Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? - Deutscher Kulturrat

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Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? - Deutscher Kulturrat
Wie weiblich ist die
                                                    Kulturwirtschaft?
— Dossier »Frauen in der Kultur- und Kreativwirtschaft«
Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? - Deutscher Kulturrat
Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? - Deutscher Kulturrat
Geschlechtergerechtigkeit ist
         zentrales politisches Handlungsfeld
                    Im Sommer des letzten Jahres hat der Deutsche Kulturrat die Studie »Frau-
                    en in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwick­
                    lungen und Lösungsvorschläge« veröffentlicht. In der unter der Leitung von
                    Gabriele Schulz erarbeiteten Studie wird für einen Zeitraum von über 20
                    Jahren untersucht, wie es um die Geschlechtergerechtigkeit im Kultur- und
                    Medienbereich bestellt ist. Dabei wird sowohl die Ausbildungs­situation, die
                    Präsenz von Frauen in Führungsetagen von Kultureinrichtungen, die Partizi-
                    pation von Frauen an der individuellen Künstlerinnen- und Künstler­förderung
                    und anderes mehr für den genannten Zeitraum in den Blick ge­nommen. Ein
                    zentrales Ergebnis der Studie ist, dass trotz stärkerer Präsenz von Frauen
                    in einigen Bereichen von Geschlechtergerechtigkeit nicht die Rede sein kann.
                    Das gilt gleichermaßen für Kulturverbände.
                         Ich selbst habe mir so gravierende Unterschiede beispielsweise mit Blick
                    auf das Einkommen freiberuflicher Künstlerinnen und Künstler nicht vor­
                    stellen können. Der »Gender Pay Gap« beträgt im Kulturbereich bei den frei-
                    beruflich arbeitenden Künstlerinnen erschreckende 24 Prozent.
                         Die Studie hat großes Aufsehen erregt und zwingt zum Handeln. Der
                    Deutsche Kulturrat verpflichtete sich als erste Reaktion auf die Ergebnisse
                    der Studie, bei der geschlechtergerechten Besetzung von Jurys und Auswahl-
Olaf Zimmermann     gremien sowie Vorstände bzw. Präsidien mit gutem Beispiel voranzugehen.
ist Geschäftsfüh-        Auch haben wir mit Unterstützung der Kulturstaatsministerin ein Büro
rer des Deutschen
                    für Geschlechtergerechtigkeit im Deutschen Kulturrat eingerichtet, um die
Kulturrates und
Herausgeber von     Studie »Frauen in Kultur und Medien« in ausgewählten Bereichen zu aktuali-
Politik & Kultur.   sieren und zu erweitern, den Runden Tisch Geschlechtergerechtigkeit, der
                    von der Kulturstaatsministerin als Reaktion auf unsere Studie eingerichtet
                    wurde, fortzuführen und um ein Mentoring-Programm für Frauen im Kultur-
                    und Medienbereich aufzubauen. In dem vorliegenden Dossier, welches auch
                    ein Teil unserer politischen Bemühungen ist, im Kulturbereich mehr Ge-
                    schlechtergerechtigkeit zu erreichen, widmen wir uns der Rolle der Frauen
                    in der Kulturwirtschaft.
                         Geschlechtergerechtigkeit im Kultur- und Medienbereich zu erreichen,
                    ist für den Deutschen Kulturrat, ein zentrales politisches Handlungsfeld.
                    Wir haben uns vorgenommen, die Situation zu bessern.
Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? - Deutscher Kulturrat
Fotografiert hat Meiko Herrmann.
Er wurde 1976 in Frankfurt am Main
geboren und studierte Fotografie
am Lette-Verein in Berlin. Seine foto­
journalistischen Arbeiten zeichnen
sich in besonderem Maße durch einen
­sozialkritischen Blick aus und zeigen
 oftmals Situationen und Menschen
 in Krisengebieten. 2009 wurde er mit
 dem »World Press Photo Award« in
 der Kate­gorie »General News Storie«
 ausgezeichnet.
www.meikoherrmann.de

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Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? - Deutscher Kulturrat
Inhalt

     Geschlechter-                                         Frauen in die
     gerechtigkeit ist                                     Aufsichtsräte
     zentrales politisches                            33   MONIKA SC HULZ-STRE LOW IM G E SPRÄC H

     Handlungsfeld
3    O L A F Z I M M E RM A N N
                                                           Fünf Punkte und
                                                           ein langer Weg
     Weil es 2017 ist …                               37   E LKE HOLST IM G E SPRÄC H

6    MON I K A G RÜ T T ER S
                                                           An der Spitze
     #starkeKulturwirtschaft                              weiblich
10   G AB RI ELE S C H U LZ                           40   BE ATRIC E KRA MM IM G E SPRÄC H

     Vernetzen, informieren, ­                             Die Idee war von mir
     unterstützen                                     44   BRITTA P OE TZ SC H IM G E SPRÄC H

13   G AB RI ELE S C H U LZ
                                                           Mehr Freiheit,
     Keine Männer-                                         mehr Zeit
     Frauen-Frage                                     48   E LISA BE TH RUG E IM G E SPRÄC H

15   AN N E T T E H Ä F ELI NGER IM GES P R ÄCH
                                                           Von Einser-
     Ein gesamtgesell-                                     Schülerinnen und
     schaftliches Problem                                  Mutterkreuzen
20   AN ET T G RA F I M G ES P R ÄCH                  52   A DRIA NA A LTA RA S IM G E SPRÄC H

     Nicht in jeder                                        Versuch einer
     Hinsicht perfekt                                      Export-Bilanz
22   FL E A H OEF L VON LÖ HN EYS EN IM GES P R ÄCH   56   VA LIE E XP ORT IM P ORTRÄT

     Fifty-Fifty                                           Stadt, Baukultur
24   MI C H A E L LEH M A NN IM GES P R ÄCH
                                                           und urbanes Leben
                                                      58   SA LLY BE LOW IM P ORTRÄT
     Weniger Hunger
     nach Geltung?                                         Frauennetzwerke
28   AN DRE A S E ST EVAN S CHR EYER IM GES P R ÄCH   60   E INE ÜBE RSIC HT

     Der Kampf wird härter                            63   IMPRE SSUM

30   D É S I RÉ E VAC H I M GES P R ÄCH

                                                                                                 5
Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? - Deutscher Kulturrat
Weil es
                    2017 ist …
                    MONIKA GRÜTTERS

