LESUMER BOTE Mitteilungen aus dem Heimat- und Verschönerungsverein Bremen-Lesum e. V.
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
2/2021 28. Jahrgang Nr. 110 Sommer 2021 LESUMER BOTE Mitteilungen aus dem Heimat- und Verschönerungsverein Bremen-Lesum e. V.
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 2 Sommer 2021 Liebe Leserinnen im Stadtteil Burglesum. Und nicht zuletzt das und Leser! Gedicht von Frieder Gänswein lässt ebenfalls sommerliche Gefühle aufkommen. Willkommen zur Sommer- Vielleicht denken Sie bei Ihren Einkäufen und Ausgabe unseres Lesu- Bestellungen auch an die Inserenten im Lesu- mer Boten! Wir hoffen, mer Boten? Unsere Anzeigenkunden helfen uns dass Ihnen die in diesem dabei, das Heft herauszugeben. Heft getroffene Auswahl Wir freuen uns über Ihr konstruktives Feedback an Artikeln gefallen wird – zum Heft. Vermissen Sie etwas? Was gefällt Ih- ohne speziellen Themenschwerpunkt wie im nen besonders gut? Haben Sie noch Themen- letzten Heft. Es ist sowohl für die Freunde histo- vorschläge, deren Aufarbeitung in einer der rischer Abrisse als auch für die an aktuellem Le- nächsten Ausgaben möglich ist? sumer Geschehen interessierten Leser*innen immer einiges dabei. Viel Spaß beim Lesen und: Bleiben Sie gesund! Wir erinnern an den Lehrer und Heimatforscher KLAUS BERGMANN Rolf Rübsam, der im Februar 2021 verstorben ist. Vielen ist er durch seine zahlreichen Arbeiten Inhaltsverzeichnis zur regionalen Aufarbeitung des Naziregimes Haus Stoess - Geschichte u. a. 3 sowie als aktiver Lesumer Bürger in Erinnerung. (B. Thomsen, U. Stoess, K. Bergmann) Mit dem Artikel über die Kindertagesstätte Heis- Längs der Lesum (F. Gänswein) 5 terbusch spannt unser Autor ein Band von den An der Lesumer Kirche 6 - ehemals 6 Anfängen der Kita bis heute und erfüllt damit ex- die „Börse“ (K.-M.- Hesse) emplarisch unsere Aufgabe, Entwicklungen im Neues aus Ilsenburg (K. Odenbach) 9 Stadtteil in einen historischen Zusammenhang Leserbriefe 10 zu stellen. (K. Kühlken, H. Meyer-Reichenau) Alt-Lesumer Geschichte und Geschichten wer- Zum Wetter 14 den im Artikel zu Haus und Familie Stoess prä- Der „Dornige Ilex“ (G. Finken) 15 sentiert. Viele Leser werden sich an die Nachruf Rolf Rübsam (H. Kück) 19 Vor-Nutzungen des Hauses als Arztpraxis noch Warum eigentlich Naturlehrpfade? 20 erinnern, andere interessiert bestimmt, was sich (U. Schröder) in der Zeit vor der Rechtsanwaltspraxis in die- 50 Jahre Kita St. Martini Heisterbusch 23 sem zentralen Lesumer Haus noch abgespielt (H. Kück) hat. Den Bogen zur Aktualität spannt ebenfalls Neue Saison im Sommerbad 29 der Bericht über das in direkter Nachbarschaft (M. Wolter) befindliche Haus An der Lesumer Kirche 6 am Rätsel (C. Trittin) 30 Lesumer Marktplatz, in das nach längerem Musikempfehlung (F. Mende) 31 Leerstand wieder neues Leben einziehen wird. Verrätseltes Märchen (H. Golz) 32 Kulinarisches aus dem Stadtteil 35 Der Ortsteil Burgdamm ist wieder mit den Bild- (R. Krenke / M. Schmidt-Zenker) vergleichen „Burgdamm – einst und jetzt“ vertre- Burgdamm einst und jetzt (2) 36 ten. Eine Leserrückmeldung aus der Schweiz (K.-M. Hesse) erinnert in Ergänzung des letzten Themenheftes Burglesumer Quartalschronik 40 an Alt-Marßel. Sommer 2021 (K. Bergmann) Im Sommer bietet sich sicher wieder Gelegen- Veranstaltungen Burglesum u. umzu 43 heit, den Stadtteil genauer zu erkunden: Anre- (R. Krenke) gungen geben u. a. die Artikel zum Baum des Straßennamen u. ihre Bedeutung (5) 44 Jahres 2021 – der Stechpalme – sowie die Vor- (V. Bulling) stellung der Naturlehrpfade in Bremen-Nord. Impressum und Inserent*innen 45 Sommerlich sind diesmal auch die Straßenna- Kinderseiten: Kleine Emma 46 men: Es dreht sich um Straßen mit Vogelnamen (M. Schmidt-Zenker/C. Trittin)
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 3 Sommer 2021 Bis heute im Familienbesitz Haus Stoess – Geschichte, Menschen, Anekdoten Der Arzt Dr. Ludwig Carl Bernhard Stoess sen. kam um 1900 mit seinem Freund Dr. med. Bö- schen aus einem Ort bei Speyer in der Pfalz nach Lesum. Er suchte einen Bauplatz für ein Wohnhaus. Hier wollte er eine Praxis als prakti- scher Arzt eröffnen. Es standen damals drei Bauplätze zur Auswahl: das Grundstück, auf dem das ehemalige Gefängnis stand (heute ausgebaut zu Wohnungseinheiten), ein Grund- stück an der Hindenburgstraße und das Grund- stück An der Lesumer Kirche 12. Er entschied sich für das letztere und beauftragte den Archi- tekten Meyer (genannt Betonmeyer), ein Haus für ihn zu entwerfen. Haus Stoess heute (Foto: Petra Bergmann) Der Bau des Hauses begann 1901. Der Bauherr Frieda Altenhoff, die in Berlin aufgewachsen war. nahm sich für die Beaufsichtigung der Bauarbei- Nach dem Umzug ins neue Haus eröffnete er im ten ein Zimmer in der Bäckerei und Gastwirt- Parterre eine Praxis, bestehend aus Sprech- schaft Hincke, An der Lesumer Kirche 1, wo er und Wartezimmer. auch seine vorläufige Praxis eröffnete. Das neue Das gesamte Haus wurde damals schon mit ei- Domizil wurde 1903 im Jugendstil fertiggestellt ner Schwerkraftheizungsanlage, die mit Koks und ist bis heute das einzige Gebäude in Lesum befeuert wurde, zentral beheizt. Auch war in den mit Türmchen und 36 Dachflächen. In jenem Bauplänen schon ein Wasserleitungssystem Jahr ehelichte Dr. Stoess sen. Anna Henriette eingeplant, sodass es überall fließend Wasser gab. Die erste Aufgabe des Hausmädchens war es, jeden Morgen im Keller das Wasser aus ei- ner Zisterne in einen Behälter, der sich auf dem Dachboden des Hauses befand, zu pumpen. So konnte das Wasser nach Bedarf aus den ver- schiedenen Wasserzapfstellen fließen. Einmal in der Woche gab es einen großen Waschtag, zu dem eine Wäscherin ins Haus kam. Die schmut- zige Kleidung wurde einen Tag zuvor in dem großen Kessel in der Waschküche eingeweicht. Am nächsten Morgen befeuerte man ihn mit Holz und erhitzte so die in ihm befindliche Wä- sche. Nach Rühren, Schrubben auf dem Waschbrett und mehrfachem Spülen trocknete dann die gereinigte Kleidung im Garten an Wä- scheleinen. Erst in den 70er Jahren wurde der große Waschkessel entfernt. Von Anfang an waren im gesamten Haus Gas- leitungsrohre in den Wänden und Decken ver- legt. So erleuchteten bei Dunkelheit Gaslampen die Räume. Und in der Praxis gab es sogar eine Architektenzeichnung (Archiv Stoess) Scheren-Gasoperationslampe.
