Laut&leise - Gefährlicher Mischkonsum Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - Suchtprävention Kanton Zürich
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laut&leise Magazin der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich Nr. 3, Oktober 2021, erscheint dreimal jährlich Gefährlicher Mischkonsum Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch.
Mischen Die Fotografen Andrè Roth und Mark Schmid mischen seit 1984 als rothundschmid mit ihren Kameras und anderen Werkzeugen stimmige Bildstrecken. Für dieses «laut & leise» mischten sie zwei Fotos miteinander, damit ein kraftvolles Bild entsteht. Die Vermischung der Bilder steht im direkten Zusammenhang zum Thema dieses Magazins und ist so grell, schrill und farbig wie die Partyszene selber. (www.roth-schmid.ch)
Editorial Liebe Leserinnen und Leser Mit einem GlasWein in der Hand, be- vorhersehbare Wechselwirkungen der Substanzen oder gleitet von einer Zigarette, verbringt eine unterschätzte Verstärkung derWirkung können beim manimGesprächmitgutenFreunden Mischkonsum eintreten. Eine Gefährdung der Gesundheit einen geselligen Abend. Dies ist eine bis hin zur Lebensgefahr, eine Abhängigkeit mit schweren mögliche Form von Mischkonsum, Entzugserscheinungen oder ein erhöhtes Sturzrisiko bei denn es werden zwei oder mehrere älteren Menschen können Folgen von Mischkonsum sein. Substanzen gleichzeitig oder innert einem kurzen Zeitraum hinterein- Von Mischkonsum wird gesprochen, wenn ander konsumiert. Jede Form von zwei oder mehrere Substanzen gleichzeitig Mischkonsum von Suchtmitteln erhöht die gesundheitli- chen Risiken. Beim Mischen von Alkohol und Tabak ist es oder innert einem kurzen Zeitraum unter anderem jenes für Krebs- oder Herz-Kreislauf- hintereinander konsumiert werden. Erkrankungen. Mischkonsum kann aber auch unmittelbar sehr gefährlich werden. Darauf machten in letzter Zeit die Informieren, aufklären und sensibilisieren ist deshalb Medien aufmerksam, sind doch in der Schweiz mehrere enorm wichtig. Wir sind mit Informationen im Internet Jugendliche und junge Erwachsene wegen Mischkonsums und in den Medien präsent und sind Ansprechpartner gestorben. Sie hatten psychoaktive Medikamente zusam- für Schulen und für Institutionen wie beispielsweise Ju- men mit weiteren Substanzen eingenommen. Deshalb gendtreffs oder Alterszentren zu Fragen der Prävention, konzentrieren sich die Fachartikel in diesem «laut & leise» Früherkennung und Frühintervention. Und bei Bedarf auf diese Altersgruppe. Auch bei Erwachsenen ist Misch- wissen wir, welche anderen Fachstellen, z. B. eine Sucht- konsum ein Thema – vor allem bei Menschen ab 55 Jah- beratungsstelle, die geeignete Unterstützung bieten kann. ren, die vermehrt rezeptpflichte Medikamente einnehmen (müssen) und zusätzlich regelmässig Alkohol trinken. n Die Stellen für Suchtprävention beobachten das Phä- nomen des Mischkonsums aufmerksam. Die Gefahren Sven Anders, Leiter der Suchtprävention Bezirk Bülach dürfen nicht unterschätzt werden: Eine Überdosis, un- Impressum Herausgeber: Die Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich. Zuschriften: info@suchtpraevention-zh.ch. Redaktions- und Produktions- Inhalt leitung: Brigitte Müller, muellertext.ch. Redaktionsteam: Gabriela Hofer, 4 Meldungen Nina Kalman, Domenic Schnoz (Vorsitz), Esther Vogler. Redaktion Meldungen aus der Suchtprävention: Annett Niklaus, Maja Sidler. 7 Vorsicht vor Nasenspray Mitarbeiter/innen dieser Nummer: Sven Anders, Christa Gomez, Michel Essay Käppeli, Urs Rohr, Dominique Schori, Markus Tschannen. Fotos: Andrè Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 Roth und Mark Schmid (rothundschmid). Gestaltung: Fabian Brunner. 8 Denn sie wissen nicht, was sie tun Druck: FO-Fotorotar. Interview mit Domenic Schnoz, Leiter ZFPS Abonnement, Adressänderung: www.suchtpraevention-zh.ch > 11 From West to East – Subkultur und Rausch Über uns > Magazin laut & leise Medikamentenkonsum in der Popkultur Die Beiträge und die Fotos in diesem «laut & leise» geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder. Diese muss nicht mit der Meinung 12 Schwierige Gespräche führen des Herausgebers, der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich, MOVE-Weiterbildung übereinstimmen. 16 Gefahren reduzieren Artikel, Fotos, Illustrationen sind urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne Genehmigung der Redaktion nicht verwendet werden. Falls Saferparty Streetwork Sie Interesse an einem Artikel haben: Anfrage bitte an Annett Niklaus (annett.niklaus@uzh.ch). 3
Meldungen 10-Jahre-Jubiläum Mediennutzung Kleinkinder stärken Zentrum für Spielsucht Den Flyer «Kinder stärken. Tipps für und andere Verhaltenssüchte Eltern von Kindern bis 4 Jahre. Fokus Mediennutzung» gibt es neu in Arabisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Farsi/Per- Das Zentrum für Spielsucht und andere sisch und Thailändisch. Die bisherigen Verhaltenssüchte für den Kanton Zü- Sprachversionen sind Deutsch, Alba- rich feiert dieses Jahr sein zehnjähriges nisch, Englisch, Portugiesisch, Spanisch, Bestehen – ein Anlass, Ihnen das Zent- Tamilisch, Türkisch. Die Flyer können im rum und seine Tätigkeiten vorzustellen. Kanton Zürich kostenlos bestellt Das Thema Spielsucht hat zu werden. (FISP/PG ZH) Pandemiezeiten an Bedeutung ge- Bestellung und Download: wonnen. Die neuen Online-Angebote suchtpraevention-zh.ch/infomaterial (Filter Familie) der Casinos und die Zunahme von Homeoffice-Tätigkeit am Computer sind für Suchtgefährdete eine Heraus- Für Eltern forderung. Wie Sucht Schweiz kürzlich mitteilte, haben sich im Jahr 2020 rund Medikamentenkonsum 10 000 Personen für eine Spielsperre unter Jugendlichen in Casinos und in Online-Geldspielen Manche Jugendliche nehmen rezept- entschieden – das sind über doppelt pflichtige Medikamente (insbes. Beru- so viele wie in Vorjahren. Die Gründe higungsmittel) zu Rauschzwecken ein. sind vielfältig. Das Zentrum reagiert Das birgt ernsthafte Risiken, vor allem, mit Sensibilisierungsmassnahmen und wenn Medikamente mit Alkohol oder Beratungsangeboten für Betroffene und anderen Drogen gemeinsam eingenom- Angehörige. In den zehn Jahren seines • Gruppentherapie men werden. Für interessierte Eltern Bestehens verzeichnet das Zentrum • Beratung von Bezugspersonen stehen kostenlos zwei Drucksachen eine Zunahme der Anfragen. und Fachpersonen bereit. Unser Flyer «Medikamente als Drogen» informiert Eltern und Jugend- Die Fachstelle ist der Gesundheits- Eine erste Abklärung zu Spielsucht liche kurz und knapp über Risiken und stiftung RADIX angegliedert und oder anderen Verhaltenssüchten ist darüber, wie man sich schützen kann. umfasst zwei Abteilungen: Die Präven- für Personen aus dem Kanton Zürich Für Eltern, die es tionsabteilung ist Teil unseres Verbun- kostenlos. genauer wissen wollen, des der Stellen für Suchtprävention im Am Zürcher Forum P&G vom 29. eignet sich der neue, Kanton Zürich. Sie unterhält folgende November 2021, 17.00–19.30 Uhr, wird ausführliche Leitfaden Angebote: die Tätigkeit des Zentrums vorgestellt für Eltern von Sucht • Information über Glücksspiel- und folgenden Fragen nachgegangen: Schweiz: «Medikamen- sucht und andere Verhaltenssüchte Wie können gefährdete Spielende von te – mit Jugendlichen • Sensibilisierung von Anbietern, Genussspielenden unterschieden wer- darüber sprechen». Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 Behörden, Schulen und Betrieben den? Welchen Beitrag zu ihrem Schutz Zusätzlich gibt es • Schulung und Fachberatung zu können Präventions- und Behandlungs- von Sucht Schweiz Prävention und Früherkennung angebote leisten? Wie können Betrof- für Jugendliche neu • Kantonale und nationale fene und Angehörige erreicht werden? den Flyer «Medi- Kooperationsprojekte Die Veranstaltung ist kosten- kamente». (Sucht los und richtet sich an Interessierte, Schweiz / PG ZH) Für Betroffene und ihre Angehörigen Angehörige, Betroffene und Fach- ist die Abteilung Beratung zustän- leute aus Prävention und Behandlung Bestellung und Download: suchtpraevention-zh.ch/infomaterial (Filter Familie) dig, und zwar mit: im Kanton Zürich. (PG ZH/ZFS) shop.addictionsuisse.ch > Substanzen & Verhalten > • Beratung und Psychotherapie für Anmeldung Forum: gesundheitsfoerderung-zh.ch Medikamente Einzelpersonen, Paare und Familien Mehr über das Zentrum: spielsucht-radix.ch 4
Neuer Flyer Factsheet Risiken von Nasensprays Romance Scam Die Zürcher Fachstelle zur Prä- Romance Scam vention des Suchtmittelmiss- oder Love Scam brauchs hat auf Wunsch der Apo- bezeichnet Liebes- theken im Kanton Zürich den Flyer betrug im Internet. «Chronisch verstopfte Nase? – Die Mit gefälschten Risiken bei langfristiger Anwen- Profilen wird den dung von Nasensprays» erstellt. Opfern über soziale Die rund 240 Apotheken im Medien persönli- Kanton Zürich können diesen nun ches Interesse und beim Verkauf von Nasensprays Verliebtheit vor- ihren Kundinnen und Kunden an- gegaukelt. Dies mit bieten. Obwohl der Gebrauch von dem Ziel, finan- Nasenspray keinen Rausch aus- zielle Zuwendungen zu erschleichen. Die Betroffe- lösen kann, wird dieser aktuell in nen werden dabei oft so geschickt manipuliert, dass den sozialen Medien von Jugend- eine suchtähnliche Abhängigkeit entstehen kann. lichen und jungen Erwachsenen Das Zentrum für Spielsucht hat in Zusammenarbeit angepriesen. Mit der Abgabe des Informationsflyers vor allem mit der Kantonspolizei Zürich ein Infoblatt zur Er- auch an eine junge Kundschaft soll auf die Risiken – wie chro- kennung und Intervention erarbeitet. Es enthält auch nisch verstopfte Nase – aufmerksam gemacht werden. (ZFPS) Tipps für Angehörige. (Zentrum für Spielsucht) Download: zfps.ch Download: tinyurl.com/34vdvkya Neue Broschüre Neuer Selbsttest Volksinitiative Tipps für Stellensuchende Pornografiekonsum Kinder und Jugend Während der Intensiver Pornokonsum vor Tabak schützen Stellensuche fallen kann süchtig machen wie Noch immer ist Werbung für Tabak- eine klare Tages- eine Droge. Man geht davon und Nikotinprodukte so platziert, struktur und auch aus, dass 3–6% der Bevölke- dass sie jungen Menschen ins Auge soziale Kontakte aus rung einen problematischen springt, etwa an Festivals oder in dem Arbeitsleben Pornokonsum haben – oft mit Gratiszeitungen. Und sie wirkt: weg. Der Übergang negativen Auswirkungen auf Bereits über 50% der 15-jährigen in einen neuen Job das reale Sexualleben und Jungen und 35% der gleichaltri- kann anspruchsvoll weitere Lebensbereiche. gen Mädchen haben schon einmal und eine kritische Der neu verfügbare Selbst- an einer E-Zigarette gezogen. Phase sein. In der test gibt Anhaltspunkte, wie Damit Kinder und Jugendliche neuen Broschüre der eigene Konsum einzu- besser vor dem Einstieg ins Rau- «Gesund auf dem schätzen ist, wie er gegebe- chen geschützt werden, kommt Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 Weg zum nächsten nenfalls verändert werden die Volksinitiative «Ja zum Schutz Job» erhalten Stel- kann und welche Hilfsange- der Kinder und Jugendlichen vor lensuchende Tipps, wie sie in dieser Situation ihre bote es gibt. Der Test wurde Tabakwerbung» im Februar oder Mai psychische Gesundheit stärken können. Die kon- vom Zentrum für Spielsucht 2022 zur Abstimmung. Eine breite kreten Vorschläge helfen, Abwehrkräfte gegen Be- und andere Verhaltenssüchte Trägerschaft aus Gesundheitsligen, lastungen zu mobilisieren und mit den Herausfor- in Zusammenarbeit mit Prä- Jugend- und Ärzteverbänden, aber derungen umzugehen. Die Broschüre ist Teil der vention und Gesundheitsför- auch anderen wie Swiss Olympic Kampagne «Wie geht’s dir?». Sie kann im Kanton derung Kanton Zürich entwi- und Dachverband Lehrerinnen und Zürich kostenlos bestellt werden. (PG ZH) ckelt. (Zentrum für Spielsucht) Lehrer Schweiz, steht hinter ihr. Bestellung und Download: Web: suchttest.ch Web: kinderohnetabak.ch gesundheitsfoerderung-zh.ch/wgd-stellensuchende 5
Essay Vorsicht vor Nasenspray M eine Frau ist eine Sprayerin. moderne Errungenschaften, die es bei Be- Beispiel der Brecht nachts mit Bein- Doch sie sprayt nicht Züge oder darf zu nutzen gilt. Niemand soll sich von schmerzen aufwacht. Wir halten dann Unterführungen voll, sondern leichten Kopfschmerzen den Tag verder- eine Art Laienarztvisite am Fussende des ihre Nase mit Nasenspray. Dabei wäre mir ben lassen – dagegen gibt es schliesslich Betts. Meist sieht der Behandlungsplan lieber, sie würde Hauswände besprühen. Vielleicht unsere eigene, mit vorgängiger Insgeheim hoffe ich, dass Beebers und der Brecht durch Baubewilligung. Ich wünsche mir als Su- jet in grossen Buchstaben: «Vorsicht vor unsere sorgfältigen Abwägungen am Bettrand einen Nasenspray!» verantwortungsvollen Umgang mit Medikamenten lernen. Lässt die Wirkung von abschwellen- dem Nasenspray nämlich nach, schwellen Ibuprofen. Ich bin ebenfalls ein grosser etwa so aus: «Versuch an etwas Schönes die Schleimhäute wieder an. Nach mehr- Fan der modernen Medizin. Aber bei mir zu denken. Wenn es in einer halben Stun- tägiger Anwendung passiert das schneller kommen Medikamente erst zum Einsatz, de nicht besser geworden ist, nehmen wir und schneller. Wer den richtigen Aus- wenn der Körper alleine überfordert ist. ein Medikament … also du. Papa nimmt stiegszeitpunkt verpasst, sprüht immer Erst wenn ich die Kopfschmerzen kaum gar nichts …» *pscht-pscht*. Das Geräusch öfter und kann irgendwann ohne Nasen- noch aushalte. Ein Medikament ist die im Hintergrund stammt vom Nasenspray spray kaum noch atmen – dabei ist die zweitletzte Massnahme vor der Hirn- meiner Frau. eigentliche Erkältung längst vorbei. Der transplantation. Mit diesem Verhalten Insgeheim hoffe ich, dass Beebers und Teufel rennt im Kreis. will ich keinesfalls Stärke markieren. Ich der Brecht durch unsere sorgfältigen Ab- Natürlich weiss ich, dass bei sorgfälti- habe vielmehr Respekt vor