                    W
                                as für eine Frage! Warum er in seinem Kabi-    der Filmförderungsanstalt (FFA) mehr Frauen an den
                                nett so viel Wert auf ein ausgeglichenes Ge-   Förderentscheidungen beteiligt sind. Ich hoffe, dass
                                schlechterverhältnis lege, wollte eine Jour-   sich damit auch mehr von Frauen geprägte Projekte
                    nalistin vor zwei Jahren vom gerade frisch vereidigten     durchsetzen können.
                    kanadischen Premierminister Justin Trudeau wissen.             Zu den Maßnahmen meines Hauses gehört auch die
                    Und was für eine Antwort! »Weil es 2015 ist.« Besser       Einrichtung eines Projektbüros »Frauen in Kultur und
                    als so lapidar kann man das im Grunde Selbstverständ-      Medien« mit dem Arbeitsschwerpunkt Geschlechterge-
                    liche nicht formulieren, und mehr muss man zur Be-         rechtigkeit in der Kultur- und Kreativwirtschaft beim
                    gründung der Gleichberechtigung von Frau und Mann          Deutschen Kulturrat. Diese Anlauf- und Beratungsstel-
                    im dritten Jahrtausend auch tatsächlich nicht sagen.       le, die aus meinem Etat über einen Zeitraum von drei
                       Viel zu sagen und vor allem ganz konkret beizutra-      Jahren gefördert wird, soll dabei helfen, die Ergebnis-
                    gen, gibt es aber nach wie vor zur praktischen Umset-      se des »Runden Tisches« zügig in konkrete Maßnah-
                    zung. Das gilt auch für die Kultur- und Kreativwirt-       men zu überführen, auf dass auch Kultur- und Kreativ-
                    schaft. Dank der aus meinem Etat geförderten Studie        frauen bekommen, was sie verdienen: mehr Aufstiegs-
                    »Frauen in Kultur und Medien« des Deutschen Kultur-        chancen, faire Bezahlung und eine bessere Vereinbar-
                    rates haben wir seit Sommer 2016 schwarz auf weiß,         keit von Familie und Karriere.
                    wie groß der Handlungsbedarf tatsächlich noch ist und          Dazu braucht es nicht zuletzt eine solide Datenba-
                    wo genau er besonders groß ist. Das Gesamtergebnis         sis. Denn egal, ob es um Führungspositionen, Stipen-
                    ist eindeutig: Von völliger Gleichberechtigung zwi-        dien, Preise oder Honorare geht: Wir kommen nur vo-
                    schen Frauen und Männern, wie sie in Artikel 3 unse-       ran, wenn wir Defizite klar benennen und durch harte
                    res Grundgesetzes festgeschrieben ist, kann leider auch    Fakten untermauern können. »Frauen zählen. Frauen
                    in Kultur, Medien und Kreativwirtschaft noch keine         zählen. Frauen zählen«. So hat es bei einer Sitzung des
                    Rede sein. Die Ursachen dafür sind vielfältig; es sind     »Runden Tisches« jemand auf den Punkt gebracht. Das
                    Ursachen, wie wir sie auch aus anderen gesellschaftli-     Projektbüro wird den soliden Datenbestand, der uns
                    chen Bereichen kennen: Schwierigkeiten bei der Ver-        dank der Studie des Deutschen Kulturrates zur Ver-
                    einbarkeit von Beruf und Familie gehören dazu, aber        fügung steht, aktualisieren und zu ausgewählten Ein-
                    auch Rollenstereotype, die vor allem Männern rele-         zelthemen Datenberichte erstellen. Schon beim zwei-
                    vante Qualitäten wie Kreativität und Schaffenskraft,       ten »Runden Tisch« im März hatte ich außerdem ver-
Monika Grütters     Durchhaltevermögen und Leidenschaft zuschreiben.           sprochen, ein spartenübergreifendes Mentoring-Pro-
MdB ist Staats­     Vermutlich können nicht nur Künstlerinnen ein Lied         gramm für Künstlerinnen und Kreative ins Leben zu
ministerin für      davon singen.                                              rufen. Mittlerweile hat das Projektbüro die Betreuung
Kultur und Medien      Deshalb habe ich noch 2016 den Runden Tisch             des Programms übernommen, also insbesondere das
bei der Bundes­     »Frauen in Kultur und Medien« mit hochrangigen Ver-        Rekrutieren geeigneter Mentorinnen und Mentoren,
kanzlerin.          treterinnen und Vertretern der Kultur- und Medien-         die Auswahl der Mentees und die Zusammenführung
                    branche ins Leben gerufen. In verschiedenen Arbeits-       der Tandems.
                    gruppen wurden Best-Practice-Beispiele erörtert und            Darüber hinaus freut es mich sehr, dass wir für das
                    Verbesserungsvorschläge ausgearbeitet, sodass wir im       Anliegen, die Gleichberechtigung von Frauen und Män-
                    Juli dieses Jahres unter dem Motto »Weil es 2017 ist«      nern in Kultur und Medien zu fördern, zahlreiche pro-
                    in aller (weiblichen) Bescheidenheit den erfolgrei-        minente Mitstreiterinnen und Mitstreiter gewinnen
                    chen Abschluss der gemeinsamen Arbeit feiern konn-         konnten. 20 Frauen und 17 Männer haben sich unter
                    ten. Wenn die vorgeschlagenen Ideen alle umgesetzt         dem Motto »Weil es 2017 ist« zu persönlichen Selbst-
                    werden, sind wir in puncto Gleichberechtigung zwei-        verpflichtungen bereit erklärt: zu konkreten Maßnah-
                    fellos ein gutes Stück weiter.                             men, die sie als Chefredakteurinnen und Chefredak-
                       Auf der Basis der Empfehlungen des Runden Tisches       teure, als Leiterinnen und Leiter von Kultureinrichtun-
                    hat mein Haus erste konkrete, in meinem Zuständig-         gen, als Verbandsvertreterinnen und -vertreter ergrei-
                    keitsbereich umsetzbare Maßnahmen für mehr Ge-             fen werden – oder wo auch immer sie im Bereich Kultur
                    schlechtergerechtigkeit entwickelt. Dazu gehört die pa-    und Medien Verantwortung tragen. Sie alle haben längst
                    ritätische Besetzung von Gremien, Jurys und Auswahl-       verstanden, dass es dabei nicht allein um Gleichberech-
                    kommissionen. Im Rahmen der Novellierung des Film-         tigung geht, sondern auch um künstlerische, kulturel-
                    förderungsgesetzes habe ich beispielsweise schon im        le, mediale Vielfalt, um einen Gewinn an Perspektiven
                    vergangenen Jahr dafür gesorgt, dass in den Gremien        und Potenzialen, der sich für alle Beteiligten auszahlt.

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Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? - Deutscher Kulturrat
In diesem Sinne hoffe ich, dass auch die Unternehmen
der Kultur- und Kreativwirtschaft sich an der Chancen-
Initiative unter dem Motto »Weil es 2017 ist« beteiligen
und sich für Unterstützung beispielsweise durch die In-
dustrie- und Handelskammern einsetzen. Die Verbän-
de wiederum können die von ihnen vertretenen Un-
ternehmen durch Veröffentlichungen und Veranstal-
tungen verstärkt für das Thema sensibilisieren und in
ihren brancheneigenen Medien für eine regelmäßige
Berichterstattung sorgen. Gerade in einer Branche, die
in besonderer Weise für Innovationskraft steht, sollte
die Gleichberechtigung von Frauen und Männern doch
selbstverständlich und ausreichend Kreativität für de-
ren Förderung vorhanden sein! Und das nicht nur, weil
es 2017 ist, sondern weil es sich im Wettbewerb um die
besten Köpfe langfristig kein Unternehmen mehr leis-
ten kann, auf Frauen – die laut Hillary Clinton »am we-
nigsten genutzte Ressource der Welt« – zu verzichten.

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Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? - Deutscher Kulturrat
Sabrina Dehoff
2006 gründete Sabrina Dehoff mit
ihrer ersten Schmuckkollektion
»Little Helpers« ihre eigene, gleich­
namige Marke. Eigener Stil, zarte
Linien, spielerische Ausführung und
gute Laune sind seither kennzeich-
nend für ihren Schmuck. Im »Online’s
Luxury Guide« von Die Welt wurde
sie zu einer der besten zehn Schmuck-
designer weltweit gewählt. Nicht
erst seitdem tragen Berühmtheiten
wie Beyonce, Helena Christensen,
Sibel Kekilli, Joy Denalane, Heike
Makatsch, Hannah Herzsprung und
viele viele mehr ihre Kreationen.

