Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz
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Inhalt 1. Einleitung 4 Herausforderung Klimawandel: Städte zählen 4 Berlin handelt 5 Ziele und Vorgehensweise der Machbarkeitsstudie 6 2. Ausgangssituation und Reduktionspotenziale 8 Energieversorgung 9 Gebäude und Stadtentwicklung 10 Wirtschaft 11 Private Haushalte und Konsum 12 Verkehr 13 3. Szenarien für ein klimaneutrales Berlin: Denken in Optionen 14 Referenzszenario 14 Die beiden Zielszenarien: Alternative Wege zur Klimaneutralität 14 4. Strategien und Maßnahmen für ein klimaneutrales Berlin 19 Energieversorgung 19 Gebäude und Stadtentwicklung 20 Wirtschaft 22 Private Haushalte und Konsum 24 Verkehr 25 5. Fazit 26 Glossar 27 2
Klimaneutrales Klimaneutrales Berlin Berlin 2050 |2050 Grußworte Titel |des Kapitels Grußworte Vor allem die Städte sind es, die Auf Berlin kommt es an. Wenn als Heimat von mehr als 50 Pro- die deutsche Hauptstadt sich zent der Weltbevölkerung den entschließt, ihren Ausstoß an Klimawandel hervorrufen und Treibhausgasen deutlich zu ver- zugleich von seinen Folgen be- ringern, so leistet sie ihren not- troffen sind. Immer mehr von wendigen Beitrag zur Begren- ihnen suchen nach Wegen, um zung des Anstiegs der globalen ihren lokalen Beitrag gegen den Mitteltemperatur auf höchstens Klimawandel zu erbringen. Ber- zwei Grad Celsius. Diese Begren- lin gehört dazu und möchte zu zung soll die schlimmsten Risi- einem Vorbild für andere Städte werden. ken ungebremsten Klimawandels vermeiden – weltweit dro- Die deutsche Hauptstadt hat in den zurückliegenden Jahren hen sonst unerhörte Wetterextreme und ein gewaltiger und Jahrzehnten viel für den Schutz des Klimas getan und Meeresspiegelanstieg, in Deutschland ungekannte Hitze- dabei auch schon viel erreicht. Aber es sind weitere Maß- wellen in Städten und Überflutungen wie zuletzt an Elbe nahmen nötig. und Donau. Metropolen wie New York und Amsterdam leis- Deswegen hat sich der Berliner Senat das Ziel gesetzt, Ber- ten ihren Klimaschutz-Beitrag bereits. Doch bei Berlin geht lin bis zum Jahr 2050 durch eine weitgehend erneuerbare es um mehr. Energieversorgung, „smarte“ Infrastrukturen und vor al- Wegen des einzigartigen Experiments der Energiewende lem mit Hilfe einer verantwortungsbewussten Stadtgesell- schauen die Menschen der Welt auf Deutschland und – ein- schaft zu einer klimaneutralen Stadt zu entwickeln. mal mehr in der Geschichte – auf seine Hauptstadt. Unser Berlin soll also eine Stadt werden, die Klimaschutz konse- Land ist, im Guten oder im Schlechten, ein globales Modell quent auch als Ressourcen- und Umweltschutz betreibt, für den Umstieg von der fossil-nuklearen auf die effizient- was auch zu einer besseren und gesünderen Lebensumwelt erneuerbare Wirtschaftsweise. Ohne die größte Stadt für die Berlinerinnen und Berliner führen wird. Deutschlands aber kann ein solcher Umstieg nicht glaub- Der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die ge- würdig gelingen. Und umgekehrt kann Berlin ohne die bun- steckten Ziele erreicht werden können, ist ein von meiner desweite Energiewende nicht klimaneutral werden – etwa Verwaltung beauftragtes wissenschaftliches Konsortium weil die Stadt im Winter Windstrom aus Brandenburg unter Leitung des Potsdam Instituts für Klimafolgenfor- braucht. schung nachgegangen und hat unter Beteiligung der Berlin kann also die Wende nicht im Alleingang schaffen, es Fachöffentlichkeit eine „Machbarkeitsstudie Klimaneutra- braucht den Umbau des Systems, mit mehr Leitungen und les Berlin 2050“ erstellt, deren wichtigste Ergebnisse hier Speichern. Aber Berlin könnte ein Pionier werden – ein Pio- vorgestellt werden. nier des Klimaschutzes, der neuen Technologien, der nach- Ich würde mich freuen, wenn die Broschüre dazu beitragen haltigen Stadtentwicklung. Dann hätten die Berlinerinnen kann, das Interesse, Verständnis und Engagement für den und Berliner allen Grund, das zu sein, was mancher bei ih- Klimaschutz in und für Berlin zu erhöhen. nen sonst misstrauisch beäugt: stolz wie Bolle. Michael Müller Prof. Dr. Hans-Joachim Schellnhuber Senator für Stadtentwicklung und Umwelt Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) 3
1. Einleitung Angesichts des fortschreitenden Kli- Herausforderung Klimawandel: mawandels und der besonderen Be- Städte zählen troffenheit und Verantwortung der Großstädte hat sich die Berliner Regie- Der globale Klimawandel findet be- rungskoalition darauf verständigt, die reits statt – mit spürbaren Folgen für Voraussetzungen dafür zu schaffen, viele Regionen der Erde. Auch Berlin dass sich Berlin bis zum Jahr 2050 zu wurde in den vergangenen Jahren einer klimaneutralen Stadt entwickelt. schon häufiger mit Hitzewellen oder Berlin reagiert damit – wie viele ande- Extremwetterereignissen konfron- re internationale Metropolen – auf die tiert, die zukünftig noch zunehmen Gefahren des Klimawandels, aber werden. auch auf die zu erwartenden Preisan- Zur Bekämpfung des anthropogenen stiege bei fossilen Energien. Gleichzei- Klimawandels müssen die Treibhaus- tig sollen die Chancen, die sich durch gasemissionen deutlich gesenkt wer- den Wandel hin zu einer hochmoder- den. Dabei kommt gerade den Städten nen, auf erneuerbaren Energien basie- der Erde eine wichtige Rolle zu. Sie rende Energieversorgung für Berlin nehmen zwar nur 3 % der festen Land- ergeben, genutzt werden. oberfläche der Erde ein, aber in Städ- Die Senatsverwaltung für Stadtent- ten leben mittlerweile 50 % der Welt- wicklung und Umwelt hat ein vom bevölkerung – Tendenz steigend. Potsdam-Institut für Klimafolgenfor- Weltweit werden rund 70 % aller schung (PIK) geführtes Konsortium Treibhausgase durch Städte verur- aus Forschungseinrichtungen, Bera- sacht. Die Emissionen großer Städte tungs- und Planungsbüros (siehe Um- übertreffen manchmal sogar die gan- schlagrückseite) beauftragt, die Mach- zer Staaten: Die jährlichen CO2-Emis- barkeit des Klimaneutralitätsziels für sionen New Yorks (54 Mio. t) etwa ent- Berlin zu überprüfen und Wege dahin aufzuzeigen. Die Machbarkeitsstudie „Klimaneutra- les Berlin 2050“ wurde Anfang 2014 Was bedeutet Klimaneutralität? fertig gestellt. Ihre Ergebnisse, die die analytische Arbeit, Auswertungen so- „Klimaneutral“ ist eine Stadt dann, wenn sie einen Ausstoß von Treibhausgasen wie Empfehlungen aus der Sicht des erzeugt, der das Weltklima unterhalb der gefährlichen Schwelle einer Erwär- Autorenteams der Studie darstellen, mung von 2 Grad halten kann – auch bei einer für 2050 prognostizierten Weltbe- werden nun in einem nächsten Schritt völkerung von 9 Milliarden Menschen mit gleichen Pro-Kopf-Emissionsrechten von der Senatsverwaltung für Stadt- von 2 t CO2-Äquivalenten (lebenszyklusbasiert). Berlins Treibhausgasemissionen entwicklung und Umwelt ausgewer- bestehen zu 98 % aus CO2. Unter diesen Voraussetzungen wäre Berlin klimaneu- tet. Die hier vorliegende Broschüre tral, wenn die städtischen Emissionen bis zum Jahr 2050 auf rd. 4,4 Mio. t abneh- bietet einen Überblick über zentrale men würden, also um mindestens 85 % verglichen mit dem Basisjahr 1990. Da- Befunde und Schlussfolgerungen der bei sind allerdings auch die Aufnahmekapazität der Biosphäre für Treibhausgase Machbarkeitsstudie. („Senken“) und die in Produkten und Infrastrukturen verkörperten Emissionen zu berücksichtigen, die in der gegenwärtigen CO2-Statistik teilweise nicht abge- bildet werden. Der Zielwert von 4,4 Mio. t CO2 trägt dem Rechnung. 4
