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4/2021 Zu 31. Jahrgang m Mi tn eh me n! Kultur Informationen Unterhaltung Geschichte Land und Leute Veranstaltungen
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wenn Sie diese vierte Ausgabe 2021 des Füll- horns in den Händen halten, blicken wir mit vorsichtigem Optimismus dem Ende des zwei- ten Corona-Jahres entgegen. Eine insgesamt gesehen erfreuliche Impfbereitschaft sowie das disziplinierte Einhalten der Hygienere- geln haben dazu geführt, dass wir in vielen Lebensbereichen wieder weitgehend in die Normalität zurückkehren konnten. Dies gilt insbesondere auch für die Angebote der Stadt an die Generation 60 plus. Nach einer längeren Corona-Pause finden jetzt wieder die beliebten Stadtteilspaziergänge „Latschen und Tratschen“ statt. Das Seniorenbüro ist zu den bewährten Öffnungszeiten zurückgekehrt und auch das Senioren- frühstück kann seit September wieder besucht werden. Der Seniorennachmittag zur Allerheili- genkirmes ist zwar noch einmal ausgefallen, aber dafür gibt es wieder die Senioren- Adventsfeier in der Stadthalle. Herzlichen Dank an alle Ehrenamtlichen, die solche Angebote möglich machen! Ich freue mich besonders darüber, dass auch neue Gesichter die langjährig Aktiven unterstützen. So hat das Team der ehrenamtlichen Frühstücksdamen gewechselt. Im Seniorenbeirat, der sein 40-jähriges Bestehen feiern konnte, gibt es eine neue Führungsriege. Ich hoffe natürlich, dass auch zur 2022 anstehenden Neuwahl zum Seniorenbeirat viele Frauen und Männer kandidieren werden. Das Wahlverfahren selber ist bürgernah verändert worden, so dass im Herbst eine reine Briefwahl zum Seniorenbeirat stattfinden wird. Für Rat und Verwaltung wird es 2022 darum gehen, weitere wichtige Schritte hin zu einer klimaneutralen Smart City zu machen. Wir planen Investitionen in die Digitalisierung der Verwaltung und der Schulen, wollen die energetische Sanierung des öffentlichen und des privaten Gebäudebestands voranbringen sowie laufende Förderprogramme für den Klimaschutz fortsetzen, beispielsweise für Dachbegrünung, Photovoltaik und Lasten-räder. Ich lade alle Bürgerinnen und Bürger dazu ein, diese Angebote zu nutzen und den Weg in die Klimaneutralität mitzugehen. Wie beim Kampf gegen das Corona-Virus ist dies eine Gemeinschaftsaufgabe, die nur gelingen kann, wenn möglichst viele mitmachen. Diese Zwischenbilanz sowie die beschriebenen Aussichten auf das nächste Jahr sind Grund genug dafür, zuversichtlich zu sein. Den Leserinnen und Lesern des „Füllhorn“ sowie Ihren Familien und Freunden wünsche ich deshalb eine besinnliche und erfüllte Adventszeit sowie harmonische Weihnachtsfeiertage. Das Jahr 2022 möge Ihnen viel Gutes und vor allem Gesundheit bringen! Dr. Eckhard Ruthemeyer Bürgermeister
Inhaltsverzeichnis Geistl. Wort Warten auf Weihnachten Hans König 3 Information Dat Jägerken unterwegs in der Stadt H.-W. Gierhake/R. Köster 5 Seniorenbeirat: Interview mit Gerh. Wohter Rudolf Köster 17 DigitalPakt Alter BAGSO 19 Das Lachtelefon Hety Büchte 28 Seniorenbeirat: Alles neu macht der Mai W. Trick / H. Briedigkeit 31 Vom Nonliner zum Onliner 32 Soest und die U-Boot-Patenschaft Jochen Siering 34 Suchen und Finden bei Google Hety Büchte 35 Neues aus der Redaktion Rudolf Köster 38 Veranstaltungskalender Petra Arlitt 42 Impressum 46 Kultur Jahresende Dagmar Schindler 9 Abwarten Siegfried Steffen 10 Spaziergang durch die Gräften und Wälle Hannelore Johänning 11 Chaotische Weihnachten Horst Müller 13 Baumschmuck Dagmar Schindler 30 Unterhaltung Alle Jahre wieder Hety Büchte 7 Opa schreibt einen Brief Wolfgang Hoffmann () 8 So war das damals . . . Marita Jost 14 Weihnachtszauber meiner Kindheit Dagmar Schindler 23 Aktiv im Alter Rudolf Köster 16 Väterchen Frost und der Neujahrsbaum Ludmilla Dümichen 24 Eine kleine Wintergeschichte Lore Happich 21 Bewährte Methode Hannelore Johänning 22 Weihnachtserlebnisse aus der Kinderzeit 25 Mein simplosophisches Kaleidoskop Rudolf Köster 33 Raten Sie mal . . . Hans-Werner Gierhake 45 Rätsel-Auflösung Heft 03/2021 Hans-Werner Gierhake 46 Hier lacht das Füllhorn Hans-Werner Gierhake 47 Rezepte Weihnachtsmenü Inge Thomas 39 www.fuellhorn-soest.de 3
Die vorweihnachtlichen Wochen stellen unsere Kinder bzw. Enkelkinder auf eine harte Probe: Sie müssen warten. Während den Erwachsenen diese Zeit vermehrter Aktivität nur so davonläuft, warten die Kinder ungeduldig auf das Näherrücken des Festes. Gern würden sie im Adventskalender zwei oder drei Fensterchen auf einmal öffnen, um damit das Kom- men der Weihnacht zu beschleunigen. Nur hilft das, wie sie selbst erkennen, nichts; es muss die Zeit abgewartet werden. Um das Warten kommt man nicht herum. Warten ist schwer – nicht nur für Kinder. Viele Menschen können oder wollen nicht warten, weil es ihnen als vergeudete oder verschenkte Zeit vorkommt: Im Wartezimmer beim Arzt Im Stau auf der Autobahn In der Vorfreude auf einen Besuch von lieben Menschen Oder . . . Ich überlege: die Zeit des Wartenmüssens könnte doch auch Gelegenheit zur Entspannung geben. Man ist zum Warten „verurteilt“, ob es einem passt oder nicht. Etwas anderes tun kann man in dieser Zeit ohnehin nicht – oder doch? Die als verlorene empfundene Zeit holt man nicht wieder auf. Es nützt niemandem, wenn man sich selbst während des Wartens unter Zwänge setzt. Man beschleunigt damit nichts. Wenn man dienstlich oder im Urlaub andere Länder bereist, dann fällt auf, dass man an- derswo besser warten kann als bei uns. Mit stoischer Ruhe stehen die Menschen an der Straße und warten auf den Omnibus. Auch sonst gewinnt man den Eindruck: Das Warten ist an diesen Orten im Zeitplan schon zuvor einkalkuliert worden. Die Menschen stellen sich auf das Wartenmüssen ein. Die Unfähigkeit zu warten führen wir meistens auf unsere Lebensbedingungen zurück: Ter- minhäufung, Überforderung im Beruf, Vielfalt der Aufgaben, Schnelligkeit der Fortbewegung usw. Aber: Es gibt möglicherweise noch einen Grund, der tiefer liegt. Wer gewohnt ist, sich jeden Wunsch augenblicklich zu erfüllen, wer also das Gewünschte immer sofort haben muss, ohne einen Aufschub zu dulden, gibt sich selbst keine Chance, sinnvolles Warten zu lernen. Das Unvermögen zu warten birgt Gefahren in sich. Gefährlich ist es, wenn man weitreichende Entscheidungen nicht in sich ausreifen lässt. Spontan sein ist manchmal gut, aber manchmal auch nicht. Man erzielt das Gegenteil von dem, was man erhofft, wenn man einer Freund- schaft nicht den Zeitraum zubilligt, die sie braucht, sondern in Ungeduld vorantreibt. Die Fähigkeit zu warten ist lebensnotwendig. Wenn wir unsere Kinder bzw. Enkelkinder in den Tagen des Advents zur Geduld ermahnen, wird es gut sein, dieses für uns selbst wieder neu zu entdecken und zu bedenken. Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Adventszeit und ein erfüllendes Weihnachtsfest Hans König (Foto: martaposemuckel/Pixabay) 4 www.fuellhorn-soest.de
