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EDITORIAL THEMEN Foto: ver.di Christine Behle S C H W E R P U N K T: Mitglied des ver.di-Bundes- REISEBRANCHE vorstandes und Leiterin der Fachbereiche Die Reiseindustrie im digitalen Zeitalter 3 Besondere Dienstleistungen und Sozialversicherung, Bund und Länder, Thomas Cook – Chronik eines Gemeinden, Verkehr Zusammenbruchs 4 Tarifpaket für TUI Deutschland 5 Liebe Kolleginnen und Kollegen, Interview: Christine Behle, Bundes- fachbereichsleiterin 6 die aktuellen Entwicklungen vor allem im Bereich der Reise- branche stellen uns vor große Herausforderungen. Neun TA R I F V E R T R Ä G E Wochen nach dem Insolvenzantrag stellte Thomas Cook Geld oder Freizeit 7 Ende November endgültig den Geschäftsbetrieb ein. Damit WOHNUNGSPOLITIK verlieren fast tausend Beschäftigte des Unternehmens ihren Beschluss des Bundeskongresses 8 Job. Weitere etwa 1.100 Beschäftigte arbeiten bei Unter- nehmensteilen, für die es Käufer gibt: Bucher Reisen, Öger GELD UND WERT Tours, 106 der 126 Reisebüros oder auch die Plattform Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 9 Bundeskongress zu Ein-Mann-Logistik 10 „Golden Gate“. Interessent*innen gibt es wohl auch noch für die Franchise-Hotels der Marke Sentido und für die CALLCENTER Traditionsmarke Neckermann Reisen. Damit gibt es zu- Feiertagsbezahlung 11 mindest für die Hälfte der Beschäftigten eine Aussicht auf LEIHARBEIT Weiterbeschäftigung. Tarifverhandlungen 12 Aber das sind nur die harten Fakten. Dahinter stehen DAS GUTE BEISPIEL Menschen, von denen sich viele mit dem Unternehmen Streik im Zoo 13 emotional verbunden fühlen. Viele sind über 50 Jahre alt SERVICE und finden erfahrungsgemäß weniger einfach eine neue Das Mannheimer Modell 14 Stelle. Besonders bitter ist diese Entwicklung, weil die Insol- venz wegen der Misswirtschaft der Konzernmutter in Groß- PERSONALMELDUNGEN britannien erfolgt. Die deutsche Thomas Cook hat dagegen Neu in Gewerkschaftsrat und Fachbereich 15 gut gewirtschaftet. Ein Überbrückungskredit der Bundes- ZU GUTER LETZT und Landesregierung wäre nötig gewesen, der konnte Karikatur Reinhard Alff 16 jedoch trotz allen Einsatzes nicht erreicht werden. Das liegt auch daran, dass derzeit die ganze Reisebranche besonderen im Umbruch ist. DER Touristik hat bereits 10 Prozent der IMPRESSUM Beschäftigten abgebaut, TUI Deutschland plant, 450 Arbeits- Der ver.di Report die besonderen Nr. 03/2019 · Dezember 2019 plätze wegzurationalisieren. Die klassischen Veranstalter Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Fachbereich Besondere Dienstleistungen sind wegen der Digitalisierung unter Druck – und damit Paula-Thiede-Ufer 10 · 10179 Berlin auch die Beschäftigten. Arbeitsplätze werden wegfallen und Internet: www.verdi.de V.i.S.d.P.: Christine Behle neue entstehen, für die dann häufig andere Qualifikationen FB-Redaktionsteam: Anette Berger, Enrico Bloch, Annemarie Dinse, gebraucht werden. Hier wollen wir ansetzen, auch tarif- Bernd Lohrum, Nicole Rettig, Marius Rothe, Holger Schmidt, Christian Szepan und Regina Zimmerling vertraglich, um gute und qualifizierte Arbeitsbedingungen Redaktionelle Bearbeitung: Uta von Schrenk Layout: einsatz · Wolfgang Wohlers zu erhalten. Druck: Mohn Media Mohndruck GmbH, Gütersloh Titelbild: W. Wohlers (Montage) Dass trotz Turbulenzen gewerkschaftliches Engagement zu Die Artikel stellen die Meinungsvielfalt unseres Fachbereiches dar und spiegeln nicht in jedem Fall die Meinung des besonderen guten Ergebnissen führt, zeigt der Tarifvertrag bei TUI Bundesfachbereichsvorstandes wider. Fotos v.o.n.u.: W. Wohlers (4) Deutschland. Mitglied werden und sich gemeinsam ein- Nachdruck nur nach vorheriger Genehmigung durch die Redaktion. die setzen lohnt sich – auch in schwierigen Zeiten. W SERVICE Fachbereich Besondere Dienstleistungen die Internet: http://besondere-dienste.verdi.de Ansprechpartnerin „die besonderen-Report“: 2 redaktion.besondere.bfb13@verdi.de · Fax: 030/69 56-35 00
S C H W E R P U N K T: R E I S E B R A N C H E Wohin die Reise geht Die Reiseindustrie im digitalen Zeitalter – Chancen und Belastungen VON MARION SCHNEIDER UND Doch es gibt HOLGER SCHMIDT nicht nur Vorteile. Man hat als Kunde im- D igitalisierung in der Reiseindustrie – was mer weniger den Über- Foto: W. Wohlers heißt das? Immer mehr Arbeitsschritte blick: Welche Konditionen im Produktions- und Verkaufsprozess, die in gelten für welche Leistungen? der Vergangenheit von Menschen durchge- Wer hilft bei Problemen? Hotlines führt wurden, werden teilweise oder immer und Beratungs-Bots ersetzen die persön- öfter komplett durch Computersysteme er- liche Betreuung, der Reiseanbieter als Quali- stellt. tätsratgeber spielt keine Rolle mehr. Preisver- gleiche führen zu einer stetig wachsenden W Gefahr von Abgruppierung durch verein- Das fängt bei Hotelverträgen an, deren Austauschbarkeit, guter Service und Dienst- fachte Prozessschritte Daten heute automatisiert in verschiedene leistung bleiben auf der Strecke. W Mehr Kontrollmöglichkeiten durch den Systeme eingespeist werden und damit zeit- Arbeitgeber nah und direkt für weitere Abläufe genutzt Noch mehr Nachteile erleiden die Be- W Ständige Erreichbarkeit (mobile Arbeit, werden können. Darauf aufbauend wird die schäftigten: Viele Produktionsschritte wer- Laptop, Handy) Reisekalkulation heute kaum noch händisch, den über Workflow-Systeme abgebildet und W Wegfall der produktionsfreien Zeiten sondern weitestgehend durch entspre- gemonitored. Der einzelne Beschäftigte hat chende Systeme durchgeführt. Hotelkontin- immer weniger Überblick über die Gesamt- In den nächsten Jahren werden in der Rei- gente werden nicht mehr bei den Veranstal- zusammenhänge. Die Anforderungen und seindustrie viele Arbeitsplätze durch die Digi- tern, sondern von den Hoteliers per direkter Belastungen am Arbeitsplatz wachsen stetig talisierung entfallen. Besonders betroffen ist EDV-Anbindung verwaltet. Auch Hotelbe- durch: hierbei die Ebene der Sachbearbeiter*innen. schreibungen für Kataloge (Content) entste- W Rapiden Wissensverlust Klar, es entstehen auch neue Arbeitsplätze – hen automatisiert durch Anklicken verschie- W Entwertung der erarbeiteten Erfahrung aber es entstehen wesentlich weniger Ar- dener Attribute im entsprechenden System, W Kommunikation über immer mehr Ka- beitsplätze als wegfallen. Und die neu ent- nicht zu vergessen: die bereits bei vielen