Hamburgs Weg in die Zukunft: bezahlbarer Wohnraum, grünes Umfeld
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Zeitschrift des Mietervereins zu Hamburg von 1890 r. V. · Landesverband im Deutschen Mieterbund · C 11622 F Ausgabe 2/2021 Hamburgs Weg in die Zukunft: bezahlbarer Wohnraum, Balsam grünes Umfeld, für emissionsarme die Seele Mobilität Haustiere werden immer beliebter Stadtteil-Rundgang: Jenfeld Mobilität: Fußgänger fordern mehr Platz Lehrstück für Spekulation: Holsten-Areal in Altona
Inhalt Mieterverein aktuell 3 Editorial 4 Mitarbeiter stellen sich vor: Editorial unser Reinigungsteam; Leserbrief 5 hamburger bauhefte (6): Elbinsel Kaltehofe; Wussten Sie ... Liebe Mitglieder, liebe Leserinnen Leben in Hamburg und Leser, 6 Titelstory: Hamburgs Weg in die Zukunft: bezahlbarer Wohnraum und bei der alles überlagernden Coro- Die Untersuchung zeigt aber auch, mehr Grünflächen na-Pandemie scheint es endlich Licht dass die Neuvertragsmieten nach wie 9 Interview zum Titelthema mit am Ende des Tunnels zu geben. Schön vor um mehr als 50 Prozent über der Dr. Jörg Schilling, Kunsthistoriker wäre es, wenn dies auch für den Woh- Durchschnittsmiete des Hamburger Mie- 10 „Stadtteil-Rundgang“ (17): Jenfeld nungsmarkt in Hamburg gelten könnte. tenspiegels von 8,66 Euro liegen. Schon 12 Die Wandlung der „Fuhle“ in Barmbek dieses Faktum zeigt, dass die bisherigen 13 Serie: Aus Hamburgs Vergangenheit (5): Hilfreich war es immerhin, dass sich Regelungen zur Begrenzung der Mieten Gründung des Hamburger der Hamburger Senat nicht dazu verlei- die beabsichtigte Wirkung mangels Sank- Tierschutzvereins ten ließ, „juristisches tionen nicht erzielen. 14 Veddel im Umbruch Neuland“ zu betreten Leichter Mietenrückgang Auch die Auswertung 15 Nach den Radlern machen und den Berliner Mie- durch die der Online-Checks die Fußgänger mobil tendeckel auch für die Corona-Pandemie des Mietervereins Mietrecht Hansestadt zu erlassen. zu Hamburg belegen Spätestens seitdem das Berliner Mieten- das. In 90 Prozent der untersuchten Fälle 16 Hamburger Urteile deckel-Gesetz vom Bundesverfassungs- war der Verdacht eines Verstoßes gegen 19 Beitrittserklärung gericht für nichtig erklärt wurde, hat sich die Mietpreisbremse anzunehmen. Es 21 Wie würden Sie entscheiden: die Zurückhaltung des Mietervereins ist eine Illusion zu glauben, dass ohne Kleinreparaturen zu Hamburg in dieser Frage als richtig eine längst überfällige stärkere Regu- 22 BGH-Urteile, Folge 72 erwiesen. Hamburger Mieterhaushalte lierung des Mietpreisrechts durch den müssen sich deshalb auch keine Sorgen Bund der Anstieg der Mieten gestoppt Politik & Wohnen machen, wie sie die einbehaltenen Mie- werden kann. 24 Housing Action Day; ten nachzahlen oder ob der am Ende Ini Kleiner Schäferkamp dieses Jahres erscheinende qualifizierte Für den Hamburger Wohnungsmarkt 25 Lehrstück für Spekulation: Mietenspiegel von allen beteiligten Inte- gibt es deshalb keinen Grund für Entwar- Holsten-Areal in Altona ressenvertretern mitgetragen wird. nung. Sobald die Pandemie überwunden 26 Neuregelung der Grundsteuer ist, wird der starke Bevölkerungszuzug 27 Serie „Behördliche Dienststellen“ (4): Leider sorgt die Entwicklung auf dem erneut einsetzen und der Wohnungs- Datenschutz und Videoüberwachung Wohnungsmarkt in Hamburg nicht für markt noch enger. Der Senat sollte sich das ersehnte Licht am Ende des Tun- insbesondere von den laut artikulierten Vermischtes nels. Daran ändert auch die alljährliche Stimmen der mit Wohnraum meist gut 28 Porträt: Anna Joss, Untersuchung des Gymnasiums Ohmoor versorgten Umweltschützer davon nicht Chefin des Denkmalschutzamts nichts, die Neuver- abhalten lassen, am 29 Buchtipp: Blühendes Hamburg; tragsmieten von aktu- Wohnungsneubau Kündigungskalender; Checkliste: ell 13,40 Euro ermit- Bund muss festzuhalten. Nach- Wohnungsbesichtigung; Zahl telt hat. Es steht außer Mietenanstieg justiert werden muss 30 Buchtipp: Reformwohnungsbau Frage, dass der geringe stoppen allerdings bei dem der 1920er-Jahre; Bilderrätsel Rückgang der Neuvertragsmieten um Anteil der geförderten Wohnungen. 31 Miete-Witz; Rätsel; Impressum 0,05 Euro gegenüber dem Vorjahr auch Hamburg als Stadtstaat benötigt bei dem mit der hohen Zahl der neu gebauten knappen Bauland für breite Bevölke- Wohnungen korrespondiert. Die vorü- rungsschichten vor allem bezahlbaren bergehende Atempause für Hamburgs Wohnraum und nicht teure Eigentums- Mieterinnen und Mieter dürfte aber vor wohnungen, die für die meisten Mieterin- allem auf die Corona-Pandemie und nen und Mieter unerschwinglich bleiben. das schwindende Zahlungsvermögen Titelbild der Wohnungsinteressenten zurück- Ihr Siegmund Chychla Hamburgs Weg in die Zukunft: zuführen sein. Vorsitzender MIETERVEREIN ZU HAMBURG bezahlbarer Wohnraum, grünes Umfeld, emissionsarme Mobilität Foto: IStock, Montage: Scheerer MieterJournal 2/2021 · 3
Mieterverein aktuell Leserbrief Richtigstellung Sehr geehrtes MieterJournal-Team, leider haben sich in den ansonsten sehr netten und Foto: stahlpress engagierten Bericht in Ihrer März-Ausgabe 2021 „Tee, Treppen und Touristen“ über unseren Spa- ziergang durch Blankenese zwei gravierende Miss- verständnisse eingeschlichen, auf die ich immer wieder angesprochen werde. Ich bitte deshalb um Richtigstellung Ihrer Angaben über die Fährverbin- dung auf die andere Elbseite und darüber, dass ich nicht in der Hans-Lange-Straße aufgewachsen bin. Herzliche Grüße In der Zentrale und den elf Außenstellen des Mi zu Hamburg arbeiten run etervereins d 70 Kolleginnen und Ko Monika Lühmann Im MieterJournal erzäh llegen. len sie von sich und ihr em Job. Antwort des Mietervereins: (vs) Sie sorgen dafür, das s in den Büro-, Tagungs- blitzt und blinkt – die fest und Sanitärräumen des Mie angestellten Reinigungskrä tervereins alles Sehr geehrte Frau Lühmann, und Barbara Potrykus (Fo fte Kasia Suchacka, Chr to von links). Alle drei stam istina Lebuda münde), Gizycko (Lötzen men aus Polen – Swi ´ noujsci ´ e (Swine- ) und Sopot (Zoppot) – und ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, mit Ihren Jahren in Deutschland. Kas leben seit 17, 45 bezieh ia Suchacka ist seit drei Jahr ung sweise 30 einmaligen Orts- und Geschichtskenntnissen fest angestellt, ihre beide en bei Hamburgs größtem Kolleginnen sogar schon Mieterverein den Lesern und Leserinnen des MieterJournals Wenn in der Zentrale Bei seit mehr als einem Viertel m Strohhause 20 um 8.3 jahrhundert. 