fremden Subs- wägungen am Bettrand einen verantwor- ger Anwendung keine Gefahr droht. Aber tanzen und meinen Innereien, deren Wir- tungsvollen Umgang mit Medikamenten unter Stress, Schmerzen und verstopfter ken ich nicht verstehe. lernen. Eine naive Hoffnung, ich weiss. Nase neigt der Mensch selten zur Sorg- Zum Glück haben meine Frau und ich Schliesslich haben sich schon viele andere falt. Zugegeben, ich weiss gar nicht, wie je einen eigenen Körper. Es kann mir Erziehungshoffnungen früh zerschlagen. viel Nasenspray sich meine Frau tatsäch- also egal sein, wenn sie sich quer durch Gäbe es ein Medikament gegen Naivität, lich in die Nase pfeift. Auf ihrem Nacht- die Hausapotheke snackt, und sie kann ich würde zumindest mal den Beipack- tischchen steht ständig eins der kleinen mich ignorieren, wenn ich schmerzver- zettel lesen. Aber manchmal lernt man Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 Plastikfläschchen. Vermutlich will sie es zerrt in einer Ecke sitze und das Zäpfchen ja durchaus von seinen Familienmitglie- bei Bedarf einfach an ihrer Seite wissen. verweigere. dern. Als kürzlich meine Nase verstopft Vielleicht greift sie auch öfter danach, als Komplizierter wird es beim Nach- war, habe ich sogar Nasenspray genom- sie zugeben mag. Wir reden über fast al- wuchs. Da geht es natürlich nicht, dass men. Aber nur in ein Loch. les, aber bei dem Thema gerne aneinander ein Elternteil die Kinder prophylaktisch vorbei. in Nasenspray badet und zur Sicherheit n Möglicherweise bin jedoch ich das noch eine Flasche Fiebersaft hinterher- Problem. Am Nasenspray manifestiert kippt. Genauso wenig kann der andere Markus Tschannen ist Papablogger, Kolumnist und Vater von Beebers (2) und dem Brecht (7). Er twittert sich nämlich unsere grundsätzlich unter- Elternteil die Kinder einfach unbehan- unter dem Namen @souslik schiedliche Einstellung zur Pharmako- delt die Nacht durchröcheln lassen. Also logie. Für meine Frau sind Medikamente müssen wir uns absprechen, wenn zum 7
Domenic Schnoz, Leiter ZFPS, Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs Denn sie wissen nicht, was sie tun Jugendliche gehen lebensgefährliche Risiken ein, wenn sie sich mit psychoaktiven Medikamenten in Kombination mit anderen Substanzen berauschen. Warum, erklärt der Suchtpräventionsexperte Domenic Schnoz. Von Brigitte Müller laut & leise: Was wird in der Suchtpräven- Mischkonsum, der mit hohen Risiken für eine Atemlähmung erleiden. Durch die tion als Mischkonsum bezeichnet? die Betroffenen verbunden ist. Auch in Bewusstlosigkeit wird die Atemlähmung Domenic Schnoz: Werden mehr als eine der Partyszene werden seit vielen Jahren nicht bemerkt – weder von der betroffe- Substanz gleichzeitig oder zeitnah ein- psychoaktive Substanzen gemischt kon- nen Person noch vom Umfeld. Oder es genommen, sprechen wir von Mischkon- sumiert. In jüngster Zeit machen tragische wird einem übel und in der Bewusstlosig- sum. Die Fachwelt interessiert sich dabei Todesfälle unter jungen Menschen, die keit atmet man das Erbrochene ein und für jene Substanzen, die eine psychoakti- rezeptpflichte Medikamente in Kombina- erstickt daran. Auch eine Atemdepres- ve Wirkung erzeugen. Besorgniserregend tion mit Alkohol oder/und anderen Subs- sion, also eine Herabsetzung der Atmung, ist dabei, dass die Kombination von meh- tanzen zu sich nehmen, von sich reden. ausgelöst durch sedierende Substanzen, reren Substanzen schwer abschätzbare kann lebensgefährlich sein. Werden se- Folgen haben kann – mitunter kann das l & l: Was passiert im Körper, wenn ver- dierende mit aufputschenden Substan- tödlich enden. schiedene Substanzen gemischt einge- zen kombiniert, beispielsweise Alkohol nommen werden? mit Kokain, ist vor allem die dadurch l & l: Weshalb ist der missbräuchliche Schnoz: Es gibt sedierende Substanzen entstehende, extreme Belastung für den Mischkonsum für die Zürcher Fachstel- wie Alkohol, Heroin, Schlaf- und Be- Körper problematisch. Insbesondere das le zur Prävention des Suchtmittelmiss- ruhigungsmittel, die beruhigen, müde Herz-Kreislauf-System wird dabei in Mit- brauchs (ZFPS) ein Thema? Schnoz: Innerhalb des Verbundes der Stellen für Suchtprävention ist die ZFPS Brandgefährlich wird es, wenn sedierende Substanzen die spezialisierte Fachstelle für die Prä- wie Alkohol und Schlafmittel oder ein starkes Schmerzmittel vention des Suchtmittelmissbrauchs. gleichzeitig eingenommen werden. Dabei legen wir einen Schwerpunkt auf Alkohol, bestimmte Medikamente sowie tabak- und nikotinhaltige Produkte. So- machen und verlangsamend wirken. Im leidenschaft gezogen, was im Extremfall mit interessiert uns nicht nur der Konsum Gegensatz zu den aufputschenden, wach zu einem Schlaganfall oder Herzinfarkt dieser einzelnen Substanzen, sondern und leistungsfähig machenden Substan- führen kann. ebenso der Mischkonsum. Wir entwickeln zen wie Kokain, Amphetamin, Ecstasy. und lancieren zielgruppenspezifische Werden nun solche Substanzen gemischt l & l: Was versprechen sich die Jugendli- Projekte, führen Weiterbildungen durch, und zeitnah konsumiert, beeinflussen chen vom Mischkonsum? leisten Öffentlichkeitsarbeit und sind sich die Substanzen gegenseitig, sodass Schnoz: Vorab möchte ich erwähnen, dass schweizweit eng vernetzt mit verschiede- unkontrollierte Wechselwirkungen ent- abgesehen von der HBSC-Studie* wissen- Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 nen Akteuren der Suchtprävention und stehen können. Die Wirkungen der ver- schaftliche Fakten zum Medikamenten- der Schadensminderung. schiedenen Substanzen können sich dabei missbrauch unter Jugendlichen bis heute gegenseitig verstärken, mit unabsehbaren fehlen. Um diese Fragen und auch weitere l & l: Welche Menschen, die verschiedene Folgen. Brandgefährlich wird es, wenn zu beantworten, stütze ich mich auf In- Substanzen gleichzeitig einnehmen, ste- sedierende Substanzen wie Alkohol und formationen basierend auf Ermittlungen hen seit Längerem im Fokus? Schlafmittel oder ein starkes Schmerz- der Polizei, Einschätzungen von Fachper- Schnoz: Untersuchungen zeigen, dass mittel gleichzeitig eingenommen werden. sonen, Rückmeldungen von Suchtbera- bei älteren Menschen ein chronischer, tungsstellen und individuellen Aussagen riskanter Alkoholkonsum ein Thema ist. l & l: Warum? In Kombination mit bestimmten rezept- Schnoz: Innert kürzester Zeit kann man * Schüler/innen-Studie Health Behaviour in School- pflichtigen Medikamenten entsteht ein das Bewusstsein verlieren und dabei aged Children (HBSC), 2018 8