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 4 Sommer 2021 Die Tätigkeiten von Dr. Stoess sen. als prakti- mindestens 30 km/Std. gefahren sein soll und scher Arzt waren breit gefächert und umfang- deshalb die Kuh des Bauern verkalbte. reich. Zu seinen Aufgaben zählten auch Dr. Stoess sen. fuhr einige Zeit als Schiffsarzt Operationen und das Ziehen von Zähnen. Er auf dem Großsegler „Großherzogin Elisabeth“ kannte seine Patient*innen und deren Familien- (jetzt „Duchesse Anne“) zur See. Er erlebte den verhältnisse sehr genau – oft von der Wiege bis Ersten Weltkrieg und erhielt 1917 als Stabsarzt zur Bahre. Nicht selten fungierte er als Vertrau- das Eiserne Kreuz 1. Klasse aus der Hand Kai- ensperson, Berater und Familientherapeut. ser Wilhelms II. Ein Foto des Großseglers hing Nicht alle Patient*innen konnten seine Dienst- zur Erinnerung Jahrzehnte im Windfang des leistungen mit Geld bezahlen. Die Schuld wurde Hauses an der Wand. Erst im Sommer 2019 dann auch mit Lebensmitteln oder Materialien wurde es abgenommen, als ein neuer Mieter beglichen. So gibt es im Haus noch heute eine einzog. Messinglampe „Schlaraffenland mit Pudding“, die ein in Vegesack bekannter Kunstschmied Das Ehepaar Stoess sen. bekam drei Kinder. gestaltet und gefertigt hat. Als der erste Sohn im Hause geboren wurde, brannte am selben Tag, zur selben Uhrzeit, das Anfangs erfolgten die Patientenhausbesuche mit benachbarte Strohdachhaus ab (Drogenhand- Pferd und Wagen, dann mit einem Motorrad und lung Hick) und zog dabei auch den Giebel des Doktorhauses in Mitleidenschaft. Dieser wurde schnell wieder instandgesetzt, jedoch ohne Fachwerk. Bei Renovierungsarbeiten im Som- mer 1975 konnte man noch die angebrannten und ausgebesserten Balken sehen. Der Sohn – Dr. Ludwig Bernhard Stoess (ge- nannt Bauken) – heiratete 1940 an seinem 31. Geburtstag Marianne Evers, die in das Haus mit einzog. Während des Krieges wurden auch noch etliche andere Familien einquartiert. Die Schwiegereltern teilten der jungen Frau nur ein Zimmer zu, weil ihr Mann bei der Wehrmacht als Stabsarzt eingezogen war. Marianne hielt sich bald danach in der Danziger Gegend bei den Kaschuben auf, dort von den Nazis zum Ar- beitseinsatz hinbeordert. Ihr mitgereistes Töch- terchen (insgesamt gebar sie fünf gemeinsame Kinder) starb hier überraschend am „Frühen Kindstod“. Da sie Angst hatte, das Kind nicht in Lesum bestatten zu können, telefonierte sie mit ihrem Vater, der bei der Bahn beschäftigt war. Dieser beantragte umgehend, dass er mit seiner „Sekretärin“ (gemeint war seine Tochter Marian- ne) nach Lesum reisen müsste. Das tote Kind Blick vom Garten aus (um 1950, HVL-Archiv B1234) wurde in einer Reisetasche versteckt, mit nach Lesum gebracht und im Familiengrab auf dem später per Automobil. Dr. Stoess sen. besaß zu Lesumer Friedhof begraben. dieser Zeit das einzige Auto im Ort, das eine Nummernschildbeleuchtung mittels Kerze hatte Nach dem Krieg ab August 1945 wohnte auch – damals eine kleine Sensation. Da der Ein- die Schwester von Bauken – Inge – verheiratet zugsbereich seiner Patient*innen sehr groß war, mit Hans Noack, mit ihren vier Kindern im Hau- führten ihn viele Besuche weit übers Land. Ein se Stoess, da deren Wohnung 1945 in Frank- Bauer hatte ihn sogar einmal verklagt, weil er furt/Oder von den Amerikanern enteignet wurde.
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 5 Sommer 2021 1948 starb der Hauserbauer Dr. Ludwig Carl Längs der Lesum Bernhard Stoess sen. Er wurde auf dem Lesu- mer Friedhof beerdigt. Der Sohn Dr. Ludwig Bernhard Stoess (Bauken) übernahm die Praxis Die Lesum lädt ein, zum Verweilen seines Vaters. Im Jahre 1975 verstarb auch er. sie ist Deutschlands einziger Fluss Im Sommer 1975 mietete Frau Dr. Dreichlinger der – ohne sich je zu beeilen – die gesamte erste Etage und richtete sich dort „bergauf“ wie „bergab“ fließen muss. eine Arztpraxis ein. Ab 1979 übernahm Dr. Fel- Sag, willst Du mit mir nicht mal joggen, lehner die Arztpraxis und führte sie bis 2014. rund um die Lesum, entspannt, übern Deich Danach hatte bis 2018 die Ergotherapie-Praxis statt stets vor der Glotze zu hocken ...? Ott und Schnakenberg hier ihr Domizil. Seit Mach Deine Muskeln mal weich! 2019 werden die Praxisräumlichkeiten von ei- nem Fachanwalt für Verkehrsrecht genutzt. In Auf! Atme tief durch, füll die Lungen! den Wohnräumen leben bis heute Enkelsohn Genieße den Fluss! – Durch Knoops Park Ludwig und seine Frau Ursula mit Familie. da traben die Alten, die Jungen BIRGIT THOMSEN / und fühlen sich beide ... gleich stark! URSULA STOESS / KLAUS BERGMANN Der Deichweg ... belebt. – Lauter Radler! Ein Möwchen streicht über das Schilf und Krähen … „krächz“ … "wir sind die Adler!" Ich bete nur: „Hitchekock, hilf!“ Der Tacho zeigt an: satte zwanzig! Das ist meine „average speed“ vom Sperrwerk bis Bremen, bis Danzig ist´s, wo es mein Radl hinzieht. Doch erst einmal locken die Weser, das Schulschiff, die Yachten, der Strom ... Schaffst Du´s bis zur Moorlosen Kirche dann siehst Du von dort schon den Dom! Was ist nun der Sinn der Pedale? Sie müssen sich fortwährend drehn! Erst wenn sich die Muskeln voll Qualen mühn, werden die Beine stramm-schön. Beseligt flitzen hier Skater auf Gleitrollen swingend vorbei. Auch trollt sich, ganz träg, manch ein Köter und scharrt Maulwurfshügelchen frei. Zurück dann, den Berg hoch, zum Häuschen sagst Du Dir. „... gerackert, geschwitzt! Jetzt gönn ich mir erst mal ein Päuschen!!" Wie gut sich´s vorm Fernseher sitzt! Ein Radler, ein Viertel, ein Bierchen muss her! – bis die Grundmüdigkeit wieder stimmt und der Mensch, dieses Tierchen, zurück findt zu Frieden und Freud. FRIEDER GÄNSWEIN, Platjenwerbe (2011)
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 6 Sommer 2021 An der Lesumer Kirche 6 – ehemals „Die Börse“ In Kürze wird das historische Gebäude abgebrochen Bereits vor acht Jahren rückte das damalige La- matforscher und allererste Vorsitzende des Le- dengeschäft „Cava Tappi“ in das öffentliche In- sumer Heimatvereins, Friedrich Kühlken (1930), teresse, denn es konkretisierten sich Gerüchte, übergeben wir ihm das Wort und tauchen ein in dass der Nordbremer Investor Olaf Mosel das das Lesum zur vorletzten Jahrhundertwende… historische Gebäude erworben hat und es abzu- „Börsen liegen allgemein im Mittelpunkte, am reißen gedachte. Im Sommer 2014 verlegte der Marktplatz oder wenigstens in der Nähe, und Weinhändler Axel Kück seine Weinhandlung in man versammelt sich hier zu gewohnter Stunde die nur wenige hundert Meter entfernte ehemali- und treibt einen regen Verkehr miteinander." So ge Bäckerei/Konditorei Schumann und Olaf Mo- war es auch hier in Lesum, in der Mitte des Dor- sel machte seine Pläne mit der Immobilie fes, des Kirchspiels, dort wo jährlich zweimal ein öffentlich: Rückbau und Neuerrichtung eines Krammarkt abgehalten wurde. Gebäudes mit gastronomischer Nutzung. Äußerlich war sie hier nicht das auffälligste Ge- Da die Umsetzung der Planungen nun nach bäude. Bei Wischhusen und Hinke war es grö- längerem Still- und Leerstand offenbar unmittel- ßer und geräumiger, denn hier tranken 200 und bar bevorsteht, möchten wir einen Einblick in die mehr Kirchfahrer ihren Koffee am Sonntagmor- abwechslungsreiche Geschichte des Gebäudes gen, und bei Zwetsche-Meier, jetzt Paul Oese, geben, das einst als „Börse“ Treffpunkt der be- war der erste Tanzsaal im Dorfe. [… ] aber die deutendsten Persönlichkeiten des Dorfes Le- Börse waren sie alle drei nicht. Sie lag ganz ge- sum war. nau im Mittelpunkte, gerade der Stelle gegen- Und da niemand dieses Haus lebendiger und über, wo Dralles Karusselbaum den Pol der anschaulicher beschreiben könnte als der Hei- Welt, in diesem Falle des Lesumer Marktes, Als der Lesumer Marktplatz noch Parkplatz war: Rechts im Bild das Ladengeschäft von Gerhard Renken im Jahr 1965 Foto: HVL F00373