0 Uhr die Türen für den Publiku das schöne Blankenese näher zu bringen. Die geöffnet werden, dann sind die drei Damen woc msverkehr hentags bereits seit dre missverständlichen Angaben im Beitrag (Seiten in ihrem Einsatz, der um 12 Uhr endet. An der Elb iein hal b Stunden metropole schätzt das stet 10 und 11) sind durch redaktionelle Kürzungen Trio die „Toleranz und Kul tur der Menschen“, die s gut gelaunte „Ordnung“ und das Elb entstanden, wofür ich um Entschuldigung bitten Sandstrand. Der sei zwa r nicht ganz so schön wie ufer mit seinem sei Hamburgs schönster in den polnischen Ostseestäd muss. Ich erlaube mir, Sie wie folgt zu zitieren: Stadtteil – Blankenese – ten, dafür Als Hobbys nennen sie Stri aber nicht zu toppen, sind „Die Fähre auf die andere Elbseite nach Cranz cken (Christina Lebuda), sie sich einig. Suchacka) und Schwim mit dem VW Beetle herum oder Finkenwerder gibt es natürlich immer noch. men (Barbara Potrykus) kurven (Kasia Leidenschaft für Kriminal . Die drei Kolleginnen teil Eingestellt wurde die von uns Elbanrainern heiß literatur von Agatha Chr en nicht nur ihre diesen Fragebogen auch istie bis zum Schwedenk erkämpfte Privat-Linie der Flensburger Reederei unbedingt gemeinsam aus rim i – sie wollten FRS, die drei Jahre versucht hat, eine Verbin- füllen! Was lieben Sie an Ihrem dung von Blankenese zu den Landungsbrücken Job beim Mieterverein? Uns gefällt vor allem die zu etablieren. Leider umsonst. Sie wurde aus familiäre Atmosphäre, die bei unserem Arbeitgebe Kostengründen nach drei Jahren eingestellt.“ Wie sieht Ihre ideale Frü r herrscht! hstückspause aus? Und weiter: „Ich bin nicht in Blankenese auf- Die verbringen wir gerne in netter Gesellschaft, am liebsten mit unseren Kol gewachsen, sondern meine Kinder haben ihre In Ihren Kühlschränken leginnen. findet sich immer … Kindheit in der Hans-Lange Straße verbracht.“ Kokosmilch, Joghurt, Käs e. Welcher Ort gefällt Ihn Mit freundlichen Grüßen en am meisten? In Hamburg die Landun gsbrücken und der Stadtte il Blankenese. Siegmund Chychla, Vorsitzender Was lässt Ihre Herzen hö her schlagen? Schnelles Auto- und Mo torradfahren, schöne Gär Haben Sie Fragen oder möchten Sie Anregungen ten und die gute Luft in Hamburg. oder Kritik äußern? Dann schreiben Sie uns! Was ist das Wichtigste für Sie? Per E-Mail an info@mieterverein-hamburg.de, Familie, Gesundheit und Seelenfrieden. Betreff: Leserbrief, per Post an Mieterverein zu Hamburg, Beim Strohhause 20, 20097 Hamburg. Sprechstunde des Vorstands Wann? Die Sprechstunde Wo? eim Strohhause 20, B findet an jedem ersten 5. Stock, 20097 Hamburg Montag im Monat statt. Aus organisatorischen Gründen Foto: Scheerer Wie? Nächste Termine: wird um vorherige Anmeldung 5. Juli, 2. August, 6. September gebeten: Tel. (040) 8 79 79-132 Marielle Eifler und Siegmund Chychla, Vorsitzende des Mietervereins 4 · MieterJournal 2/2021
Mieterverein aktuell Meldungen Wussten Sie ... MIETERHAUSHALTE MIT zu fünfzehn Wohnungen davon ausge- … dass die Krameramtsstuben TRANSFERLEISTUNGSBEZUG nommen sein sollen. Kommunen, die die ältesten noch erhaltenen SPAREN 115.000 EURO bezahlbaren Wohnraum schaffen oder Wohnbauten der Hamburger erhalten wollen, sollen zukünftig bei Alt- und Neustadt sind? (chy) Auch im Jahr 2020 hat der Mie- der Ausübung des Vorkaufsrechts nicht terverein zu Hamburg dafür gesorgt, mehr den zum Teil spekulativ hohen (rs) Am Fuß des Michels liegt dass Hamburger Mieterhaushalte, die Kaufpreis, sondern allenfalls den Ver- der Krayenkamp. 1675 beschloss das Transferleistungen beziehen, unberech- kehrswert zahlen müssen. Durch den Krameramt, dort für notleidende Amts- tigte Vermieterforderungen abwehren sogenannten sektoralen Bebauungs- schwestern und -witwen Unterkünfte zu konnten und dadurch der Stadt rund plan soll es den Kommunen schließ- bauen. Das Krameramt war der seit etwa 115.000 Euro eingespart haben. Im lich ermöglicht werden, den Anteil an 1375 existierende Zusammenschluss von Durchschnitt konnten die 1.053 betrof- geförderten Wohnungen verbindlich Kleinhändlern, die feste Stände oder Läden fenen Mieterinnen und Mieter 110 Euro festzulegen. Auch wenn vieles von den besaßen. Die Berufsorganisation der Kra- pro Fall einbehalten. ursprünglich eingebrachten Gesetzes mer oder auch Krämer war recht wohlha- änderungen auf der Strecke geblieben bend. Gehandelt wurde mit Gewürzen, Die durch den Mieterverein zu Hamburg ist, sollte der Hamburger Senat nicht Seidenstoffen und Eisenwaren. Starb der 2003 angestoßene Kooperation mit der zögern, im Verordnungswege die neuen Ehemann, mussten die Witwen den Laden Behörde für Arbeit, Soziales, Familie städtebaulichen Instrumente auf den verkaufen oder verlassen, weil Frauen nach und Integration (BASFI) ermöglicht den Weg zu bringen. dem damaligen Recht nicht geschäftsfähig Beziehern von Transferleistungen, neben waren. Um sie vor Armut zu bewahren, der juristischen auch die tatsächliche MIETERVEREIN ZU HAMBURG WEITER sollten Wohnungen für zehn Witwen Foto: Wikipedia Hilfe des Vereins in Mietangelegenhei- AUF WACHSTUMSKURS entstehen. Die Dachgeschosse wurden ten in Anspruch zu nehmen. zusätzlich ausgebaut, sodass dort je zwei (chy) Die Sorgen um die eigene Wohnung Frauen einziehen konnten. Die Witwen BAULANDMOBILISIERUNGSGESETZ und der sich daraus ergebende Bera- lebten mietfrei und erhielten eine kleine VERABSCHIEDET tungsbedarf der Mieterinnen und Mieter Rente. 1866 löste sich das Krameramt in Hamburg hält weiter ungebrochen an. auf, die Wohnungen wurden auf die (chy) Kurz vor dem Ende der Wahl- Dies spiegelt sich auch darin wider, dass Allgemeine Armenanstalt über- periode haben sich die Koalitionäre trotz der durch die Corona-Pandemie tragen und bis 1969 genutzt. Von aus CDU/CSU und SPD in Berlin doch erschwerten Inanspruchnahme der Hilfe- 1971 bis 1974 wurde die Anlage noch auf eine Reform des Baugesetz- und Beratungsangebote des Vereins renoviert, eine Wohnung buchs geeinigt. Vorgesehen ist nun, durch die Ratsuchenden die Zahl der im blieb als Außenstelle dass Bundesländer mit angespannten Mieterverein zu Hamburg organisierten des Museums für Wohnungsmärkten und somit auch der Mieterhaushalte im vergangenen Jahr Hamburgische Stadtstaat Hamburg die Umwandlung um mehr als zwei Prozent gestiegen ist. Geschichte mit in Wohnungseigentum bis auf einige 2020 ist der Verein damit auf fast 73.000 einer Bieder- Foto: Pixabay Ausnahmen verbieten können. Es bleibt Mitgliederhaushalte gewachsen, sodass meier-Einrich- den Ländern überlassen, festzulegen, in ihm mehr als 110.000 Mieterinnen und tung (um 1850) ob Mietshäuser schon bei drei oder bis Mieter organisiert waren. erhalten. hamburger bauhefte (6): Wasserkunst als historisches Erbe (vs) 1893 entstand auf der Elbinsel Kaltehofe schen – wie die gesamte Anlage – unter Denkmalschutz steht. Denn das erste moderne Filtrationswerk der Han- weil auch Hamburg mittlerweile seit Jahrzehnten zur Versorgung lieber sestadt, das die Hamburger mit sauberem Grundwasser schöpft, als die Elbe anzupumpen, wurde der Filtrations- Trinkwasser versorgte. Der eingesetzte Sand betrieb auf Kaltehofe 1990 eingestellt. Statt die 58 Hektar große Insel lagerte mindestens 97 zu bebauen, wurde 2011 der Betrieb Prozent der Schadstoffe aus dem Elbwasser als Industriedenkmal aufgenommen. ab – nach der Cholera-Epidemie im Jahr zuvor Die Wasserkunst sollte als historisches ein überfälliger Schritt für die Metropole. In Erbe in Hamburg erhalten bleiben – der Nachbarschaft stand bereits seit 1848 ein zumal das Versorgungsunternehmen Wasserturm als Basis für ein Leitungsnetz, Hamburg Wasser im benachbarten das Wasserträger wie das Hamburger Original Rothenburgsort residiert, wie auch der Johann Wilhelm Bentz alias Hans Hummel erhaltene, aber leider nicht begehbare arbeitslos gemacht hatte. Während in 22 Becken 64 Meter hohe Wasserturm von 1848. das kostbare Nass gereinigt wurde, baute das Hamburger Hygieneinstitut nach den Plänen des Eva Decker, Jörg Schilling: Speicherstadt-Ingenieurs Franz Andreas Meyer Wasserkunst Elbinsel Kaltehofe, hamburger bauheft 15, Schaff-Verlag, nebenan eine Villa als Außenstelle, die inzwi- Hamburg, 44 Seiten, 9 Euro MieterJournal 2/2021 · 5