Klimaneutrales Berlin 2050 | Einleitung -30 % BERLIN -100 % -85 % -50 % -40 % 2050 sprechen denen von ganz Bangladesch, Jahr 2025 um 40 % reduzieren, Rotter- ma) spielen dabei eine wichtige Rolle. die Londons (40 Mio. t) denen Irlands, dam um 50 % und Kopenhagen gar Weiterhin soll das seit 1990 geltende und selbst die Emissionen Potsdams um 100 %. Energiespargesetz durch ein „Gesetz (rund 860.000 t) entsprechen denen Und Berlin? Berlin hat im Klimaschutz zur Umsetzung der Energiewende und Sierra Leones. Berlins CO2-Emissionen schon einiges erreicht. Die energiebe- zur Förderung des Klimaschutzes in (21,3 Mio. t in 2010) bewegen sich in dingten CO2-Emissionen konnten von Berlin“ abgelöst werden, das die ver- der Größenordnung derer Kroatiens, knapp 30 Mio. t in 1990 auf 21,3 Mio. t änderten europäischen und bundes- Jordaniens oder der Dominikanischen in 2010 reduziert werden – das ist ein weiten energie- und klimapolitischen Republik. Rückgang von 27 %. Seit 2011 hat die Rahmenbedingungen aufgreift und Berliner Klimapolitik einen neuen An- auf die Berliner Gegebenheiten und Berlin handelt lauf genommen. Mit dem Ziel, Berlin Potenziale zuschneidet. Berlin kann so bis 2050 zu einer klimaneutralen Stadt zu einem aktiven Gestalter und Vor- Bereits diese Zahlen zeigen: Wenn zu machen, wurde ein ambitioniertes bild der Energiewende werden, die Si- Städte aktiven Klimaschutz betreiben, Ziel formuliert und gleichzeitig für alle cherheit und Bezahlbarkeit der Ener- dann hat das eine globale Bedeutung. Akteure ein langfristiger Planungs- gieversorgung auch langfristig Viele Städte weltweit haben diese Ver- horizont eröffnet. Im Rahmen des gewährleisten helfen, technologische antwortung angenommen und zu Stadtentwicklungskonzepts (StEK) Chancen nutzen und schließlich auch handeln begonnen. New York etwa hat 2030 hat der Senat zudem in einem den CO2-Fussabdruck der Stadt und sich in seinem Planwerk „A Greener, partizipativen Verfahren seine Stadt- seiner Bürgerinnen und Bürger auf ein Greater New York“ vorgenommen, die entwicklungsziele definiert. Die The- weltweit verträgliches, zukunftsfähi- Emissionen bis 2030 um 30 % zu sen- men Umwelt und Klima (einschl. der ges Maß reduzieren. ken. Andere Städte sind noch ehrgeizi- Anpassung an den Klimawandel, vgl. ger: Amsterdam will bereits bis zum den Stadtentwicklungsplan (StEP) Kli- 5
Ziele und Vorgehensweise der Machbarkeitsstudie Die Kernfragen, die die Machbarkeitsstudie beantwortet, allen Handlungsfeldern gesucht und deren Anregungen auf lauten: Kann Berlin bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden? zwei großen Veranstaltungen, in zehn Fachworkshops und Und wenn ja: Wie kann dieses Ziel erreicht werden? Wo sind vielen Einzelgesprächen aufgegriffen. die Potenziale zu einer deutlichen Verminderung an CO2- Emissionen in der Stadt? Sind die technologischen und ge- Denken in Optionen. sellschaftlichen Voraussetzungen dafür verfügbar? Um die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten des Ener- giesystems und der CO2-Emissionen abzuschätzen, wurden Dazu wurde eine interdisziplinäre Vorgehensweise gewählt, – ebenfalls in engem Austausch mit den Stakeholdern – zwei die sich durch vier Schlüsselelemente charakterisieren lässt alternative Szenarien pro Handlungsfeld entwickelt, die bei- (vgl. im Folgenden Abb. 1): de das Klimaneutralitätsziel auf verschiedenen Wegen er- reichen. Diese wurden wiederum in zwei alternative Ge- Orientierung an Handlungsfeldern. samtszenarien für Berlin überführt. Es wurden fünf Handlungsfelder definiert: Energieversor- gung, Gebäude und Stadtentwicklung, Wirtschaft, private Diese Vorgehensweise soll der Tatsache Rechnung tragen, Haushalte und Konsum sowie Verkehr. Primäres Ziel war dass eine Strategie der Klimaneutralität für Berlin der Stadt eine praxis- und politiknahe Untergliederung des Berliner nicht „übergestülpt“ werden kann, sondern durch einen Stadtsystems, das interdisziplinär betrachtet wurde. Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirt- schaft und Öffentlichkeit sozusagen in „Ko-Produktion“ er- Neuzuschnitt der Bilanzierung. stellt werden muss. Die Machbarkeitsstudie fokussiert da- Unter Zugrundelegung der offiziellen Energie- und CO2-Bi- bei auf die grundsätzliche Möglichkeit eines klimaneutralen lanz wurden die sektoralen Kategorien gemäß der genann- Berlins und die Wege dahin. Detaillierte Planungen für die ten Handlungsfeld-Logik neu berechnet, der Gebäudesektor nächsten Jahre bleiben weiteren Konzeptstudien vorbehal- auf Basis eines eigens entwickelten, komplexen Gebäude- ten, deren Durchführung die Senatsverwaltung bereits an- modells isoliert und das Handlungsfeld Wirtschaft für Berlin gekündigt hat. neu zusammengefasst. Die Quellenangaben zur vorliegenden Broschüre finden sich Stakeholdereinbindung. im Haupttext der Machbarkeitsstudie. Die Machbarkeitsstudie hat kontinuierlich einen engen Dia- log mit wichtigen Wissens- und Entscheidungsträgern aus Stakeholder-Workshop am 30.10.13, Plenum Eröffnung des ersten Stakeholderwork- Vorstellung der Szenarien durch Prof. Dr. shops am 15.4.13 durch L. Stock, Leiter SR B. Hirschl (stellvertretender Projektleiter) KE (rechts im Bild) und Dr. F. Reusswig am 30.10.13 (Projektleiter, im Bild links) 6
Klimaneutrales Berlin 2050 | Einleitung 1 Vorgehensweise der Machbarkeitsstudie Berliner Energie- und Daten- und Dokumentanalyse CO2-Bilanz (2010) Neuberechnung nach Handlungsfelder Handlungsfeldern HF 1 HF 2 HF 3 HF 4 HF 5 Gebäude- und Flächen- Energie- Gebäude und Wirtschaft Private Verkehr modellierung versorgung Stadtentwicklung Haushalte 1. Serie Ausgangslage 2010 Stakeholderworkshops Abschätzung Energie- und Expertengespräche CO2 Reduktionspotenziale Leitstudien und Planwerke Szenarienentwicklung 2. Serie Referenz Ziel 1 Ziel 2 Stakeholderworkshops Maßnahmen und Leitprojekte Dialog Klimaschutzrat Strategieentwicklung Klimaneutralität 2050 Podiumsdiskussion am 30.10.13 mit Dr. P. Graichen (Agora Energiewende) Prof. Dr. C. Becker (im Bild stehend) auf Prof. Dr. M. Schreurs, FU Berlin, auf Podium am 30.10.13 (im Bild links) dem Fachworkshop „Gebäude und Stadt- S. Rehberg (BBU), Prof. Dr. J. Twele entwicklung“ am 15.4.13 (Reiner Lemoine Institut, Berlin) (v. l. n. r.) 7