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Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? - Deutscher Kulturrat
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Wie weiblich ist die Kulturwirtschaft? - Deutscher Kulturrat
I
        n der Studie »Frauen in Kultur und Medien. Ein         und Kreativwirtschaft wird in elf Teilbranchen sowie
        Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklun-         die Kategorie Sonstiges unterteilt. Es sind:
        gen und Lösungsvorschläge«, die im Juni 2016 er-
        schien, wurde sich mit Blick auf die Kultur- und       ԂԂ Musikwirtschaft mit Unternehmen zur Herstel-
    Kreativwirtschaft vor allem auf freiberufliche Künstle-        lung von Musikinstrumenten, dem Einzelhandel
    rinnen konzentriert, die in der Künstlersozialversiche-        mit Musikinstrumenten, dem Einzelhandel mit
    rung versichert sind. Hierzu liegen Daten vor, sodass          bespielten Tonträgern, Tonstudios, Tonträgerver-
    für einen Zeitraum von 20 Jahren – von 1994 bis 2014 –         lagen, Musikverlagen, Musik-/Tanzensembles, Er-
    in fünf Jahresscheiben analysiert werden konnte, wie           bringung von Dienstleistungen für die darstellen-
    sich zum einen die Zahl weiblicher Versicherter im Ver-        de Kunst, selbständige Musikerinnen und Musiker,
    gleich zu der männlicher und wie sich die Einkommen            Theater-/Konzertveranstalter, private Musical-/
    der weiblichen Versicherten im Vergleich zu den Kolle-         Theaterhäuser, Konzerthäuser;
    gen entwickelt haben. Eine Zahl kristallisierte sich he-   ԂԂ Buchmarkt mit Unternehmen der Buchbinde-
    raus: Der »Gender Pay Gap« beträgt im Durchschnitt             rei, dem Einzelhandel mit Büchern, Antiquariate,
    24 Prozent. Oder anders gesagt: Freiberufliche Künst-          Buchverlage, selbständige Übersetzerinnen, selb-
    lerinnen erzielen im Durchschnitt ein um ein Viertel           ständige Schriftstellerinnen und Schriftsteller;
    geringeres Einkommen als freiberufliche Künstler – in      ԂԂ Kunstmarkt mit Unternehmen des Einzelhandels
    einigen Tätigkeitsbereichen wie z. B. Komposition ist          mit Kunstwerken, Einzelhandel mit Antiquitäten,
    der Unterschied noch größer. Mangels Daten konnte              selbständige bildende Künstlerinnen und Künst-
    aber nicht analysiert werden, wie es um die Präsenz            ler, Museumsshops;
    von Frauen in den Führungsetagen der Unternehmen           ԂԂ Filmwirtschaft mit Unternehmen des Einzelhan-
    aus der Kultur- und Kreativwirtschaft bestellt ist. Mit        dels von bespielten Tonträgern etc., Film-/TV-
    Unterstützung Der Beauftragten der Bundesregierung             Produktion, Nachbearbeitung/sonstige Filmtech-
    für Kultur und Medien führte der Deutsche Kulturrat,           nik, Filmverleih und -vertrieb, Kinos, Videothe-
    im Anschluss an die Studie im Jahr 2017, eine Work-            ken, selbständige Bühnen-, Film-TV-Künstlerin-
    shop-Reihe zur Geschlechtergerechtigkeit in der Kul-           nen und Künstler;
    tur- und Kreativwirtschaft durch. Das vorliegende Dos-     ԂԂ Rundfunkwirtschaft mit Unternehmen der Hör-
    sier bildet den Abschluss dieser Reihe.                        funkveranstalter, Fernsehveranstalter, selbständi-
                                                                   ge Journalistinnen und Journalisten, Pressefoto-
    Kultur- und Kreativwirtschaft                                  grafinnen und -fotografen;
    Es wurde sich dabei bewusst auf die Kultur- und Kre-       ԂԂ Markt für darstellende Künste mit Unterneh-
    ativwirtschaft, d. h. die Unternehmen dieser Branche           men des Kulturunterrichts/Tanzschulen, Theate-
    sowie die jeweiligen Unternehmensverbände konzen-              rensembles, selbständige Artistinnen und Artis-
    triert. Unter Kultur- und Kreativwirtschaft wird jener         ten, Zirkusbetriebe, selbständige Bühnen-, Film-
    Teil des Kulturbereiches verstanden, der erwerbswirt-          TV-Künstlerinnen und Künstler, Erbringung von
    schaftlich orientiert ist und anhand dieses Kriteriums         Dienstleistungen für die darstellende Kunst, The-
    vom öffentlichen Kultursektor und dem Non-Profit-              ater- und Konzertveranstalter, private Musical-/
    Sektor abgegrenzt wird. Wobei es zahlreiche Wech-              Theaterhäuser/Konzerthäuser, Varietés und Klein-
    selwirkungen zwischen den Sektoren gibt. Die Kultur-           kunstbühnen;

#starkeKulturwirtschaft
    GABRIELE SCHULZ

    10
ԂԂ Designwirtschaft mit Unternehmen zur Herstel-           4,33 Personen erwerbstätig, davon 3,33 sozialversiche-
    lung von Schmuck/Gold- und Silberschmiedewa-            rungspflichtig. Sehr viele Unternehmen der Kultur- und
    ren, Büros für Innenarchitektur, Werbegestaltung        Kreativwirtschaft sind inhabergeführt, d. h. der wirt-
    (50 Prozent), Industrie-/Produkt-/Modedesign,           schaftliche Erfolg des Unternehmens entscheidet über
    Grafik-/Kommunikationsdesign, Interior Design/          das ökonomische Überleben der Unternehmerin.
    Raumgestaltung, selbständige Fotografinnen und             Aufgrund dieser besonderen Struktur greifen ver-
    Fotografen;                                             schiedene gleichstellungspolitische Maßnahmen nicht.
ԂԂ Architekturmarkt mit Architekturbüros für Hoch-         Das gilt beispielsweise für das Entgeltgleichheitsgesetz,
    bau, Büros für Innenarchitektur, Architekturbü-         das erst ab einer Zahl von 200 Beschäftigten gilt oder
    ros für Orts-, Regional- und Landesplanung, Ar-         aber die gesetzlichen Maßnahmen, die für mehr Frau-
    chitekturbüros für Garten- und Landschaftsge-           en in den Aufsichtsräten und Vorständen sorgen sol-
    staltung, selbständige Restauratorinnen und Res-        len. Hiervon sind Unternehmen der Kultur- und Kre-
    tauratoren;                                             ativwirtschaft nur zu einem verschwindend geringen
ԂԂ Pressemarkt mit Unternehmen des Einzelhandels           Anteil erfasst. Aber auch andere Maßnahmen wie Be-
    mit Zeitschriften und Zeitungen, Verlagen von           triebskindergärten, Eltern-Kind-Zimmer und anderes
    Adressbüchern, Verlagen von Zeitungen, Verlagen         mehr sind für Unternehmen der Kultur- und Kreativ-
    von Zeitschriften, sonstiges Verlagswesen (ohne         wirtschaft schwieriger zu realisieren. Gleiches gilt für
    Software), Korrespondenz- und Nachrichtenbüros,         eine Personalentwicklung, die auf sukzessive Übernah-
    selbständige Journalistinnen und Journalisten,          me von Führungsverantwortung abzielt. In sehr vielen
    Pressefotografinnen und -fotografen;                    Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft gibt es
ԂԂ Werbemarkt mit Werbeagenturen/Werbege-                  wenige Aufstiegschancen, da die erste Führungsebe-
    staltung, Vermarktung und Vermittlung von               ne oft aus der Inhaberin besteht und die zweite Ebene
    Werbezeiten/-flächen;                                   dann unmittelbar die Angestellten bilden. Überdies be-
ԂԂ Software- und Games-Industrie mit Unterneh-             steht in vielen Unternehmen nur eine geringe Fluktua-
    men zum Verlegen von Computerspielen, Ver-              tion, was auf der einen Seite bestehende Teams stärkt
    lagen sonstiger Software, Entwicklung und Pro-          und den Beschäftigten Sicherheit gibt; auf der anderen      Gabriele Schulz ist
    grammierung von Internetpräsentationen, sonsti-         Seite Frauen, die neu- oder wiedereinsteigen, weniger       Stellvertretende
    ge Softwareentwicklung, Webportale;                     Chancen eröffnet, da feste Stellen besetzt sind.            Geschäftsführerin
ԂԂ Sonstige mit Unternehmen zur Herstellung von               In vielen Unternehmen herrscht darüber hinaus ein        des Deutschen
    Münzen oder Fantasieschmuck, selbständige Dol-          Selbstbild, dass ein kreativer Beruf generell nicht fami-   Kulturrates.
    metscherinnen, Fotolabors, privatwirtschaftliche        lienfreundlich ist und wer daher einen solchen Beruf
    Bibliotheken und Archive, botanische und zoolo-         wählt, die Selbstverwirklichung mit Einschränkungen
    gische Gärten sowie Naturparks.                         zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf »erkauft«. Es
                                                            soll allerdings auch nicht verschwiegen werden, dass
Die Aufzählung orientiert sich an der amtlichen Sta- es selbstverständlich Unternehmen gibt, in denen ein
tistik. Im Jahr 2015 konnten 250.600 Unternehmen zur hohes Bewusstsein für das Thema Geschlechtergerech-
Kultur- und Kreativwirtschaft gerechnet werden. Dabei tigkeit besteht, weiblicher Nachwuchs gezielt geför-
sind Doppelzählungen herausgerechnet. Diese Doppel- dert wird und freiwerdende Führungspositionen be-
zählungen entstehen, weil manche Unternehmen meh- wusst mit Frauen besetzt werden.
reren Branchen zugerechnet werden können. Ein Bei-
spiel hierfür sind private Musical-, Theater- und Kon- Workshop-Reihe
zerthäuser, die sowohl zum Teilmarkt Musik als auch Um den Problemen bei der Verwirklichung von Ge-
zum Teilmarkt Darstellende Kunst gehören. Zur Kultur- schlechtergerechtigkeit in der Kultur- und Kreativwirt-
und Kreativwirtschaft gehört die komplette Wertschöp- schaft auf den Grund zu gehen und Lösungsansätze zu
fungskette von den Schöpferinnen künstlerischer Werke, entwickeln, hat der Deutsche Kulturrat die eingangs
also den Urheberinnen, über ausübende Künstlerinnen erwähnte Workshop-Reihe durchgeführt.
zu sogenannten Verwertern künstlerischer Leistungen            Im ersten Workshop wurde zum einen eruiert, wel-
bis hin zu den Vermarktern, sprich dem Einzelhandel che Rolle das Thema Geschlechtergerechtigkeit in den
mit künstlerischen Produkten, der an die Endkunden Verbänden spielt. Hier zeigte sich ein uneinheitliches
verkauft. Oder um es anders zu sagen: Sowohl die selb- Bild: neben Verbänden, die sich gezielt diesem The-
ständigen Künstlerinnen als auch die sogenannten ver- ma widmen, wie die Bücherfrauen, oder die es zuneh-
wertenden Unternehmen gehören zur Kultur- und Kre- mend in den Vordergrund rücken, wie der Verband un-
ativwirtschaft. Es ist daher nur folgerichtig, dass im Fol- abhängiger Musikunternehmen, gaben andere zu Pro-
genden Verantwortliche aus Unternehmen sowie Künst- tokoll, dass die Fragestellung eine untergeordnete bis
lerinnen zu Wort kommen. Gemessen an der Gesamtzahl gar keine Rolle spielt. In einem zweiten Schritt wur-
an Unternehmen in Deutschland stellen die Unterneh- de nachgefragt, wie es um die Geschlechtergerechtig-
men der Kultur- und Kreativwirtschaft 7,64 Prozent. Sie keit im Tätigkeitsbereich bestellt ist. Auch hier zeig-
erzielten im Jahr 2015 einen Umsatz von schätzungswei- te sich ein durchaus differenziertes Bild. So wurde von
se 150 Milliarden Euro. In der Kultur- und Kreativwirt- der Entwicklung berichtet, dass Unternehmen, in de-
schaft sind 1.084.936 Erwerbstätige tätig.                  nen traditionell Frauen einen erheblichen Teil der Be-
   Die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft schäftigten stellen, in dem Moment, in dem technische
unterscheiden sich von Unternehmen anderer Wirt- Berufe aufgrund der Digitalisierung an Bedeutung ge-
schaftszweige dadurch, dass es sich in der Mehrzahl winnen, nochmal mehr Männer beschäftigen. Oder um
um Klein- und Kleinstunternehmen handelt. Durch- es einfacher zu sagen: je technischer ein Beruf, desto
schnittlich waren im Jahr 2015 in einem Unternehmen weniger Frauen.

