Sachstandsbericht Klimawandel in Tirol Stand 19.03.2015 - Bericht der Klimaschutzkoordination - Land Tirol
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Auftragnehmer alpS GmbH, Umweltbundesamt GmbH, Universität Innsbruck Auftraggeber Amt der Tiroler Landesregierung AutorInnen DANIELA HOHENWALLNER, MICHAEL ANDERL, JOCHEN BÜRGEL, ROBERT GOLER, MICHIKO HAMA, TOBIAS HUBER, NIKOLAUS IBESICH, ARMIN KRATZER, THOMAS KRUTZLER, CHRISTOPH LAMPERT, MARKUS LEITNER, STEFFEN LINK, CHRISTIAN NAGL, ELISABETH RIGLER, CARMEN SCHMID, JÜRGEN SCHNEIDER, WOLFGANG SCHIEDER, KATHARINA SCHRÖER, KATHRIN SCHWAB, SIMON STEUER, ALEXANDER STORCH, HEINZ STROBL, GERHARD ZETHNER 2
Inhaltsverzeichnis A Einleitung ............................................................................................................. 7 1 Klimapolitik Tirol........................................................................................................................8 2 Berichte der Klimaschutzkoordination ......................................................................................8 B Auswirkungen des Klimawandels ....................................................................... 10 1 Die Alpen und der Klimawandel ..............................................................................................10 2 Entwicklung der Klimaelemente .............................................................................................11 2.1 Datenquellen ............................................................................................................................................... 11 2.2 Temperatur ................................................................................................................................................. 12 2.3 Niederschlag ................................................................................................................................................ 14 3 Auswirkungen des Klimawandels auf den Naturraum ............................................................16 3.1 Biosphäre .................................................................................................................................................... 16 3.2 Pedosphäre ................................................................................................................................................. 23 3.3 Hydrosphäre (inklusive Kryosphäre) ........................................................................................................... 27 4 Auswirkungen auf die Anthroposphäre und ihre sozio-ökonomischen Systeme ...................36 4.1 Wasser- und Energiewirtschaft ................................................................................................................... 36 4.2 Tourismus .................................................................................................................................................... 37 4.3 Gesundheit .................................................................................................................................................. 42 4.4 Bauen & Wohnen ........................................................................................................................................ 42 4.5 Raumplanung .............................................................................................................................................. 43 4.6 Verkehrsinfrastruktur .................................................................................................................................. 44 4.7 Wirtschaft .................................................................................................................................................... 45 4.8 Naturgefahren und Katastrophenmanagement.......................................................................................... 45 5 Sammlung und Analyse von außerordentlichen Wetterereignissen in Tirol ..........................47 5.1 Abgrenzung und Datenquellen.................................................................................................................... 47 5.2 Ausgewählte Extremwettereignisse ............................................................................................................ 48 5.3 Zusammenfassung....................................................................................................................................... 54 C Treibhausgas- und Energiebilanz des Landes Tirol ............................................. 56 3
1 Ist-Analyse Energiebilanz ........................................................................................................56 1.1 Bruttoinlandsverbrauch des Landes Tirol.................................................................................................... 57 1.2 Energieerzeugung in Tirol............................................................................................................................ 58 1.3 Analyse des Nutzenergiebedarfs ................................................................................................................. 61 2 Ist-Analyse Treibhausgasemissionen ......................................................................................64 2.1 Kohlendioxidemissionen ............................................................................................................................. 66 2.2 Methan- und Lachgasemissionen................................................................................................................ 67 Glossar ..................................................................................................................... 68 Literaturverzeichnis.................................................................................................. 71 Rechtsnormen und Leitlinien ................................................................................... 84 Anhang 1 – Detailauswertung Klimaszenarien ......................................................... 90 Anhang 2 – Zusätzliche Informationen zum Klimaschutz .......................................... 93 4