2. Ausgangssituation und Reduktionspotenziale Berlin, die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, ist Trotz seines Wachstums der letzten Jahre hat es Berlin ge- mit 3,375 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern die größte schafft, seine CO2-Emissionen (gemäß Verursacherbilanz) Stadt des Landes. Das Stadtgebiet des Landes Berlin um- von 29,3 Mio. t in 1990 auf 21,3 Mio. t in 2010 zu senken – fasst 887,7 km2, die Bevölkerungsdichte liegt bei 3.785 eine Reduktion um 27 % (vgl. Abb. 2). Allerdings hat sich die Menschen pro km2 – die zweitgrößte einer deutschen Groß- Dynamik der Emissionsminderung in den letzten Jahren stadt nach München. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von von -1,7 % pro Jahr (1990-2005) auf -0,4 % pro Jahr (2006- rd. 30.000 Euro pro Kopf liegt Berlin knapp unter dem 2010) merklich abgeschwächt. Die Vorschläge der Mach- Durchschnitt der deutschen Städte. Berlin ist in den letzten barkeitsstudie (vgl. Abschnitt 4) zielen darauf ab, die Berli- Jahren immer attraktiver geworden, was sich am Anstieg ner Emissionen bis zum Jahr 2050 auf 4,4 Mio. t pro Jahr zu der Bevölkerung ebenso ablesen lässt wie an der Wirt- reduzieren – das entspricht einer durchschnittlichen jährli- schaftsleistung. chen Reduktion von 2 %. 2 Mio t CO2 Reduktion der CO2-Emissionen in Berlin 1990-2010 und Szenarien bis 2050 30 25 20 15 10 5 1990 –2005 2006 –2010 2011 –2050 –1,7 % p.a. –0,4 % p.a. –2,0 % p.a. 0 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Als Bezugsjahr der Machbarkeitsstudie wurde 2010 ge- wählt, da für dieses Jahr die aktuelle Energie- und CO2-Bi- lanz des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg verfügbar war. Um die Handlungsfelder der Studie abzubilden, erfolg- 3 te zunächst eine Neuberechnung der statistischen Daten. Bezogen auf die Verursacherbilanz ergeben sich demnach CO2-Emissionen Berlins nach Handlungsfeldern 2010 (Eigene Berechnung) unterschiedliche hohe Anteile an den CO2-Emissionen (vgl. Abb. 3). Es zeigt sich, dass den CO2-Minderungsstrategien für den Berliner Gebäudesektor eine besonders hohe Bedeutung zukommt, aber auch, dass die Handlungsfelder Wirtschaft 47 % Gebäude und Verkehr einen erheblichen Einfluss besitzen. Die priva- 23 % Verkehr ten Haushalte sind nach dieser Darstellung für rund 9 % der 21 % Wirtschaft energiebedingten Berliner Emissionen in 2010 verantwort- 9 % Haushalte und Konsum lich – darin nicht enthalten sind die anderenorts ausgelös- ten Emissionen durch Konsum in Berlin. Wie sich das gegen- wärtige Bild im Detail darstellt, und welche Minderungs- optionen und -potenziale in den fünf Handlungsfeldern be- stehen, wird im Folgenden genauer dargestellt. 8
Klimaneutrales Berlin 2050 | 2. Ausgangssituation und Reduktionspotenziale Energieversorgung Berlin konnte zwischen 1990 und 2010 nicht nur seine CO2- Die Anteile der Produktion in Kraft-Wärme-Kopplung Emissionen senken, sondern auch seinen Primärenergiever- (KWK) können noch erhöht, reine Stromerzeugung brauch: von 356.208 Terajoule (TJ) auf 306.372 TJ. Davon ohne Wärmeauskopplung kann dagegen reduziert wer- wird nach wie vor ein Großteil durch fossile Energieträger den. Leitungsgebundene Wärme (z.B. Fernwärme) wie Kohle, Öl oder Erdgas bereitgestellt (vgl. Abb. 4). Nur bleibt weiterhin wichtig, wird aber durch dezentrale 3 % dieses Primärenergieverbrauchs (9,8 TJ) und rund 1 % Teilnetze ergänzt. Die zunehmende „Intelligenz“ des der bereitgestellten Endenergie stammten 2010 aus erneu- gesamten Energiesystems inklusive der Netze ermög- erbaren Energien, allen voran aus Biomasse, aber auch aus licht immer effizientere Kopplungen der verschiedenen Solarenergie und einem Berliner Windrad. Allerdings hat Energiemärkte, von Verbrauchern und Erzeugern sich bei den Erneuerbaren auch in Berlin in den letzten Jah- („Smart City“). ren eine dynamische Wachstumsentwicklung gezeigt Die größten Potenziale bei den erneuerbaren Energien (Abb. 5), die zur Erreichung des Klimaneutralitätsziels wei- in Berlin bietet die Solarenergie, die gut zur urbanen ter ausgebaut werden muss. Lastkurve (d. h. dem zeitlichen Verlauf der bezogenen Leistung) und in das städtische Verteilnetz passt. Für Die CO2-Reduktionspotenziale der Berliner Energieversor- einen massiven Ausbau insbesondere von Photovoltaik, gung liegen in verschiedenen Bereichen: aber auch von Solarthermie, bieten schon allein die fast 320.000 Wohngebäude Berlins (Dächer und teilweise Um das Klimaneutralitätsziel zu erreichen, müssen die auch Fassaden) eine flächenschonende Basis. Studien emissionsintensiven Energieträger Kohle und Öl aus gehen davon aus, dass in Berlin etwa 300-mal mehr So- dem Umwandlungssektor und der Wärmebereitstellung larenergie gewonnen werden kann, als dies 2010 der möglichst rasch verdrängt werden. Fall war. Der emissionsärmere Energieträger Erdgas kann diese Bei der Biomasse muss Berlin seine eigenen Potenziale Lücken weitgehend füllen, muss aber selbst durch die konsequent, aber auch nachhaltig nutzen. Biomasse Erhöhung des Anteils erneuerbaren Gases CO2-ärmer importe sind möglich, müssen aber strengen Nachhal- werden, z.B. durch die Integration von EE-Gas aus er- tigkeitsanforderungen genügen und können aufgrund neuerbarem Überschussstrom oder von Gasen biologi- ihrer globalen Knappheit insgesamt keinen großen Bei- scher Herkunft. trag liefern. 4 5 Zusammensetzung des Berliner Primärenergieverbrauchs nach Energieträgern 2010 Zunahme der Erneuerbaren Energien (Primärenergieverbrauch) in Berlin 2000-2010 10 38,7 % Gase Primärenergie in Terajoule 33,2 % Mineralöle 8 14,7 % Steinkohlen 6 4,7 % Braunkohlen 4 4,5 % Strom 3,2 % Erneuerbare 2 1,0 % Andere 0 1990 2000 2005 2006 2007 2008 2009 2010 9
Gebäude und Stadtentwicklung Ein „Kapital“ Berlins ist sein großer Grün- und Freiflächen- Aufgrund des Bevölkerungswachstums (bis 2050 steigt anteil (ca. 44 % des Stadtgebiets), was neben der Lebens- die Einwohnerzahl erwartungsgemäß um 250.000) qualität auch der Anpassung an ein im Zuge des Klimawan- kommt es zu erheblichen Neubauaktivitäten. Durch dels wärmer werdendes Stadtklima zugute kommt. Berlin ausgewogene Nachverdichtung und hohe energetische verfügt zudem über ein baukulturell bedeutsames Erbe mit Neubaustandards (z. B. Passivhaus- oder Plusenergie- vielen Denkmälern und einem hohen Gründerzeitbestand. Standard) lässt sich dieser Mehrbedarf klimafreundlich Im Jahr 2011 konnte ein Bestand von knapp 320.000 Wohn- gestalten. gebäuden gezählt werden, in denen sich 1,9 Mio. Wohnein- In Berlin wird pro Jahr knapp 1 % des Bestandes energe- heiten befinden. Davon sind ca. 86 % Mietwohnungen, nur tisch saniert (Fassade, Keller, Dach, Fenster etc.). Diese 14 % sind Eigentümer-Haushalte. Fast 90 % der Wohnun- Sanierungsrate muss erhöht werden, wobei zunächst gen Berlins befinden sich in Mehrfamilienhäusern, der Ein-/ die unsanierten Bestände, dann aber auch in nennens- Zweifamilienhausanteil liegt bei gut 10 %. 