Lebenswert. Familientaugliche Wohnungen - wessobrunner kreis e.V - statt Einfamilienhäuser - Wessobrunner ...

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Lebenswert. Familientaugliche Wohnungen - wessobrunner kreis e.V - statt Einfamilienhäuser - Wessobrunner ...
lebenswert.         Familientaugliche Wohnungen
                    statt Einfamilienhäuser

      wessobrunner kreis e.V .
Lebenswert. Familientaugliche Wohnungen - wessobrunner kreis e.V - statt Einfamilienhäuser - Wessobrunner ...
Eine nachhaltige Baukultur
schont Ressourcen, sorgt für
sozial erschwinglichen Wohnraum
und ein gesundes Umfeld.

      Kultur ist der Schlüssel.
Lebenswert. Familientaugliche Wohnungen - wessobrunner kreis e.V - statt Einfamilienhäuser - Wessobrunner ...
VO R WO RT       Der Wessobrunner Kreis.                    Seite 4   →

                                     EINFÜHRUNG     Seite 10

                                     Familientaugliche Wohnungen
                                     statt Einfamilienhäuser

PROJEKTE

Flächenfraß durch Einfamilienhäuser        Alternative Wohnform zum Doppelhaus
Gottfried Herz Seite 17                    Mathias Rathke Seite 69

Familientaugliche Wohnungen                Ohne Grund.
statt Einfamilienhäuser!                   Überbauung von Gragenhöfen
Dietfried Gruber Seite 33                  Roger Mandl Seite 77

                                           Aspekte energetischer Nachhaltigkeit
Zusammenleben im ländlichen Raum           Gudrun Krestel Seite 85
Fabian Wagner Seite 39

                                           Nebenräume für jede Wohnung
Einfamilienhaus+                           in Mehrfamilienhäusern
Sunder-Plassmann Architekten   Seite 65    Franz Kargl   Seite 91

  IMPRESSUM                                      Seite 94     →
Lebenswert. Familientaugliche Wohnungen - wessobrunner kreis e.V - statt Einfamilienhäuser - Wessobrunner ...
„Nur was sinnlich ist, macht Sinn.“

              Der
       Wessobrunner Kreis
                   VO R WO RT

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Lebenswert. Familientaugliche Wohnungen - wessobrunner kreis e.V - statt Einfamilienhäuser - Wessobrunner ...
Der Wessobrunner Kreis e.V. ist ein Forum für alle, die an Archi-      Durch den vorliegenden Beitrag möchten wir in der aktuellen Dis-
tektur interessiert sind. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, eine        kussion um Wohnraum dazu beitragen, dass man gerade in Zeiten
ebenso zeitgemäße wie zukunftsorientierte Stadt- und Umwelt-           der Hochkonjunktur im Bau die Baukultur nicht aus den Augen
planung und eine qualitätsvolle Architektur zu fördern.                verliert. Die gebaute Wirklichkeit bestimmt noch über Jahrzehnte
                                                                       unsere Orte. Nachverdichtung und Veränderungen im ländlichen
              Sein Ziel ist, die allgemeine                            Raum an den Rändern der Großstädte sollen zu einem positiven
             Baukultur weiterzuentwickeln.                             Zusammenleben der Menschen führen.
                                                                       Die Voraussetzung für eine Baukultur ist die Bejahung und Aner-
Weil es um unsere Identität und unser Leben geht. Nur Architek-        kennung sorgfältiger Planung in der Öffentlichkeit. Sie wird von
tur kann die Ordnung unseres Lebensraumes schaffen, d.h. der           Architekten durch zwei Prozesse geleistet: durch die Imagination
Wessobrunner Kreis befasst sich mit allen Fragen der Architektur,      und die Verwandlung des Programms in Raum und Körper als
des Städtebaus und der Landschaftsplanung. Das geschieht mit           sinnlich wahrnehmbare Gestalt.
Vorträgen, Ausstellungen, Diskussionen, Exkursionen und Öffent-
lichkeitsarbeit in allen Medien, in Gesprächen mit Städten und                    Nur was sinnlich ist, macht Sinn.
Gemeinden, Wirtschaftsverbänden und den Trägern öffentlicher
Belange, um bewusst zu machen, dass Baukultur zu den Grund-            Ihre geistige Vorwegnahme ist gebunden an die Konstruktion, die
lagen einer Gesellschaft gehört, ohne die sie nicht lebensfähig ist.   Entwicklung einer zweckentsprechenden Bauweise unter Aus-
                                                                       wahl der zur Verfügung stehenden Baustoffe und ihrer Anwen-
                                                                       dung auf der Grundlage der Naturgesetze. Die Durchdringung von
                                                                       Konstruktion und Imagination in der Planung stellt die schöpferi-
                                                                       sche Leistung des Architekten dar.
                                                                       Aus diesem Grund wurde Wessobrunn als symbolischer Ort der
                                                                       Rückbesinnung auf ein geistig-kulturelles Erbe gewählt. Zugleich
                                                                       liegt Wessobrunn in der Mitte der Landkreise Garmisch-Parten-
                                                                       kirchen, Weilheim-Schongau, Bad Tölz, Fürstenfeldbruck, Starn-
                                                                       berg und Landsberg, aus denen die Mitglieder kommen.

                                                                       Der Wessobrunner Kreis dankt dem FONDS für Nachhaltigkeits-
                                                                       kultur und dem Rat für NACHHALTIGE Entwicklung für die Un-
                                                                       terstützung und großzügige Förderung dieses Projektes.

                                                                       Ein persönlicher Dank gilt unserem Mitglied Dietfried Gruber, der
                                                                       das Projekt initiierte und dessen Ausdauer das Gelingen sicher-
                                                                       stellte.

                                                                       Benedikt Sunder-Plassmann
                                                                       1. Vorsitzender

                                                                       Die Autoren verwenden für einen besseren Lesefluss das generische
                                                                       Maskulinum, dieses schließt die weibliche und diverse Bezeichnung mit
                                                                       ein und wird lediglich der besseren Lesbarkeit halber verwendet.

                                                                                                                                         5
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Taten für morgen.
                                                    EIN MANIFEST

             Der Wessobrunner Kreis verfolgt dem Sinn nach dieselben Ziele,
              die auch in der Düsseldorfer Erklärung von 50 Stadtbauräten
               und Planungsdezernenten im Mai 2019 formuliert wurden.
             Unsere folgenden Forderungen gehen zum Teil weiter ins Detail:

                             1                                                                  3
           Planungshoheit der Gemeinden                                                   Positive Dichte
Gemeinden müssen ihre Möglichkeiten zur Begrenzung der stei-       Auch in ländlichen Wohngebieten sind Mehrfamilienhäuser (ge-
genden Baulandpreise ergreifen (z.B. Erbpacht) und selbst wieder   mäß der Konzeption des Wessobrunner Kreises) bis zu vier Ge-
Wohnraum mit gebundenen Mieten schaffen. Die Planungshoheit        schossen zuzulassen. Kluge Nachverdichtung unter Beibehaltung
lässt den Gemeinden darüber hinaus zusätzliche Möglichkeiten,      des Bestands ist ökologisch sinnvoll. Bei bestehenden Bebauungs-
in den Bauprozess und das Zusammenleben der Menschen einzu-        plänen ist eine Nachverdichtung und der Ausbau von Dach- und
greifen. Dies gilt es zu nutzen!                                   Untergeschossen zu ermöglichen, wenn diese Räume ausreichend
                                                                   natürlich belichtet werden können.

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                    Öffentlicher Raum                                          Reduktion von Abstandsflächen
Um den Wohngebieten wieder mehr urbanen oder dörflichen Cha-       Abstandsflächen müssen reduziert werden. Besonders die seit-
rakter zu geben, müssen engere Bauweisen zugelassen werden.        lichen Abstandsflächen können auch bei großen Gebäudetiefen
Nur damit können ansprechende öffentliche Räume mit dem An-        sehr gering gehalten werden, wenn die Haupt-Orientierungsseite
reiz zum Aufenthalt gestaltet werden. Die Einbindung von nicht     einer Wohnung ausreichend mit Licht und Luft versorgt ist. Die
störendem Gewerbe (Büros, kleine Läden, Cafés, Gaststätten) ist    seitlichen Abstandsflächen sollten häufiger als öffentliche Fußwe-
für ihre Belebung wichtig. Auch Supermärkte sollten nah ange-      ge genutzt werden und eine autofreie Mobilität mit mehr persön-
bunden werden, damit ein Einkauf zu Fuß wieder möglich wird.       licher Begegnung zulassen.

