Journal - Kassenärztliche Vereinigung Hamburg
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Rundschreiben des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg ISSN 2568-9517 9/ 2021 journal TOXISCHER WETTBEWERB Die Kommerzialisierung der Versorgung bringt Ärztinnen und Ärzte in berufsethische Konflikte. ELEKTRONISCHE AU STURZRISIKO-ASSESSMENT Welche Voraussetzungen sind nötig? Ritual oder wissenschaftlich begründet?
IMPRESSUM Das KVH-Journal enthält Informationen für den Praxisalltag, die für das gesamte Team relevant sind. Bitte ermöglichen Sie auch den nichtärztlichen Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeitern Einblick in dieses Heft. IMPRESSUM KVH-Journal der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg für ihre Mitglieder und deren Mitarbeiter ISSN (Print) 2568-972X ISSN (Online) 2568-9517 Erscheinungsweise monatlich Abdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers Namentlich gezeichnete Artikel geben die Meinung des Autors und nicht unbedingt die des Herausgebers wieder. VISDP: Walter Plassmann Redaktion: Abt. Politik und Öffentlichkeitsarbeit Martin Niggeschmidt, Dr. Jochen Kriens Kassenärztliche Vereinigung Hamburg, Humboldtstraße 56, 22083 Hamburg Tel: 040 / 22802 - 655 E-Mail: redaktion@kvhh.de Titelillustration: Sebastian Haslauer Layout und Infografik: Sandra Kaiser www.BueroSandraKaiser.de Ausgabe 9/2021 (September 2021) 2 | KV H - J O U R N A L 9/2021
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser! In dieser Ausgabe des KVH-Journals greifen wir das Thema des 3. Hamburger Versorgungsforschungstags am 1. September 2021 auf: die Ökonomisierung der Medizin. Investoren und Gesundheitskonzerne dringen aktuell immer weiter in die ambulante Versorgung vor. Gefährdet sind damit die leistungsstarken, inhabergeführten Praxen, die wir dringend in unserem ambulanten System brauchen. Sie halten nämlich Tag für Tag höchste Qualität aufrecht. Diese Praxen arbeiten nach völlig anderen Regeln als investorengeführte MVZ-Ketten. Auch Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeutinnen und Psycho- therapeuten haben nichts dagegen, gutes Geld zu verdienen. Aber in Hamburg leben und arbeiten Menschen in diesen Praxen, die ihr Berufsethos hochhalten. Es geht ihnen zuallererst um Medizin und Therapie, nicht um Wertschöpfung und Gewinnmaximierung. Mit der Zunahme der Investoren-MVZ nimmt auch die Zahl der Angestellten zu. Und damit wandelt sich auch die Mitgliedschaft in den Gremien der Ärztlichen Selbstverwaltung. All diese angestellten Ärztinnen und Ärzte und Psychothera- peutinnnen und Psychotherapeuten sind uns herzlich willkommen. Wir freuen uns auf ihre Mitarbeit. Doch wir werden das Engagement aller Beteiligten in der Selbstverwaltung benötigen, um den Edelstein ambulante Versorgung am Funkeln zu halten. In dieser Ausgabe des KVH-Journals lege ich Ihnen besonders das Interview mit Prof. Dr. Marcus Siebolds ans Herz, der unter anderem analysiert, warum die an das Sozialsystem gebundene KV-Praxis ein Handlungsraum ist, in dem Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verhält- nismäßig große Freiheiten haben, ihre Professionalität zu interpretieren (siehe Seite 8). Ärztliche Selbstverwaltung und selbstständige Praxen gehören zusammen. Der KV fällt die Aufgabe zu, sich für die Unabhängigkeit der Praxen stark zu machen – unter anderem, indem sie versucht, die Öffentlichkeit durch Veranstal- tungen wie den Versorgungsforschungstag für das Problem zu sensibilisieren. Ihre Caroline Roos, stellvertretende Vorsitzende der KV Hamburg KO N TA K T Wir freuen uns über Reaktionen auf unsere Artikel, über Themenvorschläge und Meinungsäußerungen. Tel: 22802-655, Fax: 22802-420, E-Mail: redaktion@kvhh.de 9/2021 KV H - J O U R N A L | 3
I N H A LT Rundschreiben des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg ISSN 2568-972X 9/ 2021 journal SCHWERPUNKT TOXISCHER WETTBEWERB 06_ Nachgefragt: Warum das Die Kommerzialisierung der Versorgung bringt Ärztinnen und Ärzte in berufsethische Konflikte. Vordringen von Investoren in die ambulante Versorgung problematisch ist 08_ Interview: Prof. Marcus Siebolds über das pan-industrielle Paradigma, die Entstehung toxischer Gesundheitsmärkte und die Vorteile der Niederlassung ELEKTRONISCHE AU STURZRISIKO-ASSESSMENT Welche Voraussetzungen sind nötig? Ritual oder wissenschaftlich begründet? AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S 12_ Fragen und Antworten 14_ Elektronische AU ab Oktober 16_ Neue Angebote für Gruppen-Psychotherapie 17_ Finanzielle Förderung für den Abbau von Barrieren WEITERLESEN IM NETZ: WWW.KVHH.DE Auf unserer Internetseite finden Sie Informationen rund um den Praxisalltag – unter anderem zu Honorar, Abrechnung, Phar- makotherapie und Qualitätssicherung. Es gibt alphabetisch sortierte Glossare, in denen Sie Formulare/Anträge und Verträge herunterladen können. Sie haben Zugriff auf Patientenflyer, Pressemitteilungen, Telegramme und Periodika der KV Hamburg. 4 | KV H - J O U R N A L 9/2021
9/2021 FORUM N E TZ W E R K EV I D E N Z B A S I E RT E M E D I Z I N 24_ Flutkatastrophe: Unterstützung für 18_Sturzrisiko-Assessment betroffene Praxen bei älteren Menschen – Ritual oder wissen- S E L B S T V E R WA LT U N G schaftlich begründet? 25_ Steckbrief: Dr. Karin Wallenczus 26_ "Frauenförderungskommission" RUBRIKEN der KV Hamburg: 02_Impressum engagierte Frauen gesucht! 03_Editorial KO L U M N E VERSORGUNG 22_Zwischenruf von Dr. Bernd Hontschik 27_ Endspurt im Impfzentrum 28_ KV-Notfallpraxis am Bundeswehr- FORUM krankenhaus ersetzt Notfallpraxis 23_Leserbriefe Farmsen TERMINKALENDER 29_ Übersicht: Notfallpraxen in 30_Termine und geplante Hamburg Veranstaltungen BI LDNACHWEIS Titelillustration: Sebastian Haslauer Seite 7: UPD Patientenberatung; Seite 9: Manfred Daams / Werbefotografie Köln; Seite 13: Fleur Priess; Seite 22: Barbara Klemm; Seite 24: picture alliance / Geisler Fotopress; Seite 27: Jasper Ramm / Ramp 106; Seite 28: Marco Grundt; Seite 29: Michael Zapf, Bundeswehrkrankenhaus Ham- burg; Seite 30: Michael Zapf; Melanie Vollmert auf Grundlage von Lesniewski / Fotolia; Icons: iStockfoto 9/2021 KV H - J O U R N A L | 5
