Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie - VDI-Statusreport Februar 2019
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Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie VDI-Statusreport Februar 2019 Bild: © PIXABAY, sasint
Vorwort Krankenhausinfektionen werden in den nächsten Jahr- chen zur Keimübertragung und der Beitrag von anti- zehnten eine der häufigsten Todesursachen in den ent- mikrobiellen Oberflächen zur Keimreduzierung noch wickelten Staaten darstellen. Eine noch konsequentere relativ unerforscht sind. Sicher ist eigentlich nur, dass Einhaltung der bestehenden Hygienevorschriften ist der Mensch nicht mit gefährlichen Keimen auf die deshalb sicherlich ein vorrangiges Ziel. Welt kommt, sondern diese im Laufe seines Lebens erwirbt. Unbestreitbar ist auch, dass die Kliniken im Angesichts des bereits aktuellen Ausmaßes des Pro- Moment einen hohen Aufbereitungsaufwand betrei- blems sollte mit Nachdruck und Engagement an inno- ben, um unbelebte Oberflächen nach genau definier- vativen Strategien zur Bekämpfung des Problems ge- ten Vorschriften regelmäßig von Keimen zu befreien. arbeitet werden. Allein diese Tatsache legt es nahe, Oberflächen zwi- schen zwei Reinigungszyklen so keimarm wie mög- Die Nutzung der Nanotechnologie kann eine solche lich zu halten. innovative Strategie darstellen. Bereits 2015 wurde deshalb ein entsprechender Fachausschuss im VDI Der Fachausschuss will mit seinen Aktivitäten des- gegründet, um sich des Themas anzunehmen. Der halb aktiv zu einer Strategieentwicklung zur Keimre- Fachausschuss sollte sich speziell mit der Thematik duzierung auf Basis von Nanotechnologien und anti- Keimreduzierung im klinischen Umfeld mithilfe der mikrobiellen Oberflächen beitragen und gezielt ein Nanotechnologie befassen. Problembewusstsein bei Entscheidungsträgern herbei- führen. Ziel dieses ersten Statusreports ist es, den Nanomaterialien sind seit jeher Teil unserer Umwelt. Einsatz von Nanotechnologien zur Keimreduzierung Beispielsweise werden auf jeder Silber- oder Kupfer- im klinischen Umfeld aus allen wichtigen Blickwin- oberfläche durch natürliche Redoxreaktionen Nano- keln zu beleuchten. Daher setzt sich der Fachaus- silber- oder Nanokupferobjekte gebildet. Demgegen- schuss aus Ingenieuren, Medizinern, Physikern und über ist der gezielte Einsatz von Nanomaterialien und Chemikern aus universitären Kliniken, materialwis- Nanotechnologien zur Funktionalisierung von Materi- senschaftlichen Instituten gemeinsam mit Vertretern alien und Oberflächen ein noch relativ junges For- von Unternehmen und staatlichen Institutionen zu- schungsgebiet. Im Hinblick auf die medizintechni- sammen. schen Anwendungen steht vor allem die antimikrobi- elle Funktionalisierung von Oberflächen im Fokus. Im An dieser Stelle danke ich allen Fachausschussmit- Laufe der Erstellung dieses Statusreports wurde deut- gliedern für ihr Engagement bei der Erstellung dieses lich, dass auch der Beitrag von unbelebten Oberflä- Statusreports. Düsseldorf im Januar 2019 Dipl.-Kaufmann Adi Parzl Vorsitzender des VDI-Fachausschusses 202 Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie www.vdi.de
Autoren Dr. Christian Alex, Gesundheits- und Pflegepolitischer Arbeitskreis der CSU, Waal Dr. Jörg Bossert, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena Dr. Ralph Brückner, HECOSOL GmbH, Bamberg Prof. Dr. med. Clemens Bulitta, Ostbayerische Technische Hochschule Amberg-Weiden, Amberg Achim P. Eggert PhD VDI, VDI-Gesellschaft Materials Engineering, Düsseldorf Dr. rer. nat. Andrea Ewald, Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin und Zahnheilkunde, Würzburg Dr. rer. nat. Justus Hermannsdörfer, Nanoinitiative Bayern GmbH, Würzburg Prof. Dr. Dirk Höfer, Hohenstein Laboratories GmbH, Bönnigheim Dr. med. Thomas Holzmann, Universitätsklinik Regensburg, Regensburg Dipl.-Ing. Werner Kexel, TÜV Technische Überwachung Hessen GmbH, Darmstadt Prof. Dr. med. Cornelia Lass-Flörl, Innsbruck Medical University, Innsbruck Dr. Henning Mallwitz, Bode Chemie GmbH, Hamburg Dr. Andreas Murr, RAS AG, Regensburg Dipl.-Kfm. Adi Parzl, Bay Wing GmbH, Regensburg Dr. Jörn Probst, Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC, Würzburg Dr. Angela Rossi, Fraunhofer Institut für Silicatforschung ISC, Würzburg Elisabeth Rüdinger, Margetshöchheim Gregor Schneider, RAS AG, Regensburg Prof. Dr. med. Wulf Schneider, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg Claudia Som M.Sc., EMPA, St. Gallen www.vdi.de
VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie 3 Inhalt Vorwort 1 1 Einleitung 4 1.1 Problemstellung 4 1.2 Innovative Hygienestrategien 4 1.3 VDI-Fachausschuss 202 und Aufbau des Statusreports 4 2 Nosokomiale Infektionen, aktuelle Vorgehenspraxis bei Infektionen 6 2.1 Nosokomiale Infektionen 6 2.2 Vorgehen bei nosokomialen Infektionen 9 3 Nanotechnologien und Einsatzgebiete 11 3.1 Einsatzgebiete 11 3.2 Wirkmechanismen gegen Bakterien 12 3.3 Nanotechnologien für den Einsatz im klinischen Umfeld 13 3.4 Nanomaterialtechnologien 13 4 Testmethoden 20 4.1 Einführung 20 4.2 Aktuell angewandte Normen 20 4.3 Vor- und Nachteile 21 4.4 Beispiele für Labormethoden (Entwicklung antimikrobieller Methoden) 21 4.5 Ausblick 23 5 Risiko-Nutzen-Bewertung 25 6 Rechtliche Rahmenbedingungen 27 6.1 Einführung 27 6.2 Nanodefinition 27 6.3 Chemikaliengesetzgebung in der EU 27 6.4 EU-Biozidverordnung 27 6.5 Stoffbegriff – Was ist ein Biozid und was nicht? 28 6.6 Relevante Produktarten 28 6.7 Regulierung von Nanomaterialien 28 6.8 Verkehrsfähigkeit von „Nano-Bioziden“ 28 6.9 Die Regelung von Nanomaterialien (neue Medizinprodukteverordnung) 28 7 Schlussfolgerungen und Empfehlungen 31 Literatur 32 www.vdi.de
4 VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie 1 Einleitung 1.1 Problemstellung Oberflächen überleben können, wird klar, dass sich hieraus ein besonderes Gefährdungspotenzial ergeben Krankenhausinfektionen (nosokomiale Infektionen) kann. Da antimikrobielle Oberflächen jedoch nicht in rücken vor allem aufgrund von spektakulären Fällen der Lage sind, Schmutzreste zu beseitigen, wird die zunehmend ins öffentliche Blickfeld, beispielsweise Reinigung und Desinfektion auch in Zukunft die zen- wenn Neugeborene auf Frühchen-Stationen infiziert trale Hygienestrategie in Bezug auf Oberflächen dar- werden und sterben. In Deutschland führen die ge- stellen. Die nach einer Reinigungs- und Desinfekti- schätzten 500.000 Krankenhausinfektionen pro Jahr onsmaßnahme verbleibenden Keime, die z. B. über zu etwa 15.000 Toten. Dies verdeutlicht das hohe Berührungen von Oberflächen weiter verbreitet wer- Infektionsrisiko im Vergleich zu anderen Bedrohun- den, können aber über antimikrobielle Oberflächen in gen (Straßenverkehr, Terrorangriffe ...), das heute der Proliferation eingeschränkt werden oder