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                            Verkehr                                                          Raumplanung
Die Priorität des privaten Autoverkehrs muss in Wohngebieten          In Deutschland muss eine länderübergreifende Raumplanung eta-
und zwischen den Subzentren aufgehoben werden. Das Radwe-             bliert werden, um die Konzentration auf die Großstädte zu vermei-
genetz ist auszubauen. Pedelecs und E-Bikes werden das Auto           den und damit Ballungszentren entflochten werden können.
als Fortbewegungsmittel für den Quell- und Zielverkehr im Bewe-
gungsraum von bis zu 50 km ersetzen. Die Anzahl der PKW Stell-
plätze sollte trotz Verdichtung nicht erhöht werden. Parkplätze

                                                                                                   9
und Anlieferungswege zu den Gebäuden können in Siedlungen
auch unter den öffentlichen Straßen und Wegen gebaut werden.
Sie sollten möglichst viele seitlich offene Wände besitzen, um ihre
Akzeptanz zu erhöhen. Damit werden die Straßen zu Fußgänger-
und Radfahrerzonen.
                                                                                            Flächen sparen
                                                                      Die Bauland-Statistik ist zu einseitig auf die Unterscheidung von
                                                                      Flächen für Natur, Landwirtschaft, Bauland und Verkehrswege
                                                                      ausgerichtet. Damit ein Bewusstsein für ein Flächensparen im

                              6
                                                                      Bauwesen entstehen kann, müssen die bisher unter Bau- und Ver-
                                                                      kehrsflächen registrierten Daten differenziert werden in: Bebau-
                                                                      te Flächen (GR+ Abstandsflächen), Private Grünflächen (Gärten,
                                                                      Wasserflächen), öffentliche Grünflächen (Parks und Friedhöfe,
                                                                      Flüsse, Seen), Verkehrsflächen (nur die versiegelten) und Straßen-
                        Bauwirtschaft                                 begleit-Grünflächen. Als Baugrundstück sollte nur definiert wer-
                                                                      den, was die notwendige bebaute Fläche und die Abstandsflächen
Die Bauindustrie soll das Konzept der variablen Grundrisse oder       erfordern. Der Rest sind private Grünflächen. Die Nutzungsziffer
nutzungsneutralen Räume aufnehmen und entwickeln, das Bau-            der Grundflächenzahl (GRZ) muss an einem Höchstmaß orientiert
recht muss sie fordern. So können Häuser sich später den Verän-       werden, sie muss dazu auf die tatsächlich für den Bau erforder-
derungen im Leben anpassen und müssen nicht abgerissen wer-           lichen Grundstücksflächen bezogen werden, ohne die Gartenflä-
den. Erhalt von Bausubstanz spart den Ausstoß von CO2.                chen. Zufahrten sollten nur angerechnet werden, wenn sie einen
                                                                      zu hohen Flächenanteil beanspruchen. Die Höchstgrenzen für die
                                                                      Bebauungsdichte in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) müs-
                                                                      sen somit auf einer neuen Logik aufgebaut werden.

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                          Grünraum                                                      Gemeindefinanzierung
Dach- und Fassadenflächen müssen intensiv begrünt werden und          Die Finanzierung der Gemeinde erfolgt zum größten Teil über
damit als ökologisch wertvolle Flächen als Ausgleich für den Ver-     die Gewerbesteuer und führt damit zur Ausweisung von immer
lust bzw. die Versiegelung durch die bebauten Flächen anerkannt       neuen Gewerbegebieten, der Verarmung der Ortszentren und der
werden. Für die vermehrte Begrünung von Dächern müssen mehr           Zersiedelung der Landschaft. Als Gegenmaßnahme sollte ein neu-
Flachdächer oder flache Pultdächer zugelassen werden. Es sollte       er Schlüssel zur Verteilung der Gewerbesteuer und der Finanzie-
gesetzlich geregelt werden, dass private Grünflächen, Parks, Fried-   rung der Gemeindeausgaben gefunden werden.
höfe und straßenbegleitende Grünflächen nach Maßgaben für ei-
nen ökologischen Mehrwert zu gestalten und zu pflegen sind.

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Lebenswert. Familientaugliche Wohnungen - wessobrunner kreis e.V - statt Einfamilienhäuser - Wessobrunner ...
Familientaugliche Wohnungen
          statt Einfamilienhäuser
                         Dietfried Gruber

    Der Wohnungsmarkt muss um ein zeitgemäßes Angebot für den
    Bedarf von Familien und Wohngemeinschaften erweitert werden.
    In Deutschland werden auf längere Sicht 400 000 zusätzliche
    Wohnungen pro Jahr gebraucht. Gleichzeitig besteht Einigkeit
    darüber, dass die weitere Umwandlung von landwirtschaftlichen
    Flächen in Bauland für Wohnen und Gewerbe eingeschränkt wer-
    den muss. Die Intensivierung der baulichen Nutzung innerhalb
    der Ortschaften ist ein wichtiger Schritt zur Reduzierung des
    Baulandbedarfs, jedoch ist nicht anzunehmen, dass dieser Wohn-
    raumbedarf ganz ohne Neuausweisungen bewältigt werden kann.

                            EINLEITUNG

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Lebenswert. Familientaugliche Wohnungen - wessobrunner kreis e.V - statt Einfamilienhäuser - Wessobrunner ...
Was wir wollen                                genüber den Einfamilienhäusern in Form von Einzel- und Doppel-
                                                                     häusern. Die allgemeine Sorge gilt dem Erhalt der freien Landschaft.
Mit den folgenden Beiträgen wollen wir Lösungen vorschla-            Bisher haben Gemeinden, vor allem solche im „Speckgürtel“ der
gen, mit denen der Baulandbedarf pro familientauglicher              Metropolen, auf die stetig steigende Nachfrage nach Grundstü-
Wohnung erheblich reduziert werden kann, sowohl bezüg-               cken für Einfamilienhäuser mit der Ausweisung z.T. weit ausgrei-
lich der Innnentwicklung, als auch der Neuausweisungen.              fender Neubaugebiete mit lockerer Bebauung reagiert: Ortsränder
Es muss eine neue Perspektive für Wohnkonzepte von Fami-             fressen sich immer weiter in die Landschaft hinein. Dabei muss
lien und andere Lebensdgemeinschaften entwickelt werden.             auch einheimischen jungen Normalverdienern Wohnraum zur
Aufgrund der rasanten Entwicklung auf dem Grundstücksmarkt           Verfügung gestellt werden.
kann das Einfamilienhaus mit Garten nicht mehr als die optimale      Unsere Konzepte für mehrgeschossigen Wohnungsbau mit fami-
Wohnform betrachtet werden. Sie ist künftig weder ökonomisch         lientauglichen Wohnungen von hoher Qualität können Familien
noch ökologisch zu verantworten. Zwischen der 4-Zimmer-Woh-          helfen, in ihren Städten, oder an deren Peripherie zu bleiben, an-
nung und dem Einfamilienhaus klafft auf dem Markt eine Lücke,        statt aufs Land zu ziehen; Flächen werden gespart, der Pendelver-
die wir mit unserem Konzept schließen wollen.                        kehr kann reduziert werden.
Insbesondere in der Nähe der Ballungsräume müssen angesichts         Wir befassen uns vorrangig mit den Landregionen. Unsere Vor-
des immensen Siedlungsdrucks immer neue Baugebiete erschlos-         schläge sind aber auch für Städte hilfreich: wie unsere Zielgrup-
sen werden. Der angestammten regionalen Bevölkerung bezahl-          pe, die Pendlerfamilien, so wechseln auch unsere Ideen ständig
baren Wohnraum zur Verfügung zu stellen wird gleichzeitig im-        zwischen Stadt und Land.
mer schwieriger.
Wir entwickeln neue Entscheidungsgrundlagen und Konzepte für
das Wohnen in Mehrfamilienhäusern, die weitgehend die Wohn-                         Die notwendige Innovation
qualität des Einfamilienhauses bieten und manches darüber hin-
aus. In herkömmlichen „familiengerechten“ Wohnungen fehlt es         Auf dem Wohnungs- und Häusermarkt Deutschlands hat sich ein
im Vergleich zum Einfamilienhaus meist an variabel nutzbaren         sehr eingeschränkter Katalog etabliert: vom 1-Zimmer-Apartment
Räumen. Über den eigentlichen Bedarf hinaus sollen Flächen für       bis zur 4-Zimmer Wohnung, vom freistehenden Einfamilienhaus
besondere Nutzungen bereit stehen:                                   bis zum Reihenhaus. Dabei haben wir auch in Deutschland in der
· Freiraum (Terrasse, Grünfläche)                                    Zeit der Nachkriegsmoderne bis in die 70er-Jahre Konzepte des
· Räume für Gäste                                                    verdichteten Wohnungs- bzw. Siedlungsbaus realisiert. Allein der
· Räume für das Homeoffice                                           Verweis darauf gilt manchen heute als Zumutung.
· Räume für Hobbys                                                   Für diese Projekte wurden damals Bauträger tätig, deren Ruf mit-
· Räume für Hauswirtschaft                                           unter nicht der beste war. Vielfach stand Gewinnmaximierung im
· Räume für private und gemeinschaftliche Veranstaltungen            Vordergrund auf Kosten der Qualität in Planung und Bausubstanz.
· Voraussetzungen für Gemeinschaftsaspekte                           Auch neue Konzepte sind entweder auf einen Bauträger oder auf
Weiter fehlt es an einer sinnvollen Durchmischung der Wohnungs-      organisierte Baugruppen angewiesen. Unter den professionellen
größen. Unterschiedliche Lebensabschnitte und Lebensgemein-          Bauherren sind heute zunehmend auch solche mit sozialer Ver-
schaften führen zu unterschiedlichen Bedürfnissen hinsichtlich       antwortung anzutreffen, die ihre Aufgabe als Dienst an den Men-
der Wohnungsgrößen. Wir denken diese flexibel: Entsprechend          schen verstehen. Dass dabei Kostendeckung und ein angemesse-
der Lebensphase könnten die Bewohner in derselben Anlage zwi-        ner Gewinn kalkuliert werden müssen, ist selbstverständlich.
schen größeren und kleineren Einheiten wechseln. Auch Fragen         Solchen Investoren, aber auch Städten und Gemeinden will der
des Eigentums müssen neu in den Blick genommen werden.               Wessobrunner Kreis mit seinen Beiträgen neue Wege für den
Selbst für vermögende Wohnungssuchende ist es teilweise aus-         Wohnungsbau aufzeigen.
sichtslos, die gewünschte Wohnqualität zu finden und zu finan-       Dennoch müssen wir zugestehen: radikal neue Konzepte sind im
zieren. Das Einfamilienhaus ist von seinem Flächenverbrauch her      Wohnungswesen kaum denkbar. Schon in der Antike gab es ef-
ebenso wie finanziell in den meisten Fällen zu extensiv geworden.    fiziente Stadtstrukturen. Eine vergleichbar intensive städtische
Mit Blick auf diese Probleme machen wir in dieser Veröffentli-       Raumnutzung können wir uns heute nicht mehr vorstellen. Eine
chung Vorschläge, die das freistehende Einfamilienhaus als al-       solche für die heutige Zeit zu übernehmen, darf deshalb als innova-
leinige Zielvorstellung ablösen sollen und stattdessen familienat-   tiver Schritt angesehen werden. Auch in der Nachkriegsmoderne
traktive Alternativen vorstellen.                                    hat man Gebäudetypen, wie Terrassenhäuser, Atriumsiedlungen
                                                                     und andere Formen des verdichteten Wohnungsbaus entwickelt,
                                                                     die aber später zugunsten freistehender Einfamilienhäuser, Dop-
                    Unsere Zielgruppe                                pel- und Reihenhäuser in Vergessenheit geraten sind. Sie wurden
                                                                     in anderen Ländern weiter angewandt und perfektioniert, wie z.B.
Warum befassen wir uns mit jenem Teil der Bevölkerung, der nach      in der Schweiz, wo mit der Fläche zwischen den Bergen immer
dem Einfamilienhaus strebt? Der Wirkungskreis der Autoren ist        schon gehaushaltet werden musste.
die südwestliche Region Münchens, das Hügelland mit Flüssen
und Seen. Der Lebensstandard ist hoch und anspruchsvoll; selbst
in abgelegenen bäuerlichen Dörfern führt der von München aus-
gehende Siedlungsdruck zur Forderung nach mehr Bauland. Der
mehrgeschossige Wohnungsbau ist hier bisher die Ausnahme ge-