Dat Jägerken unterwegs in der Stadt Unter dieser Überschrift wird über Be- denkenswertes aus unserer Stadt berich- tet. Aus der Sicht eines Zeugen, der in einem anderen Zeitalter gelebt und da- her andere Erfahrungen hat als wir, be- kommt manches plötzlich eine neue Qua- lität. Wir wünschen uns, dass der Zeuge hilft, unsere Welt zu beurteilen und gele- gentlich dem gesunden Menschenverstand eine Bresche zu schlagen Füllhorn: Sag mal Jägerken, wie war wolltest? Wie hast Du mit den Nonnen in das damals in Soest, 1635, wie habt ihr Paradiese gesprochen? euch eigentlich verständigt? Du kamst Jägerken: Natürlich mundartliches aus Gelnhausen, hast also einen hoch- Platt, die Schriftsprache war nur was für deutschen Dialekt gesprochen. In Soest die Gebildeten, die in den Ämtern, Bü- sprach man Plattdeutsch. Verstand einer rostuben und für die damals aufkom- den anderen? menden Druckschriften arbeiteten. Für Jägerken: Das kam drauf an, ob es um Menschen, die aus dem gehobenen Bür- den groben Sinn des Gesagten ging oder gertum stammten und eine Schule be- das genaue Verständnis einzelner Wör- sucht hatten. In den kirchlichen und ter. Die Menschen haben ja damals in fürstlichen Bildungsanstalten wurde tat- den langen Jahren des Krieges keine ge- sächlich gerade in meiner Zeit auch in lehrten Dispute miteinander geführt. Für Soest die bis dahin üblicherweise ge- die Soldaten und Landsknechte reichten lehrte niederdeutsche Schriftsprache zu- knappe Befehle der Offiziere, und unter- gunsten des Neuhochdeutschen aufge- einander ging es meist nur darum, zu geben. Aber das einfache Volk kam mit überleben und sich mit dem Notwendigs- dieser Schriftsprache ja gar nicht in Be- ten zu versorgen. Ihr müsst Euch das so rührung. Im Alltagsleben wurde weiter- vorstellen, als ob Ihr heute im Urlaub im hin niederdeutsches Platt gesprochen. tiefsten Bayrischen Wald nach dem Weg Auch mit den Nonnen, selbst mit denen fragt. Da versteht man in der normalen aus adeligen Kreisen, die durchaus Sprechgeschwindigkeit eines Ureinwoh- „zweisprachig“ waren. ners erst auch nur Bahnhof, schließlich Füllhorn: Ich kenne ein paar Soester, kann man sich den Weg aus verständli- die als Kinder auf den Dörfern noch chen Sprachbrocken und entsprechen- Plattdeutsch gesprochen haben. Aber der Gestik schon zusammenreimen. das war 1930. In der Schule, und wenn Füllhorn: Nun, in der Soester Stadtge- es eine höhere Schule in Soest war, so- schichte kann man nachlesen, dass sich wieso, haben sie Hochdeutsch als in der Schriftsprache etwa zu der Zeit, Schriftsprache und dort auch so zu spre- als Du in Soest warst, das Hochdeutsche chen gelernt. Das war ein sehr schnell durchgesetzt hatte. Das gleicht zwar ablaufender Prozess. Nach dem Zweiten nicht unserem heutigen Schriftdeutsch, Weltkrieg existierte Niederdeutsch als ist aber mit etwas Mühe verständlich. Umgangssprache in Soest nicht mehr. Aber wie war das, was nicht in den Ur- Jägerken: Ja, der Germanist und Mund- kunden im Archiv zu lesen ist? Wenn die artforscher Karl Bischoff (1905- 1983) Kinder spielten und Euch in die Quere hat mit Recht festgestellt, dass man kamen oder in der Kneipe abends Streit nicht so schreibe, wie man spricht, son- mit Einheimischen entstand oder wenn dern wie man schreiben gelernt habe. Du ein Mädchen für Dich gewinnen www.fuellhorn-soest.de 5
Was im Umkehrschluss die Langlebigkeit Sauerland kein völlig identisches Soester der gesprochenen Mundart erklärt. Erst Platt gesprochen. Aber der generelle recht, wenn man um die Probleme des Charme der Sprache in der Börde in die- umfassenden schulischen Lernens für ser Zeit, z. B. im Klang der Diphthonge alle (besonders in den ländlichen Lan- in „Mauder“ (Mutter) oder Hius (Haus) desteilen) bis ins späte 19. Jh. weiß. und anderer Lautungen im Plattdeut- Füllhorn: Wie siehst Du das, Jägerken, schen, er könnte so als interessantes dass das „gute alte Platt“ heute so rest- Spracherbe wieder in Erinnerung geru- los verschwunden ist? Das war doch ein fen werden. Teil von dem, was „Heimat“ ausmacht. Füllhorn: In dem Großen Krieg zu dei- In der Füllhornredaktion suchen wir bis- ner Zeit, Jägerken, gab es doch viele her vergeblich jemanden, der einen Menschen, die schließlich fern ihrer alten plattdeutschen Text für eine Audiodatei Heimat lebten, weil sie vor dem Krieg vorlesen kann, die dann über einen im geflüchtet oder mit den Heeren als Sol- Füllhorn abgedruckten Link von unseren daten oder im Tross in fremde Länder Lesern abgehört werden kann. Anderer- gezogen waren. Waren ihre Sprach- seits fragen wir uns, ob solche Bemü- schwierigkeiten ihre größten Probleme? hungen sinnvoll sind. Wen interessiert Und wie war das nach dem Zweiten das noch? Wäre da nicht eine App hilf- Weltkrieg mit den Flüchtlingen vieler Na- reich, Hochdeutsch in Plattdeutsch und tionen in Europa oder Asien? Die hatten umgekehrt zu übersetzen? ähnliche Schwierigkeiten, denke ich. Jägerken: Höre ich da etwas Herzweh Jägerken: Sicher haben Vertriebene, in der Frage? Ich zumindest finde es Flüchtlinge und Auswanderer seit jeher schon traurig, dass mit den Mundarten mit Sprachschwierigkeiten kämpfen auch ein Stück Identität der Menschen in müssen, wenn sie die Landessprache einer überschaubaren Region verloren oder einen stark abweichenden Dialekt gegangen ist. Das lässt sich auch nicht im aufnehmenden Land nicht verstan- mit einer Übersetzungs-App rückgängig den. Aber schon um des Überlebens wil- machen. Wobei der geringe Bedarf und len mussten sie versuchen, sich so die Vielfalt der notwendigen Apps oh- schnell wie möglich verständigen zu nedies dafür sorgen würde, dass die we- können. Das ist in heutiger Zeit sicher nigen Kümmerer um das verlorene dank vieler behördlicher Unterstüt- Sprachgut ihr Hobby eher analog mit- zungsmaßnahmen und auch ehrenamtli- und untereinander pflegen werden. cher Helfer deutlich einfacher geworden. Füllhorn: Dann müssen wir also diese Und auch das Englische als weltweite Kümmerer für unsere plattdeutsche Verkehrssprache, das in vielen Ländern Seite finden. Die sollten die Lektüre die- als erste schulische Fremdsprache ge- ses Gesprächsprotokolls als unsere Bitte lehrt wird, macht das Leben in der verstehen, sich zu melden. Fremde zumindest in der Kommunika- tion nicht mehr gar so schwer. Jägerken: Ich fände es prima, wenn man im Füllhorn auch mal etwas in platt- Füllhorn: Schon, das ist sicher ein Vor- deutscher Mundart lesen (und über die teil unserer vernetzten Welt mit globaler Füllhorn-Homepage auch hören) könnte. Wirtschaft und Wissenschaft. Und viele „Retro“ ist doch derzeit groß in Mode, sind selbstverständlich mehrsprachig und es muss ja auch nicht eine peinlich unterwegs auf der ganzen Welt. Ganze eng auf den einzelnen Ort bezogene Lau- Familien ziehen mit, wenn ein gut be- tung sein, die nur für Germanisten und zahlter Job im Ausland winkt. Ein Japa- Hardliner in manchen Mundart-Vereinen ner in Düsseldorf kommt gut zurecht, wichtig ist. Natürlich haben bereits die ohne Deutsch zu lernen. Und im Zwei- „Haaresel“ auf der Schwelle zum felsfall spricht er so viel Englisch wie die 6 www.fuellhorn-soest.de
