FLEISCHATLAS KLIMA UND - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel - Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg
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IMPRESSUM Der FLEISCHATLAS 2021 ist ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Le Monde Diplomatique. Inhaltliche Leitung: Christine Chemnitz, Heinrich-Böll-Stiftung (Projektleitung) Katrin Wenz, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. Projektmanagement, Grafikrecherche: Dietmar Bartz Art-Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar Textchefin: Elisabeth Schmidt-Landenberger Dokumentation und Schlussredaktion: Andreas Kaizik, Sandra Thiele (Infotext GbR) Mit Originalbeiträgen von Reinhild Benning, Matthias Brümmer, Christine Chemnitz, Inka Dewitz, Astrid Häger, Carla Hoinkes, Heike Holdinghausen, Kristin Jürkenbeck, Ilse Köhler-Rollefson, Silvie Lang, Jonas Luckmann, Bettina Müller, Lia Polotzek, Christian Rehmer, Julia Schmid, Maureen Schulze, Shefali Sharma, Achim Spiller, Lisa Tostado, Katrin Wenz, Sabine Wichmann, Stephanie Wunder, Anke Zühlsdorf Die Beiträge geben nicht notwendig die Ansicht aller beteiligten Partnerorganisationen wieder. Die Flächenfarben der Landkarten zeigen die Erhebungsgebiete der Statistik an und treffen keine Aussage über eine politische Zugehörigkeit. Titel: Ellen Stockmar Bildbearbeitung: Roland Koletzki V. i. S. d. P.: Annette Maennel, Heinrich-Böll-Stiftung 1. Auflage, Januar 2021 ISBN 978-3-86928-224-4 Produktionsplanung: Elke Paul, Heinrich-Böll-Stiftung Druck: Druckhaus Kaufmann, Lahr Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier. Dieses Werk mit Ausnahme des Coverfotos steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – 4.0 international“ (CC BY 4.0). Der Text der Lizenz ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode abrufbar. Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de nachzulesen. Sie können die einzelnen Infografiken dieses Atlas für eigene Zwecke nutzen, wenn der Urhebernachweis Bartz/Stockmar, CC BY 4.0 in der Nähe der Grafik steht (bei Bearbeitungen: Bartz/Stockmar (M), CC BY 4.0.) BESTELL- UND DOWNLOAD-ADRESSEN Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin, www.boell.de/fleischatlas Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V., Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin, www.bund.net/fleischatlas Der Fleischatlas kann auch im Klassensatz für den Unterricht bestellt werden. Die Bestellbedingungen finden Sie auf unserer Website unter www.boell.de/publikationen.
INHALT 02 IMPRESSUM 18 KONZERNE DAS ZIEL IST MARKTMACHT – 06 VORWORT VOM STALL BIS ZUM KÜHLREGAL Globale Fleischkonzerne spielen eine wichtige 08 ZWÖLF KURZE LEKTIONEN Rolle bei der Frage, wie Fleisch und Futter- ÜBER FLEISCH UND DIE WELT mittel produziert, transportiert und gehandelt werden. Ernährung ist lukrativ: Unter den 100 10 KONSUM größten Lebensmittel- und Getränkemultis der ALLTAGSESSEN UND LUXUSGUT Welt finden sich auch die zehn umsatzstärksten Die globale Nachfrage nach Fleisch Schlacht- und Weiterverarbeitungsbetriebe. steigt durch Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum weiter an, 20 PASTORALISMUS allerdings langsamer als noch KARGES LAND UND REICHER NUTZEN vor zehn Jahren. Geflügel macht dabei Mobile Hirtenvölker ziehen mit ihren einen immer größeren Anteil aus. Nutztieren noch über die abgelegensten Die großen Unterschiede beim Weiden. Diese Wirtschaftsform, der Pro-Kopf-Konsum zwischen Ländern und Pastoralismus, ist ökonomisch bedeutend und Bevölkerungsgruppen bestehen fort. klimafreundlich, aber auch stark bedroht. 12 HANDEL 22 KLIMA IN DIE FALSCHE RICHTUNG DER FUSSABDRUCK DER TIERE Beim Assoziierungsabkommen Der Anteil der Viehzucht an den globalen zwischen der EU und vier Mercosur-Staaten Treibhausgasemissionen wird oft unterschätzt, geht es um viel Fleisch und Futtermittel, doch in der Klimarechnung hinterlassen den Regenwald und das Klima. Aber die die Nutztiere und ihr Futter deutliche EU hat Angst vor billigen Importen, und Spuren. Es gibt Vorschläge, das zu ändern. der Widerstand wächst. Ob das Abkommen in Kraft tritt, ist deshalb fraglich. 24 PESTIZIDE IN DER EU VERBOTEN, 14 PRODUKTION IN SÜDAMERIKA ERLAUBT EINE PROBLEMATISCHE NAHRUNG Weltweit steigt die Verwendung von Pestiziden UND IHRE GROSSEN ERZEUGER in der Landwirtschaft. Einige der gefährlichsten Globalisierung und Reformen in vielen Stoffe wurden in der EU bereits verboten, Ländern Asiens und Osteuropas haben kommen in anderen Teilen der Welt aber im die Produktion tierischer Erzeugnisse in großen Stil zum Einsatz. Viele sind für den den letzten Jahrzehnten erhöht. Anbau von Soja und Mais bestimmt, die meist Tierseuchen tragen dazu bei, dass im Futtertrog von Nutztieren landen. die kleinbäuerlichen Betriebe verlieren. 26 WASSER 16 FUTTER DER UNSICHTBARE DURST DER ERNTEN, BIS DER VIEHTROG VOLL IST TIERE – UND IHRES FUTTERS Über ein Drittel aller Feldfrüchte In allen tierischen Produkten steckt auch ein weltweit landet in den Mägen von Wasserfußabdruck. Dabei ist nicht die Nutztieren – allein eine Milliarde Tonnen Gesamtmenge zu betrachten, sondern nach Soja und Mais jährlich. Die Futtermittel- Wasserkategorien zu unterscheiden. Grünes industrie und die Tierhalter wollen Wasser gibt es genug – auf möglichst wenig das noch steigern. blaues und graues Wasser kommt es an. 4 FLEISCHATLAS 2021
28 MOORE 38 SCHLACHTHÖFE IN DEUTSCHLAND WIEDERVERNÄSSUNG ALS CHANCE KLIMA DER ANGST In vielen Teilen Europas werden Die Corona-Infektionen haben ein grelles Rinder auf entwässerten Moorböden Licht auf die schlechten Arbeitsverhältnisse gehalten. Seit ihrer Trockenlegung emittieren in deutschen Schlachthöfen geworfen. die Torfböden enorme Mengen an Es müsste, gegen den Trend, mehr staatliche Treibhausgasen. Die klimaverträgliche Kontrollen geben. Nutzung dieser Flächen zu organisieren, wäre Aufgabe der Agrarpolitik. 40 VERSCHWENDUNG IN DEUTSCHLAND VIEL ZU WENIG WIRD VERMIEDEN 30 ANTIBIOTIKA Entlang der gesamten Wertschöpfungs- ZU VIEL DAVON IM TIERSTALL – UND kette verenden Tiere und werden EINE GEFAHR FÜR DIE MENSCHEN Hunderttausende Tonnen Fleisch vergeudet. Antibiotika helfen bei vielen Die Verschwendung von Ressourcen Erkrankungen. Das große Problem: für deren Produktion ist enorm. Erreger in Menschen und Tieren können gegen Antibiotika resistent werden, 42 KULTURWANDEL eine tödliche Gefahr. Doch in der VERHÄNGNISVOLLE SYMBOLIK Nutztierhaltung werden sie noch Kritik am Fleischverbrauch muss es mit immer nicht sparsam genug eingesetzt. vielem aufnehmen: mit geschicktem Marketing, gesellschaftlichen Werten 32 PANDEMIEN und Traditionen. Für einen reduzierten GEFÄHRLICHE KONTAKTE Fleischkonsum müssen sich langfristig Viehzucht und Fleischverzehr sind die sozialen Normen ändern. Ursachen für den Ausbruch von Krankheiten, die von Wildtieren auf Menschen 44 ERSATZPRODUKTE übergehen. Solche Zoonosen können ÜBERALL WIRD EXPERIMENTIERT katastrophal sein – wie im Fall von Covid-19. Veganer und vegetarischer