                                                                                                                11
Zum zweiten Workshop wurden gezielt Netzwerke von        Zu diesem Dossier
Frauen sowie Vertreterinnen von Mentoring-Program-       In diesem Dossier werden die geschilderten Facetten
men für Frauen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft     der Kultur- und Kreativwirtschaft beleuchtet. In In-
eingeladen. Hier stand die Frage im Vordergrund, wel-    terviews kommen sowohl Arbeit- und Auftraggeber als
che Funktionen Netzwerke haben, um Frauen den Weg        auch freiberufliche Künstlerinnen aus der Kultur- und
in Führungsverantwortung zu ebnen und wie dabei          Kreativwirtschaft zu Wort. Sieben Frauen aus der Bran-
Mentoring-Programme unterstützen können.                 che werden porträtiert. Es wird ein Blick über die Kul-
   Statt eines dritten Workshops wurden fragebogen-      tur- und Kreativwirtschaft hinaus in andere Branchen
gestützte Interviews mit Personalverantwortlichen        geworfen und es werden Verbände, die sich speziell
oder Inhabern von Unternehmen der Kultur- und            mit dem Thema Frauen in der Kultur- und Kreativwirt-
Kreativwirtschaft geführt. Dabei ging es um die Fra-     schaft befassen, kurz vorgestellt. Die Fotos zeigen Un-
ge, welche Rolle das Thema Geschlechtergerechtigkeit     ternehmerinnen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft.
im Unternehmen spielt, inwiefern sich um die Verein-        Der Deutsche Kulturrat wird nicht zuletzt im Pro-
barkeit von Familie und Beruf bemüht wird, ob Frau-      jektbüro »Frauen in Kultur und Medien« weiter an dem
en in Führungspositionen tätig sind oder ob es Maß-      Thema dranbleiben und zeigen, dass auch die Kultur-
nahmen gibt, damit mehr Frauen Führungsverantwor-        und Kreativwirtschaft durch starke Frauen lebt.
tung übernehmen.
   Die Ergebnisse der ersten beiden Workshops sowie
der Interviews wurden in einem dritten Workshop zu-
sammengeführt und mit Teilnehmerinnen aller Work-
shops diskutiert. Hieraus wurden Schlussfolgerungen
gezogen, welche die Politik und Verwaltung, die Ver-
bände, die Unternehmen selbst sowie Ausbildungsin-
stitutionen betreffen.
   Die Ergebnisse der internen Workshops werden in
die weiteren Debatten des Projektbüros Frauen in Kul-
tur und Medien beim Deutschen Kulturrat eingespeist
und dort zur Diskussion gestellt. Weiter sollen sie an
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des »Runden Ti-
sches Frauen in Kultur und Medien«, der von Kultur-
staatsministerin Monika Grütters einberufen worden
war, weitergegeben werden.

                      12
Vernetzen,
informieren, ­
unterstützen
GABRIELE SCHULZ

D
        as Projektbüro »Frauen in Kultur und Medien«       legte der Deutsche Kulturrat die umfängliche Studie
        versteht sich als Mittler. Seine finanzielle Un-   »Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktu-
        terstützung im Rahmen eines über drei Jahre        elle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschlä-
laufenden Projektes wurde von Kulturstaatsministerin       ge« vor. In dieser Studie wurde unter anderem für ei-
Monika Grütters MdB im Juli dieses Jahres bei der Ab-      nen Zeitraum von 20 Jahren (1994 bis 2014) herausgear-
schlussveranstaltung des Runden Tisches der Kultur-        beitet, wie sich die Anzahl von Studentinnen und Pro-
staatsministerin zu Frauen in Kultur und Medien ange-      fessorinnen in den künstlerischen Fächern entwickelt
kündigt. An diesem Runden Tisch trafen sich im ersten      hat, wie viel bzw. wie wenig freiberufliche Künstlerin-
Halbjahr 2017 auf Einladung von Kulturstaatsministe-       nen verdienen, wie sie an der individuellen Künstlerin-
rin Grütters Expertinnen und Experten aus Kultur und       nen- und Künstlerförderung partizipieren und wie sie
Medien, um über das Ziel »Mehr Geschlechtergerech-         in Leitungsfunktionen von Kulturinstitutionen vertre-
tigkeit in Kultur und Medien« zu diskutieren.              ten sind. Eine wichtige Forderung des Deutschen Kul-
   Ein Ergebnis dieses Runden Tisches ist das Projekt-     turrates war im September 2016, diese Erhebungen zu
büro »Frauen in Kultur und Medien«. Es ist beim Deut-      verstetigen. Es werden daher bis Mitte 2020 vier Daten-
schen Kulturrat, einer zivilgesellschaftlichen Organi-     reports erscheinen, in denen sich konzentriert mit Ein-
sation, angesiedelt. Der Deutsche Kulturrat mit seinen     zelaspekten befasst wird. Der erste Datenreport wird
acht Sektionen und 257 angeschlossenen Verbänden           voraussichtlich dem Thema Ausbildung gewidmet sein.
und Institutionen aus Kultur und Medien repräsen-          Es wird so bis zum Jahr 2020 eine Datenreihe entstehen.
tiert die gesamte Breite und Vielfalt des Kultur- und         Die Akteurinnen und Akteure des »Runden Tisches«
Medienbereiches. Ihm gehören sowohl Verbände der           von Kulturstaatsministerin Monika Grütters regten bei
Künstlerinnen und Künstler, der Kultureinrichtungen,       ihrem zweiten Treffen eine Fortführung der Gespräche
der Kulturvereine als auch der Kulturwirtschaft an. In     und einen regelmäßigen Austausch an. Diese Anregung
seiner Arbeit führt er die unterschiedlichen Interessen    wird aufgegriffen. Künftig soll einmal im Jahr der Run-
aus dem Kultur- und Mediensektor zusammen, ver-            de Tisch tagen. Die inhaltliche Verantwortung für diese
dichtet diese und erarbeitet hieraus gemeinsame, von       Treffen ist an den Deutschen Kulturrat übergegangen.
allen getragene Positionspapiere und Stellungnahmen.          Um über die Arbeit des Projektbüros zu informieren
   Zum Thema Geschlechtergerechtigkeit hat sich der        und um Tendenzen sowie aktuelle Entwicklungen auf-
Deutsche Kulturrat im September 2016 in einer Stel-        zuzeigen, werden drei Dossiers erscheinen, die der Zei-
lungnahme positioniert und mehr Geschlechtergerech-        tung Politik & Kultur des Deutschen Kulturrates beige-
tigkeit im Kultur- und Mediensektor eingefordert. Da-      legt und jeweils einem Thema gewidmet sein werden.
bei hat er nicht nur Forderungen an andere gerichtet,         Ein Novum für den Deutschen Kulturrat wird die
sondern auch sich selbst zu mehr Geschlechtergerech-       Auflage eines Mentoring-Programms für Frauen aus
tigkeit in seinen Gremien verpflichtet.                    Kultur und Medien sein, die vor dem nächsten Karri-
   Das Projektbüro »Frauen in Kultur und Medien«           ereschritt stehen. Das Programm wird sich an berufs-
setzt auf die Kompetenz und das Fachwissen der Mit-        tätige Frauen richten, die bereits einige Erfahrungen
glieder des Deutschen Kulturrates. In einem Arbeits-       im Berufsleben gesammelt haben und vor der Frage
kreis Geschlechtergerechtigkeit, der sich aus Vertre-      stehen, in welche Richtung sie sich weiterentwickeln
terinnen und Vertretern der Mitglieder des Deutschen       wollen, welche Aufgaben sie in einer neuen Funktion
Kulturrates zusammensetzt, sollen Handlungsbedarfe         erwarten, wer ihnen Türen öffnen kann und wie beste-
analysiert und herausgearbeitet werden. Der Arbeits-       hende Hindernisse überwunden werden können. Mit
kreis wird die Arbeit des Projektbüros begleiten. Dass     dem Mentoring-Programm soll im Jahr 2018 gestartet
beim Thema Geschlechtergerechtigkeit auch in den           werden. Ein besonderes Augenmerk liegt auf Frauen
eigenen Reihen noch Handlungsbedarf besteht, ist an        in kulturwirtschaftlichen Unternehmen.
der Zusammensetzung dieses Arbeitskreises abzule-             Vernetzen, informieren, unterstützen, das sollen die
sen. Fast ausschließlich Frauen scheinen sich für die-     zentralen Bausteine des Projektbüros »Frauen in Kul-
ses Thema zu interessieren. Hier besteht die Aufga-        tur und Medien« sein. Im Projekt sind wir offen für An-
be, Männer weiter dafür zu sensibilisieren, dass Ge-       regungen und Gespräche.
schlechtergerechtigkeit auch sie angeht. Im Juni 2016

