KontakTUM Spezial - Was uns antreibt Noch ein Interviewheft zum Jubiläum - TUM Community
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KontakTUM Spezial Für Alumni der Technischen Universität München Herbst/Winter 2018/2019 Was uns antreibt Noch ein Interviewheft zum Jubiläum Schutzgebühr 3,- Euro Campus . Engagement . Netzwerk ISSN 1868-4084
„ Es ist schön, so mit der TUM-Familie verwachsen zu sein. Rainer Stellwag studierte in den sechziger Jahren Physik an der TUM. Die Erfolge seiner Alma Mater imponieren ihm auch 50 Jahre später so sehr, dass er beschloss, einen Teil seines Vermögens in die TUM Universitätsstiftung fließen zu lassen. www.tum-universitätsstiftung.de Lesen Sie die ganze Geschichte unter www.150.alumni.tum.de/rainer-stellwag „ 2
Editorial Dr. Verena Schmöller und Dr. Sabrina Eisele von der KontakTUM-Redaktion. Mit Leidenschaft Musik vereint – Menschen verschiedener Kulturen und Menschen unterschiedli- chen Alters, gar mehrere Generationen. Das erleben wir bei den Adventskonzerten der TUM jedes Jahr aufs Neue: Jung und Alt spielen und singen gemeinsam, das Publikum ist buntgemischt. Die Jubilare und Alumni der TUM, Mitarbeitende, Studierende, Wissenschaftler und Gastforscherinnen kommen zusammen, um die Stücke von TUMChor und Symphonischem Ensemble München zu genießen. Zum Abschluss des Jubiläumsjahres stehen die Konzerte am 1. Adventssonntag 2018 unter dem Motto „Festmusiken“, für das die Musikerinnen und Musiker um Dirigent Prof. Felix Mayer ein beeindruckendes Programm erarbeitet haben (S. 60). Die TUM Familie verbindet aber nicht nur die Begeisterung für Musik, sondern auch die Fähigkeit, leidenschaftlich dem eigenen Tun nachzugehen und Entwicklungen Wir bleiben dran! voranzutreiben. Die Leidenschaft für eine Sache ist der gemeinsame Nenner der Abermals startet die TUM erfolgreich in Alumni-Interviews in diesem Heft: Alle Gespräche zeigen, wie begeistert die die hochwettbewerbliche Exzellenzinitia- Alumni der TUM ihren Tätigkeiten nachgehen, egal ob BR-Direktorin mit Technik tive des Bundes und der Länder. Vier Foschungscluster werden in den passion oder Olympiasieger. nächsten sieben Jahren mit jeweils bis 1 zu 70 Millionen Euro finanziert. Die Am Ende des Jubiläumsjahres lädt die TUM sie zu ganz besonderen Veranstal TUM wird sich nun auch wieder für die Förderung als Exzellenzuniversität tungen ein: Am 10. November 2018 findet ein Kolloquium zu Ehren des Nobel- bewerben. Die Entscheidung hierüber preisträgers E. O. Fischer (Alumnus 1949) statt, der in diesem Jahr 100 Jahre alt fällt im Juli 2019. geworden wäre (S. 66). Eine Woche später laden die TUM Emeriti of Excellence www.exzellenz.tum.de zum Afrika-Symposium ein, das eine große Reihe namhafter Rednerinnen und Redner präsentiert (S. 68). Kommen Sie dazu und lassen Sie sich von der Leidenschaft der TUM Alumni anstecken. Feiern Sie mit Ihrer TUM Familie 150 Jahre Culture of Excellence! Alumni Celebrating Excellence | 150 Jahre 150 Kennen Sie schon unsere Galerie mit Impressionen zum Jubiläumsjahr? Schauen sie doch mal rein: www.150.alumni.tum.de/impressionen. Wie sehen Sie Ihre Alma Mater? Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren Campus, die Hörsäle, die Labore? Schicken Sie uns Ihre Bilder von der TUM – von gestern und heute. 3
Inhaltsverzeichnis 06 08 40 03 Editorial 2 2 U n i v e r s i t ä t s k a n z l e r i n A n d r e a B ö r KontakTUM Redakteurinnen Sabrina Eisele Arbeit und Familie waren mir und Verena Schmöller über die Leiden- immer gleich wichtig. schaft, die die Alumni der TUM verbindet 06 Präsident zum Thema 2 8 O l y m p i a s i e g e r K l a u s Wo l f e r m a n n Präsident Herrmann über Bewegung und Ich bin da durchmarschiert wie ein Verrückter. Aufbruch an der TUM 3 4 P o l i t i ke r E d m u n d S t o i b e r 08 Wa s u n s a n t r e i b t An die Karriere hatte ich nicht gedacht. Sieben Alumni im Interview 4 0 U n i v e r s i t ä t s s t i f t e r 10 B R -Te c h n i kd i r e k t o r i n Gabriele und Rober t Her tle Birgit Spanner-Ulmer Wir planen und bauen für Generationen. Mir fällt immer noch etwas Neues ein. 46 Herzlichen Dank 16 A r c h i t e k t A n d r e a s M e c k Die TUM bedankt sich bei ihren Die Vielfalt der Aufgaben fasziniert mich. Alumni-Jubiläumsstiftern. KontakTUM digital in Englisch und Deutsch 4 www.together.tum.de/epub
58 62 66 K ontakT UM P ro g ra mm 5 4 G e s c h i c h t e b e l e b e n 76 Te r m i n e u n d A n g e b o t e So erinnert sich die TUM an ihre Vergangenheit – tauchen Sie ein in 79 A BC die TUM-Geschichte! 80 A l u m n i -T i c ke r 58 Gemeinsam feiern Das TUM-Jubiläum wird festlich 82 Impressum beendet – feiern Sie mit! 62 Dialog führen Die TUM macht Wissenschaft öffentlich und verständlich – hören Sie zu! 66 I n t e r n a t i o n a l ve r n e t z e n Die TUM ist in München daheim und in der Welt zu Hause – entdecken Sie die TUM weltweit! 70 Vo n e i n a n d e r l e r n e n Das TUM Netzwerk ist ein lebendiger Ort, um sich auszutauschen – machen Sie mit! 5
Der Präsident zu m Thema Bewegung und Aufbruch Innovation braucht Talente. Damit ist die TUM gut aufgestellt. Bei uns finden die besten Köpfe der Welt zueinander. Motivierte Studierende treffen auf brillante Forscherinnen und Forscher aus dem In- und Ausland. Nach ihrem Abschluss tragen unsere Alumni den „zündenden Funken der Wissenschaft“ in die industrielle Welt, ganz so wie es sich mein Vorgänger Karl Max von Bauernfeind vor 150 Jahren als Gründungsdirektor unserer Universität gewünscht hat. Die Erfahrungen aus ihrem Wirken in Industrie und Gesellschaft bringen die Alumni wiederum zurück an ihre Alma Mater und sorgen für den Austausch zwischen wissenschaftlicher Forschung und praktischer Anwendung. So kommt die Invention der Wissenschaft zur Innovation der Märkte. Zum dritten Mal in Folge zählt das Reuters-Ranking berufene, international renommierte Ingenieur und Infor- die TUM zu den Top 10 der innovativsten Universitäten matiker Professor Sami Haddadin, selbst TUM Alumnus Europas. Bei der Erforschung künstlicher Intelligenz be- (Diplom 2005, Master 2009), der seine umfassende Ex- setzt unsere Universität