Das Gefährliche am Mischkonsum ist, dass er oft zufällig, ohne Wissen über die entstehenden wechselseitigen Wirkungen, aus Spass oder Langeweile betrieben wird. Es kann zehnmal gut gehen, aber beim elften Mal kann eine Wirkung eintreten, zum Beispiel wegen gefälschter Medikamente, die sehr schnell lebensgefährlich sein kann. von jugendlichen Konsumentinnen und ckung und Inhalt wie das Original ausse- wissen, dass Jugendliche einen bedenkli- Konsumenten. Meistens kommt es zum hen, können es gefälschte Medikamente chen Mischkonsum praktizieren? Mischkonsum im Ausgang oder in der sein, deren Inhaltsstoffe, Dosierung und Schnoz: Es ist wichtig, dass man sich in- Gruppe von Gleichaltrigen. Es geht dabei, Wirkung von den Packungsangaben ab- formiert und sich bewusst macht, dass wie so oft, um den Kick, den Rausch, das weichen. die Einnahme von Medikamenten, be- Mitmachen und Dabeisein. Man möchte sonders auch in Zusammenhang mit dem seinen Mut beweisen oder den stressigen l & l: Welchen Gefahren setzen sich die beschriebenen Mischkonsum, gefährlich Alltag vergessen oder man probiert ein- Konsumenten beim Mischkonsum aus? ist. Deshalb sollte man bei einer Ver- fach aus Langeweile etwas Neues aus. Schnoz: Das Gefährliche am Mischkon- mutung versuchen, frühzeitig mit der/ sum ist, dass er oft zufällig, ohne Wissen dem Jugendlichen darüber zu reden. Im l & l: Welche Jugendlichen praktizieren über die entstehenden wechselseitigen Dialog seine Sorgen thematisieren, aber solch gefährlichen Mischkonsum? Wirkungen, aus Spass oder Langeweile keine Vorwürfe formulieren und keine Schnoz: Die Bandbreite von Jugendlichen betrieben wird. Es kann zehnmal gut ge- Vorverurteilungen aussprechen. Bei Un- scheint sehr gross zu sein – von gut inte- hen, aber beim elften Mal kann eine Wir- sicherheiten raten wir, sich die Hilfe von grierten, unauffälligen Jugendlichen bis kung eintreten, zum Beispiel wegen ge- Fachleuten zu holen, beispielsweise bei hin zu Jugendlichen aus prekären Lebens- fälschter Medikamente, die sehr schnell der Regionalen Suchtpräventionsstelle. situationen. Auch betreffend Bildung und lebensgefährlich sein kann. Unter Um- sozialen Hintergrund ergibt sich für mich ständen braucht es für eine bedrohliche l & l: Sie haben erwähnt, dass die Daten- im Moment kein einheitliches Muster. Reaktion auch nur eine geringe Menge an lage zum Mischkonsum, insbesondere mit Alkohol in Kombination mit einer ande- Medikamenten, in der Schweiz noch sehr l & l: Welche Medikamente sind bei Ju- ren psychoaktiven Substanz. Die unbe- lückenhaft ist. Sollte es nicht mehr fun- gendlichen besonders beliebt? rechenbare Wirkung, die von Körper zu dierte Informationen darüber geben? Schnoz: Erfahrungen zeigen, dass Jugend- Körper anderes ablaufen kann, erhöht Schnoz: Nicht nur die Datenlage zur Ver- liche Schlaf- und Beruhigungsmittel, also die Risiken eines Mischkonsums enorm. breitung ist unzureichend, sondern wir Benzodiazepine wie Xanax oder Seres- wissen zu wenig über Konsummotive, ta, einnehmen. Beliebt sind auch starke l & l: Können Sie uns weitere Risiken auf- Konsumarten, über ein allfälliges Risiko- Schmerzmittel oder Hustensirups, soge- zählen? bewusstsein. Vielleicht kennen die betrof- nannte opioidhaltige Medikamente. Aus- Schnoz: Grundsätzlich können Schlaf- fenen Heranwachsenden selber Strate- serdem werden Medikamente konsumiert, und Beruhigungsmittel abhängig machen gien, wie sie das Risiko mindern können? die eigentlich zur Behandlung von Auf- und zu Schlafstörungen führen. Bei einer Weiter möchten wir mehr darüber wissen, merksamkeitsdefizitstörungen eingesetzt häufigen Einnahme von Benzodiazepinen wie genau wir unsere Präventionsange- werden, zum Beispiel Ritalin. Der Grund kann das Gedächtnis beeinflusst werden bote auf die bereits konsumierenden Ju- dafür liegt in der stimulierenden Wirkung und/oder es kommt zu einer Gefühls- gendlichen oder solche, die kurz vor dem dieser Substanzen, die als «saubere»Alter- abflachung, einer Art Gleichgültigkeit Konsum stehen, ausrichten müssen. Des- native zu Amphetaminen gesehen werden. gegenüber allem. Neben einer Suchtent- halb ist unsere Fachstelle auch Koopera- wicklung können zudem psychische Stö- tionspartner der Studie «Wodka, Benzos Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 l & l: Wie beschaffen sich die Jugendlichen rungen wie eine Depression entstehen. & Co: Jugendliche und junge Erwachsene die rezeptpflichtigen Medikamente? Wir müssen aber auch andere Risiken mit Mischkonsum», die seit Januar 2021 Schnoz: Der Zugang muss relativ ein- beachten, wie beispielsweise die erhöhte bis März 2023 vom ISGF der Universität fach sein – über die sozialen Medien, den Gefahr eines Unfalls, insbesondere eines Zürich durchgeführt wird. Freundeskreis, lokale Kleindealer, den Autounfalls oder eines sexuellen Über- Medikamentenschrank zuhause oder griffs. Oder es kommt zu Konflikten in der l & l: Können Sie uns knapp die wichtigs- mit gefälschten Rezepten. Auch über das Schule, bei der Berufslehre oder es drohen ten Elemente dieser Studie vorstellen? Darknet sind psychoaktive Medikamente finanzielle Probleme und so weiter. Schnoz: Der Kern ist eine Onlinebe- erhältlich. Der Kauf von Medikamenten fragung von jungen Menschen im Alter online oder auf dem Schwarzmarkt ist l & l: Was können Eltern oder Lehrperso- von 14 bis 20 Jahren zum Mischkonsum. besonders gefährlich. Auch wenn Verpa- nen unternehmen, wenn sie ahnen oder Wenn Teilnehmende dabei äussern, dass 9
sie gerne eine Beratung annehmen möch- ten, werden sie von einer Fachperson des Projektteams kontaktiert und an ein geeignetes Angebot triagiert. Basierend auf den Umfrageergebnissen und in Zu- sammenarbeit mit Fachinstituten und mit Jugendlichen werden aufgrund der Be- fragungsergebnisse entsprechende Inter- ventionskonzepte erarbeitet. l & l: Welche Angebote stellen die Stellen der Suchtprävention des Kantons Zürich zur Verfügung? Schnoz: Grundsätzlich sind unsere An- gebote auch kompatibel mit dem Thema Mischkonsum. Für Schulen bieten wir ja seit Langem das bewährte Angebot der Früherkennung und Frühintervention an. Mit den damit erarbeiteten Massnah- men können Lehrerinnen und Lehrer den Mischkonsum zum Thema machen, sensi- bilisieren und informieren, aber auch ler- nen, wie sie möglichst frühzeitig Alarm- signale erkennen und adäquat reagieren können. Um in den Dialog mit den Jugend- lichen treten zu können, ist sicher auch der Weiterbildungskurs «MOVE» hilf- reich. Die Methode wird in diesem «laut & leise» auf den Seiten 12 bis 14 beschrie- ben. Im November 2020 hat der Zürcher Stellenverbund erstmals ein Informati- onspapier zum Thema «Medikamente als Drogen» veröffentlicht. Da wir auch über- kantonal stark vernetzt sind, stehen wir zudem im ständigen Kontakt mit anderen Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 Fachleuten und tauschen unser Wissen und unsere Erfahrungen aus. n Domenic Schnoz ist Leiter der Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs (ZFPS). Er ist Soziologe mit dem Schwerpunkt Sucht. Brigitte Müller, Texterin und Redaktionsleitern «laut & leise», stellte die Fragen. 10