Un- näle (Chats, Mail, Microsoft Teams etc.) stehenden Stellen benötigen ganz andere, ternehmen üblichen digitalen Reiseunter- W Multitasking im Umgang mit immer mehr spezialisierte Qualifikationen, etwa in den lagen. Eine vollautomatisierte Bearbeitung und immer differenzierteren Systemen Themen Kundenbindung, Marketing und IT. von Reisereklamationen ist nur noch eine Frage der Zeit. Das sind nur einige Beispiele Die Unternehmen sind aufgefordert, von vielen. Qualifizierungsprogramme für ihre Beschäf- tigten anzubieten. Doch das kostet Zeit und Natürlich bringt die Digitalisierung für die Geld und passt nicht in das Investitions- Unternehmen Vorteile. Prozesse laufen programm der Unternehmen. Diese stecken schneller ab oder fallen gänzlich weg. Pro- das Budget viel lieber in neue IT-Systeme. dukte können über die gesamte Saison pro- Die Reiseindustrie Doch auch ver.di ist gefordert: Qualifizie- duziert und über viele Kanäle und Länder rung muss in Tarifverträgen verankert wer- hinweg zu aktuellen Preisen (Angebot und ist auf dem den. Coaching-Programme für Mitglieder, Nachfrage) vermarktet werden. Zur Erweite- die vom Arbeitsplatzverlust bedroht sind, rung der eigenen Produktpalette können besten Wege, würden den Betroffenen helfen und zur Mit- besonderen Drittveranstalter angebunden werden. Da- gliedergewinnung beitragen. Und jede/r ein- mit verbunden ist das Anwachsen des eige- nen Kundenstamms. Nicht umsonst heißt es wie Amazon zelne Arbeitnehmer*in muss selbst bereit sein, sich eigeninitiativ nach der Berufsaus- aus der Vorstandsetage eines deutschen Rei- severanstalters: „Wir müssen werden wie zu werden. bildung weiterzuentwickeln, um in der Ar- beitswelt fit zu bleiben. Die Reise in die digi- die Amazon.“ Die Reiseindustrie ist auf dem tale Arbeitswelt wird eine kontinuierliche besten Wege dazu. und sich noch beschleunigende sein! W 3
S C H W E R P U N K T: R E I S E B R A N C H E Süddeutsche Zeitung 12. November 2019 Chronik eines Die Insel bleibt einsam Auch für 2020 sind Zusammenbruchs alle Reisen abgesagt Thomas Cook zwischen Bangen und Hoffen VON MARINA SCHWARZ schirmlösung für rund 4.000 Beschäftigte erreicht werden. Es bangten jedoch noch rund 2.000 Kol- tagesschau.de 22. November 2019 O bwohl das Schicksal unseres Arbeitgebers Thomas Cook schon länger täglicher Ge- sprächsstoff war, kam der D-Day für uns dennoch leg*innen der Thomas Cook GmbH und ihrer Töchter um ihre Arbeitsplätze. Glücklicherweise konnten wir ver.di-Betriebsräte uns sehr schnell im überraschend. Seit Monaten ging es darum, ob Gewerkschaftshaus schlau machen, wie so eine In- Stranden Hundert- wir vom chinesischen Investor Fosun und einem solvenz abläuft. Unser Landesbezirksfachbereichs- tausende Urlauber? Konsortium aus Banken „gerettet“ würden. Un- leiter Mathias Venema hatte als BR-Vorsitzender Der Reisekonzern Thomas sicherheit und Hoffnung hielten sich die Waage. bereits eine Insolvenz mitgemacht. So wussten wir Cook unternimmt derzeit Viele dachten, uns kann nichts passieren, nach wenigstens ungefähr, was uns erwartete. Wir einen letzten Rettungsversuch dem Motto „too big to fail“ (zu groß zum Schei- ver.di-Mitglieder im BR haben nicht nur den Be- tern) – doch leider kommt es meist anders. triebsrat als Gremium in dem Verfahren aktiviert – auch die ver.di-Betriebsgruppe engagiert sich Einige von uns waren in Leipzig auf dem ver.di- stark. Innerhalb weniger Tage hatten wir im Mit- Bundeskongress, als das Konstrukt zu bröckeln be- gliedernetz eine Gruppe installiert, als direkten gann. Am Sonntagabend, 23. September, verdich- Draht unserer Kolleg*innen zu uns. Außer den vie- teten sich die Anzeichen für eine Insolvenz. Unser len Gesprächen haben wir Mitgliederversammlun- GBR-Vorsitzender Philipp Schumann und ich reis- gen organisiert, bei denen uns unsere ver.di- ten umgehend ab, um Montag früh für unsere Hauptamtlichen mit Rat und Tat zur Seite standen. Kolleg*innen da zu sein. Noch in der Nacht mel- So konnten auch Neumitglieder gleich sehen, dass dete unser Mutterkonzern, die Thomas Cook plc., eine ver.di-Mitgliedschaft handfeste Vorteile bietet: Insolvenz an. Björn Wolf blieb in Leipzig, um uns Rechtsberatung sofort und Rechtsvertretung nach auf dem Kongress zu unterstützen, sein Solida- drei Monaten. ritätsaufruf wurde mit Standing Ovations ge- feiert. Er koordinierte die Aktivitäten in Leipzig In Deutschland haben wir dank der starken Ge- – Austausch mit Politiker*innen im Bund und werkschaften ein Insolvenzrecht, das uns ein in Hessen, gespielt hat der ver.di-Vorstand wenig Zeit verschaffte. Für September, Oktober auf allen Kanälen – dafür möchten wir uns und November gab es Insolvenzgeld. Leider nur ausdrücklich bedanken. eine Verschnaufpause – unsere vorläufigen Insol- venzverwalter suchten mit Hochdruck nach Inves- Ab Montag ging es dann Schlag auf toren. Unsere Stimmung schwankte zwischen Hof- Schlag – eines nach dem anderen meldeten fen und Bangen. unsere europäischen Schwesterunternehmen Insolvenz an. Für viele unserer Kolleg*innen be- Zwischenzeitlich haben wir Klarheit: Für einen deutet das: Hier ist die Tür, wir brauchen dich großen Teil der Reisebüros fand sich ein Investor, nicht mehr! So erging es vielen tausend Men- ebenso für die Kolleg*innen von Bucher Reisen & schen in Großbritannien, Spanien, Belgien, den Öger Tours. In der Fachpresse nennt man diese Foto: W. Wohlers (Montage) Niederlanden, der Schweiz, Österreich, Polen, Teile Filetstücke – für uns „Übriggebliebene“ fühlt Frankreich und anderswo – insgesamt sind über sich das nicht besonders gut an. Für die Kol- 20.000 Kolleg*innen bei Thomas Cook betroffen. leg*innen an den Flughäfen sowie für knapp Indirekt trifft es aber auch viele Kolleg*innen in 1.000 Kolleg*innen in der Zentrale in Oberursel den Zielgebieten – so das Zimmermädchen in Spa- bedeutet das: Es geht Ende November direkt in die besonderen nien oder den Kellner in der Türkei. Auch sind nun Arbeitslosigkeit. Aber auch für diese Kolleg*innen, bei vielen freien Reisebüros Arbeitsplätze in Ge- die einen neuen Weg beschreiten müssen, können fahr. wir als ver.di eine gute Unterstützung sein und sie bei der Suche nach neuen Möglichkeiten begleiten In Deutschland konnte zwar – mit maßgebli- und stärken. W die cher Unterstützung durch ver.di – für die Fluglinie 4 Condor ein Überbrückungskredit und eine Schutz- Die Autorin ist Betriebsrätin bei Thomas Cook.
