KAMPNAGEL SPIELZEIT 2020/2021 - DER NEUE PRAGMATISMUS

 
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KAMPNAGEL SPIELZEIT 2020/2021 - DER NEUE PRAGMATISMUS
KAMPNAGEL SPIELZEIT 2020/2021
DER NEUE PRAGMATISMUS

In der Spielzeit 2020/21 sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie der geheime
Hauptakteur: Reisebeschränkungen, Hygieneauflagen und Abstandsregeln sind neue und
zusätzliche Hürden, die bei der Programmplanung zu überwinden sind. Wir haben uns
entschlossen, diese Herausforderungen mit viel Pragmatismus, Flexibilität und
Gewissenhaftigkeit zu meistern.
Von September bis Dezember werden wir überwiegend mit Akteur*innen aus der lokalen und
nationalen Szene arbeiten, um mögliche Reisebeschränkungen unserer internationalen
Künstler*innen zu umgehen, und mit einem deutlich reduzierten Spielplan von maximal drei
Vorstellungen pro Woche planen.
Der neue Pragmatismus fordert uns aber auch heraus: Mit Initiativen wie dem
PERFORMATIVEN WEIHNACHTSMARKT experimentieren wir gemeinsam mit lokalen und
nationalen Künstler*innen nach dem Motto #happypragmatismus an neuen Formen, um unser
Publikum trotz Sicherheitsauflagen mit maximaler Avantgardekunst zu versorgen. Settings wie
SOLICASINO EXTENDED erlauben bei begrenzter Bewegungsfreiheit maximale Spielräume.
Unser Haus ist ein Ort des Austauschs und der Begegnung, wobei unsere Bühnen nicht auf
die Kampnagel-Hallen beschränkt sind: Der öffentliche Raum ist, wie der digitale Raum,
ebenfalls ein wichtiges Feld der künstlerischen und aktivistischen Intervention – und auf
Kampnagel traditionsgemäß sowieso ein Ausgangspunkt künstlerischen Denkens und
Produzierens. In Zeiten des Shutdowns sind diese Räume auf neue Weise als Spielorte
hervorgetreten. Das Künstlerinnen-Duo SKILLS arbeitet beispielsweise in die
gesellschaftspolitischen Konflikte rund um die Balduintreppe hinein.
Grundsätzlich halten wir in Zeiten von Abstand und globalem Stillstand an unseren seit
Jahren aufgebauten internationalen Netzwerken fest – und produzieren weiterhin auch
Kleinteiliges, Nischiges und Abwegiges – und das nicht, weil das jetzt alle machen, sondern,
weil wir es schon immer gemacht haben und daran glauben. So entwickelt sich das
Migrantpolitan zum Ort der kollektiven Healthcare und politischer Selfcare und arbeitet
sowohl praktisch als auch diskursiv an essentiellen Fragen nach psychischer Gesundheit und
Gemeinschaft, Zugängen zu medizinischer Versorgung und interkulturellen Körperkulturen.
Dabei hangeln wir uns an Hashtags wie #newhealthness, #leavenoonebehind und
#diasporicarts entlang. Auch mit dem MARKT FÜR NÜTZLICHES WISSEN UND NICHT-
WISSEN zur Spielzeiteröffnung widmen wir uns den Themen Körperpolitiken, Ansteckung und
Medizin. NANA von La Fleur und der Vortrag von Dr. Amma Yeboah zu Institutionellem
Rassismus in der Medizin gehören ebenfalls zu dieser Perlenkette im Verlauf der Spielzeit.
Während die Erkundung des Neuen selbstverständlich weiterhin einer der
Hauptantriebsmotoren für unsere künstlerische Arbeit bleibt, besinnen
wir uns trotzdem und sehr pragmatisch auf Ideen, die sich in der
Vergangenheit bewährt haben: Die berühmten Kampnagel-Spuren,
die das Programm inhaltlich definieren, Themen spartenüber-
greifend verbinden und sich wie eine Perlenkette durch die
Spielzeit ziehen, sind in Form von Hashtags zurück.
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Das Revival dieses Prinzips bringt uns wieder zum Neuen Pragmatismus: Auf Dramaturgie-
Fokus-Reihen, die wir sonst als Themenschwerpunkte verdichten, haben wir aus
pragmatischen Gründen in der kommenden Saison verzichtet. Um dennoch unser Publikum
auch weiterhin mit herausfordernden Themen zu konfrontieren, die während der Pandemie
nochmal eine besondere Dringlichkeit erfahren haben, haben wir die Hashtags eingeführt.
Einige von ihnen stellen wir hier beispielshaft vor.
Anfang Dezember wird als einzige reguläre K6-Produktion ALLEE DER KOSMONAUTEN von
Sasha Waltz and Guests als Gastspiel eingeladen. Wir freuen
uns, wieder für unser Publikum da zu sein und sehen
hoffnungsvoll auf die neuen Herausforderungen!

#hashtags
Mit #performingequality nehmen Kampnagel und ihre Künstler*innen das Ziel der
Gleichberechtigung aller Geschlechter, Gender und sexuellen Orientierungen in den Fokus.
#Metoo zeigt, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, was gleichberechtigte Zugänge,
faire Bezahlungen und diskriminierungsfreie Räume betrifft – auch und gerade in der
Kulturproduktion. We keep working on it!
#happypragmatismus bezeichnet ein Verhalten, das sich an situative Gegebenheiten fröhlich
anpasst und trotz der schnöden Nützlichkeitsphilosophie nicht Vernunft gegen Handeln
ausspielt, sondern sich mit Charme und Chuzpe glücklich auf stets neue Herausforderungen
einlässt.
#newhealthness verhandelt Fragen zu Gesundheit, Wellness und Selbstfürsorge mit einem
Fokus auf die Bedürfnisse von diasporischen Menschen und versucht, bestehende
Versorgungslücken im Gesundheitssystem zu schließen. Selfcare is Wellfare!
Mit dem Hashtag #excitracism setzen wir die künstlerische und diskursive
Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus in dieser Spielzeit programmatisch fort. Denn
von der Landtagswahl in Thüringen über Hanau bis hin zu rassistischen Strukturen und
Praktiken der Polizei hat sich insbesondere in diesem Jahr durch zahlreiche Fälle gezeigt, wie
wichtig es ist in Deutschland die eigenen Rassismen in den Blick zu nehmen, damit hier alle
Teile der Gesellschaft sicher und gleichberechtigt leben können.
Mit dem Hashtag #generationism widmen wir uns dem Generationendialog vor, hinter und auf
der Bühne und setzen Altersklischees außer Kraft. Solidarität zwischen den Generationen ist
mit Corona noch wichtiger geworden, ein neuer Anlass darüber nachzudenken, wie Ältere und
Jüngere sich begegnen und füreinander einstehen können.
#reclaiminghistory macht Erinnerungsnarrative sichtbar, die im Geschichtsunterricht zu kurz
kommen – denn die dominante Perspektive entscheidet meist darüber, was erzählt wird, von
wem, und wie. Afrodeutsche Geschichte, antikolonialer Widerstand, weibliche Hauptfiguren,
queerer und behinderter Aktivismus, migrantische Selbstorganisation: in Kunst, Diskurs und
Aktion wird die Illusion universeller Geschichtsschreibung kritisch seziert und das Image der
deutschen »Erinnerungsweltmeister« auf den Prüfstand gestellt.
#reconnecttheworld ist der Versuch, die international agierende Kunst-Welt in pandemischen
Zeiten wieder miteinander zu verbinden. Die Gefahr, internationale Gastspiele aufgrund von
Reiseeinschränkungen abzusagen, ist hoch. Dennoch geht Kampnagel gemeinsam mit den
Künstler*innen das Risiko ein, diese Pläne zu verfolgen, gestärkt durch Sicherheits-
maßnahmen und alternative, künstlerische Strategien.

