Liga-Magazin COVID-19: Shutdown Menschenrechte - Schwerpunktthema

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Liga-Magazin COVID-19: Shutdown Menschenrechte - Schwerpunktthema
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Liga-Magazin
          Schwerpunktthema

   COVID-19: Shutdown
       Menschenrechte
Liga-Magazin COVID-19: Shutdown Menschenrechte - Schwerpunktthema
Liga-Magazin COVID-19: Shutdown Menschenrechte - Schwerpunktthema
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                                                                            Text / Barbara Helige

                                       wobei auch Lösungsansätze ge-
                                       boten werden. Die Auswirkungen
                                       der Pandemie auf verschiedene
                                       Bereiche der Gesellschaft verdienen

                                                                                          E
                                       aber insgesamt nähere Betrachtung.
                                       Dabei beeindrucken besonders die
                                       Mechanismen, die es möglich mach-
                                       ten, dass eine – wie man meint –

                                                                                          D
                                       so vielfältige Gesellschaft plötzlich
                                       auf ein Ziel eingeschworen wurde
                                       und dabei bereitwillig auch gleich
                                       auf Grund- und Freiheitsrechte

                                                                                          I
                                       verzichtete.
BARBARA HELIGE
                                       Hier stellte Angst einen bestimmen-
Präsidentin der Österreichischen

                                                                                          T
                                       den Faktor dar. Wenn gleichzeitig
Liga für Menschenrechte, Leiterin      eine kritische Auseinandersetzung
des Bezirksgerichts Döbling,           mit den vorgegebenen Einschrän-
ehemalige Präsidentin der              kungen der Bürgerrechte mit dem

                                                                                          O
RichterInnenvereinigung                Stigma der „Gefährdung von Men-
                                       schenleben“ versehen wurde, würg-
                                       te das jede Diskussion rasch ab. Die
                                       heterogene Diskussionskultur bildet

                                                                                          R
                                       aber eine wichtige Basis der leben-
                                       digen demokratischen Gesellschaft.

B
                                       Und die brauchen wir auch oder

                                                                                          I
      ei der ursprünglichen Kon-       gerade in der Krise. Wenn auch bei
      zeption des Liga-Magazins        Corona die Gefahr aus einer un-
      war in keiner Weise abzuse-      politischen Richtung kam, so bleibt
hen, dass die Auseinandersetzung       doch die bange Frage, inwieweit

                                                                                          A
mit der so tief einschneidenden        derselbe Mechanismus nicht auch
Corona-Krise und deren Implika-        bei ganz anderen Zielen greift.
tionen den Schwerpunkt dieser
Ausgabe bilden würden.                 Die Vorstellung, dass Menschen

                                                                                          L
                                       sich auch in ganz anderem Zusam-
Niemand hätte sich vorstellen          menhang aus Angst freiwillig einem
können, dass durch ein Virus men-      Regime, das demagogisch geschickt
schenrechtliche Grundprinzipien, die   genug agiert, unterwerfen könnten,
in der Bundesverfassung und in der     ist erschreckend.
Europäischen Menschenrechtskon-
vention abgesichert sind, plötzlich    Daher scheint es wichtig, neben vie-
einem Crash-Test unterzogen wer-       len anderen Erkenntnissen eine Leh-
den und dabei auch in Konkurrenz       re aus den vergangenen Monaten
zueinander geraten.                    mitzunehmen: Auch in der Krise sind
                                       rationale Argumentation, kritische
Den Autor*innen des Liga-Magazins      Distanz und politische Wachsamkeit
ist es zu danken, dass sie sich mit    die Mittel der Wahl. Diese Wach-
diesen Problemen in wissenschaft-      samkeit macht es jetzt notwendig,
lich so fundierter Weise auseinan-     die Rückführung der verhängten
dergesetzt haben und gleichzeitig      Einschränkungen nicht nur genau zu
spannende Lektüre bieten. Die          beobachten, sondern die ehestmög-
Prüfung der Maßnahmen der staatli-     liche Wiederherstellung sämtlicher
chen Organe auf ihre Verträglichkeit   Grund- und Freiheitsrechte zu
mit den so wichtigen grundrechtli-     fordern.
chen Prinzipien ist unabdingbar und
geschieht in mehreren Beiträgen,       Barbara Helige

                                                             Österreichische Liga für Menschenrechte
Liga-Magazin COVID-19: Shutdown Menschenrechte - Schwerpunktthema
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                       3    Barbara Helige: Editorial
                       5    Marion Wisinger: Zu dieser Ausgabe
                       6    Alma Zadić: Kommentar: Justiz – tragende Säule der Rechtsstaatlichkeit
                       8    Erwin Riess: Das neoliberale Wirtschaftsvirus

                       9    NEUES AUS DER LIGA
                      10    Andrea Helige: Die Liga gratuliert Terezija Stoisits
                      12    Neues aus der Liga
                      14    Christopher Treiblmayr/Wolfgang Schmale: Der Einsatz der
                            Menschenrechtsligen für die „Vereinigten Staaten von Europa“
                      17    Terezija Stoisits: Die Liga trauert um Richard Wadani
                      18    Annemarie Pervan: Damals forderte die Liga

                     19     MENSCHENRECHTE IN ÖSTERREICH
                      20    Valerie Gruber: Die Zivilgesellschaft ist am Wort
                      24    Christoph Riedl: Verstaatlichte Asyl-Rechtsberatung
                      26    Sebastian Öhner: Die Kinderrechte auf dem Prüfstand

                     29     SCHWERPUNKT SHUTDOWN MENSCHENRECHTE
                      30    Florian Horn: Menschenrechte in der Krise
                      34    Patrick Petschinka/Florian Rathmayer: Eine Rechtsschutzlücke
                            im Schlaglicht der Krise
                      36    Madeleine Müller: Menschenrechte und Corona:
                            Interview mit Michael Lysander Fremuth
                      40    Marion Wisinger: Ein Virus kommt selten allein
                      42    Bettina Slamanig: Umweltschutz als Menschenrecht
                      44    Kenan Ibili: Shutdown unserer Freiheiten

                     47     INTERNATIONALES
                      48    Heinrich Neisser: Die migrationspolitische Misere der Europäischen Union
                      50    Marion Wisinger: Was derzeit passiert, ist mit Worten nicht mehr zu beschreiben
                      52    Friedrich Forsthuber: Rechtsstaat in Gefahr: Ungarn, Polen, Türkei
                      56    Louis-Benjamin Vaugoin: Zur Erinnerung, trotz Corona
                      57    Marta S. Halpert: Orbáns Ungarn und die EU: ein unwürdiges Trauerspiel
                      58    Angelika Watzl: Aktuelles von den europäischen Ligen
                      60    Karin Maier-Winter: WIZO – Creating a New Tomorrow
                      62    Kurzmeldungen

                     63     NEUES AUS DER MENSCHENRECHTSSZENE
                      64    Norbert Knoll: Entdecken und begehen: Labyrinth und Garten der Menschenrechte
                      65    Wanda Tiefenbacher: Menschenrechte auf lokaler Ebene – international gedacht!
                      66    Louis-Benjamin Vaugoin: „SozialMarie“ vergeben an SozialRechtsNetz
                      68    Lesetipps
                      71    Impressum

Österreichische Liga für Menschenrechte
Liga-Magazin COVID-19: Shutdown Menschenrechte - Schwerpunktthema
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                                                                                Foto / Günther Pichlkostner
                                                                                      Text / Marion Wisinger