laut dem Magazin Times Higher pertise nun wieder an seiner Alma Mater einbringt. Education den sechsten Rang weltweit. Damit das so bleibt, damit wir auch in den nächsten 150 Jahren Spitzen- Die interdisziplinäre Verbindung der Fächer, die kurzen positionen einnehmen, müssen wir uns herausfordern Wege zum Austausch von Forschungsdaten und Erfah- lassen von den schwierigsten technischen Fragestel- rungswissen, das ist eine der großen Stärken der TUM. lungen der Zeit. Heute sind wir in der Elektromobilität Technik muss immer einen Rückbezug zum Menschen vorne dabei, aber auch bei avantgardistischen Ansätzen haben. Sie ist für den Menschen da und nicht für sich der Luft- und Raumfahrt, deren Aufbruchstechnologien selbst. Deshalb integrieren wir fortan die Geistes- und vor über 100 Jahren bei uns zu Hause waren – ich nenne Sozialwissenschaften, die Politikwissen schaft einge- Aurel Vlaicu und Claude Dornier. Unsere Mediziner am schlossen, in unsere Agenda. Universitätsklinikum rechts der Isar transplantieren einem Unfallopfer zwei komplette Spenderarme und eröffnen Als Universität müssen wir ständig in Bewegung bleiben, damit ein neues Kapitel in der Medizingeschichte. um für Talente aus dem In- und Ausland attraktiv zu sein und um die junge Generation für die Bewältigung der an- Spitzenforschung an stehenden Aufgaben zu rüsten. Die TUM startet zum kommenden Wintersemester einen neuen B.Sc.-Studien- künstlicher Intelligenz gang und sechs neue Masterstudiengänge. Darunter sind auch die ersten beiden Angebote der TUM School of Gegründet haben wir in unserem Jubiläumsjahr die Management am neuen TUM Campus Heilbronn und ein Munich School of Robotics and Machine Intelligence Angebot am Campus Straubing für Biotechnologie und (MSRM). Maschinen werden uns nicht ersetzen, aber mit Nachhaltigkeit, der seit Oktober 2017 voll in die TUM in- zuneh mender „Maschinenintelligenz“ unser Leben er- tegriert ist. leichtern. Die TUM wird diese Entwicklung maßgeblich mitgestalten. Gründungsdirektor ist der neu an die TUM 6
TUM-Präsident Wolfgang A. Herrmann legte mit Wissenschafts ministerin Marion Kiechle im Mai 2018 den Grundstein für den Neubau des TUM Campus im Olympiapark. Im Jubiläumsjahr ist an der TUM so einiges in Bewegung. „Eine Universität ohne Baustelle ist keine Univer- sität“, so der Präsident. Europas größter und modernster Kräftig unterstützt durch den Freistaat Bayern und die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder, können Sportcampus wir es dank umfassender, tiefgreifender Reformen der jün geren Vergangenheit mit den weltbesten Partnern und Bewegung und Ernährung sind die wichtigsten, einander Konkurrenten aufnehmen. Dennoch: Der Wettbewerb um ergänzenden Präventionsfaktoren zur Gesunderhaltung. die klügsten Köpfe beginnt täglich neu. Hier helfen uns Die wissenschaftliche Fundierung und Durchdringung großherzige Stifter und Mäzene, die der noch jungen TUM sind Aufgaben einer Universität, die über die zugehörigen Universitätsstiftung insgesamt an die 50 Millionen Euro Ankerfakultäten verfügt, was auf die TUM in einer deut- zugewendet haben, wie unter anderem das Alumni- schen Alleinstellung zutrifft: Hier können Experten aus den Ehepaar Gabriele und Robert Hertle (Interview auf S. 40). Bereichen Sportwissenschaft, Ernährungswissenschaft und Medizin gemeinsam forschen. Allein schon ange- sichts der exponentiell wachsenden Weltbevölkerung Gut gerüstet für die Zukunft sind wir gehalten, Naturwissenschaft, Technik und Medi- zin fortzuentwickeln. Denn wir müssen in einem wohlha- Auch andere Alumni bringen an unserer Universität außer benden Land hoher Lebenserwartung unseren Beitrag ordentliches Erfahrungswissen ein und unterstützen die leisten, dass der wissenschaftlich-technische Fortschritt persönliche als auch fachliche Entwicklung der jungen morgen auch zum Nutzen und Frommen der Menschen Generation. Davon profitieren wir unaufhörlich und darauf auf der Schattenseite des Lebens wird. Die TUM sieht sind wir stolz. Insgesamt sieben Alumni mit besonderen den afrikanischen Kontinent als eine große Zukunftsauf- Lebensläufen können Sie in diesem Heft kennenlernen. gabe und stellt sich mit ihren vielfältigen Kompetenzen Erfahren Sie ab S. 10, was sie dazu motiviert, ihren Weg dieser Herausforderung. Sie ist bereits in zahlreichen zu gehen und warum sie – genau wie die TUM – nie stehen Themenfeldern von Forschung und Lehre mit Afrika bleiben werden. eng verbunden. Im letzten Jahr haben wir mit dem neu- en Prototypen des aCar ein Elektroauto für Afrika vor- Die nächsten 150 Jahre warten auf uns – lassen Sie uns gestellt. Es handelt sich um ein Fahrzeug, das sich die auch weiterhin gemeinsam und tatkräftig den „zünden- Menschen dort finanziell leisten können, es ist gelände den Funken der Wissenschaft“ in die Welt tragen! gängig und kann große Lasten transportieren. Das Afrika-Engagement der TUM wird in ihrem Jubiläums Herzlich jahr mit einem Symposium der Öffentlichkeit präsentiert. Ihr Die Initiative kommt vom interdisziplinären Kreis der TUM Emeriti of Excellence, die hiermit ein Thema aufgreifen, das in der europäischen- und in der Weltpolitik von Wolfgang A. Herrmann allergrößter Relevanz geworden ist (S. 69 in diesem Heft). Präsident 7
Was uns antreibt Sieben Alumni im Interview Seit 150 Jahren entlässt die TUM mit Stolz jedes Semester viele exzellent ausgebildete Absolventinnen und Absolventen. Die Alumni der TUM tragen die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft in Industrie und Gesellschaft und helfen dabei, die Welt Stück für Stück besser zu machen. Im Jubiläumsjahr der TUM haben sich einige von ihnen Zeit genommen und erzählen, wie sie dorthin gekommen sind, wo sie heute sind und was sie dazu motiviert, niemals stehen zu bleiben. Prof. Dr. Birgit Spanner-Ulmer Prof. Andreas Meck Dr. Andrea Bör Klaus Wolfermann Dr. Dr. h. c. Edmund Stoiber Gabriele und Prof. Dr. Robert Hertle Lust auf noch mehr Alumni-Geschichten? www.150.alumni.tum.de 9
EIN HEFT, SIEBEN ALUMNI B I R G I T S PA N N E R - U L M E R | I N T E R V I E W 10 Birgit Spanner-Ulmer im renovierten Thiersch-Turm der TUM.
