FLEISCHATLAS KLIMA UND - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel - Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg

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FLEISCHATLAS KLIMA UND - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel - Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg
FLEISCHATLAS
Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel          2021

                                                  JUGEND,
                                                          D
                                                 KLIMA UN
                                                         NG
                                                 ERNÄHRU
FLEISCHATLAS KLIMA UND - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel - Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg
IMPRESSUM
Der FLEISCHATLAS 2021 ist ein Kooperationsprojekt von
Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
und Le Monde Diplomatique.

Inhaltliche Leitung:
Christine Chemnitz, Heinrich-Böll-Stiftung (Projektleitung)
Katrin Wenz, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.

Projektmanagement, Grafikrecherche: Dietmar Bartz
Art-Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar

Textchefin: Elisabeth Schmidt-Landenberger
Dokumentation und Schlussredaktion: Andreas Kaizik, Sandra Thiele (Infotext GbR)

Mit Originalbeiträgen von Reinhild Benning, Matthias Brümmer, Christine Chemnitz, Inka Dewitz, Astrid Häger,
Carla Hoinkes, Heike Holdinghausen, Kristin Jürkenbeck, Ilse Köhler-Rollefson, Silvie Lang, Jonas Luckmann,
Bettina Müller, Lia Polotzek, Christian Rehmer, Julia Schmid, Maureen Schulze, Shefali Sharma, Achim Spiller,
Lisa Tostado, Katrin Wenz, Sabine Wichmann, Stephanie Wunder, Anke Zühlsdorf

Die Beiträge geben nicht notwendig die Ansicht aller beteiligten Partnerorganisationen wieder. Die Flächenfarben der
Landkarten zeigen die Erhebungsgebiete der Statistik an und treffen keine Aussage über eine politische Zugehörigkeit.

Titel: Ellen Stockmar
Bildbearbeitung: Roland Koletzki

V. i. S. d. P.: Annette Maennel, Heinrich-Böll-Stiftung

1. Auflage, Januar 2021

ISBN 978-3-86928-224-4

Produktionsplanung: Elke Paul, Heinrich-Böll-Stiftung

Druck: Druckhaus Kaufmann, Lahr
Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier.

Dieses Werk mit Ausnahme des Coverfotos steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung –
4.0 international“ (CC BY 4.0). Der Text der Lizenz ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode abrufbar.
Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de nachzulesen.
Sie können die einzelnen Infografiken dieses Atlas für eigene Zwecke nutzen, wenn der Urhebernachweis
Bartz/Stockmar, CC BY 4.0 in der Nähe der Grafik steht (bei Bearbeitungen: Bartz/Stockmar (M), CC BY 4.0.)

BESTELL- UND DOWNLOAD-ADRESSEN
Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin, www.boell.de/fleischatlas
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V., Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin, www.bund.net/fleischatlas

Der Fleischatlas kann auch im Klassensatz für den Unterricht bestellt werden.
Die Bestellbedingungen finden Sie auf unserer Website unter www.boell.de/publikationen.
FLEISCHATLAS KLIMA UND - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel - Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg
FLEISCHATLAS
  Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel

                      2021
FLEISCHATLAS KLIMA UND - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel - Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg
INHALT

    02 IMPRESSUM                                     18 KONZERNE
                                                        DAS ZIEL IST MARKTMACHT –
    06 VORWORT                                          VOM STALL BIS ZUM KÜHLREGAL
                                                       Globale Fleischkonzerne spielen eine wichtige
    08 ZWÖLF KURZE LEKTIONEN                           Rolle bei der Frage, wie Fleisch und Futter-
       ÜBER FLEISCH UND DIE WELT                       mittel produziert, transportiert und gehandelt
                                                       werden. Ernährung ist lukrativ: Unter den 100
    10 KONSUM                                          größten Lebensmittel- und Getränkemultis der
       ALLTAGSESSEN UND LUXUSGUT                       Welt finden sich auch die zehn umsatzstärksten
         Die globale Nachfrage nach Fleisch            Schlacht- und Weiterverarbeitungsbetriebe.
         steigt durch Wirtschafts- und
         Bevölkerungswachstum weiter an,             20 PASTORALISMUS
         allerdings langsamer als noch                  KARGES LAND UND REICHER NUTZEN
         vor zehn Jahren. Geflügel macht dabei         Mobile Hirtenvölker ziehen mit ihren
         einen immer größeren Anteil aus.              Nutztieren noch über die abgelegensten
         Die großen Unterschiede beim                  Weiden. Diese Wirtschaftsform, der
         Pro-Kopf-Konsum zwischen Ländern und          Pastoralismus, ist ökonomisch bedeutend und
         Bevölkerungsgruppen bestehen fort.            klimafreundlich, aber auch stark bedroht.

    12 HANDEL                                        22 KLIMA
       IN DIE FALSCHE RICHTUNG                          DER FUSSABDRUCK DER TIERE
         Beim Assoziierungsabkommen                    Der Anteil der Viehzucht an den globalen
         zwischen der EU und vier Mercosur-Staaten     Treibhausgasemissionen wird oft unterschätzt,
         geht es um viel Fleisch und Futtermittel,     doch in der Klimarechnung hinterlassen
         den Regenwald und das Klima. Aber die         die Nutztiere und ihr Futter deutliche
         EU hat Angst vor billigen Importen, und       Spuren. Es gibt Vorschläge, das zu ändern.
         der Widerstand wächst. Ob das Abkommen
         in Kraft tritt, ist deshalb fraglich.       24 PESTIZIDE
                                                        IN DER EU VERBOTEN,
    14 PRODUKTION                                       IN SÜDAMERIKA ERLAUBT
       EINE PROBLEMATISCHE NAHRUNG                     Weltweit steigt die Verwendung von Pestiziden
       UND IHRE GROSSEN ERZEUGER                       in der Landwirtschaft. Einige der gefährlichsten
         Globalisierung und Reformen in vielen         Stoffe wurden in der EU bereits verboten,
         Ländern Asiens und Osteuropas haben           kommen in anderen Teilen der Welt aber im
         die Produktion tierischer Erzeugnisse in      großen Stil zum Einsatz. Viele sind für den
         den letzten Jahrzehnten erhöht.               Anbau von Soja und Mais bestimmt, die meist
         Tierseuchen tragen dazu bei, dass             im Futtertrog von Nutztieren landen.
         die kleinbäuerlichen Betriebe verlieren.
                                                     26 WASSER
    16 FUTTER                                           DER UNSICHTBARE DURST DER
       ERNTEN, BIS DER VIEHTROG VOLL IST                TIERE – UND IHRES FUTTERS
         Über ein Drittel aller Feldfrüchte            In allen tierischen Produkten steckt auch ein
         weltweit landet in den Mägen von              Wasserfußabdruck. Dabei ist nicht die
         Nutztieren – allein eine Milliarde Tonnen     Gesamtmenge zu betrachten, sondern nach
         Soja und Mais jährlich. Die Futtermittel-     Wasserkategorien zu unterscheiden. Grünes
         industrie und die Tierhalter wollen           Wasser gibt es genug – auf möglichst wenig
         das noch steigern.                            blaues und graues Wasser kommt es an.

4   FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS KLIMA UND - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel - Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg
28 MOORE                                           38 SCHLACHTHÖFE IN DEUTSCHLAND
   WIEDERVERNÄSSUNG ALS CHANCE                        KLIMA DER ANGST
   In vielen Teilen Europas werden                   Die Corona-Infektionen haben ein grelles
   Rinder auf entwässerten Moorböden                 Licht auf die schlechten Arbeitsverhältnisse
   gehalten. Seit ihrer Trockenlegung emittieren     in deutschen Schlachthöfen geworfen.
   die Torfböden enorme Mengen an                    Es müsste, gegen den Trend, mehr staatliche
   Treibhausgasen. Die klimaverträgliche             Kontrollen geben.
   Nutzung dieser Flächen zu organisieren,
   wäre Aufgabe der Agrarpolitik.                  40 VERSCHWENDUNG IN DEUTSCHLAND
                                                      VIEL ZU WENIG WIRD VERMIEDEN
30 ANTIBIOTIKA                                       Entlang der gesamten Wertschöpfungs-
   ZU VIEL DAVON IM TIERSTALL – UND                  kette verenden Tiere und werden
   EINE GEFAHR FÜR DIE MENSCHEN                      Hunderttausende Tonnen Fleisch vergeudet.
   Antibiotika helfen bei vielen                     Die Verschwendung von Ressourcen
   Erkrankungen. Das große Problem:                  für deren Produktion ist enorm.
   Erreger in Menschen und Tieren können
   gegen Antibiotika resistent werden,             42 KULTURWANDEL
   eine tödliche Gefahr. Doch in der                  VERHÄNGNISVOLLE SYMBOLIK
   Nutztierhaltung werden sie noch                   Kritik am Fleischverbrauch muss es mit
   immer nicht sparsam genug eingesetzt.             vielem aufnehmen: mit geschicktem
                                                     Marketing, gesellschaftlichen Werten
32 PANDEMIEN                                         und Traditionen. Für einen reduzierten
   GEFÄHRLICHE KONTAKTE                              Fleischkonsum müssen sich langfristig
   Viehzucht und Fleischverzehr sind                 die sozialen Normen ändern.
   Ursachen für den Ausbruch von Krankheiten,
   die von Wildtieren auf Menschen                 44 ERSATZPRODUKTE
   übergehen. Solche Zoonosen können                  ÜBERALL WIRD EXPERIMENTIERT
   katastrophal sein – wie im Fall von Covid-19.     Veganer und vegetarischer Ersatz für Fleisch
                                                     und Wurst wird schnell beliebter – und
34 JUGENDUMFRAGE                                     für Großkonzerne attraktiv. Als Nächstes
   WENIGER FLEISCH,                                  entbrennt wohl die Konkurrenz mit
   MEHR FUTURE                                       In-vitro-Fleisch. Start-ups mit Produkten
   Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung            aus dem Labor sprießen aus dem Boden.
   ernähren sich doppelt so viele 15- bis
   29-Jährige vegetarisch oder vegan. Für          46 POLITIK
   viele junge Erwachsene ist der Verzicht auf        NÄCHSTE SCHRITTE
   Fleisch ein politisches Statement.                Längst haben zivilgesellschaftliche
                                                     Organisationen Vorschläge für eine klima-
36 PRODUKTION IN DEUTSCHLAND                         und umweltfreundliche Tierhaltung
   RABIATER STRUKTURWANDEL                           ausgearbeitet. Doch Fortschritte zeichnen
   Die Zahl der Tierhaltungen in                     sich nur bei den Haltungssystemen ab.
   Deutschland sinkt seit Jahrzehnten –
   und zwar schnell. Finanzkräftige                48 AUTORINNEN UND AUTOREN,
   Betriebe vergrößern dagegen ihre                   QUELLEN VON DATEN, KARTEN
   Bestände noch. Bei der Verteilung der              UND GRAFIKEN
   Tiere und beim Ökoanteil unterscheiden
   sich die Regionen stark.                        50 ÜBER UNS