                               Liebe Leserinnen und Leser,             cher Forderungen an die Regierung.
                                                                       Die Koordination von 240 Organisa-
                               es muss an dieser Stelle wieder         tionen – vertreten durch 21 Dachor-
                               einmal ordentlich gedankt werden.       ganisationen – erfolgte in kürzester
                               Die über dreißig AutorInnen die-        Zeit; von der Kontaktaufnahme, der
                               ser umfangreichen Ausgabe des           Sammlung der Beiträge, der Erstel-
                               Liga-Magazins haben ihre Texte          lung erster Entwürfe und Einholung
                               freundlicherweise nicht nur unent-      der Feedbacks bis zur Übersetzung
                               geltlich geschrieben, sie haben         des fertigen Berichts ins Englische
                               auch verlässlich und pünktlich dazu     vergingen nur wenige Wochen. An
                               beigetragen, dass dieses Heft nun       dieser Stelle sei auch den mitwir-
  MARION WISINGER              in Ihren Händen liegt. Darunter sind    kenden NGOs gedankt, die der Liga
  CHEFREDAKTEURIN              JuristInnen, HistorikerInnen, Wis-      für Menschenrechte diese wichtige
                               senschafterInnen, JournalistInnen,      Aufgabe anvertraut haben.
                               KollegInnen befreundeter NGOs,
                               für Menschenrechte engagierte           Ein unabhängiges Magazin wie das
                               Menschen und nicht zuletzt die          der Liga lebt von den Menschen, die
      ZUR PERSON               ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder      an der Produktion und Gestaltung
                               der Liga für Menschenrechte, die        beteiligt sind und dessen Entste-
                               hier einen Beitrag leisteten. Im        hung bis zur Papierform professio-
       2009 bis 2012           Besonderen möchte ich auch              nell begleiten. Es ist ein Glücksfall,
Generalsekretärin der Liga,    das Redaktionsteam erwähnen:            das Team des Domus Verlags mit
  nun Vorstandsmitglied.       Madeleine Müller, Annemarie             Andrea Helige, Lilo Stranz und
  Aktuell arbeitet sie als     Pervan, Bettina Slamanig und Louis-     dem Grafiker Alin-Gabriel Varvaroi
Historikerin an Studien zu     Benjamin Vaugoin, die über Re-          an unserer Seite zu haben. Unsere
 gravierenden Menschen-        cherchen und andere redaktionelle       Zusammenarbeit war wieder einmal
   rechtsverletzungen in       Aufgaben hinaus selbständig Texte       von gemeinsamer Freude an der
staatlichen und kirchlichen    verfassten und Interviews führten,      Entstehung einer besonders span-
 Kinderheimen und ist als      die sich sehen lassen können. Die       nenden Ausgabe der Liga geprägt.
Trainerin in der politischen   gute Zusammenarbeit mit all diesen
Erwachsenenbildung tätig.      KollegInnen halte ich für ein starkes   Wir hoffen, Sie sehen das auch so!
        zeitweise.at           Zeichen der österreichischen Men-
                               schenrechtsszene, die trotz der für     Mit besten Grüßen,
                               uns alle schwierigen Zeit der letzten   Marion Wisinger, Chefredakteurin
                               Wochen unbeirrt am Thema Men-
                               schenrechte festgehalten hat.

                               Besonders eindrucksvoll ist die von
                               unseren „jungen“ Vorstandsmitglie-
                               dern – Valerie Gruber, Florian Horn,
                               Jana Raith und Sebastian Öhner –
                               geleistete Arbeit der Koordination
                               der Joint Submission im Rahmen der                                       CHISCHE
                                                                                           ÖSTERREI                   TE
                               Universal Periodic Review. Dieser                                 M EN  SC  HENRECH
                                                                                     LIGA FÜR
                               Überprüfungsmechanismus ist ein                                                   dsch t,
                                                                                                                     af
                                                                                                   obe-Mitglie
                               Instrument des Menschenrechts-                         Einjährige Pr mal jährlich
                                                                                            inkl. zwei             Euro
                               rates der Vereinten Nationen und                                         agazin: 40
                                                                                         unser Liga-M e und Pensionierte)
                               sieht die Überprüfung der Lage der                            r Studie re nd
                                                                                 (20 Euro fü                                t
                               Menschenrechte in allen Mitglied-                                                e@liga.or.a
                                                                                                 n unter: offic
                               staaten vor. Der in dieser Ausgabe                    Zu bestelle
                                                                                                                 entare an:
                               des Liga-Magazins vorgestellte                                       und Komm
                                                                                       Leserbriefe          ao at
                                                                                                               n.
                               Schattenbericht der Zivilgesell-                                 wisinger@
                               schaft an das Hochkommissariat
                               für Menschenrechte der Vereinten
                               Nationen liest sich als Kompendium
                               langjährig unerfüllter und dringli-

                                                                         Österreichische Liga für Menschenrechte
Liga-Magazin COVID-19: Shutdown Menschenrechte - Schwerpunktthema
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    KOMMENTAR

    Justiz – tragende Säule
    der Rechtsstaatlichkeit

                 D
                              ie COVID-19-Pandemie
                              versetzte ganz Öster-
                              reich in eine Ausnahme-
                              situation. Zum Schutz
                              der Gesundheit unser
                 aller musste nicht nur in unsere
                 Lebensweise, sondern auch in unse-
                 re Freiheitsrechte – mitunter massiv –
                 eingegriffen werden.

                 Die Politik war gefordert, für diese
                 besonderen Herausforderungen
                 Lösungen zu finden, die einerseits
                 den Schutz der Gesundheit und des
                 Lebens gewährleisten und ande-
                 rerseits unsere Freiheitsrechte so
                 wenig wie nötig einschränken. Dabei
                 ist stets darauf zu achten, dass die
                 demokratischen und rechtsstaatli-
                 chen Grundsätze auch in Krisenzei-
                 ten eingehalten werden. Daher war
                 es erforderlich, jede Beschränkung
                 unserer Freiheitsrechte nur so weit
                 vorzunehmen wie absolut notwen-
                 dig und diese jedenfalls zu befris-
                 ten. Nur wenn die Einschränkungen
                 verhältnismäßig und befristet sind,
                 sind sie auch grundrechtskonform.

                 Die Justiz als tragende Säule der
                 Rechtsstaatlichkeit war dabei beson-
                 ders gefordert. Mir als Justizminis-
                 terin war und ist es dabei besonders
                 wichtig, dass der Rechtsstaat und
                 auch der Zugang zum Recht für jede
                 und jeden auch in der Krise gewähr-
                 leistet sind. Der Zugang zum Recht
                 und der effektive Schutz der Rechte
                 müssen auch bei einem Lockdown
                 des gesellschaftlichen Lebens auf-
                 recht bleiben, denn eine Pandemie
                 ist eben kein rechtsfreier Raum.
Liga-Magazin COVID-19: Shutdown Menschenrechte - Schwerpunktthema
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                                                                                Fotos / BKA/Andy Wenzel, JumpStory
                                                                                                     Text / Alma Zadić

Um den Zugang zu den Gerichten           men können, sondern dieser vom          daher auch, sich für eine Gesell-
zu gewährleisten, mussten neue           Staat sichergestellt werden muss. In    schaft einzusetzen, in der sie
Kontaktmöglichkeiten und Kommu-          dieser Form der Abhängigkeit und        florieren können, damit sie in der
nikationskanäle geschaffen werden,       allgemeinen Rechtsbeschränkung          Krise stark genug sind, um die Ge-
die bisher unsere Rechtsordnung          bedarf es einer außerordentlichen       sellschaft durch diese zu tragen.
nicht in dieser Art vorgesehen           Sorgfalt bei weiteren Eingriffen in
hatte. Für die Gerichtsverfahren         subjektive Rechte. Zur Vermeidung
muss sichergestellt sein, dass der       einer übergreifenden Infizierung in
Rechtsstaat auch in der Krise ein fai-   den Justizanstalten mussten erste
res Verfahren im Sinne des Artikel 6     Maßnahmen bereits frühzeitig
der Europäischen Menschenrechts-         ergriffen werden. Dabei war und ist
konvention gewährleistet. Dazu           es wichtig, dass mit den Eingriffen
gehört es auch, dass das Verfahren       in Grundrechte Begleitmaßnahmen
innerhalb einer angemessenen Frist       gesetzt werden, sodass dem
durchgeführt wird. Der Einsatz von       Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Videokonferenzen war dabei ein           Rechnung getragen wird. Mit dem
adäquates Mittel, um Bürger*innen        Entfall von Ausgängen und von
ihre Rechtsdurchsetzung auch in          Besuchsmöglichkeit für Angehörige                DIE AUTORIN
der Krise weiterhin zu ermöglichen.      und Freunde wurde beispielsweise
Vor eine grundrechtliche Herausfor-      stark in den Ausbau der Telefonie
derung war die Justiz dabei in Straf-    und Videotelefonie investiert,                      Alma Zadić
verfahren gestellt, in denen über        um die Eingriffsintensität in die
die Schuld oder Unschuld der oder        Grundrechte so gering wie möglich           Studium der Rechtswissen-
des Angeklagten entschieden wird.        zu halten. Staatliche Einschränkun-         schaften, danach tätig am
Die Videozuschaltung greift dabei        gen der Menschenrechte dürfen                  Internationalen Strafge-
in den Grundsatz der Unmittelbar-        nur solange andauern, wie dies             richtshof für das ehemalige
keit ein, was umso schwerer wiegt,       in Abwägung – diesfalls mit dem             Jugoslawien (ICTY) in Den
je bedeutsamer das Verfahren             Schutz der Gesundheit – notwendig            Haag und an der Interna-
– bemessen nach der angedrohten          ist. Von höchster Bedeutung ist es            tionalen Organisation für
Sanktion – ist. Ich habe im Sinne der    dabei, die zulässigen Einschrän-              Migration (IOM) in Wien.
Verhältnismäßigkeit mit Einführung       kungszeitträume möglichst kurz zu               Nach dem Gerichtsjahr
der rechtlichen Möglichkeit der          halten und jede Maßnahme stetig             Studium an der Columbia
Videozuschaltungen eine restriktive      zu evaluieren.                             University, School of Law in
Anwendung in Schöffen- und ins-                                                     New York, Gastwissenschaft-
                                         Eingriffe in Menschenrechte                  lerin und Chefredakteurin
besondere Geschworenenverfahren
                                         dürfen nur auf Grundlage unserer           beim Vale Columbia Center
klargestellt, um auch hier den
                                         Verfassung erfolgen, das gilt insbe-       on Sustainable International
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
                                                                                         Investment. Zurück in
zu wahren.                               sondere auch in Zeiten einer Krise.
                                                                                     Wien Senior Associate bei
                                         Die Eingriffe müssen dabei befristet
                                                                                     einer international tätigen
Die Gesundheitskrise und die             und auch verhältnismäßig sein. Der
                                                                                       Anwaltskanzlei. Ab 2017
sensible Grundrechtsabwägung             Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist
                                                                                     als Abgeordnete der Liste
treffen ganz besonders Menschen          ein elementares Prinzip des rechts-
                                                                                     Pilz/JETZT im Nationalrat,
in vulnerablen Lebenssituationen.        staatlichen Handelns. Der Bestand
                                                                                        Mitglied des BVT-Unter-
Eine solche besteht insbesondere         der Rechtsstaatlichkeit und die sich
                                                                                     suchungsausschusses, seit
während des Vollzugs einer Frei-         daraus ergebenden Handlungs-
                                                                                    2019 für die Grünen. Jänner
heitsstrafe, weil in dieser Situation    verpflichtungen dürfen in einer
                                                                                         2020 Angelobung als
(Freiheits-)Rechte bereits stark         Demokratie nie in Frage gestellt
                                                                                            Justizministerin.
beschränkt sind. Die Vulnerabi-          werden. Das Bekenntnis zu den
lität der Insass*innen wird in der       Menschenrechten ist allumfassend
Corona-Situation noch dadurch            und jedes politische Handeln muss
verstärkt, dass sie ihren Gesund-        sich daran orientieren und messen.
heitsschutz nicht selbst überneh-        Menschenrechte stärken heißt