deutsche Politesse, die ihn als Falschpar- Ich denke, die Enkel würden ebenso ker zur Kasse bittet. empfinden. Allerdings fände ich es schmerzlich, Jägerken! Ich danke für das Gespräch. wenn meine Enkel meine Sprache nicht Hans-Werner Gierhake mehr verstehen oder meine Mails nicht Rudolf Köster lesen könnten und ich nicht die ihren. Ich war gerade fünf klaffte ein großes Loch, in das ich neugierig Jahre alt, als unter hineinsah. Meine Blicke entdeckten merk- dem Weihnachts- würdige Bänder, mit denen offensichtlich die baum eine Schild- Beine verbunden waren. Mein Entdecker- kröt-Puppe mit Zöpfen aus Echthaar lag. Mit geist war geweckt! Ich zerschnitt die Bän- strahlenden Augen drückte ich die so lang der, und die Beine fielen vor mir auf den ersehnte Puppe innig an meine Brust. Meine Fußboden. Natürlich versuchte ich, sie wie- Mutter drehte sich zu mir herum: „Du musst der zusammenzubringen am Bauch der ihr noch einen Namen geben, Hetylein!“ Ich Puppe, doch gelang es mir nicht. Das Spiel überlegte nicht lange und rief: „Sie soll Mar- mit der Puppe war für mich vorbei, und ich git heißen, das habe ich mir schon lange ge- wandte mich wieder Gisela zu, der anderen wünscht! Jetzt hat Gisela eine Schwester.“ Puppe mit dem Kunststoffschopf. Gisela war ebenfalls eine Schildkröt-Puppe, Merkwürdig, jedes Jahr zu Weihnachten deren Kopf komplett aus Kunststoff bestand, tauchte Margit wieder auf und saß – mit die also keine echten Haare besaß. Nach die- neuen Echthaarzöpfen - unter dem Tannen- sem Weihnachtsfest lag sie – von mir unbe- baum! Meine Freude war immer sehr groß! achtet – nackt in einer Spielkiste. Meine Gisela verschwand dann mindestens für ein ganze Aufmerksamkeit galt Margit. Ihr hatte weiteres halbes Jahr – nackt - in der Spiel- ich das schöne Kleid von Gisela angezogen. kiste, bis Margits Haare streichholzkurz wa- Es gefiel mir besser als das Gewand, in dem ren und sie weder über Beine noch Arme sie unter dem Tannenbaum saß. Immer wie- verfügte. der kämmte ich ihre Haare und versuchte, So muss es wohl drei oder mehr Jahre ge- Zöpfe zu flechten. gangen sein, dann interessierten mich Pup- Weil mir das aber nicht gut gelang, nahm ich pen wohl nicht mehr. Wo die eines Tages eine Schere und schnitt die Einzelteile von Margit geblieben Haare ein wenig kürzer. Trotzdem – die sind? Irgendwann – ich war Zöpfe wollten nicht so recht gelingen. Also schon fast im Rentenalter – musste wieder die Schere her! So wurden habe ich sie entsorgt. die Haare der Puppe allmählich immer kür- Und Gisela? Die sitzt heute, zer und standen schließlich borstig vom Kopf geschmückt mit einem teu- ab. Zu allem Übel war ich wohl auch öfter ren Kleidchen und Schüh- mal mit der Schere ausgerutscht und hatte chen, in meinem Schlafzimmer auf ihr dabei in den Rücken gestochen. Dort dem Sideboard und fühlt sich dort sehr wohl. Hety Büchte www.fuellhorn-soest.de 7
or 110 Jahren beauftragte das königlich-preußische Kultusministerium den Grafiker Ludwig Sütterlin mit dem Entwurf einer neuen Ausgangsschrift, um den Kindern das Schreibenlernen in „Schönschrift“ zu erleichtern. Sütterlin erledigte diesen Auftrag mit der dann nach ihm benannten Sütterlinschrift. Er vereinfachte die Buchstabenformen, verringerte die Ober- und Unterlängen und stellte die relativ breiten Buchsta- ben aufrecht. Hilfreich für diese Entwicklung war die Erfindung der Kugelspitzfeder durch Friedrich Soennecken, die Schriften mit gleicher Strichbreite ermöglichte. Beim Füllhorn erinnerte man sich anlässlich dieses Jubiläums an einen Zeitungsartikel des langjährigen Redaktionsmitglieds Wolfgang Hoffmann für die Heimatblätter des Soester Anzeigers vom April 1997, in dem die Einbindung dieser Schrift in das Selbstverständnis des Bürgertums zu Beginn des letzten Jahrhunderts deutlich wird: Als Kind steht man manchmal vor der Ent- Kopierstift gemacht. Kopierstifte sahen aus scheidung, ob man lieber mucksmäuschen- wie Bleistifte, enthielten aber wasserlösliche still und von den Erwachsenen geduldet oder Farbstoffe, die angefeuchtet ein violettes lebhaft und schnell abgeschoben sein Schriftbild ergaben. Außerdem waren sie möchte. Ich entschied mich für die erste nicht radierbar und galten deswegen als do- Version, drehte den Klavierstuhl so hoch wie kumentenecht. Wir Kinder wurden immer möglich, kletterte auf den Sitz und hatte nun wieder streng ermahnt, die Stifte nicht in den totalen Überblick über das Wohnzim- den Mund zu nehmen, weil sie giftig seien. mer. Opa ging zu einem kleinen Wandschrank, nahm eine Flasche Korn heraus. Goss sich ein Gläschen ein und trank es in einem Zug aus. Oma nahm die große Vase mit den Herbstblumen vom Tisch und legte die gute Decke sorgfältig zusammen. Opa kam mit einem brennenden Fidibus aus der Küche, zog an einem kleinen Kettchen in der Lampe und hielt die Flamme an das Auer-Strümpfchen, das sogleich ein sehr helles Licht abgab. Auer-Strümpfchen waren etwas mehr als fıngerhutgroße Käppchen aus Baumwollgewebe, die mit Cer und Tho- rium getränkt waren. Diese Käppchen wur- den auf die Düse des Gasbrenners gesteckt. Beim ersten Anzünden verbrannte das Baumwollgewebe, und es blieb ein feines Mi- neral-Gitter, das aus der nur wenig Licht er- zeugenden Gasflamme das helle Gasglüh- licht machte. Dann zog Opa die große Schublade unter dem Tisch heraus und entnahm ihr ein Bün- del Papiere, die er sorgfältig auf dem Tisch ausbreitete und studierte. Da waren ge- druckte Formulare, Briefe mit Eisengallus- Tinte geschrieben, Notizen mit Blei- oder 8 www.fuellhorn-soest.de