                                                                                                 FLEISCHATLAS 2021   5
VORWORT

    E
          s schien wie ein Weckruf, als im
          Sommer 2020 Covid-19 in Deutschlands
          größtem Schlachthof ausbrach: Die
                                                    „      Trotz Skandalen und
                                                           Corona – die Bundesregierung
                                                    will von einer „Fleischwende“
    erste Welle der Pandemie verklang gerade,       nichts mehr wissen.
    da meldeten die Gesundheitsämter mehr
    als 1.500 infizierte Arbeiterinnen und
    Arbeiter in dem Mega-Schlachtbetrieb von        gegeben, in der Meinungsbilder von Men-
    Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Dort, wo          schen zwischen 15 und 29 erhoben wurden.
    am Tag knapp 30.000 Schweine geschlachtet
    werden, musste aufgrund der Pandemie            Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als zwei
    alles stillgelegt werden. Infiziert waren vor   Drittel der jüngeren Generation die heutige
    allem Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem        Fleischindustrie ablehnen. Sie sehen in der
    Ausland, die in der Fabrik für wenig Geld       Fleischproduktion eine Bedrohung für das
    arbeiten und unter prekären Bedingungen         Klima und ernähren sich doppelt so oft
    wohnen. Agrarministerin Klöckner                vegetarisch und vegan wie der Durchschnitt
    verkündete einen grundlegenden Wandel           der gesamten Bevölkerung. Und sie sehen
    in der Fleischindustrie, sogar ein „Fleisch-    Handlungsbedarf beim Staat: Er soll Konsu-
    Gipfel“ wurde organisiert.                      mentinnen und Konsumenten darin unter-
                                                    stützen, sich klimafreundlich zu ernähren.
    Endlich der Moment für einen grundlegen-        Das sind interessante Ergebnisse, denn im
    den Wandel? Leider nein. Durch den              Gegensatz dazu proklamieren viele
    Kampf der Gewerkschaften endet nun die          Politikerinnen und Politiker, dass Ernährung
    Zeit der Leiharbeit und der Werkverträge        eine persönliche Entscheidung sei – und
    in den Schlachthöfen. Ein erster wichtiger      der Staat nichts gegen den Konsum von
    Schritt. Doch weiter geht der Umbau             billigem Fleisch unternehmen könne.
    der Fleischindustrie nicht. Die Corona-

                                                    D
    Aufregung erinnert an die vielen anderen               och das ist falsch. So wie die Produk-
    Skandale, die in den letzten Jahrzehnten               tionsbedingungen kann der Staat auch
    ohne wirkliche Konsequenzen an der                     den Konsum beeinflussen. Ernährung
    Branche vorbeigezogen sind. Für uns ist         ist zwar individuell. Doch Gesetze und Regeln
    es kaum nachvollziehbar, wie wenig sich         können unsere Konsumentscheidungen zu-
    ändert – trotz der seit nun fast zehn Jahren    gunsten von Nachhaltigkeit und Gesundheit
    anhaltenden öffentlichen Kritik und             steuern. Instrumente dafür gibt es zahlreiche:
    der vielen Skandale.                            fiskalische, informatorische und rechtliche.

    Uns hat in diesem Zusammenhang                  Vor allem aber bedarf es eines entschiedenen
    interessiert, wie die jüngere Generation        politischen Willens zur Veränderung. Doch
    mit ihrem beeindruckenden Engagement            die Bundesregierung will von einer „Fleisch-
    gegen die Klimakrise diese Beharrungskräfte     wende“ offenbar nichts mehr wissen. Das
    der Fleischindustrie erlebt. Daher haben        ist auch im globalen Zusammenhang ein
    wir eine repräsentative Umfrage in Auftrag      dramatischer Irrweg, weil die ökologischen,

6   FLEISCHATLAS 2021
sozialen und gesundheitlichen Folgen der
industriellen Fleischproduktion ignoriert
werden: Ohne Kurswechsel wächst die
                                                  „    Ernährung ist zwar
                                                       individuell. Doch Gesetze
                                                  und Regeln können unsere
Fleischproduktion bis zum Jahr 2029 noch          Konsumentscheidungen steuern.
einmal um 40 Millionen Tonnen auf dann
mehr als 360 Millionen Tonnen Fleisch
pro Jahr. Die Folgen kann man sich kaum           Konsumentinnen greifen immer häufiger
vorstellen, weil bereits jetzt die ökologischen   zu vegetarischen Produkten oder zu
Grenzen unseres Planeten überschritten            Fleisch aus besserer Haltung. Die deutsche
werden und die Klima- und Biodiversitäts-         Agrarpolitik hingegen pflegt ihre Ver-
krise für viele Menschen weltweit dramati-        weigerungshaltung. Neue Konzepte gibt
sche Auswirkungen hat.                            es, doch leider wird die Umsetzung im
                                                  Landwirtschaftsministerium verschleppt.

I
   m Jahr 2015 haben sich die Staats-und

                                                  D
   Regierungschefs der Welt auf die                      aher soll dieser Atlas all diejenigen
   globalen Entwicklungsziele (SDGs)                     in ihrer Arbeit und ihrem Enga-
geeinigt. Der Schutz des Klimas, der                     gement unterstützen, die sich für
Biodiversität, der Meere und allem voran          Klimagerechtigkeit einsetzen. Er beleuchtet
das Ende von Hunger und absoluter Armut           die Probleme, die aus der industriellen
stehen auf der Liste der 17 Ziele. Die Land-      Fleischproduktion entstehen und liefert
wirtschaft ist eng mit dem Erfolg der Ziele       neue Daten und Fakten zu Themen, die
verknüpft, doch steht gerade die indust-          wir auch zuvor schon aufgegriffen haben.
rielle Fleischproduktion dem im Weg. Sie          Zwar mangelt es noch an positiven Trends,
befeuert die Klimakrise, Waldrodungen,            doch es wird deutlich, dass viele, gerade
Pestizideinsätze und Biodiversitätsverluste,      auch junge Menschen die Machen-
vertreibt Menschen von ihrem Land.                schaften der Fleischindustrie nicht mehr
                                                  hinnehmen wollen und sich zunehmend
Die globalen Nachhaltigkeitsziele müssen          für Klima, Nachhaltigkeit, Tierwohl und
wir in neun Jahren erreichen. Und das             Ernährung interessieren und einsetzen.
bedeutet, dass die Industrieländer ihren          Das ist großartig. Darum möchten wir mit
hohen Fleischverbrauch auf Kosten des             diesem Atlas vor allem ihr Engagement
Klimas, der Biodiversität, globaler Gerech-       mit Informationen stärken.
tigkeit und des Tierwohls um mindestens
fünfzig Prozent reduzieren müssen.
                                                  Barbara Unmüßig
Vor acht Jahren haben wir den ersten              Heinrich-Böll-Stiftung
Fleischatlas veröffentlicht. Seitdem hat
                                                  Olaf Bandt
sich in Deutschland einiges verändert. In
                                                  Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
Gesellschaft, Medien und Wissenschaft
ist Fleisch inzwischen als kritisches             Dorothee D’Aprile
Thema etabliert. Konsumenten und                  Le Monde diplomatique, deutsche Ausgabe

                                                                                                FLEISCHATLAS 2021   7
12 KURZE LEKTIONEN

           ÜBER FLEISCH UND DIE WELT
                        1   Die globale Fleischproduktion wächst. Doch KLIMA UND
                            BIODIVERSITÄT können nur geschützt werden, wenn
                            die Industrieländer ihren FLEISCHKONSUM HALBIEREN.

             2 Je mehr Wälder für FUTTERMITTEL gerodet werden, desto mehr schrumpfen die
               LEBENSRÄUME der Wildtiere. Der Kontakt zwischen Menschen und Tieren wird enger –
               das begünstigt die Übertragung von Viren und die Entstehung neuer PANDEMIEN.

                                        3   Der STRUKTURWANDEL in der Landwirtschaft geht
                                            weiter. Wenige Betriebe – die ihre Tiere unter
                                            industriellen Bedingungen halten – wachsen noch.

                        4 Der Einsatz von ANTIBIOTIKA IN DER TIERHALTUNG führt zu immer
                          mehr RESISTENTEN KEIMEN. Dies bedroht die Wirksamkeit
                          von Antibiotika, einem der wichtigsten Mittel der Humanmedizin.

             5 Die führenden Anbauländer von Futter-
               mitteln gehören zu den größten Anwendern
               von PESTIZIDEN – zum Schaden
               von Grundwasser und BIODIVERSITÄT.

                                        6   Die fünf größten FLEISCH- UND MILCHKONZERNE
                                            emittieren genauso viele KLIMASCHÄDLICHE GASE
                                            wie Exxon, der größte ÖLMULTI der Welt.

8   FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / STOCKMAR
7   Moorflächen werden häufig für die Tierhaltung genutzt. Würde die EU drei Prozent
    ihrer agrarisch genutzten MOORFLÄCHEN WIEDERVERNÄSSEN, könnte sie
    ein Viertel der klimaschädlichen EMISSIONEN AUS DER LANDWIRTSCHAFT EINSPAREN.