Ersatz für Fleisch und Wurst wird schnell beliebter – und 34 JUGENDUMFRAGE für Großkonzerne attraktiv. Als Nächstes WENIGER FLEISCH, entbrennt wohl die Konkurrenz mit MEHR FUTURE In-vitro-Fleisch. Start-ups mit Produkten Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung aus dem Labor sprießen aus dem Boden. ernähren sich doppelt so viele 15- bis 29-Jährige vegetarisch oder vegan. Für 46 POLITIK viele junge Erwachsene ist der Verzicht auf NÄCHSTE SCHRITTE Fleisch ein politisches Statement. Längst haben zivilgesellschaftliche Organisationen Vorschläge für eine klima- 36 PRODUKTION IN DEUTSCHLAND und umweltfreundliche Tierhaltung RABIATER STRUKTURWANDEL ausgearbeitet. Doch Fortschritte zeichnen Die Zahl der Tierhaltungen in sich nur bei den Haltungssystemen ab. Deutschland sinkt seit Jahrzehnten – und zwar schnell. Finanzkräftige 48 AUTORINNEN UND AUTOREN, Betriebe vergrößern dagegen ihre QUELLEN VON DATEN, KARTEN Bestände noch. Bei der Verteilung der UND GRAFIKEN Tiere und beim Ökoanteil unterscheiden sich die Regionen stark. 50 ÜBER UNS FLEISCHATLAS 2021 5
VORWORT E s schien wie ein Weckruf, als im Sommer 2020 Covid-19 in Deutschlands größtem Schlachthof ausbrach: Die „ Trotz Skandalen und Corona – die Bundesregierung will von einer „Fleischwende“ erste Welle der Pandemie verklang gerade, nichts mehr wissen. da meldeten die Gesundheitsämter mehr als 1.500 infizierte Arbeiterinnen und Arbeiter in dem Mega-Schlachtbetrieb von gegeben, in der Meinungsbilder von Men- Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Dort, wo schen zwischen 15 und 29 erhoben wurden. am Tag knapp 30.000 Schweine geschlachtet werden, musste aufgrund der Pandemie Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als zwei alles stillgelegt werden. Infiziert waren vor Drittel der jüngeren Generation die heutige allem Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem Fleischindustrie ablehnen. Sie sehen in der Ausland, die in der Fabrik für wenig Geld Fleischproduktion eine Bedrohung für das arbeiten und unter prekären Bedingungen Klima und ernähren sich doppelt so oft wohnen. Agrarministerin Klöckner vegetarisch und vegan wie der Durchschnitt verkündete einen grundlegenden Wandel der gesamten Bevölkerung. Und sie sehen in der Fleischindustrie, sogar ein „Fleisch- Handlungsbedarf beim Staat: Er soll Konsu- Gipfel“ wurde organisiert. mentinnen und Konsumenten darin unter- stützen, sich klimafreundlich zu ernähren. Endlich der Moment für einen grundlegen- Das sind interessante Ergebnisse, denn im den Wandel? Leider nein. Durch den Gegensatz dazu proklamieren viele Kampf der Gewerkschaften endet nun die Politikerinnen und Politiker, dass Ernährung Zeit der Leiharbeit und der Werkverträge eine persönliche Entscheidung sei – und in den Schlachthöfen. Ein erster wichtiger der Staat nichts gegen den Konsum von Schritt. Doch weiter geht der Umbau billigem Fleisch unternehmen könne. der Fleischindustrie nicht. Die Corona- D Aufregung erinnert an die vielen anderen och das ist falsch. So wie die Produk- Skandale, die in den letzten Jahrzehnten tionsbedingungen kann der Staat auch ohne wirkliche Konsequenzen an der den Konsum beeinflussen. Ernährung Branche vorbeigezogen sind. Für uns ist ist zwar individuell. Doch Gesetze und Regeln es kaum nachvollziehbar, wie wenig sich können unsere Konsumentscheidungen zu- ändert – trotz der seit nun fast zehn Jahren gunsten von Nachhaltigkeit und Gesundheit anhaltenden öffentlichen Kritik und steuern. Instrumente dafür gibt es zahlreiche: der vielen Skandale. fiskalische, informatorische und rechtliche. Uns hat in diesem Zusammenhang Vor allem aber bedarf es eines entschiedenen interessiert, wie die jüngere Generation politischen Willens zur Veränderung. Doch mit ihrem beeindruckenden Engagement die Bundesregierung will von einer „Fleisch- gegen die Klimakrise diese Beharrungskräfte wende“ offenbar nichts mehr wissen. Das der Fleischindustrie erlebt. Daher haben ist auch im globalen Zusammenhang ein wir eine repräsentative Umfrage in Auftrag dramatischer Irrweg, weil die ökologischen, 6 FLEISCHATLAS 2021
sozialen und gesundheitlichen Folgen der industriellen Fleischproduktion ignoriert werden: Ohne Kurswechsel wächst die „ Ernährung ist zwar individuell. Doch Gesetze und Regeln können unsere Fleischproduktion bis zum Jahr 2029 noch Konsumentscheidungen steuern. einmal um 40 Millionen Tonnen auf dann mehr als 360 Millionen Tonnen Fleisch pro Jahr. Die Folgen kann man sich kaum Konsumentinnen greifen immer häufiger vorstellen, weil bereits jetzt die ökologischen zu vegetarischen Produkten oder zu Grenzen unseres Planeten überschritten Fleisch aus besserer Haltung. Die deutsche werden und die Klima- und Biodiversitäts- Agrarpolitik hingegen pflegt ihre Ver- krise für viele Menschen weltweit dramati- weigerungshaltung. Neue Konzepte gibt sche Auswirkungen hat. es, doch leider wird die Umsetzung im Landwirtschaftsministerium verschleppt. I m Jahr 2015 haben sich die Staats-und D Regierungschefs der Welt auf die aher soll dieser Atlas all diejenigen globalen Entwicklungsziele (SDGs) in ihrer Arbeit und ihrem Enga- geeinigt. Der Schutz des Klimas, der gement unterstützen, die sich für Biodiversität, der Meere und allem voran Klimagerechtigkeit einsetzen. Er beleuchtet das Ende von Hunger und absoluter Armut die Probleme, die aus der industriellen stehen auf der Liste der 17 Ziele. Die Land- Fleischproduktion entstehen und liefert wirtschaft ist eng mit dem Erfolg der Ziele neue Daten und Fakten zu Themen, die verknüpft, doch steht gerade die indust- wir auch zuvor schon aufgegriffen haben. rielle Fleischproduktion dem im Weg. Sie Zwar mangelt es noch an positiven Trends, befeuert die Klimakrise, Waldrodungen, doch es wird deutlich, dass viele, gerade Pestizideinsätze und Biodiversitätsverluste, auch junge Menschen die Machen- vertreibt Menschen von ihrem Land. schaften der Fleischindustrie nicht mehr hinnehmen wollen und sich zunehmend Die globalen Nachhaltigkeitsziele müssen für Klima, Nachhaltigkeit, Tierwohl und wir in neun Jahren erreichen. Und das Ernährung interessieren und einsetzen. bedeutet, dass die Industrieländer ihren Das ist großartig. Darum möchten wir mit hohen Fleischverbrauch auf Kosten des diesem Atlas vor allem ihr Engagement Klimas, der Biodiversität, globaler Gerech- mit Informationen stärken. tigkeit und des Tierwohls um mindestens fünfzig Prozent reduzieren müssen. Barbara Unmüßig Vor acht Jahren haben wir den ersten Heinrich-Böll-Stiftung Fleischatlas veröffentlicht. Seitdem hat Olaf Bandt sich in Deutschland einiges verändert. In Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland Gesellschaft, Medien und Wissenschaft ist Fleisch inzwischen als kritisches Dorothee D’Aprile Thema etabliert. Konsumenten und Le Monde diplomatique, deutsche Ausgabe FLEISCHATLAS 2021 7