                                                                                       13
14
Keine Männer-
       Frauen-Frage
ANNETTE HÄFELINGER IM GESPRÄCH

       Wie sieht es in der Designbranche mit           Projekte werden in der Regel auf eine fixe
       Frauen in Führungspositionen aus?               Deadline hin realisiert. Teilzeitbeschäfti-
       Ein Designstudium ist bei Frauen beliebt,       gungsverhältnisse auf Führungsebene sind
       daher finden sich in diesem Bereich vie-        praktisch kaum umsetzbar.
       le Frauen. Ich habe sehr viele hochtalen-       Gibt es für das Thema in Ihrer Branche
       tierte junge Frauen mit enormem Poten-          ein Problembewusstsein?
       zial kennengelernt. Doch im Laufe des Be-       Ich denke, dass dies mittlerweile in der
       rufslebens kehrt sich das Verhältnis um –       Designbranche angekommen ist. Je grö-
       das ist meine persönliche Beobachtung. In       ßer eine Agentur, desto einfacher wird es.
       der Designbranche stehen einige herausra-       Ab einer bestimmten Agenturgröße kann
       gende Frauen an der Spitze, aber die Män-       eine Stelle zwischenbesetzt werden, sodass
       ner dominieren. Im Deutschen Designer-          eine Mitarbeiterin nach dem Mutterschutz
       club (DDC) überlegten wir oft händerin-         auf ihre ursprüngliche Position zurückkom-
       gend, welche Referentin oder Jurorin wir        men kann. Da kann man anders jonglieren.
       einladen könnten. Die Auswahl ist dünn.         Grundsätzlich gibt es einen Mangel an hoch
       Woran liegt dieses Ungleichgewicht zwi-         qualifizierten, sehr gut ausgebildeten Mit-
       schen Ausbildung und Berufskarriere?            arbeiterinnen und Mitarbeitern in der Kre-
       In meiner früheren Agentur häfelinger +         ativwirtschaft. Gute, spezialisierte Fach-
       wagner design haben wir versucht, bei Ein-      kräfte werden dringend gesucht. Für mich
       stellungen neutral zu sein. Auf der Füh-        bezieht sich das Problembewusstsein al-
       rungsebene bildeten wir – als Mann und als      lerdings auf Frauen wie auf Männer. Vie-
       Frau – ein gleichberechtigtes Team. Die De-     le junge engagierte Väter möchten zuneh-
       signbranche ist kein einfaches Feld. Dead-      mend ihre Vaterrolle bewusst leben und
       lines, Präsentationen und Kundentermine         mitbekommen, wie ihre Kinder aufwach-
       bestimmen den Alltag. Technische Entwick-       sen. Sie möchten ihre Kinder aus Kitas oder
       lungen und die Medienauffächerung sorgen        Schulen abholen, legen Wert auf gemeinsa-
       für einen gravierenden Umbruch. Prozes-         me Mahlzeiten. Agenturen und Designbü-
       se und Abstimmungen werden kurztaktiger,        ros versuchen mehr und mehr, flexible Ar-
       ein hohes Maß an Flexibilität ist gefordert.    beitszeitmodelle zu etablieren. Die Technik
       Betreut eine Mitarbeiterin oder ein Mitar-      heute eröffnet viele Möglichkeiten, die es
       beiter in einer kreativen Leitungsposition      erlauben, dass man z. B. abends noch ein
       hauptverantwortlich Kinder, wird es schwie-     paar Stunden arbeitet oder Homeoffice-
       rig. Beispielsweise sind Zeiten vor wichtigen   Tage nimmt. Solche Möglichkeiten wer-
       Präsentationen in der Regel verdichtet und      den zunehmend genutzt und erleichtern
       intensiv. Er oder sie steht mit dem Team in     den Alltag. Ich kenne Agenturen, die sich
       ständigem Austausch. Wenn ein Teamver-          bewusst eine Vereinbarkeit zwischen Beruf
       antwortlicher oder eine Teamverantwortli-       und Familie auf die Fahnen schreiben. Das
       che früh geht, weil er oder sie das Kind ab-    hat manchmal mit den persönlichen Hin-
       holen muss oder ein Kind erkrankt, muss         tergründen von Firmeninhabern zu tun, die
       der Prozess dennoch weiterlaufen. Das kann      sich in einer ähnlichen Situation befinden.
       zu Schwierigkeiten führen. Das gilt auch für    Es gibt große, aber auch viele kleinere
       die Kundenberatung, die zum Kunden und          Agenturen: Ist es in den kleinen Agen-
       zum Team den Kontakt hält, Kundenwün-           turen schon wegen der geringen Fluktu-
       sche einbringt, mit dem Team kommuni-           ation schwierig, als Führungskraft nach-
       ziert und in alle Richtungen Feedback gibt.     zurücken?