BR-TECHNIKDIREKTORIN B I R G I T S PA N N E R - U L M E R Mir fällt immer noch etwas Neues ein. Die Technikdirektorin des Bayerischen Rundfunks über die Lust am Problemlösen und ihre Durchsetzungsfähigkeit in Blazer und Blaumann. 11
EIN HEFT, SIEBEN ALUMNI B I R G I T S PA N N E R - U L M E R | I N T E R V I E W Seit 2012 ist Birgit Spanner-Ulmer als Direktorin dafür zuständig, den Bayerischen Rundfunk auf technischer Ebene in die Zukunft zu führen. Zuvor hat die promovierte Ingenieurin und Professorin der TUM innovative Automodelle bei Audi entwickelt und in Chemnitz den Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement aufgebaut. Für jede ihrer Aufgaben geht Birgit Spanner-Ulmer stets in die Vollen, hält an ihren Überzeugungen fest und bleibt hartnäckig, um Optimierungen voranzubringen. Frau Professor Spanner-Ulmer, wie sehen das Das hört sich sehr praxisbezogen an, Fernsehen und der Hörfunk der Zukunft aus? was Sie da machen. Beides wird sich massiv verändern. Allein dadurch, Das ist es. Sie haben vielleicht auch gehört, dass der dass heute jeder, der ein Smartphone hat, zum Re BR demnächst nach Freimann umzieht. Auch hier müs- dakteur werden kann ist bereits ein Kulturwandel sen wir planen, wie viele Hörfunkstudios wir zukünftig in eingetreten. Jeder kann irgendein kleines Filmchen den neuen Gebäuden brauchen. Ich bin verantwortlich machen und es ins Netz stellen. Nutzer haben heute für alles, was auf technischer Ebene mit Hörfunk, Fern- die Möglichkeit der unmittelbaren Verbreitung von sehen und Online-Produktion zu tun hat – also für die Informationen und ohne viel Aufwand das zu machen, Infrastruktur, mit der wir die Inhalte zu den Menschen was früher den klassischen Medien vorbehalten war. bringen, und für das technische Personal. Ich bin ziemlich nah am operativen Geschäft und versuche Was bedeutet das für den öffentlich-rechtlichen gleichzeitig, immer nach vorne zu denken. Die Tage Rundfunk? sind nicht kurz, aber extrem spannend. Wir müssen viel schneller sein als früher und trotzdem eine hohe Qualität liefern. Wir stehen dafür, dass wir Woraus schöpfen Sie die Kraft dafür? 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche Es passiert jeden Tag etwas Anderes. So wird es nie Bericht erstatten und dabei die journalistischen Grund- langweilig. Und ich bin Überzeugungstäterin. Ich denke sätze einhalten. Unser Auftrag als Teil der öffentlich- immer: Es geht noch besser. Es gibt nichts, was schon rechtlichen Medien ist es Berichterstattung und komplett ausgereizt ist. Ich habe einfach Lust an Ideen. Unterhaltung zu generieren, die konkurrenzfähig aber Früher habe ich mich aufgeregt, wenn ich das Gefühl eben dennoch seriös ist. Das ist schwerer geworden, hatte, jemand hat mir meine Idee „geklaut“, zum Bei- weil wir nicht mehr das Informationsmonopol haben, spiel bei einer Präsentation. Heute sage ich mir: Schön, aber gerade deshalb umso wichtiger. Nur so können wenn andere meine Ideen umsetzen, mir fällt immer wir das dringend benötigte Gegenstück beispielsweise etwas Neues ein. zu Fake-News schaffen, also falschen Nachrichten, die häufig im Netz kursieren. Eine schöne Einstellung. Erstens macht es mich frei und zweitens ist es eine Wie setzen Sie das als Technikdirektorin beim gedankliche Herausforderung, weil ich immer wieder Bayerischen Rundfunk um? kreativ sein darf. Wir bündeln unsere Ressourcen im gesamten BR und arbeiten nicht mehr wie bisher getrennt nach Hörfunk, Sie haben Wirtschaftsingenieurwesen studiert und Fernsehen und Online sondern medienübergreifend und danach die Promotion im Maschinenwesen an der bieten unsere Themen auf allen Kanälen an, unabhängig TUM angeschlossen. Wie kam es dazu? von Zeit und Ort. Für den Bereich der Aktualität etwa Mir war ziemlich früh klar, dass ich als Frau in den Inge- bedeutet dies: Wenn ein Redakteur aktuell über einen nieurwissenschaften einfach noch ein Stückchen besser Bombenfund berichtet, dann macht er den O-Ton, das sein muss als die männlichen Kollegen. Man könnte Fernsehbild und stellt die Informationen zugleich auch auch sagen: sichtbarer sein muss. Deshalb war mir in die App, also online, ein. Auf technischer Ebene muss bereits im Hauptstudium klar, dass ich promovieren will. ich dafür sorgen, dass der Redakteur das passende Und ich wusste, dass ich mich noch mehr auf die inge- Equipment hat, um alle drei Ausspielwege bedienen nieurwissenschaftlichen Fächer konzentrieren möchte. zu können. Heute ersetzt oftmals der Technikrucksack, Meine Studienarbeit ging damals in Richtung Produk den sich die Kollegen umschnallen und der mit vier tionstechnik, die Vertiefung dann in die Fertigungstech- SIM-Karten ausgestattet ist, einen Ü-Wagen. nik. In dem Bereich wollte ich mich weiter qualifizieren 12
und ihn tiefer beackern. Vor allem die Schnittstelle von Welche denn? Mensch und Technik hat mich dabei interessiert. Professor Bubb hatte mir zusammen mit dem Team einen wunderschönen Doktorhut gebastelt. Oben drauf Was meinen Sie damit? war ein Modell des Roboters, mit dem ich während Die Faszination hat eigentlich mein Doktorvater, meiner Promotion die Untersuchungen gemacht habe. Professor Bubb, in mir geweckt. Er ist einer der Es war batteriebetrieben und konnte sich drehen. Das bedeutendsten Forscher auf dem Gebiet der Fahrzeug war der schönste Doktorhut, den ich je gesehen hatte. ergonomie. Mich hat interessiert, wie die menschlichen Ich freue mich bis heute noch darüber und bin sehr stolz. Denkmuster funktionieren und wie man diese bei der Gestaltung von Produkten berücksichtigen muss, damit Und diese positiven Erfahrungen während der ein Produkt sicher und intuitiv bedient werden kann. Promotion waren der Grund, warum Sie dann noch die Habilitation in Eichstätt angeschlossen haben? Haben Sie ein Beispiel? Ich hatte Lust, mich wissenschaftlich weiter zu quali Das kanndas Cockpit im Auto sein, das in einer bestimm fizieren, aber es gab auch ganz praktische Gründe. ten Weise gestaltet sein muss, damit wir auf Anhieb Meinem Vater ging es damals leider nicht mehr sehr verstehen, was gerade angezeigt wird. In meiner Doktor gut. Wir hatten eine enge Beziehung: Schon seit frühes- arbeit habe ich mich mit der Kompatibilität von Stellteilen ter Kindheit habe ich meinem Vater im Garten geholfen. befasst. Anlass war damals ein Flugzeugabsturz, bei Wenn er etwas gebastelt hat, hat er mich mit anpacken dessen Ursachenforschung man feststellte, dass die lassen. Im Laufe seines Lebens ist er erblindet und hat Piloten ein Stellteil und die Anzeige nicht kongruent be- mehr Fürsorge benötigt. Da mein Elternhaus in Eichstätt dienen konnten. Dadurch lösten sie eine Fehlbedienung war, ließ sich das gut mit meiner Arbeit an der Uni ver- aus, die zu dem Unfall geführt hat. Die Frage, wie man binden. Ich konnte dafür sorgen, dass es meinem Vater dieses menschliche Versagen verhindern kann, fand ich gut ging. Das war mir wichtig. ausgesprochen spannend. Meine Promotion war eine fantastische Zeit. Gibt es ein Erlebnis während der Promotionszeit, das Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist? Ich durfte Professor Bubb bei den unterschiedlichsten Forschungsprojekten und Industriekooperationen helfen. Schon früh hat er mir Aufgaben mit viel Verantwortung übertragen. Das hat mich stolz und selbstsicher gemacht. Unvergesslich für mich ist zum Beispiel ein wirklich breit angelegter Fahrzeugversuch zur ungewollten Beschleuni- gung mit 100 Versuchspersonen. Ich durfte alles organi- sieren: ein Autohaus finden, eine Teststrecke aussuchen, den Umbau der Autos koordinieren, die Versuchsper sonen gewinnen und das Versuchsdesign entwickeln. Mit meinen 28 Jahren war das für mich ein Riesending. Ihre Doktorprüfung auch? Den Vorsitz hatte Professor Joachim Milberg, der kurz darauf zu BMW ging und später Vorstandsvorsitzender wurde. Dann waren natürlich noch mein Doktorvater und als Beisitzer Professor Heinzpeter Rühmann dabei. Besonders Professor Milberg wollte mehr zur praktischen Anwendbarkeit meiner Arbeit wissen. Es war richtig interessant zu diskutieren, auf welche Weise man meine Überlegungen weiterentwickeln könnte. Mir hat es viel bedeutet, dass meine Forschung so ernst genommen Birgit Spanner-Ulmer mit dem Doktorhut, den ihr Doktorvater von wurde. Nach der Prüfung haben mein Vater und mein der TUM als Geschenk zur erfolgreichen Doktorprüfung bastelte. Freund – der später mein Mann wurde – mich draußen Auf dem Hut befindet sich das Modell des Roboters, mit dem Birgit in Empfang genommen und beglückwünscht. Und eine Spanner-Ulmer damals ihre Untersuchungen durchführte. tolle Überraschung bekam ich auch noch. 13