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SEPTEMBER
RUFUS WAINWRIGHT

UNFOLLOW THE RULES – QUARANTUNES VERSION
[Konzert]

Wenige Musiker erreichen auf der Camp-Klaviatur des Pop größere Gesten als der kanadisch-
amerikanische Komponist und Musiker Rufus Wainwright. Statt mit seinem neuen, weltweit
euphorisch besprochenem Album »Unfollow The Rules« auf Tour durch die großen
Konzertsäle dieser Welt zu gehen, saß Wainwright in den vergangenen Monaten mit
deutschem Ehemann, Tochter und Hund in seinem Wohnort LA fest. Von dort aus erleichterte
er uns den Lockdown mit »Quarantunes« – täglich live gestreamten Songs im Morgenmantel.
Inzwischen hat das Kampnagel Sommerfestival gezeigt, wie Kunst auch in Hallen mit
reduziertem Kapazität wieder möglich ist, außerdem hat Familie Wainwright kurzfristig in
Europa zu tun. Deswegen öffnen wir unserem langjährigen Kampnagel-Freund Rufus
Wainwright ebenso kurzfristig Haus und Herzen für zwei Konzerte, in denen er solo an der
Gitarre und am Klavier erstmals wieder aus dem Quarantunes-Wohnzimmer auf die große
Bühne tritt. In seinem vorerst einzigen Deutschlandkonzert dieses Jahr wird Wainwright zum
ersten Mal Songs aus »Unfollow The Rules« präsentieren, das er selbst als sein Coming-Out
als gereifter Songwriter beschreibt und das man auch als die Überwindung eines
biografischen Lebensfelds aus Wunden und Schmerz hören kann. Es ist außerdem das
beeindruckende Weiterschreiben von Popgeschichte eines schillernden Künstlers, dessen
Werk zwei Opern, sinfonische Werke, Filmmusik, Grammy-Nominierungen und inzwischen
neun Studioalben umfasst.
Do-17.09. / k6

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SPIELZEITERÖFFNUNG

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CHRISTOPH FAULHABER

#PARA SOCIAL
[Gastspiel / Installation]

Wer bekommt wie viel Raum? Das ist eine Frage der politischen Macht, der aktuellen
Abstandsregeln und es ist eine Frage der Kunst, die Christoph Faulhaber mit seiner
Installation im Kampnagel Foyer stellt. 60 jeweils drei Meter hohe Plastikkugeln bringen das
Gebot des »Physical Distancing« auf eine sinnliche Ebene. Die gigantischen Bälle sehen erst
einmal lustig aus, können aber auch bedrohlich wirken. Wer sie antippt und so in Bewegung
setzt, merkt mit einem Mal, wie einem der eben noch sicher geglaubte Raum strittig gemacht
werden kann. Die Installation passt nicht nur optisch bestens in den Raum, sie liefert auch
Stoff zum Nachdenken.

Vernissage: Do-24.09. / Foyer
Ausstellung läuft bis So-11.10., geöffnet immer ab 1 Stunde vor Vorstellungsbeginn

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HANNAH HURTZIG / MOBILE AKADEMIE BERLIN

MARKT FÜR NÜTZLICHES WISSEN UND NICHT-WISSEN
Lizenz Nr. 7: Coronäische Zeiten – über Zustände, Strategien und Körper in der Krise
[Eigenproduktion]

Wie lange dauert die Entwicklung eines Impfstoffes? Was ist systemrelevant? Who cares?
Diese und viele andere (bio-)politische, philosophische, fachspezifische und ethische

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Fragestellungen sind seit Beginn der Corona-Pandemie schlagartig in den Fokus der
Aufmerksamkeit gerückt und verändern die Perspektiven auf Medizin und Gesellschaft. Aus
diesem Anlass teilen an zwei Abenden 74 Expert*innen aus Theorie, Wissenschaft und Praxis
ihr Wissen, ihre Geschichten und ihre Erfahrungen mit dem Publikum. Von Virolog*innen,
über Jurist*innen, Historiker*innen, Pflegenden, Schüler*innen, Schauspieler*innen bis zu
Soziolog*innen und Kriminolog*innen stehen Expert*innen aus vielen unterschiedlichen
Lebensbereichen in 1:1 Gesprächen für den direkten Austausch zur Verfügung.

Der Arzt und klinische Virologe Prof. Dr. Christian Drosten beispielsweise kann Fragen zu
Zahlen, Ansteckungen und Verbreitungsdynamiken von Corona beantworten, während
Politikwissenschaftlerin und Journalistin Carina Book über die Gefahr von
Verschwörungsideologien sprechen wird. Ein paar Tische weiter erläutert Mine
Wenzel, die* im Bereich der queeren Gesundheit mit Schwerpunkt auf trans*, inter* und
nicht-binärer Gesundheitsversorgung arbeitet, mit welchen Strategien dort der Krise begegnet
werden kann. Die Reikimeisterin und Schamanin Karen Tiedemann wird über Methoden der
Selbstheilung sprechen und die Psychologin Dr. Gabriele Freytag lädt in einer Übung dazu
ein, gemeinsam neue Narrative für die Ereignisse der letzten Monate zu entwickeln. Wer
etwas über das Leben ohne »echte Schule« und mit digitalen Übernachtungsfeiern erfahren
möchte, kann sich mit einer Schülerin in der 5. Klasse unterhalten.

In dem von der Kuratorin Hannah Hurtzig entwickelten Format des MARKTES FÜR
NÜTZLICHES WISSEN UND NICHT-WISSEN können die Besucher*innen vor Ort auf
Kampnagel für 1 Euro jeweils ein 30-minütiges Einzelgespräch mit einer*m der Expert*innen
kaufen. In insgesamt drei Gesprächsrunden pro Abend nehmen jeweils 28 Expert*innen und
Besucher*innen einander gegenüber (in Corona-Sicherheitsabstand und mit Plexiglasscheibe
geschützt) auf der Bühne Platz. All diejenigen, die nicht selbst Fragen stellen wollen, können
einzelnen Gesprächen über Kopfhörer von der Tribüne aus zuhören und haben die
Möglichkeit, sich von Kanal zu Kanal von einem Gespräch zum anderen zu navigieren.

Fr-25.09. bis Sa-26.09. / k6
Ort: k6

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PATRICIA CAROLIN MAI

KONTROL
[Eigenproduktion, COVID19-bedingter Nachholtermin]

Mit READY TO SNAP, BALAGAN BODY und HAMONIM erarbeitete die Hamburger
Choreografin Patricia Carolin Mai eine Trilogie über Körper in Extremzuständen. Nun

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begibt sie sich mit einem Epilog in ein Selbstexperiment über den Wettkampf mit
dem eigenen Körper. In ihrem neuen Solo KONTROL erinnert sich die ehemalige
Leistungsschwimmerin, wie einst ihr Körper im Hinblick auf ein zu erreichendes Ideal
geformt wurde. Für KONTROL trainierte sie zwölf Monate lang unter Anleitung des
Sportwissenschaftlers Patrick Rump durch Anwendung von sportmedizinischen
Methoden aus dem Profisport, um dabei die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit
auszuloten. Im Stück verhandelt sie am eigenen Körper normativ konditionierte
Körperbilder in einer Leistungsgesellschaft und wie sie sich durchbrechen lassen.
Wird ein sich transformierender Körper zu einem anderen Körper? Patricia Carolin
Mai meidet es, eine Kategorie durch die andere zu ersetzen. Mit ihrem
Prozess vermeintlicher Androgynisierung durch extremen Muskelaufbau sucht sie
nach einem Mittel der Überschreibung von zu- und eingeschriebenen Körper-
Merkmalen. Sichtbar wird dabei die Ambiguität eines durchtrainierten,
dennoch fragilen und noch unergründeten Körpers. KONTROL ist für alle, die sich
für Tanz, Performance, visuelle Künste und Extremsport begeistern und sich
mit Geschlechtergerechtigkeit und dem Recht auf freiheitliche Selbstbestimmung
auseinandersetzen.