9,6 % der Gebäu- wertem Umfang die bereits einmal sanierten Gebäude de stehen unter Denkmalschutz. Abb. 6 zeigt die verschie- bis 2050 weiter energetisch verbessert werden müssen. denen Stadtstrukturtypen mit überwiegender Wohnnut- Die Fernwärme hat momentan einen Anteil an der Wär- zung in Berlin. meversorgung von ca. 30 %. In Gebieten mit ausrei- chend städtebaulicher Dichte besteht Reduktionspo- Es gibt verschiedene Ansatzpunkte, um die CO2-Emissionen tenzial durch die Verdrängung von Kohle- und des Berliner Gebäudebestandes zu reduzieren: Ölheizungen und den Ausbau der leitungsgebundenen Wärmeversorgung in KWK-Anlagen. In weniger dichten Lagen sind Nahwärmeinseln (kleine Wärmenetze) sinn- voll. Insgesamt muss der Anteil erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung steigen, der Wärmebedarf der Gebäude (z.B. durch Dämmung und Regelungstechnik) vermindert werden. 6 Verteilung von Stadtstrukturtypen über das Stadtgebiet Blockrandbebauung der Gründerzeit mit Seitenflügeln und Hinterhäusern Blockrandbebauung der Gründerzeit mit geringem Anteil von Seiten- und Hintergebäuden Blockrandbebauung der Gründerzeit mit massiven Veränderungen Blockrand- und Zeilenbebauung der 1920er und 1930er Jahre Zeilenbebauung seit den 1950er Jahren hohe Bebauung der Nachkriegszeit Siedlungsbebauung der 1990er Jahre niedrige Bebauung mit Hausgärten Villenbebauung mit parkartigen Gärten Bebauung mit Gärten und halbprivater Umgrünung dörfliche Bebauung 0 1 2 3 4 5km 10
Klimaneutrales Berlin 2050 | 2. Ausgangssituation und Reduktionspotenziale Wirtschaft Um den spezifischen Beitrag des Berliner Gebäudesektors In Berlins Wirtschaftsstruktur dominiert gegenwärtig der (Wohn- und Nichtwohn-Gebäude) zu den aktuellen Emissio- Sektor „Gewerbe, Handel, Dienstleistungen“ (GHD) mit je- nen sowie deren Minderungspotenzial abschätzen zu kön- weils rd. 90 % bei Wertschöpfung und Beschäftigung den nen, wurde ein eigenes Gebäudemodell entwickelt. Es stützt Sektor „Industrie“ deutlich. Branchen mit wachsender Be- sich auf gebäudescharfe Daten aus der Allgemeinen Liegen- deutung sind u.a. der Tourismus und die Kreativwirtschaft schaftskarte Berlins, einem 3-D-Modell der Gebäudehülle (vgl. Abb. 7). Der Endenergieverbrauch der Berliner Wirt- und blockweise verfügbaren Angaben aus der Zensusbefra- schaft (rd. 40.000 TJ in 2010, ohne Wirtschaftsgebäude) gung 2011 zur Energieversorgung der Gebäude. Den Mo- verteilt sich zu 80 % auf den GHD-Sektor, zu 20 % auf den dellrechnungen der Machbarkeitsstudie zufolge könnte der Industriebereich. Es bestehen eine Reihe von Einsparpoten- Wärmebedarf von 150 PJ (2010) um 78 % auf 33 PJ in 2050 zialen für Endenergie (effizientere Anlagentechnik etc.) in gesenkt werden. Im Kapitel 3 (Szenarien) wird dargelegt, den folgenden Verbrauchsbereichen und Größenordnun- wie stark und über welchen Weg dieses Reduktionspotenzi- gen: al unter realistischen Randbedingungen tatsächlich ausge- schöpft werden kann. Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT). Einsparpotenziale im GHD-Bereich: 40-80 %, Verarbei- tendes Gewerbe: 5-40 %. Mechanische Energie. GHD: 30-50 %, Verarbeitendes Gewerbe: 10-50 %. Prozessenergie. GHD: 0-40 %, Verarbeitendes Gewerbe: 20-40 %. Insgesamt lassen sich damit rd. 20-50 % des Endenergiebe- darfs der Berliner Wirtschaft bis 2050 einsparen. Zusam- men mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien liegen die CO2-Einsparungspotenziale dann bei bis zu 90 %. 7 Energieversorgung 1,6 % Wirtschaftsstruktur Berlin 2010 nach Umsatzanteilen Wasserversorgung; Abwasser- und Abfallentsorgung 2,0% Kunst, Unterhaltung und Erholung 2,6 % Gastgewerbe 2,8 % 13,6 % Grundstücks- und Wohnungswesen Baugewerbe 3,6 % Verkehr und Lagerei 3,7 % Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 4,1 % 10,0 % Verarbeitendes Gewerbe Sonstige Dienstleistungen 4,2 % Sonstige wirt. Dienstleistungen 5,6 % 9,3 % Öffentliche Verwaltung Erziehung und Unterricht 5,9 % 8,8 % Gesundheits- und Sozialwesen Handel; Instandsetzung KFZ 6,9 % Information und Kommunikation 7,0 % 8,3 % Wissenschaftiche und freiberufliche Dienstleistungen 11
Private Haushalte und Konsum In Berlin gab es im Jahr 2010 rund 2 Millionen Privathaus- Auch durch sparsames Verhalten kann der Energiever- halte, darunter sind 54 % Einpersonenhaushalte. Dies ist brauch privater Haushalte reduziert werden, etwa durch ein Spitzenwert im deutschen und internationalen Städte- Steckerleisten, die Stand-by-Verluste nicht aktiver Geräte vergleich. Der seit Jahren anhaltende Trend zu kleineren vermeiden. Darüber hinaus können Konsumentinnen und Haushaltsgrößen wirkt sich steigernd auf den Energiever- Konsumenten das Klima dadurch entlasten, dass sie ver- brauch aus, u.a. weil auch kleine Haushalte eine Grundaus- mehrt regionale und saisonale Produkte kaufen, auf Um- stattung an Geräten aufweisen. weltsiegel achten (z.B. Blauer Engel, Biosiegel), weniger Es- Im Jahr 2010 verbrauchten die Berliner Haushalte 12.221 TJ sen wegwerfen oder ihren Fleischkonsum einschränken. (rd. 3,4 Mrd. kWh) an Strom und 69 TJ (rd. 19,2 Mio. kWh) an Diese Maßnahmen entlasten nicht nur die Umwelt, sie sind Erdgas für Kochzwecke. Wärme- und Warmwassererzeu- vielfach auch gesundheitsfördernd. gung werden im Rahmen der Machbarkeitsstudie dem Ge- bäudebereich zugerechnet. Die Machbarkeitsstudie geht davon aus, dass sich alle diese Die wichtigsten Ansatzpunkte für eine Reduktion des Ener- Effekte – Geräteaustausch plus Verhaltensanpassung – auf gieverbrauchs der privaten Haushalte sind die Haushalts- ein Einsparpotenzial von 50 % (6.110 TJ) summieren, das größe, der Ausstattungsgrad mit Elektrogeräten, die Gerä- bis 2050 maximal ausgeschöpft werden kann. Wichtig ist teeffizienz und das konkrete Nutzerverhalten. hierbei auch die Entwicklung des Generalfaktors Strom, der Das Reduktionspotenzial des Faktors Haushaltsgröße kann die durchschnittlichen Emissionen der Stromversorgung in gehoben werden, wenn der Trend zu mehr Wohnfläche pro Deutschland beschreibt: Aufgrund der langfristig zu unter- Kopf gestoppt oder doch gebremst werden kann, etwa stellenden Verbesserung des Generalfaktors Strom wird durch neue Formen des Zusammenlebens oder durch Woh- sich die damit verbundene CO2-Einsparung auf 75-93 % des nungstauschprogramme. Auch der Gerätepark der Privat- Wertes von 2010 belaufen – je nach Energiemix der deut- haushalte weist noch hohe Anteile alter und ineffizienter schen Stromerzeugung. Geräte auf, deren Ersatz durch neue, effiziente Geräte ein erhebliches Einsparpotenzial birgt (vgl. Abb. 8). 8 Altersstruktur von Elektrogroßgeräten in privaten Haushalten Waschmaschine 9 23 30 24 14 Wäschetrockner 9 23 33 24 11 Kühlschrank 8 17 28 26 22 Kühl-/Gefrierkombination 8 22 29 26 15 Gefriereinheit 8 17 27 24 25 Spülmaschine 13 24 32 21 11 Elektroherd 9 18 25 25 24 1–2 Jahre 3–5 Jahre 6–9 Jahre 10–13 Jahre 14+ Jahre 12