S C H W E R P U N K T: R E I S E B R A N C H E Tarifvertrag trotz Turbulenzen ver.di schnürt Tarifpaket bei TUI Deutschland für das Jahr 2020 VON GERD DENZEL befriedigenden Ergebnis kommen, wird ver.di diese Forderung erneut auf die E s sind turbulente Zeiten in der Reisebranche. Der britische Thomas Cook Konzern musste In- solvenz anmelden und der Deutschen Thomas Tagesordnung setzen. Betriebsbe- dingte Kündigungen sind nicht akzeptabel. Cook droht die Zerschlagung. DER Touristik hat in Köln und Frankfurt am Main über 10 Prozent der Die ver.di-Tarifkommis- Belegschaft abgebaut. Und die TUI Deutschland sion hat dem Verhand- hat angekündigt, beim Veranstalter in Hannover lungsergebnis mit großer 450 Arbeitsplätze wegrationalisieren zu wollen. Mehrheit zugestimmt. Sie Angesichts dieser schwierigen Rahmenbedingun- bewertete das Gesamt- gen ist es erfreulich, dass es ver.di gelungen ist, bei paket als Erfolg. Gewerk- eben dieser TUI Deutschland ein Tarifpaket für das schaftliches Engagement kommende Jahr 2020 zu schnüren. Dieses sieht in lohnt sich immer, auch in den Kernpunkten Folgendes vor: Krisenzeiten. W Eine Einmalzahlung in Höhe von 500 Euro brutto im Februar 2020. Teilzeitbeschäftigte er- Nun geht es für ver.di halten diese Zahlung anteilig. und den Betriebsrat darum, W Zwei zusätzliche Urlaubstage – insgesamt also den geplanten Personalabbau 32 – im Jahre 2020. Für Teilzeitbeschäftigte, die möglichst gering zu halten. Jen- weniger als fünf Tage in der Woche arbeiten, seits des Verzichts auf betriebsbe- besteht dieser Anspruch anteilig. dingte Kündigungen muss sowohl den W Eine Fortführung der Wahlmöglichkeit „Drei Beschäftigten, die freiwillig aus dem Un- Tage Urlaub statt ein Prozent Gehalt“ auch im ternehmen ausscheiden, als auch der verblei- Jahre 2020. Die Variante „mehr Urlaub“ haben benden Belegschaft eine verlässliche Perspektive Foto: W. Wohlers in diesem Jahr 65 Prozent der Beschäftigten eröffnet werden. Die Beschäftigten haben ein gewählt. Wer sich hierfür wieder entscheidet, Recht darauf, zu wissen, wo die Reise hingeht. kommt somit auf sieben Wochen Urlaub im Umfängliche Qualifizierungsmaßnahmen und eine Jahre 2020. strategische Personalplanung sind hierfür unerläss- W Eine Entgeltabsicherung bei arbeitgeberveran- lich lassten Versetzungen auf niedriger vergütete Stellen. In Zeiten der Plattformökonomie sind Booking, W Eine Verlängerung der Altersteilzeitverhältnisse Check24 & Co. für die klassischen Reiseveranstal- um zwei Jahre. Künftig kann die Altersteilzeit- ter eine Herausforderung, aber keine Bedrohung. phase statt sechs maximal acht Jahre betragen. Die Pleite des Thomas-Cook-Konzerns ist nicht der Das Altersteilzeitentgelt wird – wie bisher – auf digitalen Konkurrenz geschuldet, sondern fataler mindestens 85 Prozent des Nettoarbeitsent- Fehleinschätzungen der Führungsriege in Großbri- gelts, die Beiträge zur gesetzlichen Rentenver- tannien. Und letztlich war es der britische Premier- sicherung auf 90 Prozent aufgestockt. minister Boris Johnson, der Thomas Cook, als die W Eine bezahlte Freistellung für die Pflege von El- Rettung fast in trockenen Tüchern war, den Todes- tern oder Schwiegereltern von maximal zwei stoß versetzte, indem er eine Finanzierungsbitte Tagen pro Jahr ab dem Kalenderjahr 2020. über 150 Millionen Pfund ablehnte. W besonderen Nicht verhandelbar war der von ver.di geforderte Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen. Die Geschäftsführung begründete ihre Verweige- rungshaltung mit dem Verweis auf die diesbezüg- die lichen Verhandlungen mit dem Konzernbetriebs- rat. Sollte es in diesen Verhandlungen zu keinem 5 Abflug Ankunft
S C H W E R P U N K T: R E I S E B R A N C H E Christine Behle, Leiterin der Foto: ver.di Fachbereiche Bund, Länder und Gemeinden, Sozialversicherung, „Der Service im Verkehr und Besondere Dienstleistungen, über die Hintergründe der Thomas-Cook- Reisebüro ist Pleite und die Veränderungen in der Reisebranche unschlagbar“ die besonderen: Die Pleite bei Thomas Cook, der Personal- kauffrau/-kaufmann. Was bedeutet das für die Kolleginnen und abbau bei TUI oder DER Touristik – was kann ver.di für die akut Kollegen? betroffenen Kolleg*innen tun? Durch die Digitalisierung werden Tätigkeiten einfacher und ver- Christine Behle: Wir beraten und betreuen die Mitglieder vor lieren an Wertigkeit oder werden automatisiert. Andererseits Ort. Es gibt nun viele arbeitsrechtliche und insolvenzrechtliche werden die verbleibenden Tätigkeiten anspruchsvoller. Passge- Vorschriften zu beachten, es muss informiert werden. Gerade in naue Qualifizierung und lebenslanges Lernen sind die zentralen der Insolvenz müssen viele Formulare ausgefüllt und Fristen be- Themenfelder. Hierfür die Voraussetzungen zu schaffen ist zu- achtet werden. Jedes einzelne Arbeitsverhältnis unterscheidet allererst Aufgabe der Unternehmen, wenn sie auch in Zukunft sich vom anderen, es gilt jetzt, die Kolleginnen und Kollegen zu konkurrenzfähig sein wollen. Aber selbstverständlich müssen die stützen, zu unterstützen und immer auch wieder emotionalen Beschäftigten die entsprechende Bereitschaft mitbringen. Halt zu geben – auch das ist Gewerkschaft. Wo siehst Du angesichts dieser Gemengelage einen Ansatzpunkt Wie schätzt Du die Lage für die Beschäftigten in der Reise- für ver.di, den Strukturwandel im Sinne der Beschäftigten vor- branche insgesamt derzeit ein? beugend zu beeinflussen? Die Digitalisierung ermöglicht es den Verbraucherinnen und Ver- Zentrales gewerkschaftliches Handlungsfeld neben der Qualifizie- brauchern zunehmend, ihre Reisen selbst zu organisieren. So rung und der Beschäftigungssicherung ist die Thematik des flexi- genannte Online-Reisebüros sind global und jederzeit verfügbar. blen und mobilen Arbeitens ohne Arbeitsverdichtung und ohne Das setzt die klassischen Reiseveranstalter und den stationären Entgrenzung der Arbeitszeiten. Das Arbeitszeitgesetz ist auch in Vertrieb unter Druck. Trotzdem ist die klassische Pauschalreise der digitalen Welt nicht oldfashioned. Handlungsfeld ist auch die längst nicht tot, ihr Marktanteil stabil. Und der Service im Reise- Mitgestaltung neuer Berufsfelder wie der Ausbildungsberuf büro ist weiterhin unschlagbar. Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce. W Diese Entwicklung verändert auch das Berufsbild Reiseverkehrs- Fragen: Uta von Schrenk Urlaubsreiseorganisation und -buchung 2010 vs. 2018 Quelle: Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (e.V.), Kiel: Reiseanalyse 2019 Organisation Buchungswege 43% Per 42% Pauschal/Bausteinreise Pauschal-/Bausteinreise Per Online-Buchung 42% Online-Buchung 26% 36% Im Impersönlichen persönlichen 40% Unterkunft einzeln Unterkunft einzeln 34% Gespräch Gespräch 46% 16% 16% Ticket/Fahrschein einzeln Ticket/Fahrschein einzeln Per Per Telefon Telefon 13% 24% besonderen Andere AndereBestandteile Bestandteile 8% 12% Per Per E-Mail E-Mail einzelneinzeln 6% 5% 12% 2018 2% 2018 Nichts Nichtsvorab vorhergebucht gebucht Per Per Brief/Fax Brief/Fax 15% 2010 3% 2010 die Basis: Urlaubsreisen (5+ Tage) der deutschsprachigen Bevölkerung 14+ Jahre Basis: Urlaubsreisen mit Vorausbuchung (5+ Tage) der deutschsprachigen Bevölkerung 14+ Jahre 6