Do-24.09. bis So-27.09 und Do-01.10. bis 3.10. / k2

REGINA ROSSI

SCHLAGSAHNE
[Eigenproduktion, Uraufführung]

SCHLAGSAHNE ist ein professionelles Tanz-Theater-Stück für Grundschulkinder, das sich mit
Wut, Ärger und Aggression beschäftigt – Emotionen, die auf zeitgenössischen Tanz, Musik
und Performance treffen. Drei Performer*innen bewegen sich, sprechen und musizieren
(Gesang, Körperpercussion, Schlagzeug) in einer konzerthaften Atmosphäre, die einer
Episoden-Dramaturgie folgend ähnlich wie Songs in einem Konzert aufgebaut ist.
SCHLAGSAHNE möchte die Kinder dazu ermutigen, die besonders im Grundschulalter
präsente Wut als eine wichtige Emotion zu erkennen, zu akzeptieren und dementsprechend zu
kommunizieren – und die Wut letztendlich als produktives Phänomen und Potential für
Veränderung zu sehen. SCHLAGSAHNE nimmt Shakespeare wörtlich und behauptet: »Das
Leben ist voll Schall und Wut!« Und wenn es so ist, dürfen die Kinder auch mal laut werden –
sogar auf der Bühne.

Do-24.09. bis Sa-26.09. und Mi-30.09., Do-02.10. und So-04.10. / p1

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JOANA TISCHKAU

PLAYBLACK
[Gastspiel]
»If you’re thinking about being my baby, it don’t matter if you’re black or white« singt der
King of Pop in dem millionenfach verkauften Hit. 1991 beschreibt die Plattenfirma den Song
als »rock n’ roll dance song about racial harmony.« Liefert Popmusik das Potential, strukturell
verankerte Machtstrukturen zu überwinden, temporär jemand anderes zu werden, die uns
zugeschriebenen Identitäten abzulegen und der Repräsentationslogik zu entkommen? Die

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Choreografin und Tänzerin Joana Tischkau entblößt das weiße (deutsche) Begehren nach
Schwarzer Verkörperung und nimmt den Zuschauer mit in die Auswürfe, Erinnerungen und
Projektionen afroamerikanischer und afrodeutscher Kulturproduktion. PLAYBLACK
verabschiedet sich vom Universalismus (weißer Abstraktion) und lädt ein, in der Spezifität
Schwarzer deutscher Erfahrung innezuhalten. PLAYBLACK hijackt das Format der von
Mareijke Amado moderierten Mini Playback Show aus den 1990er Jahren und wagt den
Versuch, dem Ruf nach liberaler ‚colorblindness’ mit kindlicher Trotzigkeit zu begegnen.
PLAYBLACK ist Tischkaus Abschlussinszenierung am Institut für Angewandte
Theaterwissenschaft der Universität Gießen; die Arbeit wurde zur Tanzplattform 2020
eingeladen.

Do-24.09. bis Sa-26.09. / k1

SKILLS

ARIEN AUS STEIN
[Eigenproduktion, Uraufführung, COVID19-bedingter Nachholtermin]

Erst in der plötzlichen Leere offenbaren sich die Qualitäten alltäglicher Versammlungsorte:
Welche Bedeutungen haben Nischen, Ecken oder Lücken inmitten zunehmender
Gentrifizierung, welche Auswirkungen haben Privatisierung und Kommerzialisierung auf den
öffentlichen Raum? Das Musikerinnen-Duo SKILLS setzt solchen Orten ein performatives
Denkmal. Die Balduintreppe auf St.Pauli wirkt wie die absteigende Zuschauertribüne eines
antiken Theaters – der Blick geht ins Leere, verliert sich in Richtung Hafen zwischen Himmel,
Straße, Baumkronen. Wie klingt dieser Ort, was schwingt hier mit und nach? Was erfährt man
von der Treppe, wenn man ihr lauscht? Was würde die Treppe sagen oder singen, wenn sie
sprechen könnte? Der polizeilichen Einstufung als »gefährlicher Ort« bzw. dem von den
Medien gelabelten »Hamburgs schlimmster Dealertreff« setzt das Musikerinnen und
Choreografinnen-Duo SKILLS ein Kaleidoskop von Klängen und Stimmen entgegen. Wie
manifestieren sich Diskurse? Wie werden sie in Stein gemeißelt? Wie wird ein als »gefährlich«
eingestufter Ort real zu einer Gefahr? Sind Atmosphären ein Aufgabengebiet der Polizei?
ARIEN AUS STEIN ist ein Konzert – speziell für diesen öffentlichen Versammlungsort mit
Geschichte(n).

Fr-25.09. bis Sa-26.09 / Balduintreppe, St. Pauli

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OKTOBER
DIE VIELEN HAMBURG

SOLIDARITÄTEN, STRATEGIEN, KONFRONTATIONEN
[Kooperation]

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DIE VIELEN haben sich als Zusammenschluss für die Sicherung der Kunstfreiheit im
November 2018 gegründet und sind in den vergangenen zwei Jahren zu einem
länderübergreifenden offenen Netzwerk zwischen zahlreichen Kunstinstitutionen, Aktiven der
Kulturlandschaft und freiproduzierenden Künstler*innen geworden. Allein 257 Institutionen
in Hamburg gehören mittlerweile den VIELEN an, stellen sich gemeinsam gegen rechte
Einflussnahme auf Kultur und ihre Institutionen und gegen Rassismus, unterstützen sich
gegenseitig bei Angriffen von rechts, arbeiten gegen diskriminierende Strukturen in ihren
eigenen Häusern, beziehen gemeinsam in bundesweiten Kampagnen Position und tauschen
sich über Strategien und Erfahrungen aus. Trotz einer gemeinsamen Agenda sind die
Unterzeichnenden eine sehr heterogene Gruppe, was gleichzeitig ihre gesellschaftliche Stärke
ist, jedoch auch Raum für Diskussionen und selbstkritische Reflexion benötigt. Im Rahmen
der Spielzeiteröffnung auf Kampnagel stellen wir einen Raum mit vielen Tischen bereit, an
denen Hamburger Vertreter*innen der VIELEN zu verschiedenen Themen Diskussionen,
Dialoge, Expertisen, Statements, Tipps und Fragen anbieten. In diesem Raum gibt es auch
Informationen über Veranstaltungen im Rahmen der VIELEN und Möglichkeiten der aktiven
Mitarbeit. Die Veranstaltung richtet sich an Mitarbeiter*innen in Kulturinstitutionen, an
Künstler*innen und freie Kulturschaffende, aber auch an alle anderen Interessierten –
everybody welcome!
Fr-02.10. / k6

HAUPTSACHE FREI

ÜBER DIE ZUKUNFT DES FESTIVALS DER HAMBURGER FREIEN SZENE
[Kooperation]

Die Szene der freien darstellenden Künste hat sich in den letzten Jahren in Hamburg enorm
entwickelt und zeigt eine große ästhetische Vielfalt. Das Festival »Hauptsache Frei« trug dazu
bei, indem es die Bandbreite dieser Szene zeigte und jährlich mehr Zuschauer*innen
begeisterte. Im Frühjahr 2020 musste, Coronavirus-bedingt, die letzte Ausgabe ausschließlich
digital stattfinden. Das hat Fragen aufgeworfen, die schon vorher im Raum standen: In welche
Richtung wollen die Akteur*innen der Freien Szene ihre Kunst entwickeln? Was braucht es
dazu von einem Festival, das sich als Festival der Freien Szene versteht? Wie kann das
Festival stärker nach außen strahlen und sowohl in Hamburg als auch darüber hinaus größere
Aufmerksamkeit bekommen? Der Trägerverein des Festivals und das neue Leitungsteam Jens
Dietrich, Christine Grosche, Anja Kerschkewicz, Jeanne Charlotte Vogt, Janne Weirup und
Christopher Weymann laden das Publikum, Künstler*innen, Spielstätten, Politiker*innen und
Förder*innen ein, gemeinsam Visionen zu entwickeln.