Medikamentenkonsum in der Popkultur From West to East – Subkultur und Rausch Substanzen sind in der Popkultur seit jeher präsent. Um die Musik entsprechend wahrzunehmen, werden beruhigende Medikamente eingenommen. Eine Kombination, die sich toxisch auf den menschlichen Körper auswirken kann. Von Michel Käppeli S eit Beginn der 90er-Jahre bis heu- eigenen Medikamentenmissbrauchs in USA junge, aufstrebende Musiker/innen, te sind es neben anderen Drogen den Songtexten möglicherweise eine Be- die diese Hip-Hop-Kultur im Zusammen- auch psychoaktive Medikamente, wältigungsstrategie sein, um negativ er- hang mit dem Konsum von Medikamenten die in einigen Musikgenres prägend sind. lebte Erfahrungen durch gesellschaftliche verabscheuen und den «Zombie-Rap» als Ihr Einfluss ist besonders deutlich in der Ungerechtigkeiten zu verarbeiten. Das Schande des Hip-Hop bezeichnen. In Eu- Welt des Hip-Hop und des Rap. Lean, Gefühl der Perspektivlosigkeit und das ropa findet dieses Umdenken leider noch ein potenziell gefährliches Gemisch, das Bedürfnis, sich selbst zu sedieren, wird zu wenig statt. durch die Kombination von Codein-Hus- jedoch vermehrt als nachzuahmendes tensaft mit Limonade und süssen Bonbons Lebensgefühl an die Jugend verkauft. Musiker/innen tragen Verantwortung hergestellt wird, Percocet, ein Oxycodon Der erwähnte Bewältigungsmechanis- Auch in der Schweiz ist der Trend seit und paracetamolhaltiges Medikament, mus wurde zu Beginn dieser bedenklichen einigen Jahren etabliert. Schweizer Ju- Benzodiazepine wie Xanax und Tili- Entwicklung in den USA direkt in die Oh- gendliche nehmen sich unter anderem din, ein schmerzstillendes Arzneimittel ren einer jungen Generation gestreamt, deutsche Hip-Hop-Künstler/innen zum u. v. m., werden in verschiedenen Songs die sich mit den betroffenen Künstler/ Vorbild, in deren Songs der Konsum von mittlerweile öfter erwähnt als Cannabis innen identifizieren konnte. Social Media zentraldämpfenden Substanzen ein ste- oder Alkohol. Zentraldämpfende Medi- ermöglichte ausserdem die rasche Ver- tiges Thema ist. Da die Texte in Deutsch kamente, Arzneimittel, die auf das Atem- breitung dieser Konsummuster. Posten sind, wird die Botschaft verstanden und zentrum des menschlichen Körpers beru- Künstler/innen ein Foto oder Video auf reizt zum Nachmachen. Beispiel dafür ist higend wirken, gehören zum Lifestyle der Instagram, kann damit innert Sekunden der Song von Rapper Ufo361 40k, in dem neu etablierten Musikrichtungen (Trap, ein Millionenpublikum erreicht werden, er Folgendes rappt: «Dritte Roli, noch ’ne Cloudrap usw.) und passen perfekt zu was sowohl der Verherrlichung dieser Patek, ey, ey. Misch’ das Lean mit Xanax, den langsamen, spacigen Drums und ge- schädlichen Konsummuster fatalerweise ey.» Oder der sehr erfolgreiche Chart-Hit dämpften Bässen. zusätzlichen Schub gibt, als auch die Pro- «Tilidin» von Capital Bra: «Gib mir Tilidin, fite der Künstler/innen und der Musik- ja, ich könnte was gebrauchen. Wodka-E, Chopped and Screwed industrie steigert. um die Sorgen zu ersaufen.» Diese Song- Den Anfang machte zu Beginn der 90er- texte können Heranwachsende zu einem Jahre DJ Screw in Houston, Texas, mit USA / Europa gefährlichen Mischkonsum verleiten. Es seinem einzigartigen psychedelischen, Es dauerte einige Jahre, bis dieser be- ist daher wichtig, dass auch in Europa spacigen Sound, der als «Chopped and sorgniserregende Trend auf die Hip-Hop- und der Schweiz über die Thematik und Screwed» bekannt wurde. Durch die Po- Kultur in Europa überschwappte. Letzt- ihre Gefahren offen gesprochen wird und Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 pularität dieses Musikstils stieg gleichzei- endlich haben aber europäische Künst- Musiker/innen Verantwortung überneh- tig der Konsum von Lean. Die Kombina- ler/innen den Substanzkonsum von zen- men und den Konsum nicht weiter ver- tion von Musik und Substanz löst bei den traldämpfenden Medikamenten bzw. das herrlichen. Zuhörenden ein Gefühl von beruhigender Besingen derselben von den Künstler/ Euphorie aus und ist eine bewusste Be- innen in den USA kopiert. Im Gegensatz n einflussung der Musikwahrnehmung mit zu Europa findet nun in den USA aufgrund zentraldämpfenden Medikamenten. von Todesfällen von bekannten Rapper/ Michel Käppeli, Sozialarbeiter FH bei Saferparty Streetwork und im Drogeninformationszentrum DIZ in Auch die aktuell populären Hip-Hop- innen ein Umdenken statt: Aktuell wird Zürich. In der täglichen Arbeit legen Michel und sein Genres verweisen seit längerem direkt vermehrt über die Problematik gespro- Team in den Beratungen viel Wert auf die Vermittlung auf solche Drogen. Dabei kann das Kon- chen und nicht mehr nur verherrlichend von Safer-Use-Botschaften. sumieren und das Thematisieren des darüber gerappt. Zudem gibt es in den 11
MOVE-Weiterbildung Schwierige Gespräche führen Wie kommt man mit Jugendlichen ins Gespräch, um über ihren Drogenkonsum zu reden? Wie motiviert man junge Erwach- sene, ihr problematisches Verhalten zu verändern? Die Weiterbildung MOVE kennt wirkungsvolle Gesprächstechniken. Von Christa Gomez und Urs Rohr D ie junge Frau, die mir gegenüber- cherung und aufkommende Selbstzweifel von der Universität Bielefeld wissen- sitzt, wirkt sehr klar. Sie weiss die Folge. schaftlich begleitet und evaluiert wor- vieles über Cannabis und versucht DasInteresseanPräventionsthemenist den ist. gar nicht erst, ihren eigenen Konsum bei Jugendlichen meist begrenzt: Zu gross Ursprünglich wurde MOVE als «MO- zu verbergen. Ja, sie kiffe und sie kenne ist das Vertrauen in die Stärke der eige- tivierende KurzinterVEntion bei kon- die Risiken. Und ja, sie habe auch schon nen Jugend, zu weit weg die Probleme, die sumierenden Jugendlichen» für das schlechte Erfahrungen mit diesem Sucht- eine Suchtentwicklung mit sich bringt. Es Setting Jugendarbeit/Jugendhilfe ent- mittel gemacht. Aber vor dem Einschlafen fällt ihnen schwer, sich vorzustellen, eine wickelt, mittlerweile werden adaptierte einen Joint zu rauchen, das brauche sie, Situation könnte ihnen entgleiten, fühlen MOVE-Weiterbildungen auch für die Set- um sich zu entspannen. Ausserdem wür- sie sich doch kompetent und stark. Zudem tings Schule, Arbeitsplatz und Frühpäda- den alle ihre Freunde auch kiffen. Nun erleben sie ihren Konsum in schwierigen gogik angeboten. habe die Schulsozialarbeiterin sie hier- Situationen oft auch als kurzfristige Er- Zwölf Bausteine beleuchten anhand hergeschickt und das finde sie ganz o.k. leichterung und halten darum an diesem kurzer theoretischer Inputs Themen wie Toll, denke ich, da wird es ein Leichtes fest, auch wenn andere Bewältigungsstra- Entwicklungsaufgaben, Umgang mit Wi- sein, ihr den letzten Schubs in die «richti- tegien angewendet werden müssten. derstand, Diskrepanzen in der Lebens- ge Richtung» zu geben, damit sie mit dem Kiffen aufhört oder ihren Konsum zumin- MOVE liegt eine empathische Haltung zugrunde, bei der dest reduziert. Ich betone also nochmals die negativen Auswirkungen des Canna- das Individuum im Zentrum steht und als Expertin/Experte biskonsums, lasse mir von