sogar noch vielfach unterschätzt wird. Legt man die obigen vollständig abgetötet werden. Nanomaterialien eignen Zahlen zugrunde, wird sich statistisch gesehen jeder sich aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften, auf zweite Bundesbürger einmal in seinem Leben eine die wir in diesem Statusreport noch eingehen werden, Krankenhausinfektion zuziehen und 1,5 % der Bun- in besonderer Weise zur Realisation von antimikro- desbürger werden an einer Krankenhausinfektion biellen Oberflächen. sterben. Die Problematik multiresistenter Keime, also der Keime, die gegen mehrere oder alle Antibiotika resistent sind, wird zunehmen, da kaum neue Antibio- 1.3 VDI-Fachausschuss 202 und Aufbau tika auf den Markt kommen. Die oft gebrauchte For- des Statusreports mulierung, dass bestehende Hygienevorschriften nur konsequent eingehalten werden müssen, greift deshalb Der VDI führt zu gesellschaftlich und wirtschaftlich viel zu kurz. relevanten Technologien Fachbeiräte. In Fachaus- schüssen innerhalb der Fachbeiräte werden Informati- Offenbar werden in unserem aktuellen Medizin- und onen und Daten gesammelt und Empfehlungen erar- Gesundheitssystemen die Hygienevorschriften nicht beitet. Der VDI-Fachausschuss 202 „Keimreduzie- konsequent eingehalten, obwohl seit Jahren daran rung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie“ gearbeitet wird. Spricht man mit den Praktikern in den ist einer dieser Fachausschüsse und setzt sich zusam- Kliniken vor Ort, erhält man plausible und einleuch- men aus Experten aus der Materialforschung, klini- tende Begründungen, warum bestehende Hygienevor- schen Forschung, Wirtschaft und Politik. Der hier schriften nicht immer konsequent eingehalten werden vorliegende Statusreport wurde in einer Gemein- können. Sicherlich gibt es deshalb auch an dieser schaftsarbeit des Fachausschusses erarbeitet. Zunächst Stelle noch Handlungsbedarf. wird im Abschnitt 1 die aktuelle Problematik der nosokomialen Infektionen, das aktuelle Hygienema- nagement und das Vorgehen bei Infektionen, darge- 1.2 Innovative Hygienestrategien legt. Danach werden aussichtsreiche Nanotechnogien und Anwendungsgebiete zur Reduzierung von Infek- Es besteht daher der dringende Bedarf, über innovati- tionen vorgestellt. Ein wichtiger Punkt im Hinblick ve Lösungen des Problems nachzudenken, um beste- auf die spätere Akzeptanz ist der Wirknachweis. Den hende Hygienestrategien wirksam zu unterstützen. Wirknachweisen wurde deshalb ein eigener Abschnitt Eine dieser Maßnahmen könnten beispielsweise anti- gewidmet. Die Chancen und Risiken neuer Technolo- mikrobielle Oberflächen sein. gien müssen immer sorgsam abgewogen werden. Abschnitt 5 widmet sich dieser Thematik. In der Ge- Der Grundgedanke ist dabei relativ einfach: Wenn es sundheitsbranche ist es so schwierig wie in kaum sinnvoll ist, in bestimmten Reinigungs- und Desinfek- einer anderen Branche, Innovationen aus der For- tionszyklen Oberflächen zu reinigen und zu desinfi- schung und Entwicklung in den praktischen Einsatz zieren, dann ist es auch sinnvoll, eben diese Oberflä- zu überführen. Abschnitt 6 beschäftigt sich deshalb chen zwischen zwei Reinigungszyklen so keimarm mit Zulassungen und anderen Markteintrittsbarrieren. wie möglich zu halten. Hinzu kommt, dass manche Im Abschnitt 7 werden dann schließlich die Ergebnis- Oberflächen konventionell überhaupt nicht desinfi- se zusammengefasst und Empfehlungen zur weiteren zierbar (z. B. operativ im Körper eingebrachte Im- Vorgehensweise insbesondere für Politik und Ent- plantate) oder aber nur sehr schwierig zu reinigen und scheidungsträger aus der Gesundheitsbranche gege- zu desinfizieren (Ritzen und andere schwer zugängli- ben. che Oberflächen) sind. Wenn man bedenkt, dass eini- ge nosokomiale Erreger über mehrere Monate auf www.vdi.de
VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie 5 Die Informationen zum vorliegenden Statusreport Fachausschussmitglied Herr Prof. Bulitta den VDI- wurden nach bestem Wissen und Gewissen von den Fachausschuss „Management hygienisch relevanter Mitgliedern unseres Fachausschusses gesammelt und Flächen in medizinischen Einrichtungen“. Eine Ziel- zusammengestellt. Aufgrund der Komplexität der setzung unserer gemeinsamen Arbeit ist es, eine Dis- Themenstellung kann trotzdem kein Anspruch auf kussion auf breiter Front voranzutreiben. Über Anre- Vollständigkeit der Informationen erhoben werden. gungen und Beiträge zur weiteren Verbesserung der Der Fachausschuss wird weiter an dieser wichtigen Informationslage würden wir uns deshalb sehr freuen. Themenstellung arbeiten. Zusätzlich leitet unser www.vdi.de
6 VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie 2 Nosokomiale Infektionen, aktuelle Vorgehenspraxis bei Infektionen 2.1 Nosokomiale Infektionen nella enterica ssp. enterica Serovar Typhi) und Pest (Yersinia pestis), aber auch Ebola (Zaire-Ebola virus). Nosokomiale Infektion oder Krankenhausinfektionen Fakultativ pathogene Erreger verursachen eine Er- sind Infektionen, die im Zuge eines Aufenthalts oder krankung erst dann, wenn das Immunsystem beein- einer Behandlung in einer Gesundheitseinrichtung trächtigt ist, z. B. durch Verletzungen oder operative auftreten („nosos“ – Krankheit, „komein“ – pflegen). Eingriffe. Diese Gruppe umfasst die häufigsten Erre- Die häufigsten nosokomialen Infektionen sind Harn- ger ambulant und im Krankenhaus erworbener Infek- wegsinfektionen, Infektionen der unteren Atemwege tionen (z. B. Staphylococcus aureus). Apathogene und postoperative Wundinfektionen, gefolgt von Mikroben verursachen Infektionen, wenn das Ab- Gefäßkatheter-assoziierten Infektionen. Die häufigs- wehrpotenzial massiv geschwächt ist, wie bei HIV- ten Erreger von Krankenhausinfektionen sind fakulta- oder Leukämiepatienten. tiv pathogene Bakterien, die zur normalen Körperflora des Menschen gehören. Die Schwere der Grund- Der größte Teil der nützlichen Bakterien besiedelt den krankheit und die Art der medizinischen Versorgung Dickdarm, der Rest besiedelt den Dünndarm, die beeinflussen das Infektionsrisiko. Haut, die Mundhöhle, den Rachen und die Scheide. Damit die Mikrobiota ihren Aufgaben gerecht werden Das moderne Management der Infektionsprävention kann, müssen nützliche Bakterien in ausreichender umfasst ein ganzes Bündel von Maßnahmen, zu wel- und konstanter Zahl im Milieu vorhanden sein. chem die Standardhygiene, die aktive Surveillance mikrobiologischer Daten sowie der kontrollierte Ein- satz von Antibiotika gehören. Nosokomiale Infektio- nen werden in den nächsten Jahrzehnten eine der 2.1.2 Infektionen häufigsten Todesursachen in den entwickelten Staaten darstellen. Als Infektion bezeichnet man den Eintritt, die Ansied- lung und Vermehrung von Mikroorganismen in einem Wirt. Der Verlauf einer Infektionskrankheit hängt von den Pathogenitätsfaktoren