Segoe ui Abbildungsverzeichnis: Abbildung 1: Beschreibung der wichtigsten Arbeitsschritte. ................................................................................................................ 9 Abbildung 2: Mittelabweichung (1901-2000) und deren geglättete Entwicklung der mittleren Jahrestemperatur weltweit von 1850–2009 (orange) und im Großraum Alpen 1760–2009 (rot), Erklärung im Text. Quelle: ZAMG. 2013, bearbeitet. ................................................................................................................................................................................................... 13 Abbildung 3: Stationsunabhängiger Anstieg der Jahresmitteltemperaturen Innsbruck-Universität und Kufstein. Erklärung im Text. Quelle: ZAMG 2013. ...................................................................................................................................................... 13 Abbildung 4: Jahresgang der erwarteten Klimaänderung (Einheit °C). Die dicke Linie stellt die mittlere erwartete Klimaänderung dar, der schattierte Bereich die Bandbreite möglicher Entwicklungen. Die Zahlen darüber zeigen die Monatsmittel der Bezugsperiode (Einheit °C). ................................................................................................................................. 14 Abbildung 5: Jahresniederschlagssummen in Innsbruck-Universität und Kufstein. Die dicke rote Linie zeigt das 20- jährige geglättete Mittel. Quelle: HISTALP 2013. .................................................................................................................................... 15 Abbildung 6: Jahresgang der erwarteten Klimaänderung (Einheit %). Die dicke Linie stellt die mittlere erwartete Klimaänderung dar, der schattierte Bereich die Bandbreite möglicher Entwicklungen. Die Zahlen darüber zeigen die Monatsmittel der Bezugsperiode (Einheit mm/Monat). ............................................................................................................... 15 Abbildung 7: Bedeutung des Tourismus auf Gemeindeebene und Skigebiete in Tirol und Südtirol. Quelle: Steiger und Trawöger 2011b. .......................................................................................................................................................................................... 38 Abbildung 8: Änderung der Betriebstage (%) mit Beschneiung. Änderungen in der Periode 2020-2050 im Vergleich mit 1971-2000 (Strasser et al. 2012). ............................................................................................................................................................ 40 Abbildung 9: Regionen in Österreich, die durch Vb und Vb-ähnliche Wetterlagen besonders betroffen sind. Quelle: Formayer, 2006. ..................................................................................................................................................................................................... 50 Abbildung 10: Hitzetage nach Kysely von 1954-2003 (Auer et al. 2005)...................................................................................... 54 Abbildung 11: Entwicklung des Bruttoinlandsverbrauches nach Energieträgern. .................................................................... 57 Abbildung 12: Erzeugung elektrischer Energie nach Energieträgern (PV Photovoltaik). ....................................................... 58 Abbildung 13: Erzeugung von Fernwärme nach Energieträgern (KWK: Kraft-Wärme-Kopplung. WP: Wärmepumpe). ...................................................................................................................................................................................................................................... 59 Abbildung 14: Entwicklung des energetischen Endverbrauchs nach Energieträgern. ............................................................ 60 Abbildung 15: Entwicklung des Endenergieverbrauchs nach Sektoren. ....................................................................................... 61 Abbildung 16: Private Haushalte - Nutzenergie für Raumheizung und Klimaanlagen nach Energieträgern in 2011. ...................................................................................................................................................................................................................................... 62 Abbildung 17: Öffentliche und Private Dienstleistungen - Nutzenergie für Raumheizung und Klimaanlagen nach Energieträgern in 2011....................................................................................................................................................................................... 63 Abbildung 18: Anteil Tirols an den österreichischen Treibhausgas-Emissionen sowie Pro-Kopf-Emissionen, 1990 und 2011. ................................................................................................................................................................................................................. 64 Abbildung 19: Anteile 2011 nach KSG-Sektoren und Gasen. KEX: Kraftstoffexport im Tank. .............................................. 64 5
Abbildung 20: Treibhausgas-Emissionen Tirols in der Einteilung des Klimaschutzgesetzes 1990 bis 2011 in kt CO2- Äquivalent. EH – Emissionshandel................................................................................................................................................................. 65 Abbildung 21: CO2-Emissionen, Bruttoinlandsenergieverbrauch (BIEV) und Bruttoregionalprodukt Tirols, 1990– 2011............................................................................................................................................................................................................................ 66 Abbildung 22: Treibende Kräfte der CH4- und N2O-Emissionen Tirols, 1990–2011............................................................... 67 Abbildung 23: Jahresgang der erwarteten Klimaänderung (Einheit: Tage/ Monat). Die dicke Linie stellt die mittlere erwartete Klimaänderung dar, der schattierte Bereich die Bandbreite möglicher Entwicklungen. Die Zahlen darüber zeigen die Monatsmittel der Bezugsperiode (Einheit: Tage/ Monat)............................................................................................. 91 Abbildung 24: Jahresgang der erwarteten Klimaänderung (Einheit: Tage/ Monat). Die dicke Linie stellt die mittlere erwartete Klimaänderung dar, der schattierte Bereich die Bandbreite möglicher Entwicklungen. Die Zahlen darüber zeigen die Monatsmittel der Bezugsperiode (Einheit:Tage/ Monat). ............................................................................................. 91 Abbildung 25: Jahresgang der erwarteten Klimaänderung (Einheit: KGT/ Monat). Die dicke Linie stellt die mittlere erwartete Klimaänderung dar, der schattierte Bereich die Bandbreite möglicher Entwicklungen. Die Zahlen darüber zeigen die Monatsmittel der Bezugsperiode (Einheit:KGT/ Monat). .............................................................................................. 