                             8 Unsere GEWOHNHEITEN, Rollenbilder und
                               die Werbung sowie gesellschaftliche
                               Traditionen regen zum FLEISCHESSEN an. Die
                               Ernährungsindustrie profitiert vom Status quo.

                                                                                         |||||| SCHWEIN?
                                                        |||||| FREITAGS
                                                                                              GEHABT! ||||||   |||||| STOP!
                                                                     FÜRS KLIMA |||

                                                 ||||| INLANDSFLÜGE NUR FÜR INSEKTEN |||||           ||| GRÜNKOHL STATT BRAUNKOHLE

          9 Viele JUNGE MENSCHEN in Deutschland haben eine
            KRITISCHE HALTUNG zum Fleischkonsum. Drei Viertel
            lehnen die heutige Fleischproduktion ab.

10 Junge Menschen ernähren sich doppelt so häufig VEGETARISCH UND VEGAN
   wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Viele sehen Ernährung nicht nur
   als etwas Individuelles, sondern wollen, dass der Staat STÄRKER EINGREIFT.

                             11 Der Markt für FLEISCHERSATZPRODUKTE
                                wächst schnell. Ein großer Teil der jungen
                                Konsumentinnen und Konsumenten
                                findet, dass sie GUT SCHMECKEN.

    12 Trotz der globalen Auswirkungen hat kein
       Land der Welt eine STRATEGIE ZUR SENKUNG
       DES FLEISCHKONSUMS. Dabei können
       Regierungen durch GESETZE und finanzielle
       Anreize wichtige Beiträge dazu leisten.

                                                                                                                 FLEISCHATLAS 2021                            9
KONSUM

     ALLTAGSESSEN UND LUXUSGUT
     Die globale Nachfrage nach Fleisch steigt                                                                     son gegessen werden, sind es in den USA und Australien
     durch Wirtschafts- und Bevölkerungs-                                                                          mehr als 100 Kilogramm. Seit einigen Jahren sinkt die Nach-
     wachstum weiter an, allerdings langsamer                                                                      frage in einigen Industrieländern leicht, weil die Bedenken
                                                                                                                   bezüglich Gesundheit, Tierwohl und Umwelt zunehmen.
     als noch vor zehn Jahren. Geflügel
                                                                                                                       Das größte Wachstum des Fleischkonsums wird in den
     macht dabei einen immer größeren Anteil                                                                       Ländern des Südens stattfinden. Der Industrieländerorgani-
     aus. Die großen Unterschiede beim                                                                             sation OECD zufolge steigt die Nachfrage dort bis 2028 vier
     Pro-Kopf-Konsum zwischen Ländern und                                                                          Mal mehr als in den Industrieländern. Ausgehend von ei-
     Bevölkerungsgruppen bestehen fort.                                                                            nem viel geringeren Niveau, dafür aber mit deutlich größe-
                                                                                                                   rem Bevölkerungswachstum als in den Industrieländern, ist
                                                                                                                   der zusätzliche Konsum pro Person nicht sehr hoch. Auf dem

     D
            er weltweite Fleischkonsum hat sich in den vergange-                                                   afrikanischen Kontinent wird das besonders deutlich. Dort
            nen 20 Jahren mehr als verdoppelt und erreichte 2018                                                   wächst die Nachfrage insgesamt zwar besonders schnell,
            320 Millionen Tonnen. Die Bevölkerung ist gewach-                                                      aber pro Person steigt der Fleischkonsum in den nächsten
     sen, die Einkommen sind gestiegen – beide Faktoren haben                                                      zehn Jahren kaum – von 17 auf 17,5 Kilogramm.
     die Zunahme zu ungefähr gleichen Teilen verursacht. Die                                                           Auf die bevölkerungsreichste Nation der Welt, China,
     Prognosen für die Fleischindustrie waren ohnehin schon                                                        entfällt fast ein Drittel des gesamten heutigen Fleischkon-
     gut – bis 2028 wird der Fleischkonsum möglicherweise noch                                                     sums und ein Drittel des Wachstums der vergangenen 20
     einmal um 13 Prozent wachsen.                                                                                 Jahre, auch wenn der Pro-Kopf-Verbrauch immer noch bei
         Doch noch immer ist Fleisch für viele Menschen auf der                                                    weniger als der Hälfte des Verbrauchs in den USA liegt. Die
     Welt ein Luxusgut, dessen Konsum stark vom Einkommen                                                          Nachfrage nach Fleisch wird wohl auch in China weiter stei-
     abhängt. Durch die weltweite Wirtschaftskrise im Zusam-                                                       gen, das Wachstum jedoch deutlich geringer werden. Denn
     menhang mit Covid-19 sind die Einkommen vieler Men-                                                           die Sorge um Übergewicht wächst, und ab 2030 wird die Be-
     schen eingebrochen. Die Weltbank geht davon aus, dass bei                                                     völkerungszahl wieder zurückgehen.
     anhaltender Krise rund 150 Millionen Menschen unter die                                                           In Afrika und Asien wird der Fleischkonsum die Produk-
     Armutsgrenze rutschen werden und viele weitere Millionen                                                      tion überholen. Daher werden auch die Importe zunehmen,
     gravierende Ausfälle bei ihren Einkommen haben werden.                                                        besonders schnell in Subsahara-Afrika. Der Anstieg der
         Das gilt auch für China, den Staat mit dem größten                                                        Fleischimporte wird aber vom nichtchinesischen Asien an-
     Fleischkonsum weltweit. Zusammen mit dem Ausbruch                                                             getrieben. Auf die Region insgesamt werden bis 2029 rund
     eines anderen Virus, der Afrikanischen Schweinepest, ist                                                      56 Prozent des Welthandels entfallen.
     Covid-19 der maßgebliche Grund für den schwächeren Kon-                                                            Die globalen Großtrends treffen nicht auf alle Fleisch-
     sum von Schweinefleisch im Jahr 2020. Die Bekämpfung                                                          sorten in gleichem Maße zu. Während der Anteil von Rind
     von Covid-19 ließ die Wirtschaft in China im ersten Halbjahr
     2020 um über drei Prozent schrumpfen.
         In den meisten Industrienationen liegt der Fleischkon-                                                                                  Trotz einer mehr als fünfmal größeren
     sum seit Jahrzehnten relativ konstant auf hohem Niveau.                                                                         Bevölkerung verbrauchen die ärmeren Länder nicht
     Während in Deutschland 2019 fast 60 Kilogramm pro Per-                                                                              einmal doppelt so viel Fleisch wie die reicheren
                                                                                                                                                                                                         FLEISCHATLAS 2021 / OECD, FAO

        INDUSTRIELÄNDER SIND KEIN VORBILD
        Fleischkonsum entwickelter und sich entwickelnder Länder, nach Fleischarten, Jahresdurchschnitt 2017–19, in 1.000 Tonnen

                                                                                   Rind und Kalb              Geflügel                                              Pro-Kopf-Verzehr

                                                                                                                                   68,6
                                                                                   Schwein                    Schaf                                                 (Einzelhandelsgewicht),
                                                                                                                                                                    Kilogramm pro Jahr

                        29.300                            41.200                                    48.400                2.700
            entwickelte Länder*                                                                                                    gesamt: 121.600               26,6
                             40.200                                                 75.100                                                                 76.000                               12.300
            sich entwickelnde Länder            *
                                                                                                                                                                                     gesamt: 203.600

        *
            nach der bis heute üblichen Einteilung der FAO, entwickelt: Kanada, USA, Europa, GUS, Japan, Israel, Südafrika, Australien, Neuseeland; sich entwickelnd: alle anderen

10   FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / OWID
  LANDSCHAFT, WIRTSCHAFT, TRADITIONEN
  Fleischverbrauch nach Ländern und Wirtschaftsleistung, pro Kopf, 2017
                                                                                     Kilogramm pro Jahr
   140                                                                                  bis unter 20
    kg                                                                                  20 bis unter 40
                                                                                        40 bis unter 60                                            USA
                                                                                        60 bis unter 80
   120                                                                                  80 bis unter 100
                                                                                        über 100

   100
                                                                                                       Brasilien
                                                                                                                                               Deutschland
                                                                                                                             Italien
                                                                                                                 Frankreich
   80
                                                                                                                                          Großbritannien
             Länder mit über 50 Millionen Einwohnerinnen und                                          Russland
             Einwohnern nach Wirtschaftsleistung in US-Dollar                                                                          Südkorea
                                                                          Vietnam
             und Fleischverbrauch in Kilogramm pro Jahr, 2017                                                           Mexiko
   60

                                                                                  Südafrika            China
                                                           Myanmar
                                                                                                                                        Japan
                                                                          Philippinen
   40                                                                                                 Iran
                                                                                                                          Türkei
                                                                                  Ägypten
                                                           Pakistan                                          Thailand
   20                                        Kenia

                          Äthiopien Tansania                                                     Indonesien
                                                       Nigeria          Indien
    Dem. Rep. Kongo (k. A.)
    0
                                             Bangladesch
         0        1.000              2.000                      5.000             10.000                     20.000                       50.000               100.000
                                                                                                                                                               US-Dollar

                                                                                                               Generell gilt: Je reicher, um so mehr Fleisch
und Schaf am Gesamtkonsum abnimmt, essen die Men-                                                             wird konsumiert. Aber viele weitere Faktoren
schen immer mehr Schwein und Geflügel. Geflügel allein                                                               beeinflussen den Pro-Kopf-Verbrauch
wird rund die Hälfte des globalen Zuwachses in den kom-
menden zehn Jahren ausmachen. In den USA zum Beispiel
ist der Pro-Kopf-Konsum von Rindfleisch in den vergange-                         USA – wo die Ernährung generell fleischlastig ist – sind es
nen 30 Jahren um etwa ein Drittel zurückgegangen, wäh-                           immer noch rund fünfzig Prozent mehr. In ärmeren Regio-
rend sich der von Geflügel mehr als verdoppelte. Das liegt                       nen der Welt sind die Einkommen extrem unterschiedlich,
unter anderem am Preisvorteil und dem niedrigeren Fett-                          was sich auch im Pro-Kopf-Fleischkonsum widerspiegelt.
anteil. Auf Schweinefleisch entfallen rund 28 Prozent des                        Die Oberschicht kommt dabei auf Werte, die denen in den
Wachstums in den kommenden zehn Jahren, angetrieben                              OECD-Ländern ähneln, wohingegen für die viel größere Un-
vor allem durch den steigenden Konsum im asiatischen                             ter- und untere Mittelschicht Fleisch ein seltener Luxus ist.
Raum. In vielen asiatischen und afrikanischen Ländern es-                        Auch deswegen bleibt es für viele ein Statussymbol.
sen die Menschen allerdings kaum Schweinefleisch, weil
der Verzehr für große Teile der Bevölkerung aus religiösen
Gründen nicht infrage kommt.
                                                                                                                                                                           FLEISCHATLAS 2021 / OWID

