fortge-
Kenntnis der Hörminderung verständlicher spricht.                                              setzt.
Die Studienteilnehmer mit Schwerhörigkeit gaben
                                                                                               Projektleitung:      Prof. Dr. Inga Holube (Sprecherin)
                               SubjectClass
                                                                        Bewertung                                   Prof. Dr. Jörg Bitzer
  Personen mit Hörminderung                   Bezugspersonen       trifft voll zu
                                                                   trifft zu                                        Prof. Dr. Frauke Koppelin
                                                                   trifft eher zu
                                                                   trifft eher nicht zu
                                                                   trifft nicht zu
                                                                                                                    Prof. Dr. Thomas Luhmann
                                                                   trifft überhaupt nicht zu
                                                                                                                    Prof. Dr. Karsten Plotz
                                                                                                                    Prof. Dr. Frank Wallhoff

                                                                                               Beteiligte:          Dipl.-Ing. Anna Maria Helle
                                                                                                                    Dipl.-Psych. Bernd Müller-Dohm
                                                                                                                    Dr. Petra von Gablenz
 Seit die Hörminderung bekannt ist, spricht die Bezugsperson verständlicher
                                                                                                                    Sven Kissner, M.Sc.
Abb. 4: Sprechweise der Bezugsperson nach Einschätzung der                                                          Miriam Kroop, B.Eng.
Personen mit Hörminderung und der jeweiligen Bezugsperso-
nen. Gespiegelte Aussagen in getrennt geführten Interviews mit                                                      Sybille Seybold, M.P.H.
38 Personen.                                                                                                        Menno Müller, M.Sc.

                                                                                               Laufzeit:            0/2012 bis 06/2018
überwiegend ablehnende Antworten, während
                                                                                               Fördersumme:         1.007.320 Euro
die Bezugspersonen tendenziell der Ansicht waren
verständlicher zu sprechen.                                                                    Förderung als Schwerpunkt angewandter Forschung
                                                                                               und Entwicklung sowie von Graduierten (FSP-Pro) aus
Ferner bestätigten sich langjährige Forschungs-                                                dem Niedersächsischen Vorab der Volkswagen-Stiftung
ergebnisse, dass manchen Personen mit einer                                                    Kooperationspartner: Carl von Ossieztky Universität
Hörstörung mit einer rein technischen Versorgung                     Page 1                    Oldenburg, Leuphana Universität Lüneburg, Universität
allein nicht befriedigend gedient ist. Sie bedürfen                                            Bremen, Evangelisches Krankenhaus Oldenburg, Fraun-
zusätzlich eines Kommunikationstrainings und                                                   hofer IDMT, HörTech gGmbH, Hörzentrum Oldenburg,
psychosozialer Unterstützungsangebote, um die                                                  National Acoustic Laboratories Australien, Sonova AG
hörbasierte Lebensqualität nachhaltig zu steigern.
Im deutschsprachigen Raum besteht allerdings ein
Mangel an derartigen Angeboten. Vor diesem Hin-
tergrund wurde ein Kommunikationstraining für
Personen mit Hörstörung und ihre Bezugspersonen

                                                                                                                                               F-9
                                                               JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
JADE HOCHSCHULE 2018 FORSCHUNG & TRANSFER
AUDIOLOGIE, KOGNITION UND
 SINNESLEISTUNGEN IM ALTER (AKOSIA)

                           Zur Erweiterung Ihrer Expertise im Bereich audiologischer Fragestel-
                           lungen um neuropsychologische und altersbedingte Inhalte erhielt
                           Prof. Dr. Inga Holube eine Förderung aus dem Programm Forschungs-
                           professur Fachhochschulen (FH!). Der Schwerpunkt lag auf der Auswahl
                           von Verfahren, die kognitive, sensorische und motorische Fähigkeiten
                           messen und Bedingungen für eine erfolgreiche Hörrehabilitation mög-
                           licherweise besser erkennen lassen. Das erarbeitete Methodeninven-
                           tar setzte wichtige Impulse für weitere Forschungsarbeiten und Ko-
                           operationen.