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 7 Sommer 2021 zweimal im Jahr bezeichnete. Die Börse war bei Heinrich Schmidt [… ]. Von ihm und seiner Frau soll nun die Rede sein. Da wurde wohl in meinen Kindertagen so gegen Mittag zu Hause die Frage gestellt: „Wo is Vad- der?“ „Mien Gott, wo schall de sein?“ hieß es dann. „De is doch nach de Börse, die Klock is doch half zwolf?“ [… ] Da sprang ich dann nach dem mir wohlbe- kannten Fachwerkhause mit dem großen Schaufenster. Auf seinen weißen Börten stand Thompsons Seifenpulver, lag gute Kernseife, Die letzte Nutzung des historischen Gebäudes: Weinhan- standen die Gläser mit Bonbons und Vanille und del „Cava Tappi“ (2013). Ein Jahr später wechselte das ähnlichen Herrlichkeiten, und alles kündigte den Ladengeschäft von Axel Kück in das benachbarte Gebäu- Krämer. Durch die grüne Tür mit dem Oberlicht de „An der Lesumer Kirche 2“ trat ich auf die geräumige Diele. Hier lehnte auf (Foto: E. Ostendorff; HVL F01550) Holzrosten Sack an Sack nebeneinander, Reis, roher Kaffee, Mehl und Linsen. Da war die Hier wurden Schnurren und Scherze zum Bes- große eiserne Balkenwaage, und unter der De- ten gegeben, oder man plauderte von Neuem cke baumelten Holschen und Pantinen. Rechts im Dorfe und tauschte seine Meinung, und man- glimmte und flackerte das Torffeuer auf dem of- cher gute Beschluss des Gemeinderats hat hier fenen Herde in der Küche, und der Geruch von seine Vorprobe bestanden.“ gebranntem Kaffee, süßen Rosinen lag heimlich Das genaue Alter des Hauses ist uns nicht be- über allem [… ]. kannt, aber es wird, so vermutete Hoins (2009), Ich aber trat in die kleine, vordere Gaststube. bereits vor 1700 errichtet worden sein und somit Der erste Blick fiel auf den großen Stich vom zu den ältesten noch existierenden Gebäuden Central-Park in Newyork, der Tür gerade gegen- des Lesumer Ortskerns gehören. Anfang des über, und unter ihm saß auf der hellgelben, 19. Jahrhunderts befand sich hier die Krämerei spiegelblanken Bank mein weißbärtiger Vater von Johann Christian Altmann. 1833 folgte als mit seiner Samtmütze und vor einem Klaren. Krämer und Schankwirt August Friedrich Wil- helm Meyer, gebürtig aus Wagenfeld, der zu- „Dar is jemand.“ nächst in der Lesumer Tabakfabrik Hanewinkel „Lat em töben!“ & Cie. tätig gewesen war. Offenbar war er sehr Die halbe Stunde bei seinem Jugendfreund Hin- prinzipientreu ‒ trug er doch im Dorfe den Bein- nerk ließ sich mein Vater ungern kürzen, und ich amen „Prinzip-Meyer“. 1871 übernahm nach stand zögernd in der Tür. „Segg man, Vadder Meyers Tod dessen Sohn Friedrich Wilhelm. kem glieks“, rief nun der alte Tischlermeister Bereits 1878 verstarb er 38-jährig und ohne Kin- Joh. Fennekeohl ein. [… ] der, sodass der Betrieb an seine Schwester Be- Diese Stunde um Mittag oder gegen Abend dort ta fiel. Sie und ihr Ehemann Hinrich Schmidt in der Gaststube mit den blank gescheuerten führten die „Börse“ zu der Zeit, die uns Friedrich Dielen, dem eisernen Ofen mit den spiegelnden Kühlken so plastisch beschreibt. Messingtüren und dem Eckschrank mit Gläsern Nach dem plötzlichen Tod Hinrich Schmidts im und Flaschenbier war die Börse. Hier habe ich Jahr 1906 war die „Börse“ Geschichte ‒ und Le- manchmal schon als Kind unsern Gemeinde- sum um einen traditionsreichen gesellschaftli- vorsteher rechts im Sofa sitzen sehen, und dar- chen Mittelpunkt ärmer. Friedrich Kühlken über war die Bord mit den zehn oder zwanzig erinnert sich mit viel Mitgefühl an die von dop- Kisten Zigarren. Hierher lenkte auch der alte pelter Trauer geprägte Gemütslage nicht nur Mahlstedt, der Landtagsabgeordnete, wohl sei- seines Vaters: „Ich fühlte, dass für ihn und viele ne Schritte, wenn er zu Haus war, und sein Freunde des Hauses jetzt eine schmerzliche Sohn gehörte zu den regelmäßigen Besuchern. Lücke da war. Darüber hinaus aber hat von da
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 8 Sommer 2021 an eine offene Hand, die bei mancher Not die platz, eingeschossig und mit einem Krüppel- Linke nicht wissen ließ was die Rechte tat, im walmdach versehen. Somit sollte die städtebau- Dorfe gefehlt.“ liche Anmutung des historischen Marktplatzes Das Geschäftshaus wurde im Folgejahr vom nicht empfindlich verändert werden – wenn- Uhrmacher Gerhard Renken übernommen, der gleich der Verlust des historischen Bauwerks es im Innern grundlegend umbaute. Als der Ge- zweifellos sehr schmerzhaft ist. Bei einer Bege- schäftsgründer im Jahr 1950 starb, übernahm hung des Gebäudes im Sommer 2014 konnten Gerhard Renken jun. das Unternehmen. Er er- sich Mitglieder des Heimatvereins jedoch davon weiterte das Gebäude um einen Anbau für überzeugen, dass der Erhaltungszustand des Wohnzwecke im rückwärtigen Bereich, sodass Gebäudes alles andere als gut und die innere das gesamte Erdgeschoss für geschäftliche Struktur des Gebäudes durch die vielfachen Zwecke genutzt werden konnte. So war es Umbauten massiv verändert worden waren. möglich, das Sortiment Dies dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, um Haushaltswaren dass das Gebäude trotz des hohen Alters und und Spielzeug zu er- der ortsbildprägenden Strahlkraft keinen Denk- weitern. Nach dem Tod malschutzstatus erhalten hatte. Die angestrebte von Gerhard Renken gastronomische Nutzung mit einem eher höher- jun. führte dessen Wit- klassigen Restaurant ist im Sinne einer nachhal- we das Geschäft noch tigen Belebung des Ortskerns erfreulich. Im Ver- drei Jahre bis Ende bund mit einer anvisierten behutsamen bauli- 1989 weiter. chen Neuentwicklung konnten wir vereinsseitig der Planung einige positive Aspekte abgewinnen. In der Folge wurden die Nutzungszyklen Leider lag uns bis zum Redaktionsschluss die kürzer: Ab 1990 zog abschließende Planung noch nicht vor, da die fi- nach erneutem Umbau nalen Abstimmungen mit den zuständigen Stel- ein Kosmetikstudio mit len noch nicht abgeschlossen waren. Solarium ein (Inhaberin Bedauerlicherweise ist der Heimatverein hier Erika Thomassohn), nicht nochmals hinzugezogen worden. Wir hof- etwa 1998 folgte dann fen und vertrauen darauf, dass die aktuelle Pla- eine Stoffhandlung nung sich nicht wesentlich vom dem uns („TOGA Stoffe + Mode bekannten Stand aus 2014 unterscheiden wird. Workshop", Inhaberin Wir werden Sie hier im Lesumer Boten selbst- Martina Tarms). Ab verständlich auf dem Laufenden halten. 2004 stand das La- KLAUS-MARTIN HESSE dengeschäft erstmals Quellen: So warb Gerhard Renken längere Zeit leer, be- Austausch mit Investor Olaf Mosel (2014-2021) (jun.) im „Burg-Lesumer vor als wohl endgültig Hoins, Wilfried (2009). Ein Bildband von Burglesum einst Vereinsblatt“ im Jahr 1972 letzter Nutzer Axel und jetzt. (HVL Z02284) Kück seinen Wein- Kühlken, Friedrich (1930). Lesum im vorigen Jahrhundert. handel „Cava Tappi“ (italienisch für Korkenzie- HVL B37 her) in dem altehrwürdigen Gebäude eröffnete. Wie geht es nun weiter mit diesem Haus, das über viele Generationen den Lesumer Markt- platz prägte? Nach Auskunft des Investors, Olaf Mosel, soll das Gebäude im laufenden Jahr 2021 abgebrochen werden. An seiner Stelle soll ein Neubau entstehen, dessen Architektur, so wurde es dem Heimatverein Ende 2014 zugesi- chert, dem bisherigen Gebäude nachempfun- den ist – giebelständige Ausrichtung zum Markt-