Sa-03.10. / k6

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ENSEMBLE RESONANZ

MERCY SEAT: WINTERREISE
[Kooperation]
Ein Mann auf dem Gnadenstuhl bekennt sich schuldig, schließlich. Zunächst aber wandert er
Schubert und Nick Cave beschwörend in die Einsamkeit, auf der Suche nach Freiheit. Aber
was, wenn die Schuld schwerer wiegt? Und was hat er überhaupt getan? Eine Winterreise des
Versagens, von und mit: Charly Hübner und Tobias Schwencke.

Sa-06.10. / k6

MAX CZOLLEK

TAGE DER JÜDISCH-MUSLIMISCHEN LEITKULTUR – DEZENTRALER
KONGRESS
[Kooperation]

Im Herbst jährt sich die deutsche Wiedervereinigung zum 30. Mal. Dem Bild einer
harmonischen »deutschen Einheit« setzt der Autor Max Czollek die provokative Behauptung
einer »Jüdisch-Muslimischen Leitkultur« entgegen, die zu einer anderen Erzählung deutscher

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Geschichte und Gesellschaft einlädt: Denn die Realität vieler Jüdinnen und Juden,
Afrodeutscher und Personen of Color, Muslim*innen oder sogenannter Gastarbeiter*innen
passt oft nicht in das ethnozentrische Erinnerungsnarrativ des vereinten deutschen Volkes.
Für sie bedeutete die Vereinigung der beiden Deutschlands auch eine Zunahme rechter
Gewalt. Ihre vergangenen und gegenwärtigen Perspektiven finden in der Erinnerungskultur
entweder gar keinen Platz, oder sie sind aufgefordert, im deutschen Gedächtnis- und
Integrationstheater die immer gleiche Inszenierung nachzuspielen. Die TAGE DER JÜDISCH-
MUSLIMISCHEN LEITKULTUR lenken als dezentraler Kongress in dreizehn Städten, mit gut
zwanzig Kooperationspartner*innen in über vierzig Veranstaltungen den Blick auf die radikale
künstlerische und gesellschaftliche Vielfalt, die schon längst eine deutsche Realität ist. Vom
7. bis 11. Oktober finden auf Kampnagel Diskurs, Performance und diasporische Seifenoper
unter dem Label der Jüdisch-Muslimischen Leitkultur statt.

Bundesweites Programm unter www.tdjml.org

Fr-07.10. bis Sa-11.10. / mehrere Hallen

MAX CZOLLEK

GEGENWARTSBEWÄLTIGUNG – LESUNG UND DISKUSSION
Nach seinem Bestseller »Desintegriert euch!« liefert Max Czollek mit seinem neuen Buch
»Gegenwartsbewältigung« ein Manifest für die plurale Gesellschaft, das Antworten auf die
politische Gegenwart gibt. Die Funktion der »deutschen Leitkultur« im
postnationalsozialistischen Deutschland wird ebenso fein säuberlich seziert wie ihre
Bedeutung für die Forderung nach Integration. Czollek will mit der »Gegenwartsbewältigung«
dabei auf nicht weniger als eine alternative Erzählung hinaus: Erst aus den radikal vielfältigen
Beiträgen jüdischer und anderer Minderheiten entsteht die sogenannte deutsche Kultur und
ihre Differenz erst schafft die Grundlage für eine wehrhafte Demokratie, einen postmigrant-
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ischen Antifaschismus. Gerade in Zeiten verstärkter rechter, rassistischer und antisemitischer
Hetze und Gewalt wird das Versagen politsicher Modelle von Integration bis Leitkultur
sichtbar. Stattdessen müssen künstlerische und intellektuelle Stimmen ins Zentrum gerückt
werden, die schon heute die Realität der radikal vielfältigen Gesellschaft denken – denn
Widerstand schöpft sich aus Vielfalt. Max Czollek ist Mitglied des Lyrikkollektivs G13 und
Mitherausgeber der Zeitschrift »Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart«, war Ko-Kurator
des Desintegrationskongress 2016 und der Radikalen Jüdischen Kulturtage 2017 am Maxim
Gorki Theater.

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Im Anschluss an die Lesung findet eine Podiumsdiskussion auf Englisch mit Max Czollek,
Perel und Leyla Jagiella statt.
Mi-07.10. / k6

PEREL

LIFE [UN]WORTHY OF LIFE: A QUEER, DIS/CRIP TALKSHOW
[Gastspiel, im Rahmen von »Tage der jüdisch-muslimischen Leitkultur«]

Der*die zwischen New York und Berlin pendelnde queere, behinderte, interdisziplinäre
Künstler*in Perel eignet sich für LIFE (UN)WORTHY OF LIFE die Rolle eines*r
amerikanischen Late-Night-Show-Moderators*in an und hält einen humoristischen Monolog.
Perel wuchs als einziges jüdisches Kind in einer amerikanischen Kleinstadt auf. Schnell
musste Perel sich daran gewöhnen, anderen im Geschichtsunterricht den Holocaust
beizubringen. Denn was in den historischen Erzählungen meist fehlte, war die Perspektive von
Menschen mit Behinderung. Der Titel dieser Show basiert auf dem dem während der NS-Zeit
offiziell verwendeten medizinischen Begriff des »lebensunwerten Lebens«, der verwendet
wurde, um die Tötung behinderter Menschen im Rahmen des Programms Aktion-T4 zu
rechtfertigen. Um vertiefend über diese fehlende Geschichte zu sprechen, lädt Perel den
behinderten, queeren Autor Kenny Fries auf die Bühne ein, um ihn über seine historischen
Forschungen zur systematischen Ermordung von Menschen mit körperlichen, geistigen und
seelischen Behinderungen im Dritten Reich zu interviewen.
Do-8.10 bis Sa-10.10. / k2

MABLE PREACH / NIKOLA DURIC / WE ARE VISUAL

ESCAPE THE ROOM: FIGHT THE POWER
Interaktive Performance-Installation mit Hamburger Schüler*innen
[Uraufführung, im Rahmen der »Tage der jüdisch-muslimischen Leitkultur«]

Die Hamburger Regisseurin Mable Preach und der Dramaturg Nikola Duric entwickeln mit
jungen Hamburger*innen ein Theaterexperiment gegen Rassismus und Diskriminierung: einen
Escape Room. Interaktive Versuchsanordnungen und Realitätssimulationen entführen
die Zuschauer*innen in ein Paralleluniversum der (Ohn)Macht. Wer hat Privilegien und
warum? Wo beginnen Stereotypen und wann werden sie gefährlich? Wie wird aus
Unterdrückung Rebellion? Es geht um die Umordnung von Machtverhältnissen und radikale
Perspektivwechsel. ESCAPE THE ROOM: FIGHT THE POWER ist ein Erlebnisraum, in dem es
notwendig ist, sich selbst zu positionieren und Haltung zu beziehen.

Eine Auftragsarbeit des KRASS Kulturcrash-Festivals
Do-8.10. bis Sa-10.10. / k2
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NEW MEDIA SOCIALISM

RAMADRAM: EIN RED CARPET EVENT
[Koproduktion, im Rahmen der »Tage der jüdisch-muslimischen Leitkultur«]
Unzählige Fernsehserien entstehen in der arabischen Welt jährlich für den Fastenmonat
Ramadan. Allabendlich zum Fastenbrechen tauchen Millionen Menschen weltweit in die
schöne bunte Welt der Ramadan-Dramen ein, wie die Seifenopern auch genannt werden. Mit
RAMADRAM entstand zum Fastenmonat 2020 auf Kampnagel eine experimentelle,
multilinguale Selfmade-Soap-Opera, deren Storylines zwar aus dem Leben gegriffen, aber
fiktionalisiert und improvisiert wurden. Die 16-teilige Webserie erzählt aus dem Alltag der
diasporischen Akteur*innen rund um den Aktionsraum Migrantpolitan. Alle spielen ein
bisschen sich selbst, aber verweisen mit ihren gespielten Charakteren auch auf
Perspektivlosigkeit und strukturellen Rassismus in unserer Gesellschaft. Zum Abschluss der
ersten Staffel gibt es ein glamouröses Binge-Watching (alle Folgen nacheinander) in
Anwesenheit aller Darsteller*innen sowie special VIP Guest Dr. Max Czollek. Dress up – der
rote Teppich ist ausgerollt …! Nach HELLO DEUTSCHLAND – DIE EINWANDERER ist
RAMADRAM die zweite Produktion der freien Mediengruppe new media socialism, die es sich
zur Aufgabe gemacht hat, mit Empowertainment die mediale Repräsentation von
Migrant*innen zu verbessern.