Aufgrund des demografischen Wandels in               Erweiterung des bisherigen Inventars beinhaltet es
Deutschland nimmt der Anteil älterer Menschen        kognitive Tests, die z. B. das Gedächtnis, sprach-
mit sensorischen, kognitiven und motorischen         liche Fähigkeiten, Wortschatz, Aufmerksamkeit
Einschränkungen zu. Dieser Entwicklung wird in       sowie Verarbeitungs- und Reaktionsgeschwindig-
der Audiologie Beachtung geschenkt indem die         keit überprüfen. Weitere Methoden analysieren die
kognitiven Fähigkeiten der Untersuchungsteil-        Feinmotorik der Hände und Arme, den Tastsinn,
nehmer, Patienten bzw. Hörhilfen-Nutzer ebenso       die Fingerfertigkeit, sowie das Gleichgewicht, Kör-
berücksichtigt werden wie die über das Hörvermö-     perschwankungen und verschiedene Aspekte des
gen hinausgehenden Sinneseinschränkungen, z. B.      Sehvermögens.
im Sehvermögen. Die Forschungsprofessur wählte
einen multidisziplinären Ansatz, um audiologische    Die Methoden wurden in drei Forschungsthemen
Fragestellungen mit einem erweiterten Methoden­      mit unterschiedlichen Fragestellungen eingesetzt.
inventar zu bearbeiten. Dabei wurde untersucht,      Im Thema „Alltagsanalyse“ wurde ein smartpho-
auf welche Weise und in welchem Maß kogniti-         ne-basiertes Aufnahmesystem, das von Proban-
ve, sensorische und motorische Fähigkeiten das       den im Alltag getragen wurde, verwendet. Mit
Sprachverstehen und die Höranstrengung unter         dem System wurden subjektive Bewertungen und
verschiedenen alltagsrelevanten Bedingungen          objektive Parameter der Hörsituationen erfasst.
sowie den Rehabilitationserfolg mit technischen      Zur Beschreibung des Rehabilitationserfolgs mit
Hörhilfen beeinflussen können.                       Hörgeräten (Forschungsthema „Rehabilitation“)
                                                     wurde der Zusammenhang zwischen der Hör-
Zur Umsetzung der Forschungsprofessur wurde ein      gerätenutzung und den Faktoren Hörvermögen,
Testsystem aufgebaut und verschiedene Metho-         Feinmotorik, Tastsinn, Sehvermögen sowie Technik-
den recherchiert, beschafft, implementiert, evalu-   bereitschaft erforscht. Zusätzlich wurde die Nutzer-
iert und etabliert. Die Tests umfassen Fragebögen    freundlichkeit von Hörgeräten im Hinblick auf die
mit Fragen zu den Themen Hören, Kognition,           Fingerfertigkeit und die Nahsehschärfe analysiert
Technikbereitschaft und -nutzung sowie allgemei-     und der Zusammenhang zwischen Techniknutzung
ne Anamnese und sozio-ökonomischer Status.           der Proband_innen mit deren altersabhängigen
Ergänzt wurden die Fragebögen durch Testverfah-      sensomotorischen und kognitiven Fähigkeiten
ren des Hörvermögens und des Sprachverstehens        ermittelt. Zur Umsetzung des Forschungsthemas
in verschiedenen Hörsituationen. Als wesentliche     „Komplexe Hörsituationen“ wurde unter ande-

F-10
JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
FORSCHUNG

rem mit Hilfe eines Systems mit vielen Lautspre-              sorische Faktoren erfolgreichen Sprachverstehens“
chern komplexe Hörsituationen im Labor erzeugt,               untersucht. Bestehende Kooperationen unter
in denen das Sprachverstehen untersucht wur-                  anderem mit dem Exzellenzcluster Hearing4All der
de. Diese Arbeiten schlugen eine Brücke von der               Universitäten Oldenburg und Hannover sowie der
Grundlagenforschung zur anwendungsorientierten                Medizinischen Hochschule Hannover wurden wei-
Forschung, indem sie eine Vielzahl von Methoden               ter intensiviert und der EFRE-geförderte „Innovati-
prüften und jene identifizierten, die nach dem                onsverbund für integrierte, binaurale Hörsysteme“
Stand der Forschung als standardisiert und charak-            neu auf den Weg gebracht.
terisierend anzusehen sind.
                                                              Insgesamt führte die Forschungsprofessur zu einer
                                                              umfangreichen Erweiterung der inhaltlichen Exper-
                                                              tise, die sich nicht nur positiv auf die Akquise von
                                                              Forschungsprojekten, die Kooperation mit anderen
                                                              Forschungseinrichtungen bzw. der Industrie und
                                                              die Publikationsleistungen auswirkte. Ebenso berei-
                                                              cherte sie die studentische Lehre nachhaltig.

                                                              Projektleitung:       Prof. Dr. Inga Holube

                                                              Beteiligte:           Dr. Alina Baltus
                                                                                    Dipl.-Psych. Ralf Heindorf
                                                                                    Theresa Nüsse, M.Sc.
                                                                                    Dr. Anne Schlüter
                                                                                    Dr. Rike Steenken
                                                                                    Annäus Wiltfang, B.Eng.

                                                              Laufzeit:             01/2014 bis 02/2018

                                                              Fördersumme:          299.800 Euro

                                                              Förderung durch das Niedersächsische Ministerium für
                                                              Wissenschaft und Kultur aus Mitteln des niedersächsi-
                                                              schen VW-Vorab der VolkswagenStiftung

Alina Baltus und Annäus Wiltfang während einer Probe­
messung des Gleichgewichts mit Hilfe des Vertiguard-Systems
(Sensorgürtel, der Längs- und Querbewegungen dokumentiert
und analysiert).

Im Rahmen der Forschungsprofessur wurden
mehrerer Projektkooperationen angestoßen, die
das Methodeninventar in umfangreichen Pro-
bandenuntersuchungen einsetzten, darunter ein
durch Drittmittel der Firma Sonova AG finanziertes
Forschungsprojekt, das „Kognitive und multisen-

                                                                                                            F-11
                                            JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
ENTWICKLUNG EINES AKUSTISCHEN
 OHRPASSSTÜCKS

                           Trotz vieler Verbesserungen ist die Klangqualität von Hörgeräten bis-
                           her nicht zufriedenstellend. Gesamtziel des Projekts ist es zu erreichen,
                           dass mit Einfügen eines Hörsystems in den Gehörgang die Hörwahr-
                           nehmung nicht verändert wird (akustische Transparenz), jedoch gleich-
                           zeitig eine individuell optimale Hörunterstützung, z. B. durch Störge-
                           räuschreduktion, möglich ist.

