Kampfdrohnen - Killing Drones - Stiftung Wissenschaft und Politik
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SWP-Aktuell Problemstellung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit 50 SWP 1962–2012 Kampfdrohnen – Killing Drones Ein Plädoyer gegen die fliegenden Automaten Marcel Dickow / Hilmar Linnenkamp Drohnen mittlerer Flughöhe und langer Einsatzdauer entwickeln sich zu einem Bestandteil der regulären Luftstreitkräfte. Unklar ist allerdings noch das Ausmaß, in dem bemannte Flugzeuge durch solche »MALE-UAV« ersetzt werden (MALE = Medium Altitude, Long Endurance, UAV = Unmanned Aerial Vehicle). Deutschland steht derzeit vor der Entscheidung, mit welchen Mitteln die Luftwaffe mittelfristig (bis 2020) und langfristig (nach 2020) ausgestattet sein soll. Bei dieser Frage sind jenseits militärischer Erwägungen auch kooperations- und industriepolitische Aspekte zu berücksichtigen. Denn in Europa kann oder will kein einzelner Staat die finanziellen Mittel aufbringen, um ein nationales MALE-UAV-Modell zu entwickeln. Zwar hat die europäische Industrie bereits Forschungs- und Entwicklungsprojekte auf den Weg gebracht; doch die Regie- rungen sind noch nicht mit an Bord. Unklar ist ebenso, ob Drohnen künftig bewaffnet sein sollen. Seit geraumer Zeit wird diskutiert, inwiefern gezielte Tötungen verant- wortbar und zulässig sind. Dagegen fehlt es bislang an einer grundsätzlichen Debatte darüber, welche ethischen Konsequenzen der Trend zur automatisierten Kriegsführung hat. Eine solche Auseinandersetzung ist aber dringend geboten, denn die Eigendynamik der technologischen Entwicklung birgt die Gefahr, dass der Mensch als moralischer Akteur abdankt, wenn über den Einsatz von Gewalt zu entscheiden ist. MALE-UAV werden mittlerweile von vielen Fraglich ist allerdings, inwiefern sich der Ländern in Streitkräften und Geheimdiens- Einsatz solcher bewaffneter Systeme recht- ten eingesetzt, unter anderem von Deutsch- lich und ethisch vertreten lässt. Ein Beispiel land, Frankreich, Großbritannien, den USA für diese Problematik liefert der Drohnen- und Israel. Diese Drohnen werden konti- krieg, den die CIA außerhalb der Vereinig- nuierlich modernisiert, ihr Einsatzspekt- ten Staaten zur gezielten Tötung von rum wächst, und ihre Verwundbarkeit Terrorverdächtigen führt. nimmt ab. Bislang noch überwiegend zur Wie einige andere europäische Regie- Aufklärung genutzt, entwickeln sie sich rungen – darunter die britische, die franzö- mehr und mehr zu Waffenplattformen. sische und die italienische – erwägt auch Dank des technischen Fortschritts können die Bundesregierung, MALE-UAV dauerhaft sie beide Zwecke immer effektiver erfüllen. zum Bestandteil der eigenen Luftstreit- Dr. Marcel Dickow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter, Dr. Hilmar Linnenkamp Berater der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik SWP-Aktuell 75 (Kompetenzcluster Rüstung, Technologie, Streitkräfte). Die Autoren danken René Schlee für die Mitarbeit. Dezember 2012 1
kräfte zu machen. Bemannte und unbe- den Wunsch, auf erkannte Krisensituatio- mannte Systeme ließen sich dann den nen am Boden sofort mit einer Waffe rea- beiden Aufgaben »Aufklärung« und »Be- gieren zu können, statt sich aufs »Zusehen« kämpfung aus der Luft« flexibel zuteilen. beschränken zu müssen. Gegen die An- Würden Drohnen jedoch für die zweite schaffung einer entsprechend ausgerüste- Funktion genutzt, begäbe sich die Kriegs- ten Drohne ist nach Meinung mancher führung auf einen abschüssigen Weg, der – grundsätzlich nichts einzuwenden, da eine technisch bedingt – zwangsläufig im auto- Waffe stets als »ethisch neutral« zu betrach- matischen Einsatz tödlicher Mittel endet. ten sei. Andere bestreiten das heftig. Eine