TA R I F V E R T R Ä G E Kohle oder Kanaren Moderne Tarifverträge lassen die Wahl zwischen mehr Geld oder zusätzlicher Freizeit VON ANJA KEUCHEL satorisch nicht zu handhaben sei. Diese Bedenken wurden in einem gemeinsamen Workshop von Ar- E inen bemerkenswerten Tarifabschluss hatte ver.di im Jahr 2018 für die Beschäftigten beim TÜV Nord durchgesetzt. Er ließ ver.di-Mitgliedern beitnehmer- und Arbeitgebervertreter*innen aus- geräumt. Dabei hatten Personalreferenten und Be- triebsräte der Deutschen Bahn erläutert, wie eine die Wahlmöglichkeit, sich 2019 entweder einen Umsetzung einer solchen Wahlmöglichkeit in Einmalbetrag in Höhe von 1.250 Euro auszahlen ihrem Unternehmen gehandhabt wird. zu lassen oder die Summe ganz oder teilweise in zusätzliche Urlaubstage umzutauschen. Alle ande- „Wir haben für die Forderung Foto: W. Wohlers ren hatten diese Wahl nicht, sie müssen das Geld nach der Wahlmöglichkeit viel Zu- nehmen. Für alle Beschäftigten gleichermaßen sah stimmung bekommen und im Ver- der Abschluss rückwirkend zum 1. Mai eine Tarif- laufe der Tarifrunde viele neue erhöhung von 3,2 Prozent vor. Im April gab es für ver.di-Mitglieder gewonnen. Das alle eine Einmalzahlung von 250 Euro. Und 2019 hat die Streiks ermöglicht und dann die 1.250 Euro Einmalzahlung, die nur ver.di- damit letztlich den Erfolg“, sagt Mitglieder in Urlaub umwandeln können. Bremme. Die Möglichkeit, Freizeit statt Geld zu wählen, Die aktuelle Regelung ist nicht soll keine einmalige Sache bleiben. Die Erfahrun- die erste ver.di-Vorteilsregelung gen aus dem Testjahr 2019 sollen 2020 ausgewer- beim TÜV Nord. Schon seit einigen tet werden und dann in einen Tarifvertrag einflie- Jahren gibt es dort das tariflich ver- ßen, der das Wahlrecht dauerhaft festschreibt. Das einbarte „Mobilitäts-Plus“. ver.di- hat ver.di mit dem Arbeitgeber vereinbart. In der Mitglieder können danach entwe- Mitgliederbefragung hatten sich die ver.di-Mitglie- der eine BahnCard 50 (2. Klasse) der unter den Beschäftigten mit großer Mehrheit erhalten oder deren Gegenwert dafür ausgesprochen, das Tarifergebnis anzuneh- von derzeit 255 Euro in die Be- men. triebsrentenkasse einzahlen. „Die Wahlmöglichkeit zwischen Geld und zu- Auch bei der TUI Deutschland gibt es seit Jah- sätzlichen Urlaubstagen gehörte von Anfang an zu resbeginn die Wahlmöglichkeit Freizeit statt Geld. unseren Forderungen, die wir auf einem Work- Die Beschäftigten konnten entscheiden, ob sie ein shop mit der Tarifkommission beraten haben“, Prozent mehr Gehalt oder drei zusätzliche Urlaubs- sagt ver.di-Verhandlungsführer Peter Bremme. Die tage bekommen wollten. Rund zwei Drittel der Arbeitgeber hatten ihre Vorbehalte gegen eine sol- Kolleg*innen bevorzugten die Freizeitvariante. Aus che Regelung unter anderem damit begründet, diesem Grunde wird die Regelung auch im kom- dass die Umsetzung der Wahlmöglichkeit organi- menden Jahr fortgeführt. W besonderen die Erschienen zum Artikel Tarifpolitik: Zeit ist das neue Geld in Böckler Impuls 02/2019 7
WOHNUNGSPOLITIK T A R I F W FACILITY Wegweisender Tarif- abschluss bei degewo Gebäudeservice ver.di hat mit der degewo Wohnen ist ein Gebäudeservice GmbH einen wegweisenden Tarifvertrag abge- schlossen. Für die mehr als 500 Menschenrecht Beschäftigten des degewo-Toch- Der ver.di-Bundeskongress hat den Aufbruch in eine terunternehmens konnten rück- solidarische Wohnungspolitik beschlossen wirkend zum 1. Juli 2019 neue Entgeltstrukturen geschaffen wer- den. Eine transparentere Entgelt- VON JÖRG SCHLEDORN aber der Branche fehlen die Mitarbeiter*innen ordnung löst das veraltete System und die Kapazitäten, um die 400.000, bzw. ab, zudem werden erstmals Er- fahrungsstufen eingeführt. Haus- meister erhalten so innerhalb der G utes Wohnen – Arbeiten – Leben. Aufbruch in eine solidarische Wohnungspolitik. Unter diesem Motto hat der ver.di-Bundeskongress im 100.000 Wohnungen auch nur ansatzweise zu schaffen. ver.di setzt sich für den Schutz der Mieter*in- Laufzeit von 30 Monaten bis zu vergangenen September einen Antrag zur Woh- nen ein. Ein Haushalt sollte maximal 30 Prozent 240 Euro brutto mehr im Monat. nungspolitik beschlossen. seines Netttohaushaltseinkommens für die Miete Die Ausbildungsvergütungen stei- ausgeben müssen. Gerade die Armen sind ge- gen zum 1. September 2019 auf Schon mit den ersten Sätzen stellt der Kon- zwungen, deutlich höhere Anteile zu zahlen. Und 1.000 Euro im ersten, 1.100 Euro gress fest, „Wohnen ist ein Menschenrecht“, und das selbst in Städten mit vielen Leerständen, so im zweiten und 1.200 Euro im die Versorgung mit Wohnraum gehört zur „Da- die Hans-Böckler-Stiftung in diesem Jahr. dritten Ausbildungsjahr. Sie wer- seinsvorsorge“. Das war ein deutliches – doppel- ver.di ist die Gewerkschaft der Wohnungswirt- den 2020 und 2021 jeweils zum tes – Ausrufungszeichen: ver.di leitet das Men- schaft. Deshalb setzt sie sich entsprechend des 1. September um weitere 100 schenrecht aus dem Grundgesetz ab, das erklärt, auf dem Bundeskongress angenommenen An- Euro brutto erhöht. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu trags „Für gute Arbeit in der Wohnungswirt- achten und zu schützen ist Verpflichtung aller schaft“ ein: Der Flächentarifvertrag steht unter staatlichen Gewalt.“ Und ver.di ordnet das Poli- Druck. Der Branchenprimus Vonovia beschäftigt tikfeld Wohnen der „Daseinsvorsorge“ zu. Damit zum Beispiel fast nur noch Menschen ohne Tarif- gibt es eine politische Verantwortung des Staates vertrag, auch die Gesellschaft „Deutsche Woh- und der Kommunen für die Versorgung der Be- nen“ verweigert den Kolleg*innen den Tarifver- völkerung mit menschenwürdigem und bezahl- trag. barem Wohnraum. Doch Staat und Kommunen Der neue ver.di-Vorsitzende, Frank Werneke, Foto: W. Wohlers kommen dieser Verantwortung nicht mehr nach. hat in seiner Grundsatzrede nach seiner Wahl in Seit den 1980er Jahren sahen große Teile der Leipzig ausdrücklich auch die Wohnungspolitik als Politik Deutschland als „fertig gebaut“ an. Die Aufgabenfeld der Gewerkschaft hervorgehoben. Folge: Die Gemeinnützigkeit wurde abgeschafft, Damit hat die Gewerkschaft ver.di sowohl mit „Wir konnten mit diesem Er- ein großer Teil der öffentlichen Wohnungsunter- Beschlusslage, als auch mit der Grundsatzrede gebnis erstmals Erfahrungsstufen nehmen privatisiert und die Förderung des sozia- des neuen Vorsitzenden ein Angebot an die Ge- einführen, welche deutliche Ent- len Wohnungsbaus gegen Null gefahren. sellschaft unterbreitet: ver.di steht als Bündnis- gelterhöhungen und damit eine Heute stellen wir landauf, landab, wenn auch partner bereit, sich gemeinsam mit anderen für Aufwertung der Tätigkeiten nach nicht überall, massiv steigende Mieten fest, ver- eine neue und solidarische Wohnungspolitik ein- sich ziehen“, sagt Verhandlungs- bunden mit der Not der Menschen, überhaupt zusetzen. W führer Benjamin Roscher. „Das Wohnungen zu finden. neue Tarifsystem ist bei den Berli- Deshalb fordert ver.di, die Anbieterstruktur auf Foto: W. Wohlers ner Facility-Betrieben bislang ein- den Wohnungsmärkten politisch zu gestalten. malig. Ohne die starke Aktions- Wollen die Kommunen bezahlbare Wohnungen und Streikbereitschaft der Kol- schaffen, benötigen sie Bündnispartner. Dies kann leg*innen wäre der Tarifabschluss nur bedeuten, die kommunalen Wohnungsunter- nicht möglich gewesen.