Das Hörsystem der Zukunft wird als Hörhilfe in ver-   den. Am Institut für Hörtechnik und Audiologie der
schiedenen Kontexten nicht nur für das patholo-       Jade Hochschule wird die akustische Modellierung
gische Gehör verwendet werden. Das übergeord-         des Ohrpassstückes erarbeitet, die der ­Vorhersage
nete Ziel eines solchen Hörsystems ist es zunächst,   akustischer Effekte und deren Veränderung für ver-
eine dem offenen Ohr vergleichbare Hörsituati-        schiedene Hörgerätedesigns dient, während an
on mit der gewünschten Klangveränderung zu            der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg an
schaffen. Beispiele einer gewünschten Klangver-       Signal­verarbeitungsalgorithmen geforscht wird.
änderung sind die Verstärkung von Signalantei-
len, die Regelung der Dynamik und die Reduktion
von Störgeräuschen, die an das Hörvermögen der
Nutzerin oder des Nutzers und die jeweilige akus-
tische Umgebung angepasst werden. Gleichzeitig
muss sichergestellt werden, dass es nicht zu uner-
wünschten Störungen wie z. B. Rückkopplungen
oder einer veränderten Wahrnehmung der eigenen
Stimme kommt.

In bisherigen Lösungsansätzen werden diese Punk-
te lediglich unabhängig voneinander betrach-
tet, wenn sie überhaupt einbezogen werden. Ein
weiteres Defizit war bisher häufig der Ausschluss
inter­individueller Unterschiede, wenn lediglich
künstliche bzw. durchschnittliche Ohrgeometrien
herangezogen werden. Diese Beschränkungen sol-        Prototyp des Ohrpassstücks mit mehreren integrierten Mikrofo-
                                                      nen und Lautsprechern: mittig führen Kabel zu elektronischen
len in dem Teilprojekt „Akustisches Ohrpassstück      Komponenten in den Kanal der Otoplastik, der im Gehörgang
mit mehreren Mikrofonen und Lautsprechern zur         sitzt; rechts davon findet sich ein weiteres Mikrofon, das sich
                                                      bei Einsetzen in der Ohrmuschel befindet.
kombinierten Entzerrung, Rückkopplungsunter-
drückung und Störgeräuschreduktion“ nun über-
wunden werden – dazu gibt es viele Aspekte, die       In Kooperation mit Wissenschaftler_innen der Uni-
in eng verknüpften Arbeitspunkten erforscht wer-      versität Oldenburg wurde bereits ein Prototyp mit

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JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
FORSCHUNG

mehreren Mikrofonen und Miniaturlautsprechern          perschall in den Gehörgang, der bei Verschluss des
entwickelt. Mit diesem konnten unterschiedliche        Gehörgangs insbesondere im Tieftonbereich hör-
Methoden zur Vorhersage des Schalldrucks am in-        bar wird. Für die elektro-akustische Modellierung
dividuellen Trommelfell, zur Schallfeldentzerrung      des Okklusionseffektes am individuellen Gehör gibt
und Rückkopplungsunterdrückung entwickelt und          es einen möglichen Ansatz. Mit diesem und den
getestet werden. Im Weiteren sollen zum einen          Ergebnissen zur Ankopplung des äußeren Schallfel-
Vorhersagen auch für verschiedene Schalleinfalls-      des, soll der Okklusionseffekt simuliert und gemes-
richtungen äußerer Quellen gelten und zum an-          sen werden, um daraus individuelle Schätzungen
deren soll der so genannte Okklusions- bzw. akus-      für unbekannte Ohrgeometrien ableiten zu kön-
tischen Verschlusseffekt durch das Ohrpassstück        nen. Sind diese ausreichend genau, kann der Ok-
berücksichtigt werden. Mit den daraus gewonne-         klusionseffekt zum Ziel einer transparenten Akus-
nen Informationen soll dann der Prototyp weiter-       tik für den individuellen Träger des Ohrpassstückes
entwickelt werden.                                     kontrolliert bzw. unterdrückt werden.

Die Ankopplung bisheriger Teilmodelle an das äu-
ßere Schallfeld ist der Schritt, der die Gesamtbe-     Projektleitung:      Prof. Dr. ir. Simon Doclo
trachtung einer natürlichen Hörsituation ermög-                             (Universität Oldenburg)
licht. Dabei müssen verschiedene Probleme gelöst                            Prof. Dr. Matthias Blau
werden: zum einen der Erhalt bzw. die Aufnah-
                                                       Beteiligte:          Reinhild Roden, MSc.
me der räumlichen Informationen, die den Hörer
                                                                            Dr. Henning Schepker
eine gegebene Schallquelle lokalisieren lassen, zum
                                                                            (Universität Oldenburg)
anderen die Vorhersage der akustischen Übertra-
gungsfunktion von der äußeren Quelle durch den         Laufzeit:            02/2018 bis 06/2022
offenen bzw. „versorgten“ Gehörgang zum Trom-
                                                       Fördersumme:         305.970 Euro
melfell. Zum besseren Verständnis richtungsab-
hängiger Effekte und der Schallübertragung wer-        Web:                 uol.de/sfb1330/bereich-c-
den derzeit mit Hilfe der Finite Elemente Methode                           anwendung/c1-akustisches-
(FEM) zwei- und dreidimensionale Schallfelder für                           ohrpassstueck/
verschiedene Hörgeräte- und Ohrgeometrien si-          Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft
muliert. Dem entspricht die Erstellung eines virtu-    (DFG) - Sonderforschungsbereich 1330 „Hörakustik –
ellen Hörgeräte-Prototypens, dessen formgebende        Perzeptive Prinzipien, Algorithmen, Anwendungen“
Parameter zum Erreichen gewünschter akustischer
                                                       Kooperationspartner: Carl von Ossietzky Universität
Eigenschaften angepasst werden können. Ziel die-
                                                       Oldenburg, Technische Universität München, RWTH
ser Vorstudie ist vor allem die optimale Platzierung
                                                       Aachen, HörTech gGmbH, Fraunhofer Institut für Digi-
von Mikrofonen und Lautsprechern bei minima-
                                                       tale Medientechnologie
len richtungsabhängigen Veränderungen der Über-
tragungsfunktionen innerhalb des Gehörgangs.
Letztlich sollen die schon existierenden elektro-
akustischen Modelle um die Vorhersage bei umge-
benden Schalleinfall ergänzt werden.