So-11.10 / k1

LAURENT CHETOUANE

OP. 131 : END/DANCE
[Koproduktion]

Im Jahr, in dem der 250. Geburtstag Beethovens weltweit gedacht und gefeiert wird, zoomt
sich der Berliner Choreograf Laurent Chétouane in einen bestimmten Lebensabschnitt des
weltberühmten Komponisten: Mit seinem letzten Streichquartett Op. 131 von 1826 scheint
sich Beethoven von seinem gesamten Werk zu verabschieden. Alle musikalischen Formen, die
er bis dahin kreiert hatte, sind in autonome Teile zerlegt und können am Ende des Stückes
durch keine kompositorische Logik mehr zusammengehalten werden. Es bleiben Reste –
Ruinen einer Musik – die einst modellhaft für das westliche Denken der Vollendung standen.
Todesmutig und mit treibendem Rhythmus öffnet Beethoven mit diesem Streichquartett die
Wege zum Ende und macht Mut für die Erneuerung. Chétouane entleiht diese Gedanken und
überträgt sich auf die Zersetzung der Bild- und Formsprache des Tanzes. Der herausragende
Tänzer Léonard Engel tanzt weder vor, noch mit oder hinter der Musik, er bewegt sich voll
Schönheit, triebhaft und repetitiv zwischen Musiker*innen, dem Scheitern und dem Ende
nahe. So ist OP. 131 : END/DANCE nicht nur eine Konfrontation zwischen Musik und Tanz,
sondern kann auch als Lesart unserer Zeit verstanden werden, in der wir die Chance nutzen
viele Konstanten zu überdenken.

Fr-16.10. und Sa-17.10 / k1

                                                                                         11
JAMES HOLDEN & WACLAW ZIMPEL
[Konzert]

Der britische Musiker James Holden gehört schon seit den frühen 2000er Jahren zu einer
festen Größe in der ausufernden Landschaft elektronischer Musik. Er verbindet experimentelle
Sounds mit dem Wissen um die britische Rave-Kultur vergangener Zeiten zu einer
zeitgenössischen Psychedelik zwischen ekstatischer Clubnacht und privater Afterhour. Neben
zahlreichen eigenen Singles und Alben, die Holden regelmäßig auf seinem eigenen
Qualitätslabel »Border Community« veröffentlicht, hat er in über 200 Remixen Stücke von
Künstler*innen wie Depeche Mode, New Order oder Madonna mit seiner musikalischen
Handschrift veredelt. Holdens neuestes Projekt ist gemeinsam mit dem polnischen Jazz-
Minimalisten Wacław Zimpel entstanden, der bereits mit so unterschiedlichen Musikern wie
Joe McPhee und Shackleton zusammengearbeitet hat. In mehreren Sessions mit Holden am
modularen Synthesizer und Zimpel an der Klarinette entstand die EP Long Weekend – eine
Art Neudefinition von Trance im Geiste improvisierter Musik, die beide Musiker live nun in der
größten Kampnagel Halle präsentieren. Wacław Zimpel, der auch als Komponist arbeitet und
den das gut informierte britische Musik-Magazin The Quietus »one of Europe’s greatest
modern composers« nennt, hat außerdem die Musik für das Tanzstück geschrieben, das am
selben Abend vor dem Konzert auf Kampnagel gezeigt wird.

Sa-17.10. / k6

JOSEP CABALLERO / QUEERPRAXIS

WHO´S AFRAID OF RAIMUNDA
[Koproduktion, Uraufführung]

Mit WHO´S AFRAID OF RAIMUNDA greifen Josep Caballero Garcia & Team auf literarische
und musikalische Versatzstücke aus dem mittelalterlichen Iberia zurück, welche dem
hedonistischen Wunsch nach einem sowohl religiösen, als auch sexuellen freien Leben
nachgehen. Was sich allerdings zu Anfang der Recherche als eine mögliche Utopie las, erwies
sich als ein zwar homosexuelles aber nicht minder patriarchales Beziehungskonzept, in dem
Frauen nicht vorkommen. Darum ist Garcias neues Projekt Raimunda gewidment, wer auch
immer Raimunda ist. Als allegorische Figur steht sie für verborgene, unsichtbare, vom
Patriarchat oder von anderen Machtgefügen in den Schatten gestellte Identitäten. Also werden
alle Raimunda sein: aus historischen Fakten werden neue Optionen entworfen und tradierte
Bilder und Rollen rekonfiguriert. Gemeinsam mit den Komponisten Thomas Dorsch und
Alexandre Maurer sowie der Künstlerin Claudia Hill, vier Tänzer*innen und zwölf
Musiker*innen der Lüneburger Symphoniker erschafft Josep Garcia und sein Team eine
choreografische Intervention, die sich zwischen Archiv und Utopie bewegt. Das Projekt WHO´S
AFRAID OF RAIMUNDA ist die zweite abendfüllende Choreografie des zweijährigen Projekts
»Queere Kreuzzüge«, das zwischen Hamburg, Lüneburg und Berlin verankert ist.

Do-22.10. und Sa-24.10 / Foyer und k4

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TRANSGENERATOREN – GENERATIONENÜBERGREIFENDES FESTIVAL FÜR
KUNST UND POLITIK
[Kooperation, COVID19-bedingter Nachholtermin]

Durch die Corona-Krise hat sich das für Mai 2020 geplante Transgeneratoren-Festival in eine
Reihe verwandelt. Solidarität zwischen den Generationen – das ist mit Corona noch wichtiger
geworden. Und gerade jetzt muss neu darüber nachgedacht werden, wie Alte und Junge sich
begegnen und füreinander einstehen können. Kinder verzichten in dieser Zeit auf so vieles; in
der Reihe Transgeneratoren sollen sie deshalb umso lauter zu hören sein.

Kinder entdecken neue Protestformen, Erwachsene nutzen die Freiheit der Kunst, um für
Kinder neue Rechte zu erstreiten, Kinder und Erwachsene gemeinsam interpretieren
Performancekunst neu und kommen als Forscherinnen in Sachen Zukunft zusammen – immer
mehr Stimmen stellen die Aufteilung der Welt in Kinder und Erwachsene in Frage. Und zwar
vor dringendem politischen Hintergrund: Kinder sind nicht nur weit überdurchschnittlich von
Armut betroffen, sie sind auch »free as free range chicken« (Chris 12 Jahre, Dublin). Nicht
sehr frei also. Zugleich machen ihnen die Erwachsenen zukünftige Ressourcen streitig. Mit
dem TRANSGENERATOREN Festival schaffen Kampnagel und das FUNDUS THEATER das
erste internationale Forum für transgenerationelle Kunst und Politik: Zu erleben sind aktuelle
Arbeiten und Projekte aus fünf verschiedenen Ländern, die Kinder und Erwachsene auf neue

                                                                                                 TRANSGENERATOREN
Weise zusammenbringen.

Für das Festival TRANSGENERATOREN arbeiten Kampnagel und das FUNDUS-Theater
anlässlich des deutsch-dänischen kulturellen Freundschaftsjahres mit der dänischen
Plattform Live Art Denmark zusammen. Live Art Denmark realisiert bereits seit vielen Jahren
generationenübergreifende Performance- und Live Art-Festivals mit dänischen und
internationalen renommierten Künstler*innen in wechselnden dänischen Städten. Für
TRANSGENERATOREN kuratiert Live Art Denmark einen dänischen Fokus. Auf Kampnagel zu
Gast sind die Künstlerin Stine Marie Jakobsen mit LAW SHIFTERS, der Künstler GP&PLS mit
TRANCE DANCE und Seimi Nørregaard mit ARBEIT ARBEIT. Im FUNDUS Theater zeigt Ulla
Hvejsel ihre Performance TALKING OUT OF MY ASS, in der sie jeweils ein spezielles Quiz für
das Publikum ab 3 Jahren erfindet. Passend zum jeweiligen Thema entwirft sie ein Studio-
Bühnenbild für das Quiz, in dem sie ihr Hinterteil in verschiedene Hintergründe integriert.
Außerdem gastiert im FUNDUS Theater das Team von Kosmologym – eine Gruppe junge
Künstler*innen, die Kunstspiele mit politischem Inhalt veranstaltet. In THE LONG DASH
versuchen Repräsentanten für vier Stadtteile Hamburgs die Stadt vom Meeresspiegelanstieg
bis Jahr 2100 zu retten.