fundamentale Bedingung ethisch zu Öffentlich wurden Pläne geäußert, für rechtfertigenden Handelns bliebe dabei den Zeitraum von 2014 bis 2020 eine be- unerfüllt: seine Zurechenbarkeit zu einem reits lieferbare Kampfdrohne als Zwischen- verantwortlichen Akteur. Es bedarf deshalb lösung anzuschaffen und parallel dazu bis einer öffentlichen Debatte darüber, ob der 2020 eine europäische Drohne zu entwi- Einstieg in die Nutzung bewaffneter Droh- ckeln. Solche Gedankenspiele beantworten nen zulässig ist oder ob auf dieses Kriegs- allerdings nicht die Frage, welche konkre- mittel nicht bewusst verzichtet werden ten Einsatzszenarien der Bundeswehr für sollte. die Verwendung bewaffneter Überwa- chungsdrohnen plausibel sind. Auskunft dazu geben weder ein Bericht des Büros Planungen: Drohnen in der für Technikfolgenabschätzung des Bundes- Bundeswehr tags von Mai 2011 noch die Antwort der MALE-UAV sind die derzeit fortschrittlichs- Bundesregierung auf eine kleine Anfrage ten der (unbemannten) ferngesteuerten der Grünen. In ihrer Stellungnahme von Flugsysteme mit starren Flügeln. Es handelt April 2012 verweist die Regierung lediglich sich dabei um Flugzeuge mit Flügelspann- darauf, dass für bewaffnete UAV-Systeme weiten von über 15 Metern und einer Stand- »die wahrscheinlicheren Aufgaben […] im zeit von mehr als 15 Stunden. Sie sind nicht Bereich der internationalen Konfliktverhü- auf Nutzlast und Geschwindigkeit, sondern tung und Krisenbewältigung« lägen. Das ist auf maximale Reichweite und Ausdauer zu allgemein formuliert, um als Kriterium hin entworfen. Marktdominierende Her- für die Notwendigkeit einer Beschaffung steller sind das US-Unternehmen General dienen zu können. Als Kristallisationspunkt Atomics (mit den Modellen »MQ-1 Predator« für eine ethische Debatte taugen solche und »MQ-9 Reaper«) sowie Israel Aerospace Vorgaben kaum. Industries, IAI (»Heron 1«, »Heron TP«). Die Bundeswehr setzt in Afghanistan – neben einigen kleineren, »taktischen« Droh- Rückblick: Einsätze im Krieg nen – die israelische »Heron« ein, die bei IAI Unbemannte und ferngesteuerte Flug- in einem Joint Venture mit Rheinmetall systeme werden seit Beginn der 1990er Defence geleast wurde. Allerdings endet der Jahre vor allem für die Überwachung von Leasing-Vertrag im Oktober 2014, weshalb Einsatzräumen und die Aufklärung von über eine Nachfolgelösung diskutiert wird. Zielen bzw. Zielpersonen eingesetzt. Sie Verteidigungsminister Thomas de Maizière werden insbesondere dann genutzt, wenn und Vertreter der Bundeswehr sprachen die zu beobachtenden Ziele klein und sich in den Sommermonaten wiederholt beweglich sind, so dass herkömmliche dafür aus, bewaffnete Überwachungsdroh- strategische Aufklärung (mit Satelliten nen anzuschaffen. Die Plattform »Heron« – oder Radar) versagt. die ausschließlich der Aufklärung dient – Konflikte mit einem hohen Anteil irre- hat sich für die deutschen Streitkräfte zwar gulärer Kämpfer in dynamischen, kleinen bewährt. Ihr Einsatz weckt aber zugleich Gruppen haben den Einsatz der Aufklä- SWP-Aktuell 75 Dezember 2012 2
rungsdrohnen stark vorangetrieben. Dabei fiziert sind. Die rechtliche Beurteilung fungierten sie mit den Informationen ihrer dieser Einsätze ist äußerst umstritten. Sensorik und gegebenenfalls leichter Prä- zisionsbewaffnung zunächst als Luftunter- stützung für Bodentruppen. Derzeitige Kritik am Einsatz MALE-Drohnen haben allerdings keinen bewaffneter Drohnen Eigenschutz und können auch nur in ge- Von Beginn an stieß der Einsatz bewaffne- sperrtem Luftraum operieren. Im Libyen- ter Überwachungsdrohnen auf Kritik. Sie Krieg 2011 haben die USA bewaffnete Droh- bezieht sich bislang aber vor allem auf die nen vom Typ »MQ-9 Reaper« dann auch zur gezielten Tötungen im