                                                                                                                                      9
Lebenswert. Familientaugliche Wohnungen - wessobrunner kreis e.V - statt Einfamilienhäuser - Wessobrunner ...
Wie ist die Idealvorstellung                           Problem mit dem Landschaftsverbrauch entspringt also nicht der
                                                                      Tatsache, dass wir Raum für Wohnen und Arbeiten benötigen,
               vom Wohnen entstanden?
                                                                      sondern der Art und Weise, wie wir diesen Bedarf räumlich um-
Das Haus im Grünen ist eine stetig von den Medien vermittelte         setzen. Damit wir mit Fakten ehrlicher und transparenter umge-
Vorstellung. In den Heften der Bausparkassen, Schöner Wohnen          hen können, ist zu wünschen, dass in der öffentlichen Diskussion
und vielen anderen Journalen, selbst in TV-Architektursendungen       nur die tatsächlich von Bauwerken und Straßen beanspruchten
wird mehr von Traumhäusern als von Traumwohnungen berichtet.          Flächen als „versiegelte“ Flächen bezeichnet werden. Mit Zahlen,
Diese seit der Nachkriegszeit einwirkende Berieselung hat dazu        die Artfremdes enthalten, kann niemand ernsthaft argumentie-
geführt, dass sich die Bilder im kollektiven Unterbewusstsein ver-    ren. Auf anderen Gebieten ist in den statistischen Zahlen der Grad
ankert haben. Um bei überholten Konzepten ein Umdenken zu             an Differenzierung durchaus höher: Man unterscheidet aus gu-
erreichen, ist ein enormer Aufwand an Information und Bewusst-        ten Gründen Äpfeln und Birnen, Hunde und Katzen, warum also
seinsbildung zu leisten. Deshalb ist es ganz besonders zu begrü-      nicht auch bei der Landnutzung? Der Staat sollte außerdem for-
ßen, wenn Institutionen wie der Fonds für Nachhaltigkeitskultur       dern, dass Gärten, Straßenbegleitgrün, Parks etc. so gestaltet und
und gleichzeitig viele andere Gruppierungen im Bau- und Pla-
                                                                      gepflegt werden, dass diese Flächen einen ökologischen Wert für
nungswesen zur Teilnahme an Ideenwettbewerben auffordern, um
                                                                      Flora und aufweisen. Wenn man sich scheut, dafür Vorschriften
Beiträge mit innovativen Ideen nicht nur von wissenschaftlichen
                                                                      zu erlassen, so sollten die obersten Behörden wenigstens klare
Instituten, sondern auch von in der Praxis Tätigen zu erhalten.
                                                                      Wertmaßstäbe setzen, die von der Bevölkerung mehr und mehr
                                                                      akzeptiert werden können.
                  Die Ausgangssituation                               Nur wenn allgemein bekannt ist, wie hoch der Versiegelungsgrad
                                                                      tatsächlich ist, kann überzeugend Einfluss genommen werden.
2018 scheiterte ein Aktionsbündnis der Partei Die Grünen und          Wir weisen nach, dass es Möglichkeiten für Gebäude gibt, die bei
dem Bund Naturschutz mit einem Antrag für das Volksbegehren           gleicher Wohnqualität und Funktionalität mit 1/3 der Baulandflä-
„Betonflut eindämmen“. Ziel des Antrags war es, eine Obergren-        che auskommen. Unsinnig werden Berechnungen, die Grundstü-
ze für den Flächenverbrauch in Bayern festzulegen, sowie den          cke größer bemessen, als für ein Gebäude erforderlich ist. Wenn
Landverbrauch für den Bau von Wohnungen, Gewerbegebieten              in der Statistik die überschüssige Grundstücksfläche weiterhin als
und Straßenbau auf 5 ha/Tag zu begrenzen. Obwohl deutlich             Bauland gerechnet wird, brauchen wir uns nicht um flächenspa-
mehr als die notwendigen Unterschriften zusammengekommen              rendes Bauen bemühen. Man könnte eine neue Statistik einfüh-
waren, stellte das bayerische Verfassungsgericht fest, das Bürger-    ren und sie zur Unterscheidung zur früheren „Differenzierte Bau-
begehren sei mit seinen Anforderungen nicht vereinbar mit der         landstatistik“ nennen.
Planungshoheit der Gemeinden. Diesem Misserfolg zum Trotz
gilt es, weiter über Lösungsvarianten nachzudenken. Zunächst
müssen die Begriffe „Landverbrauch“ und „Flächenfraß“ kritisch
hinterfragt werden.

           Statistische Angaben aus Bayern
Der eine Teil der Bevölkerung sorgt sich um den Landverbrauch,
der andere Teil sagt, es sei genug Platz da! Alle drei Kategorien
Siedlungsbau, Gewerbegebiete und Straßenbau zusammenge-
nommen, – so argumentiert die letztere Gruppe – belegen in Bay-
ern nur 12% der Landesfläche und selbst diese Areale seien nicht
alle voll versiegelt. Nur etwa die Hälfte der genannten Flächen ist
der Natur und der Landwirtschaft ganz entzogen, also nur 6% des
Landes. Der Rest besteht aus öffentlichen Parks, privaten Gärten,
straßenbegleitenden Grünflächen und Bahndämmen. Der Wert
derartiger Grünflächen kann für die Lebensqualität von Städten
nicht hoch genug eingeschätzt werden, so sorgen sie doch auch
für eine Temperaturabsenkung und die Durchlüftung der Städte.
Mittlerweile bieten die Straßenränder sogar mehr Lebensvielfalt
als die Wiesen und Felder auf dem Land.
Das Gros der Flächen in Bayern teilen sich die landwirtschaftli-
chen Flächen (46,6%) und die Waldflächen (35,3%).2 Nicht die
Siedlungs- und Verkehrsflächen stellen demnach das größte
ökologische Problem dar, sondern die von konventioneller Land-
wirtschaft genutzten Flächen: durch die Anwendung von Pesti-
ziden und Düngemitteln sind diese für die Natur nahezu ebenso
verloren wie die mit Gebäuden versiegelten Flächen. Auch wenn
sie noch aussehen wie vermeintlich natürliche Landschaft. Das