Klimaneutrales Berlin 2050 | 2.Klimaneutrales Ausgangssituation und Berlin Reduktionspotenziale 2050 | Titel des Kapitels Verkehr Der Verkehrssektor ist mit ca. 4,8 Mio. t CO2 für rd. 23 % der Es gibt verschiedene Reduktionspotenziale im Berliner Ver- Emissionen des Jahres 2010 im Land Berlin verantwortlich. kehr, die an den bisherigen Trends anknüpfen – die Schlag- Nach einem deutlichen Anstieg der gesamten verkehrsbe- worte „Vermeiden, Verlagern, Verbessern“ geben dabei die dingten CO2-Emissionen in den 1990er-Jahren sind diese Richtung vor. seither leicht gesunken, wobei der Anteil an den Gesamt emissionen seit 2000 in etwa konstant blieb. Der Straßen- Wenn sich die zukünftige Stadtentwicklung konsequent verkehr dominiert die Emissionen deutlich (Abb. 9). am Leitbild einer „Stadt der kurzen Wege“ orientiert, dann kann Verkehr in nennenswertem Maße vermieden In Berlin waren 2010 rd. 1,29 Millionen Fahrzeuge zugelas- werden. Die polyzentrische Stadtstruktur Berlins bietet sen, davon 1,1 Millionen Pkw, die überwiegend mit Otto- dafür sehr gute Voraussetzungen. Auch im Wirtschafts- oder Dieselkraftstoffen betrieben wurden. Alternative An- verkehr bieten neue, urbane Logistikkonzepte die Mög- triebe spielen derzeit noch kaum eine Rolle, haben sich aber lichkeit, Verkehr zu vermeiden. in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt: So hat Verkehr kann in Zukunft noch stärker vom motorisier- sich die Anzahl von Fahrzeugen mit Flüssiggas seit 2010 ten Individualverkehr auf die emissionsarmen bzw. von gut 9.000 auf über 14.000 Fahrzeuge im Jahr 2013 er- -freien Verkehrsträger des Umweltverbunds (ÖPNV, höht, die Zahl der Hybridfahrzeuge in der Berliner Flotte Fuß- und Radverkehr) verlagert werden. Berlins Stadt- verdoppelte sich von 2009 bis 2013 auf rd. 4.300. Die Zahl und Bevölkerungsstruktur macht die hierfür notwendi- der Elektrofahrzeuge hat sich in diesem Zeitraum sogar gen Sharing-Systeme und verkehrsträger-übergreifen- vervielfacht. Berlin ist ein bundesweites „Schaufenster“ der den Mobilitätsangebote auch wirtschaftlich attraktiv. Elektromobilität. Auch der Rad- und Fußverkehr hat sich in Antriebssysteme müssen in ihrer Effizienz weiter ver- den letzten Jahren positiv entwickelt. Der Autobesitz in Ber- bessert werden. Die Dekarbonisierung des Verkehrs lin ist geringer als an vielen anderen Orten Deutschlands. kommt auch durch den Einsatz alternativer Kraftstoffe Speziell die junge Generation braucht zwar Mobilität aber wie Wasserstoff, Fahrstrom oder Methanol (in der Luft- nicht unbedingt das eigene Auto. Ein weiteres verkehrspoli- fahrt) voran, wenn dazu erneuerbare Energien einge- tisches „Pfund“ Berlins ist sein auch im internationalen setzt werden. Dadurch würde auch das heute noch so Vergleich sehr gutes Nahverkehrssystem. klimabelastende Fliegen erheblich CO2-ärmer werden. Insgesamt besteht im Verkehrssektor bis 2050 ein theoreti- sches Einsparpotenzial von 60 % beim Endenergieverbrauch und von 90 % bei den CO2-Emissionen. 9 Entwicklung der CO2-Emissionen im Berliner Verkehrssektor 1990-2010 Mio t Prozent 7 30 22,7 24,9 23,7 6 23,2 23,5 25 22,7 22,7 22,8 0,80 5 0,81 0,37 20 0,88 0,95 0,97 0,99 0,94 4 17,2 0,83 15 3 4,11 3,66 3,82 3,59 3,47 3,39 3,37 3,35 3,39 10 2 1 5 0,97 0,83 0,80 0,63 0,58 0,54 0 0,46 0,51 0,50 0 1990 2000 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Luftverkehr Straßenverkehr Schienenverkehr Anteil an Gesamtemissionen 13
3. Szenarien für ein klimaneutrales Berlin: Denken in Optionen Um die Zukunft Berlins 2050 in den Blick zu nehmen, wur- Die beiden Zielszenarien: den verschiedene Szenarien entwickelt und qualitativ wie Alternative Wege zur Klimaneutralität quantitativ beschrieben. Szenarien sind keine Prognosen, sondern „konditionale Zukünfte“, d.h. sie sagen etwas dar- Während eine Reihe wichtiger, aber hier systemexterner Pa- über aus, wie ein System sich unter bestimmten Bedingun- rameter zwischen den Szenarien nicht variiert wurde (Ener- gen entwickeln könnte und welche alternativen Zustände es giepreise, Wirtschaftswachstum, Bevölkerung), sind die bei- dann einnehmen kann. Im vorliegenden Fall ging es um die den Zielszenarien dadurch generiert worden, dass Frage, was getan werden muss, um im Jahr 2050 Klimaneu- verschiedene systeminterne Parameter identifiziert und tralität zu erreichen und wie sich dieses Ziel in den Hand- zum Teil gezielt kontrastiv gegeneinander profiliert wur- lungsfeldern konkret darstellt. Die Szenarienentwicklung den. Dazu zählten vor allem: der Machbarkeitsstudie stützt sich dabei auf die Analyse der Berliner Ausgangssituation, auf die literaturbasierte Ab- Werte, Einstellungen und Konsummuster; schätzung technischer Reduktionspotenziale der maßgebli- Technologieentwicklung/-diffusion; chen Schlüsselfaktoren in allen Handlungsfeldern, auf viele Grad der Zentralität/Dezentralität von Wirtschaft, Expertengespräche und mehrere Stakeholderworkshops. Infrastruktur und Stadtentwicklung; Gewichtung der Beiträge von Energieträger-Substitu Referenzszenario tion und Einsparungen. Ein Referenzszenario dient üblicherweise als eine Art „Kon- Diese Variation der Schlüsselparameter erfolgte mit der trastfolie“ gegenüber den Zielszenarien; damit lassen sich Maßgabe, in der Summe jeweils eine deutliche Reduktion Effekte von zusätzlichen Klimaschutzmaßnahmen abschät- der CO2-Emissionen zu erreichen: nach Möglichkeit sollte zen. In der Regel entspricht diese Referenz einem „Busi- der Zielwert einer 85 %-Minderung durch plausible Ausprä- ness-as-usual“ (BAU)-Szenario. In der Machbarkeitsstudie gungen und Kombination der Schlüsselfaktoren in den wird hingegen auch schon im Referenzszenario unterstellt, Handlungsfeldern realisiert werden. Dieses Ziel konnte er- dass es zusätzliche Anstrengungen beim Klimaschutz in reicht werden, so dass sich dadurch zwei unterschiedliche Berlin geben wird. Konkret wird unterstellt, dass neben den Szenarien für Berlin ergeben. Die Kurzübersicht auf der bereits heute umgesetzten Maßnahmen auch alle heute nächsten Seite zeigt die Ausprägungen einiger Schlüssel- schon beschlossenen Pläne und Projekte der Stadtentwick- merkmale im gegenseitigen Vergleich. lung (z.B. StEP Verkehr, StEP Klima) konsequent umgesetzt werden. Die beiden Zielszenarien können vereinfachend mit den Schlüsselattributen „zentrale, effiziente Stadt“ (Zielszena- rio 1) und „dezentrale, vernetzte Stadt“ (Zielszenario 2) be- schrieben werden, weil sich die Aspekte Zentralität versus Dezentralität insbesondere in den Handlungsfeldern Ener- gieversorgung, Stadtentwicklung, Wirtschaft und Verkehr als systemprägend erwiesen. Mit Blick auf die privaten Haushalte, die Stadtentwicklung und den Verkehr spielte zusätzlich die unterschiedliche Gewichtung von Effizienz und Verhalten (Suffizienz) sowie der Grad der Vernetzung eine wichtige Rolle. Damit spannen die beiden Szenarien aber auch einen Möglichkeitsraum auf, da bei vielen Schlüs- selfaktoren der zukünftige Zustand auch „in der Mitte“ lie- gen kann. 14