NACHG EFRAGT IN KOOPERATION MIT DEM DRITTEN HAMBURGER VERSORGUNGS- FORSCHUNGSTAG DER KV HAMBURG AM 1.9.2021 Investoren in der Gesundheitsversorgung: Wo liegt das Problem? Mangelnde Transparenz der Besitzverhältnisse Die Zahl der Käufe gibt es weder die Pflicht, Besitzverhältnisse noch Konzern- von Praxen und MVZ zusammenhänge vollständig offenzulegen, folglich auch durch Private-Equity- eine mangelnde Transparenz über Gewinnabflüsse. Rainer Bobsin Fonds ist in den letzten Auf Praxen und MVZ bezogen existiert ein »bunter Fachautor Private Equity Jahren stark gestiegen Flickenteppich« recherchierbarer und nicht zu ermit- im Gesundheitswesen – mit einem vorläu- telnder Abhängigkeiten zwischen folgenden Ebenen: figen Höhepunkt 1. Private-Equity-Gesellschaft und ihre Fonds, 2. MVZ- 2020. Private-Equity-Gesellschaften erzielen ihre Rendite Konzern, 3. Träger im Sinne von § 95 SGB V (meist ein überwiegend aus dem Gewinn beim späteren Weiter- Krankenhaus), 4. zugelassene MVZ-Trägergesellschaf- verkauf der übernommenen Unternehmen, weniger aus ten, 5. einzelne Praxen. laufenden Erträgen. Durchschnittlich vergehen nur etwa Das deutsche Handelsregister ist bei den oft anzu- fünf Jahre zwischen dem Kauf und dem Verkauf von Ge- treffenden kettenförmig angeordneten Besitzgesell- sundheits- und Pflegeeinrichtungen. Für die Versorgungs- schaften im In- und Ausland, vor allem wenn es sich sicherheit, eine langfristige Planung und die Beschäftigten um Steueroasen handelt, keine ausreichende Informati- kann die daraus resultierende Unruhe zum Problem onsgrundlage. werden: Jeder Eigentumswechsel bedeutet Neustrukturie- Damit fehlt gesundheitspolitisch Verantwortlichen rungen, die in einzelnen Fällen bereits Praxisschließungen eine wesentliche Basis, um im Sinne eines gesamtgesell- zur Folge hatten. Obwohl es sich beim Gesundheitswesen schaftlichen Interessenausgleichs seriös entscheiden zu um einen Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge handelt, können. 6 | KV H - J O U R N A L 9/2021
NACHG EFRAGT Konflikt zwischen Patientenwohl und ökonomischen Interessen Die Befürchtung, dass sondern potenziell schädlich sind. Aus Patientensicht beim Arztbesuch das gibt es die Angst, dass noch systematischer und effizien- Patientenwohl mit ter „geigelt“ werden würde, wenn große Unternehmen Dr. Johannes Schenkel den ökonomischen und Investoren die Spielregeln in der ambulanten ärztlicher Leiter der UPD Patienten Interessen der medizi- Versorgung bestimmen würden. Eine stärkere Gewinn beratung Deutschland nischen Einrichtung orientierung könnte auch dazu führen, dass keine Zeit in Konflikt kommen mehr vorhanden ist für das Arzt-Patienten-Gespräch könnte, ist ein großes Thema in unserer Patientenbera- oder für gemeinsame, strukturierte Entscheidungspro- tung. Dabei geht es vor allem um zwei Bereiche: indivi- zesse (Shared Decision Making). Solche Gespräche kosten duelle Gesundheitsleistungen (IGel) und Zeitmangel in Zeit, die nicht bezahlt wird. Menschen, die medizinische der Sprechstunde. Patientinnen und Patienten äußern Versorgung benötigen, wünschen sich eine zugewandte, immer wieder den Verdacht, dass ihnen unnötige patientenorientierte Medizin – keine Versorgung durch Leistungen aufgedrängt werden sollen – und manchmal Leistungserbringer, denen kaufmännische Leiter und stellen wir fest, dass diese Leistungen nicht nur unnötig, Investoren im Nacken sitzen. Normale Niederlassung wird schwieriger Der deutsche Gesund- nachrückenden Ärztegeneration zunehmend schwieri- heitsmarkt ist für ger, sich gerade in den beschriebenen Fachdisziplinen internationale Finan- niederzulassen. Die hier gezahlten Übernahmepreise Daniel Zehnich zinvestoren attraktiv, an die abgebenden Ärztinnen und Ärzte überschreiten Leiter Bereich Gesundheitsmärkte gerade die ambulante häufig die Investitionsbereitschaft und auch -fähigkeit und Gesundheitspolitik der Versorgung mit ihrer potenzieller Existenzgründerinnen und Existenzgrün- Dt. Apotheker- und Ärztebank stark fragmentierten der. Fakt ist: Investoren haben inzwischen sowohl in Struktur steht zuneh- die stationäre als auch in die ambulante Versorgung mend im Fokus. Die Größe und die damit verbundene Einzug gehalten. Grundsätzlich haben sie ein Interesse, Kapitalstärke erleichtert es ihnen, in geräte- und damit Skaleneffekte auszunutzen und hohe Renditen zu häufig auch kapitalintensive Fachrichtungen zu inves- erzielen. Generell herrscht jedoch zu wenig Transpa- tieren, wie zum Beispiel Labor, Nephrologie, Radiologie renz darüber, welche Investoren sich in welchem und Augenheilkunde. Dort ist ein Eintritt dieser Player Ausmaß im Gesundheitsmarkt engagieren. Es sollte schon seit längerer Zeit zu verzeichnen. Perspektivisch auch hinterfragt werden, inwieweit hier Chancen- werden sicherlich auch weitere Facharztrichtungen gleichheit für alle Akteure besteht. Insgesamt gilt es betroffen sein, insbesondere die mit hohen Selbstzah- aber vor allem sicherzustellen, dass ökonomische Inter- lerleistungen, wie etwa die Dermatologie. Der Aufkauf essen nicht vor die medizinische Unabhängigkeit von Praxen durch private Investoren macht es der gestellt werden. 9/2021 KV H - J O U R N A L | 7
RCUHBW S R IEKR P U N K T MEDIZINETHIK »Historischer Fehler« Die Kommerzialisierung der Versorgung bringt Ärztinnen und Ärzte in berufsethische Konflikte. INTERVIEW mit PROF. DR. MARCUS SIEBOLDS über den Siegeszug des pan-industriellen Paradigmas, die Entstehung toxischer Gesundheitsmärkte und die Vorteile der Niederlassung. Die Gewährleistung der Gesund- dermaßen beschrieben: Es bildet sich Markt. Wer hier investiert, hat eine heitsversorgung ist eine öffent- ein „esoterischer Kreis“ aus Experten. Finanzierungsgarantie, denn das liche Aufgabe. Weshalb hat die Diese vertreten mit Nachdruck eine Geld für die Leistungen wird über Politik diesen Bereich für Unter- Überzeugung, die trotz fehlender ein gesetzlich geregeltes Solidar- nehmen und Investoren geöffnet? Empirie irgendwann als Tatsache system aufgebracht. Die Finan- SIEBOLDS: Unter Experten und in wahrgenommen wird. Der „exote- zierungsgarantie hatte allerdings weiten Teilen der Politik hat sich rische Kreis“ – also verantwortliche ursprünglich einen ganz anderen die Vorstellung durchgesetzt, dass Politiker, öffentliche Verwaltung, Sinn: nämlich den Bürgerinnen und die Bewältigung gesellschaftlicher Krankenhausträger – übernehmen Bürgern zu garantieren, dass sie Aufgaben nur nach einer industriell- diese Überzeugung und übersetzen die von der Gesellschaft zugesagte betrieblichen Logik funktioniert: sie in Organisationsstrukturen. Das Solidarität wirklich empfangen. Es Wettbewerb, Kosteneinsparung, große Problem ist: Das pan-industri- gibt also einen gesellschaftlichen Effizienzsteigerung. Dieses pan- elle Paradigma wird überhaupt nicht Grundwiderspruch zwischen garan- industrielle Paradigma ist ein mehr hinterfragt, es wird als alterna- tierter Solidarität und erlaubter Ordnungsprinzip und Denkstil der tivlos dahingestellt. Wertschöpfung. Diesen Wider- Gesellschaft geworden – nicht nur spruch konnte die Gesellschaft in der Krankenversorgung, sondern Weshalb interessieren sich profit historisch an frei-gemeinnützige, auch in anderen Bereichen der orientierte Unternehmen überhaupt kommunale Träger im Kranken- Daseinssicherung. Die Verbreitung für die medizinische Versorgung? hausbereich und an Kassenärztli- eines solchen Denkstils hat der Arzt SIEBOLDS: Die Gesundheitswirt- che Vereinigungen im Bereich der und Philosoph Ludwig Fleck folgen- schaft ist ein äußerst attraktiver ambulanten Versorgung abgeben, 8 | KV H - J O U R N A L 9/2021