Der Okklusionseffekt macht sich beim Hörenden
als eine dumpfe Verstärkung der eigenen Stimme
bemerkbar. Dabei gelangt über den Knochen Kör-

                                                                                                      F-13
                                     JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
GESUND ÄLTER WERDEN DURCH
 UNTERSTÜTZENDE TECHNOLOGIEN

                           Regelmäßige körperliche Bewegung kann dem altersbedingten Abbau
                           von Muskelkraft und -masse vorbeugen und somit ein gesundes und
                           selbstbestimmtes Leben fördern. Zudem reduziert die körperliche Akti-
                           vität das Risiko für viele chronische Erkrankungen und wirkt sich posi-
                           tiv auf die psychische Gesundheit und Lebensqualität aus. Das Präven-
                           tionsforschungsnetzwerk AEQUIPA fördert die Bewegung bei älteren
                           Menschen, die Nutzung neuer Technologien in der Prävention und die
                           gesundheitliche Chancengleichheit.

Das Thema „gesundes Altern“ gewinnt aufgrund          des Einflusses von Geschlecht, Migration, Wohnort
des demografischen Wandels stark an Bedeutung.        (Stadt/Land) und dem sozialen Status auf Nutzer-
Die körperliche Aktivität gilt hierfür als wichtige   akzeptanz und -bedarf von unterstützenden Tech-
Bedingung. Trotz der bekannten positiven Effek-       nologien.
te bewegt sich dennoch nur ein kleiner Teil der äl-
teren Menschen in ausreichendem Maß. Neben
vorbeugenden Bewegungsprogrammen kann der
Einsatz von Gesundheitstechnologien zur Unter-
stützung der körperlichen Aktivität wie Schrittzäh-
ler und Gesundheits-Apps, das Training effektiv
unterstützen. Der positive Einfluss solcher Techno-
logien auf die Mobilität konnte bereits belegt wer-
den. Unklar ist dennoch, ob dies auch auf ältere
Menschen übertragbar ist. Zudem deuten Arbei-
ten darauf hin, dass besonders ältere Frauen und
Menschen, die in ländlichen Gebieten wohnen, be-
stimmte Technologien seltener nutzen. Darüber hi-
naus ist über die Erfahrung, den Bedarf und die
                                                      Die Bewegung im Alltag reduziert das Risiko für viele chroni-
Nutzerakzeptanz älterer Menschen mit einem Mig-       sche Erkrankungen.
rationshintergrund bisher nur wenig bekannt.
                                                      Zwischen 2015 und 2018 wurden in einer ersten
AEQUIPA („Körperliche Aktivität, Gerechtigkeit        Förderphase unter anderem anhand einer Inter-
und Gesundheit: Primärprävention für gesundes         viewstudie mit 33 Personen ab 65 Jahren im Nord-
Altern“) ist ein regionales Präventionsforschungs-    westen Niedersachsens wichtige Vorarbeiten zu
netzwerk, zu dessen Kernthemen die Bewegungs-         den Themen „Körperliche Aktivität“ und „Tech-
förderung bei älteren Menschen ab 65 Jahren, die      nik“ geleistet. Im Vordergrund dieser Studie stan-
Nutzung neuer Technologien in der Prävention und      den zum Beispiel die Art und der Zeitpunkt der
die gesundheitliche Chancengleichheit gehören.        Aktivität und die Erfahrungen, Bedenken und Vor-
Die Schwerpunkte und Ziele der Jade Hochschule        stellungen im Umgang mit technischen Geräten.
innerhalb des Projektes liegen in der Untersuchung