Klimaneutrales Berlin 2050 | 3. Szenarien für ein klimaneutrales Berlin: Denken in Optionen Im Ergebnis zeigt sich, dass beide Zielszenarien das sionen des Jahres 1990 drittelt und die des Jahres 2010 im- Klimaneutralitätsziel für Berlin erreichen, nicht aber das merhin halbiert (vgl. Abb. 10). Referenzszenario, wenngleich dieses die Berliner CO2-Emis- Zielszenario 1 Zielszenario 2 Die zentrale, effiziente Stadt Die dezentrale, vernetzte Stadt Energieversorgung Energieversorgung – Mehr KWK-Strom und Fernwärme – Weniger KWK-Strom und Fernwärme, – Deutlicher Photovoltaik-Ausbau aber mehr dezentrale Teilnetze – Power-to-heat: 20% zentral, weniger dezentral – Mehr Photovoltaik-Ausbau – Power-to-heat: 20% zentral, mehr dezentral Stadtentwicklung und Gebäude Stadtentwicklung und Gebäude – Moderate Nachverdichtung – Starke Nachverdichtung – Fokus S-Bahnring – Fokus ganzes Stadtgebiet – Freiraumerhaltung – Qualitätsoffensive Freiraum – Moderate Modernisierung – Konsequente Modernisierung – Wohnfläche pro Kopf konstant – Wohnfläche pro Kopf rückläufig Wirtschaft Wirtschaft – Großunternehmen wichtiger – KMU wichtiger – Starke Einzelunternehmen – Starke Unternehmensnetzwerke Haushalte Haushalte – Fokus technische Effizienz (Rebound) – Technische und Verhaltenseffizienz (kein Rebound) – Kleinere Haushalte – Größere Haushalte – Öko-Konsum vorwiegend in Leitmilieus – Öko-Konsum weit verbreitet Verkehr Verkehr – Privat-Pkw bleibt wichtig, aber ohne fossile Antriebe – Privat-Pkw wird unwichtiger – Kaum Multimodalität (z.B. Sharing-Konzepte) – Starke Multimodalität (Sharing verbreitet) – Flugverkehr fossiler und restringierter – Flugverkehr grüner und weniger restringiert 15
Viele Facetten des Berlins von heute gewinnen in der klimaneutralen Zukunft noch stärker an Bedeutung: z. B. Kraft-Wärme-Kopplung, Energie-Effizienz-Netzwerke in der Wirtschaft, Multimodalität oder erneuerbare Energien. Berlin kann sein Klimaneutralitätsziel also auf mindestens Wärmeabsatz nicht noch weiter fallen zu lassen. Power to zwei verschiedenen Wegen erreichen. Dem Umbau des heat im leitungsgebundenen Wärmemarkt wird mit einem Energiesystems kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die Stromverbrauch von 7 bis 9 PJ/a eine hohe Bedeutung er- Kraft-Wärme-Kopplung, die bereits heute wichtig ist, wird langen, gleichzeitig ist eine deutlich höhere Wärmespeiche- deutlich an Bedeutung gewinnen. Auch die netzgebundene rung erforderlich. Wärmeversorgung wird weiter eine wichtige Rolle in Berlin Bei den erneuerbaren Energien spielt in Berlin allen voran spielen; die Anschlussdichte wird hierbei steigen müssen, die Solarenergie, insbesondere die Photovoltaik, in Zukunft um den – je nach Szenario – ca. 10 bis 30 % abnehmenden eine Schlüsselrolle. Sie passt flächensparend auf die Gebäu- 10 CO2-Emissionen aus Endenergieverbrauch nach Verursacherbilanz 2010, im Referenzszenario und in den beiden Zielszenarien (Reduktion in % verglichen mit 1990) Mio. t CO2 Nicht klimaneutral Klimaneutral Klimaneutral 25 21,3 20 –27 % 15 9,5 10 –68 % 4,4 5 3,8 Klimaneutralität ca. 4,4 Mio. t –85 % –87 % 0 2010 Referenz Ziel 1 Ziel 2 16
Klimaneutrales Berlin 2050 | 3. Szenarien für ein klimaneutrales Berlin: Denken in Optionen de und an die Fassaden, das städtische Verteilnetz kann Dieser gestiegene Strombedarf Berlins ist unter anderem große Mengen Solarstrom aufnehmen und die Gestehungs- darauf zurückzuführen, dass auch im Verkehrsbereich die- kosten sind bereits heute mit Abstand günstiger als der ser Energieträger immer mehr zum Einsatz kommt – je nach Strompreis der privaten Haushalte und Gewerbebetriebe. In Szenario entweder in einer größeren Privat-Pkw-Flotte oder den Zielszenarien kann die Photovoltaik daher zwischen 9 in mehr Carsharing-Fahrzeugen. In jedem Fall wird die Ber- und 13 PJ/a bereit stellen. Das entspricht etwa dem aktuel- liner Fahrzeugflotte des Jahres 2050 deutlich emissions len Jahresstrombedarf von 1,2 Millionen bzw. 800.000 ärmer unterwegs sein und auch weniger Lärm verursachen. Zwei-Personen-Haushalten. 11 Strombereitstellung, Quelle: Eigene Darstellung PJ/a 60 50 40 30 Import Photovoltaik 20 Wind KWK im Gebäude 10 KWK im Wärmenetz Sommer ohne KWK 0 2010 Referenz Ziel 1 Ziel 2 17
Stadt-Umland-Beziehungen: Berlin als potenzieller Stromexporteur 12 In der Summe wird Berlin seine Stromproduktion deut- Eigenversorgungsgrad lich steigern – und damit gleichzeitig den Importbedarf Quelle: Eigene Darstellung deutlich senken können. Damit ändert sich das pau- schale Bild von der Großstadt als „Energiesenke“ deut- lich: Bilanziell kann Berlin nämlich seine Strombilanz annähernd ausgleichen. Würden die neuen, systemrele- % 69 % 111 % 108 % 112 % vanten Großverbraucher wie die Power-to-Gas/Metha- nol-Technologie (im Umfang von 9 PJ/a) außerhalb Ber- 100 lins angesiedelt, kann sogar nennenswert Strom exportiert werden. In den Szenarien wird aber davon ausgegangen, dass es ökonomisch und infrastrukturell 110 % 50 von Vorteil ist, diese Produktion weitgehend in Berlin 92 % 93 % anzusiedeln. Saisonal betrachtet wird Berlin dann ins- 69 % besondere im Sommer, wenn hohe Solarstrommengen erzeugt werden, Strom exportieren. Im Winter dagegen 0 wird es ergänzend zur eigenen KWK-Stromerzeugung 2010 Referenz Ziel 1 Ziel 2 vorrangig Windstrom – zum Beispiel aus Brandenburg – benötigen. Das Ergebnis spricht also auch für eine unter Berücksichtigung von: neue Aufgabenteilung mit dem Berliner Umland: Berlin 0 % innerstädtische Produktion H2/Methanol kann durch hohe solare und KWK-basierte Eigenpro- 100 % innerstädtische Produktion H2/Methanol duktion den Flächenbedarf für Energiebereitstellung reduzieren helfen – in Berlin selbst, aber auch in Bran- denburg. In Brandenburg sind damit aus Berliner Sicht möglicherweise keine Braunkohlekraftwerke mehr er- forderlich. Insgesamt verschiebt sich der Energieträgermix in der Stadt die aber bilanziell durch Eigenproduktion gedeckt werden deutlich zu Gunsten des Gasverbrauchs, der rund drei Vier- kann. Die Anteile erneuerbarer Energien werden die allge- tel des Primärenergieverbrauchs in 2050 ausmacht. Bezo- meinen Ziele der Bundesregierung nicht ganz erreichen, mit gen auf den Endenergieverbrauch entfällt knapp ein Drittel bis zu 40 % in der Fernwärme, bis zu rund 50 % bei der auf die leitungsgebundene Wärme, rund ein Drittel auf Stromerzeugung und bis zu rund 60 % bei der Gebäudewär- Strom. Im Fall der leitungsgebundenen Wärme handelt es me erzielt die größte deutsche Stadt aber durchaus beacht- sich dabei nur um einen relativen Bedeutungszuwachs, da liche Anteile. Es liegt im Eigeninteresse Berlins, dass auf der Gesamtwärmebedarf bis 2050 deutlich abnimmt. Beim Bundesebene die Ausbauziele für die Erneuerbaren auch Strom geht die Machbarkeitsstudie aufgrund zahlreicher erreicht werden. neuer strombasierter Nutzungen von einer Zunahme aus, 18