Und das, obwohl wir es bei den Erwachsenen klettern und sein Werk betrachten. Das ständig beobachteten. Schriftbild glänzte noch von der feuchten Dann legte Opa ein Blatt Schreibpapier mit Tinte. Ablöschen wollte er nicht, dann wäre, einem Linienblatt vor sich und wollte anfan- hauptsächlich bei den letzten Zeilen, etwas gen, zu schreiben. Da erst wurde er sich sei- von der Tinte aufgesogen worden, und das ner Kurzsichtigkeit bewusst und holte aus Schriftbild hätte nicht gleichmäßig schwarz der Schublade ein schwarzes, mit Kaliko be- ausgesehen. So hatte er Zeit, mir die zogenes Etui hervor und setzte sich die Ni- Grundsätze des Schreibens zu erklären. ckelbrille mit runden Gläsern und elasti- „Siehst Du, mein Junge“, sagte er, „wir schen Bügeln auf, die er mit Daumen und Deutschen sind in Europa die einzigen, wel- Zeigefinger über die Ohren schob. che eine eigene Schrift haben. Die anderen Er schraubte ein gläsernes Tintenfass mit Ei- Völker schreiben immer noch lateinisch. Un- sengallus-Tinte aus. Diese Tinte wurde aus ser Kaiser wollte, dass sich das deutsche Eichengallen und Eisensalzen hergestellt. Volk auch bei der Schrift von den anderen Sie gab durch Oxydation an der Luft einen abhebt, und hat 1911 Ludwig Sütterlin be- sehr schwarzen Strich und galt als doku- auftragt, eine einheitliche Schrift zu schaf- mentenecht. Dann nahm er den Holz-Feder- fen.“ Dabei fiel ihm ein, dass er ja auch noch halter mit einer Stahlfeder, tauchte die Fe- einen Umschlag brauchte. Er schrieb zuerst der in die Tinte und strich sie am Rand des Vor- und Familiennamen, dann den Woh- Glases ab, um keine Kleckse zu bekommen. nort, der sorgfältig mit Lineal unterstrichen wurde, und zuletzt die Straße. Die Anrede wurde möglichst genau mittig platziert und mit einem Ausrufungszeichen Als er nach getanem Werk der Oma zurief, versehen. Der erste Satz wurde etwas ein- sie solle den Brief noch zur Post bringen, zog gerückt, und er begann mit einem geradezu sie sich sofort an. Gemeinsam mit mir künstlerisch gestalteten Großbuchstaben. brachte sie den Brief zur Abstempelung zu Der Brief endete mit einem knappen „Hoch- dem kleinen Postamt unseres Stadtteils, das achtungsvoll“, wieder mit Ausrufungszei- nur ein paar hundert Meter weit entfernt lag. chen. J. W. Hoffmann () Opa lehnte sich zufrieden zurück und winkte mich zu sich. Ich durfte auf seinen Schoß (Foto: 609817_original_R_K_by_Benjamin Wiens_pixelio.de www.fuellhorn-soest.de 9
Abwarten? Ratlos geht dies Jahr zu Ende, Was ist los mit dieser Erde, Menetekel überall, wie ist's mit dem Gleichgewicht? viele Worte, keine Wende, Wechselspiel von Stirb und Werde, Pläne ohne Widerhall. irgendetwas stimmt hier nicht. Sommerliche Urlaubstage, Ganz schön krass doch die Berichte, Wind, der durch die Dünen fegt, die das Fernsehn täglich bot: scheuchten weg die düstre Frage, Fluten, die Besitz vernichten, die den Ängstlichen bewegt: Menschen in der größten Not. Dieses Elend zu beenden, wollen viele etwas tun, damit hat es sein Bewenden, man lässt das Bemühen ruhn, – und man hofft mit bangem Warten, dass die Chefs die Rettung starten. Siegfried Steffen (Bild: stokpic/Pixabay) 10 www.fuellhorn-soest.de
Spaziergang durch die Gräften und über die Wälle (Foto: Manfred Wanierke) Bärentanz Die Gräfte zwischen Thomä- und Grandwe- Fritz Viegener ist Silvester 1888 in Soest ge- ger Tor muss nicht durchstöbert werden, sie boren, gestorben: 10. Oktober 1976 in Möh- sind gar nicht zu übersehen: die tanzenden nesee (Delecke). Fritz hatte zwei Brüder: Bären. Drei sind es, die, einander haltend, den jüngeren Eberhard (1890-1967), ein re- Reigen drehen wollen. Vermutlich verleiht ger, expressionistischer Maler. Beide sind die prächtige Trauerweide, unter der sie sich namentlich mit ihren Arbeiten weit über den amüsieren, ihren Gestalten, obgleich aus heimatlichen Umkreis hinaus bekannt. Anröchter Dolomit, wahrnehmbare tapsige Bruder Josef (1899-1992) setzte seine Anmut. künstlerischen Neigungen und Ideen in be- Das nahe Info-Schildchen verrät, dass sie achtenswerten Fotos um. Schon 1925 grün- ihre Existenz dem Bildhauer Fritz Viegener dete er in Hamm das Fotoatelier Viegener. und seinem Schüler: Siegfried Erdmann ver- In Fachkreisen wurde sein Name mit beken- danken. Weitere Angabe: die Jahreszahl nendem Respekt genannt. Ein sehr kreati- 1969 und: Ingrid-Kipper-Stiftung Soest. ves Brüdertrio. Bei der Web-Recherche21 (21.08.2021) war zu Siegfried Erdmann zu erfahren: 1925 in Allenstein (Ostpreußen) geboren. Zudem die Aussage: „Arbeitete Erdmann zunächst ausschließlich figürlich, wurden seine Formen im Laufe der Zeit im- mer straffer und einfacher. 1965 entstand seine erste abstrakte Plastik. Erdmann be- müht sich um eine klare, vereinfachte und geistig verdichtete Formensprache.“ In den Soester Gräften gedeihen also nicht nur heimische und exotische Gewächse, sondern auch Kunstwerke mögen diese Frei- luftanlagen. Und hier ist ihre Anwesenheit genau passend. Wahrgenommen, gesehen, gemustert werden, das steht ihrem Status als Kunstobjekt schließlich zu, kommt ihrem Geltungsbedürfnis sehr entgegen. Uns geht es nicht anders. Wir mögen das auch. Sicher ein Aspekt, weshalb die Gräften auch allseits www.fuellhorn-soest.de 11
so beliebt sind. Das Wetter, die Jahres- und Ziergartenanlagen sich ständig wandelnde, Tageszeiten mischen fleißig aktiv mit. Bieten sehenswerte Ansichten und Eindrücke. dem Flaneur in diesen heimischen Grün- und Hannelore Johänning https://de.wikipedia.org/wiki/Graefte: Gräfte ist die westfälische Bezeichnung für einen Wassergraben, der ursprünglich einen Adelssitz zu Verteidigungszwecken umgab. In späteren Zeiten konnten Gräften Bestandteil der Gartengestaltung im Umfeld von Wasserschlössern sein. Bei einigen Adelssitzen war die Gräfte auch gleichzeitig der Mühlenteich für die herrschaftliche Kornmühle als Bannmühle. Auch bäuerliche Höfe waren in der Nordhälfte Westfalens oftmals von Gräften umgeben. Die höchste Dichte solcher Gräftenhöfe befand sich um 1820 zwischen Ruhr und Lippe und im mittleren Münster- land. In Soest ist der ehemalige Wassergraben der Stadtbefestigung trockengelegt, an seiner Stelle befindet sich heute eine Art Promenade zu Füßen der Wälle. Grünanlage und Weg werden heute immer noch als Gräfte bezeichnet. Wortherkunft: Das ehemalige niederdeutsche Wort Graft für Graben und das niederländische Gracht sind verwandt. Der Unterschied entstand durch Lautverschiebung von ft zu cht. Unter dieser Rubrik möchten wir Sie im FÜLLHORN informieren über interessante Objekte: Bäume, Skulpturen, Erlebnisse, Begegnungen etc. Über Beiträge aus der Leserschaft freuen wir uns sehr! (Foto: Renate Stolle, Soest) 12 www.fuellhorn-soest.de
(Foto: CEWE) www.fuellhorn-soest.de 13