92 Abbildung 26: Jahresgang der erwarteten Klimaänderung (Einheit: HGT/ Monat). Die dicke Linie stellt die mittlere erwartete Klimaänderung dar, der schattierte Bereich die Bandbreite möglicher Entwicklungen. Die Zahlen darunter zeigen die Monatsmittel der Bezugsperiode (Einheit: HGT/ Monat)........................................................................... 92 Tabellen: Tabelle 1: Beobachtete Veränderungen in der Biosphäre................................................................................................................... 17 Tabelle 2: Prognostizierte Veränderungen der Biosphäre. ................................................................................................................. 21 Tabelle 3: Beobachtete Veränderungen in der Pedosphäre............................................................................................................... 24 Tabelle 4: Prognostizierte Veränderungen der Pedosphäre. ............................................................................................................. 26 Tabelle 5: Beobachtete Veränderungen in der Hydrosphäre. ........................................................................................................... 30 Tabelle 6: Prognostizierte Veränderungen der Hydrosphäre ............................................................................................................ 33 Tabelle 7: Die Auswirkungen des Klimawandels auf die natürlichen Schneebedingungen in ganz Tirol. ...................... 39 Tabelle 8: Veränderungen in der Periode 2020 - 2050 im Vergleich zu 1971-2000. ............................................................... 40 Tabelle 9: Auswahl an regionalen Schadenshochwässern in Tirol seit 1985. .............................................................................. 51 Tabelle 10: Vergleich der Schäden durch Windwurf in Tirol .............................................................................................................. 53 Tabelle 11: Bruttoinlandsverbrauch Tirol für das Jahr 2011 nach Energieträgern und Veränderung zu 1988. ............ 93 Tabelle 12: energetischer Endverbrauch Tirol für das Jahr 2011 nach Energieträgern und Veränderung zu 1988. ... 93 Tabelle 13: Energetischer Endverbrauch Tirol für das Jahr 2011 nach Sektoren und Veränderung zu 1988. ............... 94 6
A Einleitung Klima ist ein globales System, das sich im Verlauf der Erdgeschichte immer wieder verändert hat und dessen Ausprägungen die Lebensbedingungen der Menschen stets maßgebend beeinflussten – auch und gerade in Gebirgsräumen wie Tirol. Der Wandel des Klimas war und ist allgegenwärtig. Davon zeugen heute die vielen Formen in der Landschaft, wie z.B. die von Gletschern geformten taleinwärtigen Bereiche der höheren Seitentäler Tirols. Waren früher vor allem natürliche Ursachen dominierend – wie z.B. die Verschiebungen der Kontinente, Schwankungen der Erdumlaufbahn (bekannt als Milanković–Zyklen), die solare Einstrahlung oder die Staubkonzentration durch explosive Vulkanausbrüche – so ist in der jüngeren Vergangenheit zusätzlich der Ausstoß an Treibhausgasen durch den Verbrauch fossiler Energieträger für die starke Erwärmung der unteren Atmosphäre verantwortlich. Spätestens seit dem 2007 veröffentlichten Stern-Bericht (Stern 2007), welcher die Auswirkungen eines ungebremsten Klimawandels auf die Weltwirtschaft darlegt, und den Beiträgen zum vierten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC 2007), ist die globale Erwärmung zum politischen und gesellschaftlichen Thema geworden. Die unabdingbare Notwendigkeit raschen Handelns wird durch die Erkenntnisse des neuesten Weltklimaberichtes, in dem mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit (≥ 95 %) angenommen wird, dass die derzeitige Klimaerwärmung menschgemacht ist (IPCC 2013), unterstrichen, um einer der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und der Zeit danach begegnen zu können. Eine Reihe von Initiativen – vom globalen Kyoto-Protokoll, den 20-20-20-Zielen der Europäischen Union, bis hin zu nationalen Strategien – haben sich aus diesem Grund das Ziel gesetzt, den Treibhausgasausstoß zu senken. Ziel ist es, die Erwärmung der Erdoberfläche zu bremsen beziehungsweise auf weniger als 2 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Maßnahmen in diesem Zusammenhang werden unter dem Begriff Klimaschutz zusammengefasst, der die erste wichtige Säule der Klimapolitik darstellt. Allen bereits initiierten politischen und gesellschaftlichen Bemühungen zum Trotz konnten ambitionierte Ziele nicht oder nur in geringem Maße erreicht werden, mit dem Resultat, dass der Klimawandel als Phänomen an sich bereits begonnen hat in die sozio-ökonomischen und natürlichen Systeme der Erde einzugreifen. Deshalb müssen neben den Klimaschutzmaßnahmen auch Maßnahmen zur Anpassung an sich verändernde Rahmenbedingungen umgesetzt werden, um die Lebensqualität zu erhalten, negative Auswirkungen zu minimieren und Chancen zu nutzen. Klimawandelanpassung bildet somit, neben dem Klimaschutz, die zweite wichtige Säule in der Klimapolitik (BMLFUW 2012a, b). Auch Österreich stellt sich diesen Herausforderungen mit dem Klimaschutzgesetz (BMLFUW 2011), einer Klimastrategie (BMLFUW 2007) und der Österreichischen Strategie zur Anpassung an den Klimawandel (BMLFUW 2012a, b). Hier sind sowohl die Betroffenheit Österreichs als auch Maßnahmen zu sektoralen Bereichen enthalten. Darüber hinaus behandelt der Austrian Assessment Report des APCC (Austrian Panel on Climate Change, APCC 2014) die Thematik von einem forschungsbezogenen Standpunkt aus. Das Bundesland Tirol hat bereits in Strategien und Programmen zur Landesentwicklung das Thema Klimawandel behandelt, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung. Insbesondere sind hier die Tiroler Waldstrategie 2020 (Amt der Tiroler Landesregierung 2011b), die Tiroler Energiestrategie 2020 (Amt der Tiroler Landesregierung 2007a), das Tiroler Mobilitätsprogramm 2013-2020 (Amt der Tiroler Landesregierung 2013b), das Biomasse- Versorgungskonzept Tirol (Amt der Tiroler Landesregierung 2007b), der ZukunftsRaum Tirol_2011 (Amt der Tiroler Landesregierung 2011a) und die Tiroler Nachhaltigkeitsstrategie (Amt der Tiroler Landesregierung 2012a) zu erwähnen. 7