10
Das Einfamilienhaus – Traum oder Albtraum? Fotos Leonard Mandl

          „Verunstaltung“ statt „Verbrauch“                               gungen seiner Umgebung und seiner Mitmenschen als Maßstab
                                                                          respektieren. Es ist ambivalent: Auf Urlaubsreisen erfreuen wir
In der Öffentlichkeit wird die Kritik an zu großem Landschafts-           uns an der Schönheit alter Städte und Dörfer, weil sie öffentli-
verbrauch ausschließlich mit Verweis auf den Flächenbedarf                che Räume mit hoher Aufenthaltsqualität bieten; dabei ist die ei-
geäußert, also quantitativ. Es heißt, mit 12,7% der Gesamtfläche          gentliche Architektur meist schlicht, nur alltagstauglich, aber Teil
Deutschlands für Siedlungsbau, Gewerbe, Industrie und Verkehr-            eines Ensembles. Orte, die nach modernen Vorstellungen gebaut
serschließung sei eine Grenze erreicht.                                   sind, verlocken uns nicht zu einem genussorientierten Besuch. Ist
„Landschaftsverbrauch“? Was kann das heißen? Können wir wirk-             daran denn nichts zu ändern?
lich unsere Landschaft „verbrauchen“? Oder benutzen wir nur ein
anderes Wort für „verunstalten“?
Seit der neolithischen Revolution, der Zeit als die Landwirtschaft               Das Land zu bebauen ist nicht der Fehler
erfunden wurde, verändert der Mensch das Land und greift in die
Natur ein. Und besonders seit dem vergangenen Jahrhundert, in             Der Bedarf an Wohnungen in den Ballungsgebieten ist enorm
dem die Landwirtschaft industrielle Züge angenommen hat, müs-             gestiegen. Soweit die Potentiale bestehender Baugebiete und von
sen wir von einer Verringerung von Naturlandschaft sprechen.              Nachverdichtungen ausgeschöpft sind, ist eine Neuausweisung
Sogar von den ursprünglichen Wiesen, die in der Mitte des 20.             unumgänglich, sie ist auch die Grundannahme für unsere weite-
Jahrhunderts noch eine hohe Artenvielfalt aufwiesen, ist heute            ren Vorschläge.
meist nur noch eine Futtergras-Steppe übrig, die im Dienst einer          Auch der Bau der alten Städte und Dörfer bedeutete „Landver-
hypertrophen Tierhaltung ständig überdüngt wird. Im allgemei-             brauch“. Entstanden sind baukulturelle Werte, die heute niemand
nen Sprachgebrauch werden diese Nutzflächen trotzdem dem Na-              missen möchte. Der Fehler ist nicht, das Land zu bebauen, viel-
turraum zugerechnet.                                                      mehr scheinen wir heute nicht in der Lage zu sein, eine gleich-
                                                                          wertige städtebauliche und architektonische Qualität mit zeitge-
                                                                          mäßen Mitteln umzusetzen, wie wir sie aus der Vergangenheit
        Die Ursachen der Flächenausbreitung                               vorfinden. Wir brauchen neue Konzepte für flächensparendes
                                                                          Bauen, verbunden mit dem ernsten Bemühen, auch in der Wohn-
Bei der Baulandproblematik handelt es sich im Kern um etwas               architektur wieder bleibende kulturelle Werte zu schaffen; dann
anderes: Wir haben die Umwandlung von bisher landwirtschaftli-            könnte man sogar von kultureller Nachhaltigkeit sprechen.
chen Flächen zu Bauland in den vergangenen Jahrzehnten durch              Mit unserer Studie wollen wir das quantitative Potential der Flä-
die eindeutig bevorzugte „offene Bebauung“ mit Einzelhäusern,             cheneinsparung belegen, aber auch die Möglichkeit städtebauli-
betrieben. Dabei zeigt sich ein eklatanter Mangel an Gestal-              cher, sozialer, und wirtschaftlicher Qualitäten neuer Konzepte für
tungskultur. Dass unsere Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist,         „familientaugliches Bauen von Wohnungen“ aufzeigen.
Siedlungsformen hervorzubringen, wie sie mit ihrer Geschlos-
senheit und Dichte seit Jahrhunderten selbstverständlich waren,
ist schwer nachvollziehbar. Ein Faktor bei dieser Verarmung ist
die Vorstellung und die Folge von der autogerechten Stadt. Hin-
zu kommt eine zunehmende Individualisierung beim Planen und
Bauen: jeder einzelne Bauherr will vor allem frei entscheiden
können, will am liebsten alleine handeln, will weniger die Bedin-

                                                                                                                                          11
Anteil der fertiggestellten Wo
                                             60 %

                                             50 %

                                             40 %                                                                                                                                             78 %      80 %
                                                                                                                                                                          69 %     73 %
                                                      67 %    64 %                                      66 %                                  66 %       67 %     66 %
                                             30 %                       58 %       58 %                                    59 %      63 %
                                                                                               56 %
                                                                                                                  51 %
                                             20 %

                                             10 %

                                             0%
                                                      2000    2001     2002        2003        2004     2005      2006     2007     2008      2009       2010     2011    2012     2013       2014      2015
                                                                                                                                                                                                               gedacht werden, die etwa zwischen Realeigentum und Erbpacht
                                                                            Wohnungen in Mehrfamilienhäusern                  Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern

Datengrundlage: INKAR-Datenbank, BBSR; Darstellung Quaestio
                                                                                                                                                                                                               liegen könnten. Durch die Möglichkeit, Räume gemeinschaftlich
                                                                                                                                                                                                               zu nutzen, kann teilweise an der Größe der einzelnen Wohnung
Abbildung 9:
Wohnungen der Neubaujahrgänge 2009 bis 2011 nach Gebäudegrößen und BBSR-Kreistypen
                                                                                                                                                                                                               gespart werden. (s. Beiträge Fabian Wagner, Gottfried Herz)
                                              100 %

                                               90 %
                                                                     5,6 %
                                                                     6,1 %
                                                                                                               4,1 %
                                                                                                               7,1 %
                                                                                                                                                     6,7 %
                                                                                                                                                                                                               Wie kann man der Grundstücks-Preissteigerung entgegentreten?
                                                                                                                                                     10,2 %                               24,4 %
                                                                     10,6 %                                    12,2 %                                                                                          Unsere Konzepte zur Flächeneinsparung beim Bau von Einfami-
 Anteil am zwischen 2009 und 2011 gebauten

                                               80 %

                                               70 %                  14,6 %                                    14,6 %
                                                                                                                                                     15,1 %
                                                                                                                                                                                                               lienhäusern wirken einwandfrei im Sinn von Nachhaltigkeit in
                                                                                                                                                                                                               ökologischer Hinsicht. Der Flächenbedarf kann um bis zu 2/3
             Wohnungsbestand

                                                                                                                                                     13,0 %                               24,2 %
                                               60 %

                                               50 %
                                                                                                                                                                                          13,4 %
                                                                                                                                                                                                               sinken. Aber es sind weitere Schritte nötig, denn es soll auch
                                               40 %
                                                                                                                                                                                          5,3 %                die Begrenzung der Grundstückskosten gelingen. Grundstücks-
                                               30 %                  63,2 %                                    62,0 %

                                               20 %
                                                                                                                                                     55,1 %
                                                                                                                                                                                                               verkäufer und Bauträger berechnen derzeit Grundstückspreise
                                               10 %
                                                                                                                                                                                          32,6 %
                                                                                                                                                                                                               nach dem Marktwert pro Quadratmeter erzielbarer Wohnfläche.
                                                0%                                                                                                                                                             Der Grundstücksanteil am Gesamtpreis steigt gemeinhin mit der
                                                               dünn besiedelter                        Ländlicher Kreis mit                   Städtischer Kreis                  Kreisfreie Großstadt
                                                                ländlicher Kreis                      Verdichtungsansätzen                                                                                     Intensivierung des Baurechts. Unsere Initiative, die eine höhere
                                                        Einfamilienhäuser                 Zweifamilienhäuser             3-6 Wohnungen                7-12 Wohnungen             mehr als 12 Wohnungen         Nutzung der Grundstücke fordert, würde also glatt ins Leere ge-
Datengrundlage: Zensus 2011; Darstellung: Quaestio
                                                                                                                                                                                                               hen. Möglichkeiten, die Kosten der Grundstücksanteile zu begren-
                                                                                                                                                                                                               zen, liegen in den Händen der Gemeinden.
                                                      Die obige Grafik zeigt, welchen enormen Anteil der Bau von                                                                                               Wir fordern einen Sinneswandel in den Gemeinderäten und bei
                                                      Ein- und Zweifamilienhäusern vor allem im Umland von Städten                                                                                             den Bürgerinnen und Bürgern: Es darf nicht mehr darum gehen,
                                                      einnimmt und auf lange Sicht einnehmen wird. Diese 76% verun-                                                                                            die Bebauungsdichte von Baugrundstücken möglichst gering zu
                                                      stalten die Landschaft in den Randbereichen. Weiteres maßloses                                                                                           halten. Ein möglicher Lösungsansatz gegen den steten Anstieg
                                                      Wuchern von Siedlungsflächen muss verhindert und das unver-                                                                                              der Grundstückspreise: Eine Gemeinde könnte im Falle eines sich
                                                      meidbare Wachstum in andere Bahnen gelenkt werden.                                                                                                       abzeichnenden neuen Bauvorhabens auf einem Baugrundstück
                                                      Der Anstieg der Immobilienpreise in den Großstädten und deren                                                                                            z.B. für Einfamilien- und Doppelhäuser eigeninitiativ ein Verfah-
                                                      Umland fällt zeitlich mit dem Verfall der Kapitalzinsen zusam-                                                                                           ren zur Errhöhung des Baurechts beginnen, mit dem Ziel, anstatt
                                                      men. Ein nicht geringer Teil der in den 80er Jahren Geborenen                                                                                            z.B. zwei herkömmliche freistehende Einfamilien-Häuser auf 830
                                                      ist beruflich erfolgreich, möchte ggf. eine Familie gründen und                                                                                          m2 zu errichten, vier gleichwertige, familientaugliche Wohnungen
                                                      schaut sich nach dem eigenen Haus um. Das kann ein Reihen-                                                                                               in terrassierter Form zuzulassen. Das heißt, die GRZ (Grundflä-
                                                      haus oder eine Doppelhaushälfte sein, idealerweise ist es aber das                                                                                       chenzahl) würde erhöht werden. (Die Erhöhung auf das 2,75-fa-
                                                      freistehende Einfamilienhaus, möglichst mit einem Garten, auf ei-                                                                                        che resultiert aus der Tatsache, dass Nebenräume für Wohnun-
                                                      nem 500 qm-Grundstück.                                                                                                                                   gen in Erd- und Oberschossen untergebracht werden müssen und
                                                                                                                                                                                                               nicht wie bei Einfamilienhäusern im Keller.)