So war das damals . . . Mit Papa nao de Kiärmisse in Saust Joides Jaohr gäng et mit Papa no Saust op de Kiärmisse. Vui Blagen droften met oinem gewissen Oller met no de Kiär- misse. Muine olleren Süstern wören en paarmaol met op de Kiärmisse. Nui droff ierk met. Met dairm Zug "Pengel Anton" gäng es loss. Fui mochten Bahnhuowe Haar in- stuigen. Obgeregt un zitterich kämen fui in Saust an. Met glorrigen Auegen gängen fui dör dei vulle Stadt. Musik, Karussells, Boier- stände, Tiere - et was ne annere Welt. Fui dröften in Karussell et mochte ower en Boiestand inne nöchte suin. Van bor- ben runner konnten fui ursen Vatter sei- hen. Als fui alle genaug harren gäng et terügge nom Bahnhuowe. Imme duis- tern sind fui amme Bahnhuowe Haar an- kummen. Dann gäng et örwer dern Wiesenweg no Huis. Ob oinmoal fäng muin Vatter an te wackeln un störtete op mui drob. Ierk lach unnen Vatter orben. Drei Wairken har ierk oine dick Backe. Bit tau nächsten Kiärmisse was alles wuier guert. Marita Jost Diesen plattdeutschen Text können Sie im Internet hören: www.fuellhorn-soest.de/video-audio 14 www.fuellhorn-soest.de
Natur-Fotografie - ihre Leidenschaft: In den bisherigen Berichten (begonnen mit die Begeisterung aus den Augen sprüht, Hans-Werner Gierhakes Hobby „Filmen“ – wenn sie über das Fotografieren spricht und 2019/03) waren bislang Senioren die Prota- darüber, was sie daran so fasziniert. gonisten. Meine Begegnung mit der Hobby- Es ist vielfach die gleiche Geschichte: Der Fotografin Renate Stolle hat mich belehrt, Sohn ist seit Jahren aus dem Haus, Enkel dass man auch schon mit 56 Jahren ein Bei- sind noch nicht zu betreuen, im Beruf gibt spiel dafür sein kann, sich einem Hobby zu es wenig Neues. Da hat man mit einem Mal widmen, das man bis ins hohe Alter hinein etwas, was bislang ein eher seltenes Gut betreiben kann. war: mehr Zeit für sich. Und für ein Leben Renate Stolle ist eine begeisterte Naturfoto- als Couchpotato fühlt man sich mit Recht grafin. Noch ist sie bei der Arbeitsagentur noch zu jung. beschäftigt, freut sich aber schon darauf, Renate Stolle hatte schon immer mal foto- mit ihrer Kamera losziehen zu können, wann grafiert, aber seit etwa 10 Jahren wurde die immer sie möchte und lohnende Fotomotive Kamera langsam ein ständiger Begleiter. Sie auf sie warten – vorzüglich solche in der arbeitete sich in die Materie hinein, legte freien Natur. sich unterschiedliche Apparate und Objek- Ein dort entstandenes und auf Facebook tive zu und trat vor drei Jahren in eine Foto- veröffentlichtes Bild von einem Baum am grafengruppe ein, die gerade ihr eigenes Soester Wall fand die Füllhornredaktion so Atelier nach dem Umzug ins Künstlerhaus passend zu unseren derzeitigen Berichten BEM Adam am Teinenkamp neu eingerichtet über den Wall, dass mit Frau Stolle Kontakt hat. aufgenommen wurde, ob wir das Bild ins Aber bei aller Annäherung an die Profi-Foto- Heft (2022/01) aufnehmen dürften. grafie, das Fotografieren ist für sie weiterhin Soweit die Vorgeschichte von meiner Begeg- ein Hobby. „Auftragsarbeiten verlieren den nung mit Renate Stolle und unserer Zusam- Reiz, den ich beim freien Bildermachen menarbeit auf mehreren Seiten in diesem habe“, meint sie. „Ich brauche die Freiheit Heft. Zu meinem Treffen mit einer Frau, der www.fuellhorn-soest.de 15
von Ort, Zeit und Motiv, um den Spaß an der Diesem Anspruch zu genügen, das macht für Sache nicht zu verlieren.“ Renate Stolle einen besonderen Reiz ihres Hobbys aus. Ihr geht es um das Erkennen Dabei ist sie alles andere als eine Eigenbröt- harmonischer Zusammenhänge. „In der lerin. Sie teilt ihr Hobby gerne mit anderen. Schönheit der Natur fühle ich mich wohl, „Fotografen sind eine ganz besondere Art dort lebe ich mein carpe diem und die von Menschen“, schwärmt sie. „Manchmal Freude am Augenblick“, sagt sie, und man frage ich in der Facebookgruppe, wer Lust nimmt es ihr ab, wenn man in ihren Bildern hat, am nächsten Morgen mit mir auf Früh- blättert. pirsch zu gehen. Und dann werden gemein- sam Bilder geschossen. Aber ich mache Als Anregung zum Nachmachen themati- mich auch frühmorgens im Nebel mal ganz scher Bilderserien mögen einige weihnacht- allein auf den Weg in die Natur.“ liche Fotos dienen, die Renate Stolle im letz- ten Jahr gemacht hat. Und dann erzählt sie davon, warum sie ihre Bilder dann als besonders gut gelungen Rudolf Köster empfindet, wenn sie möglichst unbearbeitet (Fotos: Renate Stolle) bleiben können. Denn dann hat ihr die Ka- mera geholfen, ästhetische Strukturen wahrzunehmen, auch im Kleinen Wunder zu entdecken und sich an der Schönheit der Natur zu erfreuen. „Es ist der Blick für das Wesentliche, den man schulen muss, um Bilder zu machen, die anders sind als schnell Geknipstes, dem es darum geht, Erinnerungen festzuhalten.“ Fotos von Renate Stolle 16 www.fuellhorn-soest.de
Neues aus dem Seniorenbeirat Das Füllhorn im Gespräch mit Gerhard Wohter Seit 2012 bereits gehört er dem Senioren- hat. Und natürlich für Anregungen, was alles beirat als gewähltes Mitglied an: Gerhard in Soest vielleicht noch besser laufen Wohter. Ein Mann, der gut zuhört, bevor er könnte. antwortet. Ein Mann, der nicht zuletzt des- Damit sind wir bei dem, was für Gerhard halb viel zu sagen hat. Wohter die Kernaufgabe des Seniorenbei- Geboren und aufgewachsen in dörflichem rats ist: Anwalt für die älteren Menschen in Leben hat es ihn beruflich nach Soest ver- der Stadt zu sein und ihr Ansprechpartner. schlagen, was er nie bereut hat. „Ich habe Etwas für und mit Senioren auf die Beine zu mich hier von Anfang an wohl gefühlt“, stellen, was aktiv hält und Einsamkeit im Al- meint er und setzt nach einer kleinen Pause ter sicher nicht gänzlich abwenden, aber hinzu, „und möchte diese Stadt nicht mehr durch Begegnungen untereinander und Teil- missen!“ habe an gemeinschaftlichem Erleben erträg- licher gestalten kann. Als tätiger Familien- mensch, der die Be- „Wir merken es doch wegung in der Natur an uns selbst“, ist es liebt und sich als „kri- ihm eine wichtige Er- tischen Christen“ be- kenntnis, „wie wir zeichnet, hat er seiner durch neue Kontakte Stadt auch einiges zu- viele liebenswerte Mit- rückgegeben. Vielfach menschen kennenler- und gerne ist er eh- nen, die man nicht ge- renamtlich tätig, ob troffen hätte, wenn singend in den Kanto- man sich ohne weite- reien verschiedener ren Blick nach außen Soester Kirchenge- aufs Altenteil zurück- meinden, als Mitglied zieht. Da bietet das des Pfarrgemeindera- Seniorenbüro neben tes für Heilig Kreuz Auskünften über Ver- oder eben im Engage- anstaltungen, Anmel- ment für Senioren. dung zu Halbtagesaus- flügen mit kulturellem Hintergrund und ähn- Da sitze ich ihm im Seniorenbüro nicht ohne lichen Angeboten zudem die Möglichkeit, Grund gegenüber. Denn dieser von der ganz unverbindlich mit uns und anderen ins Stadt Soest für den Seniorenbeirat bereitge- Gespräch zu kommen.