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 9 Sommer 2021 Neues aus Ilsenburg Vor allem Neupflanzungen im Landeswald rund um die Stadt außerhalb des Nationalparks wa- Wohl seit mehr als 115 Jahren besteht eine ren ein großes Thema zwischen dem Bürger- Städtepartnerschaft zwischen der Harzstadt Il- meister und dem Forstbetriebsleiter für den senburg und der Hansestadt Bremen, die heute Bereich Oberharz, Eberhard Reckleben. „Diese primär durch den Stadtteil Burglesum gepflegt Pflanzungen sind bunt gemischt“, erklärte Reck- wird. Zuletzt gab es Besuch leben, „Lärche wird von uns bevorzugt gepflanzt, aus Ilsenburg im September da diese Art optimal für die Vorwaldstufe geeig- 2019, der Gegenbesuch muss net ist. Auch Rotbuche, Weißtanne und wegen der Pandemie warten. Schwarznuss sind vorgesehen.“ Sogar die Fich- Wer schon einmal im Ostharz te würde noch anteilig gepflanzt, da sie in einem war kennt vielleicht den Bre- Mischwald deutlich weniger anfällig sei als in ei- mer Weg von Ilsenburg zum ner Monokultur. „Gerade an den Steilhängen Brocken und die sich dort be- wird auch viel von allein wieder nachwachsen, findliche Bremer Schutzhütte. wie zum Beispiel Birke“, so der Forstwirt. Ein Pendant gibt es seit 2014 KATHLEEN ODENBACH im Werderland, die Ilsenburger Stadt Ilsenburg (Harz), Öffentlichkeitsarbeit Hütte. Eine Gedenktafel neben der Polizeiwache Lesum wür- digt diese Verbindung und im Lesumer Boten sollen zukünf- tig Berichte über unsere Partnerstadt erschei- nen, die ein geschichtsträchtiges Kleinod des Ostharzes am Fuße des Brockens darstellt und ein touristisches Highlight. Und einen Roland gibt es auch – ein Geschenk aus Burglesum aus dem Jahr 2005. Ilsenburger Mountainbike-Trail am Eselsstieg wird weiter ausgebaut Leider wird die Betretbarkeit der Wälder rund um Ilsenburg und den Ortsteilen Drübeck und Dar- lingerode auf Grund von Trockenheit und dem gefräßigen Borkenkäfer ein immer wichtigeres Thema. Brüchige Fichten könnten jederzeit um- stürzen und würden eine Gefahr für Wanderer oder Fahrradfahrer bedeuten. Daher freute sich Ilsenburgs Bürgermeister Denis Loeffke umso mehr, dass für den Ausbau der Mountainbike- Trails, vor allem am Eselsstieg, Anfang März 2021 ein Vertrag zwischen der Stadt und dem Landesforstbetrieb Sachsen-Anhalt unterzeich- net worden ist. „Durch diesen Vertrag erhalten wir Rechtssicherheit über die Nutzung von Flä- chen des Landes für die Fahrradfahrer“, so Lo- effke. „Die Tourismus GmbH Ilsenburg und eine Gruppe Enthusiasten haben sich dieses Projekt zum Ausbau der Trails auf die Fahne geschrie- ben, daher muss in diesem Bereich auch eine gewisse Sicherheit gewährleistet sein. Dafür will die Stadt sorgen.“
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 10 Sommer 2021 Leserbriefe Liebe Leser*innen, immer wieder erreichen uns Ihre Leserbriefe. Wir Redakteur*innen lesen sie alle gerne und tauschen uns über sie aus. Zwei ergänzende Zuschriften (aus Essen und sogar aus der Schweiz) zum Schwerpunktthema der letzten Ausgabe drucken wir hier für Sie ab: Alt-Marßel Fast ein Paradies... Ich möchte mich herzlich für den Lesumer Boten Der letzte Lesumer Bote hat das Thema „Hei- bedanken, der heute mit der Post in Essen an- mat Marßel“ und geht vor allem auf das in den gekommen ist. Als ich auf der Titelseite unter sechziger Jahren überbaute Marßeler Feld ein. dem Foto „Heimat Marßel“ las, freute ich mich, Beim Lesen sind mir viele Erinnerungen an mei- etwas über Marßel zu lesen. ne Jugendzeit gekommen. Ich bin in Alt-Marßel aufgewachsen, an jenem Straßenzug, der von Leider stellte ich dann fest, dass kein Wort über der Stader Landstraße, unweit der alten Burg- „Marßel“ zu lesen war, sondern nur über das dammer Schule, am Hang der in der Eiszeit ge- „Marßeler Feld“. Marßel ist der Namensgeber bildeten Geest bis nach Ritterhude führt. Hierhin für das Marßeler Feld und hat seine eigene Ge- zogen meine Eltern 1949 mit meinem Bruder schichte. Hier wohnten oder wohnen die Famili- und mir, als ich acht Jahre alt war. Es war Nach- en, die Marßeler sind und ihre Geschichte wenig kriegszeit. Wir hungerten nicht. Aber das Leben mit dem Marßeler Feld verknüpfen. war karg. Nach Möglichkeit war man Selbstver- Das Marßeler Feld wurde für uns Marßeler im sorger. Auch wir hatten einen großen Garten ne- Laufe der Zeit zum guten Partner: Das Laden- ben und hinter dem Haus. Und im Stall hielten zentrum wurde zur festen Einkaufsstätte. Neue unsere Eltern ein Schwein. An das Schlachtfest Klassenkameraden kamen dazu und die Ge- und die damit verbundenen Gerüche kann ich meindearbeit mit Pastor Henning waren ein fes- mich gut erinnern. ter Bestandteil des sozialen Lebens. Für mich bedeutet Marßel meine Heimat, auch wenn ich Für uns heranwachsende Jungen war Marßel schon viele Jahre in Essen lebe. ein attraktiver Ort. Mir gefiel, dass unsere Straße einfach nur Marßel hieß, und fertig. Irgendwann Liebe Grüße von der Ruhr an die Lesum. ging ich dem geheimnisvollen Namen nach und KLAUS KÜHLKEN, Essen entdeckte, dass mittelalterliche Urkunden von
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 11 Sommer 2021 Im Bericht von Heinrich Meyer-Reichenau als Bauernhof der Familie Garmhusen erwähnt: Der „San- dersche Hof“ (Marßel 39), hier auf einem Foto von 1925. Im Jahr 1615, also drei Jahre vor Ausbruch des 30-jährigen Krieges errichtet, gehörte der 1962 abgebrochene Hof seinerzeit zu den ältesten Hof- stellen im Bremer Raum Foto: HVL F00958 den Rittern von Marßel berichten. Eine Urkunde zugter Ort zum Spielen und Verstecken. von 1185 nennt Gewardus von Mercele. Die Rit- ter von Marßel hatten Spuren hinterlassen: 1388 In den fünfziger Jahren gab es noch eine verkauften Hinrik und Hermann an Merzele dem Schmiede am Anfang von Marßel, und es gab Rat der Stadt Bremen einen breiten Landstreifen mehrere Bauernhöfe. Der älteste, der noch be- zwischen Marßel und der neuerbauten Lesumer wirtschaftet wurde, lag neben unserem Haus, Brücke, auf dem der Steindamm errichtet wurde. ein Niedersachsen-Haus mit einer Inschrift über Die Ritter besaßen Land und schöne Ritterhäu- dem großen Tor, die das Baujahr verkündete, ser. Nachfahren waren zu meiner Zeit die Fami- das zu meinem Erstaunen drei Jahre vor dem lien Schmöle und Pellens mit ihren Dreißigjährigen Krieg lag: 1615! Mit dem Bau- Herrenhäusern am Anfang und Ende von Mar- ern-Ehepaar Garmhusen befreundeten sich un- ßel. Alte Rittergeschichten belebten damals mei- sere Eltern. Und ich befreundete mich mit dem ne Fantasie. Aber auch die Gegenwart bot mir Knecht Herbert, der die beiden Pferde des Ho- viele Reize zu Entdeckungen und Abenteuern. fes betreute, ein braunes und ein schwarzes, Gegenüber von unserem Haus lag ein bewalde- und mich auf ihnen reiten ließ, wenn sie auf die ter Hügel, der dem Rechtsanwalt Feyer gehörte Weide geführt wurden, auf die Wiesen an der und in dem versteckt seine Villa lag. Morgens Lesum. Man gelangte zu ihnen durch einen klei- sang dort eine Nachtigall und bevor Herr Feyer nen Tunnel im Bahndamm, der die Grundstücke einen Zaun um das ganze Gelände ziehen ließ, von Alt-Marßel begrenzte, auf dem die Züge konnten wir Jungen dort herumstreichen. Der zwischen Bremen und Bremerhaven verkehren. Hügel Sanders Hagen, der an der Verbindung Anfang der fünfziger Jahre heiratete Herbert ei- zum Marßeler Feld liegt, war für uns ein bevor- ne Tochter des Bauern Gustav Garmhusen. Die Trauung fand auf der sauber geputzten Tenne