Anti-Terror-Kampf, Jagd auf militärische und politische Funk- weniger auf die Folgen der aufkommen- tionsträger des später gestürzten Gaddafi- den Automatisierung von Waffensystemen. Regimes eingesetzt. Vom reinen Aufklä- Daher dominieren auch völkerrechtliche rungsmittel entwickelten sich Drohnen so und politische Argumentationsmuster die seit Ende der 1990er Jahre zu einem Werk- Debatte. zeug der personalisierten, »chirurgischen« Seit einigen Jahren diskutiert insbeson- Kriegsführung. dere die akademische Community über die Eingeleitet wurde dieser Trend durch Rechtmäßigkeit gezielter Tötungen und das Vorgehen Israels nach Ausbruch der die Aufstellung sogenannter »kill lists«. Aus- zweiten Intifada im Jahr 2000, als gegen löser dafür war das Vorgehen der amerika- Führungspersonen des palästinensischen nischen Geheimdienste in Pakistan. Die Widerstands in den Autonomiegebieten Obama-Administration beruft sich bei ihrer auch Drohnen zum Einsatz kamen. Noch Zielauswahl auf das Selbstverteidigungs- im Sommer 2001 bezeichnete die US- recht. Es erlaube auch die Bekämpfung von Administration solche Operationen als Personen, die bei terroristischen Aktivitä- illegitim. Doch nach den Anschlägen vom ten gegen die USA als Unterstützer auf- 11. September entdeckten vor allem die treten. Diese weitreichende Interpretation amerikanischen Geheimdienste bewaffnete des Selbstverteidigungsrechts ist allerdings Drohnen als probates Mittel für den Anti- – auch unabhängig vom Drohneneinsatz – Terror-Kampf. Wegen ihres großen Einsatz- umstritten, insbesondere wenn die Ziel- radius können sie Terrorverdächtige bereits personen nicht aktuell an gewaltsamen in deren vermeintlich sicheren Rückzugs- Aktionen teilnehmen. Legitim werden sol- gebieten beobachten und gegebenenfalls che Ziele nicht allein durch die Selektivität angreifen. des militärischen Waffeneinsatzes – also Seit Mitte der 2000er Jahre praktizieren dadurch, dass Zivilisten dank der Präzision die USA solche Einsätze im afghanisch- des Angriffs geschont werden. Die techno- pakistanischen Grenzgebiet, im pakistani- logische Fähigkeit, Kollateralschäden zu schen Waziristan, aber auch im Jemen und vermeiden, rechtfertigt noch nicht den in Somalia. Die Operationen – für die es Gewalteinsatz selbst. bis April 2012 keine offizielle Bestätigung Allerdings steht außer Frage, dass be- Washingtons gab – zielen auf mutmaßliche waffnete Drohnen nach den Kriterien des Mitglieder der Taliban, von Al-Kaida und Humanitären Völkerrechts prinzipiell Terrorgruppen in deren Umfeld. Identifi- weder den Diskriminierungsgrundsatz (also zierte Funktionsträger der Terrornetzwerke die notwendige Unterscheidung zwischen werden gesucht, beobachtet und gezielt Kombattanten und Zivilisten) noch das Ge- getötet. Zusätzlich führen die USA soge- bot der Verhältnismäßigkeit verletzen. Im nannte »Signature Strikes« durch, die sich Gegenteil – da sich Drohnen lange über gegen Personen richten, deren erkennbares dem Operationsgebiet bewegen, ist es mit Verhalten in ein terroristisches Muster ihnen theoretisch sehr viel besser möglich, passt, die aber als Individuen nicht identi- zwischen Zivilisten und militärischem SWP-Aktuell 75 Dezember 2012 3