12 KURZE LEKTIONEN ÜBER FLEISCH UND DIE WELT 1 Die globale Fleischproduktion wächst. Doch KLIMA UND BIODIVERSITÄT können nur geschützt werden, wenn die Industrieländer ihren FLEISCHKONSUM HALBIEREN. 2 Je mehr Wälder für FUTTERMITTEL gerodet werden, desto mehr schrumpfen die LEBENSRÄUME der Wildtiere. Der Kontakt zwischen Menschen und Tieren wird enger – das begünstigt die Übertragung von Viren und die Entstehung neuer PANDEMIEN. 3 Der STRUKTURWANDEL in der Landwirtschaft geht weiter. Wenige Betriebe – die ihre Tiere unter industriellen Bedingungen halten – wachsen noch. 4 Der Einsatz von ANTIBIOTIKA IN DER TIERHALTUNG führt zu immer mehr RESISTENTEN KEIMEN. Dies bedroht die Wirksamkeit von Antibiotika, einem der wichtigsten Mittel der Humanmedizin. 5 Die führenden Anbauländer von Futter- mitteln gehören zu den größten Anwendern von PESTIZIDEN – zum Schaden von Grundwasser und BIODIVERSITÄT. 6 Die fünf größten FLEISCH- UND MILCHKONZERNE emittieren genauso viele KLIMASCHÄDLICHE GASE wie Exxon, der größte ÖLMULTI der Welt. 8 FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / STOCKMAR 7 Moorflächen werden häufig für die Tierhaltung genutzt. Würde die EU drei Prozent ihrer agrarisch genutzten MOORFLÄCHEN WIEDERVERNÄSSEN, könnte sie ein Viertel der klimaschädlichen EMISSIONEN AUS DER LANDWIRTSCHAFT EINSPAREN. 8 Unsere GEWOHNHEITEN, Rollenbilder und die Werbung sowie gesellschaftliche Traditionen regen zum FLEISCHESSEN an. Die Ernährungsindustrie profitiert vom Status quo. |||||| SCHWEIN? |||||| FREITAGS GEHABT! |||||| |||||| STOP! FÜRS KLIMA ||| ||||| INLANDSFLÜGE NUR FÜR INSEKTEN ||||| ||| GRÜNKOHL STATT BRAUNKOHLE 9 Viele JUNGE MENSCHEN in Deutschland haben eine KRITISCHE HALTUNG zum Fleischkonsum. Drei Viertel lehnen die heutige Fleischproduktion ab. 10 Junge Menschen ernähren sich doppelt so häufig VEGETARISCH UND VEGAN wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Viele sehen Ernährung nicht nur als etwas Individuelles, sondern wollen, dass der Staat STÄRKER EINGREIFT. 11 Der Markt für FLEISCHERSATZPRODUKTE wächst schnell. Ein großer Teil der jungen Konsumentinnen und Konsumenten findet, dass sie GUT SCHMECKEN. 12 Trotz der globalen Auswirkungen hat kein Land der Welt eine STRATEGIE ZUR SENKUNG DES FLEISCHKONSUMS. Dabei können Regierungen durch GESETZE und finanzielle Anreize wichtige Beiträge dazu leisten. FLEISCHATLAS 2021 9
KONSUM ALLTAGSESSEN UND LUXUSGUT Die globale Nachfrage nach Fleisch steigt son gegessen werden, sind es in den USA und Australien durch Wirtschafts- und Bevölkerungs- mehr als 100 Kilogramm. Seit einigen Jahren sinkt die Nach- wachstum weiter an, allerdings langsamer frage in einigen Industrieländern leicht, weil die Bedenken bezüglich Gesundheit, Tierwohl und Umwelt zunehmen. als noch vor zehn Jahren. Geflügel Das größte Wachstum des Fleischkonsums wird in den macht dabei einen immer größeren Anteil Ländern des Südens stattfinden. Der Industrieländerorgani- aus. Die großen Unterschiede beim sation OECD zufolge steigt die Nachfrage dort bis 2028 vier Pro-Kopf-Konsum zwischen Ländern und Mal mehr als in den Industrieländern. Ausgehend von ei- Bevölkerungsgruppen bestehen fort. nem viel geringeren Niveau, dafür aber mit deutlich größe- rem Bevölkerungswachstum als in den Industrieländern, ist der zusätzliche Konsum pro Person nicht sehr hoch. Auf dem D er weltweite Fleischkonsum hat sich in den vergange- afrikanischen Kontinent wird das besonders deutlich. Dort nen 20 Jahren mehr als verdoppelt und erreichte 2018 wächst die Nachfrage insgesamt zwar besonders schnell, 320 Millionen Tonnen. Die Bevölkerung ist gewach- aber pro Person steigt der Fleischkonsum in den nächsten sen, die Einkommen sind gestiegen – beide Faktoren haben zehn Jahren kaum – von 17 auf 17,5 Kilogramm. die Zunahme zu ungefähr gleichen Teilen verursacht. Die Auf die bevölkerungsreichste Nation der Welt, China, Prognosen für die Fleischindustrie waren ohnehin schon entfällt fast ein Drittel des gesamten heutigen Fleischkon- gut – bis 2028 wird der Fleischkonsum möglicherweise noch sums und ein Drittel des Wachstums der vergangenen 20 einmal um 13 Prozent wachsen. Jahre, auch wenn der Pro-Kopf-Verbrauch immer noch bei Doch noch immer ist Fleisch für viele Menschen auf der weniger als der Hälfte des Verbrauchs in den USA liegt. Die Welt ein Luxusgut, dessen Konsum stark vom Einkommen Nachfrage nach Fleisch wird wohl auch in China weiter stei- abhängt. Durch die weltweite Wirtschaftskrise im Zusam- gen, das Wachstum jedoch deutlich geringer werden. Denn menhang mit Covid-19 sind die Einkommen vieler Men- die Sorge um Übergewicht wächst, und ab 2030 wird die Be- schen eingebrochen. Die Weltbank geht davon aus, dass bei völkerungszahl wieder zurückgehen. anhaltender Krise rund 150 Millionen Menschen unter die In Afrika und Asien wird der Fleischkonsum die Produk- Armutsgrenze rutschen werden und viele weitere Millionen tion überholen. Daher werden auch die Importe zunehmen, gravierende Ausfälle bei ihren Einkommen haben werden. besonders schnell in Subsahara-Afrika. Der Anstieg der Das gilt auch für China, den Staat mit dem größten Fleischimporte wird aber vom nichtchinesischen Asien an- Fleischkonsum weltweit. Zusammen mit dem Ausbruch getrieben. Auf die Region insgesamt werden bis 2029 rund eines anderen Virus, der Afrikanischen Schweinepest, ist 56 Prozent des Welthandels entfallen. Covid-19 der maßgebliche Grund für den schwächeren Kon- Die globalen Großtrends treffen nicht auf alle Fleisch- sum von Schweinefleisch im Jahr 2020. Die Bekämpfung sorten in gleichem Maße zu. Während der Anteil von Rind von Covid-19 ließ die Wirtschaft in China im ersten Halbjahr 2020 um über drei Prozent schrumpfen. In den meisten Industrienationen liegt der Fleischkon- Trotz einer mehr als fünfmal größeren sum seit Jahrzehnten relativ konstant auf hohem Niveau. Bevölkerung verbrauchen die ärmeren Länder nicht Während in Deutschland 2019 fast 60 Kilogramm pro Per- einmal doppelt so viel Fleisch wie die reicheren FLEISCHATLAS 2021 / OECD, FAO INDUSTRIELÄNDER SIND KEIN VORBILD Fleischkonsum entwickelter und sich entwickelnder Länder, nach Fleischarten, Jahresdurchschnitt 2017–19, in 1.000 Tonnen Rind und Kalb Geflügel Pro-Kopf-Verzehr 68,6 Schwein Schaf (Einzelhandelsgewicht), Kilogramm pro Jahr 29.300 41.200 48.400 2.700 entwickelte Länder* gesamt: 121.600 26,6 40.200 75.100 76.000 12.300 sich entwickelnde Länder * gesamt: 203.600 * nach der bis heute üblichen Einteilung der FAO, entwickelt: Kanada, USA, Europa, GUS, Japan, Israel, Südafrika, Australien, Neuseeland; sich entwickelnd: alle anderen 10 FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / OWID LANDSCHAFT, WIRTSCHAFT, TRADITIONEN Fleischverbrauch nach Ländern und Wirtschaftsleistung, pro Kopf, 2017 Kilogramm pro Jahr 140 bis unter 20 kg 20 bis unter 40 40 bis unter 60 USA 60 bis unter 80 120 80 bis unter 100 über 100 100 Brasilien Deutschland Italien Frankreich 80 Großbritannien Länder mit über 50 Millionen Einwohnerinnen und Russland Einwohnern nach Wirtschaftsleistung in US-Dollar Südkorea Vietnam und Fleischverbrauch in Kilogramm pro Jahr, 2017 Mexiko 60 Südafrika China