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 12 Sommer 2021 Hier ist Heinrich Meyer-Reichenau aufgewachsen (Marßel 33) Foto: K.-M. Hesse, 2021 statt. Der Pastor kam auf den Hof. Und ich durf- gerissen, und an seiner Stelle steht ein großes te das alte Grammophon bedienen und die Plat- modernes Wohnhaus. Auch das Bauernhaus ten zum Tanz auflegen. Ein unvergessliches daneben steht nicht mehr und wich der soge- Erlebnis. Ich durfte auch mit auf dem Erntewa- nannten Bullen-Station. Nach und nach ver- gen zu den Getreidefeldern fahren, die vis-à-vis schwanden die mit Stroh gedeckten Häuser in von Sanders Hagen lagen und den langen Alt-Marßel, und freie Flächen wurden zugebaut, Dreschvorgang auf dem Hof verfolgen. wie in den sechziger Jahren auf dem Marßeler Feld und an Sanders Hagen. Die Mauern des Bauernhofes waren schon ganz schief und wurden mit Balken abgestützt. Fast Von der Terrasse hinter unserem Haus konnten 350 Jahre nach seinem Bau wurde der Hof ab- wir über den Garten und Bahndamm hinüber zu den Wiesen und zur Lesum sehen. Jenseits der
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 13 Sommer 2021 Lesum ganz links lag das Dorf Wasserhorst und weit hinten im Süden konnte man bei gutem Wetter die Türme des Bremer Doms erkennen. Unser Vater, ein leidenschaftlicher Angler, hatte am Lesumufer ein Ruderboot befestigt, mit dem er nachts auf Aalfang ging, und ich konnte es mit einem Freund für Ruderfahrten nutzen. Wie oft führten uns unsere Spaziergänge zur Lesum! Die Strömung aber scheuten wir. Zum Baden gingen wir ins Heidbergbad, das inzwischen nicht mehr existiert. terrichtet wurde. Hildegard Düsterloh war eine Zu meinen guten Erinnerungen an Alt-Marßel interessante Persönlichkeit, die am damaligen gehören auch prägende menschliche Begeg- Zeitgeschehen lebendigen Anteil nahm. Vor al- nungen und wichtige persönliche Entscheidun- lem aber kannte sie sich aus in der Musik, nicht gen: Hinten im Garten der Tischlerei Eylers nur der Klaviermusik. In den Gesprächen mit ihr stand ein kleines Holzhaus. In ihm wohnte in wuchs meine musikalische Leidenschaft, die bis den fünfziger Jahren Hildegard Düsterloh, die heute anhält. Das Holzhaus in Eylers Garten ist bekannt war als gute Klavierspielerin. Sie suchte verschwunden. Frau Düsterloh zog aufs Marße- einen Jungen, der ihr die Kohlen für den Ofen ler Feld und ist in den 60er Jahren verstorben. aus dem Schopf von Eylers ins Haus brachte. In meinen Marßeler Jahren schloss ich mich der Ich meldete mich und war dann mehrere Jahre Jugendgruppe der Lesumer Kirchengemeinde nicht nur der Kohlenträger, sondern auch ein an, die vom Gemeindehelfer Detlev Schark ge- lernbegieriger Klavierschüler, der kostenlos un- leitet wurde. Er war unter dem Einfluss der
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 14 Sommer 2021 Heilsarmee überzeugter und bekennende Christ haus. Als 1966 die Mutter unseres Vaters starb, geworden. In der Jungschar und in Scharks Bi- übernahm der Vater sein Elternhaus an der Bre- belkreis, an dem ich teilnahm, reifte mein Ent- merhavener Heerstraße. Unsere Zeit in Alt-Mar- schluss, Pastor zu werden. 1961 machte ich ßel war zu Ende, eine für mich schöne, das Abitur am Gerhard-Rohlfs-Gymnasium in prägende Zeit und – fast ein Paradies. Vegesack und begann mein Theologiestudium. Dr. theol. HEINRICH A. MEYER-REICHENAU, Damit begann auch die Abnabelung vom Eltern- Bern Heute haben wir es besser: Als das Jahr ohne Sommer wird das vor allem im Nordosten Amerikas sowie im Westen und Sü- den Europas ungewöhnlich kalte Jahr 1816 bezeichnet. In den Vereinigten Staaten bekam es den Spitznamen „Eighteen hundred and froze to death“, und auch in Deutschland wurde es als das Elendsjahr „Achtzehnhundertunderfroren“ berüchtigt. Das Jahr 1815 war durch mehrere ungewöhnliche Wetterphänomene gekennzeichnet, für die es da- mals weder einzeln noch im Gesamtzusammenhang eine schlüssige Erklärung gab: • Nachtfrostperioden in den USA und Schneefälle in Kanada, • ein ungewöhnlich kalter Wetterverlauf in Europa mit Ernteausfällen, • schwere Unwetter und Überschwemmungen, Missernten und Schneefall in höheren Lagen das ge- samte Jahr hindurch in Mitteleuropa. Als Hauptursache wird heute der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815 ange- sehen, der von Vulkanologen als deutlich stärker eingestuft wird als der Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 n. Chr. und jener des Krakatau 1883. Quelle: Auszüge aus Jahr ohne Sommer, Wikipedia, zuletzt aufgerufen am 24.05.2021
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 15 Sommer 2021 Wie der „Dornige Ilex“ zum Schutz eingesetzt wurde Der „Dornige Ilex“ oder die europäische Stechpalme (Ilex aquifolium, Baum des Jahres 2021) bedarf heutzutage unseres Schutzes und unserer Aufmerksamkeit, da er als Baum kaum noch in unseren Wäldern anzutreffen ist. Dies war in zurückliegenden Jahrhunderten ganz anders, da wurde der Ilex vor allem als Strauch und Baum zum Schutz eingesetzt. Seine steifen dorni- gen Blätter haben ihn dazu befähigt. Der Ilex wurde zum Beispiel zum Schutz von kann es schon erahnen, dass dieser Name aus sandigen Geesthängen hinzugezogen [4]. Sein einem hier ehemals vorhanden „Berg“, welcher Stechen sollte es Mensch und Tier unangenehm mit der „Hülse“ bewachsen war, hervorgegan- machen, den Weg über den Hang zu wählen. gen ist. Meine Vorfahren väterlicherseits stam- Die Stabilität des Hanges wäre durch das Betre- men aus dem Ort „Hulsbergh“ (u. a. Geburtsort ten beeinträchtigt worden. Am Geestrand kom- meines Vaters), so wurde er in Urkunden 1238 men nicht nur Gemeine Robinie und geschrieben. Heute heißt der Ort „Hülseberg“ Stechpalme, sondern auch noch andere Ge- und liegt im Landkreis Osterholz. hölzarten vor, die dem Erhalt der Festigkeit die- Der „Chronik Hülseberg“ aus dem Jahre 1988 nen. entnommen [3]: Als ältester Name ist uns Huls- Die Stechpalme gehört zu den immergrünen Ar- bergh aus dem Jahre 1238 überliefert. Assimila- ten wildwachsender Sträucher, wie wir es Bü- tion „berg“, niederdeutsch „barg“, ist ursprünglich chern der Botanik entnehmen können. Ferner ein Ort, wo man etwas vor dem Feinde verber- steht dort: Glänzende, steife, buchtige dornige Blätter. Weißliche Blüten im Mai. Scharlachrote Beeren. In schattigen Tälern auf Sandboden. Die wildlebenden Populationen von Ilex aquifoli- um sind nach §7 Abs.2 Nr.13 des Bundesnatur- schutzgesetzes (BNatSchG) besonders geschützt. Es ist von Vorteil, auch die alten oder alternati- ven Namen des Ilex zu kennen. Von der Stech- palme möchte ich hier die Namen Hülse (Hülsdorn, Hülskrapp, Stechhülse), Hulst, Stech- eiche, Winterbeere oder Christdorn nennen. Es gibt in Bremen den Ortsteil Hulsberg und man Dornen oder Stacheln ? Es gibt stechende Pflanzenteile, welche auf den ersten Blick sehr ähnlich sind, aber nicht für den Botaniker. Dornen sind spitze Pflanzenteile, die als um- gewandelte Sprossachsen, Blätter (siehe Ilex), Nebenblätter oder auch Wurzeln aus- gebildet sind. Dornen sind fest mit dem Pflanzenteil verbunden. Stacheln haben einen zugespitzten Vor- sprung an der Sprossachse (Rosen) oder am Blatt. Stacheln sind an der Oberfläche und lassen sich abstreifen. Das Sprichwort „Keine Rosen ohne Dornen“ ist botanisch gesehen irreführend! Europäische Stechpalme (Ilex aquifolium) [8]