                                                                                    GEFLÜGEL DOMINIERT
    Die Daten zur Gesamtnachfrage und dem durchschnitt-
                                                                                    Zunahme des Weltverbrauchs nach Fleischarten,
lichen Konsum in einzelnen Ländern geben nur ein unvoll-                            mit Knochen, in Millionen Tonnen
ständiges Bild ab, denn auch innerhalb der Länder ist die                                                                                                       10,5
                                                                                    350                                                                         15,8
Nachfrage mit Blick auf die sozioökonomischen Strukturen
                                                                                                                                                                71,6
sehr unterschiedlich. In den industrialisierten Regionen                            300                     Schafe und Ziegen
nimmt der Fleischkonsum pro Kopf tendenziell mit höhe-                                                      Rinder und Büffel
                                                                                    250                                                                         120,9
                                                                                                            Schwein
rer Bildung und höherem Einkommen ab. Auch Frauen und
                                                                                    200                     Geflügel
Jugendliche essen weniger Fleisch als Männer. In Deutsch-                                                   andere
land zum Beispiel verzehren Männer im Durchschnitt etwa                             150
doppelt so viel Fleisch und Wurst pro Tag wie Frauen. In den                                                                                                    127,3
                                                                                    100

                                                                                     50

                  Der Fleischkonsum hat enorm zugenommen.                             0
         Inzwischen ist als Ursache der zunehmende Wohlstand                              1961       1970        1980       1990        2000       2010      2018

          kaum weniger wichtig als das Bevölkerungswachstum

                                                                                                                                                          FLEISCHATLAS 2021                           11
HANDEL

     IN DIE FALSCHE RICHTUNG
     Beim Assoziierungsabkommen zwischen                                                                                      Regierung rechnet in einer eigenen Untersuchung damit,
     der EU und vier Mercosur-Staaten geht                                                                                    dass allein der erleichterte Marktzugang für Rindfleisch aus
     es um viel Fleisch und Futtermittel,                                                                                     dem Mercosur die Abholzung im südamerikanischen Wirt-
                                                                                                                              schaftsblock über sechs Jahre hinweg um mindestens 5 Pro-
     den Regenwald und das Klima. Aber die
                                                                                                                              zent pro Jahr steigern könnte. Das sind weitreichende Fol-
     EU hat Angst vor billigen Importen, und                                                                                  gen, obwohl der Anteil der Mercosur-Rindfleischexporte in
     der Widerstand wächst. Ob das Abkommen                                                                                   die EU im Verhältnis zur gesamten Produktion dort – mehr
     in Kraft tritt, ist deshalb fraglich.                                                                                    als 11 Millionen Tonnen Lebend- und 7,8 Millionen Tonnen
                                                                                                                              Schlachtgewicht – gering ist.
                                                                                                                                   Rindfleisch ist heute schon einer der Haupttreiber von

     Ü
            ber 20 Jahre hat es gedauert, bis die EU und die Merco-                                                           Entwaldung. Sie führt zu einer Zerstörung der Lebens-
            sur-Länder Argentinien, Brasilien, Uruguay und Para-                                                              grundlage indigener und kleinbäuerlicher Gemeinden. Im
            guay ein Assoziierungsabkommen für ihre beiden                                                                    Amazonas grasen auf 63 Prozent aller entwaldeten Flächen
     Wirtschaftsräume ausgehandelt haben. Es sieht vor, bei 92                                                                Rinder. Zwischen 70 und 80 Prozent aller Rindfleischimpor-
     Prozent der Importe aus dem Mercosur in die EU und bei 91                                                                te in die EU kommen aus den Mercosur-Ländern. 50 Prozent
     Prozent in Gegenrichtung die Zölle nach einer Übergangs-                                                                 der aus Brasilien in die EU gelieferten landwirtschaftlichen
     frist abzuschaffen. Dadurch wird der Export von Agrarpro-                                                                Produkte sind auf Abholzung zurückzuführen, vor allem
     dukten wie Ethanol, Soja und Rindfleisch aus Südamerika                                                                  Soja, Rindfleisch und Kaffee.
     und im Gegenzug der Export europäischer Produkte wie                                                                         Auch die Exporte von Geflügel- und Schweinefleisch
     Autos, Maschinen oder Chemieprodukte in die Mercosur-                                                                    würden mit dem Abkommen steigen. 180.000 Tonnen Ge-
     Staaten enorm erleichtert. Wenn das Abkommen im EU-                                                                      flügelfleisch sollen zollfrei importiert werden dürfen, zu-
     Ministerrat angenommen wird, müssen anschließend das                                                                     sätzlich zu den bereits eingeführten 392.000 Tonnen. Bei
     EU-Parlament und die Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten                                                                  Schweinefleisch kämen 25.000 Tonnen zu einem geringen
     sowie die Parlamente und Regierungen der Mercosur-Län-                                                                   Zollsatz hinzu. Dies entspräche fast einer Verdoppelung der
     der zustimmen.                                                                                                           Schweinefleischimporte aus dem Mercosur in die EU, die
          Das Abkommen würde die Fleischexporte aus dem Mer-                                                                  derzeit bei 33.000 Tonnen liegen.
     cosur ausweiten. Zu den 200.000 Tonnen Rindfleisch, die                                                                       Ähnlich sehen die Prognosen für Soja aus, das zu einem
     bereits von dort in die EU gelangen, könnten weitere 99.000                                                              großen Teil als Tierfutter für die europäische Fleischindus-
     Tonnen ohne oder mit geringen Zöllen importiert werden.                                                                  trie dient. Brasilien ist der größte Exporteur von Sojapro-
     Die im Juli 2020 von der EU publizierte Nachhaltigkeitsfol-                                                              dukten weltweit. Das SIA-Dokument der EU geht davon aus,
     genabschätzung (Sustainability Impact Assessment, SIA)                                                                   dass der Import von Ölsaaten aus dem Mercosur um bis zu
     erwartet nach den Einzelbestimmungen einen Anstieg der                                                                   5,9 Prozent ansteigen könnte und gravierende ökologische
     Rindfleischimporte um 30 bis 64 Prozent. Die französische                                                                Folgen hätte. Einer Studie von 2019 zufolge werden fast
                                                                                                                              zwei Drittel aller verkauften Pestizide in Brasilien im Anbau
                                                                                                                              von Soja und Zuckerrohr eingesetzt. Mit dem Abkommen
                                                                                                                              würden die Einfuhrzölle auf Pestizide in den Mercosur abge-
                                                                                              FLEISCHATLAS 2021 / BLOOMBERG

        SOJA VOR DEN ZEITEN DER STRAFZÖLLE
                                                                                                                              schafft, die derzeit bei bis zu 14 Prozent liegen. Der Handel
        Die wichtigsten Handelsströme der Sojabohnen, 2017,
        in Millionen Tonnen                                                                                                   mit Pestiziden würde gestärkt, was der EU- und vor allem der
                                                                                                                              deutschen Chemieindustrie zugute käme.
                                                                                                                                   Das EU-Mercosur-Abkommen würde sich nicht nur ne-
                                                               37,5                                                           gativ auf die Waldbestände und die Biodiversität in Teilen
                                   5,0                                                                                        Südamerikas auswirken. Auch das Klima würde in Mitlei-
                                                EU-28
            USA                                                                   China                                       denschaft gezogen. Die zusätzlichen CO2-Emissionen ent-
                             9,5                                                                                              stünden wegen weiterer Entwaldung, stärkerer Produk-
                                              13,5         48,0                                                               tion und zunehmendem Transport. Die Folgeabschätzung
                                                                                        8,8                                   Frankreichs hat sogar ergeben, dass unter diesen Bedingun-
                           Brasilien                                                                                          gen die Produktion eines Kilos Rindfleisch in Lateinamerika
                                                          20,5                                                                mit viermal höheren Treibhausgasemissionen verbunden
                                            22,5                         andere                                               wäre als eine Produktion in Europa. Dass das Abkommen in
          Argentinien                                                                                                         Kraft tritt, ist noch nicht ausgemacht.