1 Klimapolitik Tirol Mit den Berichten der Klimaschutzkoordination, deren integraler Bestandteil die Klimaschutzstrategie für die Periode 2013 - 2020 ist, die sich aus den Verpflichtungen Österreichs durch die Unterzeichnung des Kyoto- Protokolls ergibt, bekennt sich das Land Tirol zu einer aktiven und vorausschauenden Klimapolitik die folgenden Grundsätzen folgt: Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Klimaschutzzielen soll das CO2 Einsparungspotential ausgeschöpft werden. Der sparsame Umgang mit Energie, die Steigerung der Effizienz und die Substitution fossiler Energieträger durch erneuerbare Ressourcen steht im Zentrum (Arbeitsübereinkommen für Tirol 2013-2018) erfolgreiche, bestehende Strategien und Maßnahmen sollen weitergeführt und weiterentwickelt werden, Der Ausbau erneuerbarer Energieträger erfolgt unter Beachtung ökologischer Rahmenbedingungen und Kriterien der Nachhaltigkeit. Entsprechende Grundlagen wurden vom Land Tirol bereits entwickelt (Nachhaltigkeitsstrategie, Kriterienkatalog Wasserkraft, Solarkataster). Eine strategische Bewertung der Energieträger soll Nachhaltigkeitskriterien folgen und Ineffizienzen berücksichtigen. Der Sektor Verkehr wird als entscheidend für die Erreichung der Klimaschutzziele erachtet. Initiativen Tirols auf Bundes- und EU-Ebenen sollen verstärkt werden. Sollten zur Erreichung der Ziele und zur Umsetzung der Maßnahmen gesetzliche Anpassungen notwendig sein und diese in den Kompetenzbereich des Bundes fallen, so wird das Land Tirol im Rahmen der dafür vorgesehenen Möglichkeiten mit der Bitte um Berücksichtigung dieser Ziele und Maßnahmen an den Bund herantreten. Diese Klimapolitik, die durch eine Roadmap 2020 - 2030 (siehe Abbildung 1) im Bereich des Klimaschutzes eine langfristige Strategie zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen darstellt, trägt der globalen Verantwortung des Landes Tirols Rechnung. Unter dem Stichwort Auf dem Weg zu einer CO2-neutralen Landesverwaltung wird Tirols Klimapolitik durch die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand im Bereich des Klimaschutzes unterstrichen. Darüber hinaus bekennt sich das Land Tirol zu einer vorausschauenden, proaktiven Haltung und strategischen Ausrichtung, um den Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken beziehungsweise diese abzumindern und so auch Chancen die sich daraus ergeben frühzeitig nutzen zu können. Eine Reihe von Maßnahmen im Bereich der Klimawandelanpassung strebt dies an. Sowohl kurz- als auch langfristig soll das Handeln der öffentlichen Hand, der Wirtschaft und der Bevölkerung geprägt, notwendige sektorübergreifende Maßnahmen unterstützt und gefördert sowie der Lebens- und Wirtschaftsraum nachhaltig erhalten werden. Um das übergeordnete Ziel erreichen zu können und nach Maßgabe der sachlichen Dringlichkeit, in Hinblick auf weitere Arbeitsprogramme und der budgetären Möglichkeiten soll eine zeitgerechte, konsequente und umfassende Umsetzung, inklusive aller Anpassungsmaßnahmen erfolgen. 2 Berichte der Klimaschutzkoordination Zur Erreichung der definierten Ziele sind vier Berichte der Klimaschutzkoordination verfasst worden. Die Erstellung vollzog sich unter aktiver Miteinbeziehung der Landesverwaltung sowie relevanter AkteurInnen des Landes 8
I. Sachstandsbericht Klimawandel in Tirol: Analyse der Auswirkungen des Klimawandels auf das Bundesland sowie der Darstellung der CO2- und Energiebilanz. II. Bericht zur Erreichung der Klimaschutzziele bis 2020: Analyse und Evaluierung bestehender Maßnahmen sowie die Erstellung sektorspezifischer Handlungskonzepte (Maßnahmenpläne) als Basis für konkrete Klimaschutzmaßnahmen und Förderrichtlinien zur Erreichung der Klimaziele bis 2020 und darüber hinaus bis 2030. III. Anpassung an den Klimawandel: Herausforderungen und Chancen für das Land Tirol werden durch die Erarbeitung von prioritären Handlungsfeldern auf sektoraler Ebene erarbeitet. Diese bilden den Ausgangspunkt für die Erstellung von Maßnahmen. In diesem Bericht werden auch Synergien und Herausforderungen die sich zwischen Klimaschutz und Anpassung ergeben sowie das Thema Sensiblisierung und Bewußtseinsbildung beleuchtet. IV. Monitoring und Evaluierung der Klimaschutzmaßnahmen und der Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel: hier erfolgt die überblicksartige Diskussion möglicher Monitoring- und Evaluierungsstrategien für die Bereiche Klimaschutz und Anpassung. Abbildung 1: Beschreibung der wichtigsten Arbeitsschritte. Für die Erstellung der vier Berichte der Klimaschutzkoordination wurde ein partnerschaftliches Arbeiten mit allen relevanten Abteilungen der Tiroler Landesverwaltung realisiert. Dabei konnten, in einer Reihe von Interviews und Konsultationen, vorhandenes Wissen und Hintergrundinformationen erhoben und in Workshops vertieft werden. Relevanten AkteurInnen wurde in zwei Workshops, aber auch in schriftlicher Form, die Gelegenheit geboten die Berichte der Klimaschutzkoordination zu kommentieren. Es sei darauf verwiesen, dass sich die in den Berichten der Klimaschutzkoordination behandelten Sektoren im Bereich des Klimaschutzes am österreichischen Klimaschutzgesetz (BMLFUW 2011) und im Bereich der Anpassung an der Österreichischen Strategie zur Anpassung an den Klimawandel (BMLFUW 2012a, b) orientieren. 9
Des Weiteren muss betont werden, dass Klimaschutz und Anpassung als Querschnittsthemen verstanden werden, die Aktivitäten in unterschiedlichen Bereichen oder Sektoren erfordern. Vor allem – aber nicht nur – hat sich gezeigt, dass es im Bereich der Anpassung zum Teil große sektorübergreifende Wechselwirkungen gibt, die bei der Erstellung und Umsetzung der Maßnahmen beachtet werden müssen. Darüber hinaus müssen die Maßnahmen des Klimaschutzes mit denen der Anpassung abgestimmt werden, um mögliche Konflikte zu vermeiden und Synergien zu kreieren. Beide Säulen – Klimaschutz und Anpassung – sind somit wichtige Elemente einer nachhaltigen Entwicklung, welche als normatives Leitbild übergeordnet ist. Im vorliegenden Sachstandsbericht „Klimawandel in Tirol“ werden die Entwicklung der Klimaelemente und die Auswirkungen der klimatischen Änderungen auf den Naturraum und die Anthroposphäre dargestellt. In Kapitel C4 werden außerordentliche Wetterereignisse in Tirol zusammengetragen und analysiert. Kapitel D befasst sich mit der Treibhausgas- und Energiebilanz des Landes. Durch alle Kapitel hinweg gilt es aufzuzeigen, dass der bereits stattfindende Klimawandel nicht nur als Bedrohung gesehen wird. Vielmehr soll der vorliegende Bericht dazu beitragen, Herausforderungen zu erkennen und anzunehmen, aktiv Risiken zu minimieren und sich bietende Chancen zu nutzen. B Auswirkungen des Klimawandels 1 Die Alpen und der Klimawandel Die Alpen sind in mehrfacher Weise vom global wirksamen Klimawandel betroffen. Sie bilden die Grenze zwischen dem mediterran geprägten