                                                                                                          Kostenrelationen                                                                                     Ein Beispiel: Vorgehensweise bei einem Grundstück mit beste-
                                                                                                                                                                                                               hendem Baurecht.
                                                      Wir hören schon den Einwand: der Bau von Wohnungen in Mehr-                                                                                              Damit der Grundstückswert durch die Baurechtserhöhung nicht
                                                      familienhäusern mit zusätzlichen besonderen Räumen und gro-                                                                                              um das 2,7-fache steigt, kann die Gemeinde per Vertrag und
                                                      ßen Terrassen, also solche mit Einfamilienhausqualitäten, wür-                                                                                           Grundbucheintragung zur Bedingung machen, dass die Bau-
                                                      de zu erhöhten Baukosten führen. Dem ist entgegen zu halten,                                                                                             rechtsmehrung zum Teil oder ganz ohne Wertsteigerung für den
                                                      dass der Bau von Einfamilienhäusern weit höhere Gesamtkosten                                                                                             Eigentümer erfolgt. Der Vorteil könnte entweder allen oder nur
                                                      erzeugt. Diese relativ hohen Kosten, vor allem bei hohen Grund-                                                                                          den hinzugewonnenen Wohnungen zugutekommen, indem der
                                                      stückspreisen, bestehen darin, dass Einzelbauvorhaben erfah-                                                                                             Grundstücksanteil an den Kauf- oder Mietpreisen nur aufgrund
                                                      rungsgemäß deutlich höhere Baukosten gemessen am umbauten                                                                                                des ursprünglichen Wertes berechnet werden darf. Der Gemeinde
                                                      Raum verursachen als größere Bauvolumina. Große Bauvorhaben                                                                                              müssen entsprechende Sanktionsmittel bei Zuwiderhandlungen
                                                      lassen sich wirtschaftlicher durchführen als kleine. Bei der Mehr-                                                                                       ermöglicht werden. Dieses Vorgehen kann also wie ein Einheimi-
                                                      geschossigkeit fällt der Aufwand für Fundierung und Bedachung,                                                                                           schen-Wohnbaumodell bei bereits bestehenden Baugrundstücken
                                                      Ver- und Entsorgungsanschlüsse nur einmal an. Ein weiterer                                                                                               gesehen werden. Die Käufer der Wohnungen kommen in den Ge-
                                                      Beitrag zur Nachhaltigkeit besteht im geringeren Anteil der Ge-                                                                                          nuss geringerer Grundstückskosten pro Wohnung, die Bauträger
                                                      bäudehüllflächen und der damit verbundenen Verbesserung der                                                                                              oder Bauherren haben den Vorteil, mehr Wohnfläche verkaufen
                                                      energetischen Effizienz. (s. Beitrag Gudrun Krestel)                                                                                                     oder vermieten zu können; am Grundstück gewinnen sie nichts
                                                                                                                                                                                                               mehr. Bei einem Weiterverkauf von Wohnungen ist immer der
                                                      Bei der Erschließung von Einfamilienhausgebieten wird die All-                                                                                           Grundstücksanteil des Verkaufspreises unverändert und getrennt
                                                      gemeinheit mit Ausbau und Unterhalt der flächenintensiven In-                                                                                            von der Bausubstanz auszuweisen.
                                                      frastruktur belastet. Bei der Realisierung von Konzepten für ver-                                                                                        Bei der Entwicklung neuer Baugebiete könnte eine Gemeinde
                                                      dichteten Wohnungsbau werden mehrere Einheiten auf einem                                                                                                 ähnlich vorgehen, indem sie per städtebaulichem Vertrag und
                                                      Grundstück verwirklicht, sodass der Grundstücks- und Erschlie-                                                                                           Grundbucheintragung den Grundstückswert festlegt. Auch für
                                                      ßungsanteil pro Wohnung proportional sinkt. Beim Aspekt der Fi-                                                                                          die Gemeinde und nicht zuletzt für die Allgemeinheit sind damit
                                                      nanzierung darf auch an die Konzeption neuer Eigentumsformen                                                                                             Vorteile verbunden: ein höherer Anteil an der Grundsteuer (nach

                                                      12
Effizienzhaus Plus-EFH-Siedlung in Hügelshart bei Augsburg. Foto: Eckhart Matthäus für asset gmbh

bisheriger Regelung), da die doppelte Bausubstanz verwirklicht                  an einer bestimmten Stelle, einer Stadt oder Gemeinde geplant
wird; der Kommune kommt außerdem zugute, dass sie auf dersel-                   und gebaut wird, wird in den meisten Fällen den Bauwilligen
ben Grundstücksfläche (beim selben „Grundstücksverbrauch“) die                  überlassen: Privatpersonen, Bauträgergesellschaften oder ande-
doppelte Zahl an steuerzahlenden Neubürgern gewinnt. Nimmt                      ren Unternehmen. Vom Zufall abhängende Marktmechanismen
sich eine Baugemeinschaft des Projektes an, so würde die Gemein-                entscheiden darüber, welche Entwicklungen auf dem Gebiet einer
de um eine kooperative Gruppe aus meist jungen Familien beste-                  Gemeinde vorangetrieben werden. Oft hängt die städtebauliche
hend bereichert: ein sozialer Gewinn für die Ortsgemeinschaft.                  Entwicklung vom Wunsch eines einzelnen Grundeigentümers ab.
Eine weitere Möglichkeit: Die bewährten Verfahren bei Einheimi-                 Die Planungshoheit der Gemeinden ist ein hohes Gut der
schen-Modellen stehen weiterhin zur Verfügung. Bisher haben                     Demokratie. In der Regel, auch aufgrund der selten fachlich
Gemeinden solche Grundstücke nur an langjährige Einwohner                       besetzten Gemeinderäte, werden ihre Beschlüsse aber von
der Gemeinde vergeben. Dies ist aber nicht zwingend vorgeschrie-                pauschalen Vorstellungen beherrscht: man orientiert sich am
ben. Eine Gemeinde kann damit auch das Bevölkerungswachstum                     Gewohnten. Entscheidungsgrundlage ist das, was schon immer
fördern, wie es in vielen Gegenden Deutschlands erforderlich ist.               so war. Solches Vorgehen führt zuweilen zu brauchbaren Er-
                                                                                gebnissen. Wenn es aber, wie jetzt, darum geht, dass das Versa-
                                                                                gen des „Marktes“ eingestanden werden muss und Innovation
            Der Markt kann nicht alles regeln                                   nötig ist, dann steht man mit leeren Händen da.

Mehrheitlich wird die Meinung vertreten, die Kräfte des Marktes
würden alles für ihre gute Entwicklung von alleine hervorbringen.                        Was getan werden muss – Wohnungen
Die in wenigen Jahren eingetretene enorme Wohnungsnot macht                              mit Einfamilienhausqualität entwickeln
aber deutlich, dass es weiterer Anstöße zu Innovationen bedarf,
die allein von Angebot und Nachfrage nicht hervorgebracht wer-
den können. Ein Bauleitplanungs-Verfahren ist nötig, wenn ein                   Folglich muss eine Lösung für beide Engpässe gefunden werden:
neues Baugebiet ausgewiesen werden soll; ein vielschichtiges,                   Auf bebaubaren Grundstücken muss mehr Wohnfläche geschaf-
langwieriges Verfahren, bei dem das Wichtigste häufig dem Zufall                fen werden. Gleichzeitig müssen die permanenten Preissteigerun-
überlassen bleibt, nämlich die Entscheidung zu den Inhalten der                 gen gestoppt werden. Wohnungswirtschaft, Gemeinden, Geneh-
Planung. Was soll überhaupt gebaut werden, was wird gebraucht?                  migungsbehörden und Architekten müssen neue Lösungen für
Bei städtebaulichen Wettbewerben, die für umfangreichere Vorha-                 einen verdichteten Wohnungsbau schaffen.
ben ausgeschrieben werden, sind Planungsinhalte als Ziele vor-                  Da die Idealvorstellung weiterhin mit dem Einfamilienhaus be-
gegeben. Wie kommt es aber zu diesen? Welches Bauprogramm                       setzt ist, kann das Angebot an herkömmlichen 4- oder 5-Zim-