S C H W E RRPUUBNRK IKT Prof. Dr. Marcus Siebolds ist Internist und ärztlicher Psychotherapeut. Er hat die Professur für Medizinmanagement an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Fachbereich Gesundheitswesen, inne. wobei es immer eine unbedingte diesen gesellschaftlichen Grund- heit und mit den Ängsten, die das Gemeinwesenbindung gab mit widersprüchen umzugehen. Der Vorhandensein einer Krankheit aus- einem Verbot von Wertschöpfung Markt kennt nur eine einzige Größe, löst. Die Irrationalität wächst mit außerhalb regulierter Grenzen. Das nämlich die Maximierung der Wert- der existenziellen Bedrohung. Die pan-industrielle Paradigma entlässt schöpfung. Anders darf ein Unter- Patienten geraten in eine abhängige den Staat nun aber aus der Notwen- nehmen sich nicht verstehen. Die Situation und sind darauf angewie- digkeit, diese Spannung zwischen Geschäftsführung ist auf dieses Ziel sen, sich den Ärztinnen und Ärzten garantierter Solidarität und erlaub- verpflichtet – wenn sie es missach- anzuvertrauen. Bei der gemeinsa- ter Gewinnmaximierung auszuta- tet, betreibt sie Missmanagement. men Entscheidungsfindung stehen rieren. Experten und Politiker sind Der Patient wird als Kunde wahr- die Wertepräferenz der Patienten der Ansicht: „Der wettbewerbliche genommen, und die Versorgung als und die Vorgaben des SGB V oft Markt mit einem politisch instal- personennahe Dienstleistung. Die- in einem zentralen Widerspruch, lierten Nebeneinander von gemein- ses Anbieter-Kunden-Konzept geht zwischen dem die Ärzte vermit- nützigen, öffentlichen und investo- von vernünftigen, voll beherrschba- teln und einen Kompromiss finden rengetragenen Leistungsanbietern ren Prozessen aus. Doch die medizi- müssen. Ein Krankenhaus oder ein wird es richten.“ Ich halte das für nische Versorgung ist geprägt von Versorgungszentrum, das sich als einen historischen Fehler. den irrationalen Potenzialen der Wirtschaftsunternehmen versteht, Krankheit. Wer in der medizinischen muss versuchen, irrationale Poten- Weshalb? Versorgung arbeitet, muss umgehen ziale möglichst gering zu halten. SIEBOLDS: Gewinnorientierte Un- mit den Ängsten der Patienten – Es muss sich auf Patientinnen und ternehmen sind nicht dazu da, mit mit den Ängsten vor einer Krank- Patienten konzentrieren, an denen 9/2021 KV H - J O U R N A L | 9
RCUHBW S R IEKR P U N K T man DRG oder EBM Klassifizierun- rerseits sind sie normativ gebunden gleichzeitig einerseits Geschäftsfüh- gen problemlos durchdeklinieren durch das Heilberuferecht: Sie dürfen rer einer GBR (ihrer Praxis) und an- kann: neue Hüfte, neues Knie, Stent, die Interessen Dritter nicht über die dererseits professionelle Ärzte, die technische Diagnostik – möglichst Interessen ihrer Patientinnen und dem Wohl ihrer Patienten, gemäß schnell, möglichst viel, möglichst Patienten stellen – auch nicht die ihrer Berufsordnung, verpflichtet kostengünstig. Interessen ihres Arbeitgebers. In ei- sind. Der regulatorische Rahmen der nem profitorientierten Unternehmen Kassenärztlichen Vereinigung lässt Das gilt für privatisierte Kranken- interessiert dieser Teil des Heilberu- im Spannungsfeld dieser beiden häuser. Aber muss ein gemeinnüt- ferechts niemanden mehr. Wichtig Rollen einen gewissen Gestaltungs- ziges Krankenhaus dieser Logik ist nur, dass keine Straftatbestände spielraum zu. Der Praxisinhaber folgen? oder zivilrechtlichen Schadensfälle kann die Praxis sehr sozial ausrich- SIEBOLDS: Sobald es Versorgungs- auftreten und dass die messbaren ten, dann wird die Wertschöpfung einheiten gibt, die als Wirtschafts- Qualitäts-Standards eingehalten wer- zwar geringer ausfallen, doch er unternehmen agieren und auf den. Das professionelle Ethos und die kann davon leben. Er kann seine Investoren-Interessen ausgerichtet Kontrolle der irrationalen Potenziale Praxis auch auf maximale Wert- sind, entsteht ein toxischer Markt. werden abgeschoben in den Privat- schöpfung ausrichten und deutlich Krankenhäuser, die am Ende nur die bereich der Ärztinnen und Ärzte oder mehr verdienen, doch die Rendi- ertrags-unattraktiven, mit irratio- Psychotherapeutinnen und Psycho- temöglichkeiten sind begrenzt. nalem Potenzial behafteten Fälle therapeuten. Das nenne ich einen Weil beide Rollen in einer Person bekommen, werden unwirtschaft- Rollenmissbrauch – und das ist mei- integriert sind, muss der Inhaber lich. Renditesteigerung lässt sich nes Erachtens ein wichtiger Grund diese Balance für sich selbst finden. Das KV-System ist eine der großen Hinterlassenschaften der Bonner "Ärztliche Ethik? Für profitorientierte Republik, weil es Handlungsräu- Unternehmen ist das nur die Privatsache me schafft, in denen Ärzte und der angestellten Ärztinnen und Ärzte." Psychotherapeuten frei über die Interpretation ihrer Professionalität im Rahmen ihrer KV Mitgliedschaft in meinem Verständnis nur durch für die Frustration der Krankenhaus- entscheiden können. Risikoselektion und eine maximale Angestellten. Früher konnten auch Ausnutzung der Arbeitskraft von angestellte Ärzte die beiden Rollen Sind Vertragsärzte und Vertrags- Ärzten und Psychotherapeutinnen einigermaßen adäquat ausüben. psychotherapeutinnen dem Ge- realisieren. Es gab eine ärztliche Leitung, die meinwohl verpflichtet? zusammen mit ihren Mitarbeitenden SIEBOLDS: Ja, selbstverständlich. Was bedeutet die Kommerzialisie- zugesehen hat, dass der Laden läuft – Sie sind Teil des Solidarsystems. Die rung der Medizin für die angestell- aber in ihren ärztlich-professionellen Selbstverwaltung vergibt Versor- ten Ärztinnen und Psychothera- Entscheidungen unantastbar war. gungsaufträge an Ärztinnen und peuten? Diese Unantastbarkeit ist in Kranken- Psychotherapeuten, die damit auch SIEBOLDS: Die angestellten Ärzte häusern oder Versorgungszentren, das Mandat übernehmen, in jedem und Psychotherapeutinnen geraten die sich als Wirtschaftsunternehmen Einzelfall die durch das Solidarsys- in eine Doppelrolle. Einerseits sind sie verstehen, verloren gegangen. tem vorgegebene Kostenkontrolle Angestellte. Gemäß ihrem Arbeitsver- gegen die Erwartungen der Patien- trag müssen sie sich loyal gegenüber Und wie ist die Situation in den ten abzuwägen und pragmatische dem Arbeitgeber verhalten und ihre Praxen? Kompromisse zu finden. Die KV Leistung auf dessen legitimes Profit- SIEBOLDS: Die Inhaber einer klassi- schützt die Professionalität ihrer maximierungsziel ausrichten. Ande- schen vertragsärztlichen Praxis sind Mitglieder vor der Bedrohung 10 | KV H - J O U R N A L 9/2021