Leben in Hamburg „Hamburger Maß“ statt Hochhaus Hamburgs Weg in die Zukunft: bezahlbarer Wohnraum, grünes Umfeld, emissionsarme Mobilität Von Volker Stahl all ihrer Urbanität, den vielen Angeboten • Grün- und Erholungsräume ausbauen! und den kurzen Wegen. Dies trifft auch auf Gerade die Pandemie hat die Bedeutung Hamburg steht vor einem Transforma- Hamburg zu. Die Pandemie-Krise zeigte nun innerstädtischer Grünflächen verdeutlicht. tionsprozess. Binnen eines knappen allerdings auch Probleme und Entwicklungen Von der Vergrößerung von Parks, Grün- Jahrzehnts wird die Stadt – allerdings auf, die schon vorher vorhanden waren, nun und Erholungsräumen würden Spaziergän- mit etwas abgeschwächter Dynamik als jedoch verschärft und verstärkt werden.“ ger, spielende Kinder, Sporttreibende und zuletzt – auf 1,9 Millionen Einwohner Durch die Pandemie erodiere die aus der Hundebesitzer enorm profitieren. Grünanla- wachsen, zudem beschleunigt die Corona- Zeit der Industrialisierung stammende, auf- gen sollten aber nicht weiter mit ökologisch Pandemie Entwicklungsprozesse wie den grund der Digitalisierung immer weniger wertlosen Hecken und Büschen bepflanzt Umbau der City. Auch das Wohnen wird notwendige Verbindung von Arbeitsplatz werden, die keinen Nutzen für die Tierwelt sich verändern – wenn der Trend zum und Ballungsraum rascher. Die Stadt müsse und die Stadtbewohner haben. Zudem wür- Homeoffice von Dauer ist. Als erste In- auf den Transformationsprozess reagieren den zu begrünende Dächer und Balkone stitution hat die Hamburgische Architek- und Lösungen anbieten, meinen die Verfasser einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. tenkammer auf die aktuelle Entwicklung des Thesenpapiers. mit einem Thesenpapier reagiert. Doch • Verkehr in die Stadt integrieren! In der genauso wichtig wie Innovationen ist das Die wichtigsten Punkte Pandemie haben viele Menschen den ÖPNV weitere Vorantreiben des Wohnungsbaus. des Positionspapiers: gemieden und sind wieder aufs Auto umge- • Die Innenstadt neu denken! Die Krise stiegen, was auch der mangelhaften Qualität In diesem Punkt sind sich wohl alle einig: des Einzelhandels birgt besondere Chancen des Fuß- und Fahrradwegenetzes geschuldet Die Corona-Pandemie wird nicht ohne Fol- auf Veränderung. Ehemalige Ladenflächen war. Deshalb empfiehlt die Architekten gen für unser Zusammenleben, die Arbeit, könnten für das Wohnen umgenutzt wer- kammer die Einrichtung von Pop-up-Rad- das Wohnen und die Stadtentwicklung blei- den, das Wohnen in der Innenstadt sollte wegen, den konsequenten Ausbau des Fuß- ben. Erste Trends sind bereits sichtbar: Kleine überhaupt forciert werden, auch die Ansie- und Radwegenetzes, den Ausbau des ÖPNV Läden verschwinden zunehmend, der Bedarf delung inhabergeführter Geschäfte statt gro- mit verbesserter Anbindung ans Umland, an Büroräumen wird geringer, die eigene ßer Ketten. Zudem sollten neue Konzepte Express-Stadtbahnlinien entlang der Magis- Wohnung oder das Haus mit Garten gewin- umgesetzt werden: Pop-up-Stores, gläserne tralen und ein Tempolimit von 30 Stunden- nen zunehmend an Bedeutung und Attrak- Manufakturen, digitale Produktion, inner- kilometern in der City. tivität – als Ausweicharbeitsplatz (Home- städtisches Handwerk sowie die offensive office) oder Erholungs- und Rückzugsort, in Nutzung des Vorkaufsrechts beim Verkauf • Wohnen vielfältiger machen! Der Pan- dem man es sich gemütlich macht, während von Gewerbeimmobilien durch die Stadt, um demie-bedingte Zwang zur Heimarbeit hat die Welt draußen verrückt spielt. Doch wie Transformationsprozesse steuern zu können. gezeigt, dass die Grundrisse vieler Wohnun- sollen Großstädte wie Hamburg auf den gen nicht zeitgemäß und unpraktikabel sind. sich abzeichnenden Transformationsprozess • Raum schaffen! Mehr Platz für Anwoh- Arbeitsecken und Balkone fehlen, die Kin- reagieren, welche Entwicklungen sollten ner und Passanten in engen Stadtquartieren derzimmer sind zu klein. Es hat sich zudem gefördert werden? durch breitere Fußwege zu Lasten gezeigt, dass monofunktionale Wohnquartiere bisher Autos gewidmeten wie reine Schlafstädte daran kranken, dass D i e Hambu rg i s che Verkehrsflächen und Einkaufsmöglichkeiten „um die Ecke“ ebenso Architektenkammer Parkräumen. Die fehlen wie zur Erholung oder für Sport und hat die Pandemie- neu geschaffe- Freizeit geeignete Orte. Zudem fehlt es oftmals bedingte nen Flächen an geeigneter Infrastruktur für die Arbeit von Schockstarre würden zum zu Hause. Deshalb empfiehlt die Architekten- üb er wun- Flanieren, kammer für die Zukunft den Bau flexibler den und sich Spielen oder Wohngebäude, in deren Erdgeschossen nicht mit einem Nachb ar- gewohnt wird, sondern sich Arbeitsräume Positionspa- schaftstref- und Werkstätten befinden. Die weiteren Vor- pier zu Wort fen einla- schläge lauten: abtrennbare Raumbereiche gemeldet: „Seit den und für das Arbeiten vorsehen, nutzungsneutrale, zwei Dekaden eigneten nicht zu kleine Räume planen, in Neubauten wachsen die sich auch für Belichtung und Belüftung von Wohnungen großen Städte für die immer zu mindestens zwei Seiten sorgen, kontinuierlich, Außengas Dach-, Hof- und Vorgärten sowie Balkone weil immer weni- tronomie. planen, die Nutzungsmischungen in Wohn- ger Menschen quartieren vorantreiben. hinaus- und immer Verschiedene Ideen für die Zukunft unserer mehr hineinziehen. Es war und Stadt müssen miteinander ver- Soweit das Ideen-Brainstorming der Archi- ist attraktiv, in der Stadt zu wohnen, mit zahnt und umgesetzt werden. tektenkammer. Doch von noch größerer Bildmontage: Scheerer 6 · MieterJournal 2/2021