EIN HEFT, SIEBEN ALUMNI B I R G I T S PA N N E R - U L M E R | I N T E R V I E W Hätten Sie auch habilitiert, wenn es diese privaten Hatten Sie keine Schwierigkeiten, von den Kollegen Gründe nicht gegeben hätte? akzeptiert zu werden? Nein. Die Habilitation hat mir am Ende des Tages nicht Klar, die dachten sich am Anfang: „Was will jetzt die geschadet. Aber es war eine Zeit, die mich deutlich an Doktorin da?“ Aber ich konnte sie relativ schnell von mir meine Grenzen gebracht hat. Wenn Sie mich fragen überzeugen, und dann haben wir uns gegenseitig viel würden, wann ich meine ersten grauen Haare bekom- geholfen. Auf der Führungsebene war das schwieriger. men habe: Das war damals. Da wurde ich sofort als Wettbewerberin wahrgenom- men, oder um es negativ zu formulieren, als Konkur- Warum? renz. Ich musste mich ordentlich durchsetzen. Meine Habilitation war an der philosophisch-pädago- gischen Fakultät angesiedelt. Das lag mir allein schon Wie haben Sie das gemacht? fachlich nicht so ganz, weil dort eher mit Modellen ge- Frauen neigen dazu, und das gilt auch für mich, dass arbeitet wird, von denen mehrere gleichzeitig anwend- sie nicht in die direkte Konfrontation gehen, sondern bar sind, und es selten eindeutige Lösungen gibt. Mein sagen: „Dann mach ich es einfach besser.“ Das heißt Vater und mein Mann haben mir in der Zeit gut zuge- aber auch, man muss … sprochen und gesagt: „Stell dich nicht so an, das wird schon gehen.“ Und ich habe nicht aufgegeben. Es gibt … doppelt so hart arbeiten. Momente, da muss man sich durchbeißen. Nicht alles Genau. Ich habe mir früh angewöhnt, einfach mehr zu im Leben ist nur ‚Wünsch dir was‘. Meine Entscheidung, machen. Die Mitbewerber gingen nicht gerade zim- nach der Habilitation in die Industrie zu gehen, fiel mir perlich mit mir um. Es war aber häufig so, dass auf der danach sehr viel leichter. nächsten oder übernächsten Ebene jemand auf meine Arbeit aufmerksam geworden ist und mich gefördert Hat das Ihr Umfeld auch so gesehen? hat, oder mir mit speziellen Projekten neue Chancen Einfach war es nicht. Ich war schon 37 und viele Leute eröffnet hat. haben mir geraten, in der Wissenschaft zu bleiben, weil ich für einen Job in der Industrie überqualifiziert sei. Ich So war es auch bei Audi? wollte aber nicht. Dann hatte ich das Glück und bekam Ja. Ein Jahr, nachdem ich bei Audi begonnen hatte, ein Vorstellungsgespräch bei Audi, bei dem mir jemand mit 38, war ich bereits im Management. Und nach gegenüber saß, der sagte: „Die nehme ich.“ drei Jahren wurde ich gefragt, ob ich nicht in die technische Entwicklung wechseln möchte. Das war Und war es dann so, wie Sie es sich übrigens TUM-Professor und Alumnus Peter Trop- vorgestellt haben? schuh, der mich gerne für die Konzeptentwicklung Es war noch viel besser. Ich habe im Geschäftsbereich wollte. Das ist die spannendste Abteilung überhaupt, Produktion begonnen und bin sehr schnell reingekom- denn da können Sie sich mit der Frage beschäftigen, men. Ich konnte sogar Teile meiner wissenschaftlichen wie das Auto der Zukunft aussehen soll. Arbeit anwenden. Aber um die Abläufe am Montage- band zu verbessern, musste ich erst einmal verstehen, Nach fünf Jahren haben Sie Audi verlassen, um was dort genau passiert. Also habe ich probeweise einen Ruf auf eine Professur in Chemnitz anzuneh- mitgearbeitet. men. Sie wollten doch nicht in die Wissenschaft? Ich hatte bei Audi eine grandiose Zeit. Dann wurde Sie standen am Band? ich auf die Ausschreibung des neuen Lehrstuhls für Ja, mein damaliger Chef war fast täglich in der Pro- Arbeitswissenschaft in Chemnitz aufmerksam gemacht. duktion, und ich habe ihn begleitet. Nach dem ersten Ein spannendes Gebiet, da hat meine Neugier gesiegt. halben Jahr bin ich dann selbst für zwei Wochen in den Ich habe mich beworben, war beim „Vorsingen“ und Blaumann geschlüpft und habe mitmontiert. Nach drei bin dort auf dem ersten Platz gelandet. Hinter mir die oder vier Tagen hat mein Mann mich gefragt, ob ich anderen sechs – alles Männer. mich nicht mehr wasche, weil ich überall schwarz sei. Tatsächlich waren das aber lauter blaue Flecken, die Sie gaben also den gut bezahlten Posten im ich mir geholt hatte, da ich mich immer ins Fahrzeug Management eines weltweit agierenden Automobil- hineinbeugen musste. Ich habe wirklich scheußlich aus- herstellers auf, um Professorin an einer mittelgro- gesehen. Es war trotzdem eine der besten Erfahrungen, ßen Universität im Osten Deutschlands zu werden. die ich je gemacht habe. Zwei gut investierte Wochen. Ist Ihnen die Entscheidung nicht schwer gefallen? 14
Doch, aber ich hatte bisher in meinem beruflichen Leben so tolle Sachen erleben dürfen und dachte, ein eigener Lehrstuhl könnte die nächste spannende Aufgabe sein. Ich wusste, hier kann ich meine Ideen verwirklichen, hier kann ich noch einmal etwas Eigenes machen, hier gibt es Gestaltungsmöglichkeiten. So war es dann auch: Wir haben viele Industriekooperationen an Land gezogen und dadurch schnell Forschungs projekte generieren können. Innerhalb kürzester Zeit war der Lehrstuhl auf 45 Mitarbeiter angewachsen. 2012 kamen Sie nach München und traten Ihren Posten beim Bayerischen Rundfunk an. Zugleich wurden Sie als Professorin für Produktion und Technik in der Medienbranche an die TUM berufen. Was wollen Sie den Studierenden vermitteln? Digitalisierung und innovative Technologien machen vieles möglich. Die Auswirkungen auf Unternehmen und die Gesellschaft im Hinblick auf die Chancen und Risiken zu diskutieren, ist mir wichtig. Dafür will ich bei den Studierenden Begeisterung wecken. P R O F. D R . B I R G I T S PA N N E R - U L M E R Wissenschaftliche Forschung, universitäre Lehre, industrielle Entwicklung – auf welche von Ihrer Promotion Maschinenwesen 1993 vielfältigen Erfahrungen greifen Sie heute am häufigsten zurück? Birgit Spanner-Ulmer wurde im bayerischen Eich- Ulrich Wilhelm, der Intendant des Bayerischen Rund- stätt geboren. Nach dem Abitur studierte sie Wirt- funks, hat an meinem ersten Tag zu mir gesagt: schaftsingenieurwesen in Karlsruhe. Ihre Promotion Sie werden in diesem Job alles brauchen, was Sie je absolvierte sie an der TUM im Bereich Maschinen- gelernt haben. Und damit hat er Recht gehabt. wesen und habilitierte in Eichstätt im Fachbereich Arbeitswissenschaft. Ihre Karriere führte sie von der Das heißt, Sie profitieren heute davon, dass Ihr Wissenschaft in die Industrie und wieder zurück: Lebenslauf vielleicht nicht ganz so stringent war? Nach ihrer Habilitation war sie im Management bei Ich kann jedem nur empfehlen, nicht nur bei einer Audi tätig, zunächst im Geschäftsbereich Produk- Sache zu bleiben, sondern im Rahmen seines Kom- tion, später in der Technischen Entwicklung, wo petenzfelds möglichst viele Eindrücke im Leben zu sie unter anderem für bessere Ergonomie in neuen sammeln. Es wäre gut, wenn sich die Hochschulen und Fahrzeugen sorgte. 2004 erhielt sie einen Ruf auf die Unternehmen noch mehr gegenseitig öffnen würden. Professur für Arbeitswissenschaft an der Techni- Die TUM ist da ganz vorne mit vielen Initiativen dabei, schen Universität Chemnitz. Seit 2012 ist sie Direk- die die Interdisziplinarität befördern. Die Durchlässig- torin für Produktion und Technik beim Bayerischen keit der Karrieren zwischen Industrie und Wissenschaft Rundfunk. Dort ist sie verantwortlich für alle Ange- sollte noch höher werden. Wer so richtig nach vorne legenheiten, die im Zusammenhang mit der Produk- kommen will, muss aus allen Lebenswelten etwas tions- und Sendetechnik sowie der Distribution und mitkriegen. Das ist meine feste Überzeugung. Mich deren Planungen stehen. An der TUM hat sie zudem bereichert es, und ich bin sehr dankbar, dass ich das den Lehrstuhl für Produktion und Technik in der Me- so machen darf. dienbranche inne, von dem sie derzeit für ihre Tätig- keit beim Bayerischen Rundfunk beurlaubt ist. Birgit Spanner-Ulmer bekam für ihr „hervorragendes tech- nisches Wissen“ als erste Frau den goldenen Ehren- ring des Vereins Deutscher Ingenieure verliehen. 15
EIN HEFT, SIEBEN ALUMNI ANDREAS MECK | INTERVIEW 16 Andreas Meck im Architekturmuseum der TUM.