Myanmar Japan Philippinen 40 Iran Türkei Ägypten Pakistan Thailand 20 Kenia Äthiopien Tansania Indonesien Nigeria Indien Dem. Rep. Kongo (k. A.) 0 Bangladesch 0 1.000 2.000 5.000 10.000 20.000 50.000 100.000 US-Dollar Generell gilt: Je reicher, um so mehr Fleisch und Schaf am Gesamtkonsum abnimmt, essen die Men- wird konsumiert. Aber viele weitere Faktoren schen immer mehr Schwein und Geflügel. Geflügel allein beeinflussen den Pro-Kopf-Verbrauch wird rund die Hälfte des globalen Zuwachses in den kom- menden zehn Jahren ausmachen. In den USA zum Beispiel ist der Pro-Kopf-Konsum von Rindfleisch in den vergange- USA – wo die Ernährung generell fleischlastig ist – sind es nen 30 Jahren um etwa ein Drittel zurückgegangen, wäh- immer noch rund fünfzig Prozent mehr. In ärmeren Regio- rend sich der von Geflügel mehr als verdoppelte. Das liegt nen der Welt sind die Einkommen extrem unterschiedlich, unter anderem am Preisvorteil und dem niedrigeren Fett- was sich auch im Pro-Kopf-Fleischkonsum widerspiegelt. anteil. Auf Schweinefleisch entfallen rund 28 Prozent des Die Oberschicht kommt dabei auf Werte, die denen in den Wachstums in den kommenden zehn Jahren, angetrieben OECD-Ländern ähneln, wohingegen für die viel größere Un- vor allem durch den steigenden Konsum im asiatischen ter- und untere Mittelschicht Fleisch ein seltener Luxus ist. Raum. In vielen asiatischen und afrikanischen Ländern es- Auch deswegen bleibt es für viele ein Statussymbol. sen die Menschen allerdings kaum Schweinefleisch, weil der Verzehr für große Teile der Bevölkerung aus religiösen Gründen nicht infrage kommt. FLEISCHATLAS 2021 / OWID GEFLÜGEL DOMINIERT Die Daten zur Gesamtnachfrage und dem durchschnitt- Zunahme des Weltverbrauchs nach Fleischarten, lichen Konsum in einzelnen Ländern geben nur ein unvoll- mit Knochen, in Millionen Tonnen ständiges Bild ab, denn auch innerhalb der Länder ist die 10,5 350 15,8 Nachfrage mit Blick auf die sozioökonomischen Strukturen 71,6 sehr unterschiedlich. In den industrialisierten Regionen 300 Schafe und Ziegen nimmt der Fleischkonsum pro Kopf tendenziell mit höhe- Rinder und Büffel 250 120,9 Schwein rer Bildung und höherem Einkommen ab. Auch Frauen und 200 Geflügel Jugendliche essen weniger Fleisch als Männer. In Deutsch- andere land zum Beispiel verzehren Männer im Durchschnitt etwa 150 doppelt so viel Fleisch und Wurst pro Tag wie Frauen. In den 127,3 100 50 Der Fleischkonsum hat enorm zugenommen. 0 Inzwischen ist als Ursache der zunehmende Wohlstand 1961 1970 1980 1990 2000 2010 2018 kaum weniger wichtig als das Bevölkerungswachstum FLEISCHATLAS 2021 11
HANDEL IN DIE FALSCHE RICHTUNG Beim Assoziierungsabkommen zwischen Regierung rechnet in einer eigenen Untersuchung damit, der EU und vier Mercosur-Staaten geht dass allein der erleichterte Marktzugang für Rindfleisch aus es um viel Fleisch und Futtermittel, dem Mercosur die Abholzung im südamerikanischen Wirt- schaftsblock über sechs Jahre hinweg um mindestens 5 Pro- den Regenwald und das Klima. Aber die zent pro Jahr steigern könnte. Das sind weitreichende Fol- EU hat Angst vor billigen Importen, und gen, obwohl der Anteil der Mercosur-Rindfleischexporte in der Widerstand wächst. Ob das Abkommen die EU im Verhältnis zur gesamten Produktion dort – mehr in Kraft tritt, ist deshalb fraglich. als 11 Millionen Tonnen Lebend- und 7,8 Millionen Tonnen Schlachtgewicht – gering ist. Rindfleisch ist heute schon einer der Haupttreiber von Ü ber 20 Jahre hat es gedauert, bis die EU und die Merco- Entwaldung. Sie führt zu einer Zerstörung der Lebens- sur-Länder Argentinien, Brasilien, Uruguay und Para- grundlage indigener und kleinbäuerlicher Gemeinden. Im guay ein Assoziierungsabkommen für ihre beiden Amazonas grasen auf 63 Prozent aller entwaldeten Flächen Wirtschaftsräume ausgehandelt haben. Es sieht vor, bei 92 Rinder. Zwischen 70 und 80 Prozent aller Rindfleischimpor- Prozent der Importe aus dem Mercosur in die EU und bei 91 te in die EU kommen aus den Mercosur-Ländern. 50 Prozent Prozent in Gegenrichtung die Zölle nach einer Übergangs- der aus Brasilien in die EU gelieferten landwirtschaftlichen frist abzuschaffen. Dadurch wird der Export von Agrarpro- Produkte sind auf Abholzung zurückzuführen, vor allem dukten wie Ethanol, Soja und Rindfleisch aus Südamerika Soja, Rindfleisch und Kaffee. und im Gegenzug der Export europäischer Produkte wie Auch die Exporte von Geflügel- und Schweinefleisch Autos, Maschinen oder Chemieprodukte in die Mercosur- würden mit dem Abkommen steigen. 180.000 Tonnen Ge- Staaten enorm erleichtert. Wenn das Abkommen im EU- flügelfleisch sollen zollfrei importiert werden dürfen, zu- Ministerrat angenommen wird, müssen anschließend das sätzlich zu den bereits eingeführten 392.000 Tonnen. Bei EU-Parlament und die Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten Schweinefleisch kämen 25.000 Tonnen zu einem geringen sowie die Parlamente und Regierungen der Mercosur-Län- Zollsatz hinzu. Dies entspräche fast einer Verdoppelung der der zustimmen. Schweinefleischimporte aus dem Mercosur in die EU, die Das Abkommen würde die Fleischexporte aus dem Mer- derzeit bei 33.000 Tonnen liegen. cosur ausweiten. Zu den 200.000 Tonnen Rindfleisch, die Ähnlich sehen die Prognosen für Soja aus, das zu einem bereits von dort in die EU gelangen, könnten weitere 99.000 großen Teil als Tierfutter für die europäische Fleischindus- Tonnen ohne oder mit geringen Zöllen importiert werden. trie dient. Brasilien ist der größte Exporteur von Sojapro- Die im Juli 2020 von der EU publizierte Nachhaltigkeitsfol- dukten weltweit. Das SIA-Dokument der EU geht davon aus, genabschätzung (Sustainability Impact Assessment, SIA) dass der Import von Ölsaaten aus dem Mercosur um bis zu erwartet nach den Einzelbestimmungen einen Anstieg der 5,9 Prozent ansteigen könnte und gravierende ökologische Rindfleischimporte um 30 bis 64 Prozent. Die französische Folgen hätte. Einer Studie von 2019 zufolge werden fast zwei Drittel aller verkauften Pestizide in Brasilien im Anbau von Soja und Zuckerrohr eingesetzt. Mit dem Abkommen würden die Einfuhrzölle auf Pestizide in den Mercosur abge- FLEISCHATLAS 2021 / BLOOMBERG SOJA VOR DEN ZEITEN DER STRAFZÖLLE schafft, die derzeit bei bis zu 14 Prozent liegen. Der Handel Die wichtigsten Handelsströme der Sojabohnen, 2017, in Millionen Tonnen mit Pestiziden würde gestärkt, was der EU- und vor allem der deutschen Chemieindustrie zugute käme. Das EU-Mercosur-Abkommen würde sich nicht nur ne- 37,5 gativ auf die Waldbestände und die Biodiversität in Teilen 5,0 Südamerikas auswirken. Auch das Klima würde in Mitlei- EU-28 USA China denschaft gezogen. Die zusätzlichen CO2-Emissionen ent- 9,5 stünden wegen weiterer Entwaldung, stärkerer Produk- 13,5 48,0 tion und zunehmendem Transport. Die Folgeabschätzung 8,8 Frankreichs hat sogar ergeben, dass unter diesen Bedingun- Brasilien gen die Produktion eines Kilos Rindfleisch in Lateinamerika 20,5 mit viermal höheren Treibhausgasemissionen verbunden 22,5 andere