Fr-23.10. bis So-25.10. / mehrere Hallen

                                                                                           13
SEIMI NØRREGAARD

ARBEIT ARBEIT
[Gastspiel]
ARBEIT ARBEIT (ARBEJD ARBEJD) lädt ein in das Setting eines Sweatshops, wo zwanzig
Nähmaschinen warten. Umgeben von Stoffstapeln wird das Publikum zur Arbeit aufgefordert.
Arbeiten in Schichten, während Kolleg*innen im Nacken sitzen. Die Maschine muss
eingestellt werden. Formulare müssen ausgefüllt werden. Die Produktion hört nie auf. Die
dänische Dichterin und Künstlerin Seimi Nørregaard inszeniert eine Performance-Installation
über Arbeit, über wichtige Arbeit, über echte Arbeit, über ungelernte Arbeit, über schlechte
Arbeit, über freiwillige Arbeit, über Sklavenarbeit, über Arbeiter*innen. Über
Arbeitsbedingungen, über Widerwillen und Freude und über die Macht, die die Arbeit über die
Menschen hat.

Sa-24.10. und So-25.10. / 14.00 + 17:00

STINE MARIE JACOBSEN

LAW SHIFTERS
[Gastspiel]

Recht ist keine Gerechtigkeit! In ihrem partizipatorischen Kunst- und Workshop-Projekt LAW

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SHIFTERS fordert die dänische Künstlerin Stine Marie Jacobsen Jugendliche und Erwachsene
dazu auf, sich mit aktuellen Fällen von Rechtsprechung zu beschäftigen – zum Beispiel auf
dem Gebiet des Jugendschutzes oder des Immigrations- und Asylrechtes – und darüber in
einen generationenübergreifenden Dialog zu kommen. Ohne durch juristische Fachbegriffe
belastet zu werden diskutieren sie ihre eigene Sichtweise der geltenden Gesetze. Auf
Kampnagel verfolgt das Publikum das Reenactment einer Gerichtsverhandlung, angeleitet von
dem Anwalt Bilal Alkatout und der Künstlerin Stine Marie Jacobsen, durchgeführt von einer
Schulklasse, die den realen Fall neu beurteilen. Stine Marie Jacobsen entwirft Projekte, die
sich mit Ethik, Kontrolle, Angst und Vertrauen befassen und Solidarität und
bürgerschaftliches Engagement fördern. Das Ziel von LAW SHIFTERS ist es, junge Menschen
zu empowern, über ihre ethische Position nachzudenken und ihren Rechtssinn zu entwickeln,
während gleichzeitig eine Lücke zwischen Rechtspolitik und Rechtspraxis geschlossen wird.

Fr-23.10. / 18:00 und Sa-24.10. / 18:00

GP&PLS

TRANCE DANCE
[Gastspiel]

Goodiepal ist Komponist und schafft mit seinen Projekten gern performative Situationen, in
denen Botschaften kodiert und durch unterschiedliche Medien und Personen übertragen und
verändert werden. Die Codes sind nicht nur Noten, sondern können auch andere graphische
Zeichen sein. Die Medien sind nicht nur Musikinstrumente, sondern auch Post, Tonband,
Zeitungen, Gerüchte. Für TRANSGENERATOREN entwickelt Goodiepal mit seinem Team ein
Performancekonzert zum Mitmachen.
Sa-24.10. und So-25.10. / 15:00
                                                                                         14
DJ MUNE_RA / FRANCA-ROSA VON SOBBE

KIDSDISKO
[Eigenproduktion]
Kinder haben schon früh einen hervorragenden Sinn für Bewegung und Musik. Noch bevor sie
sitzen oder laufen können, bewegen sie sich zu Musik. Dies bezieht die
Nachwuchschoreografin Franca-Rosa von Sobbe in ihren Rechercheprozess mit ein und
entwickelt neue Strategien für die authentische Bewegungsfindung von Kindern. Spielerisch,
aber fern von jeglicher Kasperle-Ästhetik. Mit dem DJ Mune_Ra lädt sie einen DJ ein, der auf
die Feinheiten der Kinderbewegungen eingeht und darüber hinaus ein DJ-Set abliefert, das
auch die Eltern begeistert. Gleichzeitig nehmen professionelle Tänzer*innen die Bewegungen
der Kinder auf und entwickeln sie weiter. Eine Art Einstiegs-Choreografie-Kurs für 4-6
Jährige, der die freie Bewegung der Kinder und ihr Körperdenken fördert.

Sa-24.10. bis So-25.10., k6 / Do-18.02. bis Sa-20.02, K1 (während des Fokus Tanz) / Fr-
21.05. bis So-23.05 / Piazza

HERBST[K]AMP 2020
In drei verschiedenen einwöchigen Workshops lernt die nächste Kampnagel-Generation von
den Künstler*innen und Kampnagel-Allstars unverzichtbare Dinge aus deren (Arbeits-)Leben.

Mode und Design

Mode ist Statement und Ausdruck von Rebellion – nicht erst seit Punk und irgendwann wohl
in jeder Familie. Dieser Workshop mit Danny Banany, u.a. Teammitglied von Hamburgs
beliebtester queerer Karaoke-Show, setzt sich auseinander mit der Macht des Äußeren, mit
Gestaltung von Identität und verknüpft die Lust am Protest mit Selbst(er)findung. Ihr entwerft
und bastelt eigene Outfits und Kollektionen, verwandelt und präsentiert Euch. Achtung – kein
Nähkurs im engeren Sinn!

Zeichnen, Malen, Gestalten

Gemeinsam mit der Tattookünstlerin Hanadi Chawaf und einer (Comic-)Zeichnerin malt und
zeichnet Ihr auf unterschiedlichen Untergründen, probiert verschiedene Striche, Stile und
Techniken, übersetzt Emotionen, Statements und Geschichten in Bilder oder erfindet
persönliche Avatare, die durch Eure selbstkreierten Welten springen!

Stop-Motion-Filmen
Gemeinsam mit der Videokünstlerin Judith Rau und dem Künstler und Filmemacher Babak
Behrouz entwickelt ihr Eure eigenen Stop-Motion-Filme, allein oder im Team. Ihr entwerft
Ideen, entwickelt und bastelt Euer Filmset und Eure Figuren und stellt dann Euren Film mit
Hilfe von einfachen Stop-Motion-Programmen her, um ihn im Anschluss zu präsentieren. Falls
vorhanden, gern eigene Smartphones oder Kameras mitbringen!
Mo-05.10. bis Fr-09.10. / verschiedene Räume

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BURNING ISSUES MEETS KAMPNAGEL – PERFORMATIVER KONGRESS
ZU GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN KULTUR UND MEDIEN
[Kooperation]