                                                                                  Österreichische Liga für Menschenrechte
Liga-Magazin COVID-19: Shutdown Menschenrechte - Schwerpunktthema
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Foto / A. Golser (Riess), JumpStory
Text / Erwin Riess

    Das neoliberale Wirtschaftsvirus
    KOMMENTAR

                                                       E
                                                              ine Diplompflegerin, die in        genutzt hatten, ob in den Slums
                                                              Schweden arbeitet, berich-         der brasilianischen Städte oder den
                                                              tet, dass das Land in den          Massenquartieren der Amazon-
                                                       letzten zwanzig Jahren von einem          ArbeiterInnen in den USA, ob in
                                                       neoliberalen Wirtschaftsvirus befal-      den Quartieren der osteuropäischen
                                                       len worden sei, das zu europaweit         Hilfskräfte in deutschen Schlacht-
              ZUR PERSON                               bekannten Konsequenzen geführt            betrieben oder in Postsortieranlagen
                                                       habe: Einsparungen im Gesund-             der teilprivatisierten österreichischen
                                                       heits- und Pflegewesen, personelle        Post in Wien, wo hunderte Infektio-
                 Erwin Riess
                                                       Unterdotierung, vermehrter Einsatz        nen belegt sind.
                                                       von prekär Beschäftigten und
       Aufgewachsen in Krems
                                                       schlecht oder gar nicht ausgebilde-       Die deutsche Hochschulprofessorin
       an der Donau, schreibt
                                                       ten Hilfskräften, die – und das ist für   und Behindertenaktivistin Sigrid
    Theaterstücke, Romane und
                                                       unseren Zusammenhang bedeutsam            Arnade schlägt vor, den Begriff
      essayistische Prosa in Zei-
                                                       – im Krankheitsfall kein Krankengeld      „Risikogruppe“ künftig anders
     tungen und Zeitschriften in
                                                       bekommen und daher etwaige                zu verwenden.2 Künftig sollten
    Deutschland und Österreich.
                                                       Krankheitssymptome missach-               zur „Risikogruppe“ drei Gruppen
     Erwin Riess lebt in Florids-
                                                       ten und das Virus in die Heime            gezählt werden, die für die rasche
        dorf und Pörtschach-
                                                       einschleppen. Diese sozialrechtlich       Ausbreitung des Corona-Virus, die
    Prischitz. Er ist Rollstuhlfah-
                                                       ungeschützten Hilfsarbeiter und           schweren Krankheits- und Todesfälle
    rer, Aktivist der autonomen
       Behindertenbewegung                             -innen haben keine Wahl. Wenn sie         mitverantwortlich sind: Die Priva-
     und Vorstandsmitglied der                         ihre Miete zahlen und ihre Familie        tisierungsritter aller Parteien und
      Österreichischen Liga für                        ernähren wollen, erscheinen sie           Gesundheitskonzerne, die alerten
          Menschenrechte.                              eben krank in der Arbeit.1                jungen MedienarbeiterInnen, die
                                                                                                 sich so leicht tun, anderen Menschen
                                                       Der soziale und arbeitsrechtliche         die Folgen ihres eigenen privilegier-
                                                       Skandal dieses Ausbeutungsregimes         ten Lebensstils aufzubürden, und
                                                       bildet überall den Hintergrund der        schließlich jene Individualismus- und
                                                       Corona-Krise, ob in Norditalien,          Selbstbestimmungsjünger, die ihre
                                                       wo Zigtausende illegal in Prato und       Freiheitsausübung lange nicht dort
1) Anke Fink/Lisa Pelling, Beim Schutz der Alten ist   Mailand schuftende TextilarbeiterIn-      enden lassen wollen, wo sie anderen
   Schweden gescheitert, rbb 24.de, 19. 5. 2020
                                                       nen von jenen angesteckt wurden,          Menschen schadet. Diese Herrschaf-
2) Interview mit Sigrid Arnade, Deutschlandfunk,
   19. 5. 2020
                                                       die das chinesische Neujahrsfest          ten sind die wahre „Risikogruppe“
                                                       in Wuhan zu Verwandtenbesuchen            des Corona-Komplexes.

Österreichische Liga für Menschenrechte
Liga-Magazin COVID-19: Shutdown Menschenrechte - Schwerpunktthema
NEUES AUS DER LIGA
Liga-Magazin COVID-19: Shutdown Menschenrechte - Schwerpunktthema
Auch Willi Resetarits
    und seine Basbari-
    tenori gratulierten.

                                 Mit dabei:
                             VertreterInnen
                                der Liga für
                            Menschenrechte

Ö
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                                                                                             Fotos / PID_C. Jobst, privat
                                                                                                     Text / Andrea Helige

Die Liga gratuliert!                                                               einsetzt, dafür, dass ihre Kultur, ihre
                                                                                   Sprache, ihre Geschichte und auch
                                                                                   die Wiedergutmachung für das ih-
                                                                                   nen angetane Unrecht entsprechend
TEREZIJA STOISITS, DIE VIZEPRÄSIDENTIN DER LIGA FÜR                                gewürdigt werden. Ich weiß, wie sie
MENSCHENRECHTE, WURDE MIT DEM GOLDENEN EHRENZEICHEN                                sich auch dafür einsetzt, dass den
                                                                                   Deserteuren aus der Nazi-Wehr-
DER STADT WIEN AUSGEZEICHNET.                                                      macht Gerechtigkeit wiederfährt.