                                                                       15
In einer kleinen Agentur gibt es wenig Füh-     Vordergrund: Passt jemand ins Team? Ist
rungspositionen. Kleine Studios sind oft in-    er oder sie qualifiziert? Wie sieht das Port-
habergeführt. Je größer eine Struktur ist,      folio aus? Welche Projekte hat er oder sie
desto mehr Positionen und Hierarchieebe-        schon realisiert?
nen gibt es. Größere Agenturen haben in         Eine Möglichkeit wären anonymisierte
der Regel eine höhere Fluktuation, so ent-      Bewerbungsverfahren. Was halten Sie
stehen Optionen auf Leitungspositionen.         davon?
Ich möchte zwischen den Geschlechtern           Diese Diskussion habe ich bei Siemens mit-
nicht trennen. Ich habe festgestellt, dass      bekommen. Das finde ich nicht schlecht,
es eine Frage des Menschentyps ist, ob je-      weil ich glaube, dass es eine gewisse Vor-
mand eine Führungsposition anstrebt oder        Selektion gibt. Dennoch muss man irgend-
nicht. Ich habe viele Männer kennengelernt,     wann mit dem Bewerber ins persönliche
die sich in der »zweiten Reihe« mit kreati-     Gespräch kommen, um eine Entscheidung
ven oder anderen Aufgaben sehr wohlfüh-         zu treffen. Spätestens dann ist die Anony-
len, die im Hintergrund bleiben möchten.        mität aufgehoben.
Die Frage ist: Ist er oder sie bereit, in die   Denken Sie, dass ein solches Verfahren
erste Reihe zu treten, zum Kunden zu ge-        in Ihrer Branche eine Chance hätte?
hen, zu beraten, zu präsentieren, ein Team      Ja, ich habe das Gefühl, dass wir mittler-
zu leiten und Verantwortung zu überneh-         weile gesellschaftlich auf einem anderen
men? Das ist keine Männer-Frauen-Frage,         Level angekommen sind. Das Bewusstsein
sondern eine Typ-Frage.                         für diese Frage hat sich viel stärker veran-
Hat sich das in den vergangenen Jahren          kert. Solche Überlegungen werden bei ei-
verändert? Das Klischee sagt, dass Frau-        nem technologieorientierten DAX-30-Kon-
en gerne in der zweiten Reihe bleiben.          zern wie der Siemens AG diskutiert, das ist
Das ist wirklich ein Klischee. Wir müssen       bemerkenswert. Ich kann mir das auch für
in der Geschlechterdiskussion sehr auf-         die Designbranche vorstellen.
passen, dass wir Frauen uns nicht in eine       Beobachten Sie im Designbereich einen
solche Rolle begeben und sie uns einre-         »Gender Pay Gap«?
den, weil sie wiederholt zitiert wird. Dass     Ich bin überzeugt, dass es eine ungleiche
wir nicht sagen: Frauen sind leise, beschei-    Bezahlung gibt. Heute habe ich für diese
den, verständnisvoll, sozial und nicht in der   Frage einen sensibleren Zugang und ein be-
Lage, Projekte ergebnisorientiert und effi-     sonderes Augenmerk als früher. Man darf
zient zu managen. An diese Klischees glau-      sich grundsätzlich nicht unter Wert ver-
be ich nicht. Ich kenne viele Top-Frauen in     kaufen, sollte aufmerksam sein und man
meinem persönlichen Umfeld, die eine be-        braucht den Willen, zu sagen: Ich will das
rufliche Karriere nach ganz oben machten.       und das verdienen – da muss man schon
Kommen Kinder ins Spiel, stellt sich die        fast ein bisschen skrupellos sein.
Frage: Wie gehen die Partner mit der Ver-       Würde Gehaltstransparenz in Unterneh-           Annette Häfelinger ist
antwortung um? Zieht der Partner nicht mit      men Abhilfe schaffen?                           Expertin für integ­rierte
oder gibt es Schwierigkeiten mit der Kin-       Da bin ich nicht ganz sicher. Transparenz       Unternehmens- und
derbetreuung (Wartelisten bei Kita-Plät-        erzeugt auch Unmut. Es wird immer Men-          Finanzkommuni­kation
zen etc.), dann wird die Belastung für Frau-    schen geben, die überzeugt sind, sie würden     sowie Marken­entwicklung
en oft zu groß. Das ist oft der Grund dafür,    ungerecht behandelt und unter Wert be-          und In­haberin der Agen-
dass Frauen in eine kleinere Einheit, in ein    zahlt. Vielleicht wären Foren hilfreich, auf    tur häfelinger design.
kleines Studio oder in die Freiberuflichkeit    denen man sich austauschen kann.                Die Fragen stellte Barbara
wechseln. Dort können sie flexibler arbei-      Hat das auch mit dem Selbstbewusstsein          Haack – sie ist Journa­
ten und nehmen in der Regel ein geringe-        von Frauen zu tun?                              listin und Moderatorin.
res Einkommen in Kauf.                          Ja. Man sollte sich mehr trauen, über das
Wie ist das bei der Einstellung? Erleben        Thema Geld und Verdienst zu sprechen.
Sie es, dass Frauen mit Kindern bei der         Vielleicht sollten wir nach Amerika schau-
Bewerbung schlechtere Chancen haben?            en; die Amerikaner haben ein lockereres
Bei uns hat das keine Rolle gespielt.           Verhältnis zu der Frage: Was verdienst du?
Vielleicht auch, weil Sie als weibliche         Ein stärkerer Austausch wäre gut, um ein
Führungskraft das anders sehen?                 besseres Gespür für geschlechterneutrale
Das kann sein. Bei uns stand die Frage im       Bezahlung zu bekommen.

                       16
Wissen Sie etwas über Mentoring-Pro-          Wie denken Sie über eine Quote in Un-          tierung Normen oder Vorgaben gäbe – auf
gramme in der Designbranche? Werden           ternehmen?                                     freiwilliger Basis. Immer mehr NGOs, Ver-
die genutzt?                                  Grundsätzlich bin ich gegen die Quote,         bände und Organisationen achten auf die-
Beim DDC stellten wir die Generationsfrage    aber ich sehe, dass der Ruf nach der Quo-      se Themen und veröffentlichen sie. Die so-
in den Mittelpunkt. Wir machen das nicht      te hilft. Bei Siemens betrug der Frauenan-     zialen Medien bieten heute sehr viele Mög-
an Frauen fest. Es ging um die Förderung      teil in Vorstand- und Aufsichtsrat im Jahr     lichkeiten, einen gesellschaftlichen Druck
der jungen Generation, also derjenigen, die   2016 30 Prozent, was sehr positiv ist. Glo-    zu erzeugen. Dem können sich Unterneh-
jetzt am Start sind. Mentoring-Program-       bale Dax-30-Unternemen stehen unter in-        men nicht dauerhaft verschließen.
me für Frauen empfinde ich als diskrimi-      tensiver medialer, öffentlicher und gesell-    Wenn wir über Preise, Auszeichnungen,
nierend. Das wirkt so, als seien Frauen be-   schaftlicher Beobachtung. Insofern erzeugt     Wettbewerbe sprechen: Ist eine Quote in
sonders hilfebedürftig oder schutzwürdig.     die Diskussion um die Quote einen öffent-      Gremienbesetzungen für Sie ein Thema?
Wichtig ist, dass die junge Generation ins-   lichen Druck, der auch dazu beiträgt, dass     Der DDC führt den Designwettbewerb
gesamt gefördert wird, dass es dafür Pro-     Unternehmen ein stärkeres Bewusstsein für      »Gute Gestaltung« seit 2000 jährlich durch.
gramme gibt. Es wäre gut, wenn Themen         dieses Thema entwickeln.                       Wir achten seit Jahren darauf, dass die Jury
wie Verdienstmöglichkeiten und Gehalts-       Sehen Sie das als gesetzliche Regelung         ausgewogen ist, daher ist der Anspruch auf
verhandlungen auch im Studium vorkämen,       oder als freiwillige Branchenregelung?         Ausgewogenheit im Wettbewerbskodex ver-
ebenso die Frage, wie man sich präsentiert.   Eine gesetzliche Regelung widerstrebt mir.     ankert. Das klappt mal ein bisschen bes-
Das sollte nicht geschlechterbezogen sein.    Wie weit sollte man selbstständigen, ge-       ser, mal ein bisschen schlechter. Beim DDC
Mentoring-Programme oder Netzwerke            rade kleineren Unternehmen überhaupt           wurde ich 2015 in den Vorstand gewählt, als
sind auch gedacht, um das »standing«          gesetzliche Vorschriften machen?               erste Frau nach über 25 Jahren. Das spricht
von vorwiegend jungen Frauen zu stär-         Gerade kleine Firmen haben es generell         Bände, denn die Designbranche ist eine
ken, wo es offenbar Nachholbedarf gibt.       schwer. Die Auftragslage schwankt. Kleine      Männerdomäne.
Ich bin in keinem einzigen Frauennetzwerk     Studios müssen ausloten, wie sie zurecht-
vertreten, ich meide das. Aber: Ich bin in    kommen, brauchen Flexibilität. Restriktive
vielen Netzwerken vertreten und engagie-      Auflagen erschweren es, unternehmerisch
re mich dort. Es wäre besser, es gäbe Men-    tätig zu sein. Bei den Großen, den »Schwer-
toring-Programme für junge Menschen, da-      gewichten«, die wirtschaftlich anders aufge-
mit alle die gleichen Chancen haben.          stellt sind, wäre es gut, wenn es zur Orien-

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Martina Flor
Martina Flor ist in Buenos Aires aufge-
wachsen, studierte Kommunikations­
design in Barcelona und Den Haag, um
sich schließlich in Berlin mit ihrem
eigenen Studio niederzulassen. Was für
ein Glück für die deutsche Kultur- und
Kreativwirtschaft! Denn fragt man nach
bekannten Frauen in der Designbran-
che – wird ihr Name als einer der ersten
genannt. Flor ist Designerin und Illustra-
torin und arbeitet in drei Sprachen für
Kunden, Agenturen, Zeitschriften und
Verlage rund um den Globus. Arbeitet
sie nicht kommerziell, ist sie mit der
Mitgründung des Projekts »Lettering vs
Calligraphy«, der Gründung von »Letter
Collection«, eigenen Briefdesign-Work-
shops sowie Vorträgen an mehreren Uni-
versitäten beschäftigt. Qué mujer!
Ein gesamtgesell-
         schaftliches Problem
                        ANETT GRAF IM GESPRÄCH