Klima Südeuropas und dem mitteleuropäischen Übergangsklima, welches atlantisch geprägt ist. Im Kontext des Klimawandels kann hier nicht nur die Erwärmung, sondern auch eine Verschiebung der Klimazonen nach Norden von Bedeutung sein. Die angesprochene Erwärmung findet in den Alpen in stärkerem Ausmaß als global statt. Brunetti et al. (2009) sprechen von einer doppelt so hohen Erwärmung der Alpen im Vergleich zum globalen Durchschnitt. Von besonderer Bedeutung sind hier Rückkopplungen, die im Zusammenhang mit der Albedo, also dem Rückstrahlvermögen von Oberflächen, stehen (Haeberli et al. 2007). Darüber hinaus und aufgrund der komplexen Topographie reagieren die Alpen sehr sensibel auf diese Veränderungen und werden dementsprechend oft als Frühwarnsystem bezeichnet. Sogar kleine Veränderungen in der Temperatur und/oder des Niederschlags können eine Verschiebung von räumlichen Grenzen (z.B. Baumgrenze, Schneegrenze, Permafrostgrenze) bewirken (Veit 2002). Drastische Veränderungen der natürlichen Artzusammensetzungen und Kreisläufe sind in den Alpen verstärkt zu erwarten. Aus diesen Gründen wird sich auch die EU-Strategie für den Alpenraum mit Fragen des Klimaschutzes und der Klimawandelanpassung zu befassen haben. Abgesehen davon sind Gebirgsregionen besonders verwundbare Räume gegenüber wetterbedingten und klimatischen Änderungen (z.B. Beniston 2003; Beniston 2010; Diaz, Grosjean und Graumlich 2003; Thuiller et al. 2005). Dies ist umso mehr von Bedeutung, da das Gebirge wichtige Funktionen bei der Erfüllung von menschlichen Grundbedürfnissen hat, z.B. als Wasserspeicher für Trinkwasser, zur Energiegewinnung oder industriellen Nutzung. Dies gilt nicht nur für Gebirgsregionen allein, sondern auch für das Umland der Gebirge mit weit höheren Bevölkerungszahlen (Barnett, Adam und Lettenmaier 2005; Messerli, Viviroli und Weingartner 2004; Viviroli et al. 2007). Die starken Auswirkungen klimatischer Veränderungen sind zum Teil auf die ökonomische Entwicklung einer spezialisierten Gesellschaft zurückzuführen. Die große, regional unterschiedliche Abhängigkeit vom Wintertourismus ist ein Beispiel hierfür (z.B. Steiger 2011a). Die Ausdehnung des menschlichen Lebensraumes, z.B. durch Zersiedlung, kommt verstärkend hinzu. Häufig ist diese Ausdehnung nur noch bei gleichzeitigen Schutzmaßnahmen gegenüber Klima und Gebirge möglich. Vom heute erschlossenen Dauersiedlungsraum in Tirol (ca. 12 % der Landesfläche) waren 2006 nach Bogner und Fiala (2007) 8,2 % versiegelt. Neuere Schätzungen des Landes Tirol (2013/14) gehen bereits von einem Anteil von 12,8 % aus. Durch diese räumliche Konzentration ist das Schadenspotential bei Extremereignissen besonders hoch. 10
Die starke regionale Veränderung in den natürlichen Systemen bedingt durch den globalen Klimawandel auf der einen Seite und die starken Verwundbarkeiten der spezialisierten, mobilen Gesellschaft auf der anderen Seite resultieren in einer starken Betroffenheit. Detaillierte Informationen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf verschiedene Sektoren werden in Kapitel B3 und B4 dargestellt. 2 Entwicklung der Klimaelemente Die Schwankungen des Erdklimas sind gut erforscht. Die Forschung zur Klimageschichte – die Paläoklimatologie – kann hierzu unter anderem auf natürliche Klimaarchive wie Gletscher, Bäume oder Speleotheme (Tropfsteine) zugreifen und mit ihnen das Klima der Vergangenheit rekonstruieren (Nicolussi 2009). Darüber hinaus geben in den Alpen vor allem klimatisch gesteuerte Grenzen, wie z.B. die Waldgrenze, wichtige Anzeichen über diese Veränderungen. Dies ist insofern wichtig, da die Alpen zwar über ein dichtes Netz von mehr als hundert Klimamessstellen verfügen, diese jedoch erst seit ca. 250 Jahren verfügbar sind, global erst seit 150 Jahren (Böhm 2008). Man spricht bei der Betrachtung des Klimas seit dieser Zeit von Neoklimatologie. 2.1 Datenquellen HISTALP Für die Erstellung des Berichts der Klimaschutzkoordination konnte auf die HISTALP-Datenbank der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) zurückgegriffen werden. Das Netzwerk, welches hinter dem HISTALP- Datensatz liegt, umfasst ca. 200 Standorte und mehr als 500 einzelne Klimazeitreihen im Großraum Alpen (Böhm 2008). Homogenisierte Daten zu Temperatur, Niederschlag, Luftdruck, Sonnenscheindauer und Bewölkung, welche einen Zeitabschnitt von bis zu 250 Jahren in die Vergangenheit abdecken, stehen zur Verfügung. Szenarien Basis für die Vorhersage zukünftiger Klimatrends ist das Wissen über die Treibhausgasemissionen der Zukunft, welche an die globalen sozio-ökonomischen Entwicklungen gekoppelt sind. Um der Ungewissheit dieser Entwicklungen gerecht zu werden, wurden verschiedene globale Emissionsszenarien entwickelt, die auf verschiedenen Annahmen zur Entwicklung der Bevölkerung, Ökonomie, Technologie, Energie und Landwirtschaft sowie der Bereitschaft für ökologisches Handeln im 21. Jahrhundert basieren (Nakicenovic et al. 2000). Das für den Bericht der Klimaschutzkoordination gewählte Emissionsszenario A1B geht von einer weiteren Zunahme der Treibhausgase, bedingt durch ökonomisches Wachstum, aus. Die voranschreitende Globalisierung sollte für eine Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung ab Mitte des 21. Jahrhunderts sorgen. Zudem geht man davon aus, dass sowohl fossile als auch erneuerbare Energieträger, in Verbindung mit technischem Fortschritt, zur Energiegewinnung eingesetzt werden. Auf Grundlage dieser Annahmen werden Klimamodelle angetrieben. In den Klimamodellen werden die jeweiligen Komponenten des Klimasystems, auf den physikalischen Zusammenhängen basierend, berechnet. Abhängig von den verwendeten Parametrisierungen der physikalischen Zusammenhänge können sich die Ergebnisse einzelner Modelle unterscheiden. Für Aussagen über globale Klimatrends werden Globale Zirkulationsmodelle (GCMs) verwendet. Diese werden mit Regionalen Zirkulationsmodellen (RCM) gekoppelt, um kleinräumige Strukturen abzubilden. Die für den Bericht der Klimaschutzkoordination verwendeten RCMs rechnen mit einer Maschenweite von 25 km x 25 km. Diese Ergebnisse werden auf 1 km x 1 km interpoliert (Haiden et al. 2010; Pospichal et al. 2010). Das Verfahren 11