“ stellte Raum ist ihm besonders ans Herz ge- wachsen. In aller Regel ist er dort dienstags Auf meine konkrete Frage, wie denn das Ge- und donnerstags als Ansprechpartner für die sprächsangebot im Seniorenbüro angenom- älteren Mitbürger anzutreffen. men wird, meint Gerhard Wohters: „Es ist im Laufe der Zeit schon mehr Interesse „Wir Soester können stolz darauf sein, mit wahrnehmbar als anfangs, aber da sehe dem Seniorenbüro eine Anlaufstelle für un- durchaus noch Luft nach oben.“ sere älteren Bürger zu haben, um die uns andere Kommunen nur beneiden können“, Dazu führt er näher aus, dass er sich vor al- sagt er und fährt nicht ohne Stolz in der lem mehr Anregungen der Soester dazu Stimme fort: „Mitten in der Stadt (Am Vreit- wünsche, um was sich die Kommunalpolitik hof 8, Eingang: Am Seel) und an allen Wo- aus Seniorensicht nicht genügend kümmere chentagen von montags bis freitags von und was man gezielt für diese Generation neun bis zwölf Uhr geöffnet.“ Hier finden tun könne. Dann könnte der Seniorenbeirat nicht nur ältere Menschen immer jemanden, seinem Auftrag als Berater der kommunalen der ein „offenes Ohr“ für Sorgen und Nöte www.fuellhorn-soest.de 17
Entscheidungsträger noch intensiver nach- möglichst starke Nutzung der offenen Türe kommen. des Seniorenbüros“, meint Gerhard Wohter. „Ohne Smartphone und Computerwissen „Und damit ich nicht falsch verstanden werden Senioren künftig zunehmend weni- werde“, ist es Gerhard Wohter wichtig, „es ger selbstbestimmt in der Lage sein, Geld geht da gar nicht so sehr um größere städ- abzuheben, überall einzukaufen, Veranstal- tische Projekte wie den Theodor-Heuss-Park tungen zu besuchen und was sonst noch al- oder die Pflasterung in der Stadt, bei denen les demnächst nicht mehr in persönlicher der Seniorenbeirat seine Expertise ohnedies Begegnung erledigt werden kann. Wir kön- einbringen konnte. Es sind all die kleinen nen da Hilfsangebote vermitteln.“ Dinge, bei denen ältere Menschen ihre Wün- sche artikulieren sollten: fehlende Sitzgele- Wie recht hat er da, was die Wichtigkeit an- genheiten in der Stadt, Hilfe bei Behörden- geht, sich mit den digitalen Medien vertraut gängen, beim Einkauf und im Gebrauch von zu machen. Ganz abgesehen von all den an- Smartphon und Computer ...“ deren positiven Möglichkeiten, die Menschen gerade bei geringer werdender Mobilität in- Und damit ist Gerhard Wohter bei seinem zwischen digital nutzen können. Per Smart- derzeitigen Lieblingsthema, dem Digital- phone, Tablet oder Computer können Opa pakt Alter. Ziel dieser bundesweiten Initia- und Oma unabhängig von der Entfernung tive ist es, ältere Menschen bei der digitalen problemlos mit der Familie und im Freundes- Teilhabe zu unterstützen und u. a. auch auf kreis kommunizieren: telefonieren, Bilder geeignete Lernangebote aufmerksam zu austauschen und sogar Videokonferenzen machen. Da sei es hilfreich, wenn die Älte- abhalten. Und es gibt ein fast endloses digi- ren ihre Schwierigkeiten auch selbst sichtbar tales Angebot von Filmen, Nachrichten, Ma- machen, damit bereits bestehende Ansätze gazinen, Sport und Kultur weit über das üb- zur Stärkung der digitalen Teilhabe Älterer liche Fernsehen hinaus, das sogar nicht nur auf allen Ebenen zielgenau zusammenge- zu festen Zeitpunkten, sondern genau dann führt und öffentlich gemacht werden kön- abrufbar, wenn es dem Nutzer passt. nen. Wir sind uns einig, als wir auseinanderge- „Ein stärkeres Miteinander der Menschen in hen: Es gibt viel zu tun. Für die Senioren in dieser Stadt mit dem Seniorenbeirat kann zu Soest – und mit ihnen. Nicht nur, was die dieser wichtigen Aufgabe einer bürgernahen Nutzung digitaler Medien angeht. Kommunalverwaltung viel beitragen. Als Be- rater der Politik wünschen wir uns da eine Rudolf Köster (Foto: Renate Stolle, Soest) Johann Wolfgang von Goethe 18 www.fuellhorn-soest.de
Stärkung der digitalen Teilhabe und Souveränität von älteren Menschen Der diesjährige Internationale Tag der älte- Millionen über 60 Jahre noch nicht online. ren Menschen am 1. Oktober stand unter Nur gut jede/jeder Dritte in der Altersgruppe dem Motto „Digitale Gerechtigkeit für der über 60-Jährigen fühlt sich in der Lage, alle Altersgruppen“. Dieser Tag wurde für sich passende Angebote im Internet zu von den Vereinten Nationen eingeführt. In finden. diesem Jahr konzentriert sich der Tag auf die Bei den über 70-Jährigen gelingt das nur ei- über 60-jährigen Menschen, die weltweit am nem Viertel, wie eine Studie aufzeigt. Diese wenigsten integriert ist in die Veränderung Menschen benötigen konkrete Unterstüt- des Alltagslebens durch die immer mehr um zung vor Ort. Deswegen fördert der Digital- sich greifenden Anwendung von digitalen Pakt Alter in ganz Deutschland 100 Erfah- Techniken. Ursache der fehlenden Teilhabe rungsorte mit je 3000 Euro. Hier werden den ist die vielerorts fehlende passende Infra- Senior*innen Unterstützung in digitalen Fra- struktur sowie an leicht zugänglichen Ange- gen zu den Themen Kommunikation, Woh- boten zum digitalen Kompetenzerwerb. nen, Mobilität, Gesundheit und gesellschaft- Genau das will der DigitalPakt Alter in liche Teilhabe angeboten. Das können Kurse Deutschland ändern. Die gemeinsame Initi- im Umgang mit Smartphone oder Tablet ative des Bundesministeriums für Familie, sein, aber es werden auch Leihstationen für Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und mobile Geräte zur Unterstützung im Haus- der BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft halt oder Hilfe bei digitalen Amts- oder Arzt- der Seniorenorganisationen hat schon jetzt terminen angeboten. ein breites Bündnis von Partnern aus Wirt- Der BAGSO-Vorsitzende und Bundesminis- schaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft ter a.D. Franz Müntefering: „Sobald wie gebildet. Das gemeinsame Ziel: älteren Men- schen digitale Teilhabe zu ermöglichen – für ein selbstbestimmtes Leben, auch im hohen Alter. Bundesseniorenministerin Christine Lambrecht: „Die Digitalisierung ist ein im- mer größerer Teil unseres Lebens und er- leichtert unseren Alltag. Vom Videoanruf bei der Familie über das Online-Einkaufen bis zur digitalen Sprechstunde beim Arzt bieten sich große Chancen, gerade für die ältere Generation. Deswegen ist es wichtig, dass auch ältere Menschen am digitalen Wandel teilhaben. Genau da setzen wir mit dem DigitalPakt Alter an. Gemeinsam mit der BAGSO wollen wir wohnortnahe Angebote schaffen, damit alle Älteren selbstbestimmt Online-Dienste und moderne Techniken nutzen können.“ In Deutschland sind heute etwa neun Millio- nen Menschen von insgesamt rund 24 www.fuellhorn-soest.de 19