des Erregers und vom All- 2.1.1 Der Mensch und seine Mikroben gemeinzustand des Wirtsorganismus ab. Der gesunde Mensch wird von ca. 1014 (hundert Billi- Die Einteilung von Infektionen kann nach verschiede- onen) Bakterien besiedelt. Die äußere Haut sowie die nen Gesichtspunkten erfolgen, z. B. nach der Art Schleimhäute des Oropharynx, des oberen Respirati- (Bakterien oder Pilze) oder Herkunft (exogen oder onstrakts, des Dickdarms und des unteren Urogenital- endogen) der Erreger. trakts sind von einer Bakterienflora (Mikrobiom) besiedelt. Diese Mikroflora oder physiologische Flora Die Übertragung erfolgt: (Normalflora) setzt sich überwiegend aus apathoge- nen und zu einem geringen Anteil aus fakultativ pa- Durch direkten Kontakt, z. B. durch verunreinigte thogenen Bakterien zusammen. Die Zahl der Mikro- Nahrung (Salmonellen im Speiseeis), kontami- ben übersteigt jene der Körperzellen etwa um das 10- nierte Hände (spielt im Krankenhaus eine wesent- bis 100-Fache. Die physiologische Kolonisation des liche Rolle) und infizierte Patienten. Auch ist ei- Neugeborenen beginnt unmittelbar nach der Geburt ne Übertragung durch die Luft (Tröpfcheninfek- mit Bakterien von der Mutter und aus der Umwelt und tion) durch Husten oder Niesen möglich. bleibt ein Leben lang bestehen. Durch indirekten Kontakt, z. B. durch Blut oder Bakterien haben für den Menschen krank machende Blutprodukte oder durch das Mehrfachbenutzen (pathogene Bakterien, Infektionserreger) oder schüt- von Spritzbestecken. zende Eigenschaften (apathogene und fakultativ pa- thogene Bakterien der Mikrobiota). Das Risiko eine Infektion zu erwerben, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Obligat pathogene Erreger verursachen in der Regel Infektionen beim gesunden Menschen. Hierzu zählen Infektionsdosis (Anzahl der übertragenen Erre- die klassischen Infektionserreger wie Typhus (Salmo- ger): Beim Menschen kommt es erst nach Kon- takt mit hohen Dosen von Typhusbakterien zu ei- www.vdi.de
VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie 7 ner Infektion; andererseits kann schon ein Tuber- durch maschinelle Beatmung. Nach einer 1995 durch- kulosebakterium eine Infektion auslösen geführten Erhebung in Deutschland (NIDEP-Studie) betrug die Prävalenz von Harnwegsinfekten 1,46 %, krank machendes Potenzial des Erregers (Viru- von unteren Atemwegsinfektionen 0,72 %, von posto- lenz) perativen Wundinfektionen 0,55 % und von primärer Septikämie 0,29 %. Im Jahr 2006 traten ca. 400.000 Anfälligkeit des Menschen: Neugebore- bis 600.000 nosokomiale Infektionen in Deutschland ne/Säuglinge, alte Menschen, schwangere Frauen auf, eine im Jahre 2011 durchgeführte nationale Prä- und Personen mit geschwächter Immunabwehr valenzstudie bestätigt diese Daten. haben ein erhöhtes Infektionsrisiko Die Häufigkeit von Krankenhausinfektionen hängt Expositionszeit vom Typ des Krankenhauses ab. Die Schwere der Grundkrankheit und die Art der medizinischen Ver- Eintrittspforte sorgung beeinflussen das Infektionsrisiko. So haben Intensivstationen eine mindestens 4-fach höhere Inzi- denz als andere medizinische Fachbereiche. Mehr als 2.1.3 Krankenhausinfektionen 20 % aller Patienten haben eine nosokomiale Infekti- on, die mehr als 50 % aller Infektionen auf Intensiv- Krankenhausinfektionen sind Infektionen, die in kau- stationen ausmachen. Dies hat damit zu tun, dass ein salem Zusammenhang mit einem Krankenhausaufent- kritischer Allgemeinzustand per se zu grundlegenden halt stehen, unabhängig davon, ob Krankheitssymp- Änderungen der Immunkompetenz führt, invasive tome bestehen oder nicht. Nachdem sich nosokomiale Maßnahmen mit erhöhtem Infektionsrisiko einherge- Infektionen aber nicht nur auf Krankenhäuser be- hen und lebensnotwenige Medikamente wiederum schränken, sondern in allen Gesundheitseinrichtungen immunsuppressiv wirken und bakterielle Infektionen (Langzeit-Pflegeeinrichtungen und Rehabilitations- fördern. zentren, Ambulatorien, Praxen) auftreten, spricht man auch von „Gesundheitseinrichtungen-assoziierten Davon abzugrenzen sind Infektionen, die außerhalb Infektionen“ oder „health-care associated infections“. des Krankenhauses erworben werden, aber zu einem Aufenthalt im Krankenhaus führen. Dazu zählen bei- Das Europäische Zentrum für die Prävention und die spielsweise Patienten mit ambulant erworbener Kontrolle von Krankheiten schätzt, dass jedes Jahr Pneumonie, Harnwegsinfektion, Meningitis und Haut- über 4 Mio. Patienten in Europa an „health-care asso- und Weichgewebsinfektion. Eine Prävalenzstudie aus ciated infections“ erkranken und dass davon mindes- dem Jahre 1994 ergab, dass von 1,2 bis 1,8 Mio. am- tens 37.000 Personen sterben. Diese Infektionen ver- bulant erworbenen Infektionen auszugehen ist. Das längern den Krankenhausaufenthalt, erfordern mehr Verhältnis ambulant erworbene zu nosokomialen Diagnostik- und Behandlungsaufwand und sind mit Infektionen war 3 :1. Mehrkosten verbunden. Das Auftreten von multiresis- tenten Erregern kann die Behandlung zusätzlich ver- Nosokomiale Infektionen haben in der öffentlichen komplizieren. Nur ein geringer Teil der Patienten, die Wahrnehmung einen starken Eingang gefunden und eine nosokomiale Infektion erleiden, haben eine In- werden in den Medien vielfach kommentiert. Der Laie fektion mit einem multiresistenten Erreger. Hoch- hat den Eindruck, dass diese Infektionen nur durch rechnungen für Deutschland ergaben, dass ca. unsauberes Arbeiten bzw. durch mangelnde Hygiene 29.000 nosokomiale Infektionen durch multiresistente verursacht werden. Das ist in dieser Form aber nicht Erreger verursacht werden. Ihr Anteil an nosokomia- korrekt. len Infektionen beträgt ca. 6 %. Die Ursache für die zunehmend schwierige Resistenzlage ist multipel und Nosokomiale Infektionen stellen vielfach einen Kolla- findet sich im unkritischen Einsatz von Antibiotika in teralschaden der modernen Medizin dar und können der Human-, Veterinär- und Umweltmedizin. trotz optimaler Hygiene nie gänzlich eliminiert wer- den. Das Problem ist Folge des erfolgreichen medizi- Die Häufigkeit von Krankenhausinfektionen kann in nischen Fortschritts, der höheren Invasivität und Ag- den Maßzahlen Prävalenz oder Inzidenz dargestellt gressivität der Therapie bei zunehmend multimorbi- werden. Die Prävalenz beträgt für Akutkrankenhäuser den, betagten und schwerstkranken Patienten. je nach medizinischer Ausstattung im Durchschnitt heute etwa 3 % bis 14 %. Die Inzidenz liegt bei 2,5 % bis etwa 10 %. 2.1.4 Erreger von Zu den wichtigsten nosokomialen Infektionen zählen Krankenhausinfektionen Harnwegsinfekte verursacht durch einen Blasenkathe- ter, postoperative Wundinfekte, Septikämien durch Die häufigsten Erreger von Krankenhausinfektionen Katheter und Infektionen der tiefen Atemwege etwa sind fakultativ pathogene Bakterien, die zur normalen www.vdi.de