W
                                                                                   Und ich weiß, wie unausgesetzt sie
                                                                                   sich gegen Antisemitismus stark
                   enn Terezija Stoisits   ORF-Journalistin und langjährige        macht.“
                   ein Ehrenzeichen        Freundin. Terezija selbst wollte ab-
                   bekommt, dann           schließend keine Rede halten, und       „Noch lange bevor sie als wirklich
                   ist das auch im         schilderte stattdessen einige Episo-    viel beachtete Abgeordnete der
                   Wiener Rathaus          den aus ihrem Leben. Orden habe         Grünen 1990 ins Parlament einzog,
kein Anlass, wie er zur gängigen           sie bisher nur für außerberufliche      hat sie 1980 den Verein mit dem
Routine zählt. Obwohl sie – was            Tätigkeiten akzeptiert, denn eine       schwer auszusprechenden Namen
bei derartigen Auszeichnungen              ohnehin „bezahlte Arbeit“ halte sie     ,Ohrwaschlschluifer‘ zur Belebung der
durchaus nicht üblich ist – an diesem      nicht für würdigungswert. Stolz sei     kulturellen Szene im Südburgenland,
Tag alleinige Geehrte war, füllte          sie vielmehr darauf, dass es heuer      1986 das antiifaschistische Personen-
die „erweiterte Familie“, zu der           bereits 20 Jahre seien, in denen sie    komitee Burgenland und 1987 die
sie neben ihren Verwandten auch            als Vizepräsidentin der Liga sich für   burgenländische Forschungsgemein-
ihre vielen FreundInnen zählt, den         Menschenrechte einsetzen könne.         schaft mitbegründet. Seit 1998 ist
nicht gerade kleinen rathäuslichen         Dafür habe sie die Auszeichnung         sie Vorstandsmitglied des Dokumen-
Wappensaal. Außergewöhnlich war            gerne entgegengenommen.                 tationsarchivs des Österreichischen
auch die musikalische Umrahmung                                                    Widerstandes und Vorstandsvorsit-
des festlichen Ereignisses: Willi                                                  zende des Wiener Simon Wiesenthal
Resetarits und seine Basbaritenori         Aus der Rede von                        Institutes. Und schließlich ist sie seit
spielten kroatische Lieder, die sicher     Susanne Scholl:                         zwanzig Jahren Vizepräsidentin der
nicht nur der Geehrten zu Herzen           „Terezijas ganzes Leben war und         Liga für Menschenrechte.“
gingen. Bürgermeister Michael Lud-         ist vom Engagement für die Rechte
wig selbst hielt die sehr persönliche      all jener gekennzeichnet, die allzu
Ansprache und erwähnte die vielen          oft an den Rand der Gesellschaft
Verdienste, die sich Terezija Stoisits     gedrängt wurden. Wenn man so wie        BUCHTIPP
in ihren verschiedenen Funktionen          sie in eine burgenländische kroa-
erworben hat.                              tische Familie geboren wird, weiß
                                           man eigentlich von Anfang an, was       Andreas Obermaier: Das unermüdliche
Menschenrechte zu verteidigen und          Diskriminierung bedeutet.“              Bohren harter Bretter. Die parlamen-
                                                                                   tarischen Spuren von Terezija Stoisits,
eine eigene Meinung zu vertreten
                                                                                   1990–2007, Planet Verlag, 2010
erfordere, so Ludwig, Zivilcourage         „Ich weiß, wie intensiv sie sich für
und Mut, und das könne auch                die Rechte der Roma und Sinti
Folgen haben. Der Bürgermeister
erinnerte daran, dass Terezija Stoisits
eine der AdressatInnen eines „Bom-
benbriefs“ von Franz Fuchs gewesen                                                                         Das Große
war – zum Glück sei der Sprengstoff                                                                        Goldene
damals nicht explodiert. Terezija ließ                                                                     Ehren-
sich aber nicht beirren, hielt auch                                                                        zeichen für
danach unbeirrt an ihren Werten fest                                                                       Verdienste
und setzte sich mit vollem Einsatz                                                                         um das
für Menschenrechte – insbesondere                                                                          Land Wien
gegen die Diskriminierung von Min-
derheiten – ein.

Laudatorin der Auszeichnung
war Susanne Scholl, ehemalige

                                                                                     Österreichische Liga für Menschenrechte
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Foto / JumpStory
Text / Verena Gschweitl

                        Neues aus der Liga

Aktivitäten der Liga-                     getroffenen Regierungsentschei-    ONLINE
Landesstelle Steiermark                   dungen. Sie stehen unter men-
Die Gruppe steirischer Liga-Mitglie-      schenrechtlicher Beobachtung der
der trifft sich regelmäßig in Graz, um    „Liga-SteirerInnen“.               BESUCHEN SIE UNS ONLINE!
über aktuelle Menschenrechtsverlet-
zungen oder auch dringenden Hand-                                            Was hatten wir nicht alles vor im
lungsbedarf zu diskutieren. So wur-                                          ersten Halbjahr 2020! Und dann
den im Vorjahr etwa im „Fall Linda“,                                         mussten einige Vorhaben vorerst
                                                                             in der Schublade bleiben, und der
als minderjährigen Geschwistern und
                                                                             für Mai geplante Liga-Salon über
ihrer Familie die Abschiebung nach
                                                                             „Menschenrechte und Sprache“
Tschetschenien drohte, sämtliche
                                                                             wird nun im Herbst stattfinden.
Entscheidungsträger kontaktiert. Es                                          Doch auch die Liga für Menschen-
wurden Leserbriefe verfasst sowie                                            rechte denkt digitale Formate
die Aktivitäten der SchülerInnen                                             an und wird Veranstaltungen in
des Oeversee-Gymnasiums, das                                                 nächster Zeit auch online anbieten.
Linda zuletzt besucht hatte, an die                                          Liga-Mitglieder, die aus geogra-
Öffentlichkeit getragen. Darüber                                             fischen oder zeitlichen Gründen
hinaus erging eine Einladung an den                 DIE AUTORIN              oft nicht die Möglichkeit hatten,
engagierten ehemaligen Asylrechts-                                           unsere Veranstaltungen zu besu-
anwalt Ronald Frühwirth: Er hat den                                          chen, wird das freuen. Den Anfang
Liga-Mitgliedern einen fundierten                  Verena Gschweitl          machte die Pressekonferenz über
Einblick in das Rechtssystem ver-                                            den UPR-Schattenbericht am
schafft, damit sie sich aufgrund einer         Universitätsassistentin am    9. Juni, ein Download-Link zum
soliden Basis in Appellen und For-              Institut für Rechtswissen-   Video findet sich auf der Liga-
derungskatalogen an die Regierung              schaftliche Grundlagen an     Website und auf Facebook. Auch
wenden können.                                der Universität Graz, Fach-    die rund um die Präsentation im
                                               bereich Rechtssoziologie,     Rahmen des Universal Periodic
Ein weiteres Aufgabengebiet, dem             Rechtspolitik, Verhandlungs-    Review in Genf gemeinsam mit
                                               und Mediationsforschung,      anderen NGOs geplante Veran-
sich die Landesstelle widmet, sind
                                                zudem tätig am Zentrum       staltung wird über Livestream zu
die vom slowenischen Atomkraft-
                                              für Soziale Kompetenz und      besuchen sein. Wer nichts versäu-
werk Krško ausgehenden Gefahren.
                                               ausgebildete Mediatorin.      men möchte, kann den Newsletter
In einem Workshop im Bildungshaus                                            beziehen oder immer wieder einen
Retzhof sollen Energiealternativen              Forschungsschwerpunkt:
                                                  Appropriate Dispute        Blick auf unsere Website werfen.
diskutiert werden. Im Zentrum der
                                                        Resolution.          liga.or.at
diesjährigen Arbeit stehen aber
auch die aufgrund des Corona-Virus

Österreichische Liga für Menschenrechte
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             Text / Dietmar Dragarić

         DER AUTOR

        Dietmar Dragarić

      ehemaliger Direktor
         des Oeversee-
      Gymnasiums in Graz.
       Er ist langjähriges
       Vorstandsmitglied
      der Österreichischen
             Liga für
        Menschenrechte
         und Leiter der
          Landesstelle
           Steiermark.

Die Liga setzte sich ein: Wie geht
es Linda und ihrer Familie?
Nach monatelangem Kampf für
zwei von der Abschiebung nach
Tschetschenien bedrohte, in Graz
geborene SchülerInnen hat der
Verwaltungsgerichtshof durch seinen
Spruch deren Verbleib in Österreich
ermöglicht. Linda, ihr Bruder sowie
deren gesamte Familie kehrten im
vorigen Jahr von Kärnten wieder
nach Graz zurück, Linda in eine erste
Klasse des Oeversee-Gymnasiums,
ihr Bruder wieder in seine ursprüngli-
che Volksschule. Die Familie, die ihre
Wohnung in Graz verloren hatte, ist
neuerlich wohnversorgt und abgesi-
chert. Die erfolgreiche Abwendung
dieses menschenrechtswidrigen
Abschiebungsversuches soll für alle
Menschenrechtsorganisationen Auf-
trag und Ansporn sein, Grund- und
Menschenrechte ohne Wenn und
Aber zu verteidigen!