Leben in Hamburg Wichtigkeit ist aktuell nicht, wie gebaut höchstens 1.600 Euro netto verfügt und mit Geschosswohnungsbau, die bisher wird, sondern dass überhaupt weiter gebaut fast jeder zweite Bewohner der Stadt einen städtebaulich unterentwickelt waren und wird. Das passiert zwar, aber noch reicht das Anspruch auf eine Sozialwohnung hat, nur eine ein- oder zweigeschossige Bebau- Bemühen des Senats nicht, die Nachfrage an ist das mehr als ein Horrorszenario. Laut ung ausweisen. Also nicht etwas verbieten, (bezahlbarem) Wohnraum zu decken. Ende Mieterverein fehlen in Hamburg derzeit wie zum Beispiel Einfamilienhäuser, son- 2019 gab es 966.164 Wohnungen in Ham- mindestens 30.000 bezahlbare Wohnungen, dern den Geschosswohnungsbau erlauben.“ burg. Seit 2011 wurden 106.234 Wohnein- vornehmlich für Obdachlose, anerkannte heiten genehmigt. Asylbewerber, kinderreiche Familien mit BUND kritisiert schmalem Einkommen und Geringver- „Bauwut“ des Senats Nachfrage an bezahlbarem diener. Doch manchem wird zu viel gebaut. So Wohnraum ist nicht gedeckt kritisierte die neue Landesvorsitzende des Doch das reicht immer noch nicht – auch Ziel: intelligent und BUND in Hamburg, Christiane Blömeke, das wenn immer mehr Familien ins Umland nachhaltig bauen Wohnungsbauprogramm des Senats scharf: abwandern, weil sie sich dort eine Woh- Ziel muss es sein, dass in Hamburg intel- „Natur- und Artenschutz dürfen nicht länger nung leisten können, die ihren Ansprüchen ligent und nachhaltig gebaut wird, ohne der Bauwut untergeordnet werden.“ 10.000 genügt. Hamburgs Erster Bürgermeister dass die Lebensqualität unter der Verdich- neue Wohnungen im Jahr seien in einem Peter Tschentscher hofft sogar, dass sich die tung leidet. Ideen dazu gibt es viele. „Mit Stadtstaat mit begrenzter Fläche „verant- Lage auf dem hiesigen Wohnungsmarkt bald aufgrund des Pandemie-bedingten Trends zum Homeoffice entspannen wird, frei nach dem Motto: Wer in seinem Eigenheim in Kaltenkirchen arbeitet, nimmt Druck vom Hamburger Wohnungsmarkt. Siegmund Chychla, Vorsitzender des Mietervereins zu Hamburg, ist diesbezüg- lich skeptisch: „Eine nachhaltige Entspan- nung des Wohnungsmarkts bringt nicht das mobile Arbeiten, sondern der Neubau von bezahlbaren Wohnungen und die wirksame Begrenzung der Bestandsmieten.“ Passiere dies nicht, würden zahlreiche Durchschnitts- verdiener aus Hamburg vertrieben, weil sie Hamburgs wohl bekanntestes Dachbegrünungsprojekt: grüner Bunker an der Feldstraße. sich die Mieten nicht mehr leisten könnten – vom Kauf einer Wohnung oder eines Hauses Blick auf den Wohnungsbau ist unsere Linie wortungslos“. Blömeke fordert deshalb einen ganz zu schweigen. Am Ende dieser Entwick- klar: Es geht vorrangig um die Nachver- „Kurswechsel“ im Wohnungsbau. lung würde eine Segregation der besonderen dichtung im Innenstadtbereich und nicht Art stehen, prognostiziert Chychla: „Dann auf der grünen Wiese“, lautet die Marsch- Chychla kontert: Es sei ein Schlag ins würden sich nur noch Gutverdiener und route des grünen Senators Anjes Tjarks: Gesicht der Mieter, wenn der BUND das Menschen, deren Unterkunftskosten vom „Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass bundesweit hoch angesehene Wohnungs- Jobcenter oder dem Grundsicherungsamt Hamburg mit dem Sprung über die Elbe bauprogramm des Senates als „Bauwut“ übernommen werden, Hamburg leisten auf den Grasbrook in der inneren Stadt diskreditiere und den Neubau von dringend können.“ Menschen in schlecht bezahlten wächst und dabei sogar Flächen in einem benötigten 10.000 Wohnungen im Jahr als Jobs, „kleine“ Angestellte, der Postbote und großen Umfang entsiegelt werden.“ Dieser verantwortungslos bezeichne: „Der Fron- die Krankenschwester, müssten „draußen“ Ansatz ist genauso begrüßenswert wie die talangriff auf den Wohnungsneubau wird bleiben. von Oberbaudirektor Franz-Josef Höing vor allem von all denjenigen befürwortet, vorangetriebene Blockrandbebauung der die bereits auskömmlich mit Wohnraum, Neue Stadtmauer durch Magistralen – wie sie zum Beispiel aktuell nicht selten in Baugemeinschaftsprojekten, zu hohe Mieten in Stellingen am Sportplatzring gegenüber versorgt sind.“ Vielen dürften zudem die Schreitet diese Entwicklung voran, wür- dem alten Stadion zu beobachten ist. Konsequenzen nicht klar sein, die mit einem den hohe Mieten und exorbitant hohe Preise radikalen Zurückfahren des Wohnungsbaus für Eigentumswohnungen und Häuser die Die Neuentwicklung der Stadt sollte verbunden wären, echauffiert sich der Chef Funktion der Stadtmauer im Mittelalter jedoch nicht nur entlang der Magistralen des Mietervereins, denn Wohnraumver- übernehmen. In Anbetracht der Tatsache, erfolgen, sondern müsse breiter gesehen knappung und die damit einhergehende dass ein Drittel der Hamburger Haushalte werden, meint Siegmund Chychla: „Dazu Preisexplosion der Mieten und Boden- über ein monatliches Einkommen von gehört das neue Überplanen von Flächen preise wären noch das kleinere Übel: „Viel MieterJournal 2/2021 · 7
Leben in Hamburg problematischer wären die sich daraus in Klimawoche platze die Hutschnur, wie er 30 Kilowatt installiert, sondern zur Freude letzter Konsequenz ergebenden Eingriffe kürzlich in einer TV-Diskussion sagte, wenn der heimischen Vogel- und Insektenwelt in den Wohnungsmarkt wie Zuzugsbegren- er durch die Stadt fahre und die geringe auch ein Gründach angelegt. zungen, Wohnortzuweisungen und Wohn- Anzahl Solaranlagen auf den Dächern sehe: raumzwangsbewirtschaftung.“ Man müsse „In Baden-Württemberg sind die auf 80 Pro- Mehr Flexibilität beim Bauen kein Prophet sein, um zu sagen, dass eine zent der Dächer.“ Schweikert tritt dafür ein, Doch nicht nur auf ökologische, sondern ungelöste Frage der Wohnraumversorgung dass nachhaltige Energie überall in der Stadt auch auf soziale Entwicklungen sollte beim zur Spaltung und Radikalisierung der Zivil- produziert wird – vor allem auf den Dächern: Wohnungsbau mehr geachtet werden, meint gesellschaft führen werde. „Solarenergie ist so günstig, warum tun wir es der Architekturkritiker Claas Gefroi: „Woh- nicht?“ Trotzdem finden sich auf den wenigs- nungen sind seit Jahrzehnten funktional Zwischen den Stühlen sitzt in Hamburg ten Hamburger Dächern Solarkollektoren. determiniert. Gerade während Corona, als die Oppositionspartei Die Linke, die einer- Schweikert hat ein Projekt ins Leben gerufen, viele Menschen im Lockdown zu Hause arbei- das Energiegewinnung und Dachbegrünung ten mussten, sind diese Defizite schonungslos Insgesamt wurden in Ham- miteinander verbindet. Es gehe dabei um aufgedeckt worden. Wir brauchen eine grö- burg zu wenig „riesige Flächen“, deren Konversion neben ßere Flexibilität, die eine Kombination von neue citynahe der Verbesserung der Luftqualität und des Wohnen und Arbeiten ermöglicht.“ Auch Wohneinheiten geschaffen. Stadtklimas weitere positive Folgen hätte: Larisa Tsvetkova von der TU Braunschweig So könnte die durch den Klimawandel zu verlangt eine „zeitgemäße, anpassungsfä- erwartende Zunahme von Starkregen-Er- hige Architektur“, konkret: „Die bauliche eignissen abgemildert werden. Vollgelau- Möglichkeit der Trennung von größeren fene Keller und damit verbundene Schäden Wohneinheiten in kleinere Wohnungen.“ ließen sich so verhindern: „Dächer können das abpuffern. Das kostet wenig und bringt „Hamburger Maß“ viel.