berücksichtigt das für Tirol typische Relief mit großen Höhenunterschieden. Die RCM-Daten werden auf diese Weise an die lokalen Besonderheiten angepasst. Für den Bericht wurden folgende drei RCMs verwendet: ALADIN vom Centre National de Recherches Météorologiques (F), RegCM3 vom International Centre for Theoretical Physics (I) und REMO vom Max Planck Institut (D). Die RCM-Daten wurden im Rahmen des EU-Projektes ENSEMBLES berechnet. Ausblick Für die künftige Auswertung und Validierung der vorliegenden Strategie stehen ab Ende 2014 räumlich und zeitlich hoch aufgelöste Daten des Projektes 3P-Clim („Past, Present and Perspective Climate of Tirol, Südtirol-Alto Adige and Veneto“) zur Verfügung. In diesem Interreg IV-Projekt unter der Leitung der ZAMG für Tirol und Vorarlberg wird ein Klimaatlas der Region erstellt. Eine ausführliche Analyse des Ist-Zustandes beim Klima beruht auf Stationsdaten der Periode 1981 - 2010, Gletschermessungen und –beobachtungen sowie einer Konvektionsauswertung anhand von Wetterradar- und Blitzdaten. Veränderungen des Klimas seit Messbeginn, also in den letzten 150 Jahren, werden anhand von Schlüsselstationen dargestellt. Darüber hinaus werden auf der Basis mehrerer regionaler Klimamodelle die Auswirkungen des führenden IPCC-Klimaszenarios A1B (realistisch) auf Temperatur- und Niederschlagsparameter für die Perioden 2020 - 2050 und 2070 - 2100 ausgewertet. Das Projekt wird von vier Abteilungen des Landes Tirol mitgetragen. Die Ergebnisse werden der Öffentlichkeit frei zur Verfügung stehen und auf der Website www.alpenklima.eu abrufbar sein. 2.2 Temperatur In der Vergangenheit: Die natürlichen Schwankungen des Klimas in Kombination mit anthropogenen Einflüssen haben zu einer Erhöhung der Temperaturen der unteren Atmosphäre seit 1900 geführt. Diese ist jedoch regional ungleich verteilt: Im globalen Mittel betrug die Erhöhung der oberflächennahen Temperatur +0,7 °C, über der Nordhemisphäre +1 °C (beide Werte Latif 2012) sowie im Alpenraum etwa +2 °C (z.B. Böhm 2008; 2009; Brunetti et al. 2009). Diese Erwärmung erfolgte allerdings nicht linear. Die Entwicklung der Temperatur kann vielmehr in mehrere Phasen unterteilt werden, welche ihrerseits wieder durch klimatisch kurze Zeiträume von Maxima und Minima durchzogen sind (Böhm 2009). Betrachtet man den Zeitraum ab ca. 1900 (in etwa das Ende der Kleinen Eiszeit) so zeigen sich unterschiedliche Phasen der Temperaturentwicklung (vgl. Böhm 2008) 1900 –1950: Phase der Erwärmung auf natürliche Ursachen zurückzuführen (vor allem Zunahme solarer Einstrahlung) (Abbildung 2 innerhalb der grünen Ellipse). 1950 – 1980: Abkühlungsphase durch zunehmende Verschmutzung der Atmosphäre durch Sulfatpartikel (Abbildung 2 blaue Ellipse). 1980 – bis heute: beschleunigte Zunahme der Temperatur; verstärkte Emission von Treibhausgasen, Luftreinhaltungsmaßnahmen (Reduktion Sulfatausstoß) (Abbildung 2 rote Ellipse). Diese drei beschriebenen charakteristischen Phasen der Temperaturentwicklung finden sich sowohl in globalen als auch in nationalen und regionalen Temperaturreihen (Abbildung 3) wieder, im Alpenraum unabhängig vom geographischen Ort. 12
Abbildung 2: Mittelabweichung (1901-2000) und deren geglättete Entwicklung der mittleren Jahrestemperatur weltweit von 1850–2009 (orange) und im Großraum Alpen 1760–2009 (rot), Erklärung im Text. Quelle: ZAMG. 2013, bearbeitet. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass diese Erwärmung nur die Erdoberfläche und die unteren Luftschichten betrifft, während sich der darüber liegende Teil der Atmosphäre, die Stratosphäre, abkühlt. Dies geschieht aufgrund der Absorption der Infrarotstrahlung durch das Kohlendioxid. Würde eine stärkere Solarstrahlung die globale Erwärmung bedingen, würde sich auch die Stratosphäre erwärmen, was nicht der Fall ist (Latif 2012; Schönwiese 2008). Dies ist ein wichtiges Indiz für den anthropogenen Einfluss. Abbildung 3: Stationsunabhängiger Anstieg der Jahresmitteltemperaturen Innsbruck-Universität und Kufstein. Erklärung im Text. Quelle: ZAMG 2013. Abbildung 3: Stationsunabhängiger Anstieg der Jahresmitteltemperaturen Innsbruck-Universität und Kufstein. Erklärung im Text. Quelle: ZAMG 2013. In der Zukunft Für den Bericht der Klimaschutzkoordination wurde die zukünftige Entwicklung der Temperatur mit Hilfe von drei regionalen Klimamodellen berechnet. Abbildung 4 zeigt den Jahresgang der Temperaturänderungen für den Zeitraum 2021-2050 – verglichen mit der Bezugsperiode 1971-2000 – in Tirol. Die rote Linie zeigt den Mittelwert der drei Modellergebnisse, die Schattierung die Bandbreite. Die Absolutwerte der Bezugsperiode sind am oberen Rand der Grafik angegeben. 13
Abbildung 4: Jahresgang der erwarteten Klimaänderung (Einheit °C). Die dicke Linie stellt die mittlere erwartete Klimaänderung dar, der schattierte Bereich die Bandbreite möglicher Entwicklungen. Die Zahlen darüber zeigen die Monatsmittel der Bezugsperiode (Einheit °C). Für Tirol ist bis Mitte des 21. Jahrhunderts mit einer Temperaturzunahme von etwa +1,2 °C zu rechnen. Diese ist im Jahresgang relativ gleichmäßig verteilt. Eine derartige Zunahme bedeutet, dass sich vertikale Temperaturgrenzen (z.B. Frostgrenze) um etwa 200 Höhenmeter nach oben verschieben. Die Bandbreite der Erhöhung der Jahresmittel für 2021-2050 liegt zwischen +1 °C und +1,4 °C. Eine Auswertung der prognostizierten Temperaturentwicklung auf Bezirksebene ist Anhang 1 – Detailauswertung Klimaszenarien zu entnehmen. 2.3 Niederschlag In der Vergangenheit Höhere Temperaturen bewirken, dass auf globaler Ebene mehr verdunstet und die wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann. Eine Konsequenz der dargestellten Erwärmung der Lufttemperatur sollte also auch mehr Niederschlag im globalen Maßstab sein. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, wo dieser vermehrte Niederschlag fallen wird, d. h. wo die Wassermassen hin transportiert werden (Böhm 2009). Das Niederschlagssystem ist zudem eng mit Großwetterlagen und deren Verlagerung sowie globalen Phänomenen wie z.B. der Nordatlantischen Oszillation (Veit 2002) verbunden. Dementsprechend können in der Vergangenheit unterschiedliche dekadische und auch längerfristige Entwicklungen innerhalb des Alpenraums beobachtet werden. Für Westösterreich (Tirol, Vorarlberg) generalisiert wurden seit Mitte der 1940-er Jahre leichte Niederschlagszunahmen beobachtet. Dies bedeutet nicht, dass dies für alle Stationen in allen Jahreszeiten zutreffen muss (Abbildung 5) Der Anstieg des Niederschlags ist außerdem keineswegs linear, sondern noch stärker als bei der Temperatur, von starkem „Hintergrundrauschen“, das heißt einem jährlichen und auch dekadischen Auf-Und-Ab (kurzfristige Variabilität) geprägt. Böhm (2009) sieht einen Zusammenhang zwischen den Langfristentwicklungen von Niederschlagssummen und den Extremwerten Starkregen beziehungsweise Trockenperioden. 14