Personal zu unterscheiden. Über die Recht- Auf dem Weg zum Roboter mäßigkeit eines Angriffs ist dabei jeweils Ferngesteuerte Flugsysteme mit Bewaff- im Einzelfall zu entscheiden. Werden Präzi- nung bedeuten nur einen Zwischenschritt sionswaffen verwendet (etwa lasergelenkte auf dem Weg zu mehr Entscheidungsauto- Bomben oder Luft-Boden-Raketen vom Typ nomie von Waffensystemen. Bei der Fort- »Hellfire«), lässt sich darüber hinaus dem entwicklung von unbemannten Platt- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von formen lassen sich derzeit mehrere tech- Waffeneinsätzen Rechnung tragen. Im Rah- nologische Trends beobachten. men bestehender Rüstungskontrollregime Miniaturisierung bei Komponenten und gibt es jedenfalls keine Einschränkungen Systemen: Angetrieben durch immer winzi- für unbemannte bewaffnete Plattformen. gere und leistungsfähigere Prozessoren, Der Einsatz bewaffneter Drohnen hat können selbst kleinste Fluggeräte inzwi- aber Auswirkungen auf die Konfliktnatur schen eigenständig stabil fliegen und agie- selbst. Die angreifende Seite zieht die Ano- ren. Nur die Akku-Technologie setzt der nymität von Drohnenschlägen der klassi- Flugzeit der meist elektrisch betriebenen schen Gewaltanwendung vor, weil sie eine Systeme noch enge Grenzen. Eskalation der Auseinandersetzung und Automatisierung und Autonomisierung der internationale Verwicklungen fürchtet. Die Plattform: Unbemannte Flugsysteme werden getroffene Seite wiederum setzt angesichts in ihrem Manövrierverhalten zunehmend ihrer technologischen Unterlegenheit noch autonom. Zurückzuführen ist dies auf die stärker auf asymmetrische Reaktion. Befür- steigende Rechenkapazität der Prozessoren worter der Drohnen betonen, solche Platt- (bei annähernd gleicher Leistungsaufnah- formen seien gerade für Demokratien ein me), die Miniaturisierung von Sensoren (für geeignetes Mittel der Kriegsführung, da Lage, Beschleunigung, Optronik, GPS etc.) Eigengefährdung und mögliche Kollateral- und moderne Algorithmen, beispielsweise schäden durch Präzisionswaffen minimiert zur Reduzierung der Komplexität von würden. Dass sich militärische Gewalt Sensordaten beim Abbilden der Umwelt. durch Drohnen effektiver und kosteneffi- Drohnen sind schon heute in der Lage, den zienter anwenden lässt, wirft aber zugleich idealen Orbit zur Beobachtung eines be- die Frage auf, ob damit nicht auch die Ein- stimmten Ziels selbst zu ermitteln und den satzschwelle für einen Waffeneinsatz sinkt. Witterungsbedingungen anzupassen. Eben- Prinzipiell ermöglicht und fördert es die so können sie bei Abbrechen der Funkver- Fernsteuerung bewaffneter Plattformen, bindung selbständig zu einem vorher defi- dass Zivilisten – wie Geheimdienstmitarbei- nierten Punkt zurückkehren und dort lan- ter oder Industrievertreter – in die Tötung den (Autopilot). Die nächste Generation von Konfliktteilnehmern involviert werden. von Aufklärungsdrohen wird über Sensorik Sie können für eine entsprechende Angriffs- verfügen, mit der sich mehrere Ziele gleich- entscheidung sogar unmittelbar verant- zeitig beobachten lassen. Dies macht es wortlich sein, obwohl sie nicht Teil regu- erforderlich, dass in der Bodenstation der lärer Streitkräfte sind und völkerrechtlich Kurs in Echtzeit an die optimalen Beobach- keinen Kombattantenstatus besitzen. Wer- tungsbedingungen angepasst wird. Die den Drohnen direkt durch Geheimdienste Entwicklung schneller fliegender Drohnen eingesetzt, so führt dies zudem in eine führt aber dazu, dass diese Automatisie- juristische Grauzone, was die Definition rung künftig nicht mehr am Boden, son- regulärer Kriegsparteien und die Legitima- dern an Bord implementiert wird, damit tion nichtmilitärischer Gewalt betrifft. die Plattform auf sich verändernde Bedin- gungen unmittelbar reagieren kann. Denn lange Signalwege über Satelliten erhöhen die Verarbeitungszeit. Spätestens wenn UAV Aufgaben von jetzt noch bemannten SWP-Aktuell 75 Dezember 2012 4