“ Hilfreich wäre auch ein ökologischer statt Hochhaus Frontalangriff gegen die um sich greifende Oder noch höher hinaus? Stadtentwick- Verschotterung der Gärten und Versiege- lungssenatorin Dorothee Stapelfeldt orien- lung von Verkehrsinseln, Grünstreifen am tiert sich lieber am „Hamburger Maß“, das Straßenrand et cetera. sich an der gründerzeitlichen Bebauung in den citynahen Stadtteilen orientiert. Sprich: Auch Industriebauten begrünen mehr als sieben Geschosse sollten es nicht Bei der „Ökologisierung“ der Stadt sind sein. Hamburg ist traditionell keine Stadt der Fantasie keine Grenzen gesetzt. „Dächer der Hochbauten. Mehr als 50 Meter hohe seits den Wohnungsbau in großem Rahmen haben viele Funktionen“, sagt die Präsidentin Gebäude sind meist Bürohäuser wie das begrüßt, sich aber langsam Sorgen um den der Hamburgischen Architektenkammer, Columbus Haus oder Hotels. Reines Wohnen Flächenverbrauch macht. „Es werden zu Karin Loosen, und empfiehlt das Vorantrei- wird nur in rund 30 Hochhäusern angebo- viele teure und zu große Wohnungen auf ben von Projekten wie Gemüsegärten und ten – wie im 29 Etagen zählenden Munds- zu viel Fläche in Hamburg gebaut“, kritisiert Erholungsflächen auf der bisher sträflich burg Turm und im Marco-Polo-Tower ( 16 Linken-Stadtentwicklungspolitikerin Heike vernachlässigten „fünften Fassade“. So sollte Etagen) in der Hafencity. Auffällig ist, dass Sudmann. Kleingärten wie am Diekmoor Dachbegrünung nicht nur beim Wohnungs- Bürokolosse wie das erst 1981 fertig gestellte oder riesige Grünflächen wie in Oberbill- bau gefördert, sondern auch bei Industrie- Hermes-Hochhaus, das Iduna-Hochhaus werder seien kein Bauland, sondern Grün- bauten angedacht werden. Es gibt derzeit (1966-1995), die ehemalige zwölf Etagen und Erholungsflächen. Die Stadt solle lieber nur wenige Ausnahmen wie das vorbildliche zählende Oberpostdirektion in der City Nord Fotos/Illustrationen: Scheerer/Planungsbüro Bunker (1) bereits versiegelte Flächen für den Bau der Gründach auf dem Elbe Einkaufszentrum, (1976-2017) und das Hochhaus Am Hegen 10.000 jährlich angepeilten Wohnungen das auf dessen Website beworben wird: „Die in Rahlstedt (1963-2004) wieder abgerissen nutzen. Die Linke empfiehlt alternativ die Dachbegrünung dämmt im Winter und dient wurden. Nachhaltig ist das nicht gerade. Konversion großer Areale wie das der Ham- im Sommer als Hitzeschutz und trägt so als burg-Messe oder der Führungsakademie in natürliche Klimaanlage zu Energieeinspa- Umso erstaunlicher, dass die Stadt jetzt Blankenese. Tatsächlich könnte der Edelstadt- rungen bei. Gleichzeitig leisten die Pflanzen einem höchst umstrittenen Investor wie René teil mehr Sozialwohnungen als die bisher 48 einen Beitrag zu mehr Klimaschutz, indem Benko freie Hand gibt für sein Prestigepro- gut verkraften. sie CO2 und Feinstaub aus der Luft filtern jekt Elbtower, das auf 64 Stockwerken (!) und kleineren Centerbewohnern eine Hei- zahlreiche Büros enthalten soll, die nach Grüne Dächer, gutes Klima mat geben.“ Auch bei Sportvereinen ist die dem Ende der Corona-Pandemie womöglich Wie Hamburg trotz Neubaus gar grüner Zeit des Erwachens angebrochen. So hat niemand mehr brauchen wird. Fakt ist: Einen und klimafreundlicher wird, weiß Frank der Eimsbütteler TV auf seinem Neubau Königsweg in die Zukunft Hamburgs gibt Schweikert. Dem Vorstand der Deutschen am Lokstedter Steindamm nicht nur eine es nicht, aber das „Hamburger Maß“ bietet Meeresstiftung und Initiator der Hamburger Solaranlage mit einer Spitzenleistung von zumindest Orientierung. 8 · MieterJournal 2/2021
Leben in Hamburg Interview: Dr. Jörg Schilling, Kunsthistoriker „Parkhäuser zu Wohngebäuden“ Im Gespräch mit MJ-Redakteur Volker Stahl äußert sich der Kunsthistoriker und Architekturexperte Dr. Jörg Schilling zur Stadtentwicklung. Darin warnt er vor zu starkem Einfluss privater Investoren und „ungezügeltem Stadtwachstum“, das die Foto: stahlpress Lebensqualität der Hamburger einschränken würde. Klimawandel, Wohnungsmangel, Gentrifizierung – wie ist Alternativen wären not- Ihr Eindruck: Haben Hamburgs Stadtplaner und Architekten wendig, um dem unge- adäquate Lösungen parat? zügelten Stadtwachstum anders zu begegnen. Klein- Es gibt auch in Hamburg ausreichend Architekten und Stadtplaner, gärten sind eine historische die Konzepte für Nachhaltigkeit und Lösungsvorschläge für einen Errungenschaft, um Stadtbewohnern aus verdichteten, ungesunden sozialeren Wohnungsbau sowie gegen die Verdrängung im Zuge eines Quartieren Regenerationsmöglichkeiten zu verschaffen. Gerade mit unregulierten Immobilienmarktes entwickeln. Daneben beschäftigen Corona hat sich das Bedürfnis nach solchen Flächen dramatisch erhöht. sich Institutionen wie die Patriotische Gesellschaft von 1765 oder der Denkmalverein damit, wie die Stadt ökologischer und lebenswerter Was halten Sie von der Idee, die Messehallen auf den Grasbrook werden kann. Es ist die Politik, die dazu endlich die Weichen stellen muss. zu verlagern und das frei gewordene innerstädtische Areal mit Wohnungen zu bebauen? Ist Altonas Neue Mitte ein gutes oder ein schlechtes Beispiel für innerstädtische Entwicklung? Vor der einen Antwort stehen viele Fragen: Bleiben Grund und Boden der freigewordenen Fläche in öffentlicher Hand? Welche Art Wenn ein Areal, das wie in diesem Fall ursprünglich im Besitz der von Wohnungsbau soll entstehen und für wen? Was bedeutet das für öffentlichen Hand war, vor den Planungen privatisiert wird, kann das umliegende, gewachsene Wohnviertel? Welche Konsequenzen hätte nicht zu einem guten Beispiel innerstädtischer Entwicklung führen. das für Planten un Blomen als innerstädtischer Grünfläche? Dann nimmt der Verwertungsdruck zu, der Umgang mit der Identität und Geschichte dieses Ortes, aber auch die Qualität der Wohnbauten Viele reagieren auf die aktuelle „Würfelarchitektur“ mit Skepsis. bleiben auf der Strecke. Die entsteht nicht nur in der Hafencity, sondern an vielen Orten in der Stadt. Ist die Kritik berechtigt? Ein weiteres Prestigeprojekt ist der 245 Meter hohe Elbtower: Einige schelten das als „Gigantismus“, der keine Stadtentwicklung Wenn „Würfelarchitektur“ die Bauten charakterisiert, die als Folge ersetze. Wie sehen Sie das? maximaler Verwertungsinteressen auf Kosten der architektonischen Qualität entstehen, ist die Kritik berechtigt. Das ist sie nicht, wenn sie Die Städtekonkurrenz treibt unglaubliche Blüten. Viele Fragen sich pauschal gegen alles Neue oder Moderne wendet. bleiben dabei ungeklärt. Sind die Betonmenge beziehungsweise graue Energie, die hier verbaut werden, ökonomisch oder ökologisch sinn- Wie bewerten Sie die Überdeckelung der Autobahn? voll? Werden die Büroflächen oder das Luxushotel gebraucht? Wel- chen Nutzen ziehen Stadt und Zivilgesellschaft aus dem Elbtower? Eventuell ein Vorbild nicht nur für Planungen zur ehemaligen Ist es richtig, das Grundstück einem wegen seiner Geschäftspolitik Ost-West-Straße. Solche Maßnahmen können die Lebensqualität in umstrittenen Investor an die Hand zu geben? Braucht Hamburg so der Stadt wesentlich erhöhen, wobei die günstigere Alternative wäre, ein Großprojekt? Nein! wie in Berlin gerade per Volksbegehren angestrengt, den Autoverkehr in der Stadt generell