8 VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie Körperflora des Menschen gehören. Man spricht hier Augentropfen. Flächen per se können als potenzielle von sogenannten endogenen Infektionen. Die wich- Infektionsquelle fungieren (Rotaviren im Sanitärbe- tigsten Erreger nosokomialer Infektionen sind Esche- reich), spielen nach dem heutigen Stand des Wissens richia coli, Staphylococcus aureus, Pseudomonas aber eher eine untergeordnete Rolle, sofern die Reini- aeruginosa, Enterokokken und Candida albicans. Die gung und Desinfektion ordnungsgemäß durchgeführt Häufigkeit der einzelnen Spezies wird stark durch die werden. Wenn Infektionserreger von außen (also von Verwendung von Antibiotika an den einzelnen Klini- der Umwelt) an den Patienten gebracht werden, ken beeinflusst (Selektion). Unter multiresistenten spricht man von einer exogenen Infektion. Etwa 20 % Erregern versteht man in der Regel methicillinresis- der nosokomialen Infektionen entstehen exogen, hier- tente S. aureus (MRSA), vancomycinresistente zu zählen auch Kreuzinfektionen. Enterokokken (VRE) und eine Vielzahl gramnegati- ver Bakterien mit unterschiedlich stark ausgeprägtem Etwa 2 % bis 10 % aller Krankenhausinfektionen Resistenzmuster gegen Antibiotika (multiresistente treten als Ausbrüche oder epidemisch auf. Unter ei- gramnegative Stäbchen (MRGN)). nem Ausbruch versteht man das gehäufte Auftreten von Infektionen in einem zeitlichen und räumlichen Die Zuordnung der häufigsten Bakterienarten zu den Zusammenhang. Nach Literaturangaben werden die wichtigsten Krankenhausinfektionen ist Tabelle 1 zu meisten Ausbrüche durch Bakterien hervorgerufen entnehmen. (71 %), ca. 21 % sind Virusinfektionen, 5 % werden durch Pilze bedingt und 3 % durch Parasiten. Tabelle 1. Zuordnung der häufigsten Bakte- rienarten zu den wichtigsten Krankenhausinfek- 2.1.6 Hygienemaßnahmen tionen Im Krankenhaus müssen besondere Maßnahmen zur Krankenhausinfektion Erreger Infektionsverhinderung (Prävention) getroffen wer- Harnweginfektionen den. Die größte Gefahr einer Infektionsübertragung gramnegative Bak- geht vom infizierten Patienten aus. Wobei auch hier terien genau unterschieden werden muss, mit welchen Erre- gern jemand infiziert ist. Ein Patient mit Durchfall Postoperative Wundin- benötigt andere Hygienemaßnahmen als ein Patient fektionen mit offener Tuberkulose. Es braucht ein ganzes Bün- del von Maßnahmen, um Patienten zuverlässig vor Infektionen nosokomialen Infektionen zu schützen: Dazu gehören der Atemwege die Standardhygiene, die zeitnahe Beobachtung und Analyse von mikrobiologischen Untersuchungen und Bakteriämie Antibiotika-Empfindlichkeiten (sogenannte Surveil- lance) sowie die Kontrolle des Einsatzes von Antibio- tika durch Experten (sogenannte Antimicrobial Ste- wardship). Die wichtigste Maßnahme, und das nicht 2.1.5 Infektionsquellen nur auf der Intensivstation, ist die Desinfektion der Hände. Fehler im Desinfektionsmanagement oder Die wichtigste belebte Infektionsquelle ist also der unsachgemäße Desinfektionsmaßnahmen haben Patient selbst mit seiner Mikrobiota. In absteigender schwerwiegende Folgen für Patienten, da Krankheits- Folge zählen das stationseigene Personal, stations- erreger nicht korrekt abgetötet werden. Der Einsatz fremde Personen oder die unbelebte Umgebung im weiterer spezifischer Maßnahmen hängt von einer Krankenhaus zu den möglichen Quellen einer Infekti- Vielzahl von Faktoren ab. So interessieren im Einzel- on. Das Krankenhauspersonal kann in der Regel nur fall z. B. das Reduktionspotenzial, die Evidenzlage dann als Infektionsquelle fungieren, wenn es selbst und die Praktikabilität einer Maßnahme. erkrankt (z. B. chirurgisch Tätiger mit Panaritium, Krankenschwester mit Streptokokken-Angina, Perso- In diesem Zusammenhang wird auch der Einsatz von nal mit offener Lungentuberkulose) oder ausschei- antimikrobiellen Oberflächen im Krankenhaus disku- dender Träger von Krankheitserregern ist (z. B. tiert. Oberflächen in medizinischen Einrichtungen S. aureus im Nasenvestibulum von Arzt oder Pflege- können als Reservoir für Erreger dienen und bergen personal). damit grundsätzlich eine Infektionsgefahr. Im Ver- gleich zu belebten Reservoiren gibt es wenige evi- Unbelebte Infektionsquellen können kontaminierte denzbasierte Untersuchungen zur Rolle der Oberflä- Arzneimittel oder Pflegeutensilien sein, die im und chen bei der Entstehung von nosokomialen Infektio- am Patienten angewandt werden, wie Infusionen und nen. Die sorgfältige Flächendesinfektion ist Teil der Standardhygiene und Ausbrüche mit z. B. VRE konn- www.vdi.de
VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie 9 ten unter Einbeziehung von umfangreichen Reini- von antimikrobiellen Oberflächen, z. B. in Kranken- gungs- und Flächendesinfektionsmaßnahmen sowie häusern oder Arztpraxen. Hierbei wird eine definierte weiteren Maßnahmen eingedämmt werden. Anzahl an Erregern in einem kleinen Volumen aufge- nommen und auf den gewünschten Oberflächen ver- Ziel ist es, den Kontaminationsgrad der Umgebung zu strichen. Die überschüssige Flüssigkeit verdunstet reduzieren, indem das Anhaften von Mikroben an innerhalb weniger Sekunden, sodass die Erreger im Oberflächen unterbunden bzw. Mikroben bei direktem direkten Kontakt mit der Oberfläche stehen. Mehrere, Kontakt mit der Oberfläche abgetötet werden. Die auf dem Markt befindliche antimikrobielle Flächen infrage kommenden antimikrobiellen Stoffe können wurden mittels Trockenmethode überprüft und zeig- Antibiotika, Antiseptika, Biozide oder Schwermetalle ten entweder keine oder nur marginale Aktivität bzw. mit antimikrobieller Wirkung wie Silber und Kupfer waren diese Effekte nach durchgeführter Flächendes- sein. Jede dieser Stoffgruppen hat bestimmte Vorteile, infektion nicht reproduzierbar. mit denen aber auch spezifische Nachteile verbunden sind. Wenngleich diese Produkte eine gewisse In-vi- Die Effektivität dieser Oberflächen unter realen Be- tro-Wirksamkeit aufzeigen, fehlt für den medizini- dingungen sowie das Ausmaß von deren Effizienz im schen Einsatz die Evidenz der verbesserten Patienten- Bereich der Infektionsprävention muss anhand von sicherheit. Des Weiteren fehlen derzeit technische klinischen Studien untersucht werden. Vorstellbar ist, Spezifika, hygienische Anforderungen, klinische dass antimikrobielle Oberflächen zur Reduktion von Richtlinien sowie die Regelung der geeigneten Prüf- Reinigungs- und Flächendesinfektionsmaßnahmen verfahren für den Einsatz antimikrobieller Oberflä- führen könnten bzw. die mikrobielle Kontamination chen in der Praxis. Bei der Wirkungsbeurteilung an- diverser Oberflächen reduzieren. Dass es durch den timikrobiell ausgerüsteter Oberflächen muss die vor- Einsatz von antimikrobiellen Oberflächen zu einer gesehene Praxisanwendung berücksichtigt