Kampfflugzeugen übernehmen sollen – Damit soll es etwa möglich werden, be- etwa Schaffung von Luftüberlegenheit und stimmte Personen in Menschenmengen zu Air Policing –, ist eine flugtechnische Fern- identifizieren oder »verdächtiges« Verhal- steuerung nicht mehr möglich. Dieser ten zu erkennen. Überwachungsbehörden Trend führt weg vom derzeitigen »Joystick«- in den USA und Großbritannien setzen Verfahren (der manuellen Fernsteuerung) solche Verfahren bereits zur Kontrolle des hin zur autonomen Auftragsbewältigung, öffentlichen Raumes ein. Diese Entwick- bei der von menschlicher Seite nur noch lungen wird man sich auch bei der Auswer- die Rahmenbedingungen definiert werden. tung von Drohnen-Sensordaten zunutze Da die Komplexität der Operation für den machen, um der Informationsfülle Herr zu Menschen in Echtzeit dann nicht mehr werden. Bislang sind die entsprechenden nachvollziehbar ist, bleibt ihm lediglich Programme noch vergleichsweise rechen- die Bestätigung oder Verweigerung einer intensiv für moderne Hardware-Architektur von der Maschine vorgeschlagenen Lösung. und dabei relativ fehlerbehaftet. Eine auto- Eine wirkliche Entscheidungsautonomie matisierte Auswertung von Sensordaten des Menschen – auch zur Zielauswahl – wird durch den erzielten Fortschritt aber wäre unter diesen Umständen nicht mehr unabdingbar – wenn ihm der Mensch nicht gegeben. aus anderen als technologischen Gründen Zunahme der Sensorik und Automatisierung Einhalt gebietet. der Sensordatenverarbeitung: Schon jetzt Der Trend zu Automatisierung und werden bemannte und unbemannte Platt- Autonomisierung der fliegenden Plattform formen von Generation zu Generation mit ebenso wie der Datenauswertung verändert mehr Sensoren ausgerüstet. Hochauflösen- auch die Rolle des menschlichen Akteurs. de Fotokameras werden entweder durch Nimmt er beim Drohneneinsatz bislang ebenso hochauflösende Videokameras er- eine Position innerhalb des Entscheidungs- gänzt oder von multispektralen Sensoren prozesses ein (»in the loop«), so wird er zum (insbesondere Infrarot) abgelöst. Hinzu bloßen Beobachter und Bestätiger einer von kommen »Synthetik Aperture Radar«- Maschinen festgelegten Vorgehensweise Systeme (SAR), die auch durch Wolken- (»on the loop«). Künftig gilt dies bereits für decken und Baumkronen blicken können. Aufklärungssysteme, die im Wirkungsver- Begrenzt wird die Anzahl der Sensoren nur bund mit Waffen anderer Plattformen ein- durch das Zuladungslimit und die elektri- gesetzt werden. Die Daten, die den maschi- sche Nutzleistung der Stromaggregate an nellen Entscheidungen zugrunde liegen, Bord. Die entwickelnden Unternehmen sind auch hier so umfangreich und kom- verbessern beide Werte bei jeder neuen plex, dass sie vom Menschen in Echtzeit Drohnengeneration. Dabei zielen sie auch nicht nachvollzogen werden können. Die darauf, mehrere Sets von Sensorpaketen an Dynamik von Flugsystemen und operatio- Bord unterzubringen, damit sich verschie- nellen Vorgängen erfordert jedoch grund- dene Ziele gleichzeitig beobachten lassen. sätzlich – und bei UAV in zunehmendem Schon heute produzieren Überwachungs- Maße – verzögerungsfreie Entscheidungen drohnen mehr Daten, als ein Mensch oder des Menschen. Zusätzlich verschärft wird auch ganze Teams in Echtzeit auswerten diese Problematik, wenn Waffen durch UAV können. Diese Problematik ist aus dem Be- eingesetzt werden, sei es in Form entspre- reich der Sicherheitstechnik, insbesondere chend ausgerüsteter Drohnen oder durch der zivilen Überwachungstechnologie, spezielle unbemannte Kampfflugzeuge der längst bekannt. Weltweit arbeiten Unter- Zukunft. nehmen und Forschungseinrichtungen Es ist absehbar, dass der Mensch bei kom- daran, Algorithmen zu entwickeln, die das menden Generationen von bewaffneten digitale Bildmaterial von Überwachungs- unbemannten Flugsystemen lediglich am kameras automatisiert auswerten können. Ende einer Kette maschinell vorselektierter SWP-Aktuell 75 Dezember 2012 5