S C H W E RRPUUBNRK IKT durch einen toxischen Markt – pflichtet sind. Es besteht die Gefahr, Debatte haben wir die berufspoliti- und garantiert ihnen gleichzeitig dass die KV durch die Interessen sche Aufgabe, nachfolgende Genera- eine relativ große wirtschaftliche von Unternehmen und Investoren tionen für die Freiberuflichkeit in Sicherheit und Gestaltungsspiel- kontaminiert wird. Das ist meiner Selbstständigkeit zu gewinnen. räume. Ansicht nach verfassungsrechtlich Trotz allem Ärger über Bürokratie problematisch. Unternehmen und und Reglementierung weisen die Funktioniert diese Übereinkunft Investoren dürfen sich nicht in eine Vertragsärztinnen und Vertragspsy- auch in ärztlich geleiteten MVZ? Körperschaft des öffentlichen Rechts chotherapeuten eine vergleichswei- SIEBOLDS: Ja. Wenn ein Vertrags- arztärztin oder ein Vertragsarzt die Leitung des MVZ innehat, ist "Die KV schützt die Professionalität sie oder er ebenfalls dem regu- latorischen Rahmen der KV und ihrer Mitglieder vor der Bedrohung der normativen Bindung durch durch einen toxischen Markt." das Kammerrecht unterworfen. Doch sobald das MVZ eine nicht- ärztliche Leitung erhält, können einkaufen und dort mitbestimmen, se hohe Berufszufriedenheit auf. Sie die angestellten Ärzte in dasselbe da diese eben nicht ad personam an haben ein dauerhaft sicheres Dilemma kommen wie die Kolle- die entsprechenden Berufsordnun- Einkommen und den Freiraum, gen im Krankenhaus. Das ärztliche gen gebunden sind. eine gemeinwohlgebundene Ethos gerät unter Druck und wird medizinische Versorgungseinheit zur Privatsache. Wie müsste die Gesellschaft auf in gewissen Grenzen nach ihren die zunehmende Industrialisie- Vorstellungen zu gestalten. Sie Darf die KV zulassen, dass Unter- rung der Gesundheitsversorgung können ihren Beruf familien- nehmen oder Investoren in die reagieren? freundlich und nach eigenen ambulante Versorgung vordrin- SIEBOLDS: Die Krankenhäuser sind Bedürfnissen interpretieren, ohne gen? bereits zu einem Drittel privatisiert. mit dem ärztlichen Ethos in unlös- SIEBOLDS: Die KV ist die Wächterin Wir sollten kritisch darüber disku- bare Konflikte zu geraten. Sie haben der Gemeinwohlbindung der medi- tieren, wie man den Respekt vor die Möglichkeit, in ihren Praxen zinischen Versorgung im ambulan- dem Eigentum der Unternehmen Menschlichkeit und die intellektuel- ten Versorgungssektor. Die an der und Investoren abwägt gegen den len Herausforderungen des wissen- vertragsärztlichen oder vertrags- Respekt vor dem berechtigten schaftsbasierten Arbeitens zusam- psychotherapeutischen Versorgung Interesse der Bürger, von Ärzten und menzubringen. Und sie erleben Teilnehmenden sind Zwangsmitglie- Psychotherapeutinnen behandelt zu Selbstwirksamkeit, Sinnhaftigkeit der der KV, weshalb sich alle Interes- werden, die professionell unabhän- und die Inspiration, die von der sengruppen in der Selbstverwaltung gig arbeiten können. Und wir professionellen Begegnung mit den auf Kompromisse einigen müssen. müssen darüber diskutieren, ob wir Kranken ausgeht. Das ist doch Es gibt einen demokratischen auch die ambulanten Versorgungs- großartig. Wer hat das schon? politischen Diskurs im öffentlich- einheiten einem toxischen Wettbe- rechtlichen Rahmen, bei dem die werb aussetzen wollen, in dem Interview: Martin Niggeschmidt Solidaritätszusage in Verteilungs- profitorientierte Unternehmen den und Versorgungsentscheidungen Takt angeben. Krankenversorgung IN KOOPERATION übersetzt wird. Doch nun kommen lässt sich eben nicht unendlich MIT DEM DRITTEN HAMBURGER Angestellte von renditeorientierten rationalisieren, optimieren und VERSORGUNGSFORSCHUNGSTAG Versorgungseinheiten in die KV-Gre- industrialisieren. Neben der Beteili- DER KV HAMBURG AM 1.9.2021 mien, die ihren Arbeitgebern ver- gung an einer gesellschaftlichen 9/2021 KV H - J O U R N A L | 11
AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S Fragen und Antworten In dieser Rubrik greifen wir Fragen des Praxisalltags auf, die unserem Infocenter gestellt wurden. Wenn Sie selbst Fragen haben, rufen Sie bitte an. Infocenter Tel: 22802-900 TELEMATIKINFRASTRUKTUR KREBSFRÜHERKENNUNGSPROGRAMME Mein PVS-Anbieter hat mir das Up- Wann läuft die Frist für die elektro- date der elektronischen Patienten- nische Übermittlung der Dokumen- akte (ePA) installiert. Wie kann ich tationsdaten für die organisierte die Erstattungskosten gegenüber Darm- und Zervixkarzinom-Früh der KV Hamburg geltend machen? erkennungsprogramme ab? Für die Kosten der Installierung der Komponen- Trotz der Verlängerung der Lieferfristen sind ten zur ePA hat die KV Hamburg einen unbüro- alle Praxen auch weiterhin grundsätzlich ver- kratischen Auszahlungsprozess vorbereitet, bei pflichtet, ihre Dokumentationen für die oKFE- dem automatisch durch das PVS in der einge- Programme regelmäßig quartalsweise an die reichten Abrechnungsdatei die Anspruchsbe- zuständige Datenannahmestelle zu übermit- rechtigung durch Kennzeichnung eines ent- teln, sofern innerhalb ihres Praxisverwaltungs- sprechenden KVDT-Feldes nachgewiesen wird. systems keine technischen Umsetzungspro- Es ist daher nicht notwendig, eine Pseudoziffer bleme bei der Erfassung und Übertragung der anzusetzen oder eine Rechnung einzureichen. Dokumentationen bestehen. Nur für den Fall, dass eine fristgerechte Datenübermittlung für TERMINSERVICESTELLE die Quartale eins bis vier 2021 aus technischen Wurde die Nummer der Terminser- Gründen nicht möglich ist, kann eine Übermitt- vicestelle für dringende Termine lung bis spätestens 28. Februar 2022 erfolgen. geändert? Bitte beachten Sie, dass die Dokumentations- verpflichtung weiterhin bestehen bleibt und Ja. Zum 1. Januar 2020 wurde die alte Nummer die Sonderregelung befristet vom 1. Oktober der Terminservicestelle durch die bundesweite 2020 bis 31. Dezember 2021 gilt. Telefonnummer 116117 ersetzt. Hier erreichen Patienten nicht nur den Bereitschaftsdienst, ARBEITSUNFÄHIGKEITSBESCHEINIGUNG sondern auch die Terminservicestelle. Diese hat Ich bin Frauenärztin. Meine Patien- Montag bis Freitag von 8-18 Uhr Sprechzeiten. tin befindet sich derzeitig im Mut- Die neuen Flyer können Sie über die Homepage terschutz. Darf ich sie krankschrei- der KV Hamburg beziehen: https://www.kvhh. ben? net/de/praxis/infomaterialbestellung.html Nein. Nach der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie §3 Absatz 2 kann keine Arbeitsunfähigkeits- bescheinigung ausgestellt werden, da für die Dauer der Mutterschutzfristen das Arbeitsver- hältnis ruht. Dasselbe gilt für die Elternzeit. 12 | KV H - J O U R N A L 9/2021
AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S DATENSCHUTZ CORONAIMPFUNG Kann mein Patient eine Löschung Meine Praxis wird urlaubsbedingt von Behandlungsdokumentationen für zwei Wochen schließen. Können trotz Aufbewahrungsfrist verlan- wir die Zweitimpfungen dann ver- gen? schieben? Oder müssen die Abstän- de zwischen Erst- und Zweitimp- Nein. Die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen fung eingehalten werden? müssen beachtet werden. Innerhalb dieser Fristen kann Ihr Patient die Löschung von Be- Die von der STIKO empfohlenen zeitlichen handlungsdokumentationen nicht verlangen. Abstände zwischen Erst- und Zweitimpfung er- Ärztliche Unterlagen sind grundsätzlich für lauben eine flexible Terminplanung: BionTech/ die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss der Pfizer 3-6 Wochen, Moderna 4-6 Wochen, Ast- Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach raZeneca (homolog) 9-12 Wochen, AstraZeneca anderen gesetzlichen Vorschriften längere oder & mRNA-Impfstoff (heterolog) ab 4 Wochen. kürzere Aufbewahrungsfristen bestehen (vgl. Sollte der empfohlene maximale Abstand zwi- § 10 Abs. 3 BO der ÄK, § 57 Abs. 2 BMV-Ä und schen der ersten und zweiten Impfstoffdosis § 630f Abs. 3 BGB). dennoch überschritten worden sein, kann die Impfserie fortgesetzt werden und muss nicht PSYCHOTHERAPIE neu begonnen werden. Es besteht aber auch Ich bin Psychotherapeutin. Muss die Möglichkeit, die Zweitimpfungen von der ich eine Rezidivprophylaxe am Vertreterpraxis durchführen zu lassen. Ende einer Therapie noch einmal gesondert von der Krankenkasse Infocenter Tel: 22802-900 genehmigen lassen? Nein, eine Rezidivprophylaxe kann nicht isoliert beantragt werden, da der Antrag in der Lang- zeittherapie anzugeben ist. Dafür ist es wichtig, Ihre Ansprechpartner im Infocenter der KV Hamburg dass Sie bei der Frage „Soll nach Abschluss der (v.l.n.r.): Monique Laloire, Petra Timmann, Katja Egbers, Behandlung eine Rezidivprophylaxe durchge- Robin Schmidt, Christine Pöpke führt werden?