F-14
JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
FORSCHUNG

Im Rahmen des Teilprojektes „TECHNOLOGY“                die Teilnehmenden, die die Messbox und die Erin-
sollen in der zweiten Förderphase zwei Techno-          nerungs- und Motivationstechnologien über meh-
logien entwickelt, ausprobiert und anschießend          rere Wochen und Monate ausprobiert haben,
durch die Teilnehmenden bewertet werden. Das            anhand von Telefon- und Gruppengesprächen dis-
­OFFIS e.V. entwickelt Erinnerungs- und Motivati-       kutiert werden. Im Vordergrund stehen hierbei die
 onstechnologien, wie unaufdringliche und unauf-        individuellen Erfahrungen und abgeleitete Ver-
 fällig zu integrierende Sensoren, die zusammen         besserungsvorschläge. In einer separaten Projekt-
 mit einem Übungsprogramm und weiteren Gerä-            phase werden dann zu einem späteren Zeitpunkt
 ten wie Smartphones und Tablet-PCs in einer Lang-      die unterstützenden Technologien in einer weite-
 zeitstudie über mehrere Wochen in der eigenen          ren Studie für schwer zu erreichenden älteren Ziel-
 Häuslichkeit von Menschen ab 65 Jahren unter Alt-      gruppen, unter anderem Menschen mit einem
 tagbedingungen ausprobiert werden sollen. Diese        Migrationshintergrund, Menschen mit einem nied-
 Technologien haben zum Ziel, im Alltag an leicht       rigen Bildungsniveau sowie Menschen mit geringer
 zu integrierende körperliche Bewegungen (z. B.         Technikaffinität, zur Verfügung gestellt.
 Stehen auf einem Bein beim Zähneputzen oder
 beim Kochen) zu erinnern und zu motivieren. Von        Projektleitung:       Prof. Dr. Frauke Koppelin
 der Universität Oldenburg soll eine Messbox entwi-
 ckelt werden, die an zwei Standorten (Universität      Beteiligter:          Alexander Pauls, M.Sc.
 und in einem Sportverein) in Oldenburg zum Aus-        Laufzeit:             02/2018 bis 01/2021
 probieren älteren Menschen zur Verfügung stehen                              (2. Phase)
 sollen. Ziel dieser Box ist es, dass die Teilnehmen-
                                                        Fördersumme:          143.000 Euro
 den bis zu sechs Monate selbständig die körper-
 liche Aktivität anhand von zwei aussagekräftigen       Web:                  aequipa.de
 und technikgestützten Methoden durch die in der
                                                        Förderung durch das Bundesministerium für Bildung
 Box eingebauten Assistenz- und Sensorsysteme
                                                        und Forschung
 messen lassen.
                                                        Kooperationspartner: BIPS GmbH, OFFIS e.V., Carl von
Zur Überprüfung und Diskussion der ersten Ideen         Ossietzky Universität Oldenburg, Gesundheitswirtschaft
fanden Mitte 2018 Gruppengespräche mit insge-           Nordwest e.V., Universität B
                                                                                   ­ remen, Jacobs University
samt 19 Frauen und Männern ab 65 Jahren in der          Bremen, TU Chemnitz, TU Dortmund
Jade Hochschule und in einem Stadtteiltreff in Ol-
denburg statt. Während dieser Gruppengespräche
wurden den Teilnehmenden die beiden Technolo-
gien anhand von Beispielen und auf Fotos gezeigt
und die wichtigsten Funktionen näher erklärt. Ziel
war es, die Meinung und Verbesserungsvorschläge
abzuleiten und dies den Projektpartnern zur Wei-
terentwicklung der technischen Systeme zurückzu-
melden.

2019 sind weitere Gespräche durch die Jade Hoch-
schule geplant. Hier sollen Menschen mit einem
Migrationshintergrund einbezogen werden. Zu-
sätzlich sollen die entwickelten Technologien durch

                                                                                                       F-15
                                      JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
VERBESSERUNG DER
  PSYCHISCHEN GESUNDHEIT IM
  DIENSTLEISTUNGSBEREICH
                                 Angesichts des demografischen Wandels und alternder Belegschaften
                                 wird es für Unternehmen immer wichtiger, ihre Beschäftigten gesund zu
                                 erhalten. Vielen Unternehmen fällt es aber schwer, sich mit der psychi-
                                 schen Gesundheit zu befassen und bisher existieren kaum gut evaluierte
                                 Interventionskonzepte für flexible Interaktionsarbeit im Dienstleistungs-
                                 sektor. Hier setzt das Verbundprojekt „Flexible Dienstleistungsarbeit ge-
                                 sundheitsförderlich gestalten“ (flexigesa) an.

Psychische Störungen sind weit verbreitet: Die Stu-        In Deutschland sind etwa drei Viertel aller Beschäf-
die zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland              tigten im Dienstleistungsbereich tätig. Dienstleis-
(DEGS) konnte für Männer (18 bis 79 Jahre) eine            tungsarbeit zeichnet sich insbesondere durch In-
12 Monatsprävalenz psychischer Störungen von               teraktionsarbeit aus, d. h. Arbeit am und mit
22,1 Prozent ermitteln. Bei Frauen lag die Präva-          Menschen. Hieraus können sich psychische Belas-
lenz mit 33,5 Prozent sogar noch deutlich darü-            tungen ergeben, die sich bei wachsendem wirt-
ber (Jacobi et al. 2016). Zu ähnlichen Ergebnissen         schaftlichem Druck oft noch erhöhen und bei feh-
kommen auch Auswertungen anhand der AOK-                   lenden Ressourcen zu einer Verschlechterung der
Versicherten in Niedersachsen im erwerbsfähigen            psychischen Gesundheit führen können.
Alter (Gerdau-Heitmann et al. 2017). Darüber hin-
aus werden psychische Stressoren und Störungen             Auch werden viele Beschäftigte bei ihrer Arbeit mit
zunehmend im erwerbsbezogenen Kontext wahr-                hohen Flexibilitätsanforderungen konfrontiert, wie
genommen. Abzulesen ist dies u.a. an häufigeren            flexible Arbeitszeiten, atypische Beschäftigungs-
psychischen Diagnosen im Arbeitsunfähigkeitsge-            verhältnisse, wechselnde Arbeitsorte oder neue
schehen und im Rentenzugang wegen verminder-               Aufgaben und Kund_innen. Diese Flexibilisierung
ter Erwerbsfähigkeit (Robert Koch-Institut 2015).          birgt auf der einen Seite Potenziale, wie Zuwäch-
                                                           se an Arbeitsautonomie und einer mitarbeiterori-
                                                           entierteren Arbeitszeitgestaltung. Auf der ande-
                                                           ren Seite weisen empirische Studien darauf hin,
                                                           dass sich mit der Flexibilisierung von Arbeit ten-
                                                           denziell auch psychische Arbeitsbelastungen und
                                                           Gesundheitsrisiken ausweiten (Lohmann-Haislah
                                                           2012). Der zu verzeichnende Anstieg psychischer
                                                           Arbeitsbelastungen wird dabei als eine relevan-
                                                           te Ursache für zunehmende Arbeitsunfähigkeitsta-
                                                           ge und Frühberentungen insbesondere aufgrund
                                                           psychischer Störungen diskutiert (Knoche & So-
                                                           chert 2013). Diese so genannten F-Diagnosen ge-
                                                           hen häufig mit relativ langen Arbeitsunfähigkeits-
„flexigesa“ nimmt die Gesundheit im Job in den Fokus.      dauern einher (je Fall durchschnittlich 35,5 Tage),