                         Als 2018 die USA Strafzölle gegen China verhängten, kaufte China
                         weniger in den USA und mehr in Südamerika. Die starken                                               Zwischen den drei weltgrößten Sojahändlern – den USA,
                         Schwankungen seither lassen derzeit keine Aussagen über Trends zu.
                                                                                                                              Brasilien und, als Kunde, China – ist die EU eher unbedeutend.
                                                                                                                              Scheitert das Handelsabkommen, bleibt es dabei

12   FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / OECD, FAO
  ZENTREN DES FLEISCHHANDELS                                                                                                                           3,1
  Staaten mit mehr als fünf Millionen Tonnen Fleischkonsum und/oder mehr als einer Million Tonnen                                   3,9
  Im- oder Exporte, Jahresdurchschnitt 2017–19, in Millionen Tonnen
                                                                                                               0,8
       2,0                                                       1,8

                                         0,7                                           1,6
                                                                                                                     Russland

                                                           Großbritannien                                      0,3
                               Kanada
                                                                                                                                                             Japan
             USA       2,0                                                                                                                             0,0
                                                                            EU-28
                                                       0,0                                                                  China                              1,4
                                         2,0                    0,8

                                                                                                                                    0,6
                                                                                                               0,0                                                     Korea
                              Mexiko                                                                                 Indien                                    0,0
                                                                                                                                                 1,5
                       0,4                                                                                                            0,0
                                                                                                               1,6        Thailand                     Vietnam
                                                                                                                                                 0,0
                                                                                                                                      1,2
                                               Brasilien
                                                                                                                                           0,3
                                   0,1                                                                                                            Australien
                    Argentinien                                                                                                                                         0,1
                                                                                                                 Importe                               Neuseeland
                                                                                       6,7                       Exporte
                                   0,7                 6,1
                                                                                                                                                                         1,1
       7,5                                                                                                                                 2,2

                                                                                                                Auf drei etwa gleich große Exporteure – die USA,
    Zu groß ist die Kritik. Landwirtinnen und Landwirte in                                                                  die EU und Brasilien – entfallen fast
Europa befürchten, aufgrund sinkender Preise nicht mit-                                                        60 Prozent aller internationalen Fleischverkäufe
halten zu können. Nichtregierungsorganisationen kritisie-
ren die Vergünstigung von Pestizidexporten und die Folgen
für das Klima. Immer mehr EU-Mitgliedsstaaten zeigen sich                                       In nicht bindender Abstimmung votierte das EU-Parla-
ebenfalls skeptisch bis kritisch. In Frankreich, den Nieder-                                 ment für Änderungen. EU-Handelskommissar Valdis Dom-
landen, Belgien, Irland, Luxemburg und Österreich sind sich                                  brovskis hat allerdings betont, dass das Abkommen nicht
Regierungen oder Parlamente einig, dass das Abkommen in                                      erneut aufgemacht und nachverhandelt werde. Nachbes-
seiner derzeitigen Form nicht ratifiziert werden kann. Auch                                  serungen würden sich auf Protokollanhänge, Fahrpläne
die deutsche Bundeskanzlerin äußerte Bedenken.                                               oder Ähnliches beschränken. So ist es auch aus anderen
                                                                                             EU-Abkommen bekannt. Der Ratifizierungsprozess hat sich
                                                                                             bereits in das Jahr 2021 verschoben. Auf Eis gelegt, wie es
Fleisch und Soja gegen Autos und Maschinen –                                                 Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des EU-
das Mercosur-Abkommen trägt dazu bei, eine                                                   Parlamentes, forderte, ist das Abkommen damit allerdings
solche Handelsstruktur aufrechtzuerhalten                                                    keinesfalls.
                                                                                                                                                                                  FLEISCHATLAS 2021 / AFP

  DAS ABKOMMEN IM ÜBERBLICK
  Außenhandel im Mercosur-EU-Wirtschaftsraum,                Mercosur        EU              EU    Mercosur
  in Milliarden Euro, 2018
                                                                              insgesamt
                                         42,5                                                                                 44,9

                                                                             nach Ländern
                                31,7                               8,4      1,7   0,7                                33,6                                      9,3        1,4 0,6

                                                     Brasilien           Argentinien          Uruguay          Paraguay

                                                                          nach Warengruppen
                14,6                   12,2                       15,7                                  19,0                        11,7                      14,3

                                  Nahrungsmittel           Rohstoffe          Maschinen, Fahrzeuge              chemische Produkte                sonstiges
  Differenzen durch Rundung

                                                                                                                                                                     FLEISCHATLAS 2021                            13
PRODUKTION

     EINE PROBLEMATISCHE NAHRUNG
     UND IHRE GROSSEN ERZEUGER
     Globalisierung und Reformen in vielen                                                                  zent – mehr Fleisch importiert als im Vorjahr. Am meisten
     Ländern Asiens und Osteuropas haben die                                                                profitiert haben die brasilianischen Erzeugerkonzerne, die
     Produktion tierischer Erzeugnisse in den                                                               Rekordmengen von Geflügel- und Schweinefleisch nach
                                                                                                            China lieferten. Aber auch die EU hat ihre Ausfuhren ausge-
     letzten Jahrzehnten erhöht. Tierseuchen
                                                                                                            baut. Im ersten Halbjahr 2020 wuchsen die Schweinefleisch-
     tragen dazu bei, dass die kleinbäuerlichen                                                             exporte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 15 Pro-
     Betriebe verlieren.                                                                                    zent. Die Lieferungen nach China verdoppelten sich. Als die
                                                                                                            ASP im Spätsommer 2020 Deutschland erreichte, stoppten

     D
            ie globale Fleischproduktion ist im Jahr 2019 das ers-                                          Importländer wie China, Südkorea und Japan die Einfuhren
            te Mal seit 1961 nicht gewachsen, sondern um zwei                                               aus Deutschland. Daraufhin revidierte die EU-Kommission
            Prozent auf 325 Millionen Tonnen gesunken. Hierfür                                              ihre positive Exportschätzung für das Jahr 2020 und sagte
     ist die Afrikanische Schweinepest (ASP) und nicht ein rück-                                            für 2021 ein Minus von 10 Prozent voraus. Ein Zeichen für
     gängiger Konsum der Hauptgrund. So hat die ASP in China                                                Verwerfungen auf dem Weltmarkt ist das aber nicht: Insge-
     dazu geführt, dass die Produktion von Fleisch insgesamt um                                             samt werden noch immer nur etwa 11 Prozent des weltweit
     10 Prozent, von Schweinefleisch sogar um mehr als 20 Pro-                                              produzierten Fleisches international gehandelt.
     zent eingebrochen ist. Mitte 2019 waren mit 150 bis 200 Mil-                                               Rückblickend betrachtet ist die globale Fleischproduk-
     lionen Schweinen mindestens 30 Prozent der chinesischen                                                tion in den vergangenen Jahrzehnten rasant gewachsen. In
     Schweinepopulation infiziert und die Produktion auf dem                                                den 1970er-Jahren betrug sie gerade mal ein Drittel der heu-
     niedrigsten Niveau seit 2003. Vor der ASP-Epidemie war die                                             tigen Menge. Die OECD geht davon aus, dass sie – etwas ver-
     Schweinefleischproduktion des Landes doppelt so groß wie                                               langsamt bis 2029, also fast bis zum Referenzjahr 2030 der
     die der EU und betrug mehr als das Fünffache der US-Menge.                                             globalen Entwicklungsziele – um weitere 40 Millionen Ton-
     Trotz der jüngsten Einbrüche bleibt China aber mit 80 Mil-                                             nen steigen wird. Dann wäre, wenn vorher nicht politisch
     lionen Tonnen Fleischproduktion neben den USA, Brasilien,                                              umgesteuert wird, eine Produktion von etwa 366 Millionen
     Russland und Deutschland eines der wichtigsten fleischpro-                                             Tonnen pro Jahr erreicht.
     duzierenden Länder der Welt.
         Auch der globale Handel mit Fleisch war und ist deut-
     lich vom Ausbruch der Schweinepest beeinflusst. Insgesamt                                                                           In vielen Gegenden der Welt nimmt die
     wurden etwa 6,8 Prozent mehr Fleisch gehandelt. Allein                                                                   Fleischproduktion weitherin zu. In der EU ist dieser
     China hat im Jahr 2019 zwei Millionen Tonnen – also 37 Pro-                                                                        Trend seit etwa 20 Jahren abgeschwächt

        BOOM-BUSINESS
        Entwicklung der Fleischproduktion in wichtigen Erzeugerländern und in der EU sowie in deren Mitgliedsstaaten, Auswahl*,
        in Millionen Tonnen
            90                                                                                                  9

            80                                                        China                                     8                           Deutschland
                                                                                                                                                                                     Spanien
            70                                                                                                  7

            60                                                                                                  6

            50                                                                                                  5                             Frankreich                               Polen

            40                      EU-28                                                                       4                    Italien

            30                                                                                                  3

            20                                           Brasilien                                              2
                                                                                                                                                                      Niederlande
                          USA                                                 Russland
                                                                                                                                                                                               FLEISCHATLAS 2021 / OWID

            10                                                                                                  1
                                                                                                  Indien
                                                                                                                            Großbritannien
             0                                                                         Argentinien              0
                 1961    1970          1980          1990         2000          2010       2018                     1961    1970         1980          1990         2000      2010     2018
        *
            zum Erhebungszeitpunkt noch mit Großbritannien. Deutschland vor 1990: mit DDR. Rückgang der ostdeutschen Fleischproduktion nach dem Beitritt der DDR zur BRD

14   FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / OECD, FAO
  OSTEN IM ZENTRUM
  Größte Produzentenländer für die wichtigsten tierischen Produkte, Jahresdurchschnitt 2017–19,                                   50.500
  in 1.000 Tonnen
                                                                          23.100
                         21.800                                                                              5.000
                                                                                                        3.700
                                                                                                     1.600
                                                                                                                  230

                                                                               13.200                   Russland
                    11.900

                11.800
                                                                       7.300
                                                                                                                        China
                                                  13.800                            650
                                70

                        USA                                                 EU-27
                                          9.100                                                              3.700
                                                                                                     2.500
                                                                                                        300       740                   20.400

                                            4.000                                                        Indien
                                                      120

                                             Brasilien

                      2.900
                               2.100
                              600    50
                         Argentinien                                                                                            6.500
                                                                                                                                           4.800
                                                              Rind       Schwein          Geflügel       Schaf
  EU-27 ohne Großbritannien