wäre als eine Produktion in Europa. Dass das Abkommen in Argentinien Kraft tritt, ist noch nicht ausgemacht. Als 2018 die USA Strafzölle gegen China verhängten, kaufte China weniger in den USA und mehr in Südamerika. Die starken Zwischen den drei weltgrößten Sojahändlern – den USA, Schwankungen seither lassen derzeit keine Aussagen über Trends zu. Brasilien und, als Kunde, China – ist die EU eher unbedeutend. Scheitert das Handelsabkommen, bleibt es dabei 12 FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / OECD, FAO ZENTREN DES FLEISCHHANDELS 3,1 Staaten mit mehr als fünf Millionen Tonnen Fleischkonsum und/oder mehr als einer Million Tonnen 3,9 Im- oder Exporte, Jahresdurchschnitt 2017–19, in Millionen Tonnen 0,8 2,0 1,8 0,7 1,6 Russland Großbritannien 0,3 Kanada Japan USA 2,0 0,0 EU-28 0,0 China 1,4 2,0 0,8 0,6 0,0 Korea Mexiko Indien 0,0 1,5 0,4 0,0 1,6 Thailand Vietnam 0,0 1,2 Brasilien 0,3 0,1 Australien Argentinien 0,1 Importe Neuseeland 6,7 Exporte 0,7 6,1 1,1 7,5 2,2 Auf drei etwa gleich große Exporteure – die USA, Zu groß ist die Kritik. Landwirtinnen und Landwirte in die EU und Brasilien – entfallen fast Europa befürchten, aufgrund sinkender Preise nicht mit- 60 Prozent aller internationalen Fleischverkäufe halten zu können. Nichtregierungsorganisationen kritisie- ren die Vergünstigung von Pestizidexporten und die Folgen für das Klima. Immer mehr EU-Mitgliedsstaaten zeigen sich In nicht bindender Abstimmung votierte das EU-Parla- ebenfalls skeptisch bis kritisch. In Frankreich, den Nieder- ment für Änderungen. EU-Handelskommissar Valdis Dom- landen, Belgien, Irland, Luxemburg und Österreich sind sich brovskis hat allerdings betont, dass das Abkommen nicht Regierungen oder Parlamente einig, dass das Abkommen in erneut aufgemacht und nachverhandelt werde. Nachbes- seiner derzeitigen Form nicht ratifiziert werden kann. Auch serungen würden sich auf Protokollanhänge, Fahrpläne die deutsche Bundeskanzlerin äußerte Bedenken. oder Ähnliches beschränken. So ist es auch aus anderen EU-Abkommen bekannt. Der Ratifizierungsprozess hat sich bereits in das Jahr 2021 verschoben. Auf Eis gelegt, wie es Fleisch und Soja gegen Autos und Maschinen – Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des EU- das Mercosur-Abkommen trägt dazu bei, eine Parlamentes, forderte, ist das Abkommen damit allerdings solche Handelsstruktur aufrechtzuerhalten keinesfalls. FLEISCHATLAS 2021 / AFP DAS ABKOMMEN IM ÜBERBLICK Außenhandel im Mercosur-EU-Wirtschaftsraum, Mercosur EU EU Mercosur in Milliarden Euro, 2018 insgesamt 42,5 44,9 nach Ländern 31,7 8,4 1,7 0,7 33,6 9,3 1,4 0,6 Brasilien Argentinien Uruguay Paraguay nach Warengruppen 14,6 12,2 15,7 19,0 11,7 14,3 Nahrungsmittel Rohstoffe Maschinen, Fahrzeuge chemische Produkte sonstiges Differenzen durch Rundung FLEISCHATLAS 2021 13
PRODUKTION EINE PROBLEMATISCHE NAHRUNG UND IHRE GROSSEN ERZEUGER Globalisierung und Reformen in vielen zent – mehr Fleisch importiert als im Vorjahr. Am meisten Ländern Asiens und Osteuropas haben die profitiert haben die brasilianischen Erzeugerkonzerne, die Produktion tierischer Erzeugnisse in den Rekordmengen von Geflügel- und Schweinefleisch nach China lieferten. Aber auch die EU hat ihre Ausfuhren ausge- letzten Jahrzehnten erhöht. Tierseuchen baut. Im ersten Halbjahr 2020 wuchsen die Schweinefleisch- tragen dazu bei, dass die kleinbäuerlichen exporte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 15 Pro- Betriebe verlieren. zent. Die Lieferungen nach China verdoppelten sich. Als die ASP im Spätsommer 2020 Deutschland erreichte, stoppten D ie globale Fleischproduktion ist im Jahr 2019 das ers- Importländer wie China, Südkorea und Japan die Einfuhren te Mal seit 1961 nicht gewachsen, sondern um zwei aus Deutschland. Daraufhin revidierte die EU-Kommission Prozent auf 325 Millionen Tonnen gesunken. Hierfür ihre positive Exportschätzung für das Jahr 2020 und sagte ist die Afrikanische Schweinepest (ASP) und nicht ein rück- für 2021 ein Minus von 10 Prozent voraus. Ein Zeichen für gängiger Konsum der Hauptgrund. So hat die ASP in China Verwerfungen auf dem Weltmarkt ist das aber nicht: Insge- dazu geführt, dass die Produktion von Fleisch insgesamt um samt werden noch immer nur etwa 11 Prozent des weltweit 10 Prozent, von Schweinefleisch sogar um mehr als 20 Pro- produzierten Fleisches international gehandelt. zent eingebrochen ist. Mitte 2019 waren mit 150 bis 200 Mil- Rückblickend betrachtet ist die globale Fleischproduk- lionen Schweinen mindestens 30 Prozent der chinesischen tion in den vergangenen Jahrzehnten rasant gewachsen. In Schweinepopulation infiziert und die Produktion auf dem den 1970er-Jahren betrug sie gerade mal ein Drittel der heu- niedrigsten Niveau seit 2003. Vor der ASP-Epidemie war die tigen Menge. Die OECD geht davon aus, dass sie – etwas ver- Schweinefleischproduktion des Landes doppelt so groß wie langsamt bis 2029, also fast bis zum Referenzjahr 2030 der die der EU und betrug mehr als das Fünffache der US-Menge. globalen Entwicklungsziele – um weitere 40 Millionen Ton- Trotz der jüngsten Einbrüche bleibt China aber mit 80 Mil- nen steigen wird. Dann wäre, wenn vorher nicht politisch lionen Tonnen Fleischproduktion neben den USA, Brasilien, umgesteuert wird, eine Produktion von etwa 366 Millionen Russland und Deutschland eines der wichtigsten fleischpro- Tonnen pro Jahr erreicht. duzierenden Länder der Welt. Auch der globale Handel mit Fleisch war und ist deut- lich vom Ausbruch der Schweinepest beeinflusst. Insgesamt In vielen Gegenden der Welt nimmt die wurden etwa 6,8 Prozent mehr Fleisch gehandelt. Allein Fleischproduktion weitherin zu. In der EU ist dieser China hat im Jahr 2019 zwei Millionen Tonnen – also 37 Pro- Trend seit etwa 20 Jahren abgeschwächt BOOM-BUSINESS Entwicklung der Fleischproduktion in wichtigen Erzeugerländern und in der EU sowie in deren Mitgliedsstaaten, Auswahl*, in Millionen Tonnen 90 9 80 China 8 Deutschland Spanien 70 7 60 6 50 5 Frankreich Polen 40 EU-28 4 Italien 30 3 20 Brasilien 2 Niederlande USA Russland FLEISCHATLAS 2021 / OWID 10 1 Indien Großbritannien 0 Argentinien 0 1961 1970 1980 1990 2000 2010 2018 1961 1970 1980 1990 2000 2010 2018 * zum Erhebungszeitpunkt noch mit Großbritannien. Deutschland vor 1990: mit DDR. Rückgang der ostdeutschen Fleischproduktion nach dem Beitritt der DDR zur BRD 14 FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / OECD, FAO OSTEN IM ZENTRUM Größte Produzentenländer für die wichtigsten tierischen Produkte, Jahresdurchschnitt 2017–19, 50.500 in 1.000 Tonnen 23.100 21.800 5.000 3.700 1.600 230 13.200 Russland 11.900 11.800 7.300 China 13.800 650 70 USA EU-27 9.100 3.700 2.500 300 740 20.400 4.000 Indien 120 Brasilien 2.900 2.100 600 50 Argentinien 6.500 4.800 Rind Schwein Geflügel Schaf EU-27 ohne Großbritannien Wo Fleisch und Milch hergestellt werden, 80 Prozent des Wachstums dürfte in den Ländern des entstehen nicht nur Nahrungsmittel, sondern Südens stattfinden. Die größten Produktionsländer