Wie viele Mitarbeiter haben Sie insgesamt, wie vie-
le davon sind Frauen?
Wir haben ca. 300 Mitarbeiter, davon sind 30 Prozent
Frauen. Das ist im Vergleich zu anderen Unternehmen
im Games- und IT-Umfeld überdurchschnittlich. Wir
als Firma können sehr stolz darauf sein, dass wir eine
sehr hohe Frauenquote im IT-Umfeld haben.
Wie viele Frauen haben Führungspositionen?
Wir haben ungefähr 50 Führungskräfte, davon sind sie-
ben Frauen, sowohl in der ersten Ebene direkt unter
der Geschäftsleitung als auch in den Ebenen darunter.
Wie setzt sich die Geschäftsleitung zusammen?
Die Geschäftsleitung besteht aus fünf Leuten: dem Vor-
stand, der Gründer der Gameforge AG ist, und weite-
ren vier Geschäftsführern, die für bestimmte Firmen-
bereiche verantwortlich sind. Unter diesen fünf ist kei-
ne Frau. Bis vor zwei Jahren hatten wir ein weibliches
Geschäftsleitungsmitglied.
Wird bei Ihnen Wert darauf gelegt, Frauen verstärkt
in Führungspositionen zu bringen?
Explizit ist das kein Thema. Es gibt keine speziellen
Förderprogramme, um mehr Frauen in solche Positio-
nen zu bringen. Wir schauen auf Leistung, Kompetenz
und Engagement. Das tun wir völlig geschlechterun-
abhängig. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sa-
gen, dass ich mich nicht anders als meine männlichen
Kollegen behandelt fühle. Es zählt einfach das, was ich
leiste und mitbringe.
Nehmen Sie wahr, dass Frauen in Ihrem Unterneh-
men nach solchen Führungspositionen streben?
Wir haben vor einigen Jahren ein Führungskräftenach-
wuchsprogramm aufgesetzt. Wir fragen dafür im Un-
ternehmen offen ab, wer, egal ob Mann oder Frau, sich
als Führungskraft weiterentwickeln möchte. Diese po-
tenziellen Führungskräfte bewerben sich mit einem
Motivationsschreiben. Die Kandidaten, die geeignet
erscheinen, gehen in ein Programm, das ungefähr ein
halbes Jahr läuft. Dort statten wir sie mit allem aus, was
sie für die Rolle und die Aufgaben einer Führungskraft
brauchen: Trainings zum Thema Kommunikation, Mit-
arbeiterführung, Arbeitsrecht und Projektmanagement.
Sind auch Frauen dabei?
Ja. Das sind Gruppen von zehn bis zwölf Mitarbeitern;
auch hier liegt das Verhältnis bei ungefähr drei Frau-
en zu sieben Männern. Viele dieser Kollegen, die das
in den letzten Jahren durchlaufen haben, sind heu-

                        20
te Führungskräfte. Aber das machen wir nicht spezi-       was sie selber angeben wollen. Wenn sie kein Foto mit-
ell für Frauen. Wir schauen auch nicht darauf, ob das     schicken, dann werden wir das nicht anfordern. Wenn
Verhältnis stimmt.                                        jemand in seinem Lebenslauf seinen Familienstand
Wie ist die Situation in Ihrem Unternehmen oder           oder die Anzahl seiner Kinder nicht angibt, dann fra-
auch in der Branche allgemein: Spüren Sie den             gen wir nicht nach, weil uns das nicht interessiert. Mich
Fachkräftemangel?                                         interessiert, was jemanden bewegt, sich bei uns zu be-
In den Medien wird darüber derzeit viel berichtet. Für    werben, was er spannend findet an der Aufgabe, was er
unser Unternehmen würde ich das nicht unterschrei-        in der Vergangenheit gemacht hat, welche Qualifikati-
ben. Natürlich merken wir, dass das Recruiting extrem     on, welches Engagement und welche Motivation er hat.
schwierig geworden ist. Man muss als Arbeitgeber ein-     Es spielt für mich keine Rolle, wie alt er ist, wo er vor-
fach viel mehr tun, um auf sich aufmerksam zu machen.     her gelebt hat, wie viele Kinder er hat oder ob er drei-
Es ist ein ganz klassischer Bewerbermarkt, vor allen      mal geschieden ist. Das einzige, was wir hinterfragen,
Dingen in den technischen Berufen, in der IT und im       ist inhaltsbezogen.
Gaming. Die Leute können sich ihren Job aussuchen,        Heftig diskutiert ist der »Gender Pay Gap«, also
wenn sie gut sind. Aber wir finden nach wie vor die       die Tatsache, dass viele Frauen mit der gleichen
Menschen, die wir brauchen. Wir bekommen sehr viele       Arbeit weniger verdienen als Männer. Sehen Sie
Bewerbungen von Frauen auch für technische oder IT-       das bei sich auch?
Berufe, die wir genauso bewerten und beurteilen, wie      Nein. Bei uns zählt bei der Vergütung immer Leistung
wir das mit denen der männlichen Mitbewerber tun.         und Engagement. Wir haben eine strukturierte und
Erleben Sie, dass Familiengründung dazu führen            starke Kontrolle durch uns als Human Resources, um
kann, dass Frauen seltener in Führungspositio-            ein gutes Ranking und keine Ausreißer zu haben, son-
nen kommen?                                               dern eine Gleichbehandlung in der Bezahlung nach
Nein, das würde ich nicht sagen. Ich kann aus eigener     Leistung. Das prüfen wir regelmäßig nach. Wir schau-
Erfahrung sprechen: Meine Tochter ist sechs Jahre alt,    en nach Vergleichspositionen, gucken, was im Markt
ich bin seit knapp drei Jahren in dieser Position. Ich    und was in der Region gerade bezahlt wird. So legen
bin also mit einem dreijährigen Kind und Teilzeitar-      wir ein Gehaltsniveau oder eine Gehaltsbandbreite fest.
beit auf die Führungsposition gekommen. Als ich mich      Hintergrund dieser Frage ist unter anderem, dass
für diese Position intern bewarb, war es nie ein The-     die Frauen in den Bewerbungsgesprächen niedri-
ma, dass ich zu dem damaligen Zeitpunkt nur 30 Stun-      ger einsteigen mit ihren Forderungen.
den gearbeitet habe.                                      In zwei Fällen habe ich selber reagiert, als sich jemand
Sind Sie ein familienfreundliches Unternehmen?            beworben hat und deutlich unter dem war, was wir be-
Ja, ich würde uns als sehr familienfreundliches Unter-    reit waren zu zahlen. Das machen wir dann nicht, weil
nehmen bezeichnen. Genau das hilft mir dabei, mei-        es unfair wäre. Da hat eine Frau mehr bekommen als
nen Job als Führungskraft zu machen. Ich habe eini-       das, was sie gefordert hat.
ge Kolleginnen, die auch Kinder haben und trotzdem        Was halten Sie von der Einführung einer Quote?
eine Führungsposition oder eine verantwortungsvolle       Meine persönliche Meinung ist: Nein, warum auch?
Produktposition bekleiden. Wir haben flexible Arbeits-    Für uns ist es kein Thema. Es zählen Leistung und En-
zeiten. Wir haben keine Von-Bis-Zeiten, sondern jeder     gagement. Wenn wir eine Geschäftsführerposition zu
kann seine Arbeitszeit frei gestalten. Wir haben immer    besetzen hätten, käme es darauf an, welche Kandida-
die Möglichkeit, Homeoffice zu machen. Wir reagieren      ten wir finden. Ich würde sehr gerne eine Frau ein-
als Unternehmen entspannt, wenn sich jemand – auch        stellen, aber wenn ich keine finde, die eine bestimmte
spontan – um sein Kind kümmern muss. Wir haben kei-       Kompetenz und Qualifikation mitbringt: Was soll ich
ne festen Richtlinien, weil für uns die Familie und die   dann tun? Ich kann nicht jemanden einstellen, der ein-
Kinder einfach an erster Stelle stehen.                   fach schlecht ist.
Woher kommt eine solche Einstellung im Unter-             Über Mentoring-Programme in Ihrem Unterneh-
nehmen, gerade wenn keine Frauen in der Ge-               men haben Sie gesprochen. Wissen Sie, ob es so et-
schäftsleitung sind?                                      was in Ihrer Branche gibt?
Wir sind trotz unserer Größe ein sehr familiäres Un-      An Frauenförderungsthemen aus der Branche kenne              Anett Graf ist Head
ternehmen. Unsere Geschäftsleiter haben alle Fami-        ich die Initiative »Womenize« von Ruth Lemmen. Das           of Human Resources
lie und wissen um die Schwierigkeiten und herausfor-      ist eher ein Netzwerk und ein publizistisches Projekt,       bei Gameforge, dem
dernden Situationen, denen man sich stellen muss. Das     das Aufmerksamkeit herbeiführen soll. Das hat nicht so       weltweiten Markt­
ist immer ein Teil der DNA gewesen, welche Game-          viel mit konkreter Umsetzung in Unternehmen zu tun.          führer im Bereich der
forge ausmacht. Natürlich sind wir ein Unternehmen,       Es gibt noch das Netzwerk »Women in Games«, über             Free-to-Play-Spiele.
das wirtschaftlich denkt, arbeitet und schauen muss,      das viel Recruiting passiert und in dem speziell Frau-       Die Fragen stellte
dass Umsätze stimmen und die nötige Produktivität         en ihre Projekte der Gamesbranche vorstellen. Zum            Barbara Haack – sie
an den Tag gelegt wird. Aber unter all dem vergessen      Thema Führungspositionen gibt es noch PANDA, ein             ist Journalistin und
wir nicht, dass wir hier Menschen sind und ein vertrau-   Netzwerk für Führungsfrauen. Das bezieht sich aber           Moderatorin.
ensvolles Umfeld benötigen, um mit unseren Mitarbei-      nicht nur auf die Gamesbranche.
tern zu arbeiten.                                         Wäre es sinnvoll, man setzte viel früher an und
Haben Frauen mit Kind, die sich bewerben, für Sie         versuchte, Interesse bei jungen Mädchen für diese
einen Einstellungsnachteil?                               Arten von Ausbildungen und Berufen zu wecken?
Nein.                                                     Ja, aber das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Was halten Sie von anonymisierten Bewerbungen?
Das machen wir nicht. Ich persönlich mag das über-
haupt nicht. Kandidaten bewerben sich bei uns mit dem,