“ nehmen und die Genossenschaften zu stärken, aber auch den Werkswohnungsbau wieder ein- Die Beschäftigten sind unter zuführen. besonderen anderem als Hauswarte und Das Land benötigt sozialen Wohnungsbau. Hausmeister, Concierge, in der Die Bundesregierung spricht von einem Bedarf Grünpflege oder der Schadens- von 400.000 neuen Wohnungen Jahr für Jahr, hotline bei den über 70.000 lan- ver.di fordert, dass davon mindestens 100.000 deseigenen Berliner Wohnungen Sozialwohnungen sein müssen. Schon jetzt ist die die der degewo AG verantwortlich. W Bauwirtschaft an ihre Leistungsgrenzen gestoßen, 8 die Bau- und die Baulandpreise steigen massiv,
GELD UND WERT / SICHERHEITSBRANCHE T A R I F W BDSW Endlich wieder Aussicht Gar nicht auf einen neuen Mantel- rahmentarifvertrag für die Sicherheit so einfach Ein Mantel- oder Mantelrah- mentarifvertrag (MRTV) bestimmt mit darüber, wie gesund die Ar- ver.di unterbreitet eine Lösung für den Streit um beitsbedingungen in einer Bran- che sind. Wer weiß das besser, als die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall die Kolleg*innen in der Sicher- heit. VON ARNO PEUKES von acht Stunden je Arbeitstag, wenn sie mehr als 48 Stunden – also über neun Stunden je Arbeits- Der jetzige MRTV muss drin- E s ist ein wenig wie in einer schlechten Soap- Opera: Im Januar verhandelten die Tarifpar- teien eine wirklich gute Tariferhöhung für die Be- tag – gearbeitet hätten. Alles verwirrend, und genau deswegen wollte ver.di eine Vereinfachung, ohne Überstunden dabei zu berücksichtigen. gend verbessert werden, denn sowohl bei Arbeitszeiten, Arbeits- tagen oder Zuschlägen und Son- schäftigten bei Geld und Wert und verständigten derzahlungen sind wir hier weit sich in diesem Zusammenhang auf eine Berech- All dies ist aber an dem Verhandlungsabend entfernt von guten Regelungen. nung bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. nicht wirklich ausdiskutiert worden. Was verdeut- Das war bereits 2018 Grund für Nun war dieses Thema erst spät in die Verhand- licht, dass Schnelligkeit kein guter Berater ist. Lang- unsere Bundestarifkommission lungen eingebracht worden und scheinbar fehlte samkeit aber auch nicht – denn seit Januar liegen (BTK), den MRTV aufzukündigen es beiden Seiten an einem gründlichen Blick und wegen dieses Auslegungsstreits alle weiteren wich- und den BDSW zu neuen Ver- einer klaren Verständigung über das, was mit den tigen Tarifprojekte auf Eis. Beim ersten Kennenlern- handlungen aufzufordern. Die vereinbarten wenigen Sätzen gemeint ist. Denn treffen unserer neuen Bundesfachbereichsleiterin Antwort des BDSW war für uns seitdem kracht es zwischen den Tarifparteien über Christine Behle mit der BDGW stand deswegen die unverständlich und falsch: denn die Frage, wie die Lohnfortzahlung im Krankheits- Zerschlagung dieses Gordischen Tarifknotens im anstelle mit uns darüber nach- fall nun abgerechnet werden soll. Mittelpunkt des Gesprächs. Deswegen wurde von zudenken, wie Arbeiten in unserer ver.di-Seite auch ein konkreter Lösungsvorschlag Branche und damit sie selbst Der Quell des Ärgers ist der Satz: „Für die Be- auf den Tisch gelegt. Hierbei steht zunächst die un- attraktiver wird, haben sie den rechnung von Krankentagen bei der Entgeltfort- terschiedliche Tarifsituation in den Bundesländern alten MRTV mit der GÖD für zahlung im Krankheitsfall werden bei Vollzeitbe- im Mittelpunkt. Es gibt nämlich Bundesländer, in 5 Jahre abgeschlossen. Jetzt aber schäftigten je Arbeitstag acht Stunden angesetzt denen die Landesmanteltarifverträge noch allge- kommt Bewegung in die Sache: ...“ Für die Arbeitgeberseite ist hiermit klar zum meinverbindlich sind. Also, egal, ob ein Arbeitge- bereits zweimal haben sich die Ausdruck gebracht, dass ein/e Vollzeitbeschäf- ber Mitglied im Arbeitgeberverband ist oder nicht, Mitglieder unserer BTK mit dem tigte*r pro Krankentag einen Berechnungsanspruch haben alle Beschäftigten dort Anspruch auf die Ta- BDSW getroffen und jetzt auch von acht Arbeitsstunden hat. Egal, ob sie/er an dem rifregelungen. Und da diese Landesmanteltarifver- konkret vereinbart, dass wir Ver- Tag nun acht Stunden gearbeitet hat, oder wie es träge auch noch welche sind, in denen Regelungen handlungen starten. Und zwar für eigentlich die Regel ist, neun oder 19 Stunden. für Geld und Wert und die allgemeine Wach und einen MRTV ebenso wie für eine Und da der Gesetzgeber im Entgeltfortzahlungs- Sicherheit getroffen wurden, sollten sie nicht ge- tarifliche Regelung zur verbesser- gesetz ausdrücklich geregelt hat, dass eine solche fährdet werden. Denn gerade für die Kolleg*innen ten betrieblichen Altersvorsorge. Vereinbarung zwischen den Tarifparteien möglich in der Wach und Sicherheit sind diese Tarifverträge Im Dezember starten die Verhand- ist, ist sich die Bundesvereinigung Deutscher Geld- der einzige Schutz gegen noch schlechtere Arbeits- lungen zur Altersvorsorge, im und Wertdienste (BDGW) einig: Anders kann die bedingungen. Die Länder Baden-Württemberg und Februar 2020 dann um den MRTV. Protokollnotiz gar nicht verstanden werden. Bayern haben solche allgemeinverbindlichen Man- teltarifverträge. Beide Tarifseiten haben sich Wirklich? Doch, das geht. Ein kleiner Blick in auf einen engagierten Zeitplan den Rahmentarifvertrag zeigt, dass hier davon ge- Deswegen ist für uns klar, dass in diesen beiden verständigt: Noch im 1. Halbjahr sprochen wird, dass Vollzeitbeschäftigte bei Geld Bundesländern die Protokollnotiz keine Anwen- 2020 sollen die Tarifverhandlun- und Wert eine Fünf-Tage-Woche haben. Die meis- dung findet. Nun muss die BDGW intern klären, gen für beide Projekte erfolgreich ten Landesmanteltarifverträge stammen aber noch ob sie diese Lösungsidee unterstützt. Damit das abgeschlossen sein. Es liegen also aus Zeiten, als hier Tarifregelungen für alle Berei- Thema jetzt aber endlich vom Tisch genommen spannende Wochen und Monate che der Sicherheit gemeinsam getroffen wurden. wird, hat unsere Verhandlungsseite auch konkrete vor uns. Um erfolgreich zu sein, besonderen Also für die Kolleg*innen von Geld und Wert, aber Taten folgen lassen: Die Protokollnotiz ist unter- braucht es dabei den intensiven eben auch für die der allgemeinen Wach und Si- schrieben und der BDGW zugestellt. Damit gibt es Austausch mit den Landesbezir- cherheit. Und hier wird noch von der Sechs-Tage- jetzt Klarheit. Und mit Blick auf die nahe Zukunft ken ebenso wie mit den Betriebs- Woche gesprochen. Würde nun die 40-Stunden- ist noch eins klar: Mit der Kündigung des Lohn- ratsgremien der Sicherheit. W Arbeitswoche auf sechs Tage berechnet werden, tarifvertrages zu Ende 2020 wird unsere Bundes- die hätten Beschäftigte bei Geld und Wert im Krank- tarifkommission auch diese Protokollnotiz kündi- Arno Peukes heitsfall erst Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung gen. Für alle Zeiten! W 9