                                                                                                                                           13
mer-Wohnungen diesen nicht entsprechen. Die Etagenwohnung             sischen Motivation für das Lernen, Arbeiten und Selbstständig-
für die Standard-Familie mit 2 Kindern, die auch Nebenräume für       werden. Es kann zur Existenzgrundlage wachsender Großfamilien
nicht vorab definierte Nutzungen und zusätzlich angemessenen          werden. Auch familientaugliche Wohnungen sollten Raum für sol-
Freiraum mit eigenem Mini-Garten auf der Terrasse bietet, exis-       che Möglichkeiten bieten. Man darf die Welt der Kinder nicht auf
tiert derzeit nicht (bei Objekten des Häusermarkts finden sich sol-   ihren Laptop reduzieren. Für all das ist ausreichender Platz in der
che Nebenräume im Keller- oder Dachgeschoss).                         Wohnung notwendig.
An Wohnungen mit Einfamilienhausqualität hat man in Deutsch-          In einem Einfamilienhaus ist meistens genug Platz, um zu Hause
land bisher zu selten gedacht. Wir wollen grundsätzliche Impulse      Feste zu feiern. Diese fördern den Kontakt und Zusammenhalt mit
für die Bauwirtschaft und unsere Architektenkollegen geben, die       der Großfamilie. Solche Vorstellungen sind von hohem Wert für
zur Entwicklung neuer Wohnungstypen führen. Die nachfolgen-           die Menschen, geht es doch auch um Heimat, Geborgenheit und
den Beispiele sind vorerst Konzepte. In der Praxis müssen sie         Innehalten. Familien, die sich mit ihrem Haus oder ihrer Woh-
weiter ausgearbeitet, geprüft und um Varianten erweitert werden.      nung glücklich schätzen, verspüren weit seltener den Drang, jede
                                                                      Minute ihrer Freizeit mit Ausflügen ins Grüne zu verbringen, als
                                                                      solche, die beengt oder in lärmiger Umgebung wohnen. Die mög-
     Warum an Familien gedacht werden muss                            liche Verringerung des Ausflugsverkehrs ist ein weiterer Aspekt
                                                                      von Nachhaltigkeit in Wohnungsbau und Stadtplanung.
Das Konstrukt „Familie“ wird heute gerne als überholt verstan-        Der Volkswirt Prof. Niko Paech hat eine neue Wirtschaftsweise
den. Die Formen des Zusammenlebens haben sich diversifiziert.         entworfen, die „Postwachstumsökonomie“6, mit der er vorschlägt,
Die Statistik spricht deshalb von „Mehrpersonenhaushalten“, die       den sinnlosen Konsum und Ressourcenverbrauch durch Selberma-
58%5 aller Haushalte ausmachen. Wir beziehen uns auf solche,          chen, Reparieren und Wiederverwenden einzudämmen. Wohnun-
die auf Dauer angelegt sind. Es geht um mehr, als den Beteilig-       gen mit Räumen für solche Aktivitäten bieten also auch von seiner
ten ein Dach über dem Kopf zu geben, ihnen in knapp bemes-            Theorie her einen Beitrag zur ökonomischen Nachhaltigkeit.
senen Wohnungen die Möglichkeit zur Wiederherstellung ihrer
Arbeitskraft zu ermöglichen und sie als Teilnehmer der Konsum-
gesellschaft bei Laune zu halten. Menschen verändern sich im Zu-       Gibt es ein Recht auf Zuzug in Ballungszentren?
sammenleben, sie werden Eltern, manche verbringen eine ganze
Lebensspanne miteinander, andere nur eine kurze, sie haben Be-        Die steigende Zahl von Wohnungssuchenden in Städten wächst
ziehungen zur Nachbarschaft, sie sind Teil eines Quartiers, einer     weltweit und erzeugt Druck. Bald sollen bis zu 70% der Weltbevöl-
Dorfgemeinschaft. Nicht nur Berufe prägen das Leben, sondern          kerung in Städten wohnen. Ein allgemeines Recht, in Großstädten
auch Ehrenämter und Vereine. Die Menschen haben Hobbys, sie           zu wohnen, gibt es nicht. Für unsere Verhältnisse in Deutschland
arbeiten auch von zu Hause aus und vieles mehr. Für die meisten       bedeutet dies, dass die Entwicklung nicht allein dem lokalen
Themen reichen herkömmliche Etagenwohnungen aus. Sobald               Markt überlassen werden darf. Vielmehr ist eine länderübergrei-
aber Kinder hinzukommen, wird größer geplant.                         fende Raumplanung erforderlich, um einen Ausgleich zwischen
Von Beginn ihres Berufslebens an haben die Autorinnen und Au-         übervölkerten Großstädten und zu dünn besiedelten Landregionen
toren dieser Broschüre als Architekten Erfahrungen mit der vor-       herzustellen. Eine bundesweite Raumplanung könnte Arbeitsplät-
teilhaften vielfältigen Nutzung von Einfamilienhäusern gemacht.       ze in entwicklungsfähigen Gegenden fördern. Wenn es notwendig
Eine variable Nutzung von Räumen muss auch in familientaugli-         wird, müssen auch in unserem Land neue Städte mit Arbeitsplät-
chen Wohnungen möglich sein. Wir wollen Neues schaffen. Viele         zen und Wohnsiedlungen nach neuen städtebaulichen Grundsät-
Architekten von Einfamilienhäusern sind bereit, dafür über ihr        zen der Funktionsmischung gegründet werden. Idealerweise soll-
bisheriges Tätigkeitsfeld hinauszugehen.                              ten dies Klein- und Mittelstädte sein. Das sollten wir schaffen!

         Warum große Wohnungen anbieten?                                               Was wir ändern müssen
Besonders Kinder brauchen Platz für die Entwicklung von Inte-         Die Initiatoren und die Planer künftiger Wohngebiete in Klein-
ressen, die über das Schulische hinausgehen. Dafür reichen die        städten und Dörfern müssen die bisherigen Glaubenssätze für
Möglichkeiten außer Haus, in Sportvereinen, schulischen und pri-      „landschaftsgerechtes Bauen“ über Bord werfen. Dieser Begriff
vaten Zusatzkursen nicht aus. Geeignete Räume in der Wohnung          stammt aus den 70er Jahren, als man die zeitgenössische Archi-
bieten demgegenüber Vorteile: Man denke an die Entwicklung            tektur für inkompatibel mit dem ländlichen Raum erklärte. Rote
handwerklicher Fähigkeiten, das Experimentieren, das Erfor-           Satteldächer über zweigeschossigen Gebäuden mit Sprossen-
schen von Naturphänomenen, an künstlerische und musikalische          fenstern und Fensterläden fand man für Bayern passend. Mehr-
Talente.                                                              geschossige städtische Wohnformen wurden als unzumutbar für
Verallgemeinernd versteht man auf dem Wohnungsmarkt eine Fa-          Landgemeinden erachtet. Das bäuerliche Anwesen galt als Maß-
milie als eine Gruppe arbeitender, erwachsener Konsumenten mit        stab für alle ländlichen Wohngebäude.
wenigen Kindern, die mit einer 3-4 Zimmer-Wohnung mit klei-
nem Balkon ausreichend versorgt ist. Ein „Haus“ aber bietet eine
weitaus vielfältigere Art des Zusammenlebens von Erwachsenen
und Kindern. Ein Haus ist auf die dauerhafte Entwicklung seiner
Bewohner angelegt. Es bietet Raum für das Entstehen einer intrin-