Klimaneutrales Berlin 2050 | 4. Strategien und Maßnahmen für ein klimaneutrales Berlin 4. Strategien und Maßnahmen für ein klimaneutrales Berlin Noch liegt die Klimaneutralität in ferner Zukunft. Doch Sie werden durch eine Reihe weiterer Maßnahmen ergänzt, schon heute muss dieses Ziel anvisiert und zum Maßstab die im Zusammenspiel dazu beitragen, das Ziel Klimaneut- des Handelns gemacht werden, wenn es nicht verfehlt wer- ralität zu erreichen. den soll. Die Machbarkeitsstudie will deshalb auch Hinweise Insgesamt ist dabei wichtig, dass das Thema Klimaneutrali- darauf geben, wie der Klimaneutralitätspfad heute schon tät in der Berliner Politik und Gesellschaft einen prioritären beschritten werden sollte. Dabei wurde insbesondere nach Stellenwert erhält. Zudem muss sich das Land Berlin für die Maßnahmen und Projekten gesucht, die für beide ausge- Erreichung der bundesweiten Klimaschutzziele und für die wählten Szenarien gleichermaßen sinnvoll sind, für Berlin Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für die eigenen also die Freiheit bei der Wahl der Mittel noch eine Zeitlang Maßnahmen einsetzen. Die Machbarkeitsstudie schlägt zu- offen halten. Neben dem Kriterium der CO2-Einsparung dem neue und ergänzende Finanzierungsmechanismen vor: (Effektivität) spielte dabei auch noch deren öffentliche einen Energieeffizienzfonds, einen Mietkautionsfonds und Sichtbarkeit eine Rolle. Projekte mit hoher Sichtbarkeit wer- das Crowdfunding für konkrete Projekte. den in der Machbarkeitsstudie als Leitprojekte beschrieben. Energieversorgung Die Maßnahmen im Handlungsfeld Energieversorgung zielen auf die zentralen Reduktionspotenziale: einerseits die Verrin- gerung des Energieverbrauchs durch Steigerung der Energieeffizienz, andererseits auf den Ausbau emissionsarmer Energie- erzeugungsformen. Ein zentrales Leitprojekt ist der „Masterplan Solar- Berlin braucht eine intelligente Vernetzung der ver- hauptstadt Berlin“. Er bündelt mehrere Maßnahmen, schiedenen Technologien und Infrastrukturen und den die bestehende Hemmnisse abbauen sollen, lokale Einbau innovativer Erzeugungskomponenten (Power- Kompetenzen bündeln und spezifische „solarurbane to-Heat, virtuelle Kraftwerke, Wärmespeicher). Anreize“ setzen. Das klimaneutrale Berliner Energiesystem braucht das Ein weiteres Leitprojekt zielt darauf ab, eine Berliner Wissen, das Engagement und auch das Kapital mög- Kläranlage zum Pilotvorhaben für die smarte Nutzung lichst vieler Menschen. Die Machbarkeitsstudie emp- und Speicherung von Strom weiterzuentwickeln. fiehlt Modelle der stärkeren ökonomischen und proze- duralen Beteiligung der Berliner Bürgerschaft. 19
Gebäude und Stadtentwicklung Der Gebäudesektor trug 2010 mit 47 % zu den Berliner CO2- Gebäudeenergieversorgung integriert zu betrachten Emissionen bei und hat damit auch eine große Verantwor- und zu bewerten. tung für das Erreichen des Klimaneutralitätsziels. Dabei sind jedoch eine Reihe wichtiger Randbedingungen zu be- Die beiden Szenarien der Machbarkeitsstudie tragen dieser achten: Notwendigkeit der Differenzierung Rechnung. Während Zielszenario 2 mit einer Sanierungsrate von 2 % pro Jahr 1. Das Mietniveau in Berlin ist in den letzten Jahren deut- eine Verdoppelung des Tempos gegenüber heute anstrebt, lich angestiegen, wozu auch umlagefähige Sanierungs- rechnet Zielszenario 1 mit einer nur moderaten Steigerung kosten beitragen. Auf der anderen Seite droht insbe- auf 1,5 %, was dann durch andere Maßnahmen ausgegli- sondere den geringer verdienenden Haushalten in chen werden muss. Die folgenden Maßnahmen und Leitpro- schlecht gedämmten Wohnungen Energiearmut dann, jekte werden zur Erreichung der Ziele unabhängig von der wenn die Energiepreise in Zukunft weiter steigen. konkreten Sanierungsrate vorgeschlagen: 2. Der Berliner Wohnbestand ist in den Jahren nach der Wende in großem Umfang auch energetisch moderni- Berlin muss die Strategie der Innenentwicklung und siert worden. Dies gilt insbesondere für die Bestände Nachverdichtung konsequent weiter verfolgen, um den der großen Gesellschaften, während der private Streu- Bevölkerungszuwachs bis 2050 effizient im Stadtgebiet besitz vielfach noch Modernisierungsrückstände auf- aufzufangen. Dazu gehört auch das Schaffen von Ange- weist. Bis 2050 gilt es, für ganz Berlin zu einem abge- boten zur flexiblen, angepassten Wohnflächennutzung, stuften Sanierungsfahrplan zu kommen. die sich dämpfend auf den Flächenbedarf pro Kopf aus- 3. Gleichzeitig erhöhen sich die Handlungsspielräume, wirken. wenn statt des Einzelgebäudes ganze Quartiere in den Gleichzeitig müssen aber auch Anpassungsmaßnah- Blick genommen werden. Dabei sind Sanierung und men an den Klimawandel berücksichtigt werden, was 13 A. Spezifischer Endenergieverbrauch des B. Spezifischer Endenergieverbrauch des Gebäudebestands (ohne Solarthermie und sehr hoch Gebäudebestands (ohne Solarthermie und Umweltwärme) 2010 hoch Umweltwärme) Szenario: 2050 Ziel 1 mittel gering kein geringe Bebauung Bezirksgrenzen Gewässer 20
Klimaneutrales Berlin 2050 | 4. Strategien und Maßnahmen für ein klimaneutrales Berlin das Offenhalten und die qualitative Aufwertung strate- Einwohner werden raum- und energiesparend ins Stadtge- gisch wichtiger Grün- und Freiflächen bedeutet (siehe biet integriert werden können, und Berlins großes Kapital – hierzu StEP Klima). seine Grün- und Freiflächen – werden deutlich zu Lebens- Bei der energetischen Sanierung im Berliner Bestand qualität und Klimaanpassung beitragen. Auch wenn müssen Renovierungs- und Modernisierungszyklen be- diesbezügliche Maßnahmen bilanziell derzeit aufgrund der rücksichtigt, Sanierungsrückstände gezielt behoben, statistischen Erfassungssystematik nicht zu Buche schla- und in ausgewählten Quartieren mit überschaubarer gen, so sind sie doch aus Klimaschutzsicht von hoher Be- Eigentümerstrukturen nach besonders effizienten Ge- deutung. Daher werden in der Studie auch zu diesen Aspek- samtlösungen gesucht werden (Leitprojekt „Klimakieze“ ten Maßnahmen vorgeschlagen, etwa dass Berlin seine im Bestand). Mit angepassten Sonderlösungen sollte Wälder weiter klimaresilient umbauen und durch Pflege auch der denkmalgeschützte Bereich seinen Beitrag und Renaturierung seiner Moorstandorte die Senkenkapa- leisten. zität für Treibhausgase in der Stadt erhöhen sollte. Der erhebliche Zubau im Wohn- wie im Gewerbebereich, der in Berlin bis 2050 vorgenommen werden wird, muss mit vorbildlichen Musterlösungen im Gebäudestandard und der Energieversorgung versehen werden (Leitpro- jekt „NeutralQuartiere“). Die Bauleitplanung sollte stärker klimaschutzrelevante Festsetzungen treffen, und die Immobilien des Landes Berlin müssen mit gutem Beispiel bei Wärmebedarf und Energieversorgung vorangehen. Im Ergebnis wird Berlin im Jahr 2050 einen aus energeti- scher Sicht guten bis sehr guten Gebäudebestand besitzen (vgl. Abb. 13 A–C). Die Wohnungen für 250.000 zusätzliche C. Spezifischer Endenergieverbrauch des Gebäudebestands (ohne Solarthermie und Umweltwärme) Szenario: 2050 Ziel 2 21