 Österreichische Liga für Menschenrechte
Der Einsatz der Menschenrechts
für die „Vereinigten Staaten von
HISTORISCHE FORSCHUNG IM LIGA-MAGAZIN

Österreichische Liga für Menschenrechte
15
                                                                             Fotos / Thomas Seifert (Schmale), JumpStory
                                                                         Text / Wolfgang Schmale, Christopher Treiblmayr

  D
                as Projektteam zur          seiner Machtlosigkeit geübt wurde,
                Erforschung der             auf viele sehr inspirierend. Zu den
                Geschichte der Men-         damals diskutierten Fragen gehörte
                schenrechtsligen am         jene nach „Vereinigten Staaten von
                Institut für Geschichte     Europa (VSE)“, sei es innerhalb des
  der Universität Wien kann erneut          Völkerbundes, sei es als eigenständi-
  von einer Publikation berichten:          ges Gebilde.
  Wolfgang Schmale hat ein Buch mit
  dem Titel „For a Democratic United        Den meisten ist sicher Graf Couden-
  States of Europe (1918–1951);             hove-Kalergis „Paneuropa-Union“
  Freemasons, Human Rights Leagues,         ein Begriff, aber es gab sehr viele                  DER AUTOR
  Winston S. Churchill, Individual          andere zivilgesellschaftliche Vereine
  Citizens” vorgelegt (Franz Steiner        und Organisationen, die sich dieser             Christopher Treiblmayr
  Verlag Stuttgart 2019). Darin wird        Frage ebenfalls annahmen. Darunter
  unter anderem der intensive Einsatz       die Menschenrechtsligen. Das ist                Historiker, Lektor und
  der Menschenrechtsligen für die           bisher wenig bekannt und wurde               Habilitand am Institut für
  „Vereinigten Staaten von Europa“          infolgedessen wenig beachtet.                Geschichte der Universität
  (i.F. = VSE) untersucht. Diese neuen                                                    Wien, wissenschaftlicher
  Forschungen konnten auch die              In den von der französischen Liga                  Mitarbeiter bei
  bisherigen Ergebnisse zur Geschich-       für Menschenrechte herausgege-                   QWIEN – Zentrum
  te der Österreichischen Liga für          benen „Les Cahiers des Droits de               für queere Geschichte,
  Menschenrechte bestätigen und             l’Homme“ (1920–1940) findet sich            wo er die Aufarbeitung des
  vertiefen.                                viel Material zum Thema der euro-           Archivs der Österreichischen
                                            päischen Einheit und Einigung. Da                Liga für Menschen-
  Wie in der „Historischen Ecke“            die FIDH damals über keine eigene                   rechte leitet.
  bereits berichtet, wurden nach            Zeitschrift verfügte, wurde in den
  dem Ersten Weltkrieg einige neue          Cahiers regelmäßig über ihre Arbeit
  Menschenrechtsligen gegründet. Sie        berichtet.
  stärkten das bestehende Netzwerk
  von Menschenrechtsligen, die sich in      Die Menschenrechtsligen befassten
  Folge der 1898 gegründeten franzö-        sich unter verschiedensten Aspekten
  sischen Mutterliga in verschiedenen       mit europäischer Einheit. Natürlich
  Ländern gebildet hatten. 1922             zählten menschenrechtliche und
  schlossen sich diese zivilgesellschaft-   demokratische Aspekte dazu, aber
  lichen Vereinigungen im internati-        es gab auch Überlegungen zu einem
  onalen Ligen-Verband Fédération           europäischen Wirtschaftsraum, zu
  internationale des (ligues des) droits    einer gemeinsamen Währung bis
  de l’homme (FIDH) zusammen. Zwei          hin zur Forderung nach einem euro-
  Jahre zuvor, also 1920, hatte der         päischen „Super-Staat“. Es wurden
  Völkerbund seine Arbeit aufgenom-         verschiedene Namen für dieses an-
  men. Er wirkte in den ersten Jahren,      gestrebte Europa, in dem es keinen                   DER AUTOR
  bevor immer größere Kritik an             Krieg mehr geben sollte, verwendet.
                                            VSE war eine beliebte Bezeichnung,
                                                                                               Wolfgang Schmale
                                            die bereits in der zweiten Hälfte des
                                            19. Jahrhunderts im Kontext des
                                                                                        Professor für Geschichte der
                                            um 1848 entstandenen Pazifismus

ligen
                                                                                         Neuzeit an der Universität
                                            geprägt worden war.
                                                                                         Wien. Die Geschichte der
                                                                                        Grund- und Menschenrechte
                                            Ein wesentliches Referenzwerk für
                                                                                          gehört zu seinen Schwer-
                                            die Auseinandersetzung mit den

Europa“
                                                                                         punkten, unter anderem in
                                            VSE in den Menschenrechtsligen
                                                                                            seinem Europa-Blog
                                            war ein 1910 anonym verfasstes
                                                                                           wolfgangschmale.eu.
                                            Manuskript des deutschen Pazifisten
                                            und Publizisten Otto Lehmann-Russ-
                                            büldt. Das Manuskript „Die Schöp-
                                            fung der Vereinigten Staaten von

                                                                                      Österreichische Liga für Menschenrechte
Veranstaltung in Wien aus: „Die           derlichkeit und Gerechtigkeit über
                                               Vereinigten Staaten von Europa            die wirtschaftliche und politische
                                               – gegründet auf der Achtung der           Vereinigung Europas. VSE war nicht
                                               Menschenrechte und mit dem Ziele          als Ersatz für den Nationalstaat ge-
                                               der Wahrung der Menschenrechte –,         dacht. Auch Rudolf Goldscheid hielt
                                               das ist in der Tat das Ideal des Inter-   ein Referat. Er präsentierte einen
                                               nationalen Verbands der Ligen. Daß        umfangreichen Katalog von Fragen,
                                               die junge österreichische Liga an         die auf dem Weg zu einem gemein-
                                               der Errichtung dieses Zieles tatkräf-     samen Europa zu klären wären. Als
                                               tig mitarbeiten möge, das ist der         erste Annäherung an die VSE schlug
                                               Wunsch der Deutschen Liga, das            Goldscheid ein wirtschaftliches
                                               ist der Wunsch des Internationalen        Bündnis von Frankreich, Deutschland
                                               Verbandes.“ (S. 6).                       und England vor.

                                               Im selben Jahr veranstaltete die          Nachdem die Idee der VSE erst
                                               FIDH einen Jahreskongress, der            jüngst wieder von verschiedenen
                                               vom 26. bis 27. Juni 1926 in Brüssel      politischen Parteien aufgegriffen
Die Vorkriegszeitschrift der Deut-
                                               stattfand und drei von vier Sitzun-       wurde, z.B. im EU-Wahlkampf 2019,
schen Liga für Menschenrechte,
                                               gen dem Thema VSE widmete.                ist zu unterstreichen, dass die heuti-
die von 1926 bis 1932 erschien
                                               Die erste Sitzung, präsidiert vom         ge EU in vielem mehr gemeinsames
und immer wieder über die Arbeit
                                               Gründungsmitglied der österreichi-        Europa enthält, als es die historische
ihrer Schwesterligen berichtete,
                                               schen Liga Rudolf Goldscheid, galt        Idee der VSE anstrebte. Das ändert
ist eine wichtige Quelle für die
                                               jedoch den Länderberichten, und           nichts an ihrer friedensstiftenden
Forschungsarbeit zur Geschichte
                                               diese waren zum Teil recht düster.        Schubkraft in der Zwischenkriegszeit
der Menschenrechtsligen.
                                               Die armenische, die georgische,           und an ihrer damaligen Modernität.
Quelle: Archiv der Österreichischen Liga für   die italienische und weitere Ligen        Entscheidend ist, dass ein Zusam-
Menschenrechte, Zentrum QWIEN                  befanden sich im französischen            menhang zwischen europäischer
                                               Exil und berichteten über die             Einheit und Demokratie und Men-
                                               Menschenrechtsverletzungen                schenrechten hergestellt wurde, wie
Europa“ blieb allerdings zunächst              unter dem sowjetischen bzw. dem           auf dem FIDH-Kongress 1926.
unveröffentlicht. Als sich rund um             Regime Mussolinis. Der Sprecher
Lehmann-Russbüldt gegen 1914 eine              der rumänischen Liga, Constantin G.
Gruppe deutscher Pazifist*innen zur            Costa-Foru war in Bukarest Opfer
                                                                                           BUCHTIPP
Gründung des Bunds Neues Vater-                einer antisemitischen gewalttätigen
land sammelte, aus dem später die              Attacke geworden. Und so ging
Deutsche Liga für Menschenrechte               es weiter. Umso bemerkenswerter
hervorgehen sollte, war die Heraus-            bleibt, dass die Delegierten auf
gabe dieser Schrift eine der ersten            diesem FIDH-Kongress allen Widrig-
Aktionen. Lehmann-Russbüldts                   keiten zum Trotz ausgiebig über die
Zukunftsvision sollte die Diskussion           Möglichkeit und die Ausgestaltung
über die VSE in den folgenden Jahr-            der VSE berieten.
zehnten beeinflussen. Die intensive
Beschäftigung damit zeigte sich auch           In das Thema führte der sehr be-
im Zuge der Gründung der österrei-             kannte und angesehene Historiker
chischen Liga im Jahr 1926. Zu ihrer           der Französischen Revolution,
ersten öffentlichen Veranstaltung am           Alphonse Aulard, ein, der führendes
10. Mai 1926 in Wien reiste unter              Mitglied der französischen Liga war
anderem der Vorsitzende der Deut-              und bereits 1920 einen Artikel über
schen Liga, Robert René Kuczynski,             die VSE veröffentlicht hatte. Aulard
an. Seine Rede ist im Magazin der              verwies auf bekannte Verfechter der
Deutschen Liga „Die Menschen-                  Idee der VSE wie Victor Hugo und
rechte“ (Nr. 1, 1926) überliefert. Der         Charles Lemonnier, beide Persön-
Ökonom und Demograph Kuczynski,                lichkeiten der Pazifismusbewegung
der heute als einer der Väter der              der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-         Wolfgang Schmale „For a Democratic
modernen Bevölkerungsstatistik                 derts. Für Aulard führte der Weg zu         United States of Europe (1918–1951)“.
betrachtet wird, führte bei dieser             Menschenrechten, Demokratie, Brü-