Abbildung 5: Jahresniederschlagssummen in Innsbruck-Universität und Kufstein. Die dicke rote Linie zeigt das 20- jährige geglättete Mittel. Quelle: HISTALP 2013. In der Zukunft Die zukünftige Entwicklung der Niederschläge wurde mit Hilfe von drei regionalen Klimamodellen berechnet. Abbildung 6 visualisiert den Jahresgang der Niederschlagsänderungen für den Zeitraum 2021-2050 – verglichen mit der Bezugsperiode 1971-2000 – in Tirol. Die blaue Linie zeigt den Mittelwert der drei Modellergebnisse, die Schattierung die Bandbreite. Die durchschnittlichen Monatssummen [mm] der Bezugsperiode sind am oberen Rand der Grafik angegeben (Abbildung 6). Generell ist zu beachten, dass Niederschlagsszenarien mit wesentlich höheren Unsicherheiten behaftet sind, als z.B. Temperaturszenarien. Dies liegt daran, dass die Niederschlagsverteilung kleinräumig höchst unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Zudem spielen für die Niederschlagsproduktion verschiedene physikalische Prozesse eine Rolle, die schwieriger zu modellieren sind als Temperatur. Nichtsdestotrotz lassen sich für das Bundesland Tirol jahreszeitliche Niederschlagstrends feststellen: tendenziell zeigen die Modellergebnisse eine Zunahme der Niederschläge im Frühling und im Herbst. Abbildung 6: Jahresgang der erwarteten Klimaänderung (Einheit %). Die dicke Linie stellt die mittlere erwartete Klimaänderung dar, der schattierte Bereich die Bandbreite möglicher Entwicklungen. Die Zahlen darüber zeigen die Monatsmittel der Bezugsperiode (Einheit mm/Monat). 15
3 Auswirkungen des Klimawandels auf den Naturraum Die Folgen des Klimawandels sind bereits deutlich zu erkennen. Sie betreffen sowohl den Naturraum – die Bio-, Hydro- und Pedosphäre – als auch den vom Menschen geschaffenen Lebensraum – die Anthroposphäre. Natur und Mensch sind nicht eindeutig voneinander zu trennen und können gemeinsam Ursache von Auswirkungen sein. Aus diesem Grund werden im Kapitel zur Biosphäre die Bereiche Biodiversität, Land- und Forstwirtschaft gemeinsam behandelt. Da ebenfalls Verknüpfungen zwischen den Bereichen Tourismus und Wasser bestehen, werden diese gemeinsam im Kapitel zur Hydrosphäre besprochen. Beide Kapitel zeigen bereits beobachtete sowie mögliche, zukünftige Auswirkungen des Klimawandels, anhand von Beispielen, auf. 3.1 Biosphäre Fast 20 % aller europäischen Pflanzenarten kommen nur im Hochgebirge, oberhalb der Waldgrenze, vor (Väre et al. 2003). Österreich und speziell dem Bundesland Tirol kommt eine besondere Aufmerksamkeit und Verantwortung für diesen Artenreichtum zu. Mit jeweils eigenen Artenzusammensetzungen überschneiden sich in Österreich alpine Höhenstufen und kaum bis stark kontinentale Verbreitungsgebiete, zwischen Nord- und Südtirol verläuft die Grenze mediterraner und gemäßigter Klimazonen. Tirol bietet daher eine große Vielfalt an ökologischen Nischen und eine Brückenfunktion für wandernde Arten, deren Erhalt von europäischem Interesse ist. Hinzu kommen endemische Arten, die nur in Tirol vorkommen, und vor allem die alpinen Gipfelbereiche besiedeln. Für wandernde Arten, wie Zugvögel, aber auch Insekten und Säugetiere, stellt Tirol eine wichtige Zwischenstation dar. Die kleinräumig strukturierte Kulturlandschaft, die sich über mehrere Höhenstufen erstreckt, leistet einen weiteren Beitrag zur Artenvielfalt. Diese Biodiversität, die eine hohe Anpassungskapazität an den Klimawandel darstellt, wird von verschiedenen sozio-ökonomischen Entwicklungen zunehmend belastet, wie z.B. der Zerschneidung von Lebensräumen, der intensiveren Nutzung (Bodenversiegelung, Bodenverdichtung, häufigere Heuernten) oder der Aufgabe traditioneller Bewirtschaftungsformen, insbesondere der Almweide und der teilweisen Verbrachung dieser Flächen (z.B. im Bezirk Reutte). Für Gebiete in denen aufgrund des Klimawandels Mehrfachbelastungen entstehen, sind diese Entwicklungen besonders problematisch. Beispielsweise müssen Arten bei einem Anstieg der Temperatur wandern, was durch die Zerschneidung von Lebensräumen für manche Arten (Fische, Amphibien, Kleintiere) unmöglich gemacht wird. In Zukunft wird es darum gehen solche Gefährdungen frühzeitig abzusehen, vorzubeugen oder Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen. Ein großes Gefährdungspotential des Klimawandels auf die Biodiversität stellen invasive Arten (Neobiota) dar, die durch sich verändernde Standortbedingungen begünstigt werden und die zudem in der Lage sind, ihren Verbreitungsradius innerhalb weniger Jahre um hunderte bis tausende Meter zu verlagern. Sie sind in diesem Zusammenhang einerseits in ihrer Etablierung sehr erfolgreich, andererseits geht von ihnen teilweise ein besonderes Gefährdungspotential aus (siehe Tabelle 1). Darüber hinaus soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass die Sektoren Land- und Forstwirtschaft, Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen elementar mit der Biosphäre verbunden sind. 16
In der Vergangenheit Tabelle 1: Beobachtete Veränderungen in der Biosphäre. Auswirkung auf … Veränderungen Regionale Beispiele Beobachtungszeitraum Quelle Pflanzen Verlängerte Vegetationsperiode Bayern - Menzel und Fabian 1999; Menzel et al. 2006 Verlängerte Vegetationsperiode Österreichweit 1980 – laufend (Stand Eitzinger et al. 2009 2013) Anstieg der Baumgrenze Niedere Tauern (AT) 1960 – 2000 Schaumberger et al. 2006; Aostatal (IT) 1901 - 2000 Leonelli et al. 2011 Anstieg der Baumgrenze beziehungsweise Anstieg 0 °C- Zentralalpen 1760 - 2002 Böhm 2004 Isotherme/grenze Anstieg der Baumgrenze Westliche Tiroler Alpen (AT) 1950 - 2011 Staffler, Nicolussi und Patzelt 2011 Wanderung von Arten in die Höhe (insbesondere Gräser) Schrankogel (AT) 1994 - 2012 Pauli et al. 2012 Arealänderung von Grasarten Ostalpen 1994 - 2012 Pauli et al. 2007; 2012 Gletschervorfelder: Zuwanderung neuer Arten Rotmoosferner, Obergurgl, Ötztal (AT) 1996 - 2006 Erschbamer 2006; Bogner und Fiala (Moränenklee, Alpen-Wundklee, Edelraute, 2007 Lebendgebärendes Alpen-Rispengras) Verlust der Artenvielfalt durch Zuwanderung Gipfelregionen, europaweit in 1999 - 2013 Pauli et al. 2007; 2012 konkurrenzstarker Arten und Verdrängung endemischer, europäischen Gebirgen lokaler Flora Ausbreitung gesundheitsschädlicher Neophyten z.B. das Österreichweit 2010 AGES 2010 hochallergene Beifußblättrige Traubenkraut Verlängerung der Pollenflugsaison (Allergien) Österreichweit 1980 - 2001 Bortenschlager und Bortenschlager 2003 Bakterien/Viren Wanderung von Arten in die Höhe: Zecken, als Schweiz 1984 - 2006 BAFU 2007 17