Zuletzt zu Gast beim Berliner Theatertreffen schlägt BURNING ISSUES, die von Nicola
Bramkamp und Lisa Jopt initiierte Konferenz für mehr Geschlechtergerechtigkeit im Theater,
dieses Jahr die Zelte auf Kampnagel auf. Wie viele Geschlechter kennt das Theater eigentlich?
Welche Rolle spielen Faktoren wie Klasse oder Alter im Laufe einer Theaterkarriere? Wie
überschneiden sich struktureller Rassismus und Sexismus im Kulturbetrieb? Wie können
Institutionen Barrieren abbauen und solidarisch agieren? In Vorträgen, Diskussionen,
künstlerischen Interventionen, Performances und Netzwerkformaten werden geschlechter-
spezifische Hierarchien an Stadttheatern und freien Produktionshäusern, in Ensembles und
Kollektiven, an Ausbildungsstätten, auf und hinter der Bühne durchleuchtet. Die Über-
schneidungen unterschiedlicher Ausschlüsse im Kulturbetrieb stehen dabei im Fokus:
BURNING ISSUES ist nicht nur ein Ort der Vernetzung, sondern auch ein Raum zum Lernen
voneinander, um gemeinsam zu gerechteren und vielfältigeren Strukturen im Theater zu
kommen. Neben vielen künstlerischen Beiträgen, u.a. von She She Pop und Rosana Cade wird
die Konferenz durch ein Filmprogramm bereichert. Mit »Young Burning Issues« gibt es zum
ersten Mal ein Forum, das in Kooperation mit der HFBK und der HFMT von Kulturschaffen-
den in Ausbildung bzw. Berufsanfänger*innen gestaltet wird, um auch die Themen junger
Kulturschaffende sichtbar zu machen. Das Herzstück der Konferenz ist der »Markt der Mög-
lichkeiten«: Hier präsentieren sich politisch aktive Verbände und Interessensvertreter*innen,
die sich für einen umfassenden Strukturwandel stark machen. This is a call to action, Baby.
Machen ist nämlich wie wollen. Nur krasser!

Mit Keynotes von Tucké Royale, Monika Gintersdorfer, Julia Wissert, Dr. Natasha A. Kelly,
Dorris Dörrie, u.v.m.
Fr-30.10. bis So-01.11. / mehrere Hallen

SHE SHE POP

HEXPLOITATION
[Koproduktion]
Kaum ein weiteres Kollektiv hat die Performancelandschaft in Deutschland nachhaltig so
stark geprägt wie die inzwischen längst über die Landesgrenzen erfolgreiche, vorwiegend
weibliche Gruppe She She Pop. Ihre Arbeiten wurden über die Jahre vielfach ausgezeichnet:
2019 wurden sie mit ORATORIUM bereits zum zweiten Mal mit einer Kampnagel-
Koproduktion zum Berliner Theatertreffen eingeladen. 2020 werden die Mitglieder von She
She Pop alle um die 50 sein. Und so beschäftigen sie sich in Hexploitation mit der Angst vor
der alten Frau. Die Performerinnen setzen ihre alternden Körper ein und kämpfen mit ihnen
gegen das Verschwinden und den Bedeutungsverlust jenseits der Gebärfähigkeit. Dazu sperren
sie sich und ihr Publikum in ein Film-Set, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Live-Kamera
dient ihnen als intimes Untersuchungsinstrument. Als alternde Horrorfilm-Diven werden
eigene verstörende Makel und Obsessionen erforscht, Tabus nachgespürt undtradierte
Hexendarstellungen untersucht. Dabei dient die Kamera als Zauberkasten, durch den sich der

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eigene Körper transzendieren lässt, um mit melodramatischem Ekel und komischer Lust
immer neue befreiende Selbstbilder zu schaffen.

Fr-30.10. und Sa-31.10. / 20:30, So-1.11. / k2

ROSANA CADE

MY BIG SISTER TAUGHT ME THIS LAPDANCE
[Gastspiel]
»Spreize die Beine. Hände an die Seite. Nicht anfassen.« Im Rotlicht einer kleinen Box
performt Künstler*in Rosana Cade den Lapdance, der für seine*ihre ältere Schwester früher
professioneller Alltag war. Wie betrachten wir den nackten Körper? Wie denken wir über ihn in
unterschiedlichen Kontexten? Im intimen Eins-zu-eins-Austausch mit den Zuschauer*innen
manipuliert Rosana unseren Blick und enthüllt durch Interviewausschnitte den feministischen
Dialog zwischen den Geschwistern.

Fr-30.10. bis So-1.11 / k31

NOVEMBER
14. HAMBURGER KRIMIFESTIVAL 2020
[Kooperation]

Liebhaber*innen der spannungsreichen Lektüre bekommen im Herbst 2020 wieder die
Gelegenheit, ein hochkarätiges Abendprogramm mit Lesungen der interessantesten nationalen
und internationalen Krimiautor*innen auf Kampnagel zu genießen.
Di-03.11. bis Sa-07.11. / mehrere Hallen

NEW NEIGHBOURS EVENT
[Eigenproduktion]

Diese Veranstaltung präsentiert Dokumentationen und andere Community-Medien-Formate,
um eine Debatte anzuregen, die die positiven sozialen und wirtschaftlichen Beiträge von
Migranten und Flüchtlingen in Europa zum Vorschein bringt. Es werden Stereotypen in Frage
gestellt, Stimmen von Migrant*innen in den Fokus der Diskussionen über Migration gesetzt
und innovative Nachrichten geliefert, um die Integration von Migranten in lokale
Gemeinschaften zu fördern. Die Veranstaltung wird Vertreter*innen der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten, Akteure der Gemeinschaftsmedien, EU-Büros, Organisationen der
Zivilgesellschaft, Vertreter von Migrantengruppen und lokale Behörden zusammenbringen.
Nach der Präsentation des europäischen Projektes werden einige Episoden von NEW
NEIGHBOURS gestreamt und anschließend in einer Diskussionsrunde reflektiert.

Sa-14.11 / p1

                                                                                          17
ÜBERJAZZ – FESTIVAL 2020
[Kooperation]

Die diesjährige Ausgabe des ÜBERJAZZ FESTIVALS präsentiert wieder Musiker*innen, die
ihre Wurzeln im Jazz haben – aber weit darüber hinaus spielen. Große internationale Namen,
Musiker*innen aus der Hamburger Szene und exzentrische Genre-Überschreiter*innen zeigen,
dass Jazz ebenso vielfältig wie performativ aufregend sein kann.

Mi-12.11. bis Sa-14.11. / k6

AUSSTELLUNG UND SYMPOSIUM

KEIN »EINZELFALL« – RECHTSRADIKALE REALITÄTEN IN DEUTSCHLAND
[Kooperation]

Neun Jahre nach der Selbstenttarnung des so genannten NSU wird die Gefahr rechter und
rassistischer Gewalt in Deutschland weiterhin wenig ernst genommen. Extremrechte
Strukturen durchziehen Justiz, Verfassungsschutz, Polizei und Bundeswehr. In allen
Parlamenten ist eine völkisch-nationalistische Partei vertreten, die personelle und
ideologische Überschneidungen mit der gewaltbereiten extrem rechten Szene hat und ihr
einen diskursiven Boden bereitet. Die Namen der NSU-Opfer sind ebenso wenig ein Teil der
bundesrepublikanischen Erinnerungskultur geworden wie diejenigen der Opfer aus
Eberswalde, Dessau, Lübeck, Duisburg, Solingen, Mölln, München, Halle, Hanau – oder all
der anderen Tatorte rassistischer Morde in Deutschland. In rechten Kreisen kursieren Listen
mit den Namen politischer Gegner*innen, die, wie im Fall des Kassler Regierungspräsidenten
Walter Lübcke, auch abgearbeitet werden. Es gibt im Schnitt jeden Tag mehrere gewalttätige
Übergriffe auf Geflüchtete und Wohnungslose, rassistische, homophobe, transphobe sowie
antisemitische Angriffe auf deutschen Straßen, in deutschen Städten.

Auch Hamburg eine lange Geschichte rechtsradikaler Gewalt: Von den bei rassistischen
Brandanschlägen getöteten Geflüchteten Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân in Billbrook, der
rassistisch motivierten Ermordung Ramazan Avcıs und Mehmet Kaymakçıs, dem von
rassistischen Erfahrungen ausgelösten Selbstmord Semra Ertans, der Ermordung Kolong
Jambas, bis zu dem NSU-Mord an Süleyman Taşköprü wurde Hamburg einer der zentralen
Tatorte rechtsextremer Verbrechen in der Bundesrepublik. Zu diesem Bild gehören auch die
Tode von Achidi John, Yaya Jabbi und William Tonou-Mbobda, die sich in institutioneller
Obhut befanden und dort unter übermäßiger Gewaltanwendung starben. Die Markierung und
Sichtbarmachung Hamburgs als einen zentralen Tatort rechtsextremer, rassistischer
Gewaltakte und Terrors ist deshalb dringend notwendig.