GELD UND WERT T A R I F W GELD UND WERT Bundesmanteltarifvertrag wird weiterverhandelt Endlich. Nach fast anderthalb Jahren treffen sich Mitte Januar Gefährlich 2020 die Bundestarifkommissio- nen von ver.di und der BDGW, um die Verhandlungen zur Einführung und unklug eines Bundesmanteltarifvertrags Der Arbeitgeberverband will die be- für die Branche fortzusetzen. schäftigtenfeindliche Ein-Mann-Logistik Nachdem in den vergangenen Monaten Uneinigkeit bestand, einführen. Der ver.di-Bundeskongress wie die im Januar 2019 ausge- setzt ein deutliches Zeichen dagegen handelte Protokollnotiz zu ver- Ein-Mann-Logistik – Nein, danke! stehen ist, hatte die BDGW eine VON ARNO PEUKES UND HANS-PETER KILIAN Fortführung der Verhandlungen bislang abgelehnt. Dabei gibt es viel zu tun. Zur Erinnerung: Bislang gelten B ei allem, was Gewerkschaften und Arbeitge- berverbände bei Tarifverhandlungen trennt, waren wir uns mit der Bundesvereinigung Deut- Vor diesem Hintergrund ist es für alle Mitglie- der bei Geld und Wert toll zu wissen, dass die ge- samte ver.di hinter ihnen steht. Denn einstimmig in den Bundesländern völlig un- scher Geld- und Wertdienste (BDGW) in den ver- haben die Delegierten des 5. ver.di-Bundeskon- terschiedliche Bestimmungen zu gangenen Jahren immer einig in der Frage, dass gresses in Leipzig eine Resolution gegen die EML den meisten Bereichen der Ar- die Sicherheit der Kolleg*innen höchste Priorität verabschiedet. Gemeinsam mit unserem Fachbe- beitsbedingungen. So haben die hat. So haben wir gemeinsam im Sachgebiet Si- reich machen sie damit deutlich, dass die Sicher- Beschäftigten in Hessen andere cherheitsdienstleistungen alle früheren Bestrebun- heit der Beschäftigten kein Luxus ist, sondern dass Zuschlagsregelungen als die Kol- gen zur Einführung der Ein-Mann-Logistik (EML) der heutige Einsatz von zwei oder drei Kol- leg*innen in Nordrhein-Westfa- abgelehnt und deutlich gemacht, dass das Grund- leg*innen bei Geldtransporten eine Grundvoraus- len, und in vielen Bundesländern recht auf körperliche Unversehrtheit, der Arbeits- setzung ist. Dies zeigt auch der Blick auf die euro- gibt es heute zu dem einen oder schutz und die Sicherheit der Kolleg*innen einen päische Überfallstatistik. Fanden etwa in England anderen Thema immer noch keine größeren Stellenwert haben als die Profitgier eini- im vergangenen Jahr 212 Überfälle auf Geldtrans- Regelung. Die ver.di-Bundestarif- ger Unternehmen im Arbeitgeberverband. Jetzt porte statt, waren es in der Bundesrepublik vier auf kommission will daher in einem hat die BDGW diesen gemeinsamen Kurs verlassen Spezialgeldtransporte. Es geht aber nicht nur um ersten Schritt eine Angleichung und die Einführung der EML beantragt. Sicherheit, es geht auch um gute und gesunde Ar- der bestehenden Regelungen. beitsbedingungen. Schon die theoretische Mög- Klar ist: Dabei soll niemand So unverständlich dieser Schritt des Verbandes lichkeit, in Ausübung seines Berufes überfallen schlechter behandelt werden, als mit Blick auf die Sicherheit der Kolleg*innen ist, werden zu können, ist eine hohe psychische Belas- sie/er es heute schon wird. Denn desto ärgerlicher wird er, wenn ein Blick hinter die tung. Dazu kommt, dass die Kolleg*innen ohnehin für die ver.di-Bundestarifkommis- Kulissen für diesen Meinungsumschwung gewor- eine physisch belastende Arbeit Tag für Tag aus- sion ist auch klar, dass die Kol- fen wird. Denn die BDGW handelt hier nicht im üben. leg*innen eigentlich in vielen Sinne aller ihrer Verbandsmitglieder. So haben die Feldern noch weit bessere Rege- Geschäftsführungen des Marktführers Prosegur Der ver.di-Bundeskongress sagt deswegen: Ein lungen brauchen, als sie heute und der Nummer Drei, Loomis, deutlich gemacht, klares Nein zur Ein-Mann-Logistik! Solidaritäts- haben. dass sie gegen die Einführung der EML sind. Wer bilder des früheren Bundesvorsitzenden Frank Spannend wird im Januar sich fragt, was mit der Nummer Zwei, Ziemann, Bsirske wie auch des neuen Bundesvorsitzenden sein, ob die BDGW endlich ver- ist: Hier prüft das Kartellamt gerade deren Kauf Frank Werneke finden sich auf unserer Facebook- standen hat, dass gute Arbeit durch die Nummer Drei. Es kann also gesagt wer- seite WertundGeld. Ebenso von unserer Tarifkom- gute Arbeitsbedingungen voraus- den, dass die Vertretungen von weit über 60 Pro- mission, wie von vielen anderen Unterstützer*in- setzt. Wer heute Menschen für die zent des Marktes gemeinsam mit ver.di gegen die nen. Arbeit in der Branche halten oder EML sind. Deutlich wird damit, dass die BDGW Neue gewinnen will, braucht einen Machtkampf im Sinne der Klein- und Mit- Natürlich freuen wir uns über weitere Unter- mehr als schöne Sonntagsreden – telunternehmen zu Lasten der Sicherheit und Ge- stützer*innen. Denn noch hat die BDGW ihre For- nämlich Taten. Vielleicht hat die sundheit der Beschäftigten führt. Das soll an die- derung nach der Einführung der Ein-Mann-Logistik lange Wartezeit diese Erkenntnis ser Stelle nicht bewertet werden, weil es schwierig im Sachgebiet Sicherheitsdienstleistungen nicht auch auf Arbeitgeberseite reifen ist, handfeste Worte in diesem Zusammenhang zu zurückgenommen. Für alle unsere aktiven Gremien besonderen lassen. Die ver.di-Bundestarifkom- vermeiden. Nur so viel: Auch wirtschaftlich schlägt in den Ländern und im Bund ist deswegen klar, mission ist auf jeden Fall für ent- die BDGW damit einen katastrophalen Weg ein. dass wir keine Ruhe geben, bis diese beschäftig- sprechenden Nachhilfeunterricht Denn wer heute EML zulassen will, ermöglicht tenfeindlichen Pläne endlich wieder vom Tisch bereit. W damit Amazon und anderen, künftig das Geld- sind. W transportgeschäft zu übernehmen und leitet da- die Arno Peukes mit das Ende seiner eigenen Branche ein. Klugheit 10 sieht anders aus.