Wirtschaft In der Berliner Wirtschaft „schlummern“ noch erhebliche Für bestehende Gewerbegebiete ist die Erstellung und Energieeffizienzpotenziale (20–50 %), speziell bei der Be- Förderung integrierter Energie- und Klimaschutzkon- leuchtung und bei den Informations- und Kommunikations- zepte ratsam. Als Schaufenster für eine klimaneutrale technologien (IKT) der kleinen und mittleren Unternehmen, Berliner Wirtschaft bietet sich die Einrichtung eines aber auch mit Blick auf die Prozessenergie, den Fuhrpark Null-Emissionen-Gewerbeparks als Leitprojekt an. oder die Wirtschaftsgebäude. Zusätzlich kann die Berliner Ebenfalls eine größere Signalwirkung haben klimaneut- Wirtschaft einen Beitrag zum Ausbau erneuerbarer Energi- rale Events und geeignete Wettbewerbe zu diesem The- en leisten. Insbesondere im Zielszenario 2 wird stark auf ma, aber auch die Einführung einer regionalen (Eigen-) nahräumliche Vernetzungen gesetzt, die gleichzeitig auch Strommarke z.B. durch ein kommunales Stadtwerk stärker dezentrale Lösungen mit sich bringen. oder eine Bürgerenergiegesellschaft. In technischer Hinsicht sind Projekte zur Steigerung der Um diese Potenziale zu heben, sollten u.a. die folgenden gewerblichen Abwärmenutzung, zum Thema erneuer- Maßnahmen ergriffen werden: bare Prozessenergie sowie grüne IKT-Lösungen zu för- dern und zu verbreiten. Aufbauend auf den positiven Erfahrungen des „Ener- Schließlich ist die Vorbild- und Diffusionswirkung des gieEffizienz-Tischs Berlin“ können Runde Tische zum öffentlichen Beschaffungswesens von hoher Relevanz. Thema „Klimaneutrales Berlin 2050“ speziell kleinere Mit derzeit rd. 3 Mrd. € pro Jahr an Ausgaben ist hier und mittlere Unternehmen (KMU) unterstützen. Die eine hohe ökonomische Hebelwirkung gegeben. Daher ersten ihrer Art sollten als Leitprojekte hinreichend ge- sollte die bestehende Verwaltungsvorschrift „Öffentli- fördert und sichtbar gemach werden. che Beschaffung und Umwelt“ mit Kriterien zur Kli- Bereits bestehende Klimaschutzvereinbarungen für maneutralität untersetzt und das Berliner Beschaf- größere Unternehmen sollen fortgeführt und am Kli- fungswesen stärker zentralisiert und damit effizienter maneutralitätsziel 2050 ausgerichtet werden. Die Ein- werden. führung branchenspezifischer Benchmarks und die möglichst flächendeckende Verbreitung betrieblicher Energiemanagementsysteme auch für KMU sind wichti- ge Maßnahmen. Das Modell der Energiespar-Partnerschaften ist weiter auszuweiten und weitere Contracting-Modelle sollen systematisch erprobt und gefördert werden. 22
Klimaneutrales Berlin 2050 | 4. Strategien und Maßnahmen für ein klimaneutrales Berlin Regionalökonomische Effekte Der Wandel zu einer stärker erneuerbaren und dezentra- sich ein erhebliches ökonomisches Potenzial, das in Zu- leren Energieversorgung, eine Erhöhung der Energieeffi- kunft zu nennenswerten Teilen auf der Basis lokaler Ener- zienz und viele neue Energiedienstleistungen bringen gieträger, Energieversorger und -dienstleister in den Ber- Kosten mit sich. In der öffentlichen Debatte wird dabei liner Wirtschaftskreislauf umgelenkt werden kann und aber gerne unterschlagen, dass auch der Weiterbetrieb dort für mehr Wachstum und Beschäftigung sorgt. Heute des jetzigen, noch fossil geprägten Energiesystems mit fließen auch schätzungsweise 260 Mio. Euro an Gewinnen Kosten verbunden sein würde. Außerdem kann man nicht aus der Energiebereitstellung aus der Stadt ab, daneben einfach heutige Kostenrelationen zwischen dem fossilen Steuern, die meist außerhalb Berlins anfallen. Auch sie System und seiner erneuerbaren Alternative in die Zu- könnten in Zukunft in der Stadt Gutes tun. kunft fortschreiben. Sinkende Kosten durch Lernkurven- Im Rahmen der Machbarkeitsstudie wurden exemplarisch effekte neuer Technologien und die absehbar steigenden die Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte der er- Kosten fossiler Energieträger sorgen mittel- bis langfris- neuerbaren Energien in den beiden Zielszenarien unter- tig für eine Verschiebung der Kostenbilanz zugunsten der sucht. Dabei wurde angenommen, dass insbesondere im Erneuerbaren. Werden noch weitere Umweltkosten – etwa Zielszenario 2 viele Unternehmen und Investoren entlang die Luftverschmutzung oder die Klimafolgen – berück- der jeweiligen Wertschöpfungsketten aus Berlin stammen sichtigt, die heute noch weitgehend ausgeklammert wer- – ein lokales Stadtwerk, viele Bürgerenergieanlagen, Pla- den, dann zeigen viele ökonomische Studien, dass recht- ner, Betreiber, Energiedienstleister etc., so dass sich nicht zeitiges und ambitioniertes Klimaschutzhandeln sich nur die Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte, son- volkswirtschaftlich in jedem Fall auszahlt. dern auch die ökonomische Teilhabe an der Energiewen- Besonders in regionalwirtschaftlicher Hinsicht können de deutlich erhöhen. Die Abb. 14 zeigt die Ergebnisse für sich vielfältige Nutzeffekte ergeben – auch für Berlin, die Wertschöpfungseffekte durch die erneuerbaren Ener- wenn es seine Zielszenarien realisiert. Im Jahr 2012 ha- gien in Berlin, aufgeteilt in die drei maßgeblichen Be- ben öffentliche Hand, Wirtschaft und Haushalte in Berlin standteile kommunale Steuereinnahmen, Einkommen schätzungsweise 3,2 Mrd. Euro für den Import fossiler der Beschäftigten und Gewinne der Unternehmen. Energieträger in die Stadt ausgegeben. Hier offenbart 14 Die Ergebnisse zeigen, dass parallel zur Vervielfachung 160 der Ausbauzahlen auch die Wertschöpfungseffekte ver- Mio. Euro vielfacht werden können. Berlin kann von seinem Kli- 140 maneutralitätsziel auch wirtschaftlich profitieren. Vor- aussetzung ist allerdings, dass die lokale Wirtschaft die 120 entsprechenden Kompetenzen, Kapazitäten und Qualifi- 100 kationen mitbringt, um Planung, Fertigung und Wartung der entsprechenden Anlagen auch in Berlin durchführen 80 zu können. Die entsprechenden Rahmenbedingungen da- 60 für müssen im Verein mit der Berliner Wirtschaft (ein- schließlich des Handwerks) geschaffen werden. 40 20 0 2012 2050-1 2050-2 Steuereinnahmen Berlin Nettoeinkommen durch Beschäftigung Regionalökonomische Effekte der erneuer- Gewinne nach Steuern baren Energien in Berlin 2012 (links) und 2050 (beide Zielszenarien, rechts) 23
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