einzuschränken. Sollte in Hamburg aber nicht doch höher gebaut werden, um mehr Wohnungen zu schaffen? Oder verstieße das gegen eine Innovativ ist auch die Aufstockung von Gewerbegebäuden. Was Tradition? halten Sie von Wohnungen auf Aldi-Läden? Welche Tradition? Diskussionen um die Höhenentwicklung ver- Das ist erstmal ein interessanter Ansatz, wird aber in den meisten sus Stadtbild – Stichwort Kirchtürme – gingen bisher immer von Fällen konstruktiv nicht möglich und nur durch Neubauten zu lösen Bürohausprojekten aus. Bedenken wurden in den 1960er-Jahren sein. Allerdings: Welchen Sinn macht die Aufstockung, wenn die durch Höhentests mittels Ballons vermeintlich ausgeräumt. Aber auch umgebenden, viel größeren Parkflächen unbebaut bleiben? Wohnhaustürme sind nicht erstrebenswert. Wenn schon Verdichtung notwendig ist, dann bitte mit kreativen Lösungen, wie zum Beispiel Zurzeit wird das Thema Einfamilienhäuser heiß diskutiert. Sind dem Umbau von Parkhäusern zu Wohngebäuden. Eigenheime in Anbetracht knapper Bauplätze in Städten wie Hamburg ein Auslaufmodell? Am Diekmoor im Langenhorner Landschaftsschutzgebiet sollen Kleingärten für sozialen Wohnungsbau platt gemacht werden. Die Frage ist doch, ob nicht die „Einfamilie“, auch als Wohnform, Ist das in einer wachsenden Metropole wie Hamburg ohne ein Auslaufmodell darstellt. Die Diskussion um das Einfamilienhaus Alternative? wird leider zu unsachlich geführt. MieterJournal 2/2021 · 9
Leben in Hamburg Stadtteil-Rundgang (17) „Wer hier wohnt, will nicht mehr weg“ Mit Heike Steinkamp durch Jenfeld Von Sabine Deh waren immer mal wieder im Gespräch, eine konkrete Umsetzung ist jedoch nicht in Sicht. Für Normalverdiener sind Mieten Über die „Blaue Brücke“ queren wir die stark in citynahen Quartieren kaum noch befahrene Rodigallee. Täglich brausen hier erschwinglich. Von dieser Entwicklung bis zu 40.000 Fahrzeuge entlang. „In der profitieren Stadtteile im Osten, die ihr Bevölkerung gibt es die Idee, die Kreuzung negatives Image langsam aufpolieren. am Öjendorfer Damm zu entschleunigen Heike Steinkamp (61), Geschäftsführerin Jenfeld verabschiedet sich vom Mau- und den Verkehr umzuleiten, um einen Platz der gemeinnützigen erblümchendasein und punktet mit für Zusammenkünfte entstehen zu lassen“, Quadriga GmbH. Neubauprojekten, kreativen Konzepten im erzählt Heike Steinkamp. Bereich Stadtteilentwicklung und attrak- am Berliner Platz fünf neue Gebäude erstellt tiven Grünflächen. Heike Steinkamp, RISE soll den Stadtteil – mit Platz für Shops, Gastronomie sowie Geschäftsführerin der gemeinnützigen aufwerten Gesundheits- und Freizeitangebote. Über den Quadriga gGmbH, stellt „ihren“ Stadtteil Jenfeld soll im „Hamburger Rahmen- Geschäften entstehen 250 neue Wohnungen, vor und hat Interessantes zu berichten. programm Integrierte Stadtteilentwicklung“, etwa ein Drittel davon öffentlich gefördert. kurz RISE, aufgewertet werden. Die Pan- Darüber hinaus soll das Gelände nachhaltig Wer an Jenfeld denkt, dem kommen oft- demie hat das Bürgerbeteiligungsverfahren gestaltet werden – mit Fahrradstellplätzen, mals graue Hochhäuser in den Sinn, die an etwas ausgebremst, da öffentliche Veran- einer Stadtrad-Station, begrünten Arealen, In der Hochhaussiedlung an der Kelloggstraße sorgt das leuchtend gelbe Die „Blaue Brücke“ am Einkaufszentrum Jenfeld. Haus der Quadriga-Kulturinitiative für einen Farbtupfer. der A24 in den Himmel ragen, oder triste staltungen derzeit nicht möglich sind. Statt- Dächern mit Photovoltaik-Anlagen und Ladenzeilen und die Helmut-Schmidt-Uni- dessen können Interessierte ihre Vorschläge Ladestationen für E-Autos. Der Baubeginn versität am Holstenhofweg. Tatsächlich hat online, per E-Mail oder Telefon einbringen ist für Ende 2021 geplant. der Stadtteil auch viel Reizvolles zu bieten, oder direkt in der „Gläsernen Werkstatt“ wie das Naherholungsgebiet Jenfelder Moor der STEG im Einkaufszentrum. Einer ersten „Das Image des Stadtteils ist deutlich oder die Grünflächen am Jenfelder Bach. Auswertung zufolge wünschen sich die Anlie- schlechter als die Realität“, betont Heike „Wer hier wohnt, will meistens nicht mehr ger einen Supermarkt mit Vollsortiment. Steinkamp, als wir auf der Charlottenburger weg“, weiß Heike Steinkamp. Was fehlt, sind Fleisch, Wurstwaren und Käse bekommen die Straße an einem Wahlplakat des SPD-Kandi- größere Sozialwohnungen, mit Platz für kin- Jenfelder direkt im Quartier nur abgepackt daten Cem Berk vorbeikommen. So machte derreiche Familien, von denen es in Jenfeld bei den Discountern oder im türkischen lange ein Gerücht die Runde, laut dem ver- viele gibt. Supermarkt. Außerdem fehlen Bürgersteige, dächtigte Gestalten abends in dunklen Autos ein Café, Kinderärzte sowie Gruppenräume. ihre Runden im Stadtteil drehen, um Drogen Unternehmungslustig und mit geschulter- zu verkaufen. Auf Antrag von Berk wurde tem Rucksack empfängt uns die Sozio-Öko- Am Berliner Platz entsteht daraufhin im vergangenen Jahr der Sozialaus- nomin mit einem herzlichen Lächeln am ein neues Zentrum schuss der Wandsbeker Bezirksversammlung vereinbarten Treffpunkt vor dem Quadri- Ein Stück weiter, neben der Wohnsied- nach Jenfeld verlegt. Bürgernahe Polizeibe- ga-Stadtteilbüro. Gleich um die Ecke, an lung Hohenhorst, verschwindet bald das amte, Vertreter des Drogendezernats, Fach- der Hauptverkehrsstraße Rodigallee, blei- in die Jahre gekommene kleine Nahver- leute des Stadtteils und Behördensprecher Fotos: Szameitat ben wir vor dem Jenfelder Einkaufszent- sorgungszentrum. Der Entwurf des Archi- legten Zahlen und Fakten vor, die bewiesen: rum stehen. Der graue Betonklotz aus den tekturbüros Haas Cook Zemmrich enthält Bei der Drogenkriminalität liegt Jenfeld laut 1970er-Jahren wirkt von außen nicht unbe- vielversprechende Pläne für das rund 12.000 Statistik stadtweit im unteren Mittelfeld der dingt einladend. Pläne für eine Sanierung Quadratmeter große Areal. Demnach werden Skala. 10 · MieterJournal 2/2021