Österreichische Liga für Menschenrechte
17
                                                                        Foto / Roland Schlager/APA/picturedesk.com
                                                                                               Text / Terezija Stoisits

Die Liga trauert um Richard Wadani

W
           ien, 19. April 2020.         zu Deutschland, wo es bereits seit
           Gestern Nacht ist Richard    den frühen 1980er Jahren eine
           Wadani gestorben. Ich        kritische Auseinandersetzung mit
verneige mich vor diesem beein-         der NS-Militärjustiz gab, entwickelte
druckenden Menschen. Ruhe in            sich die öffentliche Debatte über das
Frieden, lieber Richard, auf Deiner     Wirken der Wehrmachtsgerichte und
Wolke. Den folgenden Text habe          das Schicksal der Wehrmachtsdeser-
ich an Richard anlässlich seines        teure erst in den 1990er Jahren. Du
97. Geburtstags am 11. Oktober          Richard, Du warst der Motor und wir
2019 gerichtet:                         waren Dein Werkzeug.

                                        Die Gruppe von jungen Wissenschaf-
Lieber Richard Wadani!                  terInnen rund um das Forschungsse-
Es war in den 90er Jahren, als          minar von Walter Manoschek lieferte
wir einander kennenlernten. Wir         uns die Fakten für die sozialrechtli-
saßen in meinem Arbeitszimmer           che und juristische Rehabilitierung.
im Erdgeschoß des historischen          Wir stellten Anfragen, brachten
Parlamentsgebäudes und sprachen         Anträge und Gesetzesinitiativen ein.
über die Rolle der Grünen in der
österreichischen Politik. Es ging um    Wir betrachteten uns als der verlän-
die immerwährende Neutralität und       gerte Arm Deines politischen Lebens-
die Auswirkungen des EU-Beitritts       anliegens im Parlament. Es war zäh,
auf diese. Wir sprachen über den        es war mühsam, es ging langsam,
Jugoslawien-Krieg, über die Situation   aber da warst ja Du, der nie aufgab,
der Wehrdienstverweigerer, speziell     der kämpfte, der den notwendigen
jene aus dem Kosovo, die nach           öffentlichen Druck aufbaute.
Österreich flüchteten. Ich eine da-
mals noch junge Frau und Abgeord-       Das Personenkomitee wurde ge-           die Debatte von der Galerie aus
nete, und Du ein beeindruckender,       gründet, die ersten Gedenkfeiern        verfolgt und Präsidentin Prammer
erfahrener, jugendlich wirkender        im Donaupark beim Gedenkstein           und der 2. Präsident Neugebauer
Mann mit langer Geschichte.             fanden statt, Pressekonferenzen und     haben Dich für Dein unnachgiebiges
                                        Veranstaltungen wurden organisiert,     Engagement gewürdigt. Es war
Unser Gespräch war keinesfalls so       dringliche Anfragen im Nationalrat      Deine Hartnäckigkeit, der wir die
harmonisch, wie man heute glauben       gestellt, geduldige politische          explizit erwähnte Anerkennung für
möchte, sondern eine zum Teil kon-      Arbeit auf vielen Ebenen gab es,        die Deserteure der Wehrmacht in
frontative politische Auseinanderset-   und immer Dich als Motivator und        diesem Gesetz verdanken und damit
zung über die Dir wichtigen Themen      unermüdlicher Motor. 2005, im           einen Teil Deines Engagements zu
und Anliegen. Aber eines war von        sogenannten „Gedenkjahr“, kam es        einem guten Ende brachten.
Anfang an da: wechselseitiger Res-      dann schließlich zur Verabschiedung
pekt, das Vertrauen zueinander und      des Anerkennungsgesetzes. Es war        Lieber Richard, ich danke Dir und
mein Interesse an Deinem Leben          einerseits ein guter Tag, denn eine     verneige mich vor Dir.
und Dein Interesse an den Möglich-      erste Hürde war überwunden, aber
keiten, parlamentarische Schritte       noch lange keine Zufriedenheit bei      Bitte bleib uns allen weiter gewo-
zu initiieren. So wurde aus Deinem      Dir, Richard, und das zu Recht.         gen.
Einsatz, Deiner Initiative, Deinen
Bemühungen um die Rehabilitierung       Erst vier Jahre später, im Oktober      Wir brauchen Dich und lieben Dich.
der Wehrmachtsdeserteure in Ös-         2009, gelang der nächste Schritt.
terreich die gemeinsame Arbeit mit                                              Richard Wadani wurde im Jahr 2016
den Grünen an diesem Vorhaben.          Das Aufhebungs- und Rehabilita-         gemeinsam mit seiner Frau Linda
                                        tionsgesetz wurde mit Stimmen           der Menschenrechtspreis der
Es folgten zähe Jahre der Überzeu-      der SPÖ, der ÖVP und der Grünen         Österreichischen Liga für Menschen-
gungsarbeit, denn im Gegensatz          beschlossen. Du – Richard – hast        rechte verliehen.

                                                                                 Österreichische Liga für Menschenrechte
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Foto / Jeff Mangione
Text / Annemarie Pervan

Damals forderte die Liga:
„NACH DEM GEHÖRT LÄNGST EINE KASERNE BENANNT!“*

D
         as Nachkriegsarchiv der          für die Erinnerung an den Offizier
         Österreichischen Liga für        Robert Bernardis und für seine
         Menschenrechte umfasst           Würdigung ein. „Auf den Namen
mehr als 300 Aktenordner an Materi-       Bernardis hat man so reagiert, dass
al, das im Rahmen eines Forschungs-       wir als Kinder eines Verräters ange-
projekts an der Universität Wien mit      sehen wurden“, erzählte die Enkelin
Materialien aus der Vorkriegszeit und     von Robert Bernardis. Der jüngst
Dokumenten der aktuellen Arbeit           verstorbene Richard Wadani (siehe
laufend ergänzt wird. Das Archiv ist      Seite 17), ebenfalls ehemaliger
eine wertvolle Quelle der Geschichte      Wehrmachtsdeserteur, schilderte
der Menschenrechte und gibt einen         die Situation in der Nachkriegsge-
Rückblick auf das Engagement der          sellschaft Österreichs wie folgt:
Liga in der Zweiten Republik.             „Die Stimmung in der Bevölkerung,
                                          aber auch in den Ämtern gegenüber
Eine der zentralen Forderungen            einem Deserteur war deprimierend.“
betraf die Rehabilitation der Wehr-
machtsdeserteure. Die Österreichi-        Die Liga bemühte sich darum, die
sche Liga für Menschenrechte setzte       Ennser Towarek-Schulkaserne, wo          Aus: „Kleine Zeitung“,
sich Ende der 1990er-Jahre verstärkt      Bernardis ausgebildet wurde, in          4. Dezember 1997
                                          „Robert Bernardis Kaserne“ umzu-
                                          benennen und eine Gedenktafel zu
                                          errichten. „Österreichs Stauffen-
                                          berg“ hatte sich maßgeblich an der      person hinausgehend den Wider-
                                          „Operation Walküre“ beteiligt und       stand gegen den verbrecherischen
                                          bezahlte seinen Mut mit seinem          Nationalsozialismus.“
                                          Leben. Als Mittels- und Verbin-
                                          dungsmann zum militärischen             Eine neue Ära hatte begonnen. Im
                                          Widerstand in Wien übernahm             Januar 2020 wurde nun auch eine
                                          er die telefonische Übermittlung        Kaserne nach Robert Bernardis und
                                          der Befehle. Am 8. August 1944          dem ebenfalls hingerichteten Feld-
                                          wurde er in Berlin zum Tode ver-        webel Anton Schmid benannt. Der
        DIE AUTORIN                       urteilt. „Bernadis war der einzige      Wiener Unteroffizier Anton Schmid
                                          österreichische Offizier, der beim      war Leiter der Versprengtensammel-
                                          Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944    stelle in Wilna, versteckte und rettete
       Annemarie Pervan
                                          eine bedeutende Rolle spielte und       zahlreiche Verfolgte. Auch er wurde
                                          dessen Erhebung gegen das men-          zum Tode verurteilt und hingerichtet.
  Studium der Politik- und
                                          schenverachtende Naziregime vom         Die Rossauer Kaserne trägt seit dem
  Rechtswissenschaften an
                                          Einsatz für die Freiheit Österreichs    diesjährigen Holocaust-Gedenktag
  der Universität Wien, seit
                                          bestimmt wurde“, so in einem            den Namen „Rossauer Kaserne
 November 2018 Praktikantin
                                          Brief der Liga an Bundesminister        Bernardis-Schmid“. „Es geht darum,
  bei der Österreichischen
                                          Fasslabend 1998. Es dauerte noch        die nötige Zivilcourage aufzubringen,
  Liga für Menschenrechte,
   Aufarbeitung des Liga-                 mehrere Jahre, bis man Bernardis        um seinem eigenen Gewissen zu
   Archivs im Rahmen des                  würdigte und 2004 eine Gedenk-          folgen und bereit zu sein, die
   Forschungsprojekts zur                 tafel an der Towarek-Schulkaserne       Konsequenzen dafür zu tragen“,
 Archivierung der Bestände.               errichtete. Anlässlich der Enthüllung   so Verteidigungsministerin Klaudia
 Redaktionelle Mitarbeiterin              sagte Bundespräsident Heinz             Tanner, „die beiden Widerstands-
           der Liga.                      Fischer: „Die Republik Österreich       kämpfer haben uns das vorgelebt.“
                                          ehrt mit diesem Denkmal aber auch
                                          grundsätzlich und über eine Einzel-     *Vorstandsmitglied Karl Gartler 1997