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Mehr als nur zwei Geschosse zulassen                               Die Dominanz des Autoverkehrs brechen
An drei- und viergeschossige Wohngebäude wird man sich auch in      Die Entwicklung zur „Unwirtlichkeit der Städte“ (Alexander Mit-
Kleinstädten und Dörfern gewöhnen müssen. Dies ist ein wesentli-    scherlich) hatte als Hauptursache die Forderung nach der „auto-
cher Faktor auf dem Weg zum bezahlbaren Wohnen auf dem Land.        gerechten Stadt“. Sie kam in den 60er Jahren nicht zuletzt durch
                                                                    amerikanische Vorbilder auf. Die öffentliche Meinung entschied
                                                                    sich schon bald gegen ein städtebauliches Konzept „à la Los Ange-
                    Engere Bauweisen                                les“. Doch die Planungsgrundsätze haben sich bis zum heutigen
                                                                    Tag weiter in diese Richtung entwickelt. Wohnquartiere der Zu-
Die seit Jahrzehnten gültigen Abstandsflächen müssen reduziert      kunft müssen den Autoverkehr zurückdrängen. Die zunehmende
werden. Historische Orte sind durch enge Räume, im Wechsel mit      Infragestellung der Mobilität mit fossilen Energiequellen wirkt
großzügigen Plätzen gekennzeichnet. Ein erster positiver Schritt    sich positiv auf städtebauliche Konzeptionen aus. Die Bevorzu-
ist die Einführung der „urbanen Gebiete“ (MU) in der Baunut-        gung von Fahrrad, E-Bike, Carsharing-Modellen und die Entwick-
zungsverordnung (BauNVO). So sollten zwischen Gebäuden Fuß-         lung von elektrischen Kleinstfahrzeugen kann eine Entlastung
gänger-Gassen mit minimal 3 bis 4 m Breite zugelassen werden,       bewirken. Das Thema Tiefgaragen, Stellplätze und konsequen-
auch wenn sich an den Fassaden gegenüberliegende Fenster be-        te Erschließung durch den Autoverkehr stellen wir aus diesem
finden. Quer zu den Erschließungsstraßen verlaufende Fußwege        Grund bei unseren Betrachtungen hintenan.
erzeugen in einem Baugebiet eine menschenfreundliche Struktur.
Beim Bau von terrassierten Gebäuden kommt es wegen der Verset-
zung der Geschosse insgesamt zu einer die 16 m überschreitende             Wohnen und Arbeiten wieder verbinden
Gebäudetiefe, obwohl jede Etage für sich genommen weniger als
16 m Bautiefe aufweisen kann. Also muss das z.B. in Bayern gel-     Die Beschlüsse des CIAM Kongresses 1933 gelten in der öffentli-
tende 16 m-Privileg mit der halben Abstandsfläche wenigstens für    chen Meinung als eine der Ursachen für den heutigen mangelhaf-
terrassierte Gebäude für unbegrenzte Bautiefen gelten und soll-     ten Zustand der Städte. Der Originaltext dieser international aner-
te noch weiter unterschritten werden können. Die Verringerung       kannten Regeln sieht allerdings lediglich die strikte Trennung von
der Abstandsflächen sollte wenigstens bei den seitlichen Grund-     Wohnen und Arbeiten einerseits und der Industrie andererseits
stücksgrenzen erfolgen.                                             vor. Handwerksbetriebe und wohl auch Geschäfte wurden damals
                                                                    weiterhin als geeignete Bestandteile der Innenstädte aufgefasst.
                                                                    Die Planungspraxis hat aber im Lauf der Zeit dazu geführt, dass
          Grundflächenzahl hoch ausnützen                           wegen des Parkplatzbedarfs Einkaufsviertel und auch nicht stö-
                                                                    rendes Gewerbe abseits von Wohnvierteln zu planen waren. Was
Eine Änderung der BauNVO aus den 90er Jahren bestimmt, dass         wir heute brauchen, ist wieder eine deutliche Vernetzung von
die bebaute, bzw. versiegelte Fläche eines Grundstücks als we-      Wohnen, Einkaufen und immissionsarmen Arbeitsplätzen bzw.
sentliches Entscheidungskriterium für die Bebaubarkeit eines        Bürobetrieben. Nur damit können die negativen Auswirkungen
Grundstücks gilt. Das Baurecht hat sich mit dem Ziel, die versie-   der städtebaulichen Ideologie der Funktionstrennung des 20.
gelten Flächen zugunsten eines durchlässigen Bodens gering zu       Jahrhunderts überwunden werden.
halten, darauf versteift, die GRZ (Grundflächenzahlen = %-Anteil
der überbauten Fläche eines Grundstücks) möglichst niedrig zu
halten, mit einer Maximalgrenze von 0,8. Diese Entscheidung war             Die Wohnung stets verändern können
ein wesentlicher Beitrag zur Steigerung des Flächenbedarfs. Die
Architektenschaft hatte in der Folge kein Motiv für flächenspa-     Mit einer durchdachten Mischung von familientauglichen Woh-
rende Bauweisen mehr. Nachhaltiges Bauen fordert einen hohen        nungen mit kleineren, 2-3-Zimmer-Wohnungen können gesell-
GRZ-Wert. Man sollte sich auch von der Regelung verabschieden,      schaftliche Veränderungen berücksichtigt werden. Junge Men-
dass erdgeschossige Terrassen der GRZ zugerechnet werden müs-       schen, die häufig auf Reisen sind, können in solchen Anlagen
sen. Ob Regenwasser auf Grasnarbe fällt und dort versickert, oder   zuerst kleine Wohnungen beziehen und später, wenn sie Familie
das Wasser einer Terrassenfläche an einem Punkt gefasst zur Ver-    planen, in große wechseln. Umgekehrt können sich ältere Paare
sickerung gebracht wird, ist für den Grundwasserhaushalt nicht      nach der Familienphase wieder verkleinern. (s. Beiträge Mathias
entscheidend.                                                       Rathke und Gottfried Herz)

                Das Höhenbezugssystem                                                         Akzeptanz
Als Bezugsebene für Höhenangaben von Wänden bzw. Abstands-          Neuerungen stoßen oft auf Ablehnung, die Gesellschaft verharrt
flächen wird baurechtlich strikt das „ursprüngliche Gelände“        meist im Gewohnten. Wie soll es im Fall unserer Vorschläge an-
definiert, ungeachtet, dass dieses mit dem Bau gesetzeskonform      ders sein? Wir müssen uns klar sein über die Probleme, die im
auch verändert werden darf. Diese Regelung erschwert die Pla-       Bereich des Wohnens für die Gesellschaft inzwischen entstanden
nung von Gebäuden ganz erheblich. Eindeutiger wäre es, eine         sind. Jeder Entscheider, ob Politiker, Gemeinderat, Bauträger oder
Erdgeschoss-Höhenlage zu definieren und sich mit allen Höhe-        privater Bauherr, ist in der Lage, an den Missständen eine Klei-
nentwicklungen darauf beziehen zu können.                           nigkeit zu verbessern. Statt ein „weiter so, wie immer“, kann sich

                                                                                                                                   15
jeder über zur Verfügung stehende Alternativen Gedanken ma-                                          Zum Schluss
chen. Im Sinne einer gemeinsamen Verantwortung ist es leichter,
seine persönlichen Vorlieben und Vorteile in den Hintergrund zu       Das Einfamilienhaus ist für viele Bauwillige der Traum der Frei-
stellen und zugunsten der Allgemeinheit eine bessere Lösung für       heit von Abhängigkeiten und Fremdbestimmung. Mit dem Bau
die Zukunft zu wählen.                                                eines Familienhauses nach sehr persönlichen Vorstellungen lässt
Robert Habeck beschreibt in seinem Buch „Wer wagt, beginnt“7,         sich dieser Traum zu einem großen Teil verwirklichen. Die freie
wie er als ‚Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt         Entscheidung der Bauherren muss sich nicht dem Willen anderer
und ländliche Räume‘ erreicht hat, dass für die sehr unpopuläre       unterordnen.
Stromtrasse von den Offshore-Parks nach Süden ein Einverneh-          Doch zum großen Teil ist diese Freiheit eine Illusion. Wie in den
men mit den betroffenen Gemeinden ausgehandelt werden konn-           nächtlichen Träumen, so sind auch bei Tagträumen viele irrati-
te. Er organisierte mit vielen Mitarbeitern einen Dialog mit den      onale Vorstellungen beteiligt. Was für den Einzelnen paradie-
Betroffenen, alle Einwendungen fanden Gehör, lokale Alternati-        sisch wirkt, führt in der Masse zum Albtraum. Menschen sind
ven wurden vorgeschlagen. So gewannen sie mit der ehrlichen           immer aufeinander angewiesen, Familien brauchen andere zum
Darstellung der Konflikte und dem Hinweis auf die dringende           Austausch, Kinder brauchen andere Kinder für das Sammeln von
Notwendigkeit der Baumaßnahme das Vertrauen der örtlichen             Erfahrungen, und alle brauchen Orte für das Zusammentreffen.
Entscheidungsträger. Diese waren schließlich bereit, die Verant-      In einer familientauglichen Wohnung, die Teil eines Mehrfami-
wortung für andere zu übernehmen, für das größere Ziel einzu-         lienhauses ist, sollte dennoch so viel wie möglich von diesem
stehen und sich nicht nur um die eigenen Belange zu kümmern.          Traum der Freiheit verwirklicht werden können. Dies beginnt
Ähnliche dialogorientierte Prozesse werden auch erforderlich          damit, Grundrissgestaltungen über den gesamten Lebenszyklus
sein, um z.B. in Landgemeinden die Zustimmung zu einer ande-          des Gebäudes variieren zu können und muss sich in der Wahl un-
ren Art von Wohnungsbau zu erreichen. Die Problemlage ist dabei       terschiedlicher Fassaden-Materialien nicht erschöpfen. Gebäude
nicht so kritisch, wie im obigen Beispiel, denn Vor- und Nachteile    zu entwerfen, die nach Wohnung unterscheidbare Fassaden auf-
betreffen in diesem Fall jeweils nur die eigene Gemeinde.             weisen ohne wie eine beliebige Gestaltung zu wirken, das ist eine
Habeck spricht davon, „dass es nicht reicht, zu wissen, was man       Herausforderung für künftige Architektengenerationen. Auf diese
nicht will. Die Summe aus Einzelinteressen bringt keine Lösung. Nö-   Weise können abwechslungsreiche, lebendige Quartiere mit fami-
tig ist eine Verständigung auf ein Konzept. Eine Gemeinschaft kann    lientauglichen Wohnungen entstehen, mit denen ihre Bewohner
so gestaltet werden, dass sie nicht im Widerspruch zu persönlichen    sich identifizieren können und die Besucher gerne und interes-
Interessen steht.“                                                    siert erleben.
Beim Bauen geht es also darum, ein Gesamtkonzept aufzustellen,
das genug Raum für individuelle Bedürfnisse bietet. Zuerst das
Gemeinsame, dann die persönliche Anpassung und Abweichung.            Dietfried Gruber
Dann bietet Gemeinschaft auch einen Gewinn für den Einzelnen:
Kontakt zu Mitmenschen, Kooperation, Entfaltung gemeinsamer
Interessen, z.B. die Freude an der Entwicklung eines ökologisch
sinnvollen Lebens, nicht zuletzt auch positive soziale Kontrolle.