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 16 Sommer 2021 gen konnte und enthält als Grundbegriff „hoch, Da man sich strikt auf den Waldwegen bewegen Höhe“. Als Berg wird bei uns jede noch so gerin- sollte, ist meine Empfehlung: Zum Fotografieren ge Anhöhe bezeichnet. „Huls“, heute Hülse, ist kommt man dem Ilex auf Grund des dichten die Stechpalme, die hier früher wohl in großer Wegenetzes in Knoops Park näher. Soll es ein Anzahl wuchs und noch heute besonders häufig Bild mit Beeren sein, dann muss man schneller in der Elm („Wald Elm“, Landkreis Osterholz als die Vögel sein [6]. [16]) vorkommt. Im Mittelalter haben sich Städte mit Stadtmau- „ .. vor dem Feinde verbergen“, heißt mit ande- ern geschützt. Vor den Stadtmauern gab es ren Worten: Dinge vor Diebstahl, Feuer, Ent- manchmal zusätzlich eine „Landwehr“, um nicht wendung oder Abgabe zu „schützen.“ Zu allen ohne Vorwarnung vom Feind überrascht zu Zeiten hat man bei kriegerischen Auseinander- werden. Auch auf dem Lande, zum Schutz ei- setzungen versucht, den Besiegten Hab und nes Dorfes, eines großen Anwesens oder eines Gut abzuringen. Dies wurde erschwert, wenn Territoriums, errichtete man Landwehren. Eine klassische einfache Land- wehr aus dem Raum der deut- schen Mittelgebirge bestand aus zwei parallel verlaufenden Trockengräben von ca. 1,50 m Tiefe und einer Sohlenbreite von ebenfalls um die 1,50 m. Etwa 2,50 m höher als die Gra- bensohle war der Wall zwischen den Gräben. Auf dem Wall aus dem Aushub der Gräben wur- den Hainbuchen gepflanzt, wel- che man zu einem sehr dichten „Gebück“ verformt bzw. ver- flochten hatte. Auch der zusätz- lich gepflanzte Ilex mag hier gute Dienste geleistet haben. Eine solche Landwehr [13] ver- Ilex-Zweig bei Raureif im Winter. Die roten Beeren bieten eine Nahrungsquelle für hinderte jeden unbemerkten Vögel. Foto: Heike Stieg-Lichtenberg, Sandstedt Diebstahl von Weidevieh. man etwas im Sand des mit dem Ilex bewach- Im norddeutschen Tiefland setzte man auf einen sen Hügel versteckt hatte. Und zwar mindestens geschlossen Ring um ein Dorf aus Landwehr- so tief, dass es mit einem Säbelstoß in den gräben mit dornigen Pflanzen. Die breiten Grä- Sand nicht erreicht bzw. ertastet werden konnte. ben füllten sich von Natur aus mit Wasser. Wer nun meint, der Ilex kann doch kein wirklich Innerorts verliefen entlang der Landwehr In- wirksamer Schutz oder ein schwer zu überwin- spektionswege. dendes Hindernis sein, der irrt. Die Stechpalme In Bremen geben zwei Straßennamen Auskunft kann bis in eine Höhe von 10 m wachsen und darüber: „Landwehrstraße“ in Utbremen und „Al- wie ein Baum einen Stamm ausbilden. Als te Landwehr“ in Sebaldsbrück, also eine nördlich Baum kommen die Stechpalmen meist in einer und eine südlich der Stadt. Es gab auch eine Größe zwischen 2 und 5 Meter vor. Wenn die östliche Landwehr, von der schreibe ich an an- Stechpalmen als „Landwehr“ zum Einsatz ka- derer Stelle [5]. In der Feldmark Grambkermoor men, hat man alles dafür getan, dass sie sich gab es Wasserläufe, welche ebenfalls Landwehr hierzu gut ausbildeten. genannt wurden. So hätte ein Viehdieb mit den 2020/2021 habe ich viele Ilex-Sträucher, aber erbeuteten Weidetieren durch das Dorf gemusst keine Ilex-Bäume mehr zu Gesicht bekommen. und wäre wohl bemerkt worden.
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 17 Sommer 2021 Ufer des wichtigen Entwässerungsgrabens, mit Wallhecke, Gebück, Gedörn und Namen „Graben hinter den Höfen“, vorgenom- Landwehr men. Als Bäume wurden überwiegend Eichen Die Begriffe überschneiden sich thematisch, gepflanzt, welche noch lange im Herbst Blätter haben jedoch feine Unterschiede: haben können. Im Halbschatten der Bäume Wallhecke ist eine Bezeichnung für von Ge- wurde der immergrüne Ilex gepflanzt. Durch den hölzen bewachsene, meist künstlich errichte- Ilex erreichte man, dass kein zusätzlicher te Erd-, Stein- oder Torfwälle in Mitteleuropa. Schnee von den Weiden im Winter mit dem Sie sind als Einfriedung und Grenzmarkie- Nordwestwind auf den Hof geweht werden rung weit verbreitete landschaftsprägende konnte. Auch sollte sein Stechen unerwünschte Elemente der Kulturlandschaft. Lebewesen fernhalten. Fernhalten auch des- halb, weil sich bei uns im Hang der Düne die Gebück ist ein Annäherungshindernis in Kartoffelmieten befanden. Form einer undurchdringlichen Hecke. Man hat meist junge Hainbuchen gepflanzt, ihre War Ihnen das zuvor Niedergeschriebene be- Stämme nach unten gebogen (gebückt) und kannt? Dass einmal die wohl längste Straße auf miteinander verflochten. Meistens stand ein Bremer Gebiet durch Grambkermoor führte – Gebück auf einem Wall und davor und da- das wussten Sie oder nicht? Ich glaube ich sollte hinter waren Gräben. nochmal von Grambkermoor berichten. Gedörn sind dornige, stachelige Pflanzen GEORG FINKEN, Bremen, im Februar 2021 des Annäherungshindernisses (Hecke), z. B. der Ilex [14]. Quellen: Landwehr ist der Name für ein Grenzsiche- [1] Finken, Georg: Mündliche Überlieferungen meiner Vorfahren, der Stellmacherfamilie Hoope vom Burgdam- rungswerk, eine Umfriedung eines Sied- mer Postweg lungsgebietes oder eines ganzen Territo- [2] Finken, Georg: Mündliche Überlieferungen meiner riums. Diese Siedlungsschutzanlagen des Vorfahren, über die Fuhrleute und Vorfahren Barnsdorf Mittelalters konnten in Einzelfällen über hun- vom Burgdammer Postweg dert Kilometer lang sein. Der römische Limes [3] Schulz, Klaus-Peter: „Chronik Hülseberg“, 236 Seiten, ist die bekannteste Ausführung einer frühen ersch. 1988 beim Verlag H. Stade GmbH, Osterholz- Landwehr. Scharmbeck [4] Finken, Georg: „Robinien am Geesthang“, LESUMER In Grambkermoor, in der Nähe der ehemaligen BOTE / Nr. 107 / 2020, HVL Landwehr, bin ich auf dem Bauernhof meiner [5] Finken, Georg: „De dode Weech - Der tote Weg“, mit Vorfahren und Eltern aufgewachsen. Mit meiner Familie bewohne ich die alte Hofstelle, wo von Kartoffelmiete den früheren Hofgebäuden nur noch eine ehe- Bei uns eine rechteckig gegrabene Grube malige Remise existiert. Den Ilex – mein Vater von ca. 2 m Länge und 1 m Breite als auch sprach immer nur vom Ilex – aus sehr alten Zei- Tiefe. Sie wurde mit Stroh ausgekleidet, ten, den gibt es immer noch. Ilex kann zwischen dann wurden die Kartoffeln hineingegeben 200 und 300 Jahre alt werden. Die Hofstelle liegt und der Kartoffelhügel mit einer Lage Stroh auf einer Düne des nordwestlichsten Zipfels der bedeckt. Mit der Erde vom Aushub wurde sie Bremer Düne. Diese Bremer Düne ist ein Teil ei- abgedeckt und in die Form eines Walmda- nes langen Dünenrückens, der von dem Geest- ches gebracht. Äußerst wichtig war der gebiet der Verdener Heide genau bis zu dem „Strohschornstein“. Er stellte eine luftdurch- Punkt in Grambkermoor reicht, wo ich wohne. lässige Verbindung von den Kartoffeln zur Ehemals befanden sich wohl sechs Bauernhöfe Außenwelt her, damit es möglichst keine auf der von West nach Ost verlaufenden Haupt- Fäulnisbildung gibt. Diese Art der Lagerung düne von Grambkermoor, welche sich durch lockt Tiere zum Fressen an. Zum Schutz Anpflanzungen vor nördlichen Winden schütz- wurden Ilex-Zweige geschnitten und an der ten. Diese Anpflanzungen wurden am südlichen Miete platziert.