werden. starken Reduktion nosokomialer Infektionen kommt, Der Stellenwert der antimikrobiellen Ausstattung von ist schwer vorstellbar, da die Mehrheit der Infektionen Objekten in der Infektionsprävention ist unklar und endogenen Ursprungs ist. Eine keimarme Umgebung bisher nicht systematisch untersucht. könnte eine gewisse Eindämmung von exogen be- dingten Infektionen mit sich bringen, dies muss aber Aktuelle Studien zeigen, dass metallische Kupferflä- durch Studien überprüft werden. Welche Bereiche im chen in der Lage sind, dort aufgebrachte Keime um Krankenhaus von solchen Oberflächen profitieren mehrere Dezimalstufen zu reduzieren. Eine Studie an könnten, ist bislang unklar und muss untersucht wer- Intensivstationen dreier US-amerikanischer Kranken- den. [1 bis 14] häuser zeigte sogar, dass der Einsatz von Kupferflä- chen die Infektionsraten mit MRSA oder VRE verrin- gern konnte – im Vergleich zu den Räumlichkeiten 2.2 Vorgehen bei nosokomialen ohne Kupferflächen. Infektionen Um die antimikrobielle Wirkung gegen Mikroorga- nismen im Labor zu prüfen, werden derzeit zwei ver- Die Bekämpfung der nosokomialen Infektion ist im schiedene Methoden angewandt, die feuchte und die Krankenhausbereich bedeutsam, da diese sehr zeit- trockene Testmethode. Bei der feuchten Methode und personalaufwendig ist. Zwingend notwendig ist wird eine definierte Bakteriensuspension auf die zu dafür gut geschultes Personal, das sich exakt an die untersuchende Oberfläche getropft und inkubiert. Bei Vorgaben des Hygieneplans des entsprechenden Hau- dieser Testmethode sind nicht alle Erreger in direktem ses hält. Hygienepläne sind Vorgaben der jeweiligen Kontakt mit der zu untersuchenden Fläche, sondern Gesundheitseinrichtung, in denen standardisierte diffundieren frei im Volumen des Mediums. Dies gilt Verfahren zur Infektionsbekämpfung, Zuständigkeiten auch für den japanischen Industriestandard JIS Z 2801, und Verantwortlichkeiten geregelt sind. Damit soll bei dem die Proben nass auf die Testoberfläche auf- sichergestellt werden, dass neueste Erkenntnisse der gebracht, mit einer sterilen Folie für 24 Stunden ab- Hygieneforschung sicher von allen beteiligten Perso- gedeckt und bei 35°C inkubiert werden. Diese Tes- nen angewandt werden können. tung spiegelt jedoch kaum die Situation einer typi- Der Ärztliche Direktor eines Krankenhauses ist in der schen Kontamination von häufig berührten Kontakt- Regel für die Hygiene der Einrichtung verantwortlich, oberflächen im Krankenhaus wider. Die allermeisten unterstützt wird er vom Krankenhaushygieniker und Produkte werden dennoch mit dieser Untersuchungs- den Hygienefachkräften. Für die Erfassung und Be- methode getestet, für die diesbezüglich keinerlei Pra- kämpfung nosokomialer Infektionen stehen hygiene- xisrelevanz vorhanden ist. beauftragte Ärzte zur Verfügung. Diese Fachärzte Bei der trockenen Methode, auch als „contact-killing“ sind nach einer einwöchigen Schulung für einen um- bezeichnet, handelt es sich um die Simulation von grenzten Arbeitsbereich zuständig. Die Hygienebeauf- realen Bedingungen möglicher Anwendungsgebiete tragten in der Pflege rekrutierten sich meistens aus dem Bereich der Stations- und Bereichsleitungen. Sie www.vdi.de
10 VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie absolvieren einen zweitägigen Kurs und sind für die Die hygienischen pflegerischen Maßnahmen zur Umsetzung der Hygienemaßnahmen in ihrem Bereich Vermeidung nosokomialer Infektionen sollen Be- verantwortlich. standteil verbindlicher Pflegestandards sein. Diese sind ständig auf Aktualität zu überprüfen und zu revi- Um nosokomiale Infektionen gering zu halten, ist ein dieren. standardisiertes und zeitlich vorgegebenes Reini- gungs- und Desinfektionsverfahren notwendig. Dieses Regelmäßige Begehungen durch das Hygieneperso- wird als regelmäßige Unterhaltsreinigung von ge- nal, die Beobachtungen und Durchführungen von schultem Eigen- und/oder Fremdpersonal durchge- Hygienemaßnahmen durch die hygienebeauftragen führt. Es bezieht sich auf die patientennahe Flächen- Ärzte und die Hygienebeauftragten in der Pflege sol- reinigung, die Reinigung von mit Blut, Sekret, Fäkali- len die Anwendung des Hygieneplans sichern. Ab- en etc. verschmutzten Oberflächen sowie die Reini- weichungen sind abzustellen, eventuell Nachschulun- gung und Desinfektion von Geräten. Raumlufttechni- gen zu veranlassen und bei Ausbruch von Infektionen sche Anlagen müssen regelmäßig gewartet, die Filter Meldungen an den Direktor der Fachklinik und den ausgetauscht und bei Bedarf desinfiziert werden. Das Krankenhaushygieniker zu geben. Diese entscheiden Wasser und die diversen Wasserentnahmestellen dann über weitere Maßnahmen und Information des werden auf Keimfreiheit geprüft. Bei Ausbrüchen von Ärztlichen Direktors und des Vorstands. spezifischen Erregern sind in Absprache mit dem Krankenhaushygieniker spezielle Desinfektionsmittel Es werden sicherlich auch in Zukunft nosokomiale und Maßnahmen notwendig. Gemäß Infektionshand- Infektionen im Krankenhaus nicht zu vermeiden sein, buch kann eine Schlussdesinfektion notwendig sein. insbesondere wenn sich die Vergabe von Antibiotika Diese wird mit oder ohne Desinfektor als Scheuer- an Menschen und Tieren nicht grundlegend ändert. Wisch-Desinfektion durchgeführt. Das erfolgt durch Personelle Engpässe und Zeitdruck in den Gesund- Nass-Wischen mit Druck, eventuell Sprühdesinfekti- heitsberufen, in Notaufnahmen, die in erster Linie der on bei schwer zugänglichen Flächen und nachwi- schnellen Versorgung zum Teil lebensbedrohlicher schen. Mit Blut, Sekret usw. kontaminierte Flächen Erkrankungen und Verletzungen dienen, sowie durch werden mit einem Einmaltuch, das mit Desinfekti- wenig geschultes Reinigungspersonal werden immer onsmittel getränkt ist, gesäubert und anschließend wieder Schwachstellen sein. Dazu kommen Kreuzin- sauber gewischt. fektionen durch Aufnahmen und Verlegungen von Patienten von und in die diversen Gesundheitseinrich- Patienten mit Infektionen und auch insbesondere tungen, in Heime und das häusliche Umfeld. Patienten mit MRE werden in Isolationszimmern unter Anlegen von Schutzkleidung versorgt. Nach Daher wäre es sinnvoll, antimikrobielle Oberflächen Verlegung oder Entlassung des Patienten wird in der zu schaffen, die durch eine keimarme Umgebung Regel eine Scheuer-Wisch-Desinfektion durchgeführt. Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen verrin- Diese Art der Versorgung ist teuer, da zeit- und mate- gern, dadurch die personellen Ressourcen schonen, rialaufwändig. mittelfristig Ausgaben sparen und vor allen Dingen den Patienten eine erhöhte Sicherheit vor Kranken- hausinfektionen geben. www.vdi.de
VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie 11 3 Nanotechnologien und Einsatzgebiete 3.1 Einsatzgebiete Nanotechnologien zur Keimreduzierung im klinischen Umfeld werden im Wesentlichen zur antimikrobiellen Funktionalisierung von Oberflächen eingesetzt. Dabei werden die entsprechenden Nanotechnologien so ein- gesetzt, dass die Oberflächen möglichst dauerhaft, im Idealfall über die gesamte Produktlebensdauer hin- weg, antimikrobiell oder zumindest bakterienabwei- send ausgerüstet werden. Grundsätzlich könnten Nano- Bild 1. Dauerhafte Keimreduktion zwischen den technologien auch in Verbrauchsmaterialien, z. B. in Reinigungsschritten der Wasseraufbereitung, in Reinigungsmitteln und Des- infektionsmitteln eingesetzt werden. Da es hier bereits Nanotechnologiebasierte Oberflächenfunktionalisie- etablierte Lösungen gibt und der zulassungstechnische rungen sind grundsätzlich an allen hygienerelevanten Aufwand in keinem Verhältnis zum späteren wirt- Oberflächen im klinischen und medizinischen Bereich schaftlichen Ertrag steht, gibt es aber kaum F&E- denkbar. Entsprechend können die Einsatzgebiete Projekte, die sich mit diesen Anwendungsgebieten folgendermaßen gegliedert werden: befassen. Wir beziehen uns deshalb in diesem Status- report im Wesentlichen auf Nanotechnologien, die für 1 Einsatzgebiete im Körper des Patienten wie funk- eine dauerhafte oder langanhaltende Funktionalisie- tionalisierte Implantate rung von Oberflächen eingesetzt werden. 2 Einsatzgebiete am Patienten wie antimikrobielle Bei den eingesetzten Materialtechnologien handelt es Wundauflagen sich ganz im Gegensatz zu Reinigungs- und Desinfek- tionsmitteln und im Gegensatz zu Medikamenten um 3 Einsatzgebiete im Patientenumfeld wie antimikro- keine Verbrauchschemie, sondern um materialeffizi- biell funktionalisierte Oberflächen im Patienten- ente, dauerhafte und damit nachhaltige Funktionalisie- zimmer rungen von Oberflächen. Da entsprechend funktiona- Die unter 1 und 2 genannten Einsatzgebiete dienen in lisierte Oberflächen Erreger nur dann abtöten, wenn der Regel der Therapie des Patienten. Entsprechend sie mit der Oberfläche in Berührung kommen (also fallen diese Einsatzgebiete unter die Medizinproduk- keine Schmutzreste durchdringen), können antimikro- tezulassung. Einsatzgebiete, die nicht direkt der The- bielle Oberflächen herkömmliche Reinigungs- und rapie des Patienten dienen, aber die dazu beitragen, Desinfektionsmaßnahmen nicht ersetzen, wohl aber dass sich der Patient während eines Krankenhausauf- wirksam ergänzen. Während Reinigungs- und Desin- enthaltes nicht exogen infiziert, fallen in Europa hin- fektionsmaßnahmen zeitpunktbezogene Hygienestra- gegen unter die europäische Biozidzulassung. Genau- tegien darstellen, die nach festgelegten Vorschriften eres hierzu wird im Abschnitt 6 beschrieben. ablaufen, in festgelegten Intervallen wiederholt wer- den müssen und deshalb entsprechende Anforderun- Die Wirkweisen der Nanotechnologien können sehr gen an die Professionalität des eingesetzten Personals unterschiedlich sein. Während metallische Nanomate- stellen, stellen antimikrobiell funktionalisierte Ober- rialien und Metalloxide durch die Bildung von Ionen flächen eine Zeitraumhygienestrategie dar, die zusätz- vorwiegend auf den Stoffwechsel von Bakterien ein- lich auch zwischen zwei Reinigungsmaßnahmen und wirken, verhindern nanostrukturierte Oberflächen die unabhängig von der Professionalität des eingesetzten Anhaftung von Bakterien. Fotoaktive Nanomateria- Reinigungspersonals wirken (siehe Bild 1). lien hingegen erzeugen in der Regel bei UV-Lichtein- fall Sauerstoffradikale, die die Keime zerstören. Außerdem erhalten Oberflächenbereiche, die für Rei- nigungs- und Desinfektionsmaßnahmen nicht oder Die Wirkweise der Nanoteilchen beruht auf ihrem schlecht zugänglich sind (Ritzen, Ecken, Unterseiten extrem großen Oberflächen-Masse-Verhältnis. Bei etc.) einen zusätzlichen Hygieneschutz, der z. B. die Metallen werden z. B. nur an der Oberfläche durch Ansiedlung von Biofilmen verhindert kann. den Kontakt mit Sauerstoff und Feuchtigkeit Ionen gebildet. Diese Ionen sind es, die den Stoffwechsel der Keime stören. Je kleiner Partikel sind, desto grö- ßer wird die Oberfläche pro Masseeinheit und umso mehr Ionen werden gebildet. Nanosilberpartikel bil- www.vdi.de
12 VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie den deshalb mehr Ionen als alle Teilchen die größer sogar dazu führen, dass weniger Nanopartikel in die sind. Dies bedeutet allerdings nicht, dass man die Umwelt gelangen. [15] Wirkung zwangsläufig mit Nanoteilchen erhöhen will, vielmehr soll in den meisten Fällen der Materialein- satz drastisch reduziert werden und so die Verarbeit- 3.2 Wirkmechanismen gegen Bakterien barkeit vereinfacht bzw. oft erst ermöglicht werden. Antibakterielle Wirkung ist verknüpft mit Verbindun- Eine vollflächige Silberbeschichtung hat beispielswei- gen, die die Bakterien lokal abtöten oder deren se auch eine sehr gute antimikrobielle Wirkung. Wachstum reduzieren, ohne dabei die gesunden Zel- Durch den Einsatz von Nanosilber benötigt man aller- len in der Umgebung zu schädigen. Die am häufigsten dings nur einen Bruchteil des wertvollen Edelmetalls eingesetzten Medikamente mit bakterizider Wirkung (ca. 200–500 ppm). Außerdem kann Nanomaterial sind chemisch modifizierte Naturstoffprodukte wie aufgrund der Größe und der geringen Einarbeitungs- die ß-Lactame (u. a. Penicilline), Cephalosporine, menge in nahezu jede Matrix eingearbeitet werden, Carbapeneme oder die Aminoglycoside. Zu den rein ohne deren sonstigen Eigenschaften zu beeinflussen. synthetischen Antibiotika gehören die Sulfonamide. Der Grund für den Einsatz von Nanomaterialien zur Aufgrund ihrer breiten und teils ungezielten Verwen- Oberflächenfunktionalisierung ist der genau dosierte, dung haben Bakterien gegen diese Medikamente sparsame Umgang mit wertvollen Rohstoffen und die Resistenzen entwickelt, welche die moderne Medizin Möglichkeit, die Materialien in nahezu jede Matrix vor große Herausforderungen stellt (siehe Bild 2). einfach (z. B. über Extrusionsprozesse) einzuarbeiten. Die Bakterien wehren sich gegen diese Antibiotika Die Zulassungsverfahren der gesetzgebenden Stellen durch folgende Maßnahmen (siehe Bild 3): gewährleisten, dass bei der angewandten mikrobiell wirksamen Dosierung ein Risiko für Menschen wei- reduzierte Aufnahme (Transporter) testgehend ausgeschlossen wird. gesteigerten Efflux (Transporter) An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass z. B. Silber sehr reaktiv ist und sich Nanopartikel Produktion inaktivierender Proteine inner- und sowohl auflösen als auch durch die Reduktion von außerhalb der Zelle Ionen neu bilden können. Wie die EMPA in einem Forschungsprojekt zu silberbehandelten Textilien verbesserte Reparaturmechanismen gezeigt hat, wurden nicht etwa im Waschwasser von Textilien, die mit Nanosilber ausgerüstet wurden, die Hier bieten Nanopartikel einige Vorteile. Die wich- meisten Silbernanopartikel gefunden, sondern im tigste Eigenschaft der Nanopartikel liegt in ihrem Waschwasser von Textilien, die mit konventionellen großen Verhältnis von Oberfläche zu Volumen. Damit Silberformen ausgerüstet worden sind. Der Einsatz haben diese Partikel besondere physiko-chemische, von Nanomaterialien heißt deshalb nicht zwangsläu- Eigenschaften. Nanopartikel können z. B. aufgrund fig, dass mehr Nanopartikel in die Umwelt gelangen, ihrer elektrostatischen Ladung an die Außenmembran sondern es kann, wie der EMPA-Versuch gezeigt hat, von Bakterien binden und deren Integrität zerstören. Bild 2. Übersicht zum Abwehrverhalten von Bakterien www.vdi.de
VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie 13 Bild 3. Mechanismen zur Zelltoxizität von Nanopartikeln gegenüber Bakterien Die Art der Toxizität hängt hierbei stark von der che- organische Nanomaterialien, die antimikrobielle Ef- mischen Natur des Nanopartikels (Art des Metalls, fekte zeigen. Da sich unseres Wissens nach keines Elektronegativität, Ionen-/Atomradius, Hydrophilie, dieser Materialien noch im EU-Biozid-Zulassungs- Oxidationszahl, Polarität, effektive Oberflächenla- verfahren für Altwirkstoffe befindet und eine Neupro- dung = Zeta-Potenzial), der Art des Zellwandaufbaus duktezulassung im Rahmen der EU-Biozidzulassung (grampositv: mehrschichtig; gramnegativ: einschich- mit einem immensen zeitlichen und finanziellen Auf- tig) sowie dem pH-Wert (Einfluss aus Agglomeration wand verbunden wäre, ist nicht davon auszugehen, der Nanopartikel), der Luftfeuchtigkeit und dem Sau- dass Unternehmen in Europa in der Zukunft in weitere erstoffgehalt der Umgebung ab. Produktinnovationen in diesem Bereich investieren werden. Selbst wenn Unternehmen dieses entwick- Um die Toxizität von Nanopartikeln zu studieren, gibt lungstechnische und zulassungstechnische Risiko es derzeit zwei Ansätze. Bei dem ersten werden Na- eingehen würden, wäre mit einer Zulassungsdauer nopartikel mit den zu untersuchenden Zellen oder nicht unter fünf Jahren zu rechnen. Wahrscheinlich Erregern in einem flüssigen Medium inkubiert und sind eher zehn Jahre und mehr. Am Ende bliebe im- danach die Vitalität der biologischen Komponenten mer das Risiko, dass das Material nicht zugelassen bestimmt. Ein Nachteil dieser Methode ist die meist würde. Weitere Nanomaterialinnovationen in diesem unverhältnismäßig hohe Konzentration an Nanoparti- Bereich sind deshalb vor dem aktuellen Zulassungs- keln und deren Tendenz zu agglomerieren. Wesent- hintergrund zumindest in Deutschland und Europa lich näher an der Realität ist das Auftragen der Nano- nicht zu erwarten. partikel mittels Elektrosprayverfahren auf die zu un- tersuchende Oberfläche [23] und die Testung der Ein interessantes Forschungsgebiet im Bereich der keimreduzierenden Beschichtung mittels JIS-Test Nanotechnologien könnten allerdings nanostrukturier- oder trockener Anschmutzung. [85; 86; 96] te Oberflächen darstellen. Da derartige Technologien nicht automatisch unter das EU-Biozidzulassungsver- fahren und die Medizinproduktezulassung fallen, 3.3 Nanotechnologien für den Einsatz entfällt gegebenenfalls eine wesentliche Hürde hin zur im klinischen Umfeld Markteinführung. Dieser Nanotechnologiegruppe wollen wir deshalb ein eigenes Kapitel widmen. Wie bereits erwähnt werden Nanomaterialien und Nanotechnologien, die der Keimreduzierung dienen, im klinischen Umfeld vor allem zur Oberflächenfunk- 3.4 Nanomaterialtechnologien tionalisierung eingesetzt. In den letzten Jahren haben sich dabei zwei Nanomaterialgruppen herauskristalli- Die einzelnen Materialgruppen werden in der folgen- siert, die für eine hygienische Oberflächenfunktionali- den Abschnitten näher beschrieben. sierung in besonderem Maße infrage kommen. Dies sind silberbasierte Nanomaterialien und fotoaktive Nanomaterialien (im Wesentlichen vertreten durch TiO2). Darüber hinaus gibt es noch eine ganze Reihe von metallischen und metalloxidbasierten Nanomateria- lien, die grundsätzlich für eine antimikrobielle Ober- flächenausrüstung infrage kommen. Ebenfalls gibt es www.vdi.de
14 VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie 3.4.1 Metallbasierte Nanomaterialien auf Arbeitsflächen, in medizinischen Geräten, in Fil- mit Fokus auf silberbasierte tern (z. B. für Staubsauger, Raumluftbefeuchter, Kli- maanlagen), Folien, Rohren, Klinikmöbeln, Fußbö- Nanomaterialien den, in der Rasenpflege, zur Wasseraufbereitung, in Wand- und Bodenbelägen (antibakterielle Tapeten, Nanosilber Farben). Nanosilber bezeichnet Partikel aus metallischem Sil- Der Vorteil von Nanosilber ist die geringe Teilchen- ber, die zumindest in einer Dimension 1 nm bis größe; sie ermöglicht dünne Schichten und durch die 100 nm messen. Nanosilber-Partikel können sich in Nanoskaligkeit bleibt die Transparenz erhalten. Die der Natur spontan bilden und abbauen oder gezielt Risikodiskussion der letzten Jahre führte zu umfang- hergestellt werden. Durch den Nanomaßstab ergibt reichen Studienmaterialien, die in Summe das geringe sich eine Oberflächenvergrößerung pro Volumenein- Risikopotenzial von Nanosilber bestätigen. heit und damit einhergehend eine erhöhte chemische, biologische und katalytische Aktivität. Aufgrund der Der Nachteil ist die Gelbfärbung durch den Plasmonre- größeren Oberfläche können mehr reaktive Silberio- sonanzeffekt des Nanosilbers. Für den Einsatz im Me- nen freigesetzt werden. Das günstige Oberflächen- dizinbereich ist die viruzide und sporozide Wirkung Volumen-Verhältnis führt zu einer effektiveren Wir- deutlich geringer als bei starken Desinfektionsmitteln, kung bei gleichzeitig geringerem Rohstoffeinsatz. deren Substitution aber nicht zur Diskussion steht. Die Zahl der Hersteller von Nanosilber hat sich in den Der Wirkstoff Nanosilber ist nach Biozid-Verordnung letzten Jahren verringert bzw. scheint eine Marktbe- (BPR) (EU) Nr. 528/2012 verkehrsfähig. Durch einen reinigung im Vorfeld der Biozid-Zulassung und als Eintrag in der ECHA – List of compliant notifications Folge der Nano-Verunsicherung stattgefunden zu ha- vom 07.11.2016 unter der CA-Substance-Nr. 7440- ben. In Europa gibt es zwei Firmen, die HeiQ Materi- 22-4 „Elementares Silber (Nanoform)“ ist dies von als AG in Schlieren (Schweiz) http://heiq.com/techno- EU-Seite offiziell bestätigt. Das für die Bewertung logies/heiq-fresh-tech und die RAS AG, Regensburg notwendige Wirkstoff-Dossier wurde fristgerecht http://ras-ag.com/agpure. Namhafte Vertreter in den eingereicht und ist seit September 2015 in der Bewer- USA sind die NanoHorizons Inc., Bellefonte (USA) tung. Diese wird voraussichtlich nach 2021 abge- http://www.nanohorizons.com/index-3.html und die schlossen sein. Die Wirkstoff-Zulassung wurde für NUCRYST Pharmaceuticals Corp, East Princeton die Produktarten (PA) 2, 4 und 9 beantragt. (USA) http://www.nucryst.com/acticoat_dres- sings.htm. Die Vermarktung nanosilberhaltiger Bioizidprodukte läuft dementsprechend ordnungsgemäß. Die antimikrobielle Wirkung des Silbers beruht auf den Silberionen Ag+, die an der Oberfläche von Sil- bernanopartikeln besonders effektiv gebildet werden. Nanokupfer, Nanogold, Nanoeisen, Grundsätzlich werden drei Wirkmechanismen ange- andere Metalle/Oxide nommen: Von den metallischen Nanomaterialien ist Nanosilber Interaktionen der Silberionen mit der Zellmem- aktuell das mit weitem Abstand bedeutendste Materi- bran führen zu einer Verringerung in der Anhef- al, das für eine antimikrobielle Oberflächenfunktiona- tung der Mikroorganismen an ihren Untergrund lisierung infrage kommt. Neben Nanosilber gibt es und dadurch zu schlechten Wachstumsbedingun- allerdings noch eine ganze Reihe von weiteren metal- gen. lischen Nanomaterialien, die antimikrobielle Eigen- Silberionen blockieren Schritte im Stoffwechsel schaften zeigen. Diese Materialien werden im Fol- und verringern dadurch die Vitalität der Mikroor- genden überblickartig vorgestellt. ganismen. Nanokupfer Silberionen verursachen Schädigungen im Zell- inneren durch eine unumkehrbare Interaktion mit Nanokupfer wirkt auf ähnliche Weise wie Nanosilber, schwefel- und phosphathaltigen Aminosäuren allerdings weniger effizient, antimikrobiell/fungizid. und Proteinen. Kupferionen und daraus resultierende reaktive Sauer- stoffspezies (ROS) reagieren insbesondere mit Schwe- Nanosilber wird, vor allem in den USA und im asiati- fel-, Amino- und Carboxylgruppen von Proteinen. Dies schen Raum, bereits in einer Vielzahl von Produkten führt zur Inaktivierung essenzieller mikrobieller Protei- eingesetzt. Die Anwendungsbereiche sind sehr groß. ne und damit zur Verhinderung mikrobiellen Wachs- Möglich ist der Einsatz u. a. in Kosmetika, Hygienear- tums [16]. Kupfer oxidiert sehr schnell und ist daher in tikeln und Lebensmittelkontaktmaterialien, Textilien, www.vdi.de
VDI-Statusreport – Keimreduzierung im klinischen Umfeld durch Nanotechnologie 15 der Nanoform in der Regel nur als Komposit einsetz- eingearbeitet, so weist dieses Antihafteigenschaften bar. Kupfer-Nanopartikel werden in verschiedensten und eine signifikante Reduktion von gramnegativen Bereichen eingesetzt, beispielweise als Katalysatoren, und -positiven Bakterien auf der Oberfläche auf. in Sensoren, elektrischen Anwendungen oder als Schmiermittel-Additive. In der medizinischen For- schung und Anwendung finden sie in der Bildgebung 3.4.2 Metalloxid-Nanopartikel (MRI, PET) und Theranostik Verwendung [17]. Die antimikrobielle Wirksamkeit von konventionellem Metalloxide der Haupt- und Nebengruppen haben Kupfer (nicht in Nanoform) zur Oberflächenfunktio- nicht nur eine sehr weit verbreitete katalytische An- nalisierung wurde im klinischen Umfeld gezeigt [18]. wendung in der Industrie, sondern sie spielen auch eine essenzielle Rolle bei Stoffwechselprozessen in lebenden Organsimen. Die mit diesen Enzymen Nanogold wechselwirkenden organischen Substanzen werden Gold-Nanopartikel können über eine Reihe von Ver- hierbei zunächst physikalisch adsorbiert und anschlie- fahren erhalten werden, etwa über die nasschemische ßend entsprechend ihrer elektronischen Natur in Re- Reduktion von Tetrachlorgoldsäure (HAuCl4) oder doxprozessen chemisch reduziert oder oxidiert. über physikalische und mechanische Methoden [19]. In den vergangenen 15 Jahren konnte gezeigt werden, Nanogold ist chemisch relativ inert, gut zu beschich- dass Nano-Metalloxide eine starke antimikrobielle ten, thermisch sehr leitfähig und hat charakteristische Wirkung gegen grampositive und -negative Bakterien optische Eigenschaften. Dadurch ergibt sich eine haben [21]. Durch die Art der Darstellung, die Oberflä- Vielzahl möglicher Einsatzgebiete. Au-Nanopartikel chenmodifikation, die Partikelgröße und die Art der reagieren – wie Silberpartikel – mit schwefel- oder kristallinen Form von anorganischen Nanopartikeln phosphorhaltigen Proteinen, welche infolgedessen eröffnen sich neue Möglichkeiten zur Darstellung einer inaktiviert werden. Es entstehen freie Radikale, die neuen Generation antibakterieller Materialien [22]. Enzyme der Atmungsketten sowie auch die DNA schädigen und so zum Zelltod führen. [20] Nanogold Die Toxizität ist abhängig von der Exposition und der ermöglicht trotz des teuren Ausgangsmaterials durch nanopartikulären Größe von Aluminium, Kupfer, einen effizienten Materialeinsatz eine Reihe innovati- Gold, Magnesium, Silber, Titan und Zink. Metall- ver Anwendungen. Die hohe Biokompatibilität von oxide wie Zinkoxid (ZnO), Titandioxid (TiO2) und Nanogold erlaubt die Anwendung in der medizini- Magnesiumoxid (MgO) sind chemisch stabil und schen Diagnostik und der Bildgebung. Auch für die gelten als gesundheitlich unbedenklich für den Men- gezielte Abgabe von Pharmazeutika im Körper sowie schen. in der Tumortherapie werden Nanogoldpartikel einge- setzt. Verschiedene biomedizinische Testverfahren (u. a. Schwangerschaftstests) sind kommerziell erhält- Aluminiumoxid lich. Nanogold ist außerdem in Kosmetikartikeln enthalten. Aluminiumoxid-Nanopartikel (Nano-Al2O3) haben Nanogold dient als Katalysator und in der Informa- eine breite Anwendung in der Industrie und in kosme- tions- und Kommunikationstechnologie zur Herstel- tischen Produkten. Nach bisherigen Ergebnissen be- lung leitfähiger Tinten. Obwohl Nanogold eine biozi- sitzt Nano-Al2O eine moderate Wirksamkeit gegen de Wirkung hat, wird es als Flächenbiozid aufgrund das Wachstum von E. coli [24]. des hohen Preises in absehbarer Zukunft keine Rolle spielen Eine Produktübersicht ist unter folgendem Link zu finden: http://www.nanotechproject.org/cpi/ Kupferoxid browse/nanomaterials/gold. Kupferoxid findet eine weite Verarbeitung als Oxida- tionsprodukt auf Kupferblechen und -bauteilen oder Nanoeisen als Additiv in Polymeren. Antimikrobielle Eigen- schaften von Nanokupferoxid (Nano-CuO) werden Eisen(0) kann in wässriger Lösung Bakterien inakti- berichtet gegen E. coli, B. subtilis, S. aureus/MRSA, vieren, jedoch ist die antibakterielle Wirkung auf- und weitere pathogene Erreger [25; 26; 31]. Es wird grund der schnellen oxidativen Korrosion von Fe(0) angenommen, dass die starke antibakterielle Wirkung stark eingeschränkt und daher nur begrenzt anwend- von Kupfer und Nanokupfer mit der Bildung einer bar. Stattdessen werden Oxide oder Komposite getes- Oxidschicht verbunden ist und die toxische Wirkung tet: Als Bulkmaterial gesundheitlich völlig inert ent- auf der Freisetzung von Kupferionen beruht. wickelt Eisenoxid (Fe3O4) im Nanomaßstab interes- sante antimikrobielle Eigenschaften. Wird Nano- eisenoxid in die Oberfläche eines Trägermaterials www.vdi.de
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