bleiben auch Belastungen für Mensch und Natur China, Brasilien, die USA und die Mitgliedsstaaten der EU. Gemeinsam könnten sie 2029 noch 60 Prozent des weltwei- ten Fleisches produzieren. Mittelbare Auswirkungen der ASP gibt es auch in Geflügelfleisch bleibt der Bereich mit dem stärksten Deutschland. Die Preise für Schweinefleisch sind infolge der Wachstum in der Fleischbranche. Fast die Hälfte der gesam- Exportverbote und des großen Angebots auf dem Inlands- ten Zuwächse in der Fleischproduktion in den kommenden markt deutlich gesunken. Dies setzt besonders kleinere Be- zehn Jahren soll im Geflügelsektor stattfinden. Niedrige Pro- triebe, die etwas teurer produzieren, unter Druck. duktionskosten, ein kurzer Produktionszyklus und damit Viele Bereiche der Tierhaltung haben Erfahrungen mit auch niedrige Verkaufspreise tragen dazu bei, dass Geflügel Seuchen gemacht. Bei Rindern war es BSE, bei Geflügel zum Fleisch der Wahl sowohl für Produzentinnen und Pro- die Vogelgrippe, und nun ist auch die Schweinepest aus- duzenten als auch Verbraucherinnen und Verbraucher ge- gebrochen. Aber die Pandemien sind nur ein Faktor des worden ist. Strukturwandels, den die Fleischproduktion seit Jahren Die Afrikanische Schweinepest hat den Strukturwandel durchläuft. in der Fleischindustrie Chinas stark beschleunigt, heißt es in Die Tierhaltung hat sich in den vergangenen 50 Jahren einer Analyse. Ihr zufolge werden kleinere Betriebe die Fol- grundlegend geändert. Immer weniger Tiere werden auf gen der Notschlachtungen wirtschaftlich schlechter über- der Weide gehalten. Der größte Teil des Fleisches kommt stehen und mehr als 55 Prozent die Schweinezucht nach der aus Stallhaltung oder der Haltung aus sogenannten „Feed- Tötung ihrer Tiere nicht wieder aufnehmen können. Im Jahr lots“, in denen die Tiere unter freiem Himmel auf ähnlich 2003 seien etwa 70 Prozent der chinesischen Schweinepro- kleiner Fläche gehalten werden. Die konzentrierte Haltung duktion aus Betrieben mit bis zu 49 Tieren pro Jahr gekom- und die wachsende Zahl der Nutztiere erfordern immer men und nur 3 Prozent aus Betrieben mit 10.000 oder mehr mehr Futtermittel aus Getreide oder Ölsaaten. Das wieder- Tieren. Im Jahr 2022 hingegen würden etwa 42 Prozent der um bedeutet, dass Landflächen wie Wälder oder Wiesen in gesamten Produktion von Betrieben mit mehr als 10.000 Äcker umgewandelt werden. Aufgrund all der negativen Tieren stammen, während Betriebe mit unter 50 Tieren nur Auswirkungen auf Klima und Umwelt ist Fleisch zu einem noch mit etwa 3 Prozent dabei seien – und diese Erwartun- der besonders problematischen Konsumgüter unserer gen stammen noch aus der Zeit vor dem ASP-Ausbruch. Welt geworden. FLEISCHATLAS 2021 15
FUTTER ERNTEN, BIS DER VIEHTROG VOLL IST Über ein Drittel aller Feldfrüchte weltweit porte stammten 2019 aus diesen drei Ländern. Brasilien ist landet in den Mägen von Nutztieren – mit 74 Millionen Tonnen der größte Exporteur, gefolgt von allein eine Milliarde Tonnen Soja und Mais den USA. Mit der Ausweitung des Anbaus hat sich auch die Fläche vergrößert, die mit gentechnisch veränderten Soja- jährlich. Die Futtermittelindustrie und bohnen bewirtschaftet wird. In den USA hat sie einen Anteil die Tierhalter wollen das noch steigern. von 94 Prozent erreicht, in Brasilien bestand 2017 die Ernte sogar zu 97 Prozent aus gentechnisch behandelten Sorten. D er seit Jahren weltweit steigende Fleischkonsum China ist der mit Abstand größte Produzent und Konsu- treibt auch den Bedarf an Futtermitteln in die Höhe. ment von Fleisch weltweit. Entsprechend groß ist der Bedarf In der intensiven Tierhaltung ist Soja eines der wich- an Futtermitteln, der China zum größten Sojaimporteur tigsten Protein liefernden Bestandteile des Futters. Seit 2001 weltweit macht. Im Jahr 2019 kaufte das Land mit 74 Mil- hat sich sein Anteil im internationalen Handel mehr als ver- lionen Tonnen knapp zwei Drittel aller Exporte, gefolgt von fünffacht. Soja wird als Lebensmittel, Treibstoff oder Indus- der EU mit 13 Millionen Tonnen. Entsprechend groß können triematerial genutzt – fast 90 Prozent allerdings landen in Veränderungen in den weltweiten Handelsströmen sein: den Trögen. Zwischen Januar und Mai 2020 importierte China fast 37 Die größten Anbauländer sind Brasilien mit 133 Mil- Prozent mehr Soja aus Brasilien, weil das Land als Folge der lionen Tonnen, die USA mit 117 und Argentinien mit 53 handelspolitischen Spannungen mit den USA weniger von Millionen Tonnen. Fast 90 Prozent der weltweiten Sojaex- dort importierte. Zu Futtermitteln verarbeitet und gehandelt wird Soja von Agrarhandelskonzernen, die weltweit in Häfen, Flotten und Logistik investieren. Die größten Agrarhändler sind die STATUS UND TREND sogenannten ABCD-Konzerne, die vier Firmen Archer Da- Mischfutterherstellung nach Ländern und Ländergruppen, in Millionen Tonnen niels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus Company. Im Jahr 2018 exportierten sie zusammen mit dem brasilia- sonstige nischen Händler Amaggi 56 Prozent des Sojas aus Brasilien. restliches Amerika EU-28 Weil die Nachfrage zunimmt und eine Steigerung der 68 Kanada 61 165 Produktivität auf den bestehenden Flächen schwierig wäre, 22 wird für den Sojaanbau immer mehr Platz benötigt. In den 20 Jahren bis 2019 sind die Anbauflächen von 77 auf 125 restliches Europa 91 Millionen Hektar gewachsen. Mittlerweile steht der Soja- USA 177 2018 anbau nach der Viehwirtschaft an zweiter Stelle der Verur- sacher von Abholzung weltweit. Besonders in Brasilien und 35 188 Argentinien werden Wald und Grasland in Sojafelder um- Mexiko China 69 gewandelt. Brasilien 24 185 Zwischen 2006 und 2017 wurden im Amazonas-Regen- Japan wald und der brasilianischen Savanne Cerrado, eines wegen restliches Asien seiner Biodiversität sehr wertvollen Trockenwaldes, 220.000 Quadratkilometer Wald abgeholzt. Das entspricht mehr als Mengenwachstum, Auswahl, Index 1999=100 60 Prozent der Fläche Deutschlands. Zumeist entstanden 300 Viehweiden, doch zehn Prozent der gerodeten Fläche wur- de einer Untersuchung der Initiative Trase zufolge direkt für Brasilien den Sojaanbau verwendet. Die massive Abholzung im Cerra- 250 do hat einen einfachen Grund: Das Amazonas-Moratorium, eigentlich ein großer Erfolg, verbietet den Handel mit Soja, das von Regenwaldflächen stammt, die nach 2008 gerodet 200 China wurden – aber eben nur im Amazonas. Die Sojaproduktion ist deshalb auf den Cerrado ausgewichen. 