Von November 2020 bis Februar 2021 wird im großen Kampnagel-Foyer eine Ausstellung von
Videoarbeiten und Rauminstallationen zu sehen sein, die das Thema dem Laufpublikum auch
anderer Veranstaltungen nahebringen soll. Die Ausstellung wird mit einer Vernissage und
einem Vortrag eröffnet, und mit einem zweitägigen Symposium auf Kampnagel im Februar
abgeschlossen. Über die Zeit der Ausstellung hinweg zeigt das Metropolis Kino eine
thematisch passende Filmreihe.

Eine Kooperation von Kampnagel, Metropolis und heinrich-Böll-Stiftung Hamburg, kuratiert
von Jens Geiger
Mi-18.11. bis So-09.02. / mehrere Hallen
                                                                                           18
HIP HOP ACADEMY

GALA DER HIP HOP ACADEMY HAMBURG
[Kooperation]
Streetstyle trifft auf Glamour! Bereits zum neunten Mal veranstaltet die HipHop Academy ihre
große GALA auf Kampnagel, bei der die gesamte Bandbreite ihres künstlerischen Schaffens
präsentiert wird. Rund 100 junge Künstler*innen und Nachwuchstalente der HipHop
Academy zeigen in sieben Kunstsparten der HipHop-Kultur ihr Können. Von den Talenten der
Level 1-3 bis zum Profi-Ensemble sind alle Facetten vertreten: Beatboxer, Rapper, Producer,
Newstyle-Tänzer*innen, Breakdancer, Sänger*innen und Graffiti-Artists zeigen, was sie im
Repertoire haben. Zusätzlich sorgen weitere Gäste der Academy für Begeisterung. Alle
musikalischen Beiträge werden von der großartigen HipHop Academy Hausband »Academy
Allstars« live begleitet.

Fr-20.11. bis So-22.11. / k6

NDR BIGBAND

MUSIC FOR PERCUSSION QUARTETT AND BIG BAND
[Kooperation]

Für das alljährliche Konzert NDR Bigband auf Kampnagel hat sich Schlagzeuger und
Komponist John Hollenbeck etwas Besonderes ausgedacht: Musik für ein Schlagzeug-Quartett
und die Bläser der NDR Bigband.

Mi-25.11. / k6

FRANCK EDMOND YAO

DAS SANDWICH SYNDROM – PRIS EN SANDWICH ENTRE DEUX
CONTINENTS / TEIL II
[Eigenproduktion, Uraufführung, COVID19-bedingter Nachholtermin]
Zwischen zwei Kontinenten zu leben ist nicht nur anstrengend, sondern eine Zerreißprobe.
Das tänzerische Diskursformat SANDWICH SYNDROM transformiert diese Erfahrung in eine
vierteilige Serie: Der ivorische Performer und Choreograf Franck Edmond Yao (bekannt aus
Gintersdorfer/Klaßen und La Fleur) alias Gadoukou la Star lädt über die Spielzeit hinweg
Gäste mit Alltagsexpertise dazu ein, kontroverse Themen rund um die Identität zwischen dem
europäischen und dem afrikanischen Kontinent durchzukneten. Es werden Erfahrungen
geteilt, Standpunkte verteidigt, Schlüsse gezogen und hitzig diskutiert – eine postkoloniale,
praxisnahe Analyse. Nach einem feurigen Aufschlag im Oktober 2019, bei dem die Befreiung
von Stereotypen und das Leben in Deutschland mit angezogener Temperamentbremse
debattiert und getanzt wurden, geht es diesmal um das Jonglieren zwischen deutschem
Bürokratie-Stress und fordernden Fernbeziehungen, sowie um die schwierige Positionierung
als Aktivist*in im Klammergriff europäischer wie afrikanischer Politiker-Kampagnen. Die
aufgeladene Stimmung wird im zweiten Teil des Abends auf die Körper umgeleitet: Wir tanzen
den ivorischen Coupé-Décalé, der sagt: »Nicht das Leben frisst mich, ich fresse das Leben«;
und den ivorischen Zouglou, der politischen Ausdruck im Kontext eines
Studentenwiderstandes als körperliche Praxis etablierte.
                                                                                          19
Die verschiedenen Tänze werden als Ventile benutzt, um die geteilten Positionen zu verdauen
und sich aus fremdbestimmten Bildern und Machtgefügen zu befreien.

Fr-27.11. und Sa-28.11. / k1

METAGARTEN / HELFERSYNDROM, HAMBURG/FRANKFURT

KLIMAPARLAMENT DER WESEN UND UNWESEN
[Uraufführung]
Klima? Wandel? Artensterben? In den Nachrichten geht es momentan vor allem um die
COVID-19-Pandemie und darum, wie sie sich auf die Wirtschaft auswirkt. Dabei zeigt gerade
die aktuelle Pandemie deutlich, dass es außer den Menschen viele andere Wesen gibt, die das
Sagen haben können, auch wenn die Menschen sie kaum verstehen. Mit welchem Recht
bestimmen die Menschen über den Planeten, obwohl die Menschheit nur 0,01% der
Biomasse der Erde ausmacht? Wenn sämtliche Wesenheiten Hamburgs – Bäume, Möwen,
Elbe, Wasserschierling; aber auch menschengemachte Akteure wie Brücken, Cum-Ex-
Geschäfte, HVV-Fähre, Tanzende Türme – in einem exemplarischen Klimaparlament
zusammenkommen: Welche Konflikte und Koalitionen offenbaren sich? Das Künstler*innen-
Duo Amelie Hensel und Steffen Popp gründet das KLIMAPARLAMENT SÄMTLICHER WESEN
UND UNWESEN – als einen Ort, an dem alle wirkmächtigen Wesen der Erde mitsprechen
können. Die Künstler*innen haben drei Monate lang menschliche Botschafter*innen gesucht,
die nun mit Unterstützung professioneller Ton-Dolmetscher und Live-Streamer die Appelle
nicht-menschlicher Wesen zu Gehör bringen werden. Wer ist dem heterotopischen Ruf
gefolgt? Und: Wird sich eine Mehrheit für die Erde zusammenraufen? Als erster Projekt-
Aufschlag auf Kampnagel findet am 16. Oktober eine performative Pressekonferenz für alle
Interessierten (nicht nur Medien) statt, wo Sie sich über das zukünftige KLIMAPARLAMENT
SÄMTLICHER WESEN UND UNWESEN informieren können.

Do-26.11. bis Sa-28.11. / k1

DEZEMBER
PERFORMATIVER WEIHNACHTSMARKT
Die Kampnagel-Piazza wird unter Mithilfe von lokalen Künstler*innen zum temporären
Weihnachtsmarkt transformiert. Dieses neue und experimentelle Format ist eine performative
Überschreibung des klassischen Weihnachtsmarktes, dessen Beliebtheit trotz lauwarmem
Glühwein, überteuertem Essen und kitschigen Holzschnitzereien nicht einbricht. Hamburger
Künstler*innen interpretieren auf ihre Art und Methodik den Klassiker der Open-Air-
Unterhaltung. Das neue Format bringt die lokale Szene und deren performative Praktiken
aus sehr unterschiedlichen Richtungen miteinander in Verbindung und bietet einen
unterhaltsamen Einblick in die Vielfalt der Performance-Art. Für diesen Anlass steht die
gesamte Kampnagel-Piazza zum Entdecken, Erobern und Ausprobieren zur Verfügung.
Die Bandbreite des Programms erstreckt sich von Live-Performance, Musik, Videoarbeiten
und Interventionen.
Do-10.12. bis So-13.12. / Piazza
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