CALLCENTER T A R I F W TÜV RHEINLAND WERKSTOFFPRÜFUNG Auch Feiertag Akzeptable Lösung Mitte Oktober hat ver.di bei TÜV Rheinland Werkstoffprüfung ist Zahltag (TWP) erfolgreich Verhandlungen für die Erhöhung der Referenzver- gütung abgeschlossen. Folgendes In vielen Callcentern werden freie Feiertage nicht bezahlt. Zahlreiche wurde erreicht: • Erhöhung der Referenzvergü- Dienstleister verschieben die Arbeitszeiten gezielt auf andere Wochen- tung ab dem 1. Januar 2019 um tage. In Leipzig unterstützen DGB-Rechtsschutz und Betriebsrat die 60 Euro, dies entspricht der Ta- betroffenen Kolleg*innen riferhöhung der TÜV Rheinland Industrieservice (TIS) in 2019 VON CHRISTIAN SZEPAN gelmäßig ausschließlich nur montags bis freitags von 2,1 Prozent. gearbeitet. Dennoch erhielten die Beschäftigten • Zusätzlich hat die Tarifkommis- 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, rund ums Jahr erreichbar: Callcenter werben mit maximalen Serviceversprechen. Das führt zu unre- für Feiertage keinen Lohn. Für Mirko Schneide- wind vom DGB-Rechtsschutz in Leipzig ist dies ein eindeutiger Rechtsverstoß. Betroffene Kolleg*in- sion mit dem Arbeitgeber für das Jahr 2019 eine Auszahlung von 240 Euro vereinbart. gelmäßigen Dienstzeiten, auch an Feiertagen. nen wandten sich auf Anregung des Betriebsrats Viele Firmen versuchen aber, der Feiertagsentloh- an Schneidewind, der die Ansprüche vor dem Ar- Dies bedeutet: Beschäftigte, nung zu entfliehen. beitsgericht geltend machte. Das Verfahren endete die seit dem 1. Januar 2019 Voll- mit Vergleichen, das Gericht verpflichtete den Ar- zeit beschäftigt sind, erhalten mit Fällt etwa der Pfingstmontag in die Arbeitswo- beitgeber zu Nachzahlungen. dem Gehaltslauf November eine che, planen Unternehmen ihre Beschäftigten von Zahlung von 840 Euro. Zusätzlich Dienstag bis Samstag ein. Der zuständige ver.di- Allerdings erhalten nur jene Beschäftigten die wird ihr Gehalt ab November Fachgruppenleiter Markus Nöthen hält dies für Nachzahlung, die dies auch im Einzelfall vor Ge- dauerhaft um 60 Euro erhöht. „unakzeptabel“. Gesetzlich sei der Arbeitgeber richt erstritten haben. Für Schneidewind ist es Teilzeit- und zeitanteilig Beschäf- verpflichtet, auch diese freien Tage zu entlohnen. nicht nachvollziehbar, dass jeder Einzelne Klage tigten wird die Erhöhung anteilig Die Regelung sei nicht so angelegt, dass die Ar- einreichen muss und das Management das vor Ge- ausbezahlt. beitnehmer*innen durch die absichtliche Freistel- richt erzielte Ergebnis nicht für die gesamte Beleg- Der Abschluss hat somit für lung am Feiertag leer ausgingen. schaft umsetzt. Der Betriebsrat hat juristisch nicht 2019 ein Gesamtvolumen von die Möglichkeit, selbst die Nachzahlungen für alle 2,9 Prozent. Im Haustarifvertrag bei walter services ist dieser vor Gericht zu erzwingen. Daher ermutigt er alle Die Verhandlungen zum Ver- Punkt neu geregelt worden. Verhandlungsführer Abteilungsangehörigen, ihre Ansprüche geltend gütungsrahmentarifvertrag Nöthen prüft nun laufend, ob der Tarifvertrag auch zu machen. Für die betroffene Abteilung hat das (VRTV) waren in diesem Jahr ins an dieser Stelle wie vereinbart umgesetzt wird. Das Unternehmen zugesagt, künftig alle Feiertage zu Stocken geraten, da der Arbeit- Unternehmen war in jüngster Zeit durch Verstöße bezahlen. geber immer noch keine Ent- gegen den Tarifvertrag aufgefallen. scheidung zur Zukunft der TWP Der CCC-Betriebsrat sucht jetzt nach einer Lö- getroffen hat und es auch nicht Eine Abteilung des Competence Callcenter sung auch für jene Hotlines, in denen auch am absehbar war, wann er diese tref- (CCC) in Leipzig ist für einen bundesweit aktiven Wochenende gearbeitet wird. Er versucht zu ver- fen wird. Aus diesem Grund hat Energieversorger tätig. Für diese Hotline wird re- hindern, dass hier durch gezielte Planungen die die Tarifkommission nochmals Feiertagsbezahlungen umgangen werden. Der über die Erhöhung der Referenz- DGB-Rechtsschutz hält solche Umplanungen für vergütung mit dem Arbeitgeber Foto: W. Wohlers rechtsmissbräuchlich. Jedoch liege die Beweislast verhandelt, unabhängig von den beim einzelnen Arbeitnehmer. Er muss belegen, Überlegungen zur Zukunft der dass er an dem Feiertag auch tatsächlich gearbei- TWP und unabhängig zu den lau- tet hätte. Dies sei aber faktisch unmöglich, da es fenden Verhandlungen zum VRTV. in den meisten Callcentern kein festes Schichtsys- tem gebe. Bereits ab Januar 2020 kann die ver.di-Tarifkommission weiter Unter diesen Umständen raten ver.di-Fachgrup- verhandeln – sowohl den VRTV besonderen penleiter Nöthen und Rechtssekretär Schneide- als auch die Vergütung. wind den Betriebsräten der Branche, Dienstplänen Die Tarifkommission hat das nicht zuzustimmen, wenn sie den Eindruck haben, Verhandlungsergebnis einstimmig dass Feiertage gezielt umgangen werden. Den Be- angenommen. W schäftigten rät Schneidewind, jede Lohnabrech- die nung zu prüfen, um gegebenenfalls finanzielle An- Markus Nöthen sprüche gerichtlich durchsetzen zu können. W 11
LEIHARBEIT K O N F E R E N Z W 4. BETRIEBSRÄTE- KONFERENZ Am 18. und 19. September 2019 hat das DGB Bildungswerk Bund zur 4. Betriebsrätekonferenz Unzureichendes Leiharbeit eingeladen. Die aktuel- len Entwicklungen in der Branche und bei der betrieblichen Mitbe- Angebot stimmung, aktuelle rechtliche Fra- Die Tarifverhandlungen für 750.000 Zeit- und gestellungen oder Änderungen in Leiharbeitnehmer*innen sind schleppend angelaufen der Rechtsprechung, Diskussionen mit Expert*innen und anderen Betriebsrät*innen, Herausforde- VON MARIUS ROTHE schneller als bisher ein höherer Urlaubsanspruch rungen und Gestaltungsansätze bestehen. führten die Interessierten nach Berlin. D ie Mitgliedsgewerkschaften des DGB verhan- deln derzeit als Tarifgemeinschaft über die Ta- rifverträge in der Leiharbeit mit dem Bundesarbeit- Bei den Jahressonderzahlungen wurde indes ein vollkommen inakzeptables Angebot vorgelegt. Dort boten die Arbeitgeber 25 Euro mehr, aller- Zu Beginn der Veranstaltung geberverband der Personaldienstleister (BAP) und dings erst im Jahr 2023 und ab dem 5. Beschäfti- gab Stefan Körzell, Verhandlungs- dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsun- gungsjahr. Mit solchen Spielereien setzen die Ar- führer des DGB, einen Überblick ternehmen (iGZ). beitgeber leichtsinnig die Tarifeinigung aufs Spiel. über die derzeit angespannte Die DGB-Tarifgemeinschaft erwartet für die Lage in der Leiharbeit und über Dabei geht es sowohl um die Entgelttarifver- letzte Verhandlungsrunde eine grundlegende Än- die Tags zuvor abgehaltene erste träge, die die Löhne in den verschiedenen Entgelt- derung der Haltung der Arbeitgeber und endlich Verhandlungsrunde mit den bei- gruppen für die Leiharbeitnehmenden festlegen, einen erkennbaren Willen zur Einigung. den Arbeitgeberverbänden, dem als auch um die Manteltarifverträge sowie die Ent- Bundesarbeitgeberverband der geltrahmentarifverträge. Für circa 750.000 be- Die DGB-Tarifgemeinschaft fordert gute Arbeit Personaldienstleister e. V. (BAP) schäftigte Leiharbeitnehmer*innen wollen die Ge- in der Leiharbeit. Das haben die Beschäftigten ver- und dem Interessenverband Deut- werkschaften hierbei deutliche