ihr bestätigen, des eigenen Lebens akzeptiert wird. dass ihr Konsum sicherlich nicht gesund- heitsförderlich ist, und versichere ihr Die Beratung von Jugendlichen und führung und aktives Zuhören. Mit Übun- wiederholt, dass ihr Leben ohne Cannabis jungen Erwachsenen kommt also einer gen in Kleingruppen und praxisnahem besser wäre. Schön, da konnte ich helfen, Gratwanderung gleich. Schlägt man einen Training von Gesprächssituationen wer- denke ich. Doch weit gefehlt: Ein halbes allzu schulmeisterlichen Ton an, steht den die neuen Kenntnisse gleich selbst Jahr später steht die junge Frau wieder in man schnell auf verlorenem Posten, denn angewendet. So kann die Gesprächstech- meinem Büro – und kifft noch immer. Belehrungen werden wenig geschätzt. nik aus beiden Perspektiven erlebt wer- Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 Aber eine zu saloppe und kumpelhafte den, als Beratungsperson wie auch als Was ist falsch gelaufen? Kommunikation erzielt die gewünschte Klient/in. Hat meine Beratung nichts genützt? Was Wirkung leider auch nicht. Es gilt also, die MOVE liegt eine empathische Haltung wäre der richtige Ansatz gewesen? Solche richtigen Worte und die richtige Art der zugrunde, bei der das Individuum im oder ähnliche Situationen kennen wahr- Intervention zum richtigen Zeitpunkt zu Zentrum steht und als Expertin/Experte scheinlich die meisten Fachpersonen, die finden. Dabei hilft MOVE. des eigenen Lebens akzeptiert wird. Ziel mit Jugendlichen oder jungen Erwachse- der Methode ist, ein Gesprächsumfeld zu nen arbeiten. Man begleitet und unter- Was ist MOVE? schaffen, in dem Jugendliche ihr Konsum- stützt sie nach bestem Wissen und Gewis- MOVE ist eine dreitägige Weiterbildung, verhalten und seine Gefahren bewusst sen – doch die angestrebte Veränderung die von Ginko, der Stiftung für Prävention reflektieren können – ohne dass dabei tritt nicht ein. Nicht selten sind Verunsi- in Nordrhein-Westfalen, entwickelt und Abstinenz als einzige Alternative propa- 12
giert wird, sondern geprüft wird, wie der Schädlichkeit meines Tabakkonsums be- frischen Ex-Rauchenden (Stadium Ak- Konsum so angepasst werden kann, dass wusst und möchte irgendwann aufhören.» tion) nochmals die (subjektiven) Vor- und die (potentiell) schädlichen Auswirkun- • Vorbereitung: «Ich informiere mich Nachteile des Rauchens zu erörtern. gen reduziert werden. über Rauchstopp-Angebote, an meinem MOVE eignet sich besonders für Perso- Geburtstag werde ich aufhören!» Motivierende Gesprächsführung nen, die bereits riskante Konsummuster • Aktion: «Gestern habe ich meine letzte Methodisch orientieren sich MOVE-Ge- oder ein anderes problematisches Ver- Zigarette geraucht.» spräche an der Motivierenden Gesprächs- halten aufweisen. Dabei ist keine expli- • Aufrechterhaltung: «Auch wenn es führung (MI). Bei MI handelt es sich um zite Veränderungsbereitschaft nötig, im manchmal noch schwierige Momente gibt: eine klientenzentrierte, aber zielgerichte- Gegenteil: In kurzen, spontanen Gesprä- Ich rauche seit drei Monaten nicht mehr.» te Methode zur Steigerung der Eigenmo- chen «zwischen Tür und Angel» werden Interesse und Offenheit signalisiert, Pro- In kurzen, spontanen Gesprächen «zwischen Tür und Angel» bleme angesprochen und Hilfe angeboten. werden Interesse und Offenheit signalisiert, Probleme Modell und Methoden angesprochen und Hilfe angeboten. MOVE stützt sich auf das Transtheore- tische Modell der Verhaltensänderung Diese Phasen werden auf dem Weg zu tivation für eine Veränderung. Wichtige (TTM) nach Prochaska und DiClemente einer Veränderung aber nicht linear Prinzipien bei MI sind etwa «Empathie sowie die Motivierende Gesprächsfüh- durchlaufen, sondern es kann auch zu zeigen», eine «akzeptierende Haltung rung (Motivational Interviewing, MI) nach «Rückfällen» in frühere Stadien kommen. vertreten», «Beweisführung vermeiden», Miller und Rollnick (siehe Literaturtipps «Selbstwirksamkeit stärken» oder ein im Kasten). Das TTM geht davon aus, dass Zu jedem der fünf Stadien gibt es passen- «flexibler Umgang mit Widerstand». Be- Veränderung nicht auf einer einmaligen de Interventionsformen, die den Klien- sondere Bedeutung kommt auch der Be- Entscheidung basiert, sondern ein Pro- ten oder die Gesprächspartnerin unter- arbeitung von Diskrepanzen und Ambi- zess ist. Dieser lässt sich in fünf Stadien stützen, Motivation aufzubauen, um das valenzen zu. Unter Diskrepanzen werden gliedern: nächste Stadium in Angriff zu nehmen. innere Widersprüche verstanden: Ein/e • Absichtslosigkeit: «Ich rauche gern!» Bei Personen im Stadium der Absichts- Jugendliche/r will zwar im Fussballver- • Absichtsbildung: «Ich bin mir der losigkeit beinhaltet die Intervention ein in die nächsthöhere Mannschaft auf- zum Beispiel die Vermittlung sachlicher steigen, hat aber vor drei Monaten zu rau- Informationen zu den Risiken eines be- chen angefangen. Das Aufdecken solcher MOVE in Kürze stimmten Verhaltens. Bei jemandem, der Widersprüche kann sehr hilfreich sein, • MOVE ist eine Form der Beratung, in der Absichtsbildungsphase ist, kann es schafft es doch die Grundlage für eine Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 die auch in kurzer Zeit gute Ergeb- die Bearbeitung von Ambivalenzen sein: bewusstere Auseinandersetzung. Etwas nisse zeigt und sich in verschiede- «Welche Vorteile bringt es mir, weniger zu weniger gegensätzlich als Diskrepanzen nen Situationen anwenden lässt. kiffen? Worauf muss ich verzichten, wenn sind Ambivalenzen: Eine Jugendliche • MOVE sieht Veränderung als einen ich weniger kiffe?» Interventionen, die in liebt zwar das gesellige Zusammensein Prozess. einem Stadium wirksam sind, können in unter Alkoholeinfluss, der allfällige Kont- • MOVE will die Motivation zur einem anderen wirkungslos oder sogar rollverlust und der Kater am nächsten Tag Veränderung stärken. kontraproduktiv sein. Es ist beispielswei- sind ihr allerdings unangenehm. • MOVE eröffnet neue Wege der se nicht sinnvoll, einer absichtslosen Rau- Nehmen wir zur Verdeutlichung unser Kommunikation zwischen Fach- cherin Nikotinkaugummis zu empfehlen, Eingangsbeispiel. Zwar ist der jungen personen und Zielgruppen. das steht erst in der Vorbereitungsphase Frau bewusst, dass ihr Verhalten nicht an. Ebenso bringt es wenig, mit einem gesundheitsförderlich ist, und schlechte 13