Österreichische Liga für Menschenrechte
MENSCHENRECHTE
IN OSTERREICH
Die Zivilgesellschaft
ist am Wort
ÜBER DIE KOORDINATION DES BERICHTS ZUM UNIVERSAL
PERIODIC REVIEW DER VEREINTEN NATIONEN

                                                                Barbara
                                                                Helige,
                                                                Präsidentin
                                                                der Öster-
                                                                reichischen
                                                                Liga für
                                                                Menschen-
                                                                rechte

    Es gibt noch
    viel zu tun.
     BARBARA HELIGE

                                                   Florian
                                                   Horn,
                                                   Vorstands-
                                                   mitglied
                                                   der Liga

Österreichische Liga für Menschenrechte
21
                                           Fotos / JumpStory (2), SOH-PHOTOGRAPHY (Horn) / Presseclub Concordia
                                                                                               Text / Valerie Gruber

D
              er Universal Periodic                                            sich entschieden, 2020 – wie schon
              Review (Universeller                                             in den Jahren 2011 und 2015 – eine
              Überprüfungsmecha-                                               aktive Rolle bei der Erstellung des
              nismus oder UPR) ist                                             sogenannten Schattenberichts (des
              ein Instrument des Men-                                          Berichts der Zivilgesellschaft an das
schenrechtsrates der Vereinten Na-            Es ist eine                      OHCHR) einzunehmen. Besonders
tionen. Er sieht die Überprüfung der                                           wichtig war uns dabei, nicht nur
Lage der Menschenrechte in allen              Hauptaufgabe                     einen weiteren Bericht mit einer Flut
193 Mitgliedstaaten in regelmäßigen                                            an Forderungen zu erstellen, der
Abständen vor. Dabei werden je-               der Zivilgesell-                 nach einer kurzen Bearbeitung in
doch nicht nur von einem Ausschuss
eine Untersuchung angestellt und
                                              schaft, immer ein                Genf wieder in Vergessenheit gerät.
                                                                               Wir wollten die Gelegenheit nützen,
Vorschläge zur Verbesserung ge-               Auge darauf zu                   eine bessere Vernetzung zwischen
macht, sondern alle Länder haben                                               den Akteuren der Zivilgesellschaft
durch einen „Peer Review”-Prozess             werfen, dass es                  im Bereich der Menschenrechte
die Möglichkeit, Wahrnehmungen
oder Bedenken bezüglich der
                                              zur tatsächlichen                zu erreichen. Durch die breite
                                                                               Unterstützung des Endberichts
Einhaltung der Menschenrechte im              Umsetzung der                    sollte zudem eine erhöhte mediale
überprüften Land zu äußern.                                                    Aufmerksamkeit erzielt werden.
                                              Menschenrechte                   Mit der Koordination von etwa
Grundlage der Überprüfung bilden                                               250 Organisationen – vertreten
drei Berichte: Der Bericht der                kommt.                           durch 21 Dachorganisationen –
Regierung des jeweiligen Landes,              FLORIAN HORN
                                                                               haben wir dafür jedenfalls den
der Bericht des Hochkommissariats                                              ersten Schritt gemacht.
für Menschenrechte der Vereinten
Nationen (OHCHR) und ein Bericht,
der sich aus Einreichungen der Zivil-
gesellschaft zusammensetzt. Diesen
hat die Liga für Menschenrechte nun
zum wiederholten Mal koordiniert.

Der Mittelpunkt der Prüfung ist          mungen und Forderungen zur
eine Sitzung des Menschenrechts-         Lage der Menschenrechte an das               Wir konnten
rates in Genf, in der die VertreterIn-   OHCHR zu richten und auf dieser
nen des geprüften Staates und der        Ebene in den Prozess mit einbezo-            tatsächlich eine
Zivilgesellschaft zu den Berichten
Stellung nehmen und auf Fragen
                                         gen zu werden (dies durch die hier
                                         beschriebene Joint Submission),
                                                                                      Tendenz fest-
und Empfehlungen der Staatenge-          bindet das österreichische Außen-            stellen, dass der
meinschaft antworten – dies sollte       ministerium (das die Koordination
im besten Falle im Rahmen eines          des Staatenberichts auf Regierungs-          Stellenwert der
interaktiven Dialogs geschehen.
Anschließend wird vom Menschen-
                                         ebene übernimmt) VertreterInnen
                                         der Zivilgesellschaft schon vorher
                                                                                      Menschenrechte
rechtsrat ein Abschlussbericht mit       aktiv durch Gespräche und Stel-              im politischen
allen Forderungen und Vorschlägen        lungnahmen in die Erstellung des
erstellt, auf den der Staat noch ein     Staatenberichts mit ein. In diesen           Prozess in den
letztes Mal antworten beziehungs-        soll auch ein eigenes Kapitel mit
weise ihn annehmen oder ablehnen         Vorschlägen der Zivilgesellschaft            letzten Jahren
kann. Soweit der offizielle Teil des
Verfahrens, dem folgen mögliche
                                         aufgenommen werden.                          zurückzugehen
Nachbereitungsmaßnahmen auf                                                           schien.
nationaler Ebene.                        Die Wirkung erhöhen
                                         Um die Chancen zur Eröffnung eines           FLORIAN HORN
Insgesamt soll also der Zivilgesell-     Dialogs, die dieser Prozess bietet,
schaft in diesem Prozess eine wichti-    wahrzunehmen und bestmöglich
ge Rolle zukommen. Abgesehen von         nutzbar zu machen, hat die Öster-
der Möglichkeit, direkt Wahrneh-         reichische Liga für Menschenrechte