Leben in Hamburg Die Geschichte Jenfelds: Zur 700-Jahr-Feier des Stadt- markiert. Auf dem Weg zum idyllisch gele- teils entstand dieses Wandbild an der Jenfelder Allee/ genen See kommen wir am interkulturellen Ecke Rodigallee (links). Ein Ort zum Träumen: Der See im Park Jenfelder Moor. Gemeinschaftsgarten vorbei, eines von vielen Quadriga-Projekten. Trotz Corona-bedingt Neubau und idyllische lien, alleinstehende Senioren, die versuchen, eingeschränkter Nutzung erfreut sich der Siedlungen mit ihrer Grundsicherung über die Runden Gemeinschaftsgarten zunehmender Beliebt- zu kommen, und viele Menschen mit Migra- heit bei den Bewohnerinnen und Bewoh- Unser Rundgang führt uns weiter durch tionshintergrund. Um diesem Personenkreis nern Jenfelds. Ein junges Paar mit Kleinkind die Straße Bekkamp, wo eine Nachverdich- gerecht zu werden, bietet Jenfeld einiges an lächelt uns freundlich zu, als es bemerkt, tung ansteht. Gegenüber eines Hochhauses Einrichtungen zur sozialen Beratung, Ange- dass wir die gelben Tulpen in seinem Hoch- sollten drei Gebäude mit fünf bis sieben bote der offenen Kinder- und Jugendhilfe, beet bewundern. Wir verabschieden uns Geschossen und insgesamt 55 Wohnungen einen aktiven Sport- und Turnverein sowie entstehen. Gegen die Verkleinerung der nicht zuletzt ein buntes Kulturprogramm Grünflächen wehrten sich die Nachbarn im Jenfeld-Haus und in der Kulturinitiative. erfolgreich. Der Investor hat jetzt einen neuen Entwurf vorgelegt, der die Situation Baukräne über der entschärfen soll. Ein paar Querstraßen weiter Jenfelder Au erreichen wir die Einfamilienhaus-Siedlung Wir erreichen das Neubaugebiet Jenfelder „August Woelken“. Hier wurden 1952, zwi- Au, wo derzeit noch hohe Baukräne das Bild schen Waldenburger Straße und Glogauer beherrschen. Auf dem 35 Hektar großen Straße, die ersten Häuschen gebaut. Gegen Areal der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Ka- eine geringe Pacht wurde eine Wohnfläche serne entstehen rund 850 Wohnungen für von 47 Quadratmetern geboten, inklusive Bewohner unterschiedlicher Einkommens- Plumpsklo im Hinterhof. Die Siedlung mit schichten. Gebaut wird nach dem bewährten, den hübschen Vorgärten, wo jetzt im Früh- aber einfallslosen „Ritter-Sport-Prinzip“: ling Tulpen, Magnolien und Krokusse blü- quadratisch, praktisch, gut. Einige Häuser hen, hat sich seitdem gemausert und lädt zu sind bereits bewohnt. Im Mittelpunkt des einem Spaziergang ein. Areals soll nach Fertigstellung das Element Wasser stehen. Geplant sind unter anderem Idyllische Einfamilienhaus-Siedlung. Die dringendsten Jenfelder Herausfor- eine 200 Meter lange Wasserkaskade und derungen spiegelt das Sozialmonitoring der ein Teich mit Schilfgras. Der Clou: In den aus Jenfeld mit einem positiven Eindruck. Stadt wider: Demnach leben hier viele Kinder Wohnungen des neuen Quartiers wird das Viele Vorurteile über den Stadtteil wurden und Jugendliche aus sogenannten „einkom- Schwarzwasser in Vakuumtoiletten separat über Bord geworfen. Wir sind uns sicher: Im mensschwachen“ Fami- erfasst und in Wärme und Strom umgewan- Beliebtheitsranking der delt. Grauwasser aus Dusche oder Stadt wird Jenfeld Waschmaschine wird gereinigt und sehr bald einen in lokale Gewässer abgeleitet. So Sprung nach oben dürfte Jenfeld bald über die umwelt- machen. freundlichsten stillen Örtchen der Stadt verfügen. Umrahmt von viel Stadtgrün Das Neubaugebiet Jen- felder Au wird umrahmt von jeder Menge Stadtgrün Neubaugebiet – vom Landschaftsschutz- Jenfelder Au: Auf dem Gelände der gebiet Wandsbeker Geest ehemaligen Lettow-Vor- über den Öjendorfer Park beck-Kaserne kommt schweres Gerät zum Einsatz bis zum Jenfelder Moorpark, der für den Bau von rund neue 850 den Endpunkt unseres Rundgangs Wohnungen. MieterJournal 2/2021 · 11
Leben in Hamburg Der Viertelstunden-Boulevard Die Fuhlsbüttler Straße wurde zuletzt aufgehübscht. Tauben gibt es trotzdem noch mehr als Hipster Von Folke Havekost Lebenden entsteht eine neue U-Bahn-Station wurde und das Gerrit Heesemann alias Lotto am Hardorffsweg, in Höhe des Burgerbrutz- King Karl erfolgreich kultiviert. „Das ist wie Die Fahrradbügel am Barmbeker Bahnhof lers Jim Block. „Damit werden das Busnetz Fliegen“, sang der Barde einst – folgen wir ziehen nicht nur Radler an, sondern auch und der Barmbeker Bahnhof entlastet und also dem Flug der Tauben zurück zu ihrem ungebetene Gäste. Unlängst diskutierte der Weg in die Innenstadt verkürzt sich auf Lieblingsort. die Bezirksversammlung Hamburg-Nord 15 Minuten“, erklärt Martin Boneß, der Bür- über „Taubenvergrämungsmaßnahmen“ gerbeteiligungsbeauftragte der Hamburger In der Hufnerstraße hält sich wie ein am Anfang der Fuhlsbüttler Straße, Hochbahn. Relikt inmitten des aufgeputzten Bahn- die knapp fünf Kilometer weit bis nach hofsviertels das Nachtlokal „Kult“ mit Ohlsdorf reicht und entgegen ihrer Länge Bis 2023 bleibt der südliche Teil der Fuhle Dartscheibe, Tischfußball und Aschenbe- von den rund 10.000 Einheimischen Sanierungsgebiet, um sie zur „Flaniermeile chern. Der alte Hertie-Klotz nebenan trägt kurz und knapp „Fuhle“ genannt wird. mit Aufenthaltsqualität“ zu gestalten. Die dagegen ein neues Gewand und heißt jetzt 2017 eingeweihte, nach dem Schriftsteller „Fuhle 101“. Unten residieren Aldi, Rewe Es gibt eine alte Fuhle-Regel: Wenn min- benannte Piazza Ralph Giordano lädt mit und Rossmann, oben bietet das Intercity destens drei Geschäfte auf einmal schlie- ihren Sitzbänken bereits zum Verweilen ein Hotel Zimmer ab 71 Euro die Nacht an. Ende ßen, wird danach gerufen, die Fuhlsbüttler – und zum Nachdenken, ob „urbane Qualität 2020 wurde das Objekt an einen Fonds von Straße endlich schöner zu machen. Ebenso durch gezielte Nachverdichtung“ erreicht Hamburg Team Investment Management regelmäßig findet der Ruf kaum Widerhall, werden kann, wie es in den Plänen heißt. verkauft. „Wir sehen urbane Stadtteillagen weil die Fuhle nun mal so ist, wie sie ist: an als Gewinner der Krise“, kommentierte manchen Ecken schmuck, an anderen Ecken Südliche „Fuhle“ ist Geschäftsführer Nikolas Jorzick den Erwerb. schmutzig, an vielen Ecken einfach Stadt. Sanierungsgebiet bis 2023 Vom Franzbrötchen-Eis bis zum Erotik-Ac- Je weiter der Blick gen Ohlsdorf, desto Stadt der kurzen Wege: cessoire ist hier alles zu haben. In der Fuhle stärker fallen Neubauten ins Auge. An der bald ein Hauch von Paris? lässt sich einkaufen. Wer unbedingt shoppen Ringbrücke ist 2016 ein moderner Klinker- Zwar ist die Fuhle schwerlich mit den will, kann dies zwei U-Bahn-Stationen weiter komplex mit betreppten Eingangsbereich, Grands Boulevards in Paris zu vergleichen, im monströsen Einkaufszentrum Hamburger Innenhof und Tiefgarage errichtet worden, doch worauf der Investor hofft, wird mit Straße tun. der in der Neuen Mitte Altona Teil des einem Blick in die französische Metropole Einerleis wäre, in Barmbek aber noch auf- deutlich. Bürgermeisterin Anne Hidalgo Straße mit der höchsten fällt. Unten bietet das Spezzagrano die Pizza plant dort die Viertelstunden-Stadt, deren Hamburger Hausnummer Margherita für 9,80 Euro an. Im Quartier Bewohner alle alltäglichen Ziele innerhalb Etiketten sind ihr schwer anzuhaften, 21 auf dem Gelände des ehemaligen Kran- von 15 Minuten erreichen können – nicht mit der Straße mit der höchsten Hausnummer kenhauses versammeln sich einige Hundert dem Auto, sondern zu Fuß, auf dem Rad oder Hamburgs, der 792, in der am Ohlsdor- Meter weiter 13.600 Quadratmeter Büros mit dem öffentlichen Nahverkehr. Einkaufs- fer Friedhof ein Bestatter residiert. Für die und 4.800 Quadratmeter Einzelhandel. Im läden, Cafés, Ärzte, Schulen, Sportplätze, alten Wasserturmpa- Parks und im Zweifel auch den eigenen lais hat die rustikale Arbeitsplatz. „In der Nähe ihres Wohnorts Kneipe „Quartier 21“ zu arbeiten, ist besser für Menschen“, erklärt in der Corona-Zeit ihre der Sorbonne-Professor Carlos Moreno: Küche umgebaut und „Wenn sie in der Nähe einkaufen und ihre präsentiert ihren Gäs- Freizeit verbringen und die nötigen Dienste ten neben Bauernfrüh- verfügbar sind, können sie ein ruhigeres stück und Barmbeker Leben führen.