Die Klient/innen müssen die Verhaltensänderung nicht nur wichtig finden, sie müssen auch überzeugt sein, eine Verhaltensänderung erfolgreich umsetzen zu können. Es geht also auch darum, kleine, erreichbare Ziele zu formulieren, die vielleicht noch nicht den erwünschten Endzustand beschreiben, aber auf dem Weg in die richtige Richtung Erfolgserlebnisse ermöglichen. Erfahrungen hat sie unter Cannabisein- so kleine Intervention haben einen Effekt. Gesprächspartner/innen bestens geeignet fluss ebenfalls schon gemacht. Will sie Wichtig ist bei der Förderung der Motiva- ist. Mittels MOVE lässt sich zum Beispiel aber damit aufhören? Nein, zumindest tion für eine Verhaltensänderung immer, gut mit Jugendlichen darüber reflektieren, nicht heute oder morgen. Da keine ausrei- dass sowohl «Wichtigkeit» als auch «Zu- weshalb sie die Schule schwänzen. Oder chende Veränderungsmotivation vorliegt, versicht» gestärkt werden. Die Klient/in- mit Eltern von kleinen Kindern, weshalb ist es in diesem Moment sinnlos, ihr kon- nen müssen die Verhaltensänderung nicht sie ihren Nachwuchs wiederholt im Win- krete Tipps zum Aufhören zu vermitteln. nur wichtig finden, sie müssen auch über- ter nur leicht bekleidet in die Kita brin- Sie befindet sich wahrscheinlich in der zeugt sein, eine Verhaltensänderung er- gen. Die vielen positiven Rückmeldungen Phase der Absichtsbildung: Ganz sorglos/ folgreich umsetzen zu können. Es geht also unserer Teilnehmer/innen bestätigen uns absichtslos ist sie zwar nicht mehr, aber auch darum, kleine, erreichbare Ziele zu in unserem Vorhaben, das Angebot von noch immer zieht sie aus ihrem Konsum formulieren, die vielleicht noch nicht den MOVE-Kursen weiter auszubauen. mehr Vor- als Nachteile. Hilfreicher wäre erwünschten Endzustand beschreiben, Aber nicht nur für die Weiterbildung es daher, mit ihr das Dafür und Dawider aber auf dem Weg in die richtige Richtung von Berufsleuten in verschiedenen Set- zu erheben, sie dieses gewichten zu lassen, Erfolgserlebnisse ermöglichen. tings hat sich MOVE bewährt – es ist auch mit ihr diese Waage zu analysieren – und in der täglichen Arbeit einer Suchtpräven- sie dann auch wieder laufen zu lassen. MOVE im Kanton Zürich tionsstelle immer wieder nützlich. Sei es Denn ein grosser Teil des Veränderungs- Vor 15 Jahren liessen sich erstmals ein im Gespräch mit der oben geschilderten prozesses vollzieht sich ausserhalb der gutes Dutzend Mitarbeitende der Stellen jungen Frau oder auch in Verhandlungen Beratungssituation. Der Anspruch, im- für Suchtprävention im Kanton Zürich zu mit Multiplikator/innen und Koopera- mer gleich eine grundlegende Wirkung MOVE-Trainer/innen ausbilden. Seither tionspartnern, in denen es sehr hilfreich zu erzielen, ist entsprechend zu ambitiös. haben regelmässig neue Kolleginnen und sein kann, mit den Methoden von MOVE Und doch: Jedes Gespräch und jede noch Kollegen dieses Trainer-Zertifikat erlangt, die Motivation und den Willen zur Verän- welches dazu berechtigt, selbst Kurse an- derung zu erkennen und zu fördern. zubieten. So werden seither auf kantonaler Nächste MOVE-Kurse Ebene regelmässig MOVE-Kurse für Ju- n • MOVE-Kurs für Schulsozialarbei- gendarbeitende und Kontaktlehrpersonen tende des Kantons Zürich: an Berufs- und Mittelschulen angeboten. Christa Gomez, Projektleiterin Schule & Bildung, und Urs Rohr, Bereichsleiter Freizeit & Arbeit bei der 17./18./21. Januar 2022, Zentrum Auch entsprechende Fortbildungen für Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich; zertifizierte Liebfrauen, Zürich Schulärztinnen, Sozialarbeitende oder MOVE-Trainer/innen. • MOVE-Kurs für Jugendarbeitende Sozialpädagogen wurden schon mehrfach der Stadt Zürich: 17./18./31. Januar realisiert, teilweise für Teilnehmende aus Weiterführende Literatur 2022, Planet 5, Zürich dem ganzen Kanton, teilweise für einzel- • «Motivierende Gesprächsführung»: William R. Miller und Stephen Rollnick, Lambertus-Verlag, 2015 • «Gespräche mit Eltern – Professio- ne Regionen oder Institutionen. Seit einem Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 • «Motivierende Gesprächsführung mit Jugendlichen nell zum vertrauensvollen Dialog»: Jahr wird unter dem Titel «Gespräche mit und jungen Erwachsenen», Sylvie Naar-King, Mariann MOVE-Weiterbildung für Fachper- Eltern – Professionell zum vertrauens- Suarez, Beltz Verlag, 2012. sonen im Frühbereich. 12. bis 14. vollen Dialog» auch eine MOVE-Weiter- • «Klare Worte finden – Elterngespräche in der bildung für Fachpersonen im Frühbereich Kita»: Ulrike Lindner, Verlag an der Ruhr, 2013 April 2022, Zentrum Liebfrauen, • Interview mit Guido Nöcker über MOVE im Zürich (Hebammen, Kitas, Spielgruppen, Mütter- «laut & leise» 2-2004. Als Download auf • MOVE-Kurs für Jugendarbeitende und Väterberatung) angeboten. www.suchtpraevention-zh.ch des Kantons Zürich: August 2022 Obwohl MOVE ursprünglich mit dem Weiterführende Informationen zu MOVE: in Zürich; genaues Datum und Fokus auf konsumierende Jugendliche www.ginko-stiftung.de/move Anmeldung ab Dezember auf entwickelt wurde, hat die Erfahrung der www.okaj.ch letzten Jahre deutlich gezeigt, dass die Methode auch für andere Themen und 14
Saferparty Streetwork Gefahren reduzieren Die Motive für den Konsum von illegalen Substanzen in der Freizeit sind so heterogen wie die Konsumierenden selbst. Sei es die Ecstasy-Pille im Club, eine Linie Kokain im privaten Freundeskreis oder das Xanax am Hip-Hop-Festival. Von Dominique Schori D er zwanzigjährige Luca möchte ob tatsächlich das enthalten ist, was ih- setzen der Substanz, in der Regel nicht zum ersten Mal in seinem Leben nen verkauft wurde. Da Besitz und Kon- vorhanden sind. Viele Klient/innen im Ecstasy konsumieren und be- sum dieser Substanzen verboten sind, ist DIZ pflegen grundsätzlich einen risiko- schafft sich ein paar Pillen über einen es für alle drei schwierig, offen über ihren bewussten Umgang mit illegalen Subs- privaten Kontakt. Er informiert sich im Konsum und ihre Fragen zu sprechen. tanzen. Durch die Unkenntnis über die Internet und stellt fest, dass viele Ecsta- Das Drogeninformationszentrum DIZ Inhaltsstoffe der auf dem Schwarzmarkt sy-Pillen sehr hoch dosiert sind und dass bietet im Rahmen seines Drug-Che- gekauften illegalen Substanzen besteht je- eine Überdosis mit dem Wirkstoff MDMA cking-Angebots allen drei die Möglich- doch die Gefahr, beim Konsum eine poten- sehr unangenehme oder gar gefährliche keit, ihre Substanz auf die tatsächlichen tiell tödliche Überdosierung zu erleiden. Nebenwirkungen haben kann. Er stellt sich die Frage, was die Pillen, die er ge- kauft hat, wohl enthalten. Im DIZ können Drogenkonsumierende inzwischen dreimal Nicole ist 45 und hat in einem Zei- tungsartikel gelesen, dass der Konsum pro Woche ihre illegalen psychoaktiven Substanzen auf ihre von Kleinstmengen an LSD (Microdosing) tatsächlichen Inhaltsstoffe überprüfen lassen. angeblich die Kreativität und die Wahr- nehmung verbessern soll. Ein Freund von ihr verkauft ihr ein Fläschchen voll LSD. Inhaltsstoffe zu überprüfen und sich über Das Drug-Checking-Angebot, welches Nicole hat keine Ahnung, in welcher Do- die Risiken beim Konsum zu informieren. immer mit einem obligatorischen Bera- sierung die Substanz vorliegt, da es bei Die Beratung mit den Fachpersonen im tungsgespräch verbunden ist, ermöglicht einem Produkt vom Schwarzmarkt keinen DIZ ist weder moralisierend noch ver- eine fakten- und risikobasierte Beratung Beipackzettel gibt. Ausserdem weiss sie herrlichend – alle drei haben sich bereits anhand