F-16
JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
FORSCHUNG

sodass trotz - im Vergleich zu anderen Krankheits-              personalen, sozialen und organisationalen Ge-
arten - eher moderaten Fallzahlen ihr Anteil am ge-             sundheitsressourcen bei flexibler Interaktionsar-
samten Krankenstand mit 16,2 Prozent sehr hoch                  beit verknüpfen. Dabei steht die Identifizierung
ausfällt (Rebscher et al. 2016). Arbeitsunfähigkeits-           von gesundheitlichen Ressourcen, Belastungen so-
zeiten infolge psychischer Störungen erhalten ge-               wie individuellen und kollektiven Bewältigungs-
rade auch für Dienstleistungstätigkeiten eine be-               mustern bei Beschäftigten und Führungskräften in
deutende Relevanz.                                              der flexiblen interaktiven Dienstleistungsarbeit im
                                                                Mittelpunkt. Mit einer in der Metropolregion Nord-
Das Verbundprojekt in der Metropolregion Nord-                  west durchgeführten Befragung aller ambulanten
west (Teile Niedersachsens und Bremen) zielt dar-               Pflege­dienste und IT-Unternehmen werden auch
auf ab, die gesundheitsförderliche Gestaltung fle-              die spezifischen Bedingungen in der Region ausge-
xibler Interaktionsarbeit im Dienstleistungsbereich             wertet.
am Beispiel der IT-Services als männlich dominierte
Branche und der ambulanten Dienste (ambulante                   Ziel ist es, Konzepte zur gesundheitsförderlichen
Pflege und hauswirtschaftliche Dienste) als weib-               Gestaltung zu entwickeln, umzusetzen, zu evaluie-
lich dominierte Branche insbesondere im Hinblick                ren und auf regionaler Ebene gezielt zu verbreiten.
auf die psychische Gesundheit zu verbessern. Bei-               Dabei sollen Wege aufgezeigt werden, wie Unter-
de Branchen weisen dabei große Unterschiede auf.                nehmen und Beschäftigte gesundheitsbezogene
IT und Pflege stehen paradigmatisch für Pole des                Ressourcen ausbauen und Belastungsquellen redu-
relativ breiten Spektrums der (interaktiven) Dienst-            zieren können.
leistungsarbeit: zum einen die wissensintensive IT-
Branche („High-Tech“) und zum anderen die durch                 Projektleitung:      Prof. Dr. Frauke Koppelin
Emotionsarbeit geprägte Pflege („High-Touch“).                                       Dr. Sarah Mümken

                                                                Beteiligte:          Dr. Cornelia Gerdau-Heitmann

                                                                Laufzeit:            02/2018 bis 01/2022

                                                                Fördersumme:         505.350 Euro

                                                                Förderung durch das Bundesministerium für Bildung
                                                                und Forschung

                                                                Kooperationspartner: Universität Bremen, Gesundheits-
                                                                wirtschaft Nordwest e.V., Hanseatische Software-Ent-
                                                                wicklungs- und Consulting-Gesellschaft mbH Bremen,
                                                                vacances mobiler Sozial- und Pflegedienst GmbH

Wollen psychische Gesundheitsrisiken reduzieren: Das Team des
Verbundprojektes „flexigesa“.

Das Projekt wird partizipativ und gendersensibel
integrierte verhaltens- und verhältnisorientierte
Interventionen zur Reduzierung psychischer Ge-
sundheitsrisiken mit Konzepten zur Stärkung der

                                                                                                            F-17
                                            JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
MARITIME ENGLISH LANGUAGE
 TRAINING STANDARDS

                           Kommunikation ist für die internationale Seeschifffahrt von sicher-
                           heitskritischer Bedeutung. Laut Angaben der Internationalen Mariti-
                           men Organisation (IMO) sind über 80 Prozent der berichteten Unfälle
                           und Zwischenfälle auf See auf menschliches Versagen zurückzuführen,
                           und über 30 Prozent dieser Unfälle werden von Sprach- und Kommu-
                           nikationsfehlern verursacht. Das MariLANG-Projekt hat einen auf der
                           Grundlage des europäischen Sprachreferenzrahmens und internatio-
                           naler Bestimmungen einen standardisierten Sprachtest und ein zuge-
                           höriges Lernpaket entwickelt.