“ auf dem PTV 2 beim letzten Antrag einer Langzeittherapie „ja“ oder „noch nicht absehbar“ ankreuzen. Nur dann ist eine Rezidivprophylaxe nach Therapieende möglich. 9/2021 KV H - J O U R N A L | 13
AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S Start der elektronischen AU Ab 1. Oktober müssen Praxen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen elektronisch an die Krankenkassen verschicken. Bitte bestellen Sie jetzt die dafür notwendigen Komponenten! Mit Beginn des vierten Quartals ändert sich das Prozedere bei der Ausfertigung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU). Schritt für Schritt Von diesem Stichtag an sind Arztpraxen dazu verpflichtet, die Neuer Arbeitsablauf bei der Daten der AU elektronisch an die Krankenkassen zu übermitteln. Ausstellung einer AU ab 1. Oktober 2021 Die Bescheinigungen für Arbeitgeber und Versicherte werden aber weiterhin in Papierform ausgegeben. Vertragsärztinnen ● AU im PVS aufrufen und befüllen und Vertragsärzte drucken sie aus dem Praxisverwaltungssys- ● Daten elektronisch signieren tem aus, unterschreiben sie und geben sie den Patienten mit. (Ab (mit eHBA) Anfang 2022 soll auch die Bescheinigung für den Arbeitgeber ● "Drucken und Versenden" auswählen und anklicken. elektronisch übermittelt werden. Diese Aufgabe werden dann die ● im neuen Fenster "Bestäti- Krankenkassen übernehmen.) gen" anklicken ● PVS startet elektronische VORAUSSETZUNGEN Übermittlung via KIM an die Krankenkasse. Um die AU elektronisch an die Krankenkassen verschicken zu ● Ausdrucke für Arbeitgeber können, benötigen die Praxen folgende Komponenten: und Patienten unterschreiben ● KIM („Kommunikation im Medizinwesen“): Dieser E- und dem Patienten mitgeben Mail-Dienst wird für den sicheren Versand von Dokumenten benötigt. Es gibt mehrere Anbieter von KIM-Diensten, alle sind untereinander kompatibel. Mit „kv.dox“ ist auch ein KIM-Dienst ÜBERGANGSREGELUNG der KBV verfügbar (siehe rechte Seite). Falls Sie noch keinen Praxen, die bis zum Stichtag KIM-Dienst haben, sollten Sie ihn so bald wie möglich bestellen. noch nicht über die nötigen Bestellung kv.dox: www.kvdox.kbv.de technischen Voraussetzungen Übersicht andere Anbieter: https://fachportal.gematik.de/zulas verfügen, können übergangs- sungs-bestaetigungsuebersichten (unter „Produkttyp“ bitte weise bis zum 31. Dezember „Anbieter sVÜmD_KOM-LE“ auswählen) 2021 das alte Verfahren ● eHBA (elektronischer Heilberufsausweis): Für die elektro- anwenden. Bis dahin ist auch nische Signatur der AU-Bescheinigungen benötigen Sie einen noch die Nutzung des „gelben eHBA der zweiten Generation. Wer am 1. Oktober noch keinen Scheins“ (Muster 1) möglich. eHBA hat, kann übergangsweise die SMC-B-Karte zum Unter- schreiben nutzen. Eine SMC-B-Karte haben alle an die TI ange- Video der KBV zur eAU: schlossenen Praxen. https://bit.ly/3xkElpS ● Praxisverwaltungssystem-Update für eAU: Bitte fragen Sie Ihren IT-Dienstleister, wann er das eAU-Modul zur Verfügung Ansprechpartner: KV Hamburg Online-Services, stellen kann. E-Mail: online-services@kvhh.de ● Update des TI-Konnektors mindestens auf eHealth-Konnek- Tel: 22802 -588 / -554 / -539 tor (PTV3-Konnektor) – besser aber auf ePA-Konnektor (PTV4- Konnektor) ● eventuell zusätzliche Kartenterminals in Sprechzimmern.. 14 | KV H - J O U R N A L 9/2021
Mit Sicherheit Warum kv.dox als KIM-Dienst? medizinisch vernetzt: kv.dox, der KIM-Dienst der Kassenärztlichen Bundesvereinigung DER KIM-DIENST VON EINE KIM-ADRESSE, Arztbriefe, Befunde oder AU-Bescheinigungen sicher ÄRZTEN FÜR ÄRZTE: EIN PREIS: und dennoch so einfach versenden wie eine E-Mail Als Interessensvertretung Sie zahlen 6,55 €* zzgl. der Vertragsärzte und Ver- MwSt. monatlich – egal, an die Freundin oder den Freund: Mit kv.dox geht das. tragspsychotherapeuten wie viele Nachrichten Sie kv.dox ist der Dienst für Kommunikation in der Medi- bietet die KBV ein pass- versenden. Es fallen keine zin (KIM), den die KBV für Vertragsärzte und Vertrags- genaues Angebot. Einrichtungsgebühren an. psychotherapeuten bereitstellt. Mit kv.dox können Sie Dokumente innerhalb der Telematikinfrastruktur (TI) direkt aus Ihrem Praxisverwaltungssystem (PVS) sicher und einfach verschicken – an die ärztliche Kollegin genauso wie an den Apotheker, das Kranken- haus, Pflegeheim oder Ihre Kassenärztliche Vereini- gung. kv.dox passt zu allen Praxisverwaltungssyste- men und allen E-Health-Konnektoren. UNBEGRENZTE ANZAHL HOHE FLEXIBILITÄT AN NACHRICHTEN: UND BESTER SERVICE: Mit kv.dox können Sie so kv.dox passt zu jedem viele Nachrichten, Arzt- PVS und ist monatlich kv.dox: nur für KV-Mitglieder briefe oder AU-Bescheini- kündbar. Das Serviceteam gungen digital versenden, von kv.dox steht Ihnen wie Sie möchten. kostenfrei zur Verfügung. 6,55 €* Jetzt bestellen unter www.kvdox.kbv.de im Monat zzgl. MwSt. Ihr Weg zu KIM mit kv.dox Im Angebot enthalten sind: eine KIM-Adresse Über das Portal www.kvdox.kbv.de können Sie kv.dox ganz eine unbegrenzte Anzahl von Nachrichten einfach online bestellen und installieren. So geht’s: die Bereitstellung KIM (inklusive Clientmodul)** der technische Support 1 KIM-Adresse bestellen und Registrierungscode erhalten Für die Finanzierung eines KIM-Dienstes 2 kv.dox-Clientmodul installieren erhält jede Praxis folgende Förderung: einmalig: 100 € für die Einrichtung des Dienstes 3 KIM-Mailadresse im zentralen Verzeichnisdienst registrieren monatlich: 7,80 € für die laufenden Betriebskosten 4 kv.dox in das Praxisverwaltungssystem einbinden lassen * plus 3,03 € Rechnungspauschale zzgl. MwSt. pro Quartal ** das KIM Clientmodul wird vom Kunden selbst installiert und betrieben 5 Nachrichten sicher online versenden
AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S Neue Regelungen für Psychotherapie in Gruppen ab Oktober Z ur Förderung von Grup- pentherapien hat der Gemeinsame Bundesaus- Minuten durchgeführt werden (oder achtmal 50 Minuten). Um den niedrigschwelligen 50-Minuten-Schritten durch- geführt werden können. schuss neue Angebote in die Zugang abzusichern, gibt es Vereinfachungen im Gutach- vertragspsychotherapeutische kein Anzeige- oder Antragsver- terverfahren Versorgung aufgenommen fahren bei der Krankenkasse. Gruppentherapie und Kom- und die Gruppentherapie binationsbehandlung mit insgesamt flexibler ausgestal- Probatorik im überwiegend Gruppentherapie tet. Die Neuerungen gelten ab Gruppensetting werden nicht mehr regelhaft 1. Oktober. Ziel ist es, dass die Eine weitere Neuerung ist, begutachtet. In Einzelfällen Gruppentherapie insgesamt dass probatorische Sitzungen sind Begutachtungen weiter- einen höheren Stellenwert auch in der Gruppe erfolgen hin möglich, zum Beispiel bei erhält. können. Bisher waren proba- Überschreitung der Kontin- torische Sitzungen ausschließ- gentgrenzen. Gruppenpsychothera- lich im Einzelsetting möglich. peutische Grundversorgung Gruppentherapie-Patienten Gruppentherapie kann außer- Gänzlich neu ist die Grup- und Gruppen-Probatorik-Pa- halb der Praxis stattfinden penpsychotherapeutische tienten können gleichzeitig in Gruppenpsychotherapeutische Grundversorgung. Dieses gemischten Gruppensitzungen Grundversorgung, Gruppen- niedrigschwellige Angebot soll behandelt werden therapie und Probatorik im Patientinnen und Patienten Gruppensetting darf auch die Möglichkeit geben, vor ei- Gruppentherapie zu zweit außerhalb der eigenen Praxis- ner Richtlinien-Psychotherapie leiten räume in anderen geeigneten für sich selbst zu prüfen, ob Künftig können Richtlinien- Räumlichkeiten stattfinden. eine Gruppentherapie für sie Gruppentherapien ab sechs infrage kommt. Außerdem Teilnehmern auch zu zweit Übersicht zu den neuen GOP kann hier an einer ersten Sym- geleitet werden. Einer von und zur Vergütung: ptomlinderung gearbeitet wer- beiden ist dabei für jedes www.kbv.de/ den. Die Gruppenpsychothe- Gruppenmitglied „hauptver- html/1150_53605.php rapeutische Grundversorgung antwortlich“. Die gemeinsame kann im Anschluss an die Durchführung kann pra- Ansprechpartner: Sprechstunde bis zu viermal je xisübergreifend organisiert Team der Abrechnung Tel. 22802-411 Krankheitsfall mit jeweils 100 werden. Gruppentherapie zeitlich flexibler Zu den weiteren Neuerungen gehört, dass Gruppensitzun- gen nicht mehr standardmä- ßig 100 Minuten umfassen müssen, sondern auch in 16 | KV H - J O U R N A L 9/2021
AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S Finanzielle Förderung für den Abbau von Barrieren „Aktion Mensch“ unterstützt konkrete Projekte mit bis zu 5000 Euro P raxen können bis zu 5000 Euro Förderung von der „Aktion Mensch“ erhalten, men, also beispielsweise einer Arztpraxis. Die gemeinnützige Patienten-Initiative e.V., die mit Informationen zum Förderprogramm „Eine Barriere weniger“ der Aktion Mensch: wenn sie konkrete Maßnah- der KV Hamburg eine Koopera- https://www.aktion-mensch.de/ men zum Abbau von Barrieren tion für die Beratung von foerderung/foerderprogramme/ ergreifen. Mit diesem Geld Praxen zur Barrierefreiheit 1barriereweniger könnten zum Beispiel eine unterhält (siehe unten), bietet Rampe, eine Patienteninfo in sich als Tandempartnerin an. Leichter Sprache, Haltegriffe „Wenn eine Praxis eine Idee für das WC, ein Hebelifter zum zum Abbau von Barrieren hat, Umsetzen auf eine Untersu- kann sie sich gerne bei uns chungsliege oder der barrie- melden“, sagt Karen Müller von refreie Ausbau einer Website der Patienten-Initiative e.V. „Wir finanziert werden. beraten und bringen zeitnah Die Antragstellung übernimmt Das Besondere ist, dass zwei einen Antrag auf den Weg.“ Die die Patienteninitiative e.V. Kontakt: Partner die Förderung beantra- finanzielle Förderung kann ein Kerstin Hagemann / gen: Ein gemeinnütziger Träger Anreiz für Praxen sein, ein Patienten-Initiative e.V. stellt den Antrag zusammen Projekt zum Abbau von Barrie- Tel: 23 54 64 98 info@patienteninitiative.de mit einem privaten Unterneh- ren in Angriff zu nehmen. www.patienteninitiative.de v SCHRITT FÜR SCHRITT Rund 126.000 Menschen in Hamburg haben eine Behinderung. Kommen Sie diesen IN EINE BARRIEREFREIE Menschen entgegen - Schritt für Schritt. Mit wenig Aufwand lassen sich PRAXIS Ansprechpartnerinnen: große Effekte erzielen. Wir beraten Sie gern und kostenlos. Wir machen Ihre Pluspunkte sichtbar! Alle Infos auch auf kvhh.de/Barrierefreiheit Wie barrierefrei IEREFR BARR EI ? ist Ihre Praxis WIR SIND DABEI. ie Wir beraten S Patienten-Initiative e.V. kostenlos ! Die Beratung ist ein gemeinsamer Service der Patienten-Initiative e.V. und der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg.
N ETZWERK AUS DEM NETZWERK EVIDENZBASIERTE MEDIZIN Sturzrisiko-Assessment bei älteren Menschen Ritual oder wissenschaftlich begründet? D VON PROF. DR. PHIL. GABRIELE MEYER IM AUFTRAG DES NETZWERKS EVIDENZBASIERTE MEDIZIN E. V. (WWW.EBM-NETZWERK.DE) geringer Sturzgefährdung unterscheiden. Dem positi- ven Screeningbefund würde das Angebot einer sturz- präventiven Maßnahme folgen mit dem Ziel, das Risiko für Stürze und sturzbedingte Verletzungen zu reduzieren. Im Umkehrschluss würde einem negati- ven Screeningbefund kein Angebot sturzpräventiver Maßnahmen folgen. Im DMP Osteoporose allerdings soll allen Osteo- porose-Patienten körperliche Aktivität (Bewegung im Alltag sowie körperliches Training) empfohlen werden. Denjenigen mit erhöhtem Sturzrisiko soll das körperliche Training „insbesondere“ empfohlen werden (4). Der Unterschied liegt scheinbar nur im Die Erhebung des Sturzrisikos älterer Menschen wird Nachdruck, mit dem die sturzpräventive Maßnahme weit verbreitet empfohlen. Performanz-orientierte Sturzrisiko-Assessments wie der Timed Up and Go (siehe Kasten rechts), der Chair Rising Test oder der STURZRISIKO-ASSESSMENT Tandemstand Test sind Bestandteil des geriatrischen Der Timed Up and Go (TUG) ist wahrscheinlich der am Basis-Assessments und finden sich nun auch im neuen häufigsten angewandte Mobilitätstest in der Geriatrie. Der Test will Muskelkraft, Gelenkfunktion und Gleichge- Disease-Management-Programm (DMP) Osteoporose wicht beurteilen und Rückschlüsse auf eine Sturzgefahr (4). Laut DMP Osteoporose sollen Patientinnen und zulassen. Zur Illustration der Durchführung: Die betrof- Patienten, die als besonders sturzgefährdet identifiziert fene Person sitzt auf einem Stuhl mit Armlehne und wird werden, erhöhte Aufmerksamkeit erhalten. Insbesonde- aufgefordert aufzustehen, drei Meter zu gehen, umzukeh- ren und sich wieder zu setzen. Hilfsmittel wie Gehhilfen re körperliches Training sowie weitere Maßnahmen zur sind dabei erlaubt, Hilfe von anderen Personen nicht. Reduktion von Sturzrisiken sollen angeraten werden. Währenddessen wird die Zeit gemessen (7). Zudem soll die Indikation von sturzfördernden Medika- Neben den Performanz-orientierten Sturzrisiko-Assess- menten regelmäßig überprüft werden (4). ments liegen zahlreiche andere vor, die auf Selbstein- schätzung des Sturzrisikos oder auf Fremdeinschätzung beruhen anhand klinischer Information, wie vorangegan- ZIEL EINES STURZRISIKO-ASSESSMENTS gene Stürze, Gangunsicherheit, Einnahme bestimmter Das Sturzrisiko-Assessment entspricht einem Scree- Medikamente (12). ning und will zwischen Personen mit hoher und 18 | KV H - J O U R N A L 9/2021