der chemischen Analyseergeb- nicht, in welcher Häufigkeit sie das LSD vor dem Besuch im DIZ dazu entschieden, nisse. konsumieren soll und ob Microdosing ge- die Substanz zu konsumieren. Es geht nun Einige Konsumierende weisen ein ri- fährlich ist. darum, dass sie beim Konsum bei sich und sikoreicheres Konsummuster auf, sodass Der sechzehnjährige Noah kifft regel- anderen einen möglichst geringen Scha- sie eine Abhängigkeit mit entsprechend mässig zusammen mit Kollegen, vorwie- den verursachen. negativen Folgen für Körper, Psyche und Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 gend am Wochenende. Ein Kollege er- soziales Umfeld entwickeln können. Das wähnt, dass «gestrecktes Chemie-Gras» im Drug Checking DIZ trägt dazu bei, dieses Verhalten früh- Umlauf sei, das einen töten könne. Man Die fiktiven Fallbeispiele stehen exempla- zeitig zu erkennen und gemeinsam mit den sehe es dem Grasvon aussen nicht an, ob es risch für die Klientel im DIZ. Die Gruppe Klient/innen Handlungsoptionen zu ent- mit etwas «gestreckt» sei oder nicht. Noah der Menschen, die in ihrer Freizeit Drogen wickeln, die weniger riskant sind. fragt sich nun, welches Gras er gekauft hat. konsumieren, ist sehr heterogen. Charak- Alle drei haben trotz ihrer Unter- teristisch ist der Konsum einer oder meh- Pionierarbeit schiedlichkeit ein gemeinsames Problem: rerer illegaler psychoaktiver Substanzen, Im DIZ können Drogenkonsumierende Sie haben sich dazu entschieden, eine wobei die klassischen Anzeichen einer inzwischen dreimal pro Woche ihre ille- illegale Substanz vom Schwarzmarkt zu Abhängigkeit im medizinischen Sinn, zum galen psychoaktiven Substanzen auf ihre konsumieren, und wissen deshalb nicht, Beispiel Entzugserscheinungen nach Ab- tatsächlichen Inhaltsstoffe überprüfen 16
Dank dem Drug Checking sind Freizeitdrogenkonsumierende besser über einen riskanten Umgang mit Substanzen informiert und passen auf Basis der Ergebnisse der Laboranalyse ihr Konsummuster mehrheitlich an. lassen. Verschiedene Schweizer Städte Checking explizit als innovativer und för- von Konsumierenden spielen hierbei eine leisteten mit ersten mobilen Drug Che- derungswürdiger Ansatz erwähnt. Eine zentrale Rolle. ckings weltweite Pionierarbeit. Die frü- Studie im Auftrag des Bundesamtes für hen 90er-Jahre waren geprägt durch die Gesundheit kam 2020 zum Schluss, dass Neue Trends erkennen Diskussion rund um offene Drogensze- Drug-Checking-Angebote dazu beitragen, Mithilfe von Drug Checking ist es auch nen in verschiedenen Schweizer Städten. dass Freizeitdrogenkonsumierende bes- möglich, neu auftauchende Trends früh- Über mehrere Jahre war die Drogenprob- ser über einen weniger riskanten Um- zeitig zu erkennen und die Angebote der lematik eine zentrale Sorge in der Schwei- gang mit Substanzen, Safer Use, infor- Schadensminderung entsprechend daran zer Bevölkerung. Parallel dazu entwickel- miert sind und auf Basis der Ergebnisse anzupassen. Eines der eindrücklichsten te sich mit der Techno-Bewegung eine der Laboranalyse ihr Konsumverhalten Beispiele in diesem Zusammenhang ist neue Subkultur, die mit dem Konsum von mehrheitlich anpassen. der Trend, dass auf dem illegalen Markt Substanzen einherging, die zuvor relativ gehandeltes Cannabis seit Anfang 2020 wenig verbreitet waren (z. B. «Ecstasy»). Konsumverhalten beobachten zunehmend mit synthetischen Cannabi- Rasch setzte sich die Erkenntnis durch, Darüber hinaus bieten die Ergebnisse der noiden behandelt wird. Cannabis-Konsu- dass diese Gruppe andere Bedürfnisse in Laboranalysen vertiefte Einblicke in den mierende stellten damals in zunehmen- Bezug auf Schadensminderung haben als illegalen Drogenmarkt und in das Kon- dem Mass fest, dass sich beim Konsum beispielsweise Heroinabhängige, die in sumverhalten von Freizeitdrogenkon- ihres vermeintlich regulären illegalen der offenen Drogenszene verkehren. Nach sumierenden. Die Erkenntnisse können Cannabis unerwünschte, als sehr unan- ersten Gehversuchen mit mobilen Drug dazu genutzt werden, Konsumierende genehm empfundene Wirkungen einstell- Checkings, die sich im juristischen Grau- und Fachpersonen faktenbasiert zu bera- ten. Im DIZ fanden sie eine Anlaufstelle, bereich bewegten, veranstaltete das Bun- ten und zu informieren. Auf diese Weise wo sie ihre Erfahrungen und Ängste teilen desamt für Gesundheit 1996 eine Tagung können etwaTrends auf dem Drogenmarkt konnten, ohne dafür moralisch verurteilt mit dem Titel «Ecstasy: Sind Monitoring wie beispielsweise der stetige Anstieg des oder strafrechtlich belangt zu werden. und Pillentests geeignete Instrumente für Wirkstoffanteils bei Kokain und Ecsta- Das DIZ ist mit europäischen Drug- die Prävention?» Ein erstes Forschungs- sy-Tabletten über einen langen Zeitraum Checking-Angeboten vernetzt. So konnte projekt im Feld wurde ein Jahr später ge- beobachtet und Safer-Use-Regeln daraus die Entwicklung dieses Phänomens und startet. abgeleitet werden. So musste etwa die ur- seine Verbreitung – ausgehend von der sprüngliche Botschaft, Ecstasy-Tabletten Schweiz über nahezu sämtliche europäi- Nationale Anerkennung vor dem Konsum zu halbieren, um das schen Länder – frühzeitig erfasst werden. 2001 fand das erste offizielle mobile Drug Risiko für unerwünschte Wirkungen zu Die Stadt Zürich reagierte, indem sie im Checking in Zürich statt. Fünf Jahre später reduzieren, aufgrund des massiv gestie- Oktober 2020 als erstes Angebot welt- folgte mit der Eröffnung des DIZ das erste genen Wirkstoffanteils MDMA angepasst weit ein ambulantes Drug Checking aus- Suchtprävention laut & leise, Oktober 2021 ambulante Angebot in der Schweiz. Die werden. Inzwischen wird Konsumieren- schliesslich für Cannabisprodukte eröff- Angebote wurden in der Folge aufgrund den geraten, ihre Tabletten zu dritteln nete. Seither können pro Woche maximal der steigenden Nachfrage kontinuierlich oder gar zu vierteln. Dies zeigt, dass sich zehn Cannabisproben analysiert werden. ausgebaut und auf weitere Substanzen Safer-Use-Regeln auf wissenschaftlich Die so gewonnenen Erkenntnisse ermög- ausgedehnt. Inzwischen können im DIZ fundierte Erkenntnisse, sich aber auch lichen es, die Funktionsweise und die Rea- pro Woche rund 50 Proben entgegenge- auf konkrete Erfahrungen in der Pra- litäten auf dem illegalen Cannabismarkt nommen werden. Mittlerweile ist Drug xis stützen. Gerade bei Substanzen, die besser zu verstehen. Sie dienen somit der Checking als Angebot der Schadens- vergleichsweise selten konsumiert wer- Stadt Zürich auch als Grundlage für die minderung breit akzeptiert und auch den, gibt es kaum Grundlagenforschung Planung der Pilotversuche mit dem re- auf nationaler Ebene etabliert. In der oder Evidenz zu möglichen kurz- oder gulierten Verkauf von Cannabis, die vo- Nationalen Strategie Sucht wird Drug langfristigen Risiken. Erfahrungsberichte raussichtlich im November 2022 starten. 17
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