150 Keiner der großen Agrarhändler unterstützt die Forde- USA rung, das Handelsmoratorium auch auf den Cerrado aus- zuweiten. Cargill spricht sich sogar öffentlich dagegen aus. FLEISCHATLAS 2021 / IFIF 100 EU-28 Nicht-EU-Europa 50 Während die industrielle Tierfutterproduktion 1999 2003 2006 2009 2012 2015 2018 in Amerika stagniert, ist Osteuropa – vor allem die Ukraine – zur neuen Boomregion geworden 16 FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / OECD, FAO FELDFRÜCHTE MIT VIELEN INTERESSENTEN Wichtigste landwirtschaftliche Produkte nach Erträgen und Verwendungszwecken, Auswahl, Durchschnitt 2017–19, in Millionen Tonnen und Anteile in Prozent 77 18 9 149 143 80 10,3 % 3,5 % 1,2 % 15,6 % 20,0 % 12,5 % 512 746 181 15,9 % 1.141 Mais 414 80,9 % 511 68,5 % 59,2 % 675 Reis 12,4 % Weizen 10,8 % 9 15 18,1 % 142 59 29 9,7 % 83 4,8 % 59 71,1 % Hülsenfrüchte 54 53 Viehfutter 609 173 28,4 % 22,9 % 22,5 % menschliche Nahrung 57,1 % 348 Treibstoff 5 2,1 % 236 Industrie/andere 52,5 % 124 Ölsaaten (u. a .Soja) Wurzeln und Knollen industrielle und dezentrale Produktion Nur rund 40 Prozent der Ernte der wichtigsten Das Moratorium gilt allerdings auch im Amazonas nur für Feldpflanzen bleiben den Menschen zur das Land, das explizit für den Sojaanbau abgeholzt wurde. Ernährung. Fast ebenso viel geht an die Tiere Soja, das auf Flächen angebaut wird, die ursprünglich für andere Zwecke gerodet wurden, fällt nicht darunter. Daher dehnen sich die neuen Anbauflächen mehrheitlich auf ehe- Entwaldung auch zu Landkonflikten und verletzt die Rech- maligem Weideland aus, für das ebenfalls Regenwald oder te indigener Gemeinschaften. Der Nichtregierungsorgani- Savanne gerodet wurde. sation Global Witness zufolge nehmen Konflikte zwischen Dass Fortschritte schnell zunichte gemacht sind, bele- lokalen Gemeinschaften und Soja- oder Viehfarmern zu, gen auch die Waldbrände von 2019 und 2020, die vor allem genauso wie Drohungen und Gewalt gegen jene, die sich das Resultat von Brandrodungen waren – unter anderem für für ihr angestammtes Land und das Klima einsetzen. Sojafarmen. Dies zeigt der Vergleich von Satellitenaufnah- 2019 wurden in Brasilien 24 Umweltaktivisten und Um- men der Feuer einerseits und der Karten mit den größten weltaktivistinnen getötet – 90 Prozent davon in der Ama- Fleischfabriken und Sojasilos andererseits: Viele Feuer lo- zonas-Region. derten in unmittelbarer Nähe der Fabriken, Lager und ihrer Infrastruktureinrichtungen. Unterstützt wird dies durch die Politik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der FLEISCHATLAS 2021 / TNI, USSOY DAS SOJALAND WÄCHST IMMER WEITER die Bestimmungen zum Umweltschutz fortlaufend lockert. Anbauflächen der fünf wichtigsten Produktionsländer, Er begrüßt die Ausdehnung des Agrobusiness in den Regen- in Millionen Hektar wald und die tropische Savanne nicht nur, sondern legali- 40 siert sie auch. Die Abholzungsrate in Brasilien stieg 2019 auf das höchste Niveau seit 2007/08, und die Prognosen sehen 35 einen weiteren Anstieg voraus. USA 30 Laut einer Studie, die das renommierte Magazin Science im Jahr 2020 veröffentlichte, stammen 20 Prozent der So- 25 Brasilien jaexporte aus dem Amazonas und dem Cerrado in die EU Argentinien 20 von illegal abgeholztem Land. So steht der Fleischkonsum in Europa in direktem Zusammenhang mit der Abholzung 15 Indien in Brasilien – und den Folgekonflikten: Neben den negati- ven Auswirkungen auf das Klima und die Biodiversität führt 10 5 China Allein für Sojabohnen haben sich die Anbau- 0 flächen seit 1990 mehr als verdoppelt. Inzwischen 1990 1994 1998 2002 2006 2010 2014 2018 sind sie dreimal so groß wie Deutschland FLEISCHATLAS 2021 17
KONZERNE DAS ZIEL IST MARKTMACHT – VOM STALL BIS ZUM KÜHLREGAL Globale Fleischkonzerne spielen eine Die größten europäischen Konzerne sind weltweit eher wichtige Rolle bei der Frage, wie Fleisch schwach vertreten, während JBS, Tyson, Cargill und die chi- und Futtermittel produziert, transportiert nesische WH Group auch in ganz Europa Niederlassungen haben. Sie erwirtschaften hier Gewinne mit frischem und und gehandelt werden. Ernährung ist gefrorenem Fleisch, das in Europa produziert oder aus Län- lukrativ: Unter den 100 größten Lebensmittel- dern wie Brasilien und Thailand importiert wird. Die beiden und Getränkemultis der Welt finden brasilianischen Konzerne BRF und Marfrig liefern über Ver- sich auch die zehn umsatzstärksten Schlacht- triebszentren oder direkt nach Europa. Doch auch in der EU und Weiterverarbeitungsbetriebe. dominieren Umsatzmilliardäre. So zählen Danish Crown (Dänemark), Groupe Bigard (Frankreich), Tönnies (Deutsch- land), Coren (Spanien) und Westfleisch (Deutschland) zu O bwohl die zehn wichtigsten Unternehmen der den größten Produzenten von Rind- und Schweinefleisch. Fleischbranche ihren Hauptsitz in nur wenigen Län- Dawn Meats (Irland) ist europäischer Marktführer bei Rind- dern – in Brasilien, den USA, China, Japan und Län- und Lammfleisch, während LDC (Frankreich), Plukon Food dern der EU – haben, dominieren sie die Märkte weltweit Group (Niederlande), Gruppo Veronesi (Italien) und die und sind in allen wichtigen fleischerzeugenden Regionen PHW-Gruppe (Deutschland) führend in der Geflügelver- präsent. Diese Unternehmen sind für die industrielle Pro- arbeitung sind. duktion und Schlachtung einer riesigen Zahl von Tieren ver- Durch Fusionen und Übernahmen kaufen sie immer antwortlich. mehr kleinere Unternehmen auf und festigen ihre Markt- Das größte von ihnen, JBS aus Brasilien, stellt dabei alle macht. So hat beispielsweise Tyson seine Präsenz in Europa anderen in den Schatten. Das Unternehmen ist in 15 Län- durch den Aufkauf der europäischen Betriebe von BRF ver- dern mit über 400 Niederlassungen vertreten und lässt täg- stärkt und beliefert den Markt nun mit tiefgefrorenem Hüh- lich bis zu 75.000 Rinder, 115.000 Schweine, 14 Millionen nerfleisch aus seinen europäischen und globalen Lieferket- Geflügeltiere und 16.000 Lämmer schlachten. Zusammen ergibt dies mehr als 210.000 Tonnen Fleisch pro Monat. Im Vergleich dazu bringt es der zweitgrößte Schlachter, der Auf nur fünf Großunternehmen US-Gigant Tyson Foods, pro Tag „nur“ auf knapp 22.000 Rin- entfallen zwei Drittel der deutschen der, 70.000 Schweine und 7,8 Millionen Hühner. Schweinefleischproduktion TOP 10 DER FLEISCHWIRTSCHAFT IN DEUTSCHLAND Größte Unternehmen nach Umsatz, alle Tierarten, 2019, in Millionen Euro Tönnies-Gruppe 7.300 Vion Food German Top 5 der Schweineschlachter nach 2.800 Zahl der Tiere und Marktanteil, 2019 Westfleisch 2.790 PHW-Gruppe 2.680 16,7 Mio. andere Heristo 1.328 32,1 30,3 Rothkötter Tönnies-Gruppe 1.185 % Zur-Mühlen-Gruppe 2,1 Mio. 1.000 7,7 Mio. FLEISCHATLAS 2021 / AFZ, AGRARHEUTE 3,8 14,0 Müller-Gruppe Müller-Gruppe 950 6,0 Westfleisch Danish Crown 13,8 Kaufland * 849 Vion Food German 3,3 Mio. Sprehe-Gruppe 7,6 Mio. 753 * geschätzt 18 FLEISCHATLAS 2021