                                                                                                          Wo Fleisch und Milch hergestellt werden,
    80 Prozent des Wachstums dürfte in den Ländern des                                               entstehen nicht nur Nahrungsmittel, sondern
Südens stattfinden. Die größten Produktionsländer bleiben                                                 auch Belastungen für Mensch und Natur
China, Brasilien, die USA und die Mitgliedsstaaten der EU.
Gemeinsam könnten sie 2029 noch 60 Prozent des weltwei-
ten Fleisches produzieren.                                                         Mittelbare Auswirkungen der ASP gibt es auch in
    Geflügelfleisch bleibt der Bereich mit dem stärksten                       Deutschland. Die Preise für Schweinefleisch sind infolge der
Wachstum in der Fleischbranche. Fast die Hälfte der gesam-                     Exportverbote und des großen Angebots auf dem Inlands-
ten Zuwächse in der Fleischproduktion in den kommenden                         markt deutlich gesunken. Dies setzt besonders kleinere Be-
zehn Jahren soll im Geflügelsektor stattfinden. Niedrige Pro-                  triebe, die etwas teurer produzieren, unter Druck.
duktionskosten, ein kurzer Produktionszyklus und damit                             Viele Bereiche der Tierhaltung haben Erfahrungen mit
auch niedrige Verkaufspreise tragen dazu bei, dass Geflügel                    Seuchen gemacht. Bei Rindern war es BSE, bei Geflügel
zum Fleisch der Wahl sowohl für Produzentinnen und Pro-                        die Vogelgrippe, und nun ist auch die Schweinepest aus-
duzenten als auch Verbraucherinnen und Verbraucher ge-                         gebrochen. Aber die Pandemien sind nur ein Faktor des
worden ist.                                                                    Strukturwandels, den die Fleischproduktion seit Jahren
    Die Afrikanische Schweinepest hat den Strukturwandel                       durchläuft.
in der Fleischindustrie Chinas stark beschleunigt, heißt es in                     Die Tierhaltung hat sich in den vergangenen 50 Jahren
einer Analyse. Ihr zufolge werden kleinere Betriebe die Fol-                   grundlegend geändert. Immer weniger Tiere werden auf
gen der Notschlachtungen wirtschaftlich schlechter über-                       der Weide gehalten. Der größte Teil des Fleisches kommt
stehen und mehr als 55 Prozent die Schweinezucht nach der                      aus Stallhaltung oder der Haltung aus sogenannten „Feed-
Tötung ihrer Tiere nicht wieder aufnehmen können. Im Jahr                      lots“, in denen die Tiere unter freiem Himmel auf ähnlich
2003 seien etwa 70 Prozent der chinesischen Schweinepro-                       kleiner Fläche gehalten werden. Die konzentrierte Haltung
duktion aus Betrieben mit bis zu 49 Tieren pro Jahr gekom-                     und die wachsende Zahl der Nutztiere erfordern immer
men und nur 3 Prozent aus Betrieben mit 10.000 oder mehr                       mehr Futtermittel aus Getreide oder Ölsaaten. Das wieder-
Tieren. Im Jahr 2022 hingegen würden etwa 42 Prozent der                       um bedeutet, dass Landflächen wie Wälder oder Wiesen in
gesamten Produktion von Betrieben mit mehr als 10.000                          Äcker umgewandelt werden. Aufgrund all der negativen
Tieren stammen, während Betriebe mit unter 50 Tieren nur                       Auswirkungen auf Klima und Umwelt ist Fleisch zu einem
noch mit etwa 3 Prozent dabei seien – und diese Erwartun-                      der besonders problematischen Konsumgüter unserer
gen stammen noch aus der Zeit vor dem ASP-Ausbruch.                            Welt geworden.

                                                                                                                                           FLEISCHATLAS 2021                            15
FUTTER

     ERNTEN, BIS DER VIEHTROG VOLL IST
     Über ein Drittel aller Feldfrüchte weltweit                                                                              porte stammten 2019 aus diesen drei Ländern. Brasilien ist
     landet in den Mägen von Nutztieren –                                                                                     mit 74 Millionen Tonnen der größte Exporteur, gefolgt von
     allein eine Milliarde Tonnen Soja und Mais                                                                               den USA. Mit der Ausweitung des Anbaus hat sich auch die
                                                                                                                              Fläche vergrößert, die mit gentechnisch veränderten Soja-
     jährlich. Die Futtermittelindustrie und
                                                                                                                              bohnen bewirtschaftet wird. In den USA hat sie einen Anteil
     die Tierhalter wollen das noch steigern.                                                                                 von 94 Prozent erreicht, in Brasilien bestand 2017 die Ernte
                                                                                                                              sogar zu 97 Prozent aus gentechnisch behandelten Sorten.

     D
            er seit Jahren weltweit steigende Fleischkonsum                                                                        China ist der mit Abstand größte Produzent und Konsu-
            treibt auch den Bedarf an Futtermitteln in die Höhe.                                                              ment von Fleisch weltweit. Entsprechend groß ist der Bedarf
            In der intensiven Tierhaltung ist Soja eines der wich-                                                            an Futtermitteln, der China zum größten Sojaimporteur
     tigsten Protein liefernden Bestandteile des Futters. Seit 2001                                                           weltweit macht. Im Jahr 2019 kaufte das Land mit 74 Mil-
     hat sich sein Anteil im internationalen Handel mehr als ver-                                                             lionen Tonnen knapp zwei Drittel aller Exporte, gefolgt von
     fünffacht. Soja wird als Lebensmittel, Treibstoff oder Indus-                                                            der EU mit 13 Millionen Tonnen. Entsprechend groß können
     triematerial genutzt – fast 90 Prozent allerdings landen in                                                              Veränderungen in den weltweiten Handelsströmen sein:
     den Trögen.                                                                                                              Zwischen Januar und Mai 2020 importierte China fast 37
         Die größten Anbauländer sind Brasilien mit 133 Mil-                                                                  Prozent mehr Soja aus Brasilien, weil das Land als Folge der
     lionen Tonnen, die USA mit 117 und Argentinien mit 53                                                                    handelspolitischen Spannungen mit den USA weniger von
     Millionen Tonnen. Fast 90 Prozent der weltweiten Sojaex-                                                                 dort importierte.
                                                                                                                                   Zu Futtermitteln verarbeitet und gehandelt wird Soja
                                                                                                                              von Agrarhandelskonzernen, die weltweit in Häfen, Flotten
                                                                                                                              und Logistik investieren. Die größten Agrarhändler sind die
        STATUS UND TREND
                                                                                                                              sogenannten ABCD-Konzerne, die vier Firmen Archer Da-
        Mischfutterherstellung nach Ländern und Ländergruppen,
        in Millionen Tonnen                                                                                                   niels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus Company.
                                                                                                                              Im Jahr 2018 exportierten sie zusammen mit dem brasilia-
                                      sonstige                                                                                nischen Händler Amaggi 56 Prozent des Sojas aus Brasilien.
                restliches Amerika                                   EU-28                                                         Weil die Nachfrage zunimmt und eine Steigerung der
                                                  68
                        Kanada             61                 165                                                             Produktivität auf den bestehenden Flächen schwierig wäre,
                                      22                                                                                      wird für den Sojaanbau immer mehr Platz benötigt. In den
                                                                                                                              20 Jahren bis 2019 sind die Anbauflächen von 77 auf 125
                                                                           restliches Europa
                                                                    91                                                        Millionen Hektar gewachsen. Mittlerweile steht der Soja-
                       USA       177
                                                   2018                                                                       anbau nach der Viehwirtschaft an zweiter Stelle der Verur-
                                                                                                                              sacher von Abholzung weltweit. Besonders in Brasilien und
                                 35                                  188                                                      Argentinien werden Wald und Grasland in Sojafelder um-
                      Mexiko                                                   China
                                      69                                                                                      gewandelt.
                       Brasilien                               24
                                                   185                                                                             Zwischen 2006 und 2017 wurden im Amazonas-Regen-
                                                                     Japan                                                    wald und der brasilianischen Savanne Cerrado, eines wegen
                                 restliches Asien
                                                                                                                              seiner Biodiversität sehr wertvollen Trockenwaldes, 220.000
                                                                                                                              Quadratkilometer Wald abgeholzt. Das entspricht mehr als
        Mengenwachstum, Auswahl, Index 1999=100                                                                               60 Prozent der Fläche Deutschlands. Zumeist entstanden
        300
                                                                                                                              Viehweiden, doch zehn Prozent der gerodeten Fläche wur-
                                                                                                                              de einer Untersuchung der Initiative Trase zufolge direkt für
                                                                                Brasilien                                     den Sojaanbau verwendet. Die massive Abholzung im Cerra-
         250                                                                                                                  do hat einen einfachen Grund: Das Amazonas-Moratorium,
                                                                                                                              eigentlich ein großer Erfolg, verbietet den Handel mit Soja,
                                                                                                                              das von Regenwaldflächen stammt, die nach 2008 gerodet
         200
                                                                     China                                                    wurden – aber eben nur im Amazonas. Die Sojaproduktion
                                                                                                                              ist deshalb auf den Cerrado ausgewichen.
         150                                                                                                                       Keiner der großen Agrarhändler unterstützt die Forde-
                                                                                      USA                                     rung, das Handelsmoratorium auch auf den Cerrado aus-
                                                                                                                              zuweiten. Cargill spricht sich sogar öffentlich dagegen aus.
                                                                                                   FLEISCHATLAS 2021 / IFIF

         100
                                                                         EU-28

                       Nicht-EU-Europa
          50                                                                                                                  Während die industrielle Tierfutterproduktion
               1999            2003        2006        2009         2012       2015         2018                              in Amerika stagniert, ist Osteuropa – vor allem
                                                                                                                              die Ukraine – zur neuen Boomregion geworden

16   FLEISCHATLAS 2021
FLEISCHATLAS 2021 / OECD, FAO
  FELDFRÜCHTE MIT VIELEN INTERESSENTEN
  Wichtigste landwirtschaftliche Produkte nach Erträgen und Verwendungszwecken, Auswahl, Durchschnitt 2017–19,
  in Millionen Tonnen und Anteile in Prozent
                                                                                                                                      77
                                                                                             18                               9                             149
                     143                                                     80                                                       10,3 %
                                                                                       3,5 %                                      1,2 %
                                                                              15,6 %                                                                20,0 %
                         12,5 %

                                                                                       512                                                  746
       181       15,9 %
                                   1.141            Mais               414             80,9 %
                                                                                                                        511           68,5 %