Optionen stehen wird, deren Entstehung er Märkte und Industrieinteressen nicht durchdringen kann. Zudem werden Über die Nutzung von MALE-UAV wird die Waffen (nicht die Waffenträger) in Ab- nicht nur in Deutschland diskutiert. Vor stimmung mit der jeweiligen Plattform mittel- und langfristigen Beschaffungs- noch Sekundenbruchteile vor dem Ein- entscheidungen stehen insbesondere auch schlag elektronisch gesteuerte Entschei- Frankreich und Großbritannien. Alle drei dungen treffen, in die der Mensch wegen Länder wollen sich dabei die Option einer seiner relativ langen Reaktionszeit nicht europäischen Eigenentwicklung für die mehr eingreifen kann. Denkbar ist etwa, Zeit nach 2020 offenhalten. Großbritannien dass die Waffe im Anflug eine Gesichts- hat zwar zehn bewaffnete Drohnen des erkennung der Zielperson vornimmt. Der amerikanischen Typs MQ-9 beschafft, die Mensch als Entscheider mit Ethik und in Afghanistan eingesetzt werden. Zugleich Moralität dankt somit ab, und ein Roboter aber plant die britische Regierung, in Ko- kann nicht zur Verantwortung gezogen operation mit Frankreich im Rahmen des werden. Bislang existieren weder Computer Projekts »Telemos« eine eigene MALE- noch Algorithmen, die ein aus Wissen, Er- Drohne zu entwickeln. Auf Industrieseite fahrung und Moral zusammengesetztes sind daran der britische Rüstungs- und Verhalten, wie es für Menschen charakte- Luftfahrtkonzern BAE Systems und der ristisch ist, in Form eines maschinellen französische Flugzeughersteller Dassault ethischen Agenten nachbilden können. Aviation beteiligt. Die technologische Entwicklung von Unter den potentiellen Bedarfsträgern UAV beschreitet also unweigerlich den Weg gibt es allerdings keinen Konsens über Be- der Automatisierung. Für die Bundesregie- waffnung, Größe und Design eines künfti- rung stellt sich schon jetzt die Frage, wie gen europäischen MALE-UAV, von harmoni- weit sie diesem Pfad folgen will. Im Sinne sierten Anforderungen ganz zu schweigen. präventiver Rüstungskontrolle wäre es Weil sich noch keine festen Partner gefun- denkbar, Entwicklung, Beschaffung und den haben, ist auch der industrielle Aspekt Einsatz von autonom agierenden Waffen- weitgehend ungeklärt, insbesondere nach trägern zu ächten. Dies würde zwar die der gescheiterten Fusion von BAE und Autonomisierung und Robotisierung von EADS. Zwar haben Deutschland und Frank- Aufklärungssystemen nicht aufhalten, wohl reich im September 2012 mit einer unver- aber den direkten und indirekten Einsatz bindlichen Absichtserklärung bekundet, von Waffen durch solche Plattformen ver- bei der Entwicklung eines europäischen bieten. Da es zu einem späteren Zeitpunkt MALE-UAV kooperieren zu wollen. Eine schwer durchsetzbar sein dürfte, autonom Einigung etwa auf eine gemeinsame Zwi- agierende UAV nachträglich wieder zu schenlösung ist aber noch nicht zustande entwaffnen, erscheint eine Trennung von gekommen. Frankreich wird unter dem Plattform und Bewaffnung bereits in der Druck der Finanzkrise nicht die Mittel auf- heutigen technologischen Phase sinnvoll. bringen können, um zwei parallele Ent- Die dadurch entstehende Fähigkeitsein- wicklungsprogramme mit Großbritannien schränkung sollte bewusst hingenommen und Deutschland zu finanzieren. werden, bedenkt man die rechtlichen und Für zivile Varianten von UAV ist der ethischen Konsequenzen eines Waffen- Markt bislang marginal. Im öffentlichen einsatzes durch robotische Plattformen und im privatwirtschaftlichen Sektor der Zukunft. werden primär Klein- und Kleinstsysteme eingesetzt, etwa zur Überwachung von Demonstrationen wie beim Castor-Trans- port, zur Überprüfung von Werksanlagen in der Chemieindustrie oder zur Düngung landwirtschaftlicher Flächen. Allerdings SWP-Aktuell 75 Dezember 2012 6