ARCHITEKT ANDREAS MECK Die Vielfalt der Aufgaben fasziniert mich. Der Professor über die neue Mensa der TUM in Garching und den Moment, in dem er Feuer für die Architektur gefangen hat. 17
EIN HEFT, SIEBEN ALUMNI ANDREAS MECK | INTERVIEW Andreas Meck zählt zu den gefragtesten Architekten Deutschlands. Der TUM Alumnus liebt es, sich immer wieder neu auf unterschiedliche Projekte einzulassen. Er baut Wohn- und Ferien- häuser ebenso wie kirchliche Gemeindezentren und sakrale Bauten. Und er liebt es, zu lehren, mit Studierenden über Entwürfen zu sitzen und über Konzepte zu diskutieren. Für die TUM in Garching hat er zusammen mit seinem Büropartner Axel Frühauf einen außergewöhnlichen Mensa-Neubau konzipiert, der Anfang nächsten Jahres eröffnet wird. Herr Professor Meck, Sie bauen die neue Mensa Wie wird die Mensa aussehen? in Garching. Wie war es, heute für das Interview Die Mensa bekommt eine flächige, hölzerne Außen- an die TUM zurückzukommen? Haben Sie ein haut. Ganz bewusst. Denn das ist ein Material, das in Heimatgefühl verspürt? der Form noch nicht am Campus vorhanden ist. Wir Das ist eine gute Frage. Wenn man hier studiert hat wollten der Mensa einen Sonderstatus geben. Wir sind und nach Jahrzehnten wieder in dieses Gebäude der Meinung, dass an diesem Ort, inmitten dieser vom kommt, gibt es eine Sache, die einen einholt: Das ist Inhalt und vom Aussehen her sehr technisch ausgerich- der Geruch. Den vergisst man nicht. Man merkt dann teten Gebäude, eine Mensa mit einer haptischen und, „Mhm, aha, das riecht noch genauso wie damals“. ich sage jetzt einmal, emotionalen Oberfläche ganz gut Und es macht natürlich Spaß, für Bauherren zu arbei- wäre. Sie wird also einen anderen Charakter bekom- ten, die man kennt und die in direkter Nähe sind. men als die Gebäude, die sonst in Garching stehen. Wodurch konnten Sie beim international Und der Innenraum? ausgeschriebenen Wettbewerb mit Ihrem Entwurf Das Thema Holz wird sich über die Fassaden auch im überzeugen? Innenraum artikulieren. Wir haben ansonsten sichtbare Das war eine sehr schwierige Aufgabe. Eine Mensa Stahlbetondecken, zum Teil geputzte Wände, also ein hat hohe funktionale Anforderungen. Stellen Sie sich Konzept, das sich farblich im Bereich Weiß/Schwarz vor: bis zu 7.000 Essen, die da innerhalb weniger Stun- bewegt und einen eher neutralen Hintergrund hat. den produziert werden, davon 2.000, die nach außen Wenn Sie sich vorstellen, dass dort 1.500 Studierende gehen, 1.500 Sitzplätze in einem großen Raum. Allein essen werden, dann ist das bunt genug. die Logistik zu bewältigen, wenn die Studierenden kommen, sich für ein Essen entscheiden, das Essen holen, es am Tisch verzehren und dann wieder hinausgehen aus der Mensa. Kleine Dinge Das muss ein großer Raum sein. nehme ich genauso ernst Ja, in Bezug auf die Konstruktion ist das eine Heraus- forderung. Ein Raum, in dem 1.500 Studierende essen können, braucht natürlich eine bestimmte Größe, er hat bestimmte Spannweiten, die ganze Technik muss sozusagen in dieser Konstruktion untergebracht wie die großen. werden. Hinzu kommt: So eine Mensa ist ein wichtiger Kommunikationsort innerhalb einer Hochschule und Die Mensa hat auch einen Innenhof, nicht wahr? einer Campusanlage. Dort treffen sich die Studieren- Ja, das ist die Besonderheit der Mensa. Das müssen den, dort findet der Austausch statt – auch zwischen Sie sich so vorstellen: Der Speisesaal ist im ersten unterschiedlichen Fächern. Das halte ich für sehr Stockwerk, das heißt, wenn Sie im Speisesaal sitzen, wichtig. Und das heißt auch, die Mensa musste eine der nach allen Seiten hin verglast ist, sehen Sie quasi besondere Gestalt bekommen, um diesem Anspruch über den Innenhof, der diesen großen Mensa-Raum hier genügen zu können. Wir haben es geschafft, diese in mehrere kleinere Räume gliedert. Sie können zwar Randbedingungen alle so zusammenzubringen, dass von einer Seite über diesen Hof auf die andere Seite ein Gesamtkonzept entstanden ist und dass nun eine schauen, wo die anderen Studierenden sitzen, aber es Mensa gebaut wird, die auch als wichtiger Fokus des ist ein Blick durchs Grüne. Wir haben die Vorstellung, Standortes Garching dienen wird. dass dort im Innenhof Kiefern gepflanzt werden. 18
Was ist denn aus Ihrer Sicht das Charakteristische an Ihren Projekten? Ich denke, es ist die Vorstellung, dass Gebäude neben den funktionalen und gestalterischen Anforderungen auch hohe atmosphärische Qualitäten haben sollten. Das macht meine Arbeit aus. Dazu gehört auch die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Randbedin gungen, also mit den Gegebenheiten vor Ort. Gibt es Lieblingsaufgaben, die Sie bearbeiten: ein Haus in der Stadt oder auf dem Land raus nehmen in den Bergen zum Beispiel? Nein, eigentlich nicht. Ich gehöre zu den wenigen Architekten, die nicht spezialisiert sind, und das ganz bewusst. Ich finde, dass hinter jeder Aufgabe eine neue Herausforderung steht. Ich nehme die kleinen Dinge genauso ernst wie die großen, denn sie erfor- dern, wenn man sie ernst nimmt, auch genauso viel Arbeit. Diese Herausforderung, die in jeder neuen Aufgabe steckt, ist es natürlich auch, was einen wach hält, was spannend ist. Ist das nicht schwierig: Dass Sie sich immer wieder in neue Dinge hineindenken müssen? Eine Kirche zum Beispiel ist ein Raum, der völlig anders funktionieren muss als ein Wohnhaus. Es geht darum, Räume und Raumatmosphären zu schaffen. Das ist der rote Faden, der sich durchzieht. Andreas Meck engagiert sich für das Architekturmuseum der TUM, Die anderen Dinge, Funktionen, die können sich auch in dessen Förderverein er bis 2018 Vorstandsvorsitzender war. bei Einfamilienhäusern im Detail immer wieder ändern. Es handelt sich um die größte Spezialsammlung in Deutschland und Insofern ist es selbstverständlich, sich darauf einzu- hat eine riesige Fangemeinde. stellen. Die Orte sind ohnehin immer unterschiedlich. Deshalb empfinde ich es nicht als schwierig, eher als bereichernd, dass es unterschiedliche Aufgaben sind. Eine solch intensive Auseinandersetzung mit einer Sache bietet die Möglichkeit, für ein Studium oder einen Beruf Sie sind ein erfolgreicher Architekt. Feuer zu fangen. Wie wird man das? Meine Studentenzeit war geprägt durch das Arbeiten Sie bezeichnen sich selbst als „Architekt aus in großen Arbeitssälen. Wir waren 240 Studienanfänger, Berufung und Leidenschaft“. Wie kamen Sie aufgeteilt auf mehrere Zeichensäle. Dort saßen wir dann denn zur Architektur? Schulter an Schulter und haben die ganzen Übungen (schmunzelt) Die meisten antworten auf eine solche abgearbeitet. Das war sehr gut, weil damit ein reger Aus Frage, dass sie schon von klein an Lego gespielt tausch mit den anderen Studierenden entstehen konnte. haben. Das habe ich zwar auch. Aber es war nicht so, Heute habe ich immer noch Kontakt zu vielen, mit denen dass ich von Anfang an wusste, dass ich Architekt ich studiert habe. Auch aus dem Hauptstudium ist mir werden würde. Ich hatte eine Vielzahl von Interessen, vor allem die intensive Arbeitssituation in Erinnerung und das Architekturstudium war aus meiner Sicht vom geblieben. Wir konnten uns für Arbeitsräume in der Querschnitt her das Studium, das die meisten meiner Richard-Wagner-Straße bewerben, um dort an Projekten Interessen gleichzeitig berücksichtigt hat. Das Grund- zu arbeiten. Dort herrschte eine ganz dichte Arbeits studium an der TUM war relativ trocken und vermittel- atmosphäre, wir haben uns gegenseitig beraten, aber te vor allem Basiswissen, aber ich habe mich darauf uns auch gegenseitig hochgeschaukelt und über Archi eingelassen, habe eben irgendwann dieses Feuer tektur diskutiert. Oft hörten wir eben nicht um sechs gefangen und gemerkt: Das macht mir Spaß, das will Uhr auf zu arbeiten, sondern saßen bis Mitternacht dort. ich machen, das ist meins. 19