N ETZWERK STUDIENLAGE In einer narrativen Übersicht haben wir 18 systematische Übersichtsarbeiten analysiert und festgestellt, wie unre- flektiert hier mit dem methodischen Verzerrungspotenzial (Bias) diagnostischer Genauigkeitsstudien umgegangen empfohlen werden soll. Der Sinn der Durchführung wird (11). eines Performanz-orientierten Sturzrisiko-Assess- Mehrheitlich werden die Assessments lediglich in pro- ments erschließt sich somit nicht. spektiven Beobachtungsstudien auf ihre Aussagekraft Alle Seniorinnen und Senioren – ob im oder außer- hin untersucht. Das heißt: Nach der Durchführung des halb des DMP Osteoporose – haben Anspruch darauf, Sturzrisiko-Assessments werden die Personen über einen vor dem Sturzrisiko-Assessment zu erfahren, wel- definierten Zeitraum nachbeobachtet. Die Genauigkeit des Assessments wird anhand der am Ende der Beobach- che Aussagekraft das Testergebnis hat und welche tungszeit zu verzeichnenden Sturzereignisse bestimmt. Konsequenzen sich ergeben können. Wirksame und Nicht beachtet bleibt in den Studien und ihren Über- sichere Präventionsmaßnahmen müssen verfügbar sichtsarbeiten ein Bias durch den natürlichen Verlauf, sein. Der Nutzen des Assessments in Verbindung mit der das Sturzrisiko beeinflussen kann. Zudem kann ein dem Präventionsangebot müsste in kontrollierten Behandlungsparadox eintreten, wenn in der Zeit zwischen Sturzrisiko-Assessment und Bestimmung des eingetrete- Studien belegt sein (14). nen Endpunkts (Sturzereignis) Maßnahmen zur Sturzprä- Aus der Perspektive der evidenzbasierten Medizin vention eingeleitet wurden (11). Verzerrungen wie diese stellt sich somit nicht nur die Frage, ob das Assess- können nur durch randomisierte kontrollierte Studien (RCT) verhindert werden. In einer solchen RCT würde eine ment eine angemessene diagnostische Genauigkeit Gruppe von Personen mit einem Sturzrisiko-Assessment hat, also zwischen Personen mit hohem und niedri- eingeschätzt und mit einer Gruppe von Personen vergli- gem Sturzrisiko zu unterscheiden vermag. Es stellt chen, die kein Sturzrisiko-Assessment erhielte. sich insbesondere die Frage, ob die Kombination aus Die Einschätzung wäre die Grundlage des Angebots von Assessment und sturzpräventiver Maßnahme zur Maßnahmen zur Sturzprävention. Das Ziel wäre die Re- Vermeidung von Stürzen führt und – noch bedeut- duktion von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen wie Knochenbrüche. samer – zur Senkung des Risikos für sturzbedingte Verletzungen und Knochenbrüche. DIAGNOSTISCHE GENAUIGKEIT UND KLINI- Personen zu unterscheiden (1, 3, 9, 12). Die Gründe sind SCHER NUTZEN VON STURZRISIKO-ASSESSMENT vielfältig; sie sind einerseits in der Komplexität des Phä- Für Performanz-orientierte und andere Sturzrisiko- nomens „Sturzgefährdung“ begründet, andererseits in Assessment-Instrumente (siehe Kasten rechts), die der Unzulänglichkeit der Instrumente, diese abzubilden. sich an Populationen älterer Menschen richten, wird in Zudem erscheinen die üblicherweise angewandten Me- zahlreichen Übersichtsarbeiten wiederholt festgestellt, thoden zur Evaluation dieser geriatrischen Testverfahren dass diese nicht ausreichend in der Lage sind, zuverlässig (Info-Box 2) den wissenschaftlichen Anforderungen der zwischen sturzgefährdeten und wenig sturzgefährdeten evidenzbasierten Medizin nicht angemessen. ➞ 9/2021 KV H - J O U R N A L | 19
N ETZWERK ➞ Eine systematische Übersichtsarbeit der Cochrane ärzte für Geriatrie, u. a. zur Medikation und Sehstärke Library zur Sturzprävention im Setting Pflegeeinrich- und zum Schuhwerk und Wohnumfeld). Der primäre tungen und Krankenhaus (2) schließt nur eine einzige Erfolgsparameter waren Knochenbrüche im Zeit- Studie, nämlich unsere eigene, bereits im Jahr 2009 pu- raum von 18 Monaten Beobachtungszeit; sekundäre blizierte RCT ein. Wir haben in dieser Studie in Hambur- Erfolgsparameter waren Stürze, gesundheitsbezogene ger Pflegeheimen die Wirksamkeit und Sicherheit eines Lebensqualität, Gebrechlichkeit und ökonomische Sturzrisiko-Assessments im Vergleich zur pflegerischen Effekte. Einschätzung untersucht (10). Wir konnten keine Über- Das Ergebnis dieser aufwändigen Interventionsstu- legenheit des Testinstruments nachweisen. Die Auto- die ist enttäuschend. Die Strategie der englischen Stu- rinnen und Autoren des Cochrane Reviews stellen fest, die – Sturzrisiko-Assessment und Intervention – führt dass Sturzrisiko-Assessments weltweit benutzt werden, nicht zu einer Verminderung von Knochenbrüchen (8). jedoch ein absoluter Mangel an Studien zu ihrer Wirk- samkeit besteht (2). STURZPRÄVENTION AUCH OHNE STURZRISIKO-ASSESSMENT AUSSAGEKRÄFTIGE STUDIEN SIND Auch wenn die Sturzrisiko-Assessments keine ausrei- DURCHFÜHRBAR chende Differenzierung zwischen Hoch- und Niedri- Dass solche komplexen Studien machbar sind, auch grisikogruppen zulassen, so stellt sich doch die Frage, im hausärztlichen Bereich, zeigt eine kürzlich im ob präventive Maßnahmen zur Sturzrisikoreduktion renommierten New England Journal of Medicine nicht allgemein für ältere Menschen empfohlen publizierte pragmatische RCT (8). Fast 10.000 zu Hause werden könnten. Zur Wirksamkeit und Sicherheit von lebende Menschen im Alter von mindestens 70 Jahren Sturzprävention bei Seniorinnen und Senioren gibt es aus 63 Arztpraxen in England waren eingeschlossen. neuere Evidenzsynthesen in der Cochrane Library und Drei Gruppen wurden miteinander verglichen: Alle von der US Preventive Services Task Force. Demnach Gruppen erhielten schriftliche Hinweise zur Sturz- können Angebote körperlichen Trainings und multi- prävention; bei Gruppe 1 blieb dies die einzige Inter- faktorielle Interventionen das Risiko für Stürze bei zu vention; Gruppe 2 und 3 führten eine strukturierte Hause lebenden Seniorinnen und Senioren reduzie- Selbsteinschätzung des Sturzrisikos durch. Die als ren. Der Effekt auf sturzbedingte Knochenbrüche und sturzgefährdet eingestuften Personen erhielten in der Verletzungen bleibt hingegen ungesichert (5, 6, 13). Gruppe 2 das Angebot eines evaluierten Trainings- programms und in der Gruppe 3 das Angebot einer FAZIT multifaktoriellen Intervention (Assessment und Maß- Der Stellenwert des Sturzrisiko-Assessments innerhalb nahmen durch Pflegende, Hausärztinnen und Fach- und außerhalb des DMP Osteoporose bleibt unklar. Die 20 | KV H - J O U R N A L 9/2021