                                           59,2 %   675                       Reis
                 12,4 %
                                                                                                                                           Weizen
                                                                                            10,8 % 9       15
                                                                                                                18,1 %
          142                                              59
                                                    29    9,7 %                                      83
                                                      4,8 %                                     59 71,1 %
                                                                                                        Hülsenfrüchte
                                                                                                                                               54               53
               Viehfutter                                       609
                                                173 28,4 %                                                                                     22,9 % 22,5 %
               menschliche Nahrung                                    57,1 % 348
               Treibstoff                                                                                                               5 2,1 % 236
               Industrie/andere
                                                                                                                                                     52,5 %         124
                                                                       Ölsaaten (u. a .Soja)                           Wurzeln und Knollen
  industrielle und dezentrale Produktion

                                                                                                           Nur rund 40 Prozent der Ernte der wichtigsten
Das Moratorium gilt allerdings auch im Amazonas nur für                                                          Feldpflanzen bleiben den Menschen zur
das Land, das explizit für den Sojaanbau abgeholzt wurde.                                                   Ernährung. Fast ebenso viel geht an die Tiere
Soja, das auf Flächen angebaut wird, die ursprünglich für
andere Zwecke gerodet wurden, fällt nicht darunter. Daher
dehnen sich die neuen Anbauflächen mehrheitlich auf ehe-                          Entwaldung auch zu Landkonflikten und verletzt die Rech-
maligem Weideland aus, für das ebenfalls Regenwald oder                           te indigener Gemeinschaften. Der Nichtregierungsorgani-
Savanne gerodet wurde.                                                            sation Global Witness zufolge nehmen Konflikte zwischen
     Dass Fortschritte schnell zunichte gemacht sind, bele-                       lokalen Gemeinschaften und Soja- oder Viehfarmern zu,
gen auch die Waldbrände von 2019 und 2020, die vor allem                          genauso wie Drohungen und Gewalt gegen jene, die sich
das Resultat von Brandrodungen waren – unter anderem für                          für ihr angestammtes Land und das Klima einsetzen.
Sojafarmen. Dies zeigt der Vergleich von Satellitenaufnah-                        2019 wurden in Brasilien 24 Umweltaktivisten und Um-
men der Feuer einerseits und der Karten mit den größten                           weltaktivistinnen getötet – 90 Prozent davon in der Ama-
Fleischfabriken und Sojasilos andererseits: Viele Feuer lo-                       zonas-Region.
derten in unmittelbarer Nähe der Fabriken, Lager und ihrer
Infrastruktureinrichtungen. Unterstützt wird dies durch die
Politik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der
                                                                                                                                                                                 FLEISCHATLAS 2021 / TNI, USSOY

                                                                                     DAS SOJALAND WÄCHST IMMER WEITER
die Bestimmungen zum Umweltschutz fortlaufend lockert.
                                                                                     Anbauflächen der fünf wichtigsten Produktionsländer,
Er begrüßt die Ausdehnung des Agrobusiness in den Regen-                             in Millionen Hektar
wald und die tropische Savanne nicht nur, sondern legali-                              40
siert sie auch. Die Abholzungsrate in Brasilien stieg 2019 auf
das höchste Niveau seit 2007/08, und die Prognosen sehen                               35

einen weiteren Anstieg voraus.                                                                                  USA
                                                                                       30
    Laut einer Studie, die das renommierte Magazin Science
im Jahr 2020 veröffentlichte, stammen 20 Prozent der So-                               25                               Brasilien
jaexporte aus dem Amazonas und dem Cerrado in die EU                                                                                                       Argentinien
                                                                                       20
von illegal abgeholztem Land. So steht der Fleischkonsum
in Europa in direktem Zusammenhang mit der Abholzung                                   15
                                                                                                                                                           Indien
in Brasilien – und den Folgekonflikten: Neben den negati-
ven Auswirkungen auf das Klima und die Biodiversität führt                             10

                                                                                        5                                                                      China
                       Allein für Sojabohnen haben sich die Anbau-                      0
                 flächen seit 1990 mehr als verdoppelt. Inzwischen                       1990       1994        1998      2002         2006         2010      2014        2018

                           sind sie dreimal so groß wie Deutschland

                                                                                                                                                               FLEISCHATLAS 2021                                  17
KONZERNE

     DAS ZIEL IST MARKTMACHT –
     VOM STALL BIS ZUM KÜHLREGAL
     Globale Fleischkonzerne spielen eine                                                 Die größten europäischen Konzerne sind weltweit eher
     wichtige Rolle bei der Frage, wie Fleisch                                        schwach vertreten, während JBS, Tyson, Cargill und die chi-
     und Futtermittel produziert, transportiert                                       nesische WH Group auch in ganz Europa Niederlassungen
                                                                                      haben. Sie erwirtschaften hier Gewinne mit frischem und
     und gehandelt werden. Ernährung ist
                                                                                      gefrorenem Fleisch, das in Europa produziert oder aus Län-
     lukrativ: Unter den 100 größten Lebensmittel-                                    dern wie Brasilien und Thailand importiert wird. Die beiden
     und Getränkemultis der Welt finden                                               brasilianischen Konzerne BRF und Marfrig liefern über Ver-
     sich auch die zehn umsatzstärksten Schlacht-                                     triebszentren oder direkt nach Europa. Doch auch in der EU
     und Weiterverarbeitungsbetriebe.                                                 dominieren Umsatzmilliardäre. So zählen Danish Crown
                                                                                      (Dänemark), Groupe Bigard (Frankreich), Tönnies (Deutsch-
                                                                                      land), Coren (Spanien) und Westfleisch (Deutschland) zu

     O
            bwohl die zehn wichtigsten Unternehmen der                                den größten Produzenten von Rind- und Schweinefleisch.
            Fleischbranche ihren Hauptsitz in nur wenigen Län-                        Dawn Meats (Irland) ist europäischer Marktführer bei Rind-
            dern – in Brasilien, den USA, China, Japan und Län-                       und Lammfleisch, während LDC (Frankreich), Plukon Food
     dern der EU – haben, dominieren sie die Märkte weltweit                          Group (Niederlande), Gruppo Veronesi (Italien) und die
     und sind in allen wichtigen fleischerzeugenden Regionen                          PHW-Gruppe (Deutschland) führend in der Geflügelver-
     präsent. Diese Unternehmen sind für die industrielle Pro-                        arbeitung sind.
     duktion und Schlachtung einer riesigen Zahl von Tieren ver-                          Durch Fusionen und Übernahmen kaufen sie immer
     antwortlich.                                                                     mehr kleinere Unternehmen auf und festigen ihre Markt-
         Das größte von ihnen, JBS aus Brasilien, stellt dabei alle                   macht. So hat beispielsweise Tyson seine Präsenz in Europa
     anderen in den Schatten. Das Unternehmen ist in 15 Län-                          durch den Aufkauf der europäischen Betriebe von BRF ver-
     dern mit über 400 Niederlassungen vertreten und lässt täg-                       stärkt und beliefert den Markt nun mit tiefgefrorenem Hüh-
     lich bis zu 75.000 Rinder, 115.000 Schweine, 14 Millionen                        nerfleisch aus seinen europäischen und globalen Lieferket-
     Geflügeltiere und 16.000 Lämmer schlachten. Zusammen
     ergibt dies mehr als 210.000 Tonnen Fleisch pro Monat. Im
     Vergleich dazu bringt es der zweitgrößte Schlachter, der                                                              Auf nur fünf Großunternehmen
     US-Gigant Tyson Foods, pro Tag „nur“ auf knapp 22.000 Rin-                                                        entfallen zwei Drittel der deutschen
     der, 70.000 Schweine und 7,8 Millionen Hühner.                                                                            Schweinefleischproduktion

        TOP 10 DER FLEISCHWIRTSCHAFT IN DEUTSCHLAND
        Größte Unternehmen nach Umsatz, alle Tierarten, 2019, in Millionen Euro

               Tönnies-Gruppe
                                                                                                                                               7.300
               Vion Food German                                               Top 5 der Schweineschlachter nach
                                                          2.800
                                                                              Zahl der Tiere und Marktanteil, 2019
               Westfleisch
                                                          2.790
               PHW-Gruppe
                                                       2.680
                                                                                                                             16,7 Mio.
                                                                              andere
               Heristo
                                  1.328                                                     32,1            30,3
               Rothkötter                                                                                             Tönnies-Gruppe
                                        1.185                                                        %
               Zur-Mühlen-Gruppe                               2,1 Mio.
                                      1.000
                                                                                                                                   7,7 Mio.
                                                                                                                                                        FLEISCHATLAS 2021 / AFZ, AGRARHEUTE

                                                                                     3,8                      14,0
               Müller-Gruppe                                       Müller-Gruppe
                                  950                                                      6,0                       Westfleisch
                                                                          Danish Crown             13,8
               Kaufland  *
                                849                                                    Vion Food German
                                                               3,3 Mio.
               Sprehe-Gruppe                                                                                 7,6 Mio.
                                753
        *
            geschätzt

18   FLEISCHATLAS 2021
MULTIS DER ERNÄHRUNG
  Umsätze der größten Fleisch- und Molkereikonzerne 2019/20,                                                                           Itoham Yonekyu
  in Milliarden US-Dollar
                                                                                                                                                    7,8
                                                                          5,6                11,8
                                11,3                                                  8,5
      Smithfield/                                                         Vion                    Arla             6,5                                  10,9
      WH Group*
                                Saputo                                12,6         Danish Crown            8,6      DMK
                                                                                                                                                 NH Foods

 23,3                         6,3
                                                              FrieslandCampina                      Tönnies-Gruppe
                                                                                                                              11,9
                                                                                                                                       13,4                5,9

                           OSI Group
                                               9,5                                                                                      Yili
                                                                                                                                                        Meiji

              20,1                        Hormel Foods                 21,0                          22,1
                                                                                                                             Mengniu
                                                                                                                                                    *

           Dairy Farmers
            of America
                                  31,7                                  Lactalis
                                                                                   18,2                  Nestlé

                                                                                                                                               17,2
                                       Cargill
                                                                                             5,8
                                                                                                                           5,5
            42,4
                                                                                   Danone
                                                                                            Sodiaal
                                                                                                                          GCMMF          CP Foods

              Tyson Foods                                             12,6
                                                           8,5