Verbesserungen dient. Die Forderungen der DGB-Tarifgemeinschaft scher Zeitarbeitsunternehmen e.V. erreichen. Am 12. November 2019 fand in Berlin auf einen Blick: (iGZ). die dritte Verhandlungsrunde für die Tarifverträge • Erhöhung der Entgelte um 8,5 Prozent bei in der Leiharbeit statt. Nach wenig Bewegung in einer Laufzeit von 12 Monaten Die Zeitarbeit entwickelt sich den ersten Verhandlungen erwartete die DGB- • Erhöhung der Jahressonderzahlungen: mehr immer weiter hin zu einer eigen- Tarifgemeinschaft ein deutliches Signal der Arbeit- Urlaubs- und Weihnachtsgeld, insgesamt in ständigen Branche, in der es gilt, geber, um die Verhandlungen voran zu bringen. Höhe eines 13. Monatsgehalts, verknüpft mit die Arbeitsbedingungen für die einer Vorteilsregelung exklusiv für Mitglieder Kolleg*innen zu verbessern. In Geringe Fortschritte trotz vollem Haus der DGB-Gewerkschaften den verschiedenen Workshops Obwohl die Arbeitgeber mit ihren Tarifkommissio- • Erhöhung der Urlaubstage: zunächst 28, nach konnten die Betriebsrät*innen nen anreisten, ist der große Wurf ausgeblieben. dem 2. Jahr 30 Urlaubstage ihre Erfahrungen teilen und zu- Kleine Schritte und viele Detailfragen prägten die • Verbesserung der Zuschlagsregelungen: Leihar- sammen mit den Experten be- Verhandlungen. So gab es kein neues Angebot bei beitsbeschäftigte sollen bessere und mindes- sprechen, wie diese zukünftig im Entgelthöhe und den geforderten einheitlichen Zu- tens dieselben Zuschläge, etwa für Nacht-, Betrieb umgesetzt werden kön- schlagsregelungen. Sonn- und Feiertagsarbeit, erhalten wie die Be- nen. W Lediglich beim Urlaub gab es Bewegung in schäftigten der jeweiligen Entleihbetriebe W Richtung der Forderungen der DGB-Tarifgemein- Marius Rothe schaft. Hier sollen die Beschäftigten von Anfang Weitere Informationen unter: an mehr Urlaub bekommen. Außerdem soll www.tarifrunde-leiharbeit.de Prekäre Arbeitsbedingungen Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich die Zahl Leiharbeitnehmer*in- Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung fehlen. Verglichen mit den nen in Deutschland vervierfacht – eine Folge politischer Deregulie- übrigen Beschäftigten verdienen sie deutlich weniger: Ein Drittel von rung. Eine neue Auswertung des DGB-Index Gute Arbeit zeigt, wie ihnen kommt höchstens auf 1.500 Euro brutto im Monat, ein wei- besonderen es um ihre Arbeitsbedingungen steht: Beschäftigte in der Leiharbeit teres Drittel auf gerade einmal 1.500 bis 2.000 Euro. Von den übri- machen sich deutlich häufiger Sorgen um ihren Arbeitsplatz und ihre gen Beschäftigten fallen lediglich 14 beziehungsweise 18 Prozent in berufliche Zukunft – sie werden in Krisen als Erste entlassen. Sie diese Einkommensklassen. Der Auswertung liegen Befragungser- haben weniger Spielraum bei der Gestaltung ihrer Arbeit. Weil sie gebnisse der Jahre 2012 bis 2018 zugrunde. Befragt wurden über häufig in der Produktion arbeiten, sind sie überdurchschnittlich von 40.000 Arbeitnehmer*innen, darunter knapp 1.000 aus der Leih- die ungünstigen Arbeitszeiten betroffen. Die Arbeit ist oft hart und arbeit. W Quelle: Hans-Böckler-Stiftung 12
DAS GUTE BEISPIEL Kollege Panda Am 31. Oktober legten die Beschäftigten der Berliner Zoologischen Einrichtungen zum ersten Mal für einen ganzen Tag die Arbeit nieder – mit Erfolg VON SABINE KESTNER-FURCHT Fotos: Rouven Schulze W ir haben im Aquarium, Zoo und im Tierpark durchaus in den letzten Tarif- runden eine Streikkultur entwickelt. Diese beschränkte sich allerdings auf Warnstreiks, die unter vier Stunden dauerten. Die Mehr- heit unserer Mitglieder sind Tierpfleger*in- nen – und das sind sie nicht nur von Berufs wegen, sondern es ist ihre Berufung. Somit liegt die Prioritätensetzung ganz klar bei den Tieren. Es hat etwas gedauert, bis die Be- schäftigten den Schritt in den ganztägigen Streik gewagt haben, aber es hat sich ge- lohnt. Und sie haben gesehen, dass auch ein ganztägiger Streik den Tieren überhaupt nicht schadet. wichtig. Die Häu- durchschnittlich 300 Euro weit unter diesem Wir haben morgens um fünf Uhr begon- ser blieben wei- Tarif liegen. In den letzten Runden wurde nen. Manche Gruppen haben die Lieferan- testgehend ge- immer deutlicher, dass auch dieses Mal der teneingänge blockiert und dabei viel Ver- schlossen. Dies TVöD wieder nicht in greifbare Nähe rücken ständnis von den Blockierten erfahren. Die und die längeren wird. Die Beschäftigten hatten einfach die nächste Gruppe hat den Betrieb als bestreikt Wartezeiten haben die Besucher*innen doch Nase voll von der jahrelangen Hinhaltetaktik gekennzeichnet, und die anderen Gruppen sehr gelassen in Kauf genommen. der Arbeitgeberin und zeigten ganz deutlich, haben sich an die Eingänge gestellt, um Kol- dass jetzt Schluss ist. leg*innen von der Wichtigkeit des Streiks zu Insgesamt waren rund 200 Beschäftigte überzeugen. Im Laufe des Tages entwickel- im Streik – das sind bei 500 Beschäftigten Nach der Streikankündigung reagierte ten die Streikenden eine Menge Ideen, insgesamt eine Menge. Sie wurden von ehe- die Arbeitgeberin noch sehr gelassen und die sie auch prompt umsetzten: Beschäf- maligen Mitarbeiter*innen und jenen, die rechnete öffentlich nicht mit nennenswerten tigte, die im Panda- oder Gorillakostüm für frei oder Urlaub hatten, vor Ort unterstützt. Beeinträchtigungen für die Besucher*innen. Fotos mit Besucher*innen posierten, kleine Sie wurde eines Besseren belehrt. Der Streik Umzüge von einem zum anderen Besucher- Wir hatten in den letzten anderthalb Jah- hatte so große Auswirkungen, dass die Ar- eingang und viele Gespräche zwischen Be- ren gemeinsam mit dem Arbeitgeber an beitgeberin noch innerhalb des Streiks auf schäftigten und Besucher*innen. In festen einer neuen Entgeltstruktur gearbeitet. Ziel die Nachbesserung ihres Angebots aufmerk- Zeitfenstern haben die Beschäftigten in Min- war der Anschluss an den Tarifvertrag des öf- sam machte. Das hat einmal mehr gezeigt, destbesetzungen die Tiere mit Futter und fentlichen Dienstes (TVöD). Die zoologischen dass man eine Menge erreichen kann, wenn den gewohnten Streicheleinheiten versorgt. Einrichtungen in Berlin sind bundesweit die man für seine Forderungen gemeinsam ein- Das hat super funktioniert und war uns sehr einzigen Einrichtungen dieser Art, die mit steht. W Tarifergebnis Zoo/Tierpark Berlin W Tabellenlaufzeit: 36 Monate (01.01.2020 bis 31.12.2022), W Einmalzahlung: 200 Euro für das Jahr 2019 Laufzeit ETV 01.01.2020 bis 31.12.2024 W Stufenlaufzeit: 28 Jahre besonderen W Entgelt: Bildung eines Vergleichsentgelts bestehend aus der W Jahressonderzahlung: 80 Prozent des September-Entgelts des Beschäftigungszeit x 3,75, Anrechnung der Besitzstände und jeweiligen Jahres ab dem Jahr 2020 dem Tabellenentgelt. Erhöhung des Vergleichsentgelts um 1,5 W Azubis: Einmalzahlung 100 Euro für das Jahr 2019 und Erhö- Prozent und Überführung in das neue Entgeltsystem; für die hung der Ausbildungsvergütung pro Lehrjahr um 5 Prozent im Jahre 2021 und 2022 Übernahme der dynamischen Erhöhung Jahr 2020, für die Jahre 2021 und 2022 Übernahme der dyna- die TVöD mischen Erhöhung TVAöD, selbe Laufzeit W 13
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