möglich sollte in jeder Kommune ein Ange- um die Welt reisen, das Gedächtnis kurzwei- bot zum digitalen Kompetenzerwerb, ein di- lig trainieren, mit der Familie videochatten: gitaler Erfahrungsort, für Ältere vorhanden Gerade Neulinge lernen schnell, wieviel sein.“ Spaß das machen kann. Der DigitalPakt Alter will diese positiven Erfahrungen stär- Viele Ältere besitzen zwar ein Smartphone, ken und ausweiten, um Älteren einen siche- doch nur die Hälfte der über 70-jährigen ren und selbstverständlichen Umgang mit Nutzerinnen und -Nutzer weiß, wie man digitalen Medien zu ermöglichen. Apps oder Updates installiert. Im Achten Altersbericht der Bundesregierung sind Die BAGSO fordert: „Wir fordern, dass Se- fünf Lebensbereiche definiert, in denen digi- nior*innen flächendeckend Zugang zum In- tale Kompetenzen das Leben älterer Bürge- ternet haben und befähigt werden, es sicher rinnen und Bürger verbessern können: sozi- zu nutzen. Dafür bedarf es finanzieller Hilfen ale Integration, Sozialraum, Wohnen, Mobi- sowie niedrigschwelliger und zielgruppen- lität und Gesundheit/Pflege. Der Digital- spezifischer Informations- und Bildungsan- Pakt Alter fördert gezielt Angebote, die den gebote. Das darf nicht von der Bereitschaft Kompetenzerwerb in diesen Bereichen vo- des Einzelnen, seiner materiellen Lage oder rantreiben. Digitale Kompetenzen brin- seinen Bildungsvoraussetzungen abhängen. gen Lebensfreude. Es geht nicht nur um Gleichzeitig muss auch die Technik selbst die Notwendigkeit der niedrigschwelligen nutzerfreundlicher werden“. Vermittlung digitaler Kompetenzen. Es geht Mehr Informationen zu diesem Thema fin- auch darum zu verdeutlichen, wie viel Spaß den Sie im Internet: Ältere am Umgang mit digitalen Medien ha- ben oder zukünftig haben könnten. Digital www.digitalpakt-alter.de 20 www.fuellhorn-soest.de
Meine Kindheit und Jugend verbrachte ich in Den Schlitten zogen die Kaltblüter Max und dem kleinen Städtchen Mengeringhausen Bella, die gestriegelt waren und um den Hals bei Bad Arolsen. Wir wohnten in der Land- ein Glockengeschirr trugen. Auf dem Bock wirtschaftsschule, die etwas erhöht lag, so saß Onkel Eckemde und lenkte die Pferde. dass wir den kleinen Ort gut überschauen Dann ging es durch den tief verschneiten konnten. Unsere Nachbarn waren in erster Winterwald, der im Sonnenschein glitzerte. Linie Landwirte, so auch Onkel Eckemde. Wir Kinder fühlten diesen Zauber, als wäre Den Namen Emde gab es in Mengeringhau- es ein Märchen, und wurden ganz still. Nur sen sehr oft. So wurde er durch eine Beson- das Glockengeläut der Pferde durchbrach die derheit ergänzt. Stille. Ziel war das Forsthaus, wo wir herz- lich empfangen wurden mit einem warmen Onkel Eckemde war bei uns sehr beliebt, Getränk und einem süßen Rosinenbrötchen. denn wir durften oft auf Max oder Bella, zwei Die Pferde fraßen Heu. Mit einem Danke- kräftigen Kaltblütern, sitzen und reiten. Es schön nahmen wir Abschied, und zurück konnte nichts passieren, denn diese Pferde ging es wieder durch den tiefverschneiten waren sehr behäbig und langsam. Eines Ta- Wald, aber nun nicht mehr ruhig und still. ges beschloss Onkel Eckemde mit den Kin- Das warme Getränk und die Brötchen hatten dern der Nachbarschaft durch den winterli- uns wieder munter gemacht. Noch einmal chen Wald zu fahren. Der Kasten eines Wa- genossen wir die Winterlandschaft, mit gens wurde auf ein Schlittenunterteil gesetzt Schnee bedeckt und glitzernd in der Sonne. und drinnen mit Strohballen und Decken Zuhause angekommen, konnten wir gar zum Sitzen und zum Wärmen ausgestattet. nicht schnell genug unsere Erlebnisse los- Wir Kinder setzten uns hinein und erhielten werden. Onkel Eckemde wurde sehr ge- noch für unsere Füße angewärmte Scha- dankt. mott-Steine. Lore Happich www.fuellhorn-soest.de 21
Bewährte Methode Verlässlich und funktional, Samstags übernimmt oft der Papa die Super- geht diese Masche nahtlos markt-Besorgungen. Per Spickzettel. Den klei- von Generation zu Genera- nen Junior an der Hand. Der Supermarkt hat tion. Mama ist mit ihrer auch eine Elektronik-Abteilung. „Komm, wir Jüngsten im Supermarkt. schauen mal, was es hier so alles gibt“, ani- Die Lütte kann zwar schon miert er verschwörerisch den Kleinen. Letztlich laufen, ihr Gang ist aber taugt der Zunder aber nicht sehr viel. Reicht noch nicht sehr gefestigt. Hochnäsig ver- nur für eine kurzlebige Stichflamme. Trotz schmäht sie dennoch Mamas hilfreiche Hand. langgemachtem Kinderhals ist nämlich nir- Mamas Zeit ist aber scharf kalkuliert. Sie hat gends Spielzeug auszumachen. noch einen Halbtagsjob. Treibt das kleine Fräu- Und doch bleibt der Papa hier kleben. Merkt lein zur Eile an, was Töchterchen überhört und gar nicht, dass er die kleine Hand entlassen ignoriert. Es hat ganz andere und eigene Inte- hat. Schenkt einem brauchbaren reduzierten ressen. Guckt mal hier, schaut da mal hin, Angebot große Beachtung. Liest und prüft, stö- prüft einige Artikel sogar handgreiflich. Trö- bert und vergleicht. delt, provoziert genüsslich. Vergewissert sich Alles das interessiert seinen Jungen überhaupt nebenher aber doch, dass die Mami immer in nicht. Nachdem er eine ganze Weile in nächs- Sichtweite bleibt, ja nicht ihrem Augen-Blick ter Nähe gewartet, sich mehrmals um die ei- entkommt. gene Achse gedreht und festgestellt hat, dass Jetzt wird die zeitgestauchte Mama energisch, Papi noch immer auf demselben Fleck genagelt zückt das bewährte Ärmel-As: „Mia! Tschüss! scheint, trabt er ein paar Schritte, hebt die Mami geht schon mal“ winkt sie. Das wirkt! Im kleine Hand, winkt und verkündet laut: Nu laufen Mias Augen über. Alles ist denkbar, „Tschüss Papi, tschüss! Paulchen geht schon aber die Mami verlieren nicht. Hält nun die heil- mal.“ same Hand ganz fest, und alles ist wieder gut. Hannelore Johänning 22 www.fuellhorn-soest.de