EIN HEFT, SIEBEN ALUMNI ANDREAS MECK | INTERVIEW Gibt es Erfahrungen aus dem Studium, aus Wettbewerbs-Jurys und ich engagiere mich zum Bei- denen Sie noch heute schöpfen können? spiel für das Architekturmuseum der TUM. Ich finde es Wir haben unglaublich viele Fakten gelernt. Das war in wichtig, auch hier meinen Beitrag zu leisten. der damaligen Zeit ein sehr gutes Fundament, um später im eigenen Büro darauf aufbauen zu können. Das hat Gehört das für Sie nicht zur Arbeit? mir sehr viel gebracht. Für die Lehre habe ich vor allem Nein. Wenn die Arbeit Spaß macht, dann ist die Arbeit die Projektarbeit als sehr positive Erfahrung aus meiner ja sozusagen Hobby, nicht? Sie haben vorher das Wort Zeit an der TUM mitgenommen. Sie spielt bei meiner Berufung genannt, das finde ich ganz gut. Das ist mir Tätigkeit als Professor heute eine sehr große Rolle. lieber als Beruf. Ich sage das den Studierenden auch immer. In Berufung steckt Begeisterung für etwas, und ich meine, wenn man von seinem Beruf begeistert ist, Wenn die Spaß daran hat, dann gibt es keine Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Beruf und Hobby. Arbeit Spaß Was ist für Sie insgesamt das Schönste an Ihrem Beruf? macht, dann ist Das Schönste ist sicherlich, dass ich einen Beitrag zur Baukultur leisten kann. Also Gebäude, die gelungen das ja sozusagen sind, stehen ja im Stadt- oder Ortsbild und leisten einen positiven Beitrag für diejenigen, die vorbeigehen, und für diejenigen, die in den Gebäuden wohnen und sie Hobby, nicht? nutzen. Das finde ich wunderschön an unserem Beruf. Wie geht es Ihnen, wenn Sie selbst an den Was hat Sie denn motiviert, neben Ihrer Tätigkeit Häusern vorbeigehen, die Sie gebaut haben? als Architekt in die Hochschullehre zu gehen? Fahren Sie manchmal auch extra dorthin? Als ich mich selbständig gemacht habe, habe ich relativ Eher selten, muss ich zugeben. Ich bin jemand, der schnell gemerkt, dass mir neben der Arbeit im Büro ein nach vorne orientiert ist und der sich für die neuen Teil abging: die Möglichkeit, mich mit anderen auszutau- Aufgaben interessiert. Aber natürlich ist es so, dass ich schen und auch theoretisch über Dinge nachzudenken, immer wieder mit meinen früheren Arbeiten konfrontiert mich also auf anderen Ebenen mit Aufgabenstellungen werde, manchmal zufällig, manchmal durch Nachfol- zu beschäftigen. Deshalb habe ich Lehraufträge ange- geaufträge, zum Beispiel Adaptierungen am Bauwerk nommen, was dann relativ schnell in die Professur an der nach Jahren mit Nutzungsänderungen. Dann schaue Hochschule für Angewandte Wissenschaften mündete. ich mir die Bauwerke wieder an. Für mich ist wichtig, dass die Bauwerke sehr gut altern. Das ist mir ein Anlie- Und Sie mögen die Arbeit mit Studierenden? gen: Dass man nicht modische Dinge macht, sondern Ja, ich schätze den direkten Kontakt mit Studierenden dass man versucht, Dinge so zu bauen, dass sie mit und die Diskussionen mit ihnen sehr. Es regt mich an, der Zeit in Würde altern können. Das funktioniert doch selber wieder anders über Dinge nachzudenken. Das eigentlich bei vielen meiner Bauwerke sehr gut. ist der Freiraum, den eine Hochschule bietet: Dinge ausprobieren und ausloten zu können, Risiko einzu- Wie sieht gute Architektur für Sie aus? gehen – das ist später im beruflichen Alltag schwierig. Gibt es ein schönstes Gebäude der Welt? Mit den Studierenden zusammen arbeite ich gerne an Das ist eine schwierige Frage. Es gibt viele schöne Themen, für die im normalen Büroalltag kein Raum ist. Gebäude. Ich könnte jetzt nicht sagen, welches das Und die Studierenden suchen genau das: Lehrer, die beeindruckendste für mich ist. Ich habe eher etwas aus der Praxis kommen, ihnen Dinge vermitteln können, anderes gelernt: Dass es neben den Ikonen der Archi- die aktuell sind und gleichzeitig Freiräume bieten. tektur eigentlich häufig die Alltagsarchitektur ist, die viel entscheidender ist. Also die Räume, in denen wir Was machen Sie mit Ihrer Zeit, wenn Sie nicht arbeiten? täglich arbeiten und wohnen. Ich versuche, mich mit der Baukultur zu beschäftigen. Außerdem habe ich eine Reihe von Engagements Gibt es für Sie einen solchen schönen Raum? außerhalb des Büros, berate Städte und Gemeinden Ja, tatsächlich, das ist die Hochschule München an in Fachbeiräten und Gestaltungsbeiräten. Ich sitze in der Karlstraße, ein Bauwerk aus den 50er Jahren, 20
von bekannten Architekten der damaligen Zeit: Alois Seifert, Rolf ter Haerst und Franz Ruf. Das Gebäu- de hat einen wunderschönen Lichthof. Und ich freue mich an jedem Tag, an dem ich dort arbeite: Durch diesen Lichthof zu gehen, die Atmosphäre zu spüren, die Studierenden auf den Galerien zu sehen, das Licht, die Bodenbeläge. Das sind solche Orte, die neben den großen Architekturikonen mein Leben verbessern, und das finde ich schön, das ist für mich ein schöner Ort. Als Architekt sind Sie sehr erfolgreich und haben schon vieles erreicht. Was ist die nächste Herausforderung für Sie? Seit längerem bin ich auch als Stadtplaner tätig und setze mich dabei mit der Planung von gebauten urba- nen Strukturen auseinander, angefangen von der Stadt über durchaus kleinere Siedlungsstrukturen und ganz bewusst auch die Frage des Übergangs zum Land, also zur freien Natur. P R O F. A N D R E A S M E C K Stadtplanung ist besonders für Metropolen wie Diplom Architektur 1985 München eine Herausforderung. Ja, Stadtplanung in München braucht gute und vor Andreas Meck hat von 1979 bis 1985 an der TUM allem kreative Lösungen für den fehlenden Wohnraum. Architektur studiert. Nach einem Studium an der Wohnen ist ein Begriff, der relativ schwer zu definieren Architectural Association in London gründete er 1989 ist. Jeder versteht etwas anderes darunter. Die Zeit, sein erstes Architekturbüro in München, das Büro in der es ausschließlich klassische