Die Seeschifffahrt ist ein Schlüsselement der glo-    und bietet Dozenten und Lernenden eine Rückmel-
balen Wirtschaft, da sie für eine Transportleistung   dung zum individuellen Sprachniveau im internati-
von fast 90 Prozent des Welthandels verantwort-       onalen Vergleich.
lich ist. Kaum ein anderer Wirtschaftsbereich ist
internationaler aufgestellt als die Seeschifffahrt.   Das eLearning-System ist weitgehend selbsterklä-
Internationale Besatzungen arbeiten und leben zu-     rend und ermöglicht den Lernenden, Übungen
sammen auf Schiffen, was jedoch gewisse Risiken       über eine Kompetenzmatrix gezielt für bestimmte
mit sich bringt. Sprache und Kommunikation sind       maritime Bereiche oder für einzelne Register aus-
daher von grundlegender Bedeutung für die Schiff-     zuwählen (d. h. Lesen, Schreiben, Hören, Sprechen,
fahrtsbranche und Maritimes Englisch ist die Ar-      Standardphrasen).
beitssprache der Seefahrt.
                                                      Sprachlehrer erhalten zudem die Möglichkeit, sich
Im Rahmen eines Erasmus+-Projektes unter der Lei-     anhand der umfangreichen Begleitliteratur Ein­
tung der Jade Hochschule hat die strategische Part-   blicke in die Entwicklung des Projektes und dessen
nerschaft „MariLANG Maritime English Language         Ergebnisse zu verschaffen.
Training Standards” es sich zum Ziel gesetzt, einem
weltweit einheitlichen Standard der maritimen
Fachsprache näher zu kommen.

In der dreijährigen Laufzeit (2015 bis 2018) wurde
ein Testformat entwickelt, welches sich an andere
internationale Sprachtests anlehnt und gleichzeitig
den europäischen Sprachreferenzrahmen (CEFR)
und maritime Standards berücksichtigt. Simultan
zur Entwicklung des maritimen Sprachtests wurde
ein eLearning-System entwickelt, das internationa-
len maritimen Ausbildungseinrichtungen als offene
Bildungsressource (OER) zur Verfügung steht. Das
                                                      MariLANG nimmt Kurs auf internationalen Standard.
MariLANG-Trainingspaket unterstützt zukünftige
Seefahrer im Erlernen der nautischen Fachsprache

F-18
JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
FORSCHUNG

Neben den sieben europäischen Partnern aus Bel-        Projektleitung:       Dipl.-Übersetzer Peter John
gien, Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Slove-
nien und Großbritannien wurden auch assoziierte        Laufzeit:             09/2015 bis 12/202
Partner aus Fernost in das Projekt einbezogen. Dies    Fördersumme:          446.175 Euro
ermöglichte nicht nur eine bessere Ermittlung der
                                                       Web:                  marilang.eu
Validität und Zuverlässigkeit der entwickelten Test-
formate und Lernmaterialien, die Einbindung inter-     Förderung durch die EU im Programm Erasmus+ „Stra-
nationaler Partner verfolgt auch das Ziel, die Ak-     tegische Partnerschaften“
zeptanz der entwickelten Inhalte durch Drittländer
                                                       Kooperationspartner: Centre For Factories of the Future
zu erhöhen.                                            Ltd (UK), Nicola Vapstarov Naval Academy (BG), Spina-
                                                       ker (SI), Antwerp Maritime Academy (BE), 1st Evening
Das MariLANG-Projekt wurde vom Projektträger als       Vocational Senior High School of Egaleo (GR), South-
„sehr gut“ bewertet (93 Prozent). Besonders her-       ampton Solent University (UK)
vorgehoben wurde in der Bewertung die interna-
tionale Ausrichtung über die Partnerinstitutionen
hinaus. Asiatische Länder sind von der Schifffahrt
von besonderer Bedeutung, da sie über 70 Prozent
der Seeleute weltweit stellen. Aus diesem Grund
war es für den Projekterfolg wichtig, diese mög-
lichst einzubinden. Gelungen ist dies durch meh-
rere Workshops auf der internationalen Konferenz
für Maritimes Englisch (IMLA-IMEC) sowie einen
externen Qualitätsevaluator aus Japan.

Nach Durchführung einer internationalen Pilotstu-
die steht der entwickelte Sprachtest allen Interes-
sierten über die MariLANG-Internetpräsenz (www.
marilang.eu) zur Verfügung, auf der sich auch das
MariLANG-Trainingspaket befindet (www.mari-
lang.eu/moodle). Ein Zugang ist als Gast oder an-
gemeldeter Nutzer möglich.

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                                      JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
FLOOD RESILIENT AREAS BY MULTI-
  LAYERED SAFETY (FRAMES)

                            Seit Jahrhunderten schützen sich die Menschen gegen Sturmfluten und
                            Hochwasser durch technische Bauwerke. Mit einem sich verändernden
                            Klima nehmen die Wetterextreme zu und die technischen Schutzmaß-
                            nahmen geraten an ihre Grenzen. Um die Sicherheit der Menschen in tief
                            liegenden Küstenregionen weiterhin zu gewährleisten, wird im Rahmen
                            von FRAMES die Anwendbarkeit des Prinzips der Mehr­ebenen-Sicherheit
                            (multi-layer-safety) in 13 Pilotregionen an der Nordseeküste überprüft.