und Insekten als Überträger für FSME und Lyme-Borelliose, bisher an eine deren Vektoren Höhengrenze von ca. 1200 m gebunden (Überträger) Ausbreitung winterharter Schadorganismen (invasive 1994 - 2005 Deutz et al. 2009; Hofer 2009 Arten): Tularämie bei Feldhasen (Bakterium F. tularensis) Einwandern von Mücken der Gattungen Aedes, Culex, Italien, Südfrankreich, Deutschland, 2006 - 2008 Klasen 2009; AGES 2009 Anopheles und Phlebotomus (unter anderem Schweiz Sandmücke, asiatische Tigermücke), die Infektionskrankheiten übertragen können Dengue-, Chikungunya-, Gelb-, oder West-Nil-Fieber Italien, Südfrankreich, Deutschland, 2006 - 2009 Klasen 2009; AGES 2009 (Überträger: Aedes-/ Tigermücke) Schweiz Malaria (Überträger: Anophelesmücken, verschiedene Deutschland 2000 Kruger et al. 2001 Arten) benötigt warme, feuchte Sommer für Ausbreitung Leishmaniose und Toskanavirus (durch Einwandern der Baden-Württemberg (D) 2000 Naucke und Pesson 2000 Phlebotomus-/ Sandmücke aus Südosteuropa) Massenvermehrung von Rötelmäusen (Überträger für Deutschland 2003, 2006 Beierkuhnlein und Foken 2008 Hanta-Viren) in 'Eichen- und Buchenmastjahren', sowie in Zusammenhang mit geschädigten, lichteren Wäldern Zunehmende Infektionen mit Hanta-Virus (Überträger: Kärnten, Steiermark (AT) 1993 - 2009 Balas et al. 2010 Nagetiere, insbesondere Rötelmaus) Wanderung von Arten in die Höhe: Schweiz 1970 - 2005 - BAFU 2007 Fischkrankheit PKD bei Forellenfischen (Vorkommen des einzelligen Parasiten Tetracapsuloides bryosalmonae der bisher an Höhengrenze 800 m gebunden war) Wanderung von Arten in die Höhe: Niedere Tauern (AT) 2006 Paulsen 2008 Fliegen, als Überträger von Gamsblindheit (Keratokonjunktivitis), verweilen länger in Hochlagen (bis Dezember) 18
In Hitzeperioden zunehmende bakterielle Belastung von Österreichweit vermutet Balas et al. 2010 Lebensmitteln (Salmonellen, Campylobacter) Insekten Wanderung von Arten in die Höhe: Österreich 2010 Holzinger 2012 Zikaden (unter anderem Sotanus thenii) Arealausweitung Insekten: Alpen - Tamme 2012; Doyle und Ristow 2006 Alpenquerung durch Wanderfalter, Schwebfliegen Ausbreitung winterharter Schadorganismen (invasive Österreichweit 1945 - 2013 Krehan und Steyrer 2006; Hoch und Arten): Borkenkäfer Steyrer 2013 Beeinträchtigung kältegebundener, teils endemischer Österreichweit - Bogner und Fiala 2007 Arten: Gletscherfloh Allergien durch heimische Arten, z.B. Vermehrung vereinzelte Massenvermehrungen in 2000 - 2008 Beierkuhnlein und Foken 2008 Eichenprozessionsspinner Kleve, Darmstadt, Frankfurt (D) 1981 - 1989 und Habitate Arealausweitung Insekten- und Samen-fressender Schweiz, oberhalb 1800 m OcCC und ProClim 2007 2001 - 2008 Finkenvögel Steigende Wassertemperatur, abnehmender Rhein (CH) 1970 - 2002 Hari et al. 2006 Sauerstoffgehalt, Veränderung des aquatischen Lebensraums Steigende Wassertemperatur, abnehmender Donau (Wien) 1901 - 1998 Kromp-Kolb 2003 Sauerstoffgehalt, Veränderung des aquatischen Lebensraums Steigende Wassertemperatur, abnehmender Ybbs, Mur (AT) 1976 - 2001 Schmutz et al. 2004 Sauerstoffgehalt, Veränderung des aquatischen Lebensraums Steigende Wassertemperatur, abnehmender Österreichweit 1980 Matulla et al. 2007 Sauerstoffgehalt, Veränderung des aquatischen Lebensraums Sauerstoffversorgung im Tiefenwasser Bodensee (AT, D, CH) - Grabher, Löning und Weber 2009 19
Zurückdrängung von Arten, die an Bergwiesen und Niedere Tauern (AT) 1960 - 2000 Schaumberger et al. 2006 Schuttfluren gebunden sind: Birkhuhn, Schneehuhn, Gamswild, Steinwild Zurückdrängung von Arten, die an Bergwiesen und Alpenraum vermutet Kromp-Kolb 2003 Schuttfluren gebunden sind: Schneefink, Alpenbraunelle, Bergpieper Rolle der Rückgang der Berglandwirtschaft (gemessen), Österreich 2001 - 2006 Bogner und Fiala 2007 Landnutzung gleichzeitig stabiler Viehbestand, Übernutzung, Degradation, leicht negativer Einfluss auf Biodiversität (postuliert) Rückgang der Berglandwirtschaft, Verbrachung der Tiroler Zentralalpentäler, Osttirol (AT) 2001 - 2006 Bogner und Fiala 2007 Bergmähder, negativer Einfluss auf Biodiversität durch Verlust der Nischenstruktur Verbrachung der Bergmähder, Intensivierung in Tiroler Zentralalpentäler (AT), Südtirol (I) 2001 Tasser 2002 Tieflagen Erhöhung der Verletzbarkeit durch mangelnde Österreichweit 2006 - 2007 Bogner und Fiala 2007 Natürlichkeit der Baumartenzusammensetzung Trockenstress für Wälder: je nach Standort Schweizer Hochlagen (über 1200 m) - Dobbertin 2005; Jolly et al. 2005 unterschiedlich Wechselwirkungen Früherer phänologischer Frühlingsanfang (Erhöhung der Kirschblüte Liestal (CH) 1894 - 2012 MeteoSchweiz 2005 physische Anfälligkeit für Kälteeinbrüche) Umwelt/Lebewesen Früherer phänologischer Frühlingsanfang (Erhöhung der Schweiz 1950 - 2011 MeteoSchweiz 2005 Anfälligkeit für Kälteeinbrüche) Früherer phänologischer Frühlingsanfang (Erhöhung der regionales phänologisches Monitoring 1994 - heute Perroud und Bader 2013 Anfälligkeit für Kälteeinbrüche) Nationalpark Berchtesgaden (D) Konkurrenzkraft der Buche wird durch Dürre- und Bayern (D) - Lindner 1999; Kozlowski, Kramer und Spätfrostereignisse stark eingeschränkt Pallardy 1991 20
Ertragseinbußen durch Extremereignisse bei Ober-, Niederösterreich, Steiermark (AT) 1869 - 2002 Soja und Soja 2003 Kulturpflanzen (Winterweizen, Sommergerste, Mais, Kartoffeln, Zuckerrübe, Wein, Apfel) Borkenkäfermassenvermehrungen nach Schadholzanfall z.B. Außerfern (AT) 2004 - 2013 BFW 2008; BUWAL 2005; Krehan und Steyrer 2006 Sensibilität der Bevölkerung für Pollenallergien in Österreichweit - Kim et al. 2005; Ramsey und Celedón Zusammenhang mit Schadstoffbelastung der Luft (Ozon 2005; Eckl-Dorna et al. 2010; Franze und Stickstoffoxid), Kreuzallergien et al. 2005 weiterführende Bestandsdauer einer geschlossenen Schneedecke und Wisconsin (USA) - Pauli et al. 2013 Forschungsthemen Bedeutung für angepasste Arten (veränderte Verteilung und Quantität) Besondere Gefährdung von Amphibien (aufgrund Beispiele weltweit - Pampus 2005 begrenzter Bewegungsspielräume und Anpassungsfähigkeit) In der Zukunft Tabelle 2: Prognostizierte Veränderungen der Biosphäre. Auswirkung auf … Veränderungen Regionale Beispiele Projektionszeitraum Quelle Änderung von Simulationsmodell PICUS simuliert Auswirkungen von Österreichweit, für Tirol nicht 2007 - 2100 Lexer und Seidl 2007 Verbreitungsgebieten Klimaänderung auf Forste in ganz AT (+2 °C, -15 % repräsentativ Sommerniederschlag) Modellierter Rückgang von Hochmooren Österreichweit 2051 - 2060 Niedermair et al. 2011 Anstieg der Baumgrenze (um 450 m in 25 Jahren) Niedere Tauern (AT) 2035 Schaumberger et al. 2006 Zurückdrängung von Arten, die an Bergwiesen und Niedere Tauern (AT) 2035 Schaumberger et al. 2006 Schuttfluren gebunden sind: Birkhuhn, Schneehuhn, Gamswild, Steinwild 21
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