Familienstrukturen meck architekten gibt es seit 2001. Außerdem ist er gab, ist überholt. Wir reden heute von Mosaik-Lebens- seit 2008 auch als eingetragener Stadtplaner tätig. läufen und Patchwork-Familien. Aber der Wohnungsbau Zu seinem Schaffen zählen u. a. das Bibliotheks- und geht immer noch davon aus, dass es entweder das Hörsaalgebäude der Bauhaus-Universität in Wei- Single-Appartement gibt oder die 3-Zimmer-Wohnung mar (2005), das Katholische Dominikuszentrum in für Eltern mit Kind. Es wird häufig nach alt hergebrach- München-Nordheide (2008) und das Ehrenmal der ten Standard-Grundrissen gebaut: Küche, Esszimmer, Bundeswehr in Berlin (2009). Derzeit betreut Andreas Wohnzimmer, Schlafzimmer. Das ist irgendwie an der Meck den Neubau der Mensa auf dem TUM Cam- Zukunft vorbeigeplant. pus in Garching. Darüber hinaus engagiert er sich im Förderverein des Architekturmuseums der TUM Sie liefern mit Ihren Entwürfen viele Gegenmodelle und war bis 2018 dessen Vorstandssitzender. Er war zur Standardarchitektur und gehören damit zu Assistent am Lehrstuhl für Raumgestaltung und einem der gefragtesten Architekten in Deutschland. Entwerfen der Akademie der Bildenden Künste in Wie gehen Sie mit Ihrem Erfolg um? München, übernahm 1998 die Professur für Entwer- Preise und Anerkennungen sind immer schön, weil fen und Baukonstruktion der Hochschule für Ange- man positive Resonanz kriegt auf die Arbeit, die man wandte Wissenschaften München und ist seit 2013 geleistet hat. Grundsätzlich interessiert mich aber das auch Dekan der dortigen Fakultät für Architektur. Tun, das Entwickeln eines Bauwerkes, mehr, als nach 2015 wurde er mit dem Architekturpreis der Landes- Preisen zu schielen. Preise haben ja auch nichts mit der hauptstadt München ausgezeichnet. Die Jury beton- realen Auftragslage zu tun. Letztendlich ist das Arbei- te dabei sein Gespür für das Material, die räumlichen ten heute für mich nicht sehr viel anders als zu Beginn Wirkungen und die Einbeziehung des Lichts. Den meiner Karriere: Man muss sich um jeden Auftrag be- Wettbewerb um das neue Mensa-Gebäude in Gar- mühen, denn jedes Mal beginnt man mit einem Projekt ching hat er u. a. wegen seiner integrativen stadt- wieder ganz von vorne. Das ist das Anstrengende, aber räumlichen Haltung und einer „kraftvollen, klaren auch Wunderbare an der Architektur. und raumstarken Architektursprache“ gewonnen. 21
EIN HEFT, SIEBEN ALUMNI ANDREA BÖR | INTERVIEW 22 Andrea Bör vor der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der TUM.
UNIVERSITÄTSKANZLERIN ANDREA BÖR Arbeit und Familie waren mir immer gleich wichtig. Die Kanzlerin der FU Berlin über ihre Karriereentscheidungen und ihre Sonderrolle als erste Frau in Leitungsgremien. 23
EIN HEFT, SIEBEN ALUMNI ANDREA BÖR | INTERVIEW Andrea Bör lebt ihren Traum von Kindern und Karriere: Die promovierte Ingenieurin verantwortet als Kanzlerin der Freien Universität Berlin nicht nur ein Jahresbudget von rund einer halben Milliarde Euro. Sie ist auch in zahlreichen Ehrenämtern aktiv und hat vier Kinder. Wie es die 48-Jährige geschafft hat, sich beruflich immer wieder erfolgreich in reinen Männerdomänen durchzusetzen, was sie dabei gelernt hat und auch, was auf der Strecke bleiben musste, verrät sie im Gespräch mit KontaktTUM. Frau Dr. Bör, Sie waren insgesamt 18 Jahre ist sogar Patenonkel meines jüngsten Sohnes gewor- an der TUM, haben hier studiert und gearbeitet. den, ein anderer hat bei meiner Geburtstagsfeier seine Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute hier sind? zukünftige Frau kennengelernt. Es ist ein bisschen wie nach Hause zu kommen. Licht- stimmung, Geruch, Namen – alles bekannt und vertraut. Lag der Berufsberater richtig? Ich werde immer eine besondere Beziehung zur TUM Hat Ihnen das Studium Spaß gemacht? haben. Außerdem lebt meine Familie in München. Auf jeden Fall. Es war mit der Mathematik genau das, Daher ist das Heimatgefühl auch familiär bedingt. was ich wollte und es hatte einen Anwendungsbezug. Ich war nicht die Allerbeste, aber im vorderen Drittel Ich war ein war ich dabei. Ich bin problemlos durchs Vordiplom gekommen und das hatte damals durchaus eine Auslesefunktion. Das Studium war mir äußerst wichtig, Paradiesvogel und ich war sehr gewissenhaft und zuverlässig. in einer Männer Im sechsten Semester sind Sie schwanger geworden. domäne. Ja, und mein erstgeborener Sohn lag in seiner Baby- schale unter meiner Bank. Wir haben zusammen die Vorlesung gemeistert und anscheinend wurde dabei Wie sind Sie damals, 1990, an die TUM gekommen? sein Interesse für Mathematik geweckt (schmunzelt). Ein ganz typischer Werdegang für eine Ingenieurin (lacht). Ich war vorher auf einer reinen Mädchenschule Hat er immer geschlafen? hier in München. Nach dem Abitur habe ich eine Er war sehr ruhig und hat viel geschlafen, aber ich Berufsberatung bei Siemens gemacht und der für wusste natürlich, welche Zeiten funktionieren. Bei meiner Schülerkontakte zuständige Herr meinte, ich solle Tochter, die ich im zehnten Semester bekam, war das Elektrotechnik studieren, das sei femininer als Maschi- schwieriger. Durch das Stillen ließ sich ihre Unruhe nenbau. Ich dachte mir, ein bisschen femininer ist zwar ganz gut handhaben, allerdings habe ich damit bestimmt gut und habe mich eingeschrieben. Ich hatte einmal für große Peinlichkeit bei meinem Professor überhaupt keine Ahnung, worauf ich mich da einlasse. gesorgt, der mich in der Lehrstuhlbibliothek überrascht hat – mit dem Kind an der Brust. Wie meinen Sie das? Ich war nicht nur eine von wenigen Frauen in unserem Öffentliches Stillen war zu Ihrer Zeit Studiengang, ich musste auch gleich in der zweiten Stu- ungewöhnlich, oder? dienwoche wegen eines Kreuzbandrisses operiert werden Ja, doch nur so hatte ich die Möglichkeit, alle mir wich- und war fortan mit Krücken unterwegs. Also kaum zu tigen Vorlesungen zu besuchen. Das waren regelrechte übersehen… ein Paradiesvogel in einer Männerdomäne. Luxusveranstaltungen, die ich mir als frisch gebackene Mutter gegönnt habe. War diese Sonderrolle schwierig für Sie? Es war anfangs irritierend. Im 1200er-Hörsaal wurde Was macht Ihr Mann beruflich? damals noch gepfiffen, wenn eine Frau ihn betrat. In un- Er hat am Institut für Holzforschung promoviert, das seren Lerngruppen waren wir zu zehnt, neun männliche mittlerweile auch zur TUM gehört. Als ich dann in die Kollegen und ich. Aber die Kontakte von damals haben Promotion ging und eine Vollzeitstelle hatte, machte sich bis heute gehalten. Einer meiner Kommilitonen er sich selbstständig. Insofern haben wir die Rollen 24