gibt es Prognosen, dass sich die zivile Nach- verkehr zu fliegen (Autonomie). Die EU frage erheblich ausweiten wird. Nichtmili- entwirft in diesem Kontext ein einheit- tärische Marktpotentiale ergeben sich vor liches Zulassungsverfahren für die Flug- allem aus den technologischen Entwicklun- tauglichkeit von Drohnen. Geplant ist, gen bei MALE-UAV. Im nichtkommerziellen die Integration der UAV durch ein neues Bereich könnten solche Drohnen etwa Flugverkehrsmanagement mit entspre- staatlichen Akteure dabei behilflich sein, chenden Richtlinien abzusichern. Der Be- den Drogenhandel in Grenzregionen zu darf an einer zivilen Drohnennutzung bekämpfen. Auch hier würde man von der fördert diese Entwicklung. Zwar müssen langen Einsatzdauer dieser Plattformen auch militärische Systeme zugelassen und der damit verbundenen Kosteneffi- werden, aufgrund ihrer geringen Anzahl zienz profitieren. Da sie zudem über einen reicht dazu momentan aber die temporäre deutlich erweiterten Einsatzradius verfü- Einrichtung gesperrter Luftraumkorridore. gen, können MALE-Drohnen größere Ge- Für die Regierungen der EU-Staaten und biete überwachen als herkömmliche Klein- die europäische Industrie stellt sich die systeme. Denkbar wäre auch, dass sie etwa Frage, ob die technologische Fähigkeit zur das Rote Kreuz beim Katastrophenschutz Entwicklung und Produktion von MALE- unterstützen. Was eine kommerzielle Nut- UAV in Europa aufgebaut und erhalten zung betrifft, denkt man vor allem an die werden soll. Braucht die EU also einen oder Suche nach Rohstoffvorkommen und die mehrere Systemintegratoren, d.h. Industrie- Überwachung von Infrastruktur. So könn- unternehmen, die die ganze Wertschöp- ten etwa Pipeline- und Schienennetze fungskette des Produkts UAV abdecken durch Drohnen auf Schäden kontrolliert können? Wird diese Frage verneint, bege- werden. ben sich die Bedarfsträger mittelfristig in Schon Klein- und Kleinstdrohnen benöti- die Abhängigkeit von amerikanischen oder gen in Deutschland (wie auch in den meis- israelischen Plattformen, auch wenn ein- ten anderen EU-Staaten) eine Aufstiegs- zelne Komponenten (etwa die Sensorik) genehmigung. Diese ist für die meisten in Eigenregie hergestellt werden können. Einsatzzwecke aber problemlos zu erlan- Lautet die Antwort ja, dann schließt sich gen. Kleine Drohnen agieren unterhalb die Frage an, ob es ein abgestimmtes Vor- des regulierten Luftraums und werden mit gehen innerhalb der EU geben soll. Denn Sichtkontakt gesteuert. MALE-UAV dagegen ohne Koordinierung besteht die Gefahr, können nur in Gebieten operieren, die für dass eine nationale Subventionierung ein- den allgemeinen Flugverkehr gesperrt sind, zelstaatlicher Projekte die Kosten erhöht, weil sie derzeit keine Zulassung für den den Zulassungsaufwand vergrößert und die regulierten Luftraum haben. Daher ist es Wettbewerbsfähigkeit auf dem globalen bislang nicht möglich, solche Systeme kom- Markt einschränkt. Wahrscheinlich würden merziell zu nutzen. Militärische Systeme dann auch bloß militärische Systeme ent- werden innerhalb der EU nur in speziellen wickelt, die nur geringe Stückzahlen zu- temporär gesperrten Korridoren geflogen. ließen und kaum exportfähig wären. Allerdings will die EU in naher Zukunft Können sich die wichtigsten EU-Staaten die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, dagegen auf ein koordiniertes Vorgehen um unbemannte Systeme in den regulären zur Entwicklung und Beschaffung einigen, Flugverkehr zu integrieren. Dafür müssen dann steigen die Stückzahlen, und die euro- allerdings zuerst Technologien entwickelt päische Luftraumzulassung muss nur für werden, die den fehlenden Piloten im Cock- ein System durchgeführt werden. Gleich- pit aufwiegen. Dies erfordert insbesondere zeitig müssten die beteiligten Konsortial- die Fähigkeit, anderen Luftverkehrsteilneh- partner ihre Anstrengungen bündeln; mern auf Sicht auszuweichen (sense and Wirtschaftlichkeitsüberlegungen würden avoid) und notfalls ohne Funk- und Daten- dazu beitragen, die Branche zu konsolidie- SWP-Aktuell 75 Dezember 2012 7