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 18 Sommer 2021 Informationen zum Ruschweidenweg und Rusch, Entwurf [13] Internet: GenWiki: „Landwehr (Wehranlage)“, 2020, noch nicht veröffentlicht http://genwiki.genealogy.net/Landwehr_(Wehranlage), [6] Bringmann, Karl: Park-SCHutz-Aktion „PASCHA“ (Bei- zuletzt am 18.05.2021 abgerufen trag im Lesumer Bote 80, 2013, S. 16f) [14] Internet, Wikipedia: „Landwehr“, https://de.wikipe- [7] Hägermann. Johann: „Häuser im Wasserpfuhl aufge- dia.org/wiki/Landwehr, zuletzt am 18.05.2021 abgerufen baut – Eine heimatkundliche Plauderei über Grambker- [15] Internet, „GeoLife.de Navigator“, https://www.geoli- moor“, (Zeitungsartikel, eigenes Archiv) fe.de/, zuletzt am 18.05.2021 abgerufen [8] Internet, Wikipedia: „Stechpalmen“, https://de.wikipe- [16] Garlstedter Kirchweg, 27711 Osterholz-Scharmbeck, dia.org/wiki/Stechpalmen, zuletzt am 18.05.2021 Forst „Die Elm“ Position: N 53° 15.86191', E 008° abgerufen 43.95374' [9] Internet, Wikipedia: „Garlstedt“, https://de.wikipe- dia.org/wiki/Garlstedt, zuletzt am 18.05.2021 abgerufen [10] Internet: „Wortbedeutung.info“, Wörterbuch, Elm, htt- ps://www.wortbedeutung.info/elm/, zuletzt am 18.05.2021 abgerufen [11] Dr. Silvius Wodarz Stiftung Baum des Jahres: „Die Europäische Stechpalme (Ilex aquifolim) Baum des Jah- res 2021 – 33. JAHRESBAUM“, https://www.baum-des- jahres.de, zuletzt am 18.05.2021 abgerufen [12] Internet: „Projekt: Alter Postweg“, z.B.: htt- ps://www.bremerhaven.de/ u.a. „2009 Postweg Flyer“, zuletzt am 18.05.2021 abgerufen
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 19 Sommer 2021 Ein feiner Mensch Am 11. Februar 2021 ist Rolf Rübsam im Alter von 83 Jahren verstorben. Er war Geschichts- und Deutschlehrer für Gene- rationen von Schüler*innen am damaligen Ger- hard-Rohlfs-Gymnasium Vegesack und später am Schulverbund Lesum. Er war auch praktizierender Heimatforscher und „Erinnerungsarbeiter“ an dem Grauen des Nazi- regimes. Seine Arbeit wurde u. a. durch die Ver- Foto: Andreas Kalka, Die Norddeutsche, 25.01.2016 leihung des Franco-Paselli-Friedenspreises (2000) und die Verleihung des Verdienstordens Schriften: der Bundesrepublik Deutschland (2012) gewür- Sie lebten unter uns. Zum Gedenken an die Opfer der digt, er war Autor mehrerer Schriften (s. u.). In Reichskristallnacht 1938 in Bremen und Umgebung, Bre- seinen Büchern, Vorträgen und Aktionen wid- men 1988 mete er sich dem Nichtvergessen der unfassba- Die Brombergers. Schicksal einer Künstlerfamilie, Bremen ren Gräueltaten, die auch Menschen aus 1992, mit einem Vorwort von Heinrich Albertz Bremen-Nord und Umgebung widerfahren sind. „Kinder dieser Stadt“, Begegnungen mit ehemaligen jüdi- Mahnend waren immer wieder seine Beiträge schen Bremern, Bremen 2004, mit einem Vorwort von zur Reichsprogrom- nacht. Hans Koschnick und einer Rede von Hilde Adorf Er war aber auch Musikliebhaber, früher auch Quellen: aktiver Chorsänger in Lesum. Rolf Rübsam war Hohe Auszeichnung vor imposanter Kulisse - Die Nord- ein ruhig-sachlicher, freundlicher, zugewandter deutsche: Aktuelle Nachrichten - WESER-KURIER (we- Gesprächspartner, kundig in vielem, wohl in al- ser-kurier.de), abgerufen 15.03.2021 lem, was seine Sache anging. „Die Erinnerung darf nicht enden“ - WESER-KURIER - Ein besonderer, ein feiner Mensch ist von uns Nachrichten aus Bremen und Niedersachsen (weser-kuri- er.de), abgerufen 15.03.2021 gegangen, den wir in Lesum nicht vergessen werden. Erinnerung an Nazi-Morde - WESER-KURIER - Nach- richten aus Bremen und Niedersachsen (weser-kurier.de), HERMANN KÜCK abgerufen 15.03.2021
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 20 Sommer 2021 Mensch und Natur in Burglesum Warum eigentlich Naturlehrpfade? Mensch und Natur, passt das zusammen? Auf den ersten Blick müsste man diese Frage ver- neinen, denn allzu oft verhält sich der Mensch wider die Natur: Die Luft wird mit Schadstoffen belastet, Wälder werden gerodet, Pflanzen mit Giften besprüht und freie Flächen versiegelt. Keine gute Bilanz für die Erde! Doch an dieser Stelle wollen wir kleinräumiger denken. In der Reihe „Mensch und Natur in Burglesum“ werden Themen aus Natur und Umwelt mit direktem Bezug zur Burglesumer Landschaft beschrieben. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich etwas Zeit nehmen und mich dabei begleiten. „Es gibt so viele Schilder in diesem Land, man Zugegeben, das Image der Naturlehrpfade ist könnte sagen, wir leben in einem richtigen Schil- etwas angestaubt und scheint ein Relikt aus den derwald. Da brauchen wir doch nicht noch mehr öko-bewegten 1980er und 1990er Jahren zu Schilder, die unsere Landschaft verschandeln! sein. Und alte, vergilbte oder beschmierte Info- Was soll das denn bringen?“ Eine solche Aus- tafeln sind oft eher ein Ärgernis. Doch moderne sage ist gut möglich, wenn über einen geplanten Konzepte, eine ansprechende Gestaltung und Naturlehrpfad berichtet wird. Aber die Frage ist evtl. eine digitale Verknüpfung können durchaus berechtigt: Was soll dieser eigentlich bringen? zum Umweltverständnis in der Bevölkerung bei- Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Naturlehr- tragen. Dabei sind Themenlehrpfade am belieb- pfade die Aufgabe haben, in der Öffentlichkeit testen. Was gibt es also für Möglichkeiten? das Interesse an der Natur zu wecken und Wis- Drei Beispiele aus Schleswig-Holstein zeigen sen zu vermitteln. Zudem kann dadurch in sen- die Vielfalt der Naturlehrpfade: In Norderstedt siblen Gebieten eine Besucherlenkung statt- gibt es mehrere Themenrundwege wie den Als- finden. terland-Rundweg oder den Tarpenbek-Rund-