getauscht. Ich war regelmäßig am Lehrstuhl, er hat tagsüber die Kinder versorgt, und ich habe die Nacht- schichten übernommen. Wie sind Sie zur Promotion gekommen? Nach dem Studium wollte ich in die Industrie gehen. Doch es war in der Tat schwierig, männlichen Inter- viewern im Bewerbungsgespräch klarzumachen, dass eine Frau mit Kindern durchaus ihren vollen Job leisten kann. Also habe ich mich entschieden, am Lehrstuhl zu bleiben. Sie waren zunächst wissenschaftlich tätig, später wurden sie Referentin des Vizepräsidenten. Welche Aufgaben hatten Sie dort? Zusammen mit einem weiteren Kollegen haben wir das große IT-Projekt IntegraTUM geleitet, mit dem eine benutzerfreundliche und nahtlose Infrastruktur für Information und Kommunikation an der TUM etabliert wurde. Das war für mich eine Referentenposition plus Tätigkeit als Projektmanagerin. Genau meins: Wir hatten 30 IT-Mitarbeiter zu managen, und das Projekt hatte einen fachlichen Hintergrund. Dank Professor Arndt Bode als Vizepräsident konnte ich zugleich in die Hochschulpolitik hineinschnuppern. Das hat mir sicher den weiteren Weg in Richtung Wissenschaftsmanage- ment geebnet. Inwiefern? Im Regelfall haben Studierende und Promovierende kaum Einblick in die Hochschulverwaltung und ihre Regularien. Ich hatte mich zwar damals schon in einer Studierendenvereinigung und später als wissenschaft- liche Mitarbeiterin im Fachbereich engagiert, doch es ist etwas anderes, Entscheidungen selbst mitzutragen oder sogar Konzeptvorschläge einzubringen. Sie sind von dieser Position aus direkt Geschäftsführerin der Fakultät geworden. Ja, das war auf Empfehlung von Professor Bode. Damit sind die Würfel gefallen, mich dauerhaft für Positionen Andrea Bör besuchte ihr altes Büro an der TUM. Es liegt im so genannten in der Hochschulverwaltung zu interessieren und zu Nordgelände, wo die Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik qualifizieren. untergebracht ist. Sie waren ab 2008 Chief Information Officer an der Universität des Saarlandes, ab 2011 erste weibliche wissenschaftliche Mitarbeiterin, waren Kanzlerin der Universität Passau und seit Juli 2016 äußerst lehrreich für mich. Dabei hat es sehr geholfen, sind Sie Kanzlerin der Freien Universität Berlin. dass ich in einem Fachgebiet promoviert habe, das bei Bei allen Positionen sind Sie auf männliche männlichen Kollegen Akzeptanz fand. Und wenn ich Vorgänger gefolgt. Problem oder Privileg? an die Uni des Saarlandes denke, wo ich das Rechen Es war eine sehr, sehr gute Schule und glücklicher- zentrum geleitet habe, wird deutlich, was das heißt: weise hatte ich nie Berührungsängste. Das Studium, 99 Prozent der Mitarbeiter waren Männer und in der aber auch die sieben Jahre am Lehrstuhl, ebenfalls als Regel älter als ich. 25
EIN HEFT, SIEBEN ALUMNI ANDREA BÖR | INTERVIEW Und wie war es, als Sie Kanzlerin wurden? Was ist die wichtigste Kompetenz, die eine An der Universität Passau war ich die erste Frau in der Führungsperson in diesem Bereich haben sollte? Hochschulleitung überhaupt, man kannte dort zuvor nur Sie muss belastbar sein und darf nicht die Nerven Präsidenten, Kanzler und Vizepräsidenten. Das führte verlieren. Hier liegt eine meiner Stärken: Ich bin in sogar zu Diskussionen darüber, ob die Kollegen ihre Extremsituationen sehr ruhig und denke, handle und Sprache anpassen müssten oder bestimmte Themen entscheide dann fokussiert. Das ist im familiären nicht mehr frei besprechen könnten. Für mich war das Bereich übrigens ähnlich. kein Thema, ich hatte meine Sonderrolle als einzige Frau seit zwei Jahrzehnten trainiert. Natürlich gab es Sind Sie Perfektionistin? auch unangenehme Situationen. Aber: Was mich nicht In gewisser Weise ja, aber meine Kinder haben mich umbringt, macht mich stärker. gelehrt, Prioritäten zu setzen. Wenn ich einen vollen Terminkalender habe und jemand braucht dringend Seit 2016 sind Sie Kanzlerin an der Freien Uni Hilfe, muss ich flexibel reagieren und eben verfügbar versität Berlin. Welche Aufgaben haben Sie? sein. Ich muss mich permanent auf neue Situationen, Als Kanzlerin ist meine wichtigste Aufgabe, die Uni- Themen und Persönlichkeiten einstellen und ent versität am Laufen zu halten. Ich bin verantwortlich für sprechende Entscheidungen treffen. Wie eine Ärztin, Ressourcen, Personal, Finanzen, Räume und ich bin die diagnostiziert und die passende Therapie wählt. Vorgesetzte des wissenschaftsstützenden Personals. Immer mitten im Geschehen. Ich unterstütze den Präsidenten in seinem Tun und helfe als Teil des Präsidiums, die Gesamtstrategie der Wie finden Sie Ausgleich zu diesem Arbeitsalltag? Universität umzusetzen und weiter zu entwickeln. Als Bei meiner Familie. Am Wochenende bin ich Mutter, Haushaltsbeauftragte verantworte ich ein Jahresbudget Ehefrau und Hausfrau. Und ich mache ein bisschen von ungefähr einer halben Milliarde Euro. Sport zum körperlichen Ausgleich. Ihre Familie lebt in München, Sie in Berlin. Pendeln Sie jedes Wochenende nach Hause? Meine Kinder Mein Mann, mein jüngster Sohn und ich pendeln zwischen München und Berlin. Die drei Großen gehen haben mich ge- bereits ihre eigenen Wege. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Kinder das lehrt, Prioritäten moderne Familienbild, das Sie ihnen vorleben, später auch für sich reklamieren werden? zu setzen. Ich denke, ja. Mein Mann und ich – wir sind jetzt 25 Jahre verheiratet – haben uns die Rollen sehr gut aufgeteilt. Haben Sie irgendeine Vision, wie man die Arbeits- Was macht Ihnen daran am meisten Spaß? welt noch familienfreundlicher machen könnte? Dass diese Aufgabe so vielseitig ist: Bau-Themen, IT- Das A und O ist Flexibilität, aber auch Toleranz auf allen Themen, Personal-Themen, strategische Dimensionen, Seiten. Frau kann nicht gleichzeitig perfekte Mutter und Lehrentwicklung und vieles mehr. Ich habe vom hoch- Karrierefrau sein, das geht rein zeitlich nicht. Mir hat ge- spezialisierten Pferdewissenschaftler über den feinfüh- holfen, dass ich meine Familie ausblenden konnte, wäh- ligen Philosophen bis zum analytischen Teamplayer mit rend ich in der Arbeit war, meine Kinder aber dennoch gut den facettenreichsten Persönlichkeiten zu tun. Das ist versorgt wurden – von Mann, Großeltern, Krippe, Schule. spannend und herausfordernd. Daher ist es so wichtig, hochwertige Familienangebote mit qualifizierten Kräften vorzuhalten, damit Männer und Gibt es Aspekte, die Sie als Belastung empfinden? Frauen sich beruflich selbst verwirklichen können. Wie in jeder großen Organisation, läuft es nicht alle Tage rund. Manchmal wird es geradezu hochdrama- Wie meinen Sie das konkret? tisch, wie 2013 beim Hochwasser in Passau, als wir die Eine qualifizierte Erzieherin oder ein Erzieher kann im Universität drei Tage schließen mussten. Doch letztlich Zweifelsfall die tägliche Versorgung der Kinder genauso sind eine solche Entscheidung und die Verantwortung gut oder besser übernehmen als die berufstätige Mutter. dafür mein Job. Sie kann und soll keine Mutter ersetzen, aber warum 26
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