                                                                                                               21
Nicht in jeder
                    Hinsicht perfekt
F L E A H O E F L VO N LÖ H N E YS E N I M G E S P R ÄC H

22
Wie viele Mitarbeiter hat Ihr Unterneh-          Man könnte das machen. Aber ob es hilft?        Flea Hoefl von Löhneysen
men, und wie viele davon sind Frauen?            Ich habe neulich einen Mitarbeiter oder         ist Managing Director
Wir haben elf Mitarbeiter, darunter fünf         Mitarbeiterin gesucht. Ich habe da nicht        von Guerilla Music Promotion.
Frauen.                                          auf die Namen geguckt, nur auf das, was         Die Fragen stellte Barbara
Und Sie stehen an der Spitze?                    sie bisher gemacht haben.                       Haack – sie ist ist Journa­listin
Ja, genau.                                       Und Sie haben auch nicht darauf ge-             und Moderatorin.
Gibt es weitere Führungskräfte?                  achtet, ob da jemand ein Kind hat oder
Es gibt mich und einen männlichen Mitar-         nicht?
beiter, der schon sehr lange dabei ist.          Nein. Das ging aus den Bewerbungen gar
Spielt es für Sie eine Rolle, wenn Sie           nicht hervor. Das frage ich auch nicht ab.
Menschen einstellen, ob es Frauen oder           Wie finden Sie Ihre Nachwuchsführungs-
Männer sind?                                     kräfte und wie schwierig ist das? Gibt es
Eigentlich nicht.                                bei Ihnen einen Fachkräftemangel?
Das heißt, Sie stellen ein nach …?               Im deutschsprachigen Raum scheint das
Qualifikation, Erfahrung und Kompetenz.          schwieriger als im englischsprachigen zu
Ist die Geschlechterverteilung in Ihrem          sein. Ich weiß nicht, warum das so ist. Aber
Unternehmen, das recht ausgeglichen              ich weiß von anderen Agenturen, die nicht
ist, ein Thema?                                  mit Musik zu tun haben, dass sie extreme
Das ist kein Thema. Aber wenn man zurück-        Probleme haben, Leute zu finden, die rich-
denkt an die letzten 20 Jahre: Im Plattenin-     tig ausgebildet sind. Aber in dem Bereich
dustriebereich gab es Zeiten, in denen nur       gibt es mehr Frauen als Männer.
Frauen gearbeitet haben.                         Wenn Sie sich diese PR-Branche an-
Gab es dafür einen Grund?                        schauen: Gibt es da viele Frauen in der
Das hatte einen ganz klaren Grund: Als die       Chefposition?
Umsätze fielen, waren die Jobs zu schlecht       Ja, weil es oft Firmen sind, die die Frauen
bezahlt, und es waren nur Frauen bereit, so      selbst gegründet haben.
viel Arbeit für dieses Geld zu leisten.          Würden Sie sagen, dass Sie in Ihrer ei-         Haben es die Künstlerinnen in Ihrem
Damit sind wir schon beim »Gender Pay            genen Agentur familienfreundliche Ar-           Bereich also tatsächlich schwerer als
Gap«. Offensichtlich werden viele Frauen         beitsbedingungen haben, z. B. flexible          die Künstler?
für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt        Arbeitszeiten, Homeoffice etc.?                 Ja, das kann man überall beobachten, auf
als Männer. Nehmen Sie das auch wahr?            Ja, das ist auf jeden Fall möglich. Aber aus    Festivals, in Sendern … Die Antwort lau-
So formuliert, nehme ich es nicht wahr.          eigener Erfahrung versuche ich, allen klar-     tet dann z. B.: »Wir haben schon zwei Quo-
Aber ich stelle fest, dass Frauen bereit sind,   zumachen, dass sie glücklicher werden,          tenfrauen. Wir brauchen keine weiteren.«
für das gleiche Geld viel mehr zu arbeiten.      wenn sie das trennen können. Nach meiner        Können Sie sich vorstellen, dass Netz-
Ich habe z. B. Erfahrungen mit Frauen, die       eigenen Erfahrung ist das Arbeiten zu Hau-      werke für Frauen oder auch Mentoring-
in meinem Alter sind, die wegen ihrer Kin-       se, wenn man Kinder hat, die Hölle. Ich weiß,   Programme helfen würden?
der oft eine 30-Stunden-Woche machen.            dass viele es vorziehen, ins Büro zu fahren.    Ich glaube, das hilft auf jeden Fall. Ich habe
Die arbeiten dann natürlich 50 Stunden,          Das klingt so, als ob es für Frauen tat-        so etwas 20 Jahre lang vermieden und fand
auch von zu Hause aus.                           sächlich stressig sein kann, mit Kindern        es unnötig. Aber inzwischen finde ich das
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass das         einen verantwortungsvollen Job zu ma-           ganz gut.
so ist, dass die Frauen einfach mehr ar-         nagen. Haben Sie eine Idee, wie man da-         Was halten Sie von einer Quote, in Un-
beiten?                                          ran etwas ändern könnte?                        ternehmen oder auch im öffentlich-
Ich glaube, Frauen sind ehrgeizig. Und sie       Deutschland ist bei der Kinderbetreuung         rechtlichen Bereich? Könnte das etwas
haben immer Angst, dass sie ihren Job ver-       schon sehr weit, das finde ich fantastisch.     verändern?
lieren, wenn sie Kinder bekommen haben.          In Amerika, Kanada, Australien oder Eng-        Ich habe immer Angst, dass Leute dann
Oder weil sie älter werden. Wegen dieser         land hat man diese Unterstützung nicht. Es      denken, dass die Frauen weniger wert sind,
Angst arbeiten sie doppelt so viel wie nö-       ist eher etwas Psychisches: dieses ständige     weil sie nur wegen der Quote eine bestimm-
tig für die Bezahlung, die sie bekommen.         Schuldgefühl, wenn man sich mal auf eine        te Position haben. Das finde ich eigentlich
Das heißt, dass das Thema Familie nach           Sache konzentriert und nicht immer alles        negativ.
wie vor ein großes Thema ist?                    andere im Hinterkopf hat. Wichtig ist der       Wie haben Sie es geschafft, an der Spitze
Das ist ein riesiges Thema. Ich habe sel-        Gedanke, dass man nicht in jeder Hinsicht       eines Unternehmens zu stehen?
ber vier Kinder im Alter von 14 bis 26 Jah-      perfekt sein muss.                              Das ist einfach sehr, sehr, sehr viel Arbeit.
ren. Und ich habe die ersten beiden Kinder       Erleben Sie in Ihrem Umfeld Männer-
erst einmal verheimlicht, um meinen ers-         oder Frauen-Netzwerke?
ten Job in Deutschland zu bekommen. Ich          Was mir ganz stark auffällt, ist, dass Männer
habe ein Jahr lang gearbeitet, ohne dass je-     im öffentlich-rechtlichen Bereich deutlich
mand von meinen Kindern wusste.                  dominieren. Das führt dann zur Bevorzu-
Was halten Sie bei dieser Vorgeschich-           gung anderer Männer, nicht nur als Kolle-
te von anonymisierten Bewerbungsver-             gen, sondern auch in der Auswahl der Mu-
fahren?                                          siker, die gesendet werden.

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