                                                                                Österreichische Liga für Menschenrechte
22

Da sich für die Erstellung der            onsprozess mit VertreterInnen der       Religionsfreiheit; die Rede- und
diesjährigen Joint Submission bei         Zivilgesellschaft einzuleiten, der      Versammlungsfreiheit; die Freiheit
der Liga ein neues Team zusammen-         auch nach der offiziellen Überprü-      zur Teilnahme am öffentlichen und
gefunden hat, war die Arbeit be-          fung in Genf fortgesetzt werden         politischen Leben; das Recht auf
sonders durch „learning by doing“         soll. Momentan wird noch daran          sozialen Schutz und angemessenen
gekennzeichnet. Von der ersten            gefeilt, wie dieser Prozess in Zeiten   Lebensstandard; das Recht auf
Diskussion der Idee Ende 2019 bis         des Social Distancing und der virtu-    Gesundheit; das Recht auf Bildung;
zur ersten offiziellen (dann durch        ellen Meetings aussehen kann.           Personen mit Behinderung; Minder-
Corona verschobenen) Einreichfrist                                                heiten; MigrantInnen, Flüchtlinge
am 26. März 2020 blieb uns nicht          Besonders interessiert sind wir – und   und Asylsuchende und das Recht
viel Zeit für die Kontaktaufnahme         alle zu unserer Joint Submission        auf Entwicklung.
mit Organisationen, die Sammlung          Beitragenden – an den längerfristi-
von Beiträgen, die Erstellung eines       gen Plänen. Leider wurde der nach       Für all diese Felder haben wir insge-
ersten Entwurfs, die Einholung von        den Überprüfungen 2011 und 2015         samt 152 Forderungen gesammelt.
Feedback und die Übersetzung ins          begonnene Diskussionsprozess im         Aus denen geht hervor, dass es
Englische. Wenn wir geahnt hätten,        Jahr 2017 weitgehend ergebnislos        besonders wichtig wäre,
dass uns Corona eine Fristverlänge-       beendet. Durch die breite Beteili-      a) endlich einen allgemeinen und
rung bis Anfang Juni gewähren wür-        gung an unserer Joint Submission        umfassenden Grundrechtskatalog
de, hätten wir die internen Fristen       wollen wir eine demgemäß breite         im Verfassungsrang zu schaffen,
wohl nicht ganz so knapp angesetzt.       Beteiligung an den Umsetzungs-          b) einen umfassenden Nationalen
                                          maßnahmen sicherstellen. Erste          Aktionsplan für die Menschenrechte
An dieser Stelle sei den vielen           positive Signale aus dem BMEIA          auszuarbeiten,
einzelnen Organisationen für ihre         lassen hoffen, werden aber kritisch     c) Mechanismen der Einzelnen gegen
Arbeit gedankt, ohne sie wäre ein         zu beobachten sein.                     den Staat und gegen große (transna-
Bericht in diesem Ausmaß und mit                                                  tionale) Unternehmen zu verbessern,
dieser Reichweite nicht möglich           Zum Thema der weitergehenden            die der effektiven Umsetzung der
gewesen.                                  Vernetzung der Zivilgesellschaft        Menschenrechte aller dienen, und
                                          möchte die Liga (soweit dies mit        d) die Finanzierung der zuständigen
Der Endbericht – auf den wir und          Corona-Maßnahmen vereinbar ist)         Gerichte und Staatsanwaltschaften
alle Beteiligten zu Recht stolz sein      im Herbst eine Podiumsdiskussion        sowie die finanzielle Unterstützung
können – wurde am 9. Juni im              veranstalten und damit zu einer         unabhängiger zivilgesellschaftlicher
Zuge einer Pressekonferenz im             intensiven Diskussion über den Staa-    Einrichtungen nachhaltig sicher-
Presseclub Concordia veröffentlicht       ten- und Schattenbericht anregen.       zustellen.
und anschließend an das OHCHR
übermittelt.                              Über die weitere Arbeit und die         Bei der Pressekonferenz am 10. Juni
                                          Veranstaltungen werden wir in           2020 wurden diese Forderungen
Er ist auch auf der Homepage der          der nächsten Ausgabe des Liga-          nochmals hervorgestrichen.
Liga unter www.liga.or.at/news/           Magazins berichten.
aktuell-infos-upr-koordination-2020/                                              Unser besonderer Dank gilt
abrufbar.                                                                         der Reder Stiftung sowie der
                                          Und was steht nun                       Arbeiterkammer für die
                                          in dem Bericht?                         finanzielle Unterstützung.
Zur weiterführenden Arbeit                Hier ist empfehlenswert, den
Nach der Einreichung beim OHCHR           Volltext von der Homepage der
ist unsere Arbeit aber noch nicht         Liga herunterzuladen. Er orientiert
getan. Da der erste Entwurf des           sich im Aufbau an den Artikeln der
Staatenberichts Ende Mai vom              Allgemeinen Erklärung der Men-
Außenministerium veröffentlicht           schenrechte der Vereinten Nationen
wurde, wird die Liga auch dazu            und beleuchtet folgende Themen:
noch eine Stellungnahme abgeben           Gleichberechtigung und Antidis-                 Keine gute
und sich aktiv in den Prozess um
den finalen Bericht einbringen.
                                          kriminierung; das Recht auf Leben,
                                          Freiheit und Sicherheit der Person;
                                                                                          Diagnose für
Außerdem hat das Bundesministe-           die Justizverwaltung, Straflosigkeit            Österreich.
rium für europäische und internati-       und Rechtsstaatlichkeit; das Recht
onale Angelegenheiten (BMEIA) in          auf Privat- und Familienleben;
Aussicht gestellt, einen Konsultati-      die Gedanken-, Gewissens- und

Österreichische Liga für Menschenrechte
23

DAS UPR-KOORDINIERUNGSTEAM DER ÖSTERREICHISCHEN LIGA FÜR MENSCHENRECHTE

     ZUR PERSON                   ZUR PERSON                ZUR PERSON                       ZUR PERSON

           Florian                   Sebastian               Jana Magdalena                      Valerie
            Horn                      Öhner                       Raith                          Gruber

   Studium der Rechts-         Studium der Rechts-        Studien der Rechtswis-          Studien der Rechts-
   wissenschaften an den       wissenschaften am          senschaften, Anglistik          wissenschaften und
   Universitäten Wien          Juridicum Wien und         und Amerikanistik,              der Internationalen
   und Southampton, UK.        der Istanbul University,   dann einjähriger                Entwicklung an der
   Studium der Wirt-           TR. Seit 2017 engagiert    Diplomlehrgang an               Universität Wien,
   schaftswissenschaften       im Bereich Kinder-         der Diplomatischen              Masterstudium an der
   an der Wirtschafts-         rechte im Zuge seiner      Akademie, danach                University of Edinbur-
   universität Wien.           Arbeit bei den Wiener      arbeitete sie bei der           gh, UK. Ab 2018 Arbeit
   Rechtsanwalt in Wien.       Kinderfreunden und in      Volksanwaltschaft.              im Bereich „Bekämp-
   Lehraufträge an der         zusätzlicher Koopera-      Aktuell ist sie im              fung des Menschen-
   Universität Wien und        tion mit verschiedenen     Bereich Gesellschafts-          handels” im BMEIA.
   der Sigmund Freud           NGOs. Mitglied des         politische Innovation           Nach einem Praktikum
   PrivatUniversität. Stell-   Forums kritischer          in der Industriellen-           an der österreichi-
   vertretender Vorsitzen-     Jurist*innen. Seit 2020    vereinigung tätig.              schen Botschaft in
   der des Clubs der           ist er im Institut für                                     Canberra, Australien,
   Sozialdemokratischen        Internationales Recht,                                     ist sie nun im Bereich
   RechtsanwältInnen,          Europarecht und                                            Anti-Diskriminierung
   Disziplinarrat und          Rechtsvergleichung an                                      und internationales
   Rechtsanwaltsprüfer         der Universität Wien                                       Arbeitsrecht in der
   der Rechtsanwalts-          als Projektmitarbeiter                                     Industriellenvereini-
   kammer Wien,                tätig.                                                     gung tätig.
   Mitglied der Öster-
   reichischen Juristen-
   kommission.

                                                                               Österreichische Liga für Menschenrechte
Verstaatlichte
Asyl-Rechtsberatung
ASYLBESCHEID UND ANFECHTUNG AUS EIN UND DERSELBEN HAND

A
            b 1. Jänner 2021 wird         metschleistungen und Menschen-         hatte: Die Errichtung eines sich
            Österreich das erste          rechtsbeobachtung bei Charterab-       selbst kontrollierenden Systems und
            und auch einzige Land         schiebungen verantworten wird.         den Ausschluss der Zivilgesellschaft.
            der EU sein, das die
            rechtliche Vertretung         Staatliche Akteure werden in Zukunft   Leitende Beamte des Innenministe-
von Asylsuchenden in staatliche           staatliche Akteure beobachten und      riums und der Asylbehörde sitzen
Hände legt. Umgesetzt wird dieses         feststellen, ob es bei Abschiebungen   im Aufsichtsrat der Bundesagentur,
Vorhaben in einer Bundesagentur,          zu Menschenrechtsverletzungen          die mit der Rechtsvertretung gegen
die auch noch die zukünftige Rück-        kommt. Das bringt auf den Punkt,       die Entscheidungen der eigenen
kehrberatung, die Unterbringung in        was die türkis-blaue Regierung mit     Asylbehörde beauftragt ist. Geht es
Bundesbetreuungsquartieren, Dol-          dieser Bundesagentur vor Augen         nach den Plänen des Innenministe-

Österreichische Liga für Menschenrechte
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