ren. Ein Design, das die Überwachungs- dafür geschaffen, dass sich MALE-UAV funktionen des UAV vor die Bewaffnungs- als zivil und militärisch verwendbare fähigkeit stellt, würde zugleich das zivile Instrumente einer umfassenden Sicher- Markpotential und die Exportchancen erhö- heitspolitik nutzen lassen. Der militäri- hen. Dazu müssen allerdings die beteiligten sche Bedarf allein würde das Markt- Staaten ihren Bedarf konsolidieren und potential fliegender Überwachungs- gemeinsame Anforderungen erarbeiten. systeme nicht annähernd ausschöpfen. Vielmehr würde eine solch einseitige Verwendung nur niedrige Fertigungs- Empfehlungen für die deutsche zahlen mit entsprechend hohen Kosten und europäische »Drohnenpolitik« nach sich ziehen. In dieser Lage erscheint es sinnvoll, zum weiteren Umgang mit MALE-UAV drei Weichenstellungen vorzunehmen. Sie sind Lektüre-Empfehlungen © Stiftung Wissenschaft und eng miteinander verbunden und sollten in Politik, 2012 Parlament, Regierung und Öffentlichkeit Deutscher Bundestag, Büro für Technikfolgen- Alle Rechte vorbehalten diskutiert werden: abschätzung Das Aktuell gibt ausschließ- Weitere Nutzung des bislang geleasten Stand und Perspektiven der militärischen lich die persönliche Auf- Systems »Heron«. Da auch Frankreich Nutzung unbemannter Systeme fassung der Autoren wieder eine modifizierte Version dieser Drohne Mai 2011 SWP verwendet und dessen Einsatz zu verlän- Stiftung Wissenschaft und Politik gern erwägt, bietet sich mittelfristig eine International Human Rights And Conflict Deutsches Institut für auf der »Heron«-Plattform basierende bi- Resolution Clinic at Stanford Law School / Internationale Politik und Sicherheit laterale Kooperation zwischen Deutsch- Global Justice Clinic at NYU School Of Law land und Frankreich an, die auch von Living under Drones: Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin der Industrie in beiden Ländern unter- Death, Injury, and Trauma to Civilians Telefon +49 30 880 07-0 stützt würde. from US Drone Practices in Pakistan Fax +49 30 880 07-100 Verzicht auf einen überstürzten Einstieg September 2012 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org in ein waffenfähiges oder gar bewaffne- tes US-System wie »MQ-1 Predator« oder Peter Rudolf / Christian Schaller ISSN 1611-6364 »MQ-9 Reaper«. Zwar würde es sich dabei Targeted Killing – Zur völkerrechtlichen, um einen Kauf »von der Stange« handeln, ethischen und strategischen Problematik der entsprechend kosteneffektiv sein gezielten Tötens in der Terrorismus- und könnte. Eine solche Entscheidung würde Aufstandsbekämpfung aber einen Weg in die Zukunft präjudi- Januar 2012 (SWP-Studie 1/2012) zieren, welcher der notwendigen Grund- satzdebatte über die ethische Verant- Niklas Schörnig wortbarkeit bewaffneter Drohnen vor- »Stell Dir vor, keiner geht hin, und es griffe. ist trotzdem Krieg ...«. Gefahren der Einleitung einer gezielten Kooperation Robotisierung der Streitkräfte zwischen Großbritannien, Frankreich in: Margret Johannsen / Bruno Schoch / und Deutschland mit dem Ziel, langfris- Corinna Hauswedel / Tobias Debiel / Chris- tig – also für die Zeit nach 2020 – ein tiane Fröhlich (Hg.), Friedensgutachten europäisches Aufklärungs- und Überwa- 2011, Münster 2011, S. 355–375 chungs-MALE-UAV zu entwickeln. In der EU sind ohnehin Anstrengungen zu unternehmen (auch mit Unterstützung der Kommission), um UAV in den regu- lierten Luftraum zu integrieren. Auf die- se Weise wird auch die Voraussetzung SWP-Aktuell 75 Dezember 2012 8
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