                                                                                                                                                                     FLEISCHATLAS 2021 / FOODENGINEERINGMAG.COM
               5,4                                           BRF
                                                                      Marfrig
          Kraft Heinz

                                                                 48,8                                             Fleischkonzerne               13,2
                                                                        JBS                                       Molkereikonzerne
                                                                                                                                                Fonterra
  *
      Smithfield/WH Group ist ein US-Konzern in chinesischem Besitz

                                                                                                               Vollständigkeit nicht möglich – weil Daten fehlen,
ten. In den USA liegt die Fleischverarbeitung in den Händen                                              stellen Chinas Fleischkonzerne, sofern sie nicht an einer
einiger weniger Konzerne. Bei Rindfleisch sind es JBS, Tyson,                                              Börse notiert sind, noch immer große Unbekannte dar
Cargill und Marfrig, die zusammen 85 Prozent des Mark-
tes beherrschen. Bei Schweinfleisch bringen es JBS, Tyson
und Hormel auf 66 Prozent, bei Hühnerfleisch Tyson, JBS,                                    schnittspreis von nur 1,48 Euro durchschnittlich sieben Cent
Sanderson Farms und Purdue auf 51 Prozent. In Deutsch-                                      bei jedem Kilogramm Schweinefleisch.
land kontrollieren nur fünf Unternehmen, nämlich Tönnies,                                       Über diese indirekte Subventionierung hinaus profi-
Westfleisch, Vion, die Müller-Gruppe und Danish Crown,                                      tieren die globalen Giganten gelegentlich von speziellen
zwei Drittel der Schweinefleischverarbeitung.                                               staatlichen Hilfsmaßnahmen. So erhielt JBS 78 Millionen
    Mit einer derartigen Marktmacht sind diese Unterneh-                                    US-Dollar an Zahlungen aus dem von der Trump-Regierung
men in der Lage, niedrige Erzeugerpreise durchzusetzen                                      während des US-chinesischen Handelskriegs aufgelegten
und die Zuchtbetriebe manchmal selbst unter deren Pro-                                      Rettungspaketes für landwirtschaftliche Betriebe. 20 Pro-
duktionskosten zu zwingen. Daher produzieren die Land-                                      zent von JBS befinden sich im Übrigen in Besitz der Brasilia-
wirtinnen und Landwirte eine große Zahl von Tieren, um                                      nischen Entwicklungsbank, die sich aus Steuergeldern des
mit ihren Großkunden im Geschäft zu bleiben, oft mithilfe                                   Landes finanziert. 2017 hatte die brasilianische Staatsan-
von öffentlichen Subventionen. Nach einem Bericht des                                       waltschaft eine der höchsten Geldstrafen in der Unterneh-
internationalen Netzwerkes Agri Benchmark von 2019                                          mensgeschichte wegen Korruption verhängt, als festgestellt
haben die EU-Agrarsubventionen dafür gesorgt, dass die                                      wurde, dass die JBS-Chefs für ihre Geschäfte fast 1.900 Regie-
Landwirtschaftsbetriebe trotz der Verluste bei der Kuh-                                     rungsbeamtinnen und -beamte bestochen hatten.
und Kälberaufzucht unterm Strich Gewinne verzeichnen                                            Manche Fleischgiganten, etwa Cargill, befinden sich
konnten.                                                                                    vollständig in Privatbesitz. Andere sind zumindest teilweise
    Die Rindfleischveredelungsbetriebe erlitten sogar noch                                  börsennotiert. Nach Angaben der Nichtregierungsorgani-
größere Verluste als die Kuh- und Kälbermastbetriebe. Sie                                   sation Feedback investierten mehr als 2.500 Investment-
profitierten aber stärker von den Subventionen, da viele von                                und Privatbanken sowie Pensionsfonds aus aller Welt zwi-
ihnen auch noch als Produzenten von Futtergetreide aktiv                                    schen 2015 und 2020 insgesamt 478 Milliarden US-Dollar in
sind. Die Schweinezuchtbetriebe verloren im Jahr 2016 in                                    Fleisch- und Molkereiunternehmen. Zu den größten Inves-
fast allen europäischen Ländern – mit Ausnahme von Bel-                                     toren gehören Black Rock, Capital Group, Vanguard und der
gien, Dänemark und Spanien – bei einem EU-weiten Durch-                                     Pensionsfonds der norwegischen Regierung.

                                                                                                                                                        FLEISCHATLAS 2021                                         19
PASTORALISMUS

     KARGES LAND UND REICHER NUTZEN
     Mobile Hirtenvölker ziehen mit ihren                                            zentrale Rolle. In Burkina Faso werden mehr als 70 Prozent
     Nutztieren noch über die abgelegensten                                          der Tiere in pastoralen Systemen gehalten, in Niger und im
     Weiden. Diese Wirtschaftsform, der                                              Tschad mehr als 80 Prozent, und im Sudan, in Tansania und
                                                                                     Somalia sogar über 90 Prozent. In Indien, dem Land mit der
     Pastoralismus, ist ökonomisch
                                                                                     größten Zahl armer Nutztierhalterinnen und -halter, stam-
     bedeutend und klimafreundlich, aber                                             men mehr als die Hälfte der Milch und mehr als 70 Prozent
     auch stark bedroht.                                                             des Fleisches aus pastoralen Systemen.
                                                                                         Geschätzt leben weltweit mehr als 200 Millionen Men-

     D
            ie Anfänge des Pastoralismus lassen sich über mehr                       schen als Pastoralistinnen und Pastoralisten. Die UN-Organi-
            als zehn Jahrtausende zurückverfolgen. Er entstand                       sation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) geht davon
            am Rande der frühesten festen Siedlungen im Nahen                        aus, dass etwa eine Milliarde Tiere in pastoralen Gesellschaf-
     Osten. Vermutlich waren es Frauen, die zuerst Ziegen und                        ten leben. In den ganzjährig trockenen und den von jährli-
     Schafe domestizierten, indem sie mutterlose Jungtiere auf-                      chen Trockenzeiten geprägten Gebieten Afrikas und Asiens,
     zogen. Später begannen Teile der Bevölkerung, den Herden                        aber auch in den Anden Südamerikas und der Arktis sind sie
     zu saisonalen Weidegebieten in der Wüste zu folgen. Sie                         für die Ernährung und das Einkommen vieler Menschen von
     bildeten den Ursprung zahlreicher Hirtenkulturen, die seit-                     großer Bedeutung. Beides, Ernährung und Einkommen, ist
     her mit ihren Nutztieren Produkte wie Fleisch, Milch, Wolle,                    bei den pastoralistisch Wirtschaftenden im nördlichen Sa-
     Häute, Dünger und Brennstoff erzeugen.                                          hel sicherer als bei den sesshaften Bäuerinnen und Bauern
         Der Begriff Pastoralismus beschreibt eine ökonomische                       derselben Region.
     Tätigkeit und eine kulturelle Identität. Gemeint ist die häu-                       Viele Pastoralistinnen und Pastoralisten nehmen für
     fig mobile und extensive Haltung von lokal angepassten                          das Wohlergehen der Herden große Mühen und eine
     Tieren auf natürlich gewachsenem Busch- und Grasland.                           mobile Lebensweise mit wenigen materiellen Besitz-
     Auf jedem Kontinent der Welt – vor allem in den trockens-                       tümern auf sich. Entscheidungen über die Weideflä-
     ten, steilsten, kältesten und heißesten Gebieten – gibt es                      chen und Wege basieren auf traditionellem Wissen und
     Hirtenvölker, die mit Herden von Alpakas, Kamelen, Rentie-                      Erfahrungen mit Tierverhalten, Wetterverhältnissen und
     ren, Rindern, Schafen, Wasserbüffeln, Yaks und Ziegen die                       dem Nährwert der Vegetation. Wichtig sind auch soziale
     Gebiete der Erde bewirtschaften, die kaum anders genutzt                        Netzwerke, die über viele Generationen aufgebaut wur-
     werden können. Es handelt sich um mehr als 26 Millionen
     Quadratkilometer, das ist mehr als die gemeinsame Fläche
     der USA, Chinas und der EU.                                                                         Ziegen und Rinder machen den Hirtenfamilien
         Trotz der häufig marginalen Produktionsflächen spielt                                                  in der Mongolei etwa gleich viel Arbeit –
     Pastoralismus in vielen Ländern auch ökonomisch eine                                                  aber wer Rinder hat, verdient mehr an ihnen

                                                                                                                                                                         FLEISCHATLAS 2021 / GONCHIGSUMLAA
        BLICK IN DEN HAUSHALT
        Einkommensvielfalt aus pastoralistischer Tierhaltung in der Provinz Bulgan in der Mongolei,
        200 repräsentativ ausgesuchte von 943 Haushalten, 2016, Daten: 2012
                                                                                                          Gewinn pro Schafeinheit* (in Euro)
            Ertrag pro Haushalt und Jahr                                81            31
                                                                                                 5           Arbeitskosten berücksichtigt
               Ziege                                                                                         Arbeitskosten nicht berücksichtigt
               Schaf                                                                   147
               Rind                                                                                                    6,9
                                                       Fleisch (Kilogramm)                                 Ziege
               Pferd                      307                                                                                                                 28,4
               Kamel
                                                                                                                    5,2
                                                                                                           Schaf
                                                                                                                              12,9

                                                                                                                                           18,4
                                                                                                            Rind
                                                                                                                                                            27,3

                              24                                     Milch (Liter)                                   1,9
                                                                                                           Pferd
                                                                                                                       3,0    *
                                                                                                                                  Schafeinheiten (SE) dienen
                                   Wolle (Kilogramm)         1.876                                                                der besseren Vergleichbarkeit
                 25
                                                2                                                                   1,6           der Tiere. Umrechnung:
                                      7                                                                   Kamel                   1 Kamel = 7 SE, 1 Rind/Pferd = 5 SE,
                                                                                                                     2,3
                                                                             244     10      6       5                            1 Schaf = 1 SE, 1 Ziege = 0,9 SE
                Ziege: Kaschmir, Pferd: Haar                                                                                      (ausgewachsene Tiere)

20   FLEISCHATLAS 2021
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