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 21 Sommer 2021 weg, auf denen die Tier- und Pflanzenwelt der Gegend erkundet werden kann. Vor Ort stehen interessante Infotafeln und es locken Mitmach- stationen. Im Naturpark Lauenburgische Seen können u. a. auf der Seentour und der Eiszeit- tour witzige Hörgeschichten per Handy abgeru- fen werden. Auf dem Öko-Stadt-Pfad in Lübeck geben elf Infotafeln Einblicke in Natur und Kultur auf der Altstadtinsel. Der Pfad zeigt, dass sich die Natur auch inmitten des UNESCO-Weltkul- turerbes ihren Platz erobert hat. Und wie sieht es in Bremen aus? Auch hier gibt es schon lange Naturlehrpfade, die aber oftmals etwas in die Jahre gekommen sind. Zwei Bei- spiele: Durch den Stadtwald führt z. B. seit über 20 Jahren der Natur- und Erlebnispfad mit 18 Stationen. Dort gibt es Antworten auf Fragen wie: Was lebt alles in einer Wiese? Wie kom- men die Löcher in den Baum? Was machen Ameisen im Wald? Infotafeln und Mitmachsta- tionen geben die Antworten. Der Waller Baum- lehrpfad hingegen thematisiert erst seit 2014 die Baumarten im Waller Park und auf dem Waller Friedhof, informiert vor Ort über Größe, Alter, Herkunft und CO2-Bilanz von 30 Baumarten. Flyer (Archiv Ulrike Schröder) Dies schlägt den Bogen nach Bremen-Nord, denn auch hier gibt es mittlerweile Baumlehrpfa- de. Im Faltblatt Bäume in Knoops Park werden 57 Gehölze vorgestellt, die vor Ort mit einer ro- ten Nummern-Plakette gekennzeichnet sind. Das gleiche Thema behandelt der Baumpfad auf dem Gelände des Klinikums Bremen-Nord. Allerdings stehen dort 23 Infotafeln direkt neben den Bäumen, die über die verschiedenen Baumarten informieren. Ganz anders konzipiert ist hingegen der Naturerlebnispfad auf dem Ge- lände der Ökologiestation in Schönebeck seit über 20 Jahren. Zwar geht es auch um Wald und Bäume, aber die Namen der zwölf Statio- nen verraten schon den Mitmachcharakter: Foto: Ulrike Schröder Spechtbaum, Waldklänge, Ameisenstadt, Ge-
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 22 Sommer 2021 heimnisvolle Bäume, Tastbaum, Gestürzter Rie- lehrpfade die Naturbesonderheiten unserer Re- se, Balancierstämme, Leben im Holz, Gratwan- gion. Gehen Sie also auf Entdeckungstour in die derung, Barfußpfad, Waldxylophon und Partner- Natur! schaukel. Auch wenn die Aufmachung nicht ULRIKE SCHRÖDER mehr dem neuesten Stand entspricht, so ist der Quellen: Lehrpfad gerade für Familien mit kleineren Kin- Bürgerparkverein: Natur- und Erlebnispfad im Stadtwald. dern bestimmt eine gute Wahl. Und nicht zuletzt Der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr: Werderland gibt es den Werderland-Rundweg mit acht Be- und Dunger See - Schutzgebiete im Land Bremen. obachtungstipps und Naturerleben pur. Förderverein Knoops Park e. V. Bäume in Knoops Park. Wie lässt sich nun die Ausgangsfrage beantwor- Stadt Norderstedt: Rundweg im Alsterland und Rundweg ten? Auch wenn die digitale Welt unser aller Le- in der Tarpenbek-Niederung. ben teils gravierend verändert hat, so bleiben die Kerstin Doty, Umweltbetrieb Bremen: Waller Baumlehr- Erholung an der frischen Luft und das Erleben in pfad. der Natur elementare Grundbedürfnisse der Verein Ökologiestation e. V.: Der Naturerlebnispfad der Menschen. Gerade in der jetzigen schwierigen Ökologiestation Bremen. Zeit hat sich gezeigt, wie wichtig Naherholungs- www.herzogtum-lauenburg.de/handy-audio-guide, letzter gebiete sind. Allerdings gehen manche Men- Zugriff 29.3.2021. schen freiwillig regelmäßig raus, andere brauchen eher ein interessantes Ziel. Genau wie die kleinen Infoschildchen mit QR-Codes des Froschkönig (Märchen der Gebr. Grimm) Heimatvereins über interessante Gebäude und Lösung von S. 32 Objekte in Burglesum informieren, zeigen Natur-
LESUMER BOTE / Nr. 110 Seite 23 Sommer 2021 50 Jahre Kita St. Martini Heisterbusch „Solange Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln. Wenn sie groß sind, gib ihnen Flügel!“ Entstehungsgeschichte ten und erst mit Heike Lilie kam die Kita in ruhi- Die rege Bautätigkeit in Neu-Lesum – also Le- gere Fahrwasser, was aber nicht lange anhielt. sum etwa nördlich der A270 – und die damit Nach einem Konflikt mit dem damaligen Kir- verbundenen Zuzüge, aber auch die sich verän- chenvorstand verließen Leitung und mehrere dernden Lebensentwürfe in den 1960er Jahren Erzieherinnen die Einrichtung. waren Anlass für die evangelische Kirchenge- Der Wunsch nach einer meinde St. Martini Lesum (EKG St. Martini Le- neuen Leitung und Er- sum) über ein Kindergartenangebot zu beraten. zieherinnen ließ sich in Es war nicht der erste Kindergarten der Ge- der Zeit knappen Ange- meinde: Schon 1913 entstand bereits eine Ein- bots nicht so ohne Wei- richtung im damaligen Rettungshaus Am teres erfüllen. Nach Heidbergstift 16, die aber 1935 an die Stadt ab- einigem Hin und Her gegeben werden musste und seitdem ein städti- konnte Margot Schrö- sches Angebot darstellte. der, aus Hannover kom- Ende 1968 wurde die Planung konkreter und mit mend, als Leiterin Mitteln der Bremischen Kirche konnte ein gewonnen werden. Sie hatte sowohl Berufs- wie Grundstück an der Straße „Vor dem Heister- auch Leitungserfahrung und begann ihre Arbeit busch“ erworben werden, das im Bebauungs- am 1. März 1975. Für mehr als 35 Jahre prägte plan bereits als Kindergartengelände sie die Arbeitsweise der Einrichtung: Bis zum 20. ausgewiesen war. Parallel dazu – gewisserma- Juni 2010 war sie Leiterin der Kita Heisterbusch ßen im Vorgriff auf das noch zu bauende Ange- und zum Schluss ihrer Tätigkeit auch der Au- bot – entstand im Gemeindezentrum an der ßenstelle im Gemeindehaus (EKG St. Martini Hindenburgstraße nach Umbauten ein Halb- Lesum 2010a). tagskindergarten (Eröffnung im November Nachfolgerin von Margot 1969), der angesichts der großen Nachfrage bis Schröder wurde Bärbel heute besteht. Der Kindergarten Heisterbusch, Buck, und zwar für beide ein Fertigbau des Architekten Noltenius, konnte Einrichtungen. Sie kam am 1. Oktober 1970 eröffnet werden. Gerade mit einem Bündel unter- noch rechtzeitig erteilte das Jugendamt Bremen schiedlichster Berufser- am 30. September 1970 eine Genehmigung für fahrungen nach Lesum. die Aufnahme von maximal 80 Kindern in dem Nach ihrer Ausbildung neuen Haus (Schäfer 1979). Insgesamt kamen zur Bürokauffrau und 75 Kinder, und zwar eine Kleinkindgruppe (15 vielen Jahren im Ent- Kinder, 3-4 Jahre alt), eine Aufbaugruppe (20 wicklungsdienst in Papua-Neuguinea sowie der Kinder, 4-5 Jahre) und zwei Vermittlungsgrup- Arbeit beim Deutschen Roten Kreuz übernahm pen (je 20 Kinder, 5-6 Jahre). Von Anfang an bis sie nach einem Sozialpädagogikstudium die Lei- heute gab es eine eigene Küche. Damals beka- tung der Kita Heisterbusch. Sie fand ein gut auf- men etwa 15 Kinder ein frisch zubereitetes, gestelltes Haus vor, „solide, langlebig aus- kindgerechtes Mittagessen, heute werden alle gerichtet“, mit einem großen Team. Bis zum 11. Kinder mittags versorgt. Juni 2017 war es das Zentrum ihrer beruflichen Leitungshistorie Arbeit (EKG St. Martini Lesum 2010b). Die Anfangsjahre, geprägt von der antiautoritär- Seit Juni 2017 führt Daniel Hampel die Einrich- en Erziehung, waren – so heißt es – turbulent. tung in Zusammenarbeit mit seiner Stellvertrete- So konnte sich das erste Team nicht lange hal- rin Katrin Schulz. Hampel ist kein Neuer, schon
Sie können auch lesen