N ETZWERK entsprechende Empfehlung im DMP Osteoporose ist PROF. DR. GABRIELE MEYER wissenschaftlich nicht begründet. Anstatt der Differen- Leiterin des Instituts zierung des Grades der Sturzgefährdung sollte die für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Evidenz zur Sturzprävention in Form von Entschei- Medizinische Fakultät der dungshilfen zur allgemeinen Nutzung für Seniorinnen Martin-Luther-Universität und Senioren bereitgestellt werden. Halle-Wittenberg Referenzen 1) Barry E, Galvin R, Keogh C, Horgan F, Fahey T. Is the Timed Up and Go test a useful predictor of risk of falls in community dwelling older adults: a systematic review and meta-analysis. BMC Geriatr 2014; 14: 14 2) Cameron ID, Dyer SM, Panagoda CE, Murray GR, Hill KD, Cumming RG, Kerse N. Interventions for preventing falls in older people in care facilities and hospitals. Cochrane Database Syst Rev 2018; 9 (9): CD005465 3) Gates S, Smith LA, Fisher JD, Lamb SE. Systematic review of accuracy of screening instruments for predicting fall risk among independently living older adults. J Rehabil Res Dev 2008; 45 (8): 1105-1116 4) Gemeinsamer Bundesausschuss. Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die 20. Änderung der DMP-Anforderungen-Richtlinie (DMP-A-RL): Änderung der Anlage 2, Ergänzung der Anlage 19 (DMP Osteoporose) und der Anlage 20 (Osteoporose – Dokumentation). https://www.g-ba.de/downloads/39-261-4149/2020-01-16_DMP-A-RL_Osteoporose_BAnz.pdf, Zugriff am 27.07.2021 5) Guirguis-Blake JM, Michael YL, Perdue LA, Coppola EL, Beil TL. Interventions to Prevent Falls in Older Adults: Updated Evidence Report and Systematic Review for the US Preventive Services Task Force. JAMA 2018; 319 (16): 1705-1716 6) Hopewell S, Adedire O, Copsey BJ, Boniface GJ, Sherrington C, Clemson L, Close JC, Lamb SE. Multifactorial and multiple component interventions for preventing falls in older people living in the community. Cochrane Database Syst Rev 2018; 7 (7): CD012221 7) Kompetenz-Centrum Geriatrie beim Medizinischen Dienst Nord. https://kcgeriatrie.de/Assessments_in_der_Geriatrie/Seiten/Bereich_-_Mobilit%C3%A4t.aspx, Zugriff am 27.07.2021 8) Lamb SE, Bruce J, Hossain A, Ji C, Longo R, Lall R, Bojke C, Hulme C, Withers E, Finnegan S, Sheridan R, Willett K, Underwood M; Prevention of Fall Injury Trial Study Group. Screening and Intervention to Prevent Falls and Fractures in Older People. N Engl J Med 2020; 383 (19): 1848-1859 9) Lusardi MM, Fritz S, Middleton A, Allison L, Wingood M, Phillips E, Criss M, Verma S, Osborne J, Chui KK. Determining Risk of Falls in Community Dwelling Older Adults: A Systematic Review and Meta-analysis Using Posttest Probability. J Geriatr Phys Ther 2017; 40 (1): 1-36 10) Meyer G, Köpke S, Haastert B, Mühlhauser I. Comparison of a fall risk assessment tool with nurses' judgement alone: a cluster-randomised controlled trial. Age Ageing 2009; 38 (4): 417-423 11) Meyer G, Möhler R, Köpke S. Reducing waste in evaluation studies on fall risk assessment tools for older people. J Clin Epidemiol 2018; 102: 139-143 12) Park SH. Tools for assessing fall risk in the elderly: a systematic review and meta-analysis. Aging Clin Exp Res 2018; 30 (1): 1-16 13) Sherrington C, Fairhall NJ, Wallbank GK, Tiedemann A, Michaleff ZA, Howard K, Clemson L, Hopewell S, Lamb SE. Exercise for preventing falls in older people living in the community. Cochrane Database Syst Rev 2019; 1 (1): CD012424 14) WHO-Regionalbüro für Europa. Vorsorgeuntersuchung und Screening: ein kurzer Leitfaden. Wirksamkeit erhöhen, Nutzen maximieren und Schaden minimieren. Kopenhagen, 2020, Lizenz: CC BY-NC-SA 3.0 IGO 9/2021 KV H - J O U R N A L | 21
KO L U M N E Allein unter Nachbarn Kolumne von Dr. Bernd Hontschik, Chirurg in Frankfurt/Main L aut einer Bertelsmann-Studie könnten die gesetzlichen Kran- kenkassen neun Milliarden Euro nach dem Einkommen und werden zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen. Familienmit- Eigenbeteiligungen bis zu 25 Pro- zent, weswegen die meisten Fran- zosen private Zusatzversicherungen mehr einnehmen und den allge- glieder sind überwiegend kostenlos abschließen. meinen Beitragssatz um 0,7 Prozent mitversichert. Die Leistungen aller Auch in den Niederlanden besteht senken, wenn alle Bundesbürgerin- Kassen sind gleich, Konkurrenz zwi- Krankenversicherungspflicht. Das nen und -bürger gesetzlich kranken- schen Krankenkassen gibt es nicht. System ist rein privatwirtschaftlich, versichert wären. In Deutschland Es existieren vielfältige Möglichkei- aber die Leistungen der etwa 40 pri- sind aber etwa zehn Prozent privat ten der privaten Zusatzversicherung. vaten Krankenkassen sind gesetzlich versichert. Diese 8,7 Millionen Auch in der Schweiz besteht genau festgelegt, sodass darüber verdienen im Durchschnitt über Krankenversicherungspflicht für alle. keine Konkurrenz aufkommen kann. fünfzig Prozent mehr als die 73 Die Beiträge sind unabhängig vom Kinder sind kostenlos mitversichert, Millionen gesetzlich Versicherten Einkommen pro Kopf gleich hoch, Partner hingegen nicht. Alle Versi- und sind im Vergleich gesünder. Es eine kostenlose Mitversicherung von cherten zahlen einen gleich hohen heißt, sie würden eine privilegierte Familienmitgliedern gibt es nicht. Beitrag, der gesetzlich festgelegt ist. medizinische Behandlung erhalten, Die etwa neunzig privaten Kranken- Wegen hoher Selbstbeteiligungen man spricht von einer Zwei-Klassen- kassen des Landes müssen alle eine sind private Zusatzversicherungen Medizin. Die Besserverdienenden, gleiche, gesetzlich festgelegte Grund- weit verbreitet. die außerdem auch noch Gesünde- sicherung anbieten, konkurrieren Auch in Dänemark ist das Ge- ren haben sich aus unserem Solidar- aber um Mitglieder durch möglichst sundheitssystem für alle Bürger system verabschiedet. Wie ist das niedrige Tarife. Alle Versicherer bie- verbindlich. Hier ist es rein staatlich, eigentlich in unseren Nachbarlän- ten Zusatzversicherungen an. die Finanzierung geschieht aus dern geregelt? Die entscheidenden Auch in Frankreich ist die Kran- Steuergeldern. Wer in Dänemark Fragen sind: Müssen dort alle an kenversicherung Pflicht für alle. Die wohnt oder steuerpflichtig ist, ist automatisch krankenversichert. Medizinische Behandlungen und Nur bei uns können sich Besserverdienende häusliche Pflege sind für alle Versi- aus dem Solidarsystem verabschieden. cherten kostenlos. Private Vollversi- cherungen gibt es nicht, nur Zusatz- versicherungen zur Abdeckung der einem Solidarsystem teilnehmen? Krankenkassenbeiträge werden von Eigenbeteiligungen. Wie wird es finanziert? Wie sind die Arbeitnehmern und Arbeitgebern Auch in Italien ist das Gesund- Leistungen? anteilig bezahlt, Defizite werden mit heitssystem für alle in staatlicher In Österreich besteht für aus- Steuermitteln ausgeglichen. Versi- Hand. Es wird aus Steuermitteln nahmslos alle Bürgerinnen und cherte zahlen ihre Arztrechnungen und Arbeitgeberbeiträgen finan- Bürger eine Krankenversicherungs- zunächst selbst und reichen sie an- ziert. Die medizinische Grund- pflicht in regionalen Gebietskran- schließend bei ihrer Krankenkasse versorgung ist für alle kostenlos. kenkassen. Die Beiträge richten sich zur Erstattung ein. Dabei bestehen Private Krankenversicherungen chirurg@hontschik.de, www.medizinHuman.de Zuerst abgedruckt in der Frankfurter Rundschau – Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Bernd Hontschik und Dr. Matthias Soyka. 22 | KV H - J O U R N A L 9/2021
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