Analyse der Mehrebenen-Sicherheit in der                Der Schwerpunkt im Pilotgebiet lag 2018 auf ei-
Wesermarsch                                             ner akteursbasierte Status-quo-Analyse des Kata-
Im vergangenen Jahrzehnt hat im Bereich des             strophenmanagements in der Wesermarsch und
Hochwassermanagements ein Umdenken stattge-             der Erfassung des Wissensstands sowie der Hand-
funden. Das Bestreben, 100-prozentige Sicherheit        lungsbereitschaft der Bevölkerung am Beispiel
zu gewährleisten, ist der Auffassung gewichen,          der Gemeinde Butjadingen. Zu letzterem wurde
dass trotz technischen Fortschritts beim Küsten-        im Frühjahr 2018 eine Umfrage in der Gemeinde
schutz und der Küstenentwässerung immer mit             durchgeführt, um folgende Fragen beantworten zu
einem Restrisiko gerechnet werden muss. Nicht           können:
zuletzt durch die Implementierung der EU-Hoch-
wasserrisikomanagement-Richtlinie und die deut-         • Was wissen die Einwohner der Wesermarch
licher werdenden Folgen des Klimawandels wurde            über die Themen Hochwasserrisiko und Klima-
das Sicherheitsdenken durch ein Risikomanage-             wandel?
mentdenken ersetzt, um auf kommende Extrem­
ereignisse vorbereitet zu sein.                         • Über welche Informationskanäle kann ein sol-
                                                          ches Wissen zielgruppengerecht unterstützt
Vor diesem Hintergrund beteiligt sich das Refe-           werden?
rat Forschung & Transfer der Jade Hochschule aktiv
am FRAMES-Projekt und trägt die Verantwortung           • Welches Gefahrenbewusstsein haben die Ein-
für das länderübergreifende Arbeitspaket Resili-          wohner der Wesermarsch?
ent Areas und für das deutsche Pilotgebiet We-
sermarsch. Zusammen mit den Akteuren aus der            • Führt das Wissen über Hochwasserereignisse
Wesermarsch wird im Pilotgebiet das Hochwasser­           und deren mögliche Folgen zu vorbeugendem
risikomanagement unter dem Aspekt der Mehr­               Handeln?
ebenen-Sicherheit betrachtet. Im Fokus stehen
dabei das Entwässerungsmanagement und der Ka-           Die Ergebnisse der Befragung wurden im Septem-
tastrophenschutz. Für beide Bereiche sollen mög-        ber 2018 im Rathaus Burhave den Einwohnern
liche Defizite identifiziert und integrative Lösungs-   von Butjadingen im Rahmen einer Posterausstel-
ansätze entwickelt werden.                              lung vorgestellt. Die Bevölkerungsbefragung hat
                                                        gezeigt, dass die Themen Hochwasserrisiko und

F-20
JAHRESBERICHT FORSCHUNG UND TRANSFER 2018
FORSCHUNG

Klimawandel zentrale politische Handlungsfel-          ten Defizite zu entwickeln und diese kurz- bis mit-
der sind. Die Mehrheit der Befragten ist der Mei-      telfristig in der Wesermarsch umzusetzen.
nung, dass der Klimawandel hauptsächlich durch
den Menschen verursacht wird. Nur ein Bruchteil
der Befragten sieht natürliche Ursachen als Haupt-
grund an. Im Hinblick auf die vorgeschlagenen
Maßnahmen, wie z. B. das Einholen von Informa-
tionen, das Anlegen von Telefonlisten, der Schutz
der Inneneinrichtung oder das Zusammenstellen ei-
ner Notfallausrüstung, stuften die meisten Befrag-
ten die Wirksamkeit der genannten Maßnahmen
als hoch und den Aufwand diese Maßnahmen um-
zusetzen als gering ein. Die Umsetzungswahr-
scheinlichkeit wurde aber stark altersabhängig be-
wertet. So nahm die Wahrscheinlichkeit, mit der
die Bürger_innen die Maßnahmen im Rahmen
der Eigenvorsorge umsetzen würden, mit dem Al-
ter signifikant zu. Sowohl die Altersstruktur in den
Rückläufern des Fragebogens als auch die Teilneh-
mer_innen an der Posterausstellung spiegelten
deutlich wider, dass ältere Menschen ein deutlich      Das Konzept der mehrebenen-Sicherheit (Multi-Layer-Safety)
größeres Interesse an diesen Themen haben als die      aus den Niederlanden (Quelle: Waterveiligheid 2009-2015).
Jüngeren.
                                                       Projektleitung:          apl. Prof. Dr. Helge Bormann
Aus den Ergebnissen der Befragung wurde deut-
                                                       Beteiligte:              Jenny Kebschull, M.Sc.
lich, dass die befragten Bürgerinnen und Bürger
bereits über ein erhebliches Wissen verfügen, aber     Laufzeit:                10/2016 bis 01/2020
die Bereitschaft, daraus vorsorgendes Handeln
                                                       Fördersumme:             607.810 Euro
abzuleiten, stark altersabhängig ist. Jüngere Ein-
wohner müssen mehr für diese Themen interessiert       Förderung durch die Europäische Union im Rahmen
werden. Darüber hinaus wurde deutlich, dass die        des Programms Interreg Vb
Bevölkerung nicht ausreichend über die richtigen       Kooperationspartner: Provinz Zuid-Holland (NL), Provinz
Verhaltensweisen im Katastrophenfall informiert        Zeeland (NL), Hochschule Vlissingen (NL), CvO Univer-
ist. Dass die jüngere Generation am ehesten über       sität Oldenburg, Oldenburg-Ostfriesischer Wasserver-
digitale Informationskanäle zu erreichen ist, war      band, Universität Gent (B), Provinz Oost-Vlaanderen (B),
keine große Überraschung.                              Kystdirektorat (DK), Kent City Council (UK), The Rivers
                                                       Trust (UK), National Flood Forum (UK)
Auf Basis der Ergebnisse der Befragung arbeitet
nun ein Regionalforum, bestehend aus verschiede-
nen BOS-Einheiten (Behörden und Organisationen
mit Sicherheitsaufgaben), darunter Kommunen
und der Landkreis Wesermarsch, in der verbleiben-
den Projektlaufzeit mit dem Projektteam der Jade
Hochschule daran, Lösungsideen für die genann-

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