Ich erinnere mich an das Kribbeln im Bauch, wenn wir im Kinderzimmer gegen die Eisblumen an den Fensterscheiben hauchten, bis ein melodisches Läuten zur Bescherung rief. Ich erinnere mich noch heute, mit welchem Glanz der Weihnachtsbaum in mein junges Leben Dagmar Schindler strahlte. Vom Fußboden bis an die Decke reichte die Tanne. Ich erinnere mich an die leicht flackernden Kerzen in dem sonst dunklen Raum und an das zart flatternde, silberne Lametta, die kleinen rot polierten Äpfel. Sie brachten Farbe in das Grün an Stelle von Kugeln. Ich erinnere mich an die sprühenden Sternchen der Wunderker- zen, bevor sie mit einem winzigen, tiefroten Glimmen verlo- schen. Wir durften sie sogar selbst anzünden! Ich erinnere mich an den Duft der Plätzchenkringel, der den würzigen Geruch des Baumes versüßte. Ich erinnere mich an die Aufregung, wenn wir unser Weih- nachtsgedicht aufsagten, und wie die Geduld der Eltern half, Versprecher und Textverlust nicht als Versagen zu empfinden. Ich erinnere mich an den Stolz, der mich erfüllte, als ich einen Text fehlerlos vortrug. Ich hatte ihn mir selbst ausgesucht, aber es war so mühevoll gewesen, ihn auswendig zu lernen! Denn er war nicht gereimt. Und ich erinnere mich, wie mir erst Jahre später klar wurde, dass es sich um die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evan- gelium handelte. www.fuellhorn-soest.de 23
Für jedes Kind, das heute Tochter, die märchenhafte Snegurotschka Weihnachten feiern darf, (Schneejungfrau), begleitete ihn. Schon ist ein Tannenbaum mit da- Wochen vorher übten wir ein Gedicht und runter hübsch eingepack- ein Lied, um es den beiden vorzutragen. ten Geschenken - die das „Nicht stottern, nicht nuscheln, nicht ver- Christkind bringt oder der haspeln! Und!“, die Lehrerin belehrte uns: Weihnachtsmann, ohne da- „Väterchen Frost ist zwar streng und manch- Ludmilla Dümichen bei gesehen zu werden - mal brummig, aber er ist fair. Er bevorzugt das Highlight des Festes. und beschenkt brave Kinder und die faulen Bunte Kugeln schmücken den Tannenbaum, lässt er zum Eisklotz erstarren. Dazu nutzt Glühlämpchen oder echte Kerzen, Lametta, er seinen Zauberstab.“ je mehr, je besser. Und natürlich auch in Wie eifrig lernte ich einen Vierzeiler und fie- Russland, wo ich geboren und aufgewach- berte meinem Auftritt vor Väterchen sen bin, hatten wir einen Tannenbaum, Frost entgegen. Mein G Gedicht vom den wir, anders als im Westen, selbst Schneeflöckchen vorzutragen war bei schmücken durften. Er wurde allerdings ca. 800 Schülern fast unmöglich. Aber nicht zum Heiligabend aufgestellt, son- ich glaubte fest, er würde sich mir zu- dern zur Jahreswende, am 31. De- wenden, mir zuhören und mich be- zember, Silvester. schenken. Ich trug doch so ein wun- Denn seit 1929 waren alle kirchli- derschönes Kostüm als Schneeflo- chen Feiertage in Russland abge- cke! Das Kleid hatte meine Mutter sagt und die Weihnachtstage hnachtstage zum aus Gaze genäht, gestärkt und Arbeitstag erklärt worden. Aber mit zerbrochenem Christbaum- meine Mutter erzählte mir, dass schmuck verziert, die einzelnen viele Menschen heimlich am Stücke waren auf das Kleid ge- Heiligabend einen Tannen- klebt. Und erst die Krone! baum, reichlich geschmückt, Welch ein Schmuckstück! Da- aufstellten. 1936 erbarmte bei war es nur eine mit Watte sich Josef Stalin und er- verzierte Pappkrone, die mit laubte der Bevölkerung, ei- einem Gummiband um das nen Neujahrsbaum aufzu- zu- Kinn befestigt wurde, damit stellen. Das galt besonders sie während des Tanzes für Schulen, Kindergärten nicht verloren ging. Ich und Pionier-Paläste. Paläste. Der fühlte mich bezaubernd. Tannenbaum, der seinen reli- Auch in all den folgenden giösen Kontext verloren (Foto: Jill Wellington/Pixabay) Jahren gelang es mir nicht, hatte, sollte den sowjeti- Väterchen Frost das Gedicht vorzutragen. schen Kindern ein Symbol des Wohlstands Ein Geschenk, das aus einem Apfel, einer des Landes präsentieren. Mandarine und 200 Gramm Bonbons be- 1959 wurde ich eingeschult und konnte bei stand, tröstete mich über diese Enttäu- meiner ersten Veranstaltung am Neujahrs- schungen hinweg. Möglicherweise auch die tag vormittags mit Väterchen Frost und hun- anderen Kinder, die exakt die gleiche Menge derten anderen Kindern um einen wunder- und Auswahl in der durchsichtigen Ge- schön geschmückten Tannenbaum singend schenktüte erhalten hatten. einen Tanz aufführen. Väterchen Frosts 24 www.fuellhorn-soest.de
Unsere Redakteurinnen und Redakteure erinnern sich Es muss 1946 oder 1947 war mein Vater nicht begeistert, aber ein gewesen sein. In der schon Handwerker kann eben fast alles, sogar ei- damals geschäftigen Vor- nen mickrigen Weihnachtsbaum in Form weihnachtszeit mussten alle bringen. mit dafür sorgen, dass das Damit der Baum in den Ständer passte, Fest gelang. Meine Rolle mussten die Zweige des untersten Astquir- war, so erinnere ich mich, les abgeschnitten werden. Einige dieser den Weihnachtsbaum zu Zweige wurden ein paar Stockwerke höher, H.-W. Gierhake besorgen, als Acht- oder wo Quirle Lücken hatten, eingebohrt. Die Neunjähriger. Denn Weih- Abstände zwischen den Astquirlen waren nachten ohne Weihnachtsbaum? Undenk- mal groß, mal klein und zwar in anscheinend bar. Nicht einmal in den Kriegsjahren in mei- zufälliger Folge. Da musste bei einem zu ner Kindheit und den ersten schlechten Jah- großen Abstand aus dem Stämmchen ein ren danach. Mutter gab mir drei Mark und Stück herausgeschnitten und mittels eines ich zog mit dem Bollerwagen zu dem Gemü- ins Mark gesetzten Nagels wieder verbunden sehändler Nolte an der Ecke Acker- werden. Vater hatte recht: Seine Eingriffe straße/Nordring. Die Direktive meiner Mut- gaben dem Baum den richtigen Chick, wie ter war: Der Baum sollte so groß wie ich und ich bewundernd feststellte, und trotz dieser schön gleichmäßig gewachsen sein, was im- Prozeduren blieb er hinreichend stabil. mer das bedeutete. Zuhause wurde der Baum Mutter überge- Die Auswahl unter den angebotenen Fichten ben, die uns gerechterweise beide lobte: unterschied sich hauptsächlich nach der mich, der ich den Baum erworben hatte und Größe, da hatte ich klare Vorgaben und Vater, weil er ihn so perfekt gemacht hatte. wurde schnell fündig. Für drei Mark gab es Ich hatte dabei gelernt, was die eigentliche natürlich nicht den schönsten Baum. Ich Schönheit eines Weihnachtsbaumes aus- hätte das auch nicht zu unterscheiden ge- macht: Das gediegene Ebenmaß seines wusst. Das lernte ich dann ein paar Stunden Wuchses. Weihnachten konnte kommen. später in der Drechslerwerkstatt meines Va- ters. Als ich unseren Baum dort vorstellte, Bei uns gab es kein Vor- Diese Tür war natürlich abgeschlossen, aber schlafen an Heiligabend, wir Kinder waren ja nicht dumm und blinzel- dazu waren wir viel zu auf- ten halt durch das Schlüsselloch. geregt. Unser Kinderzim- Das ging solange gut, bis unsere Mutter da- mer lag direkt neben dem hinterkam. Flugs steckte sie Watte ins Wohnzimmer, in das man Schlüsselloch und so war es das dann für vom Kinderzimmer durch uns. eine Tür direkt hineingehen konnte. Inge Thomas www.fuellhorn-soest.de 25
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