                                                                                                         Quellen
                                                                      1 „So werden in Bayern Flächen geschont – Eine Richtschnur im Wohnungs- und Städte-
                                                                        bau“ www.bauen.bayern.de 2018, Herausgeber Bayerisches Staatsministerium für
                                                                        Wohnen, Bau und Verkehr
                                                                      2 Siehe: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-
                                                                        Forstwirtschaft-Fischerei/Flaechennutzung/_inhalt.html#sprg238410
                                                                      3 Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche
                                                                        Form benutzt. Sämtliche Bezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
                                                                      4 Aus „Aktuelle Trends der Wohnungsbautätigkeit in Deutschland – Wer baut welche
                                                                        Wohnungen?“ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, (BBSR) 2017
                                                                      5 DESTATIS, haushalte-familien-2010300187005
                                                                      6 https://de.wikipedia.org/wiki/Niko_Paech
                                                                      7 Habeck 2018 „Wer wagt, beginnt“ S. 202

16
Flächenfraß durch
  Einfamilienhäuser
      Gottfried Herz Dipl. Ing. (FH) Architekt
              Mitarbeit Josefine Herz

 Das Einfamilienhaus nimmt ein verschwenderisches Maß
 an Fläche in unserer Landschaft ein. Die Einbettung der
  Ökonomie und des Sozialen in die Ökologie geht dabei
verloren. Dabei ist der Gedanke eines Lebens im Kollektiv
essenziell. Warum stapeln wir nicht die Einfamilienhäuser?

                                                             17
Vorschläge zur städtebaulichen Verdichtung ohne Wohnqualitätsver-                           Leitgedanken
lust im Bereich zwischen 4-Zimmerwohnung und Einfamilienhaus.
                                                                    Basisgedanke: Resiliente Gemeinschaften fördern
                                                                    „Resilientes Denken heißt, eine sich ständig wandelnde Welt zu ver-
                   Das Einfamilienhaus                              stehen und mit ihr zu kooperieren. Durch das Verstehen wie und
                                                                    warum das System als Ganzes sich verändert, sind wir besser ge-
Qualitätsmerkmale                                                   wappnet, vielmehr mit dem Wandel zu gehen als ein Opfer dessen
Die Qualitäten des EFH liegen neben dem Wohnen in den eige-         zu sein.“ (Walker & Salt, 2006)
nen „vier Wänden“ überwiegend in der Beziehung zum Außen-
raum. Außen und Innen sind untrennbar miteinander verbunden.        In den letzten Jahren tritt der Begriff „Resilienz“ vermehrt in den
Es gibt keinen Innenraum ohne den Außenraum. Der Rechtsan-          Mittelpunkt der ökologisch sozialen Bewegung hin zur Bildung
spruch auf die vier Innenwände bedingt ein freistehendes Haus,      einer Gesellschaft unter den Leitlinien natürlicher Gesetze, mit
das man von außen betritt und um das man herum gehen kann.          dem Ziel, energie- und ressourcenschonende Alternativen zum
Das Wohlfühlverhalten im Innern ist bedingt durch die Lage- und     derzeitigen kapitalistischen System zu finden. Aus öko-sozialer
Lichtbeziehung der Räume nach außen. Wie begehen wir den            Sicht bedeutet dies vor allem, unsere Gesellschaft und ihre Le-
Raum? Nur durch sich Bewegen im Innen- als auch im Außen-           bensweisen – immer eingebettet in das umgebende Ökosystem,
raum mit deren Wechselbeziehung machen wir den Raum erleb-          ob lokal oder global – neu zu definieren. Im Gegensatz zur heu-
bar. Pflanzen, Gärtnern und draußen auf dem Rasen liegen ist jah-   tigen Tendenz, „nachhaltig“ zu wirtschaften, durch lineare Sys-
reszeitlich bedingt ein ebenso großes Bedürfnis, wie das Wohnen     temoptimierung und Energieeffizienz, ob in der Produktion von
und Schlafen im Innern des EFH.                                     Gütern, der Verteilung von Wohlstand oder der Entwicklung von
                                                                    demokratischen Strukturen, geht die Resilienz davon aus, dass
Qualitätsmerkmale im Sinne des Eigentumsrechts                      unsere Umwelt in ständigem dynamischen Wandel operiert und
Wie der Name schon sagt: Das EFH wird von einer Rechtsperson        sich adaptiert. Wir sind ein Teil dieses komplexen, sich adaptie-
der Ein-Familie beherrscht. Man ist Herrscher in den eigenen vier   renden Systems. Die heutige bedarfsorientierte Steuerung von
Wänden und zugleich Herrscher über das Grundstück, auf dem          Ressourcen erkennt die Grenzen der Vorhersehbarkeit in einem
das EFH steht. Der physische Bewegungsraum ist an vier Seiten       solchen System nicht an. (Walker & Salt, 2006) Unsere Wirtschaft
begrenzt, was eine freie Bewegung bis dahin ermöglicht, also        basiert auf einer wachsenden Effizienz und der optimierten Per-
ein selbstbestimmtes Verhalten. Nur durch diesen Rechtsschutz       formance einzelner Teile eines ökosozialen Systems. Hier wird ein
ist die freie Bewegung im Innen- und Außenraum vor äußeren          meist isolierter Vorteil für den Menschen angestrebt. Die entste-
Einflüssen gesichert. All diese Faktoren haben den Ursprung im      henden Konsequenzen und das Feedback einzelner Komponenten
Herrschaftsanspruch.                                                werden ignoriert. Dies führt in manchen Fällen zu irreversiblen
                                                                    Veränderungen im gesamten System. Eine bestimmte Effizienz ist
Qualitäten des EFH                                                  wichtig für die Lebensfähigkeit. Allerdings ohne das Verstehen
im Sinne des sozialen und ökologischen Umfelds                      und die Rücksicht auf die weiteren Antworten des Systems führt
Mit Verweis auf Ansätze der Lebenszufriedenheitsforschung ar-       sie nicht zu Nachhaltigkeit, sondern zu einem ökologischen und
gumentiert Nico Paech, dass subjektives Wohlbefinden an Fakto-      ökonomischen Zusammenbruch. Zur Stärkung von Resilienz sind
ren geknüpft ist wie zwischenmenschliche Beziehungen, Gesund-       Zeit, Ressourcen und eine vorausschauende, kreative Planung er-
heit, Anerkennung, sowie einer intakt empfundenen Umwelt.           forderlich. Häufig wird im Nachhaltigkeitsdiskurs die Vorstellung
Nur wenn diese Faktoren in gegenseitiger Wechselwirkung und         nicht hinterfragt, dass ein höherer Konsum zu größerem indivi-
genügendem Maße gegeben sind, fühlen wir uns in der jeweils ge-     duellem Glück führe; lieber wird über CO2-sparende Methoden
genwärtigen Situation befriedigt und ausgeglichen. (Paech, 2012)    zur Erzeugung der Verbrauchsgüter gesprochen. Wir leben jedoch
Planer und Architekten sollten in der Planung von Einfamilien-      in einer Zeit begrenzter Ressourcen und sollten nicht aus dem
häusern und Mehr-Zimmer Wohnungen die vorgestellten Fakto-          Auge verlieren, dass Zufriedenheit und Glück auch an weniger
ren berücksichtigen.                                                greifbare Dingen wie Gemeinschaft, sinnvolle Arbeit, Fähigkei-
                                                                    ten und Freundschaft geknüpft sind. […] Resilienz zu denken
                                                                    bedeutet, dass die aufeinandertreffenden Gemeinschaften nicht
                                                                    unerfahren, unproduktiv, abhängig und verletzlich sind, sondern
                                                                    vielmehr erfahren, im Übermaß produktiv, selbstständig, kurz: re-
                                                                    silient zu sein. (Hopkins, 2009)

                                                                    Die zwei Prinzipien der Resilienz sind die Suffizienz und Subsis-
                                                                    tenz. Suffizienz kehrt das moderne Steigerungsprinzip ins Gegen-
                                                                    teil um: Kreative Reduktion als Gestaltungsprinzip. Subsistenz
                                                                    beschreibt das Produktionsziel der weitest gehenden Selbstver-
                                                                    sorgung zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes einer Familie
                                                                    oder einer kleinen Gemeinschaft. Die Lösung liegt in der Ableh-
                                                                    nung des individuellen Besitzanspruches, der Stärkung eines kol-
                                                                    lektiven Bewusstseins über die Einbettung des Menschen in seiner
                                                                    Umwelt und der gemeinsamen Nutzung des Bodens. (Paech, 2012)

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