“ Auch angesichts der Dis- Bier bald auch wieder kussion um eine Verödung der Innenstädte die Zweitliga-Spiele könnte die ehemals schick-schmuddelige vom HSV und St. Fuhlsbüttler Straße als Vorbild der mehr oder Pauli. Die acht Meter weniger organisierten Komplexität dienen, hohe Decke lädt zu die Städte auszeichnet. Aufstiegsträumen ein. Der Stadtpark liegt in unmittelbarer Nähe, Hier gibt es auch Krankenhaus und Ärzte sind erreichbar und Altbauten für stolze in das eine oder andere Café würde sich viel- Preise. Eine geräu- leicht auch Anne Hidalgo setzen. Zumal die mige Dachgeschoss- Gehwege im Zuge der Sanierung verbreitert wohnung mit 154 worden sind und der Außengastronomie nun Quadratmetern wird mehr Platz bieten. Selbst das Busbeschleu- f ür 1,3 Mi l lionen nigungsprogramm, das Gottseibeiuns vieler Euro offeriert. Das ist Geschäftsleute, hat der Fuhle nicht geschadet dann wohl nicht mehr – und für weniger Aufruhr als etwa an der Barmbek basch, das Osterstraße gesorgt. derbe, ungekünstelte Auftreten, das den Und der zuständige Regionalausschuss der Bewohnern des eins- Bezirksversammlung sprach sich im April Neubau aus Backstein an der tigen Arbeitervier- auch für Schilder am Bahnhof aus, um auf „Fuhle“. Foto: Havekost tels lange nachgesagt das Taubenfütterungsverbot hinzuweisen. 12 · MieterJournal 2/2021
Leben in Hamburg Serie: Aus Hamburgs Verga ngenheit (5) Ein Herz für Tiere Amanda Odemann initierte 1841 die Gründung des „Hamburger Vereins gegen Thierquälerei“. Das Schinden der Lasttiere war ihr ein Gräuel. Von Volker Stahl Abgemagerte und erschö pfte Hunde ziehen schwe Lastkarren durch das Hambur re gen Führern behandelt ger Holpergassengewirr, Spe diteure schlagen brutal auf - werden.“ Fünf Tage spä ihre Pferde ein, gesetzliche ter kritisiert sie sol- deststandards bei der Schlach Min - che „Gräuel“ ein zweites Ma tung gibt es nicht – traurige l in dem Blatt. Die Resonanz Alltag in der Hansestadt in r überwältigend. Bereits am ist den ersten Jahrzehnten des 30. November erfolgt die Einl 19. zu einer Versammlung am 10. adu ng Jahrhunderts. Um das alltägl Dezember. An diesem Tag grü iche Leid der Tiere schert sich n- kaum jemand, Grausamkeite det Amanda Odemann zusam n gegen sie bleiben unbestraft men mit 112 Gleichgesinnte Nur bei wenigen Menschen reg . darunter zahlreiche Hambur n, t sich Mitgefühl: Im Novemb ger Honoratioren, den „Hamb 1841 veröffentlicht die erst 20 er ger Verein gegen Thierqu ur- Jahre alte Amanda Odemann älerei“, der seit 1861 seinen heu in Namen trägt. tige n der Zeitung einen Aufruf geg en „Thierquälerei“, einen Mo später wird der Tierschutzver nat ein gegründet. Zu diesem Zeitpunkt gibt es in England bereits seit zwe Ein Blick zurück in die europä Jahrzehnten ein Tierschutzges i ische Denktradition hilft, die etz. Endlich können auch hie weit verbreitete Geringschätz sige Tierschützer einen ersten - ung der Kreatur zu verstehen Erfolg verbuchen: Ein Jahr nac Jahrhundertelang hatten The . der Vereinsgründung ver h ologen in Europa das christl fügt die Hamburger Polizeibeh iche dass ein Pferd nicht mehr als örd e, Diktum „macht euch die Erd eine Tonne Gewicht ziehen dar e untertan“ gepredigt und Phi f. sophen das Leid der Tiere aus lo- Schuttfahrer, die mit ihrem Denken verbannt. „W ihren Gespannen zu schnel ie Sta dt fahren, werden zu drei Tag l durch die die Hausfrau, die die Stube ges en Arrest, ersatzweise zwei cheuert hat, Sorge trägt, das die Türe zu ist, damit ja der Hun s Talern Strafe verurteilt. d nicht hereinkomme und das Außerdem müssen die Hufeise Gäule nun ausreichende Bes n der getane Werk durch Spuren sein chläge haben und die eiserne er Pfoten entstelle, also haben religiöse und philosophisch Geb issstange darf ihnen nicht meh e Denker darüber gewacht, r kalt ins Maul gesetzt wer- ihnen keine Tiere in der Ethik dass den. Und es ist nich herumliefen“, notiert der 196 t mehr erlaubt, kleine Hunde 5 Karren zu spannen. vor einen verstorbene Philanthrop Alb ert Schweitzer in seiner Sch „Die Lehre der Ehrfurcht vor rift dem Leben“, in der er seine Me schenliebe auf die Tiere aus n- Auch für das Schlachtvieh kan weitet. n der Verein bald von den Behörden sanktionierte Erle ichterungen durchsetzen. 1855 muss „jedes geknebelt Ab Auch in Hamburg schert sich in St. Pauli ankommende Lam lange kaum jemand um die m Qualen der Tiere – nur deren von seinen Banden befreit werden Nutzwert zählt. Erst das „Co , sobald es die Landungs- clusum Collegis Ehrbarer Obe n- brü cke berührt“. 1887 wird das ralten“ fordert 1825, dass die erste Tierheim an der Neu- „das Grundwesen der Sittlich städter Straße eingeweiht. 189 keit untergrabende Thierquä- 1 betreibt der Verein speziel lerei durch ein positives Ges Hebekräne, mit deren Hilfe le etz gewehrt werden möge“. die Polizei verunglückte und Vereinigung der je drei Gem Die Am bulanzwagen herbeigescha im eindeältesten der Hauptkirch ffte Pferde wieder auf die beklagt das „Übel der Missha en Beine bringt. Nur her ndlung“ der Pferde und des renlosen Hunden und Katzen weiter ein trauriges Schicks droht Schlachtviehs, „unmenschlic al: Sie werden nach kurzer he Experimente“ am lebend Ver- Tier sowie die rohe Grausamke en wei ldauer in der Fronerei, dem it gegen Haustiere „wie in den alten Gefängnis gegenüber Martern und Qualen, welche der Petrikirche, getötet – wenn sich eine sträfliche Nachsicht der kein neues Frauchen oder Familienhäupter der Kinder Herrchen ihrer erbarmt. gegen allerlei Kreaturen ver tet“. Nur ein Beispiel: Einige stat- Hamburger Buttjes machen seinerzeit einen grausamen sich Seit 1897 befindet sich das Spaß daraus, Spatzen in Fall Tierheim im Stadtteil Hamm. zu zerquetschen. en Streunende Hunde und Katzen werden seitdem von dekutschen – deren Nachfo Pfer- lger heißen später „Struppiw gen “ – eingesammelt und dor thin a- Doch erst 16 Jahre später wir verbracht. Nach d der Hamburger Tierschutz institutionalisiert – dank der den Zerstörungen im Zweiten We jungen Bürgertochter Amand ltkrieg Odemann aus dem damalig a und notdürftigen Repara en Hamburger Vorort Eppen- turen an den dorf. In einem einspaltigen sch we r bes chä dig ten Geb Artikel, der am 11. November äud en 1841 in den Wöchentlichen wir d 1962 auf dem 25.000 Qu Gemeinnützigen Nachrichte a erscheint, prangert sie die n dratmeter großen Grunds Überlastung der Lasttiere bei tück an Abtransport von Sand aus m der Süd ers tra ße ein e der Grube des Stadtgrabens mo der ne der Sternschanze an: „Schau an Tie rhe ima nla ge geb aut . dererregend ist es zu sehen, Do rt wie die zum Theil schon alte war ten heute 1.327 Tiere, dar n und schwachen Pferde … un- mit ter 129 Hunde und 89 Foto: HTV Peitschenhieben und Hacken Katzen, auf stößen von ihren unbarmher zi- ein neues Zuhause. MieterJournal 2/2021 · 13
Sie können auch lesen