MULTIS DER ERNÄHRUNG Umsätze der größten Fleisch- und Molkereikonzerne 2019/20, Itoham Yonekyu in Milliarden US-Dollar 7,8 5,6 11,8 11,3 8,5 Smithfield/ Vion Arla 6,5 10,9 WH Group* Saputo 12,6 Danish Crown 8,6 DMK NH Foods 23,3 6,3 FrieslandCampina Tönnies-Gruppe 11,9 13,4 5,9 OSI Group 9,5 Yili Meiji 20,1 Hormel Foods 21,0 22,1 Mengniu * Dairy Farmers of America 31,7 Lactalis 18,2 Nestlé 17,2 Cargill 5,8 5,5 42,4 Danone Sodiaal GCMMF CP Foods Tyson Foods 12,6 8,5 FLEISCHATLAS 2021 / FOODENGINEERINGMAG.COM 5,4 BRF Marfrig Kraft Heinz 48,8 Fleischkonzerne 13,2 JBS Molkereikonzerne Fonterra * Smithfield/WH Group ist ein US-Konzern in chinesischem Besitz Vollständigkeit nicht möglich – weil Daten fehlen, ten. In den USA liegt die Fleischverarbeitung in den Händen stellen Chinas Fleischkonzerne, sofern sie nicht an einer einiger weniger Konzerne. Bei Rindfleisch sind es JBS, Tyson, Börse notiert sind, noch immer große Unbekannte dar Cargill und Marfrig, die zusammen 85 Prozent des Mark- tes beherrschen. Bei Schweinfleisch bringen es JBS, Tyson und Hormel auf 66 Prozent, bei Hühnerfleisch Tyson, JBS, schnittspreis von nur 1,48 Euro durchschnittlich sieben Cent Sanderson Farms und Purdue auf 51 Prozent. In Deutsch- bei jedem Kilogramm Schweinefleisch. land kontrollieren nur fünf Unternehmen, nämlich Tönnies, Über diese indirekte Subventionierung hinaus profi- Westfleisch, Vion, die Müller-Gruppe und Danish Crown, tieren die globalen Giganten gelegentlich von speziellen zwei Drittel der Schweinefleischverarbeitung. staatlichen Hilfsmaßnahmen. So erhielt JBS 78 Millionen Mit einer derartigen Marktmacht sind diese Unterneh- US-Dollar an Zahlungen aus dem von der Trump-Regierung men in der Lage, niedrige Erzeugerpreise durchzusetzen während des US-chinesischen Handelskriegs aufgelegten und die Zuchtbetriebe manchmal selbst unter deren Pro- Rettungspaketes für landwirtschaftliche Betriebe. 20 Pro- duktionskosten zu zwingen. Daher produzieren die Land- zent von JBS befinden sich im Übrigen in Besitz der Brasilia- wirtinnen und Landwirte eine große Zahl von Tieren, um nischen Entwicklungsbank, die sich aus Steuergeldern des mit ihren Großkunden im Geschäft zu bleiben, oft mithilfe Landes finanziert. 2017 hatte die brasilianische Staatsan- von öffentlichen Subventionen. Nach einem Bericht des waltschaft eine der höchsten Geldstrafen in der Unterneh- internationalen Netzwerkes Agri Benchmark von 2019 mensgeschichte wegen Korruption verhängt, als festgestellt haben die EU-Agrarsubventionen dafür gesorgt, dass die wurde, dass die JBS-Chefs für ihre Geschäfte fast 1.900 Regie- Landwirtschaftsbetriebe trotz der Verluste bei der Kuh- rungsbeamtinnen und -beamte bestochen hatten. und Kälberaufzucht unterm Strich Gewinne verzeichnen Manche Fleischgiganten, etwa Cargill, befinden sich konnten. vollständig in Privatbesitz. Andere sind zumindest teilweise Die Rindfleischveredelungsbetriebe erlitten sogar noch börsennotiert. Nach Angaben der Nichtregierungsorgani- größere Verluste als die Kuh- und Kälbermastbetriebe. Sie sation Feedback investierten mehr als 2.500 Investment- profitierten aber stärker von den Subventionen, da viele von und Privatbanken sowie Pensionsfonds aus aller Welt zwi- ihnen auch noch als Produzenten von Futtergetreide aktiv schen 2015 und 2020 insgesamt 478 Milliarden US-Dollar in sind. Die Schweinezuchtbetriebe verloren im Jahr 2016 in Fleisch- und Molkereiunternehmen. Zu den größten Inves- fast allen europäischen Ländern – mit Ausnahme von Bel- toren gehören Black Rock, Capital Group, Vanguard und der gien, Dänemark und Spanien – bei einem EU-weiten Durch- Pensionsfonds der norwegischen Regierung. FLEISCHATLAS 2021 19
PASTORALISMUS KARGES LAND UND REICHER NUTZEN Mobile Hirtenvölker ziehen mit ihren zentrale Rolle. In Burkina Faso werden mehr als 70 Prozent Nutztieren noch über die abgelegensten der Tiere in pastoralen Systemen gehalten, in Niger und im Weiden. Diese Wirtschaftsform, der Tschad mehr als 80 Prozent, und im Sudan, in Tansania und Somalia sogar über 90 Prozent. In Indien, dem Land mit der Pastoralismus, ist ökonomisch größten Zahl armer Nutztierhalterinnen und -halter, stam- bedeutend und klimafreundlich, aber men mehr als die Hälfte der Milch und mehr als 70 Prozent auch stark bedroht. des Fleisches aus pastoralen Systemen. Geschätzt leben weltweit mehr als 200 Millionen Men- D ie Anfänge des Pastoralismus lassen sich über mehr schen als Pastoralistinnen und Pastoralisten. Die UN-Organi- als zehn Jahrtausende zurückverfolgen. Er entstand sation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) geht davon am Rande der frühesten festen Siedlungen im Nahen aus, dass etwa eine Milliarde Tiere in pastoralen Gesellschaf- Osten. Vermutlich waren es Frauen, die zuerst Ziegen und ten leben. In den ganzjährig trockenen und den von jährli- Schafe domestizierten, indem sie mutterlose Jungtiere auf- chen Trockenzeiten geprägten Gebieten Afrikas und Asiens, zogen. Später begannen Teile der Bevölkerung, den Herden aber auch in den Anden Südamerikas und der Arktis sind sie zu saisonalen Weidegebieten in der Wüste zu folgen. Sie für die Ernährung und das Einkommen vieler Menschen von bildeten den Ursprung zahlreicher Hirtenkulturen, die seit- großer Bedeutung. Beides, Ernährung und Einkommen, ist her mit ihren Nutztieren Produkte wie Fleisch, Milch, Wolle, bei den pastoralistisch Wirtschaftenden im nördlichen Sa- Häute, Dünger und Brennstoff erzeugen. hel sicherer als bei den sesshaften Bäuerinnen und Bauern Der Begriff Pastoralismus beschreibt eine ökonomische derselben Region. Tätigkeit und eine kulturelle Identität. Gemeint ist die häu- Viele Pastoralistinnen und Pastoralisten nehmen für fig mobile und extensive Haltung von lokal angepassten das Wohlergehen der Herden große Mühen und eine Tieren auf natürlich gewachsenem Busch- und Grasland. mobile Lebensweise mit wenigen materiellen Besitz- Auf jedem Kontinent der Welt – vor allem in den trockens- tümern auf sich. Entscheidungen über die Weideflä- ten, steilsten, kältesten und heißesten Gebieten – gibt es chen und Wege basieren auf traditionellem Wissen und Hirtenvölker, die mit Herden von Alpakas, Kamelen, Rentie- Erfahrungen mit Tierverhalten, Wetterverhältnissen und ren, Rindern, Schafen, Wasserbüffeln, Yaks und Ziegen die dem Nährwert der Vegetation. Wichtig sind auch soziale Gebiete der Erde bewirtschaften, die kaum anders genutzt Netzwerke, die über viele Generationen aufgebaut wur- werden können. Es handelt sich um mehr als 26 Millionen Quadratkilometer, das ist mehr als die gemeinsame Fläche der USA, Chinas und der EU. Ziegen und Rinder machen den Hirtenfamilien Trotz der häufig marginalen Produktionsflächen spielt in der Mongolei etwa gleich viel Arbeit – Pastoralismus in vielen Ländern auch ökonomisch eine aber wer Rinder hat, verdient mehr an ihnen FLEISCHATLAS 2021 / GONCHIGSUMLAA BLICK IN DEN HAUSHALT Einkommensvielfalt aus pastoralistischer Tierhaltung in der Provinz Bulgan in der Mongolei, 200 repräsentativ ausgesuchte von 943 Haushalten, 2016, Daten: 2012 Gewinn pro Schafeinheit* (in Euro) Ertrag pro Haushalt und Jahr 81 31 5 Arbeitskosten berücksichtigt Ziege Arbeitskosten nicht berücksichtigt Schaf 147 Rind 6,9 Fleisch (Kilogramm) Ziege Pferd 307 28,4 Kamel 5,2 Schaf 12,9 18,4 Rind 27,3 24 Milch (Liter) 1,9 Pferd 3,0 * Schafeinheiten (SE) dienen Wolle (Kilogramm) 1.876 der besseren Vergleichbarkeit 25 2 1,6 der Tiere. Umrechnung: 7 Kamel 1 Kamel = 7 SE, 1 Rind/Pferd = 5 SE, 2,3 244 10 6 5 1 Schaf = 1 SE, 1 Ziege = 0,9 SE Ziege: Kaschmir, Pferd: Haar (ausgewachsene Tiere) 20 FLEISCHATLAS 2021
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